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Politische Mitbestimmung | Kommunalpolitik | bpb.de

Kommunalpolitik Editorial Was ist eine Kommune? Zur Bedeutung von Kommunalpolitik heute Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung Verwaltungshandeln Was ist Verwaltung? Politische Mitbestimmung Ausblick Literaturhinweise und Internetadressen Impressum

Politische Mitbestimmung

Elena Frank Beatrice Pardon Ralf Vandamme

/ 35 Minuten zu lesen

Vor allem in Gemeinden haben wir die Chance, unsere politischen Ideen und Projekte umzusetzen. Neben Wahlen gibt es dafür Bürgerinitiativen oder verschiedene Beiräte. Die Stärkung der Demokratie ist ein Hauptziel aller Kommunen.

In der Augsburger Zunftrevolution 1358 fordern die Zünfte Mitbestimmungsrecht und werden an der Stadtherrschaft beteiligt. (© bpk / Lutz Braun)

Die Stadt als "Schule der Demokratie"

Die Geschichte der Demokratie wird oftmals als eine Geschichte des Nationalstaates erzählt. Doch sie wäre unvollständig, ohne die Kommunen als Antriebsfeder und Lernort für demokratische Mitbestimmung zu würdigen. Kommunen haben Mitbestimmung, wie wir sie heute kennen, in unterschiedlichen historischen Phasen hervorgebracht, behindert oder weiterentwickelt. Heute sind sie der Raum, in dem viele Menschen ihre ersten Beteiligungsschritte gehen; sei es im Jugendgemeinderat, in Bürgerinitiativen oder in Bürgerbeteiligungsverfahren. Aufgrund dieser zahlreichen niedrigschwelligen Partizipationsmöglichkeiten wird von der Kommune auch von der "Schule der Demokratie" gesprochen.

Bürgerrechte von der Antike bis zum Mittelalter

Einige grundlegende Fragen der Partizipation lassen sich gut verdeutlichen, wenn wir historische Vorbilder betrachten. Eines dieser Vorbilder ist die erste bedeutende Demokratie Europas, die vor über 2000 Jahren im Stadtstaat Athen etabliert wurde. In Athen durften sich nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner an der Entscheidungsfindung beteiligen, sondern nur diejenigen Männer der höheren Schichten, die finanziell in der Lage waren, ein Amt in der Verwaltung oder der Rechtsprechung der Stadt zu übernehmen sowie sich im Kriegsfalle dem eigenen Stand entsprechend auf eigene Kosten auszurüsten – und das eigene Leben zu wagen. Bürgerrecht war an Bürgerpflicht gekoppelt.

Dieses Prinzip galt auch in den mittelalterlichen deutschen Städten. Bürger genossen in den Städten große Vorteile gegenüber der Landbevölkerung. So durften sie Besitz frei erwerben, frei heiraten und mussten keine Frondienste leisten. Außerdem durften sie den Ort wechseln, was den hörigen Bauern streng untersagt war.

Wer Bürger werden wollte, musste jedoch zunächst einen Antrag stellen, über den die übrige Bürgerschaft entschied. Es gab kein Recht darauf, Bürger zu werden. Schließlich zahlte der Kandidat ein Bürgergeld und schwor den Bürgereid. Daraufhin trug er seinen Teil bei zu den Kosten der Stadtverwaltung, etwa für Mauer- und Straßenbau oder die Polizeidienste.

Wer jedoch im Magistrat der Stadt mitbestimmen durfte, war von Stadt zu Stadt unterschiedlich geregelt. In jenen Städten, in denen nur eine kleine Elite, das so genannte Patriziat, die Stadtgeschicke bestimmte, kam es immer wieder zu Bürgerkämpfen und Zunftrevolutionen, in denen die kleineren Handwerker, Händler und Krämer mehr Mitbestimmungsrechte forderten.

Entwicklungen im 19. Jahrhundert

Vor diesem Hintergrund war die Einführung der preußischen Städteordnung im Jahr 1808 für viele, die bis dahin auf Betreiben der Zünfte und Innungen aus der Bürgerschaft ausgeschlossen waren, eine Möglichkeit zu mehr politischer Mitbestimmung in Magistrat, Stadtverordnetenversammlung und zahllosen Ausschüssen und Kommissionen.

Das Bürgerrecht konnte fortan erlangen, wer über den Besitz von Haus und Grund oder über ein niedrig angesetztes steuerliches Einkommen verfügte. Das Bürgerrecht war nicht mehr an den Beschluss der Bürgerschaft gebunden, sondern einklagbar. Nach § 18 konnten auch "unverheiratete Personen weiblichen Geschlechts", wenn sie alle sonstigen Bedingungen erfüllten, zum Bürgerrecht gelangen – nicht aber zum Wahlrecht. In § 19 hieß es: "Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönliche Verhältnisse machen bei Gewinnung des Bürgerrechts keinen Unterschied."

Andererseits, und das sollte nicht übersehen werden, waren mit dem Bürgerrecht hohe Erwartungen verbunden, wie die Mitwirkung in den politischen Gremien, Vereinen oder Stiftungen oder in der ehrenamtlichen Armenpflege. Insbesondere das Bildungsbürgertum, also Lehrer, Beamte, Ärzte, konnten die damit verbundenen finanziellen Lasten und zusätzlichen Aufgaben kaum schultern, sodass sie häufig freiwillig auf das Bürgerrecht verzichteten.

Nach den 1850er-Jahren blockierte das städtische Bürgertum die Erweiterung von Mitwirkungsmöglichkeiten. Mit der Industrialisierung in Deutschland war eine neue, beteiligungswillige Gruppe entstanden – die Arbeiterschaft. Nun schirmten sich die Industriellen, Kaufleute und Handwerker gegen die Mitbestimmungsforderungen der neuen Einwohner ab, indem sie das Dreiklassenwahlrecht einführten und es immer wieder an die veränderten politischen Verhältnisse anpassten.

Nach diesem Wahlrecht wurden die Bürger in drei Klassen eingeteilt, je nach der Höhe der von ihnen zu entrichtenden Steuern. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde so in die dritte Klasse eingeteilt, die wohlhabendere Mittelschicht in die zweite sowie die reiche Oberschicht in die erste. Jede Klasse durfte die gleiche Anzahl an Stadtverordneten bestimmen. In Essen führte dies zu der grotesken Situation, dass zeitweilig allein der Stahlunternehmer Krupp in der ersten Klasse Steuern zahlte und somit ein Drittel der Stadtverordneten bestimmen durfte. Nach einer Revision des Wahlrechts waren es schließlich immerhin fünf Personen, die in der ersten Klasse wählten.

Das auf Gerechtigkeit zielende Argument, dass, wer Rechte in Anspruch nehmen wolle, auch Pflichten und Lasten zu tragen habe, wurde von der Bürgerschaft missbraucht, um den Arbeitern das gleiche Wahlrecht vorzuenthalten. Im Zuge dessen ging in vielen Städten die Zahl der Bürger sogar zurück – trotz steigender Einwohnerzahlen. So hatte Freiburg im Breisgau im Jahr 1837 1 490 Bürger, 1874 jedoch nur noch 1 136, bei insgesamt 25.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Insbesondere die Arbeiterschaft forderte, dass die Bürgergemeinde durch die Einwohnergemeinde abgelöst werden müsse, in der alle unabhängig von Einkommen und Vermögen die gleichen Rechte hätten. Dieser Schritt wurde jedoch erst 1919 nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges mit der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts und der Einführung des Wahlrechts für Frauen vollzogen.

Vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Während des nationalsozialistischen Regimes war die kommunale Selbstverwaltung stark eingeschränkt; wichtige Posten in den Verwaltungen und selbst die Bürgermeister wurden von der NSDAP eingesetzt. Erst nach der Kapitulation konnte in den Kommunen, zumindest auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs, wieder Mitbestimmung praktiziert werden. Doch abgesehen davon, dass auf kommunaler Ebene die ersten demokratischen Wahlen abgehalten wurden, war Mitbestimmung in der Gesellschaft kein vordringliches Thema. Die stolze, jahrhundertealte Tradition bürgerlicher Selbstbestimmung war durch die Diktatur zerstört und musste neu erfunden werden.

Die Forderung nach erweiterten Partizipationsmöglichkeiten wurde erst wieder in den 1970er-Jahren in die Kommunen getragen, durch die Neuen sozialen Bewegungen, also die Friedens-, Antiatom-, Ökologie-, Alternativ- und Frauenbewegung. Als zivilgesellschaftlichen Graswurzelbewegungen "von unten" gelangen ihnen öffentlichkeitswirksame politische Proteste und Aktionen in Form beispielsweise von Sitzblockaden vor dem Pershing-II-Lager in Mutlangen oder durch die Besetzung der Atomkraftwerkbauplätze in Wyhl oder Grohnde. So konnten Dörfer zum Schauplatz von nationaler Energie- oder internationaler Sicherheitspolitik werden.

Mit dem Fall der innerdeutschen Mauer traten in Deutschland neue Herausforderungen auf die öffentliche Agenda. Infolgedessen gerieten die teilweise konfliktfreudigen zivilgesellschaftlichen Bewegungen tendenziell in den Hintergrund. und büßten an politischer Durchschlagskraft ein.

Im Bereich der Ökologie und der Bürgerrechte entstand ein politisches Vakuum, welches es der öffentlichen Verwaltung erleichterte, erstmalig ein völlig neues, von "oben", also von der Verwaltungsspitze initiiertes und bewusst auf die Kooperation von Verwaltung und Bürgerschaft setzendes Verfahren in den Städten und Gemeinden einzuführen: die Lokale Agenda 21.

Weltweit sollten Kommunen sich unter dem Motto "global denken – lokal handeln" für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung einsetzen. Obwohl die LA 21 die in sie gesetzten hohen Erwartungen nicht erfüllen konnte, führte sie sozusagen als Nebeneffekt eine neue Aufgabe in das Verwaltungshandeln ein: die aktive Förderung von Beteiligung durch die Einbeziehung der Bürgerschaft in Entscheidungsprozesse. Da das Fällen von Entscheidungen jedoch explizit das Recht der Gemeindevertretung ist, ist allen Bürgerbeteiligungsverfahren (abgesehen vom Bürgerentscheid) gemeinsam, dass die Bürgerschaft lediglich Empfehlungen ausspricht (Konsultation). Gleichwohl haben diese Empfehlungen in der Praxis ein hohes "moralisches" Gewicht. Eine Entscheidung der Gemeindevertretung, die anders ausfällt als die Empfehlung aus der Bürgerschaft, ist daher gut zu begründen.

Die Mitwirkungsmöglichkeiten in der Kommune sind seit den 1990er-Jahren stark angewachsen. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, in dem sich wenige Bürger erfolgreich gegen die Mitbestimmungswünsche der Vielen wehrten, besteht eine bunte Vielfalt an Beteiligungsmethoden, die sowohl vonseiten der Betroffenen eingefordert, häufig aber auch vonseiten der Verwaltungsspitze angeboten werden, um die Legiti­mität von Entscheidungen zu erhöhen oder das Wissen der Bürgerinnen und Bürger mit aufzugreifen.

Diese bunte Vielfalt trug ebenso wie spektakuläre Proteste ("Stuttgart 21") dazu bei, dass einige politische Beobachter von einer Zunahme politischer Beteiligung sprechen. Diese spontane, auf einen konkreten Anlass bezogene Mitwirkung wirkt sich jedoch nicht auf die Teilnahme an der formellen Demokratie, also an Wahlen, aus. Während die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen in Bayern 2014 nur bei 55 Prozent lag, also nur gut die Hälfte aller Berechtigten wählen gingen, lag sie in Brandenburg mit 46,2 Prozent oder in Mecklenburg-Vorpommern mit 46,3 Prozent noch darunter, Tendenz fallend.
Der "Schule der Demokratie" scheinen die Schülerinnen und Schüler auszugehen. Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung wird jedoch in hohem Maße davon abhängen, ob es wieder gelingt, "Einwohner" und "Kunden" zu "Bürgern" zu machen; zu Menschen also, die ihre Bürgerrechte und Bürgerpflichten wahrnehmen.

Wahlen und Wahlsysteme

Eines der wichtigsten demokratischen Elemente sind die Wahlen. Ihnen kommt auch auf kommunaler Ebene eine besondere Bedeutung zu. Laut Grundgesetz müssen die Wahlen in Deutschland allgemein, gleich, unmittelbar, frei und geheim sein. Darüber hinaus reichende Bestimmungen sind im Kommunalwahlgesetz des jeweiligen Bundeslandes festgesetzt. Aus diesem Grund unterscheiden sich die Wahlverfahren von Land zu Land.

Wahlsysteme bei Kommunalwahlen (© Externer Link: www.wahlrecht.de/kommunal; Stand: Juli 2017)

Die Mitglieder der Gemeindevertretung werden in jeder Kommune regelmäßig neu gewählt. Je nach Land beträgt die Wahlperiode vier bis sechs Jahre. Die Mitglieder der Gemeindevertretung sollen die Interessen der Bürgerschaft im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess vertreten. Gewählt werden können in den meisten Bundesländern Einwohner der Gemeinde, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. einen (Haupt-)Wohnsitz – je nach Land seit mindestens drei bis sechs Monaten – im Wahlgebiet der Gemeinde haben. In Schleswig-Holstein ist es sogar ausreichend, dort den Hauptwohnsitz zu haben. Außerdem kann nur gewählt werden, wer mindestens 18 Jahre alt ist und Bürger oder Bürgerin eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ist. Wer diese Kriterien erfüllt, hat ein passives Wahlrecht und kann als Mitglied der Gemeindevertretung kandidieren.

Zur aktiven Wahl berechtigt sind hingegen alle EU-Staatsbürgerinnen und -bürger, die ihre Hauptwohnung in der betreffenden Gemeinde haben und – ebenfalls abhängig vom Bundesland – seit mindestens 16 Tagen oder bis zu sechs Monaten in der Gemeinde gemeldet sind. Eine weitere Voraussetzung für das aktive Wahlrecht ist ein Mindestalter von 16 (Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) oder 18 Jahren.

Die Wahlvorschläge werden der Wählerschaft in Form von Listen unterbreitet. In der überwiegenden Mehrheit der Länder findet die Wahl als Verhältniswahl mit offenen Listen und der Möglichkeit zu kumulieren und zu panaschieren statt. Das heißt die Wahlberechtigten haben die Möglichkeit, einem Kandidaten mehrere Stimmen zu geben (zu kumulieren) – in den meisten Bundesländern jedoch maximal drei Stimmen – sowie Kandidaten verschiedener Listen zu wählen (zu panaschieren).

Eine Ausnahme besteht in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. In diesen Ländern findet eine personalisierte Verhältniswahl statt. Dabei können die Wahlberechtigten zwei Stimmen verteilen, die erste Stimme geben sie direkt einem Kandidaten, während die zweite Stimme an eine Liste vergeben wird. Die direkt gewählten Kandidaten mit den meisten Stimmen werden Mitglieder der Gemeindevertretung, die übrigen Plätze werden der Stimmenverteilung auf die Listen entsprechend an die übrigen Kandidaten der Listen vergeben. Eine weitere Ausnahme besteht bei Kommunalwahlen im Saarland. Hier hat jede Person, die wählt, nur eine Stimme, welche sie an eine Liste vergeben kann. Es findet also eine Verhältniswahl mit geschlossenen Listen statt.

Die Anzahl der bei der Kommunalwahl zu vergebenden Stimmen variiert also je nach Wahlsystem und, in den meisten Ländern, auch nach der Größe der Gemeinde. Die Anzahl der zu vergebenden Sitze und somit die Größe der Gemeindevertretung ist abhängig von der Einwohnerzahl der jeweiligen Kommune.

Kommunalwahlen sind dem Geiste der inzwischen weit verbreiteten Süddeutschen Ratsverfassung nach personalisierte Verhältniswahlen: Es werden in erster Linie Personen gewählt und erst in zweiter Linie deren "Wahlvorschlagsträger" (Partei, Wählervereinigung). Daher ist der persönliche Bekanntheitsgrad der Kandidierenden entscheidend.

Häufig sind die Wahlberechtigten jedoch nur unzureichend mit dem kommunalpolitischen Geschehen vertraut und kennen die zur Wahl stehenden Personen nicht. Dies gilt insbesondere für größere Städte oder für Gebietsreformstädte – für jene Städte also, die aus mehreren, räumlich deutlich voneinander getrennten Dörfern zu einer Stadt zusammengefasst wurden. Dort haben überregional tätige Parteien eine größere Bedeutung, indem sie sowohl Wahlkampfthemen als auch Werbematerialien zur Verfügung stellen. Je größer und je anonymer die Stadt, desto wichtiger wird die Partei und desto wichtiger werden überregionale Themen für den Ausgang der Kommunalwahl.

Wahl des Bürgermeisters

Die Wahl des Bürgermeisters (bzw. in größeren Städten des Oberbürgermeisters) findet mittlerweile in allen Bundesländern außer den Stadtstaaten auch als Direktwahl statt. Das aktive und mit Einschränkungen auch das passive Wahlrecht finden in gleicher Weise Anwendung wie bei der Wahl der Gemeindevertretung, mit der Ausnahme, dass es in manchen Bundesländern abweichende Mindest- und Höchstaltersgrenzen für die Kandidatur für das Bürgermeisteramt gibt. In Baden-Württemberg muss der Kandidat für das Bürgermeisteramt beispielsweise zwischen 25 und 68 Jahren alt sein, in Sachsen kann er hingegen bereits mit 18 Jahren und als hauptamtlicher Bürgermeister bis zu einem Alter von 64 Jahren gewählt werden, in Hessen gibt es keine Höchstaltersbegrenzung mehr.

Die Bürgermeisterwahl findet in allen Bundesländern außer in Nordrhein-Westfalen als Mehrheitswahl statt, d. h., der Kandidat/die Kandidatin muss mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. In Brandenburg muss zusätzlich ein Quorum von 15 Prozent der Stimmberechtigten erfüllt sein. In Nordrhein-Westfalen hingegen findet eine relative Mehrheitswahl statt, der Kandidat/die Kandidatin muss also lediglich die meisten Stimmen auf sich vereinen.

Sollte es im ersten Wahlgang zu keiner Entscheidung kommen, findet eine Stichwahl statt. Die Modalitäten dafür unterscheiden sich ebenfalls von Bundesland zu Bundesland. In aller Regel findet eine absolute Mehrheitswahl als Stichwahl zwischen den zwei Bewerbern mit den meisten Stimmen statt. In Brandenburg wird dabei das 15-Prozent-Quorum beibehalten. In Baden-Württemberg und Sachsen findet die Stichwahl als relative Mehrheitswahl statt und ist geöffnet für neue Bewerber. Für den Fall, dass es nur einen Bewerber für das Amt des Bürgermeisters gibt, muss dieser dennoch die Mehrheit der positiven Stimmen auf sich vereinen. Falls dies nicht gelingt, hat dies eine Neuwahl innerhalb einer festgelegten Frist zur Folge.

Die Amtszeit des Bürgermeisters variiert von fünf bis zu neun Jahren. Die Bewerbung kann (außer in Bayern) als Einzelbewerbung erfolgen oder durch das Aufstellen von Kandidaten durch Parteien oder Wählergruppen.

Die Wahlperioden von Gemeindevertretung und Bürgermeister können sich um mehrere Jahre unterscheiden. Dadurch kann es zu Konflikten kommen, wenn der Bürgermeister keinen politischen Rückhalt in der Gemeindevertretung hat und sich beide gegenseitig blockieren.

Dieses Problem kann durch den Trend verstärkt werden, dass zunehmend parteilose Kandidaten zu Bürgermeistern gewählt werden. Parteilose Bürgermeister haben in der Gemeindevertretung den Vorteil, dass sie prinzipiell von allen Fraktionen unterstützt werden könnten. Ihr Nachteil ist, dass sie über keine sogenannte Hausmacht verfügen, sie im Konfliktfall also keine starke Partei hinter sich haben.

Die Entkoppelung der Wahltermine von Gemeindevertretung und Bürgermeister hat aber auch Vorteile. Sie bestärkt den Bürgermeister in seiner überparteilichen Amtsführung und trägt dazu bei, die Wahlkämpfe inhaltlich und personell zu entkoppeln.

Obwohl sich grundsätzlich jede Person mit passivem Wahlrecht zum Bürgermeister wählen lassen kann, zeichnen sich in der Realität häufig bestimmte Wählerpräferenzen ab. Diese sind abhängig von der Größe der Kommune, der Region und den politischen Traditionen. In einer Studie von David H. Gehne und Lars Holtkamp von 2005 zeigte sich, dass in NRW und Baden-Württemberg generell Frauen seltener das Amt des Bürgermeisters bekleiden. Das Durchschnittsalter der Bürgermeister liegt bundesweit zwischen 45 und 60 Jahren, in Baden-Württemberg und NRW zwischen 52 und 55 Jahren. Zudem konnte gezeigt werden, dass es häufig eine Präferenz für Bürgermeister aus der näheren Umgebung gibt, nicht aber aus demselben Ort.

Wahl der Dezernenten

Dezernenten – auch Beigeordnete oder Bürgermeister genannt – sind hauptamtliche Beamte auf Zeit, die für eine Amtszeit von (meistens) acht Jahren durch die Gemeindevertretung gewählt werden. Zuvor muss ihre Stelle in der Regel öffentlich ausgeschrieben werden. Die Wahl von Dezernenten wird auf der Grundlage von Vorschlägen der Parteien und Wahlvereinigungen vorgenommen. Dabei achten insbesondere in großen Städten mit mehreren Dezernentenstellen alle großen Fraktionen darauf, dass Kandidaten ihrer Gruppierung vertreten sind.

Gemeindevertretung

Die Gemeindevertretung ist das oberste Organ der Gemein­de und die politische Vertretung der Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde. Sie trifft die wichtigen Entscheidungen und überwacht die gesamte Verwaltung. Sie ist also ein Be­schluss- und Kontrollorgan.

QuellentextVerantwortung übernehmen für den eigenen Ort

Frankfurter Rundschau: Herr Schelzke, was hat ein Lokalpolitiker noch zu entscheiden?
Karl-Christian Schelzke: Das ist nicht mehr allzu viel.
FR: Woran liegt das?
Schelzke: Mehr als 95 Prozent der Aufgaben sind durch Land, Bund, Europa und Pflichtaufgaben vorgegeben.
FR: Mit welchen Auswirkungen?
Schelzke: Wir merken, dass es immer schwieriger wird, Menschen für ein kommunalpolitisches Engagement zu gewinnen, wenn man das Gefühl haben muss, es gehe beispielsweise nur noch um Steuererhöhungen, Büchereischließungen und kürzere Öffnungszeiten des Bürgerbüros.
FR: Wenn Sie jemanden werben wollen, für den Ortsbeirat oder das Stadtparlament zu kandidieren, was sagen Sie?
Schelzke: Man muss Verantwortung übernehmen für den eigenen Ort. Wer in einer Demokratie leben will, muss vor Ort mitgestalten. Die lokale Demokratie ist die Basis unseres demokratischen Rechtsstaates. […]
FR: In Nordhessen verzichtet die erste größere Gemeinde auf ihren Bürgermeister, will den Chefposten im Rathaus ehrenamtlich besetzen. Ist das ein guter Weg, dauerhaft die Kosten zu senken?
Schelzke: Der derzeitige hauptamtliche Bürgermeister will dort weiterhin ehrenamtlich arbeiten. Das kann funktionieren, zumal Bürgermeister in kleinen Kommunen auch Verwaltungsarbeiten erledigen. Wenn aber kein erfahrener Ehrenamtlicher bereitsteht, braucht man wahrscheinlich einen zusätzlichen Sachbearbeiter. Dann rechnet sich die Ehrenamtlichkeit wohl eher nicht.
FR: Im südlichen Odenwald stimmen die Bürger am 6. März [2016] über die Fusion von vier Gemeinden ab. Ist das der richtige Weg?
Schelzke: Im konkreten Fall denke ich: ja. Man kann aber nicht von jetzt auf gleich eine Fusion anstreben. Vorher müssen Kommunen die Zusammenarbeit erproben, gemeinsame Ämter einrichten oder den Bauhof zusammenlegen. Und natürlich muss man die Bürger auch dafür gewinnen. Da gibt es ja oftmals gerade zwischen kleinen Kommunen gegenseitige, in der Regel historisch bedingte Aversionen, woran eine wirtschaftlich vielleicht sehr sinnvolle Zusammenarbeit und natürlich auch eine Fusion scheitern können.
FR: Gießen hat vergangenes Jahr beschlossen, seine Bürger viel mehr mitreden zu lassen. Der Magistrat muss Bürgerfragen beantworten, die Einwohner können eigene Anträge stellen und eine Bürgerversammlung verlangen. Sollten sich andere daran ein Beispiel nehmen?
Schelzke: Dazu muss man nicht wie in Gießen eigens eine Satzung erlassen [...]. Eine Kommune kann auch von sich aus Bürgerversammlungen einberufen und Anregungen der Bürger auch ohne Frage- und Antragsrecht aufnehmen. Entscheidend ist vielmehr, dass das, was Bürger einbringen, auch ernst genommen und bei den Lokalpolitikern in deren Meinungsbildung auch berücksichtigt wird. Das darf nicht in der Schublade verschwinden, sonst ist natürlich die Enttäuschung groß, und die Menschen sind dann nur noch schwer zu einer neuen Mitwirkung zu gewinnen.
FR: Aber es ist schwierig, die Bürger zum Mitmachen zu motivieren.
Schelzke: So schwierig ist das gar nicht. Wenn die Politik sich öffnet und weitreichende Entscheidungen zur öffentlichen Diskussion stellt, dann machen mehr Menschen auch mit. Wir hatten Leitbilddiskussionen in Schotten, da waren mehr als 150 engagierte Bürger im Saal und haben mitgeredet. Aber nochmal: Sie müssen auch ernst genommen werden und man muss ihnen die Wahrheit sagen, auch die unangenehmen Dinge. Nichts ist so überzeugend und vertrauensbildend wie die Wahrheit.

"Die Bürger gewinnen", Interview mit Karl-Christian Schelzke, geschäftsführender Direktor des hessischen Städte- und Gemeindebunds. Das Gespräch führte Peter Hanack, in: Frankfurter Rundschau vom 1. März 2016; © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt.

Die Gemeindevertretung besteht aus direkt gewählten Mitgliedern und dem Bürgermeister (außer in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und Schleswig-Holstein, dort wird der BM nicht dazu gezählt).

Neben der Bezeichnung "Gemeindevertretung" finden sich in den unterschiedlichen Bundesländern und Gemeinden ebenso wie in der Literatur auch andere Bezeichnungen, wie zum Beispiel Kommunalvertretung, Gemeinderat, Kommunalrat, Stadtverordnetenversammlung, Stadtrat oder Stadtvertretung.

Um eine einheitliche sprachliche Formulierung zu verwenden, wird in diesem Heft überwiegend der Begriff Gemeindevertretung (GV) gebraucht. Der häufig verwendete Begriff des "Kommunalparlaments" ist irreführend, da der Gemeindevertretung keine parlamentarischen Rechte, wie beispielsweise das Erlassen von Gesetzen, zukommen, auch wenn sich die Arbeitsweise denen der Parlamente angenähert hat.

Den Vorsitz der Gemeindevertretung hat zumeist der Bürgermeister kraft seines Amtes inne. In den wenigen Fällen, in denen dies nicht der Fall ist, wird der Vorsitzende aus den Reihen der Gemeindevertretungsmitglieder gewählt; wie in Hessen, wo der Stadtverordnetenvorsteher den Vorsitz innehat.

Der Vorsitzende hat Stimmrecht in der Gemeindevertretung, zudem repräsentiert er diese nach außen und vertritt ihre Interessen. Rechtlicher Vertreter der Gemeinde ist allerdings immer der Verwaltungschef. Dem Vorsitzenden kommen verschiedene Befugnisse zu, wie etwa die Einberufung der Gemeindevertretung, das Vorbereiten, Eröffnen und Schließen der Sitzungen, das Festlegen der Tagesordnung, die Sitzungsleitung und die Ausübung des Hausrechts.

Die Tätigkeit als Gemeindevertretungsmitglied wird ehrenamtlich ausgeführt; eine Ausnahme bildet der Bürgermeister, der die Sitzungsleitung im Rahmen seines Dienstauftrages versieht. An die Mitgliedschaft in der GV sind bestimmte Rechte und Pflichten gebunden. Ein gewähltes GV-Mitglied hat durch seine Wähler ein Mandat erhalten und ist dazu verpflichtet, dieses auszuüben. Interessanterweise kann ein Hauptamt als Bürgermeister jederzeit aufgegeben werden, ein Ehrenamt als Gemeindevertretungsmitglied jedoch nur unter engen, gesetzlich festgelegten Voraussetzungen – selbst dann, wenn man gegen seinen Willen in die Vertretung gewählt worden ist. Die Gemeinde muss handlungsfähig bleiben, was sie ohne ihr oberstes Organ, die GV, nicht wäre.

Zur allgemeinen Mandatsausübungspflicht zählt die Bindung an das Gemeinwohl, Gesetz und Recht. Zudem muss der Mandatsträger die ihm übertragenen Geschäfte gewissenhaft, unparteiisch, uneigennützig und verantwortungsbewusst führen und ist verpflichtet, die Sitzungsordnung einzuhalten.

Über Angelegenheiten, deren Geheimhaltung gesetzlich vorgeschrieben, ihrer Natur nach erforderlich ist oder anderweitig angeordnet wurde, hat das GV-Mitglied Verschwiegenheit zu gewährleisten. Bei Befangenheit gilt ein Mitwirkungsverbot, Betroffene dürfen weder mit beratender noch mit entscheidender Stimme mitwirken. Des Weiteren besteht eine Treuepflicht gegenüber der Gemeinde, d. h., das GV-Mitglied darf keine Ansprüche oder Interessen Dritter gegenüber der Gemeinde geltend machen, es sei denn, es handelt als gesetzlicher Vertreter.

Jedes GV-Mitglied hat neben den Pflichten auch Rechte, wie etwa die allgemeinen Amtsausübungsrechte. Diese umfassen ein Teilnahme-, Rede-, Informations-, Antrags- und Abstimmungsrecht. Darüber hinaus hat es ein Recht auf Gleichheit des Zähl- und Erfolgswerts der eigenen Stimme.

Das Verbot der Benachteiligung umfasst auch das Recht auf Freistellung von der Arbeit, sofern dies für die Ratstätigkeit erforderlich ist. Dies ist jedoch nur für große Kommunen und Landkreise relevant. Außerdem besteht ein Anspruch auf Entschädigung. Dieser umfasst den Ersatz von Verdienstausfall, den Auslagenersatz und eine Aufwandsentschädigung.

Entschädigungszahlungen

In Wolfach, einer Gemeinde im Schwarzwald mit 5 800 EW, erhalten die Gemeinderäte einen Grundbetrag von 15,50 Euro plus 33,50 Euro Sitzungsgeld. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart beträgt das ausgezahlte Geld pro Sitzung hingegen 60 Euro, die monatliche Aufwandsentschädigung 1 500 Euro. In diesen unterschiedlichen Beträgen offenbart sich ein unterschiedliches Arbeitsaufkommen – die Stadträte in Stuttgart haben deutlich mehr Aufgaben zu bewältigen. Gleichwohl sind sowohl die Räte in kleinen Gemeinden wie in großen Städten hinsichtlich ihres Einkommens weit entfernt davon, Politik zu ihrem Hauptberuf machen zu können.

In Wolfach, einer Gemeinde im Schwarzwald mit 5 800 EW, erhalten die Gemeinderäte einen Grundbetrag von 15,50 Euro plus 33,50 Euro Sitzungsgeld. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart beträgt das ausgezahlte Geld pro Sitzung hingegen 60 Euro, die monatliche Aufwandsentschädigung 1 500 Euro. In diesen unterschiedlichen Beträgen offenbart sich ein unterschiedliches Arbeitsaufkommen – die Stadträte in Stuttgart haben deutlich mehr Aufgaben zu bewältigen. Gleichwohl sind sowohl die Räte in kleinen Gemeinden wie in großen Städten hinsichtlich ihres Einkommens weit entfernt davon, Politik zu ihrem Hauptberuf machen zu können.

Bei Verstößen gegen die Rechte und Pflichten der GV-Mitglieder drohen Sanktionen, wie zum Beispiel ein Buß- und Ordnungsgeld, der Ausschluss aus der Sitzung bis hin zur Entziehung des Amtes.

Die Gemeindevertretung ist innerhalb des gesetzlichen Rahmens zuständig für alle Angelegenheiten, die die Gemeinde betreffen. Sie trifft durch Beschlüsse Entscheidungen und weist die Verwaltung an. Vor einer Sitzung müssen alle Mitglieder innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich unter Beifügung von relevanten Unterlagen durch den Vorsitzenden geladen werden. Die Häufigkeit der regelmäßigen Sitzungen richtet sich nach den Regelungen der Gemeindeordnung.

Der Vorsitzende bestimmt die Tagesordnung. Diese muss rechtzeitig öffentlich bekannt gegeben werden. Bestimmte Gruppierungen innerhalb der Gemeindevertretung können die Aufnahme bestimmter Tagesordnungspunkte erzwingen. Die Sitzungen der Gemeindevertretung sind grundsätzlich öffentlich. Die Öffentlichkeit kann nur ausgeschlossen werden, wenn das öffentliche Wohl oder berechtigte Ansprüche oder Interessen Einzelner geschützt werden müssen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Grundstückskäufe oder -verkäufe behandelt werden oder Angebote verschiedener Bieter in laufenden Ausschreibungsverfahren. Auch im Vorfeld von Ehrungen verdienter Bürgerinnen und Bürger ist es sinnvoll, die Debatte pro / contra nicht öffentlich zu führen.

Die Gemeindevertretung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der geladenen Mitglieder oder die Mehrheit der Mitglieder anwesend ist. Eine Ausnahme hierzu besteht nur, wenn mehr als die Hälfte aller Mitglieder befangen ist. In diesem besonderen Fall kann die Beschlussfähigkeit auch mit den unbefangenen GV-Mitgliedern hergestellt werden. Sollte die Gemeindevertretung nicht beschlussfähig sein, muss eine zweite Sitzung einberufen werden; bei dauerhafter Beschlussunfähigkeit muss die Gemeindevertretung aufgelöst werden.

Verfahrens- oder Sachentscheidungen werden in der Gemeindevertretung immer durch Abstimmung, Personalauswahlverfahren durch Wahl entschieden.

Verfahrensanträge und weitergehende Anträge sind immer zuerst abzustimmen. Jedes GV-Mitglied muss seine Stimme persönlich in der Sitzung abgeben. Die Abstimmungen finden offen statt, es sei denn, es besteht ein rechtfertigender Grund für eine geheime Abstimmung. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt.

Wahlen hingegen sind geheim abzuhalten, können aber ausnahmsweise dann offen erfolgen, wenn dem kein Gemeindevertretungsmitglied widerspricht.

Zur Vorbereitung von Entscheidungen werden in der Regel von der Verwaltung Beschlussvorlagen erstellt. Die Gestaltung dieser Vorlagen ist präzise vorgegeben. Sie fassen die Gründe und Argumente für oder gegen eine Entscheidung zusammen, stellen die daraus entstehenden Kosten dar und erklären, wie die Vorlage in Einklang mit den Zielen einer Kommune steht. Die Vorlagen sind durchnummeriert, sodass die Sitzungsleitung in der Gemeindevertretung die Zustimmung oder Ablehnung zu einer bestimmten Ziffer abfragen kann, ohne die gesamte Vorlage vortragen zu müssen.

Über jede Sitzung der Gemeindevertretung muss ein Protokoll angefertigt werden, welches von GV-Mitgliedern und den Einwohnern der Gemeinde eingesehen werden kann und den Charakter einer öffentlichen Urkunde hat.

Sofern Rechtsverletzungen durch GV-Beschlüsse bestehen, obliegt es dem Bürgermeister, diese zu beanstanden. Eine Beanstandung hat durch Widerspruch des Bürgermeisters zu erfolgen. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung und führt zu einer erneuten Beschlussfassung der Gemeindevertretung. Ist deren Entscheidung nach Auffassung des Bürgermeisters ebenfalls gesetzeswidrig, hat er eine Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeizuführen.

Die Durchführung der Beschlüsse ist Aufgabe der Bürgermeister, diese wird von der Gemeindevertretung überwacht. Zur Ausübung der Kontrolle hat die Gemeindevertretung ein Akteneinsichtsrecht und kann vom Bürgermeister Auskunft verlangen.

Eine besondere Rolle innerhalb der Gemeindevertretung kommt den Fraktionen zu. Fraktionen sind freie Zusammenschlüsse von GV-Mitgliedern. In Bundesländern mit einem hohen Anteil an parteilosen Gemeindevertretungsmitgliedern sind Fraktionen häufig freie Wählervereinigungen. Sonst sind Fraktionen meist identisch mit Parteimitgliedschaften. Aber auch mehrere kleine Parteien können gemeinsam eine Fraktion bilden. Unter welchen Voraussetzungen Fraktionen gebildet werden können, regeln die jeweiligen Gemeindeordnungen.

Fraktionen kommen besondere Rechte zu: das Informationsrecht (also das Recht, von der Verwaltung informiert zu werden über anstehende Entscheidungen, wozu auch das Recht gehört, entsprechende Akten oder Unterlagen einzusehen), das Antragsrecht (Anträge auf die Tagesordnung der GV zu setzen), das Rederecht (in der GV und in den Ausschüssen) sowie das Bestimmungsrecht (also das Recht, Ausschüsse und andere Gremien mit Mitgliedern der Fraktion zu besetzen). Fraktionen bestehen maximal bis zur Neuwahl der GV-Mitglieder.

Angelegenheiten, die einen bestimmten Ortsteil oder Stadtbezirk betreffen, können dem entsprechenden Bezirks- oder Ortsteilrat zur Entscheidung übertragen werden.

Bezirks- und Ortschaftsräte

In den meisten Bundesländern können größere Gemeinden in "Bezirke", "Ortsteile" oder "Ortschaften" unterteilt werden, um deren Anliegen unmittelbar in der Gemeindevertretung zum Ausdruck zu bringen. In manchen Ländern, wie beispielsweise in Bayern, gilt dies nur für Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, in Mecklenburg-Vorpommern nur für kreisfreie und große kreisangehörige Städte – spezifische Regelungen finden sich in den Gemeindeordnungen der Länder sowie in den jeweiligen Hauptsatzungen der Gemeinden. Darin wird auch die Bezeichnung für die einzelnen Gremien und Ämter festgelegt wie Bezirks- / Ortsvorsteher, Bezirks- / Ortsbürgermeister oder Bezirks- / Ortsratsvorsitzende; sowie Ortschaftsräte, Ortsteilräte oder Bezirksräte. Zur sprachlichen Vereinfachung werden im Folgenden nur die Begriffe Ortsteil, Ortsvorsteher und Ortsbeirat verwendet.

In manchen Bundesländern, wie z. B. in Sachsen oder in Hessen, werden die Mitglieder des Ortsbeirats gleichzeitig mit den Mitgliedern der Gemeindevertretung im Rahmen der Kommunalwahlen von den Wahlberechtigten eines Ortsteils gewählt. In anderen Ländern, wie in Schleswig-Holstein, wird der Ortsbeirat durch die Gemeindevertretung gewählt oder aufgestellt, wobei das letzte Wahlergebnis des betreffenden Ortsteils bei der Wahl der Gemeindevertretung zu berücksichtigen ist.

Sofern ein Ortsbeirat gebildet wird, wird in den meisten Fällen auch ein Ortsvorsteher als dessen Vorsitzender aus der Mitte der Ortsbeiräte gewählt oder bestimmt. In einigen Bundesländern, wie z. B. in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Thüringen, gibt es darüber hinaus die Option der Direktwahl des Ortsvorstehers. Seine Amtszeit ist meist identisch mit der Wahlperiode der Gemeindevertretung. In seltenen Fällen kann es auch entweder nur einen Ortsbeirat oder nur einen Ortsvorsteher geben.

Der Ortsbeirat berät über Angelegenheiten, die den Ortsteil betreffen. Wenn die Gemeindevertretung Entscheidungen zu treffen hat, die den Ortsteil direkt betreffen, muss der Ortsbeirat bzw. der Ortsvorsteher von der GV zu dieser Frage angehört werden (Anhörungsrecht). Darüber hinaus darf der Ortsvorsteher vorschlagen, dass Themen, die den Ortsteil betreffen, auf die Tagesordnung der GV gesetzt werden. Im Gegenzug haben in einigen Bundesländern Gemeindevertretungsmitglieder, die im Ortsteil wohnhaft sind, aber nicht Mitglied des Ortsbeirats sind, das Recht, an Sitzungen des Ortsbeirats mit beratender Stimme teilzunehmen.

In bestimmten Angelegenheiten ist der Ortsbeirat befugt, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Auf welche Bereiche dieses Entscheidungsrecht angewendet werden kann, wird durch die Gemeindeordnung oder durch die Hauptsatzung der Kommune geregelt. Sind dem Ortsbeirat somit bestimmte Aufgaben übertragen, müssen ihm von der Gemeindevertretung auch die zu ihrer Ausführung notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden.

Manche Gemeindeordnungen sehen vor, dass in den einzelnen Ortsteilen örtliche Verwaltungsstellen eingerichtet werden können oder der Ortsvorsteher Aufgaben der Verwaltung ausführen darf.

Ortsbeiräte sind bürgernahe Schaltstellen zwischen Bevölkerung, Verwaltung und Politik. Sie haben damit eine wesent­liche Funktion in der Vermittlung von Information und der Erläuterung politischer Vorgänge und Zusammenhänge. Damit sind sie häufig in der Lage, Bürgerinnen und Bürger für Kommunalpolitik und Bürgerschaftliches Engagement zu interessieren und zu gewinnen. Ortsbeiräte sollten daher offene, ausgleichende und kommunikationsstarke Persönlichkeiten sein. Vielfach ist dieses Amt auch eine erste Sprosse auf der politischen Karriereleiter, da junge Menschen hier im Schutze der eigenen, vertrauten Kommune erste Erfahrungen mit politischer Interessenvermittlung machen können.

Beiräte und andere Grupenvertretungen

Es ist ein immer wiederkehrendes Anliegen der Verantwortlichen in Verwaltung und Politik, die Einwohnerinnen und Einwohner für das Geschehen in ihrer Kommune zu interessieren und sie zu einer verantwortlichen Haltung für das Gemeinwesen zu gewinnen – oder anders gesagt, sie von bloßen "Einwohnern" oder "Kunden" der kommunalen Dienstleistungen zu beteiligten "Bürgern" zu machen, zu Bürgern also, die ihr Bürgerrecht nicht nur formal besitzen, sondern auch faktisch nutzen.

Aber auch jene, die kein oder kein vollständiges Wahlrecht besitzen, sollten aktiv partizipieren und eine Stimme erhalten. Dies betrifft etwa Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (nicht-EU-Bürger) oder Kinder und Jugendliche. Für beide Gruppen gibt es in vielen Kommunen Vertretungen, die von den Betroffenen gewählt werden. Andere Beiräte entstehen, weil hinter der Betroffenengruppe starke gesellschaftliche Gruppierungen stehen, die die Rechte ihrer Gruppierung auch in den Gremien vertreten sehen möchten.

Jugendgemeinderat

Viele Gemeindeordnungen der Bundesländer sehen vor, dass Kinder und Jugendliche an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden müssen. Eine Möglichkeit dies umzusetzen, bietet der Jugendgemeinderat (auch Jugendparlament, -forum, -rat, -beirat, -stadtrat, Stadtteiljugendrat). Dieser ist ähnlich aufgebaut wie die Gemeindevertretung. Gewählte Mitglieder unterschiedlicher Altersstufen, meist zwischen zwölf und 21 Jahren, vertreten die Interessen der Kinder und Jugendlichen, welche in der Kommune leben, gegenüber der Politik, der Verwaltung und der Öffentlichkeit.

Dabei arbeiten sie selbstständig und parteiunabhängig, führen Sitzungen mit Diskussionen und Abstimmungen durch oder organisieren sich in Arbeitskreisen. Im Idealfall können die Mitglieder des Jugendgemeinderats an Sitzungen der Gemeindevertretung und ihrer Ausschüsse teilnehmen, besitzen ein Rede- und Antragsrecht und verfügen über einen eigenen Etat. Die Bildung sowie die Mitarbeit in einem Jugendgemeinderat sind in jedem Fall freiwillig, die Amtsperiode sowie das Wahlalter unterscheiden sich von Kommune zu Kommune.

Eine Herausforderung für die Jugendgemeinderäte ist deren große Fluktuation. Denn die Zeitspanne, in der sich Jugendliche für den Jugendgemeinderat einsetzen können, ist sehr kurz, weil sie schnell aus dem entsprechenden Alter herausgewachsen sind. Hinzu kommt, dass viele junge Erwachsene die Schule oder Ausbildung beenden und anschließend den Wohnort wechseln.

Ein weiteres Problem besteht in jenen Bundesländern, die das Wahlalter auf 16 abgesenkt haben (Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nieder-sachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein): Dort lässt sich ein Jugendgemeinderat nicht mehr damit begründen, dass diese Gruppe sonst keine Stimme in der Gemeindevertretung hätte. Aufgrund dieser Überlegungen sind manche Kommunen dazu übergegangen, junge Menschen gezielt in ihrem Quartier anzusprechen und zum Beispiel im Rahmen von Kinder- und Jugendgipfeln um ihre Meinung zu den ihnen wichtigen Themenstellungen zu befragen und Diskussionsräume anzubieten.

Ausländerbeirat

Ein Ausländerbeirat – oder auch Migrantenvertretung, Migrations- oder Integrationsbeirat – ist eine Vertretung der ausländischen Bevölkerung einer Kommune, die entsprechend dem Kommunalwahlverfahren von dieser gewählt wird.

Ursprünglich sollten nur ortsansässige Erwachsene ohne deutsche Staatsangehörigkeit durch ihn die Möglichkeit erhal­ten, sich an den politischen Entscheidungsprozessen zu betei­ligen. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch sowohl die Zusammensetzung dieser Beiräte geändert – es nehmen auch Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft oder aus Ländern der Europäischen Union daran teil – als auch die Aufgabenstellung: Über die reine Interessenvertretung hinaus sollen die Beiräte Maßnahmen zur Integration und Teilhabe von Menschen ausländischer Herkunft entwickeln.

Der Ausländerbeirat hat in der Regel ein Anhörungsrecht in den Ausschüssen und ein Vorschlags- und Anhörungsrecht in der Gemeindevertretung. Außerdem vertritt er die Interessen der Nichtdeutschen in der Öffentlichkeit, wozu er Informationsveranstaltungen organisieren kann oder durchaus auch öffentliche Proteste – auch wenn dies über seinen eigentlichen Auftrag hinausgeht.

Ein großes Problem der Ausländerbeiräte ist ihr geringer Rückhalt: In der Regel nehmen weniger als 10 Prozent der Stimmberechtigten an den Wahlen teil. Auch ein hoher Ausländeranteil ist keine Garantie für eine hohe Wahlbeteiligung. Selbst in Offenbach am Main, das sich als Modell für gutes Zusammenleben, als sogenannte Arrival City darstellt, nahmen 2015 von 40.146 Wahlberechtigten nur 852 teil. Das entspricht 2,1 Prozent. Viele Integrationsbeiräte werden daher nicht mehr durch Wahlen zusammengesetzt, sondern von Organisationen delegiert oder durch unterschiedliche Bewerbungsverfahren ermittelt.

Seniorenbeirat

Auch Seniorenbeiräte gehören zu den freiwilligen Einrichtungen von Kommunen. Die darin wirkenden Personen werden entweder von den Seniorinnen und Senioren einer Kommune gewählt, von Politik und Verwaltung ernannt oder von Seniorenorganisationen delegiert. Seniorenbeiräte vertreten die Interessen von Menschen ab 60 Jahren gegenüber Politik und Verwaltung – leisten darüber hinaus aber noch wesentlich mehr, indem sie beispielsweise an sogenannten Altenplänen mitwirken, also kommunale Hilfen für alte Menschen entwerfen oder die Trägerschaft für Seniorenbegegnungsstätten übernehmen.
Die inhaltlichen Schwerpunkte von Seniorenbeiräten sind breit gefächert. Sie setzen sich ein für die Verbesserung des Hilfesystems (Pflege und Beratung), aber auch für Barrierefreiheit in der Gemeinde, für die Erhöhung der Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume und Wege (z. B. durch Sitzgelegenheiten oder Fitness- und Bewegungsangebote) oder für Verkehrsberuhigung. Ihr Engagement gilt ebenso der Verbesserung von Infrastruktur, also von Geschäften, Arztpraxen, Apotheken, Banken oder des ÖPNV, und kommt daher nicht nur Senioren zu Gute, sondern insbesondere auch Menschen mit Behinderungen oder Kindern.

QuellentextÜber den Kirchturm hinaus

Emma Hausen ist 86. Die weißhaarige Dame ist die älteste im Senioren-Fitnessclub von Mannebach. Sie setzt sich auf den Bewegungstrainer und legt sich ins Zeug. Sie macht ihre Übungen zur Stärkung der Armmuskulatur. Und sie ist sichtlich stolz, dass das TV-Team sie ausgesucht hat, um die Vitalität des Hunsrückdorfes zu demonstrieren. Mannebach hat gut 300 Einwohner, und mehr als ein Drittel davon trainiert regelmäßig in der dorf- eigenen "Gesundheitshütte". "Dein stärkster Muskel ist Dein Wille", steht in großen Lettern an der Wand. Soll wohl heißen: Wenn alle sich anstrengen, muss das im rheinland-pfälzischen Saargau gelegene Dorf nicht sterben, das immerhin auch noch einen aktiven Heimat- und Kulturverein, den Sportverein "Grün-Weiß", den Radsportclub "RV Mannebike 20Zehn", eine katholische Jugendgruppe und einen Singkreis aufzuweisen hat.

Mannebach will seine Senioren mobil halten, solange es geht. "Um das Altersheim zu vermeiden, ist es wichtig, dass man sich selbst helfen kann", sagt der Mannebacher Ortsbürgermeister Bernd Gard, "dass wir uns bewegen können, zum Beispiel die Schuhe zubinden." Unter dem Slogan "Langes Leben im Dorf" haben Gard und seine Mitstreiter ein Konzept aufgelegt, das nicht nur Gesundheitstraining, sondern auch Nachbarschaftshilfe, die Einrichtung von Wohngemeinschaften, eine nutzerorientierte Versorgungsstruktur und Mobilität für Bürger auch ohne eigenes Auto verbindet. So wurde ein "Dorfmobil" angeschafft, ein Kleinbus, der von einem Angestellten der Gemeinde oder ehrenamtlichen Helfern gefahren wird. Sie bringen den Rentner zum Arzt, die Mutter mit Baby zum Einkaufen oder die syrische Flüchtlingsfamilie zum Deutschkurs.

Das Beispiel Mannebach zeigt, dass die Verödung des ländlichen Raumes kein unabwendbares Schicksal sein muss. […] Bund und Länder versuchen denn auch gegenzusteuern, das Landwirtschaftsministerium in Berlin zum Beispiel mit dem "Bundesprogramm Ländliche Entwicklung". Es bündelt Modell- und Demonstrationsvorhaben, Wettbewerbe, Forschungsaktivitäten und Kommunikationsmaßnahmen. Um was es bei solchen Initiativen geht, erläutert der Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR), Harald Herrmann, das im vorigen Jahr dramatische Zahlen zur ungebremsten Landflucht vorlegte: Eine Schrumpfung der Dörfer sei gesellschaftspolitisch nicht gewollt. […] Herrmann glaubt, dass Zusammenarbeit und bürgerschaftliches Engagement Chancen bieten, die Lebensqualität in ländlichen Räumen zu erhalten. "Die Kommunen müssen lernen, über ihren Kirchturm hinauszudenken." Große Hoffnung setzen die Politiker und Experten dabei auch in die Digitalisierung.

Die elektronische Vernetzung ermögliche neue Lösungen, um das Landleben attraktiver zu gestalten, glauben sie. An Konzepten dafür arbeiten zum Beispiel Forscher des Fraunhofer Institut für Experimentelles Software-Engineering (IESE) in Kaiserslautern.

Ein Beispiel für solche unkonventionellen Dienstleistungen ist der "Linienfrachtbus". Dahinter steht die Idee, zwei Systeme zusammenzubringen, die auf dem Land jedes für sich nicht oder nur selten profitabel zu betreiben sind – der Linienbus und der Paketdienst. Der Fahrer des Busses würde künftig in der Stadt die zu transportierenden Waren vom Paketdienst übernehmen und sie dann an den Haltestellen seiner Tour in dort installierten Paketboxen deponieren. Dort könnten sie dann Autofahrer aufnehmen, die auf der Fahrt nach Hause sind, und sie bei den Empfängern in ihrer Nachbarschaft abgeben. Mit moderner Software seien solche Lieferketten durchaus zu organisieren, glaubt Institutschef Professor Peter Liggesmeyer.

Mit digitaler Vernetzung könnten laut dem IT-Experten auch andere Probleme auf immer dünner besiedeltem Land künftig gelöst werden. Autonome Fahrzeuge, an denen Autobauer und Software-Unternehmen wie Apple und Google ohnehin mit Hochdruck arbeiten, wären der Hebel, um Mobilität effizient und preiswert durch Carsharing auch hier möglich zu machen. Der Zwang, einen Privat-Pkw zu kaufen, entfiele, und Senioren, die nicht mehr selbst fahren können oder wollen, kämen bequem ans Ziel. Auch die medizinische Versorgung könnte wieder verbessert werden. So würde sich mancher Facharztbesuch in der nächsten Stadt erübrigen, wenn der Hausarzt vor Ort mit digital gestützter Ferndiagnose den dortigen Spezialisten konsultiert. Um solche Ideen umzusetzen, müsse vieles gar nicht neu erfunden werden, meint Liggesmeyer. Es gehe eher darum, "vorhandene Systeme miteinander intelligent zu machen".

Joachim Wille, "Mobile Dörfer", in: Frankfurter Rundschau vom 17. Mai 2016; © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt.

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Bürgerinnen und Bürger haben unterschiedliche Möglichkeiten, ihre Interessen, Wünsche und Anregungen in die politischen Entscheidungsprozesse ihrer Kommune einzubringen. Neben zahlreichen Formen informeller politischer Mitbestimmung sind das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid die wichtigsten formell geregelten Partizipationsverfahren nach den Kommunalwahlen.

Begehren und Entscheid sind in den Gemeindeordnungen der Bundesländer gesetzlich geregelt – mit teilweise erheblichen Unterschieden hinsichtlich der Hürden, die ein solches Verfahren nehmen muss, um zugelassen zu werden. Dies spiegelt sich wider in der unterschiedlichen Anzahl der tatsächlich initiierten Bürgerbegehren: In Bayern gab es bisher nahezu 2300, im Saarland weniger als 20. In Bayern kam es bisher zu über 1600 Bürgerentscheiden, im Saarland (Stand 2016) zu keinem.

Um einen Bürgerentscheid erwirken zu können, muss
sei­ne Durchführung zunächst schriftlich beantragt werden. Dieser Antrag heißt "Begehren" und kann entweder durch die Bürgerschaft (Bürgerbegehren) oder durch die Gemeindevertretung/den Rat (Ratsbegehren) gestellt werden. In jedem Antrag auf einen Bürgerentscheid muss eine Frage benannt sein, die mit Ja oder mit Nein zu beantworten ist. Etwa: "Sind Sie dafür, dass die Straße XY in eine Fußgängerzone umgewandelt wird?"

Unterschriftenquorum für ein erfolgreiches Bürgerbegehren in Bayern

Für ein erfolgreiches Bürgerbegehren müssen die Antragsteller eine Mindestanzahl an Unterschriften von den Wahlberechtigten einer Gemeinde sammeln, die das Bürgerbegehren unterstützen. Diese Anzahl, auch Unterschriftenquorum genannt, variiert je nach Bundesland und Gemeindegröße. In Bayern beispielsweise müssen in einer Kommune mit 10–20.000 Einwohnern mindestens 9 Prozent der dort Wahlberechtigten ihre Unterschrift für das Bürgerbegehren abgeben, in einer Kommune mit 50–100.000 Einwohnern 6 Prozent. Diese Staffelung berücksichtigt, dass es in großen Städten schwieriger ist, Menschen für direkte Demokratie zu gewinnen.

Dem schriftlichen Antrag auf das Bürgerbegehren ist die Unterschriftenliste (mit vollständiger Anschrift der Unterzeichnenden) beizufügen. Weiterhin muss das Bürgerbegehren begründet, und in einigen Bundesländern auch ein Kostendeckungsvorschlag formuliert werden. Außerdem ist der sogenannte Negativkatalog zu beachten, eine Liste jener Themen also, zu welchen ein Bürgerbegehren in dem jeweiligen Bundesland nicht eingereicht werden darf. Diese Negativkataloge sind sehr unterschiedlich; so ist die Bauleitplanung in manchen Bundesländern ganz oder teilweise von Bürgerbegehren ausgeschlossen, in anderen nicht.

Manche Bürgerbegehren richten sich gegen zuvor ergangene Beschlüsse der Gemeindevertretung. Sie heißen Korrekturbegehren. Dabei sind besondere Fristen einzuhalten.

Über die formale Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheidet die Gemeindevertretung. Wurde die Zulässigkeit festgestellt, ist die Fragestellung zur Abstimmung durch die Bürgerschaft, also zum Bürgerentscheid, freigegeben. Die Gemeindevertretung kann aber auch sozusagen ohne Umweg dem Bürgerbegehren entsprechen und in dessen Sinne entscheiden. Wenn, wie im oben genannten Beispiel, die Gemeindevertretung für eine Umgestaltung der Straße XY in eine Fußgängerzone stimmt, entfällt das Bürgerbegehren, weil sein Anlass nicht mehr gegeben ist.

Besondere Bedeutung kommt bei einem Bürgerentscheid der Formulierung der Frage zu, über welche abgestimmt werden soll, denn sie muss mit einem eindeutigen "Ja" oder "Nein" zu beantworten sein. Komplexe Sachverhalte müssen also in einem einzigen Satz untergebracht werden.

Am Beispiel des Ratsbegehrens pro/contra Bundesgartenschau in Mannheim wird deutlich, dass sich die Abstimmungswilligen sehr genau vorbereiten mussten, um das Kreuz nicht aus Versehen an der falschen Stelle zu machen: "Soll Mannheim zur nachhaltigen Entwicklung eines Grünzugs Nordost im Jahr 2023 eine Bundesgartenschau durchführen, die überwiegend auf dem Gelände der ehemaligen Spinelli-Kaserne und unter Einbeziehung einer maximal 16 Hektar großen Teilfläche der Feudenheimer Au unter Beibehaltung ihres Status als Landschaftsschutzgebiet stattfindet?"

Der Bürgerentscheid ist dann erfolgreich, wenn er zwei Bedingungen erfüllt: Die Mehrheit der Abstimmenden muss mit "Ja" stimmen, und diese Mehrheit muss einen bestimmten ­Anteil aller Stimmberechtigten (Zustimmungsquorum) übersteigen, und zwar unabhängig davon, ob diese sich an der Ab­stimmung beteiligen oder nicht. Es kann also sein, dass über 50 Prozent der Abstimmenden mit "Ja" stimmen, der Bürger­entscheid aufgrund zu geringer Abstimmungsbeteiligung gleichwohl als nicht angenommen gilt. Diese Zustimmungsquoren sind je nach Bundesland unterschiedlich hoch; in Bayern oder Nordrhein-Westfalen sind sie mit 10 – 20 Prozent niedrig angesetzt, im Saarland mit 30 Prozent eher hoch.

Bei Stimmengleichheit gilt der Bürgerentscheid als mit "Nein" beantwortet.

Das Abstimmungsergebnis eines Bürgerentscheids hat die gleiche Stellung wie ein Ratsbeschluss. Die durch einen Bürgerentscheid getroffene Entscheidung darf in den meisten Bundesländern innerhalb einer Frist von ein bis drei Jahren nicht geändert werden. Ein gescheiterter Bürgerentscheid darf in den folgenden zwei bis drei Jahren nicht erneut zur Abstimmung gestellt werden. Nach Ablauf dieser Fristen steht einer neuerlichen Entscheidungsfindung nichts mehr im Wege. Das Ergebnis eines Bürgerentscheides hat theoretisch also nur einen zeitlich begrenzten Bestandsschutz. In der Praxis aber werden Bürgerentscheide nur selten mehrfach zu ein- und derselben Fragestellung durchgeführt.

Zeitweise war von Befürwortern direkter Demokratie heftig für die Erleichterung von Bürgerentscheiden durch die Absenkung der Unterschriften- und Zustimmungsquoren gestritten worden. Inzwischen scheint sich die Debatte beruhigt zu haben. Das mag daran liegen, dass die Hürden in den meisten Bundesländern abgesenkt wurden.

Kommunale Verfahrensregelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide (© Mehr Demokratie e.V. (Hg.), Bürgerbegehrensbericht 2016, Berlin 2016, S. 12; Externer Link: www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/2016-06-16_BB-Bericht2016.pdf (zuletzt abg)

Andererseits sind auch die möglichen Kehrseiten direkter Demokratie offen zutage getreten. Dies zeigt wiederum das Beispiel Mannheim mit dem Bürgerentscheid über die Bundesgartenschau. Dort hatte der Gemeinderat eine Frage, in der er sich nicht einig wurde, an die Bürgerschaft delegiert. Diese entschied denkbar knapp mit 50,7 zu 49,3 Prozent – mit der Folge, dass die Hälfte der Bürgerschaft frustriert war und das politische Klima in der Stadt vergiftet. Direkte Demokratie lässt keine Kompromisse zu, diese können erst nach der Entscheidung entwickelt werden. Der Gedanke, dass ein Bürgerentscheid ein Problem endgültig entscheidet und damit von der politischen Agenda nimmt, bewahrheitet sich nicht immer.

Bürgerinitiative

Menschen schließen sich zu einer Bürgerinitiative zusammen, um aus einem konkreten Anlass oder einer direkten Betroffenheit heraus ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie beispielsweise die Verhinderung des Abrisses von Altbauten oder den Bau einer Umgehungsstraße. Häufig sind diese Gruppierungen nicht formell verfasst, sie können sich aber auch als sogenannte juristische Personen in Stiftungen oder Vereinen organisieren.

Bürgerinitiativen bestehen fast immer zeitlich begrenzt; die meisten lösen sich entweder nach Erreichen ihres Ziels oder nach dem Scheitern ihres Anliegens wieder auf. Bürgerinitiativen bauen öffentlichen Druck auf, um die entscheidungsbefugten Gremien oder Stellen dazu zu bewegen, in ihrem Sinne zu entscheiden. Zu diesem Zweck bedienen sich die Initiativen vielfältiger Handlungsinstrumente, wie beispielsweise Petitionen, Sit-ins, Go-ins, Demonstrationen, Betroffenenversammlungen, Plakataktionen, Straßenblockaden, Mahnwachen, Flash-Mobs oder anderer phantasievoller Aktionen.

Bürgerinitiativen unterscheiden sich von Parteien unter anderem darin, dass sie nicht dauerhaft bestehen, sich nicht zur Wahl stellen und kein umfassendes politisches Programm verfolgen. Aktuell verändert sich die Arbeit von Bürgerinitiativen vor allen Dingen durch die Nutzung neuer Medien, wodurch zunehmend auch überregional tätige Initiativen entstehen. Durch die von Bürgerinitiativen gesetzten Impulse bilden sich vereinzelt auch Parteien oder andere, längerfristig existierende Organisationen wie zum Beispiel Umweltverbände oder Stiftungen.

Lokale Agenda 21

Die Lokale Agenda 21 (LA 21) ist Teil eines Beschlusses der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro von 1992. Er sieht vor, dass Kommunen neben anderen Akteuren die Ziele der Agenda 21 umsetzen und dabei besonders die Beteiligung der Bürger berücksichtigen.

Maßgebend ist das Prinzip der Nachhaltigkeit. Dieses entstammt der Forstwirtschaft und bedeutet, dass nur so viel Holz gerodet werden darf, wie auch jährlich wieder nachwachsen kann. In Bezug auf die Lokale Agenda bedeutet Nachhaltigkeit, dass heutige Bedürfnisse in der Form befriedigt werden sollen, dass die Überlebensfähigkeit zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt wird. Dabei soll in den drei Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales der gleiche Ansatz verfolgt und es soll zusammengearbeitet werden. Die LA 21 soll in allen Kommunen weltweit umgesetzt werden. Dies drückt sich in ihrem Leitspruch "global denken – lokal handeln" aus.

In Deutschland wurde die Umsetzung der LA21 in den meisten Kommunen mit einer großen Auftakt-Veranstaltung eingeläutet. Die darauf folgenden konkreten Maßnahmen gestalteten sich allerdings sehr unterschiedlich. Die Hauptaufgabe der Kommunen bestand darin, Koordinatoren und Gelder als Unterstützung bereitzustellen. So sollte das Potenzial der Arbeitskreise, Fachbeiräte, -gremien oder -foren gebündelt und in gemeinsame Bahnen gelenkt werden.

Gleichzeitig sollte auch die innere Organisation der Kommune nach den Zielen der Agenda 21 ausgerichtet werden und somit eine Vorbildfunktion erfüllen. Erforderlich waren dafür zunächst ein Ratsbeschluss zur Lokalen Agenda 21 (1) sowie die Festlegung formaler Regeln für den Prozessablauf (2). Anschließend sollten unter Beteiligung der Bürger in Arbeitskreisen, Fachbeiräten, -gremien oder -foren Handlungsprogramme erstellt werden (3), welche im nächsten Schritt durch den Gemeinderat verabschiedet werden mussten (4). Die Umsetzung des Handlungsprogramms war dabei auf eine kontinuierliche Überprüfung, Anpassung und Fortschreibung angewiesen (6). Ihren Höhepunkt erreichte die Umsetzung der LA 21 etwa im Jahr 2002.

Erfolgreich umgesetzt wurden vor allen Dingen kleine Projekte, die einen hohen Konsens erzielten. Als ungünstig erwies sich jedoch, dass die Agenda 21 häufig auf den Umweltaspekt reduziert wurde. Schwierigkeiten zeigten sich vor allem auch bei der Bürgerbeteiligung, da sich oft eine Überforderung der Akteure einstellte oder es an der notwendigen Unterstützung durch Politik und Verwaltung mangelt.

Darüber hinaus wurden die Agenda-Foren nicht selten als Konkurrenz zu herkömmlichen politischen Institutionen wahrgenommen. Zu geringe finanzielle Spielräume und fehlende Ressourcen erschwerten die Entwicklung der Lokalen Agenda 21 zusätzlich. Die geringe Umsetzung von Beteiligungsergebnissen aus Agenda-Prozessen führte in vielen Städten bei den Bürgern zu massiven Enttäuschungen.

Während einzelne Kommunen eine Vorbildfunktion einnehmen und die Ziele der Lokalen Agenda 21 überwiegend übernommen und in ihren politischen Alltag mit eingebunden haben, ist der Prozess in anderen Kommunen weitgehend zum Erliegen gekommen. Trotz allem ist festzuhalten, dass durch die zahlreichen Agenda-Prozesse in den Kommunen Lernprozesse für eine gelingende Bürgerbeteiligung stattgefunden haben, sodass die LA21 als eine Keimzelle der kooperativen Demokratie in Deutschland gelten kann.

Bürgerplattform/Community-Organizing

Partizipation muss nicht immer konfliktfrei und in Einklang mit den bestehenden Institutionen geschehen. Dies zeigen insbesondere die Bürgerplattformen. Sie sind Zusammenschlüsse von Anwohnern, Initiativen, Vereinen oder religiösen Gemeinschaften mit dem Ziel, im Quartier oder in der Kommune über einen längeren Zeitraum hinweg grundlegende Veränderungen und Verbesserungen herbeizuführen. Durch den Zusammenschluss von teilweise mehreren Hundert Personen erhalten sie große Aufmerksamkeit und damit auch politische Macht.

Die Wurzeln der Bürgerplattformen liegen im Community-Organizing (CO), welches Saul Alinsky in den 1940er-Jahren in Chicago entwickelte. Alinsky mobilisierte zunächst vor allem arbeitslose Schwarze in vernachlässigten Wohnvierteln. Da er selbst als Weißer zunächst auf eine Mauer aus Misstrauen stieß, war die Grundvoraussetzung seiner politischen Aktivität das Aufbauen von Vertrauen, also Beziehungsarbeit. Dieses Grundprinzip steht auch heute noch am Beginn von CO.

Die von Alinsky organisierten Menschen bestimmten bei allen politischen Aktivitäten ihre Ziele selbst. Alinsky lehrte sie, ein Drohpotenzial gegenüber Entscheidungsträgern aufzubauen und diese beispielsweise dazu zu bewegen, den Schwarzen der geltenden Rassentrennung zum Trotz Zutritt zu Kinos zu gewähren oder ihnen eine Anstellung zu bieten. CO setzte und setzt sich mit legalen, phantasievollen Mitteln (Blockade von Kaufhäusern oder Flughafentoiletten) für die Rechte von Unterprivilegierten ein. Auch heute gehört CO zur politischen Kultur der USA – Barack Obama hat als Community-Organizer gearbeitet, bevor er mit Hilfe der dort gelernten Prinzipien einen Wahlkampf führen konnte, der auf Beziehungsarbeit fußte.

Auch in den Bürgerplattformen geht es zunächst um den Aufbau von Beziehungen. Dazu sind anfangs sogenannte Schlüsselpersonen zu gewinnen, also Menschen, die sich für "ihren Stadtteil" einsetzen wollen, dort bekannt und geachtet sind. Diese Schlüsselpersonen sprechen Menschen "auf der Straße" an und befragen diese zunächst völlig offen, was sie stört im Stadtteil, was geändert werden sollte. Aus den durchaus vielfältigen Antworten werden dann Themen und Ziele bestimmt, die gemeinsam verfolgt werden. Anschließend treten die Schlüsselpersonen mit Entscheidungsträgern der Wirtschaft und der Politik in Verhandlung, um die Ziele der Plattform durchzusetzen.

Zu den vielbeachteten Bürgerplattformen zählt die aus Berlin Schöneweide – inzwischen Berlin-Südost. In Schöneweide, einem im Ostteil der Stadt gelegenen Quartier, wurde dessen bedeutende Industrieproduktion nach der deutschen Wiedervereinigung weitgehend eingestellt, sodass stattdessen Leerstand, Arbeits- und Perspektivlosigkeit vorherrschten. Der Bürgerplattform gelang es, die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) anzusiedeln. So wurde der Stadtteil in Teilen aufgewertet und verstärkt zum Anziehungspunkt für junge Menschen.

Mit den Community-Organizern entstehen neue, politisch erfahrene Führungs-Eliten, die, weitgehend unabhängig von den Mühen und Traditionen der Verwaltung und der Parteipolitik, erfolgreich Projekte umsetzen. Mit anderen Worten: Bürgerplattformen sind spannend, Parteipolitik ist anstrengend. Damit verstärken die Bürgerplattformen möglicherweise die Entfremdung von Parteipolitik und die Tendenz, Politik außerhalb der bestehenden Institutionen zu betreiben.

Ehremamt und Bürgerschaftliches Engagement

Die kommunale Selbstverwaltung konnte in Deutschland nur durch das Ehrenamt entstehen. Die Preußischen Städteordnung bestimmte im Jahr 1808: "Jeder Bürger ist schuldig, öffentliche Stadtämter zu übernehmen, und solche, womit kein Diensteinkommen verbunden ist, unentgeldlich zu verrichten." Ein Diensteinkommen wurde lediglich für Führungsaufgaben wie etwa Magistratsämter oder die Kämmerei (das "Finanzamt" der Kommune) entrichtet.

Mit der Industrialisierung entstand in den Kommunen aufgrund der plötzlichen Massenzuwanderung großes Elend: Wohnungsnot, unvorstellbare hygienische Verhältnisse (viele Betten waren an mehrere Personen in drei Schichten, also faktisch ununterbrochen, vermietet und belegt; in den Straßen stand der Kot oft knöchelhoch) und Armut; denn wer krank war oder aus anderen Gründen nicht arbeitsfähig, hatte in der Regel kein Geld. Die Armenfürsorge war daher ein großes Problem der Kommunen und ein Betätigungsfeld für ehrenamtliche Kräfte, lange bevor es die helfenden Berufe gab.

Vorbildlich in dieser Hinsicht war die Stadt Elberfeld. Ihre Einwohnerzahl hatte sich mit der Industrialisierung binnen kurzer Zeit auf mehr als 50.000 nahezu verfünffacht. Sie wurde um 1850 in 50 Quartiere eingeteilt, die von ehrenamtlichen Armenpflegern versorgt wurden. Auch hier galt, dass alle stimmfähigen Bürger verpflichtet waren, die Wahl zu diesem unbesoldeten Amt anzunehmen. Die Aufgabe der Ehrenamtlichen war dabei eine doppelte: Hilfe und Kontrolle. Sie sollten die Armen versorgen, dadurch selbstverständlich auch das Betteln eindämmen und durch ihren persönlichen Kontakt verhindern, dass arbeitsfähige Personen zu Hause blieben und sich dem Müßiggang oder dem "Laster" hingaben.

Die Bedeutung des Ehrenamtes für die deutschen Kommunen war selbst hundert Jahre nach Inkrafttreten der preußischen Städteordnung immer noch enorm: So wirkten 1908 in den 110 preußischen Städten neben den 45.000 Kommunalbeamten 37.000 Ehrenamtliche mit. Ihre Anzahl und Bedeutung sank jedoch mit der Ausdifferenzierung kommunaler Aufgaben, die ein spezifisches Fachwissen verlangten.

Doch auch heute noch kann jeder Bürger in ein Ehrenamt berufen werden, zum Beispiel als Wahlhelfer oder als Schöffe. So heißt es in Artikel 21 der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz, dass jeder Staatsbürger nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht zur Übernahme von Ehrenämtern hat.

Auch die Mitglieder der Gemeindevertretung (Gemeinderäte / Stadtverordnete) nehmen ihre Aufgabe "ehrenamtlich" wahr. Sie erhalten für ihre Tätigkeit lediglich ein Sitzungsgeld und eine sogenannte Aufwandsentschädigung, deren Höhe von der jeweiligen Gemeindevertretung beschlossen wird.

Die Traditionslinie des kommunalen Ehrenamtes und der Selbstverwaltung war durch das NS-Regime unterbrochen und beschädigt worden. "Freiwillige vor" hatte im Krieg eine lebensgefährliche Bedeutung, nach dem Nationalsozialismus zogen sich viele Menschen in das Private zurück, Vereine sollten vor allem unpolitisch sein.

Während sich nach dem Krieg in der Bundesrepublik Partizipation und Ehrenamt spätestens seit den 1970er-Jahren frei entwickeln konnten, waren in der DDR, in der keine kommunale Selbstverwaltung zugelassen war, "freiwillige" Aufgaben oftmals staatlich vorgegebene Arbeitseinsätze und daher negativ angesehen. Infolgedessen hatte der Rückzug ins Private einen hohen Stellenwert, auch als Abwendung von staatlichem Zugriff. Dabei hat sich eine informelle nachbarschaftliche Solidarität entwickelt, die schwer messbar ist, aber vielerorts bis heute fortwirkt. Eine weitere Schutzzone für gemeinwohlorientiertes Engagement und Solidarität boten die Kirchen. Sie haben heute eine wichtige Bedeutung in der Diskussion von Werten und im Umgang mit Geflüchteten.

Strukturwandel des Ehrenamtes

Viele Menschen klagen, sie könnten sich aus Zeitgründen nicht ehrenamtlich engagieren. Eine wesentliche Ursache für diesen allgemeinen Zeitmangel ist insbesondere die Veränderung der Erwerbsarbeit, sind die flexiblen und unregelmäßigen Arbeitszeiten, oft bis spät in den Abend hinein, aber auch häufige Dienstreisen oder lange Anfahrtswege zum Arbeitsplatz. Darüber hinaus fehlen oftmals Vorbilder für Ehrenamt in der eigenen Familie.

Hinzu kommt die mangelnde Identifikation mit dem (derzeitigen) Wohnort: Wer in Kommune A schläft, in B arbeitet und nach C zum Einkauf fährt, hat wenig Anlass, sich gerade dort, wo er für eine befristete Zeit als Einwohner gemeldet ist, tatkräftig als Bürger einzubringen.

Vor diesem Hintergrund kam es in den 1990er-Jahren zu einer Erweiterung des Ehrenamtes durch neue Förderimpul­se und ein neues Verständnis des Engagements. Dazu mussten neue Tätigkeitsfelder erschlossen werden, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden hatten; also Berufstätigen einerseits und der zunehmenden Zahl älterer Menschen andererseits.

Diese Erweiterung des Ehrenamtes wurde unter dem Begriff "Bürgerschaftliches Engagement" zusammengefasst. Merkmale dieses neuen Verständnisses waren unter anderem, dass Engagement auch kurzfristig und projektorientiert stattfinden konnte und sollte, also nicht mehr langfristig an Ämter gebunden war.

Da Bürgerschaftliches Engagement nicht von alleine entsteht, wird es von vielen Kommunen inzwischen systematisch gefördert. Diese Aufgabe übernehmen auf kommuna­ler und Landkreisebene häufig sogenannte Seniorenbüros, Freiwilligenagenturen oder Kommunale Anlaufstellen für Engagement, die direkt in der Verwaltung angesiedelt sind. Sie alle bringen engagementbereite Menschen und Engagementmöglichkeiten zusammen (Vermittlungsagenturen) und beraten Organisationen ebenso wie Einzelpersonen, Schulen / Hochschulen oder Unternehmen. Dabei erfahren interessierte Personen von Tätigkeiten, die zu ihnen passen. Auf der anderen Seite erhalten Organisationen Hinweise zum Freiwilligenmanagement oder Anregungen für neue Freiwilligenprojekte.

Mit der Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements wurde zugleich eine regelmäßige Begleitforschung auf den Weg gebracht. So untersucht der Freiwilligensurvey im Fünfjahresabstand das Engagement der Bevölkerung ab 16 Jahren in Deutschland. Sein Befund stimmt einerseits optimistisch: Der Anteil der freiwillig Engagierten ist seit den ersten Befragungen aus dem Jahr 1999 von 34 Prozent auf 43,6 Prozent im Jahr 2014 gestiegen.

Auf der anderen Seite nimmt die wöchentlich gespendete Zeit kontinuierlich ab, und es ist schwierig, Menschen zu gewinnen, die Verantwortung in traditionellen Strukturen übernehmen. Daher sollten Kommunen, wenn sie die bestehende Vereinslandschaft erhalten möchten, auch weiterhin in Engagementförderung investieren. Zudem gibt es immer wieder Schnittstellen zwischen freiwilligem Engagement, Information über kommunalpolitische Entwicklungen und politische Partizipation. Kommunale Engagementförderung ist zugleich auch ein Beitrag zur Beteiligungsförderung.

QuellentextMit bürgerlichem Engagement aus der Krise

[…] Willkommen in Wuppertal, der Wir-sind-wieder-wer-Stadt. Die sich so klammheimlich den Aufschwung erarbeitet, nachdem sie in den 1990er-Jahren den eigenen Niedergang verpennt hat. Jetzt segelt sie im Windschatten der Metropolen Köln und Düsseldorf, den Tankern der Metropolregion Rheinland mit ihren 8,5 Millionen Menschen. Ganz ohne Hochglanzbroschüren ist die Wende gelungen. Der Oberbürgermeister hält eh nichts von markigen Kampagnen.

"Aufbruchsstimmung kann man nicht herbeischreiben. Das muss sich rumsprechen", sagt er. "Unter den 22.000 Studenten an der Bergischen Universität, die hier noch preiswerten Wohnraum finden. Bei den Unternehmen, die merken, dass die Bürger die Stadtentwicklung tragen. Die Menschen hier kriegen endlich wieder ein anderes Gefühl für ihre Stadt. Selbst die Miesepetrigsten haben begriffen, hier tut sich was."

Zwei harte Jahrzehnte liegen hinter den Wuppertalern. Mit Rekordverschuldung, hoher Arbeitslosigkeit, noch heute lebt jedes dritte Kind in Armut. Und warum? Weil die Stadt in den 1990er-Jahren irgendwie nicht mitbekommen hat, wie der Strukturwandel über sie weggefegt ist. In Wuppertal gab es keine Zechen, die geschlossen wurden, keine Stahlkocher, die zu Tausenden auf die Straße gingen. Schleichend gingen die Jobs verloren.

Mal 100 in der Textilindustrie, dann 200 bei den Autozulieferern. Am Ende waren es 18.000. Das Ergebnis: 2010 gehörte die Stadt den Banken. Sie hatte nicht mal Geld für Streusalz und mit 345.000 Einwohnern den Tiefststand erreicht.

Heute leben in Wuppertal wieder mehr als 358.000 Menschen. "Die Initialzündung war die Sanierung der Schwebebahn", sagt Mucke. "Das war ein Symbol, das hat die Aufbruchsstimmung ausgelöst." Und die Stadt gleichzeitig auch in ihre schlimmste Krise gestürzt. Der Schwebebahn-Unfall 1999 als Folge der Bauarbeiten mit sieben Toten und 47 Verletzten, explodierende Sanierungskosten, immer wieder Stillstand.

Gegen das Spardiktat sind die Bürger 2010 auf die Straße gegangen. "Wuppertal wehrt sich", eine laute Stimme im Wehgeschrei der Bettler, der ärmsten Kommunen in NRW. Der Stärkungspakt Stadtfinanzen der Landesregierung hat der Stadt extrem geholfen, trotz aller schmerzhaften Einschnitte.

Doch nicht alle haben immer bloß gejammert. Es gab ein paar Initiativen, die ihren Stadträten richtig Feuer gemacht haben. Die wohl wichtigste sind die Freunde der Nordbahn-Trasse, denen es gegen viele Widerstände gelungen ist, einen 22 Kilometer langen und ebenen Fahrradschnellweg auf einer alten Bahntrasse mitten durch die Stadt zu ziehen. "Das war großartiges bürgerschaftliches Engagement", sagt Mucke. "Das hat einen Aufbruch ausgelöst, viele Kreative angezogen. Heute haben wir hier einen kleinen Kosmos aus Urbanität und Kiez-Mentalität."

Jetzt erntet die Stadt die Früchte einer jahrelangen Arbeit. Am [10. Juli 2017] wurde die Bundesstraße 7 am Hauptbahnhof wieder geöffnet. Am Abend hat der Stadtrat den Grundsatzbeschluss zum Bau einer 83 Millionen Euro teuren Seilbahn getroffen, die den Hauptbahnhof mit dem Uni-Campus und dem Ortsteil Küllenhahn verbindet und 3500 Menschen pro Stunde transportieren soll. "Das wird unsere Schwebebahn des 21. Jahrhunderts und ein wichtiger Beitrag zur Elektromobilität", sagt der Oberbürgermeister. "Wir schaffen es ja kaum mehr, die vielen Studenten mit Bussen auf den Grifflenberg zu bringen."

Ende 2018 wird der 200 Millionen Euro teure Umbau des Stadtzentrums abgeschlossen sein. Mit neuem Busbahnhof, einem Fahrradparkhaus, einem Outlet-Center.

Und einem aufgefrischten Hauptbahnhof. "Wir verbessern unser Tor zur Stadt und haben dadurch viele Investitionen im Umfeld erreicht. Geschäftshäuser, Hotels, das potenziert sich." Das denkmalgeschützte Schauspielhaus, das seit Jahren leer steht, soll zum Pina-Bausch-Tanzzentrum werden. Das Opernhaus wurde für 30 Millionen Euro saniert, der Barmer Bahnhof, ein Gebäude aus der Gründerzeit, ebenfalls.

"Wir sind auf einmal ein spannender Standort. Die Mittelständler sind sehr stark hier." Der Oberbürgermeister versucht jetzt, die Stadtquartiere mitzunehmen, die noch im Hintertreffen sind. Weil er weiß: Die ganzen Projekte werden auf Dauer wenig bringen, "wenn wir Arbeitslosigkeit und Armut nicht bekämpfen.

Wir müssen dagegen angehen, dass uns hier eine ganze Generation verloren geht." Die Chancen stehen gut für die Stadt, die einst Wiege der Industrialisierung in Deutschland war. Weil es ohne Prestige-Objekte nicht geht, will Mucke die Bundesgartenschau 2025 nach Wuppertal holen. "In Deutschlands grünste Großstadt", wie Mucke sagt.

Peter Berger / Barbara Cepielik, "Strukturwandel: Wie Wuppertal es geschafft hat, aus der Krise zu kommen", in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 11. Juli 2017, Externer Link: http://www.ksta.de/27949318 ©2017 (zuletzt abgerufen am 13. Juli 2017).

Elena Frank, Jg. 1991, Sozialarbeiterin (B.A.), studierte an der Hochschule Mannheim Soziale Arbeit mit einem Schwerpunkt auf Kommunalpolitik. Sie fasziniert, an wie vielen Stellen im Alltag der Bürgerinnen und Bürger Kommunalpolitik wirkt.

Beatrice Pardon, Jg. 1992, Sozialarbeiterin (B. A.), studierte Soziale Arbeit an der Hochschule Mannheim mit einem Schwerpunkt auf Kommunalpolitik. Ein besonderes Interesse an Kommunalpolitik ergibt sich aus ihrer großen Bedeutung sowohl für den beruflichen Kontext der Sozialen Arbeit als auch für die individuelle Lebensgestaltung des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft.

Prof. Dr. Ralf Vandamme, Jg. 1963, Politikwissenschaftler, lehrt seit 2009 an der Hochschule Mannheim mit den Schwerpunkten Kommunalpolitik, Politische Ordnung, Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation. Zuvor war er für den Städtetag Baden-Württemberg 12 Jahre als Fachberater für Bürgerschaftliches Engagement tätig.
Kontakt: E-Mail Link: r.vandamme@hs-mannheim.de