Medienlandschaft in Europa
Die Medienlandschaft in Europa ist so vielfältig wie der Kontinent selbst. Europa besteht aus großen (Deutschland) und kleinen Staaten (Monte Carlo); Staaten mit ethnisch einheitlicher Bevölkerung (Dänemark) und multikulturellen Staaten (Schweiz); Staaten mit einer eigenständigen Sprache wie Finnland und Ungarn; oder Staaten, die einer größeren Sprachgemeinschaft angehören und kulturell von größeren Staaten dominiert werden können (Österreich durch Deutschland). Die Größe der Staaten " damit die Größe ihrer Medienmärkte " hat viel mit der jeweiligen Medienpolitik zu tun, die ihrerseits wiederum die Mediensysteme prägt.
Des Weiteren lassen sich Mediensysteme im Hinblick auf ihre einzelnen Sektoren Print, Rundfunk und Online betrachten. Der Sektor der Zeitungen und Zeitschriften ist der älteste im gesamten Mediensystem, und seine Strukturen sind in der Regel von vielen historischen, geografischen und politischen Besonderheiten des jeweiligen Landes geprägt. So geht das Vorhandensein einer alt eingesessenen Hauptstadtpresse, wie sie zum Beispiel in Paris oder London zu finden ist, auf die seit Langem existierenden zentralistischen Strukturen zurück. Gegenüber national verbreiteten Zeitungen ist eine starke regionale Presselandschaft vor allem in föderalen Staaten wie in Deutschland existent. Längst nicht alle Mediensysteme kennen den Typus der Boulevardzeitung, die besonders in Großbritannien verbreitet ist, und selten ist das Angebot einer täglichen Sportzeitung wie in Spanien. Auch ein ausdifferenziertes Vertriebssystem wie in Deutschland ist eher selten; viel häufiger werden Zeitungen wie beispielsweise in Frankreich über Kioske verkauft oder " vor allem in dünn besiedelten Ländern " über den Postzeitungsvertrieb den Kunden zugestellt.
Im Rundfunk lassen sich Unterschiede zwischen den Mediensystemen danach feststellen, ob wir einen öffentlichen Rundfunk nach dem Vorbild der BBC als einziges Element " wie lange Zeit in Österreich " (dies ist im Verschwinden begriffen) oder als wesentliches Element vorfinden (Schweden), ob das kommerzielle Prinzip nach dem Vorbild der USA dominiert wie in Luxemburg, oder welche Mischformen vorliegen (duales System). Die Bedeutung des Staates bei der Regulierung, die zum Beispiel in osteuropäischen Ländern immer noch sehr groß ist, die Betonung der kulturellen und identitätsstärkenden Rolle von Rundfunk, die zum Beispiel in Frankreich in der Form von Eigenproduktionsquoten umgesetzt wird, und der Stellenwert, den die so genannte dritte Säule (Bürgerfunk, community radio) einnimmt " bedeutend zum Beispiel in Dänemark " sind weitere Elemente, nach denen sich die verschiedenen Mediensysteme im Hinblick auf Hörfunk und Fernsehen unterscheiden lassen.
Für Online-Medien ist mehr noch als für den Rundfunk und den Printsektor eine zentrale Größe, wer überhaupt Zugang zum Internet und den damit verbundenen Diensten hat. Der Anteil der Mediennutzerinnen und -nutzer, die online sind, ist in Skandinavien deutlich höher als in West- und Südeuropa, Osteuropa hat " mit Ausnahme des Baltikums " hier noch einen großen Nachholbedarf.
Wie viel Autonomie Medien genießen bzw. wie regulierend eingegriffen wird " ohne die publizistische Autonomie zu gefährden, Markteinflüsse aber sehr wohl einzuhegen " entscheidet sich durch die jeweilige Medienpolitik. Die Aufgabe, den Ausgleich zwischen Marktorientierung und gesellschaftlicher Aufgabe der Medien zu schaffen, wird in den verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich angegangen. Die deutsche Variante, bei der Medienpolitik vornehmlich administrativ und auf der Grundlage prägender Verfassungsgerichtsurteile sowie hoch dezentral gestaltet wird, ist im europäischen Durchschnitt eher die Ausnahme. Vielmehr sind Mediensysteme in Europa als Ergebnis des Spannungsverhältnisses von Aushandlungsprozessen in der Politik, technischen Entwicklungen und Marktgegebenheiten geprägt.
Wie das Verhältnis zwischen Medien und Politik in den verschiedenen Ländern ausfällt, ist in vergleichenden Studien nach verschiedenen Dimensionen untersucht worden. Am bekanntesten ist dabei die Unterteilung der Kommunikationswissenschaftler Daniel C. Hallin und Paolo Mancini, die in den industrialisierten Staaten drei Modelle erkennen:
das liberale Modell, z. B. in Großbritannien und Irland anzutreffen, bei dem die Marktkräfte dominieren und die kommerziellen Medien den stärkeren Sektor ausmachen;
das demokratisch-korporatistische Modell, das in Nordeuropa vorherrscht und das durch die historische Koexistenz von kommerziellen Medien und solchen Medien gekennzeichnet ist, die an organisierte soziale und politische Gruppierungen gebunden sind; und
das polarisierte pluralistische Modell, das vor allem in Südeuropa anzutreffen ist, bei dem die Medien in die Parteienlandschaft integriert, die kommerziellen Medien weniger stark entwickelt sind und der Einfluss des Staates groß ist.
Diese Modelle geben auch Hinweise darauf, wie sehr staatliche Akteure regulierend in die Medienlandschaft eingreifen: im polarisierten Modell mehr als im demokratisch-korporatistischen, hier wiederum stärker als im liberalen Modell. Dabei ist eine ausgeprägte Medienregulierung nicht mit Staatsnähe zu verwechseln. Staatsnähe und Staatsferne sagen vielmehr darüber etwas aus, wie sehr es Regierungen gelingt, die Medien für ihre Zwecke einzubinden. Dies ist mit einem hohem Grad an Medienkonzentration und der Verbindung von Medienmacht und politischer Macht in Italien unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi zu beobachten, aber auch in wachsendem Maße in Frankreich, wo es dem Präsidenten Nicolas Sarkozy gelungen ist, ein weit verzweigtes Netzwerk persönlicher Beziehungen zu Medieneigentümern und Medienstars zu schaffen. Staatsferne Medien lassen sich dagegen eher in hoch kompetitiven Medienmärkten wie Großbritannien, Deutschland oder Polen finden.
Der Beitrag, den Medien für die öffentliche Kommunikation leisten, ist auch stark abhängig von den Möglichkeiten und Bedingungen, unter denen Journalistinnen und Journalisten arbeiten. Deren Freiheitsgrad ist das Anliegen vieler internationaler Journalistenorganisationen, wie zum Beispiel von Reporter ohne Grenzen. In deren Ranking der Pressefreiheit 2009 rangiert Deutschland auf Platz 18, während sich die vier skandinavischen Staaten sowie Irland den Platz 1 teilen. Schlusslichter innerhalb der EU bilden Frankreich (43), die Slowakei und Spanien (beide Platz 44), Italien (49), Rumänien (50) und Bulgarien (68). Die Organisation legt ihrem Ranking verschiedene Kriterien zugrunde, zum Beispiel weitgehende Gegendarstellungsrechte, die von Politikern missbraucht werden können (Slowakei), Einflüsse organisierter Kriminalität und verschiedene Formen von Druck, den Vertreter aus Politik und Wirtschaft auf Medien ausüben (Bulgarien, Italien) oder juristische Ermittlungen gegen Journalisten, Festnahme von Reportern und Durchsuchung von Nachrichtenmedien sowie die direkte Einflussnahme des Staatspräsidenten Sarkozy (Frankreich). Die Veränderungen in diesen Rankings von Jahr zu Jahr sind nicht unerheblich. Denn Mediensysteme " und damit die Medienlandschaft in Europa " sind nicht statisch.
Medienlandschaft weltweit
Außerhalb Europas herrscht eine so große Vielfalt an Kulturen und politischen Systemen, dass sich auch die dazugehörigen Mediensysteme relativ stark unterscheiden. Allerdings gibt es einzelne Dimensionen, die den Vergleich der Mediensysteme erleichtern. Dazu gehört die Frage, zu welchem Zeitpunkt bestimmte Mediengattungen (z. B. die Tageszeitung) entstanden und auf welche Tradition sie zurückblicken. Auch lässt sich ermitteln, ob sich die Medien eher zentral (z. B. in der Hauptstadt) oder dezentral (z. B. in verschiedenen Verwaltungs- oder Ballungsgebieten) entwickelten. Es spielt eine wichtige Rolle, welchen Einfluss der Staat bei der Organisation und Kontrolle der Medien ausübt (z. B. in Form eines staatlichen Rundfunks). Außerdem lässt sich die Vielfalt der Medienangebote vergleichen, aus der die Menschen auswählen können (z. B. die Anzahl der Fernsehkanäle). Schließlich ist es von elementarer Bedeutung, wie stark die Medienfreiheit ausgeprägt ist.
Vor allem das Mediensystem der USA ist außerhalb Europas für Deutschland von besonderer Bedeutung. Dies liegt zum einen daran, dass die USA auf dem Gebiet der Medien eine führende Stellung einnehmen. So sind einige der weltweit größten Medienkonzerne wie beispielsweise Time Warner dort beheimatet. Zum anderen orientieren sich die Medien in Deutschland traditionell relativ stark an den USA. Dies ist unter anderem eine Nachwirkung der "Re-Education" nach dem Zweiten Weltkrieg, bei der die USA maßgeblich am Aufbau von demokratischen Institutionen in Deutschland beteiligt waren. Im Zuge dessen vermittelten die US-amerikanischen "Press Coaches" den Deutschen angloamerikanische Journalismusideale.
Die USA blicken auf eine lange Medientradition zurück: Dort wurde bereits im Jahr 1791 die Pressefreiheit in die Verfassung aufgenommen, während Deutschland und Japan diesen Schritt erst nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig vollzogen. Bei Russland dauerte dies bis nach dem Zerfall der Sowjetunion. In der Volksrepublik China steht die Medienfreiheit zwar ebenfalls in der Verfassung, wird jedoch in der Realität nicht umgesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich in den USA bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Tageszeitung zum Massenmedium entwickelte. Eine werbestarke Industrie, ein einkaufsfreudiges Publikum und eine marktfreundliche Medienpolitik trugen dazu bei, dass in den USA auch die ersten privat-kommerziellen Hörfunk- und Fernsehsender entstanden.
Der öffentliche Rundfunk bildete sich in den USA erst relativ spät heraus, im Gegensatz zu Deutschland und den übrigen westeuropäischen Staaten, wo die Entwicklung anders herum verlief. Bis heute spielt der 1970 gegründete öffentliche Fernsehsender Public Broadcasting Service (PBS) in den USA eine kümmerliche Nebenrolle und erzielt lediglich eine Reichweite von zwei bis drei Prozent. Dies ist vielleicht der größte Unterschied zu Deutschland, wo das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit dem Ersten, dem ZDF und den Dritten Programmen einen Marktanteil von über 40 Prozent genießt und eine zentrale Säule des Mediensystems darstellt.
QuellentextLage der amerikanischen Medien
[...] Folgt man dem neuesten Bericht zur Lage der amerikanischen Medien, dann ist das Erfolgsrezept derzeit Meinungsmache. Die Meinung muss dabei nicht unbedingt rechts sein. MSNBC, das linke Gegenstück zu [den rechtkonservativen] Fox News, hat ebenfalls Erfolg, wenn auch vergleichsweise weniger. Entscheidend ist, dass es für Amerikaner immer schwieriger wird, professionell recherchierte und unvoreingenommen präsentierte Informationen zu bekommen.
Der Bericht "State of the New Media" dokumentiert seit vielen Jahren die Medienkrise in den USA. [...] [Er] wird [...] vom "Projekt for Excellence in Journalism" (PEJ) beim Pew Center in Washington recherchiert und zusammengestellt. Schon die reinen Zahlen der neuesten Ausgabe sind schockierend. Der Niedergang des Mediengewerbes hat sich 2009 weiter beschleunigt. Zeitungen haben dabei nicht weniger als 26 Prozent ihrer Anzeigenerlöse verloren. Auch bei fast allen anderen Medien " von lokalen und nationalen Fernsehsendern über Magazine und Radiostationen bis hin zu Online-Seiten " sanken die Werbeeinnahmen. Die Zeitungen verloren im Vergleich zum Vorjahr 10,9 Prozent an Auflage. Die New York Times traf es mit einem Minus von 7,3 Prozent unter der Woche und 2,7 Prozent am Sonntag. Lediglich das Wall Street Journal konnte sich um 0,6 Prozent verbessern, aber nur unter Einrechnung der Online-Abonnenten.
Beim Erlösverfall gibt es eine Ausnahme: Kabelfernsehen. Hier blieben die Einnahmen unverändert, die Gewinne der Betreiber stiegen sogar um neun Prozent. Zur Hauptsendezeit schalteten sich sieben Prozent mehr Zuschauer ein, während des Tages waren es 16 Prozent. "Aber die Gesamtzahlen sind irreführend", schreiben die Autoren des Berichts. "Nachts, wenn das Kabel von ideologischen Talkshows dominiert wird, legte Fox um ein Viertel auf durchschnittlich 2,13 Millionen Zuschauer zu jedem gegebenen Augenblick zu, MSNBC stieg um drei Prozent auf 786 000, während CNN um 15 Prozent auf 891 000 Zuschauer sank." Tagsüber stieg CNN zwar um neun Prozent, Fox legte jedoch um ein Viertel zu und hat jetzt doppelt so viele Zuschauer wie CNN. Ideologie setzt sich gegen Fakten durch.
Die Autoren des PEJ-Berichts sehen den Trend auch woanders: Die Vorstellung eines generell schrumpfenden Nachrichtengewerbes sei falsch, schreiben sie. Einerseits gehe der berichtende Journalismus zurück, andererseits nehme der Anteil der Kommentare aber zu, im Kabel, im Radio, in Online-Netzwerken und Blogs. Der springende Punkt: Der Stoff, über den diskutiert und polemisiert wird, stammt zu 80 Prozent aus traditionellen Medien, vor allem aus Zeitungen. Und deren Fähigkeit, umfassend zu berichten, ist wegen der Kürzungen in den Redaktionen dramatisch gesunken. Nach PEJ-Schätzungen entfielen 2009 quer durch die USA 5900 Redakteursstellen, seit 2001 ist damit ein Drittel der Kapazität verschwunden. [...] Es werden so viel mehr Meinungen über viel weniger Fakten verbreitet. Der Trend wird zwar durch das Verhalten der Zuschauer vorangetrieben, diese sind aber mit dem Ergebnis nicht unbedingt zufrieden. Nach einer Umfrage fühlen sich 71 Prozent der Amerikaner einseitig informiert und 70 Prozent "überwältigt" von dem Stoff, dem sie ausgesetzt sind.
Die Ökonomie des Internets tut ein Übriges. Sie verlagert die Macht von den Vermittlern zu den Erzeugern von Informationen. Wer will, kann seine Version der Wahrheit mit minimalem Aufwand weltweit verbreiten, ob dies nun Bürgerinitiativen sind, politische Parteien, Firmen, Lobbyisten oder Leute, die glauben, die Juden hätten das World Trade Center in die Luft gesprengt. In Reaktion darauf würden professionelle Journalisten reaktiver und setzten weniger eigene Themen, heißt es. Dazu kommt ein Weiteres: Eine herkömmliche Zeitung wird als Gesamtpaket verkauft; der einzelne Artikel ist für den wirtschaftlichen Erfolg weniger wichtig als das große Ganze. Das ist eine gute ökonomische Grundlage für Artikel, die auf den ersten Blick nicht so sensationell, aber "wichtig" sind, so das PEJ. Im Internet kommt es dagegen auf jeden einzelnen Artikel an, und da setzt sich eben Sensation gegen Wichtigkeit durch. Das liest sich wie eine Selbstrechtfertigung des traditionellen Journalismus und ist es vielleicht auch. Wer bestimmt schließlich, was "wichtig" ist?
Die zitierte Umfrage zeigt allerdings auch, dass die Verbraucher sich zwar auf dem Jahrmarkt der Sensationen bedienen, dass sie dessen Produkte aber nicht unbedingt mögen. Es ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass traditioneller Journalismus eine Zukunft haben könnte, wenn er besser wird. Und wenn er Verleger findet, die an diese Zukunft glauben.
Nikolaus Piper, "Meinen statt wissen", in: Süddeutsche Zeitung vom 27. März 2010
Das US-amerikanische Medienangebot ist sehr vielfältig. Dort sind annähernd 1500 verschiedene Tageszeitungen erhältlich und fast 100 Fernsehsender frei zu empfangen. Allerdings sind die US-Amerikaner nicht die eifrigsten Zeitungsleser und schauen lieber fern. Japan weist im internationalen Vergleich mit ungefähr 530 Exemplaren pro 1000 Einwohner die höchste Zeitungsdichte auf. Dazu passt, dass die auflagenstärksten Tageszeitungen aus Japan kommen. Yomiuri Shimbun hat beispielsweise eine kombinierte Morgen- und Abendauflage von fast 14 Millionen. Im Vergleich dazu erreicht die Bild-Zeitung nur etwa 3,3 Millionen Exemplare.
Der überwiegende Teil der Tageszeitungen in den USA ist lokal ausgerichtet und trägt sein Verbreitungsgebiet meist im Titel wie die Baltimore Sun. Damit ähnelt der Zeitungsmarkt dem deutschen.
In Japan hingegen beherrschen fünf nationale Tageszeitungen ("The Big Five"), die alle in Tokio angesiedelt sind, die Medienlandschaft. Das Fernsehen in den USA ist in Form von Senderverbünden (networks) organisiert. Über das Land sind lokale Fernsehstationen verteilt, die ihre Inhalte jedoch weitgehend von den großen Networks NBC, CBS, ABC und Fox beziehen. Diese Organisationsform hat sich in vielen großen Ländern durchgesetzt und ist auch in China, Japan und Mexiko anzutreffen. In Mexiko teilen die beiden Netzwerke Televisa und Azteca sogar fast den gesamten Fernsehmarkt unter sich auf.
Medienfreiheit
Die Medienfreiheit ist in den Ländern außerhalb Europas unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Demokratien USA und Deutschland liegen relativ gleichauf im vorderen Feld der Medienfreiheits-Ranglisten, die jährlich von den Nichtregierungsorganisationen Reporter ohne Grenzen und Freedom House erstellt werden. Sie müssen die Spitzenplätze jedoch in der Regel den nordeuropäischen Staaten wie Dänemark und Island überlassen. Ein demokratisches System ist kein Garant für ausgeprägte Medienfreiheit, wie beispielsweise an Indien und Mexiko ersichtlich wird. Die Defizite dieser Länder sind nicht in erster Linie auf die direkte Einflussnahme des Staates zurückzuführen, sondern auf dessen mangelnde Fähigkeit, Journalisten vor wirtschaftlichem Druck, Kriminalität und terroristischen Anschlägen zu schützen.
Nach der geltenden Verfassung von 1993 ist auch Russland eine Demokratie ohne Medienzensur. Allerdings ist der Staat an vielen relevanten Medienorganisationen direkt oder indirekt beteiligt. Die marktbeherrschenden Fernsehsender werden von der Regierung oder regierungsnahen Unternehmen wie zum Beispiel Gasprom und Bank Rossija kontrolliert. Dies ist besonders problematisch, da das Fernsehen in Russland das unangefochtene Leitmedium darstellt und die meisten Einwohner ihre Informationen in erster Linie daraus beziehen. Daher ist eine unabhängige Meinungsbildung der Bevölkerung " zum Beispiel im Vorfeld von Wahlen " kaum möglich. Die übrigen Medienangebote sind weitgehend in der Hand von sehr wohlhabenden Wirtschaftsmagnaten, die Oligarchen genannt werden. Diese nutzten das nach dem Zerfall der Sowjetunion entstandene Machtvakuum, um sich Anteile an wichtigen Medienunternehmen zu sichern.
In den vergangenen zehn Jahren wurden einige regierungskritische Oligarchen verhaftet (z. B. Michael Chodorkowski) oder außer Landes gedrängt (z. B. Wladimir Gussinski und Boris Beresowski). Die Verbliebenen gelten überwiegend als regierungstreu und bauen ihren Einfluss auf die Medien kontinuierlich aus (z. B. Alischer Usmanow und Juri Kowaltschuk). Neben der direkten und verdeckten Einflussnahme von staatlichen und wirtschaftlichen Kräften auf die Medien stellen Angriffe auf Journalisten die größte Einschränkung der Medienfreiheit in Russland dar. In letzter Zeit wurden kritische Berichterstatter immer wieder von Unbekannten überfallen, misshandelt und sogar ermordet wie Anna Politkowskaja 2006 und Michael Beketow 2008. Der Kreml muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Straftaten nicht entschieden genug zu verfolgen und aufzuklären, wie es von einem demokratischen Rechtsstaat zu erwarten wäre.
Schlusslicht der Medienfreiheits-Ranglisten bilden Länder wie die Volksrepublik China. In China existiert die Medienfreiheit zwar auf dem Papier, muss sich jedoch rigoros den Interessen des Staates unterordnen. Im Gegensatz zu demokratischen Systemen sollen die chinesischen Medien die Regierung nicht kontrollieren und kritisieren, sondern die Bevölkerung bilden und erziehen. In dieser Hinsicht ähneln sie den Medien anderer sozialistischer Staaten wie Kuba, Vietnam und Nordkorea. Institutionell werden die Medien von der Regierung und der Kommunistischen Partei kontrolliert. Allerdings gewährten diese Institutionen den Medien in den vergangenen Jahrzehnten größere Eigenständigkeit bei der Finanzierung (z. B durch Werbung) und halten sich mit inhaltlichen Vorgaben (in Form von Propaganda) zunehmend zurück. Lediglich ein Kern von Medienangeboten bleibt nach wie vor finanziell und inhaltlich dem Staatsrat unterstellt, etwa die Parteizeitung Remnin Ribao und die Nachrichtenagentur Xinhua. Dadurch entwickelte der chinesische Medienmarkt ein rasantes wirtschaftliches Wachstum.
Bei den übrigen Medienangeboten wird die klassische Vorzensur der Inhalte zunehmend durch die subtilere Selbstzensur abgelöst. Diese "Schere im Kopf" basiert auf politischem und sozialem Druck. Sie schlägt sich vor allem dadurch nieder, dass die Medien regierungskritische Informationen konsequent verschweigen und verschleiern. Der Einfluss des Staates hat sich also nicht abgeschwächt, sondern eher in den Hintergrund verlagert. Für das Internet wurde ein umfassendes System der Überwachung etabliert, durch das kritische Inhalte aufgespürt, gesperrt und sanktioniert werden können " teilweise unter Mitarbeit westlicher Medienunternehmen. Aus Angst vor drakonischen Strafen (z. B. zehnjährigen Haftstrafen) werden auch auf Weblogs, Chat-Foren und sozialen Netzwerkplattformen kaum kritische Aussagen getroffen. Dass sich an der harten Linie der Regierung nichts Grundlegendes geändert hat, zeigt sich daran, dass nach wie vor in keinem Land so viele Journalisten inhaftiert sind wie in China.
QuellentextRangliste der Pressefreiheit 2010
Die Lage der Medienfreiheit in Europa hat sich weiter verschlechtert. Dies zeigt die heute [20. Oktober 2010] veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit 2010 von Reporter ohne Grenzen (ROG). [...]
Mit der Rangliste 2010 wird die Situation der Pressefreiheit in 178 Staaten und Regionen weltweit verglichen. In die Bewertung wurden Verstöße gegen dieses Menschenrecht im Zeitraum von September 2009 bis August 2010 einbezogen.
Rund die Hälfte der 27 EU-Mitgliedsstaaten sind unter den 20 führenden Ländern der aktuellen Rangliste. Die Schere innerhalb der Staatengemeinschaft geht jedoch stark auseinander. So liegen zwölf EU-Länder, also fast die Hälfte, zwischen dem 30. und 70. Rang. Am stärksten gefallen ist Griechenland (2009: Platz 35, 2010: Platz 70). Damit bildet das südeuropäische Land gemeinsam mit Bulgarien (2009: Platz 68, 2010: Platz 70) das Schlusslicht unter den EU-Staaten. In Griechenland waren körperliche Angriffe bei Demonstrationen und Drohungen gegen Journalisten ein Grund für die Abwärtsbewegung.
Auch bei den EU-Gründungsstaaten Frankreich (2009: Platz 43, 2010: Platz 44) und Italien (2009 und 2010: Platz 49) gibt es keine Indizien für eine Verbesserung der Situation: Grundlegende Probleme wie die Verletzung des Quellenschutzes, die zunehmende Konzentration von Medieneigentum sowie gerichtliche Vorladungen von Journalisten dauern an. [...]
Deutschland steht in diesem Jahr " fast unverändert " auf Platz 17 (2009: Platz 18): Wie auch in anderen EU-Staaten wurden Redaktionszusammenlegungen und Stellenstreichungen negativ bewertet. Der Zugang zu Behördeninformationen bleibt ebenfalls unzureichend. Zu weiteren Kritikpunkten gehörten unter anderem das Strafverfahren gegen zwei Leipziger Journalisten in der so genannten Sachsensumpf-Affäre.
[...] Eine äußerst schwierige Situation der Pressefreiheit dokumentiert ROG seit vielen Jahren auf dem Balkan. Besonders kritisch ist die Lage in Serbien (Platz 85), im Kosovo (Platz 92) und in Montenegro (Platz 104). Drohungen gegen Journalisten und der steigende Einfluss krimineller Gruppen auf Medienunternehmen erschweren die Arbeit von Medienschaffenden in Südosteuropa erheblich.
Die repressivsten Staaten
Seit 2005 stehen Eritrea (Platz 178), Nordkorea (Platz 177) und Turkmenistan (Platz 176) ganz unten auf der Liste. Eine systematische Verfolgung von unabhängigen Medienschaffenden und ein vollständiges Fehlen von Nachrichten und Informationen kennzeichnet die Lage in den Ländern seit mehreren Jahren. [...]
Nicht wesentlich verändert haben sich [...] die Positionen der Volksrepublik China (2009: Platz 168, 2010: Platz 171), des Irans (2009: Platz 172, 2010: Platz 175) [...]. Die starke Wirtschaftsmacht China nimmt immer noch nicht ihre Verantwortung bei der Wahrung der Menschenrechte wahr. Anlässlich der Bekanntgabe der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo hat die Regierung wieder ihre starre Haltung manifestiert: Medienberichte über die Preisvergabe wurden zensiert, Unterstützer Lius festgenommen.
Im Iran haben die Menschenrechtsverletzungen gegen Journalisten und Blogger und die staatliche Zensur in diesem Jahr ein noch größeres Ausmaß erreicht. Mehr als 200 Medienschaffende sind seit Sommer 2009 aus der Islamischen Republik geflüchtet. [...]
Die Spitze
Auch in diesem Jahr dominieren wieder nordeuropäische Staaten die ersten Ränge. Finnland, Island, Norwegen und Schweden teilen sich zusammen mit den Niederlanden und der Schweiz den ersten Rang. [...] Die gesetzlichen Schutzgarantien für Medienschaffende und das hohe Maß an Respekt für die wichtige Arbeit von Journalisten in demokratischen Systemen sind in diesen Ländern vorbildlich.
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Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2010, Pressemitteilung vom 20. Oktober 2010