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Das Verhältnis von Klimawissenschaft und Politik | Klima | bpb.de

Klima Editorial Ursachen und Folgen des Klimawandels Das Verhältnis von Klimawissenschaft und Politik Minderungspfade Klimapolitik in der öffentlichen Diskussion Klimaschutz als Aufgabe für Politik und Gesellschaft Glossar Literatur und Internetadressen Impressum

Das Verhältnis von Klimawissenschaft und Politik

Felix Schenuit

/ 10 Minuten zu lesen

Die Klimawissenschaft und ihre Erkenntnisse haben als Impulsgeber für Öffentlichkeit und Politik in den zurückliegenden Jahren stetig an Bedeutung gewonnen. Eine prägende Rolle spielt der IPCC, der als Institution der Vereinten Nationen eine besondere Legitimität besitzt. Er trifft dabei auf unterschiedlichste gesellschaftliche und politische Interessenlagen – es entstehen Spannungsfelder, die auch die Entstehung der Berichte prägen.

Zum 30. Jahrestag der Gründung des IPCC versammeln sich die Delegierten am 13. März 2018 im Hauptquartier der UNESCO in Paris. Die Begrüßungsansprache hält der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian. (© JACQUES DEMARTHON / AFP via Getty Images)

Die Erkenntnisse über den Zusammenhang der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre mit dem Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen fanden in den 1970er-Jahren zuerst in der Wissenschaft und in den 1980er-Jahren auch im politischen Raum deutlich wachsende Aufmerksamkeit. Gleichzeitig prägen politische Entwicklungen auch Dynamiken in der Klimawissenschaft. Sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene lassen sich zahlreiche Institutionen und Initiativen identifizieren, die an diesem intensiven wechselseitigen Austausch zwischen Klimawissenschaft und Klimapolitik beteiligt sind. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC).

Der IPCC als Instanz wissenschaftlicher Politikberatung

Die Gründung des IPCC ist eng verknüpft mit den Anfängen der internationalen Klimadiplomatie. Im Jahr 1988 riefen das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment Programme, UNEP) und die Weltorganisation für Meteorologie (World Meteorological Organziation, WMO) den IPCC als Institution der Vereinten Nationen ins Leben. Mittlerweile sind 195 Staaten Mitglied und über 150 Beobachterorganisationen registriert.

Große Aufmerksamkeit bekam der IPCC 2007, als ihm zusammen mit dem amerikanischen Umweltschützer, Unternehmer und ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Das Nobelpreiskomitee würdigte damit die "Bemühungen zum Aufbau und der Verbreitung von mehr Wissen über den von Menschen verursachten Klimawandel und das Legen eines Fundamentes für Maßnahmen, die als Gegengewicht gegen diese Änderungen notwendig sind". Die Besonderheit des IPCC ist, dass nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Berichten mitarbeiten, sondern Regierungen die Gelegenheit bekommen, Stellung zu beziehen und abschließend im Konsens über den Bericht abzustimmen (siehe weiter unten).

Der IPCC (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615 575 Der Weltklimarat)

Das erklärte Ziel des IPCC ist es, den aktuellen Forschungsstand der Klimawissenschaft zusammenzutragen und zu bewerten, um damit Grundlagen für wissenschaftsbasierte Entscheidungen in der Klimapolitik zu liefern. Dabei gilt die Maxime, dass der IPCC politisch unabhängig ist und die Berichte keine politischen Handlungsempfehlungen formulieren. Im Rahmen dieses Mandats können die Dynamik des Klimawandels sowie die antizipierten Folgen bestimmter Temperaturanstiege detailliert beschrieben werden. In Bezug auf zukünftige Emissionspfade und Minderungsmöglichkeiten, die einen entsprechenden Anstieg verhindern könnten, legt der IPCC in seinen Berichten jeweils eine große Bandbreite an möglichen Optionen und Zukunftsbildern vor, um möglichst keine politischen Entscheidungen vorweg zu nehmen.

Die Organisation des IPCC

Die umfassenden Sachstandsberichte des IPCC werden innerhalb eines sogenannten Berichtszyklus von sechs bis sieben Jahren erstellt. Organisiert und koordiniert wird dieser Prozess von dem Sekretariat, dem Exekutivkomitee und dem 34-köpfigen Vorstand des IPCC. Entscheidungen über die Planung wie auch über die finale Annahme der Berichte werden im Plenum getroffen. Hier sitzen Delegationen der zugehörigen 195 Länder, um in jährlichen Treffen über Fragen des Budgets, über die Arbeitsprogramme sowie über die Abstimmung finaler Berichte zu entscheiden.

Entstehung von IPCC-Berichten (© Deutsche IPCC Koordinierungsstelle; https://www.de-ipcc.de/media/content/De-IPCC_Flyer_Der_Weltklimarat_IPCC_BITV.PDF)

Drei unterschiedliche Arbeitsgruppen erarbeiten zunächst unabhängig voneinander drei Berichte: Während sich die erste Arbeitsgruppe mit den naturwissenschaftlichen Ursachen des Klimawandels beschäftigt, analysiert die zweite Arbeitsgruppe die Verwundbarkeit von natürlichen und sozioökonomischen Systemen sowie Anpassungsstrategien an den Klimawandel. Die dritte Arbeitsgruppe trägt den Forschungsstand zu politischen, wirtschaftlichen und technologischen Optionen zusammen, die zur Minderung des Klimawandels beitragen könnten. Jeder dieser Arbeitsgruppen ist eine Geschäftsstelle zugeordnet, die die Arbeit der Autorinnen und Autoren koordiniert und unterstützt. Nach Veröffentlichung des dritten Berichts erarbeiten die drei Gruppen gemeinsam den sogenannten Synthese-Bericht und eine dazugehörige Zusammenfassung für die politischen Entscheidungsträger.

Die Entstehung der IPCC-Berichte

Sowohl die Sachstandsberichte als auch die Sonderberichte durchlaufen komplexe Prozesse. Diese sollen sicherstellen, dass die Publikationen wissenschaftlich korrekt sind und politische Unabhängigkeit wahren. Die Berichtsentwürfe werden von Autorinnen und Autoren verfasst, die zu Beginn des Prozesses im sogenannten scoping – einer ersten Verständigung über relevante Inhalte und über zu deren Darlegung geeignete Fachleute – von Regierungen oder Beobachterorganisationen nominiert werden.

Die anschließende Auswahl trifft der IPCC-Vorstand unter Berücksichtigung von Kriterien unterschiedlicher wissenschaftlicher Expertise, Disziplinen, Weltregionen und Geschlecht. Bei der Auswahl wird unterschieden zwischen koordinierenden Leitautorinnen und -autoren, die für ganze Kapitel verantwortlich zeichnen, und solchen, die jeweils für bestimmte Textteile zuständig sind. Darüber hinaus wird bestimmt, welche Fachexpertinnen und -experten mit der Begutachtung der Entwürfe sowie des breiteren Begutachtungsverfahrens insgesamt beauftragt werden.

In diesem Prozess tragen tausende Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft freiwillig zur Begutachtung des Berichtes bei. Für den letzten Sonderbericht zu 1,5°C globaler Erwärmung beispielsweise hatten die 90 Autorinnen und Autoren aus 40 Ländern insgesamt über 42.000 Kommentare von mehr als 1100 Gutachterinnen und Gutachtern durchzuarbeiten. Alle Beteiligten arbeiten unentgeltlich an den Berichten mit.

Das größte mediale Interesse findet meist die mehrtägige Plenumssitzungg des IPCC, in der die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (Summary for Policymakers) Zeile für Zeile verhandelt und abschließend gemeinsam mit dem Bericht formell angenommen wird. Den unterschiedlichen Entwürfen wird – zumindest in der breiteren Öffentlichkeit – im Vorlauf weniger Aufmerksamkeit zuteil.

Ein häufiger Kritikpunkt, der in sozialwissenschaftlichen Arbeiten über den IPCC-Prozess geäußert wird, zielt auf die überdurchschnittliche Beteiligung vieler nordamerikanischer und europäischer, zudem meist männlicher Wissenschaftler. Obwohl sich dies zuletzt verbessert hat, ist nach wie vor ein deutliches Ungleichgewicht erkennbar.

Die Rolle des IPCC für Politik und Wissenschaft

Insbesondere die kontinuierliche Einbindung der Regierungsdelegationen in die Vorhaben des IPCC trägt dazu bei, dass er im politischen Prozess eine besondere Legitimität besitzt. Immer wieder haben sich von Regierungen autorisierte Zusammenfassungen und Bewertungen des aktuellen Wissensstandes deutlich auf die internationale und nationale Klimapolitik ausgewirkt. Eine große Rolle spielt dabei auch, dass IPCC-Berichte kurz vor wichtigen internationalen Klimagipfeln der Klimarahmenkonvention veröffentlicht werden und so als gemeinsame Informationsgrundlage für die Verhandlungen dienen können. Jüngste Beispiele hierfür sind der fünfte Sachstandsbericht, der im Vorlauf der Verhandlungen zum Pariser Abkommen von 2015 veröffentlicht wurde und der Sonderbericht über 1.5°C Globale Erwärmung (SR1.5), der abgestimmt mit den politischen Prozessen zur Implementierung des Pariser Abkommens im Jahr 2018 veröffentlicht wurde.

Gleichzeitig wird dem IPCC auch eine wichtige Wirkung in die Wissenschaft hinein bescheinigt. Neben der Autorenschaft ist auch die Sichtbarkeit der eigenen Forschung in IPCC-Berichten häufig ein wichtiger Baustein für wissenschaftliche Karrieren. Daraus ergibt sich, dass die IPCC-Zyklen ein Taktgeber wissenschaftlicher Forschung sind – sowohl zeitlich als auch in Bezug auf thematische Schwerpunkte.

Diese einflussreiche Stellung wird allerdings nicht nur positiv bewertet. Insbesondere im Zusammenhang des vergleichsweise kurzfristig anberaumten 1,5°C-Sonderberichts wurde die Rolle des IPCC in der Klimawissenschaft auch kritisch diskutiert.

Zukunftsszenarien als Entscheidungshilfe für die Klimapolitik

Während sich die Klimawissenschaft in ihren Anfängen vor allem auf die Zusammenhänge zwischen der Konzentration von Treibhausgasen und dem menschengemachten Klimawandel konzentrierte, rückte der Fokus im Laufe der Zeit immer stärker auf mögliche Zukunftsszenarien. Der IPCC entwickelte sich zur zentralen Auswertungsinstitution der Szenarien und Modelle, die weltweit in aufwändigen Forschungsprojekten erarbeitet werden.

Immer mehr verfügbare Daten sowie ein Anstieg von Rechenkapazitäten führten zu immer komplexeren Erdsystemmodellen, in denen die physikalischen Prozesse im Klimasystem repräsentiert sind. Darüber hinaus erlangten die sogenannten Integrated Assessment Models (IAMs) zunehmend an Bedeutung. In diesen Modellen werden vereinfachte naturwissenschaftliche Klimamodelle mit kostenoptimierenden ökonomischen Modellen und Annahmen über gesellschaftliche Entwicklungen verknüpft und so mögliche Zukunftsbilder entworfen.

Die IAMs zielen darauf ab, die wechselseitigen Einflüsse zu verstehen, die zwischen unterschiedlichen klimatischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen bestehen. Ihre Ergebnisse zeigen Pfade auf, wie Klimaziele – wie beispielsweise das 1,5°C-Ziel – mithilfe bestimmter Maßnahmen zur Emissionsreduktion erreicht werden könnten.

Es ist wichtig zu betonen, dass es dabei explizit nicht um Vorhersagen einer mit großer Sicherheit eintreffenden Zukunft im Sinne einer Wettervorhersage geht. Ihre Ergebnisse ermöglichen es vielmehr, basierend auf bestimmten Annahmen, mögliche Szenarien zu identifizieren und zu diskutieren. Sie treffen also Aussagen über mögliche Klimazukünfte, die auf bestimmten Wenn-Dann-Annahmen beruhen.

Die klimawissenschaftliche Forschung führt über die Zeit zu immer neuen Erkenntnissen und damit zu fortlaufender Korrektur und Erweiterung der Klimamodelle. Diese lassen sich an zwei Beispielen illustrieren, die an der Schnittstelle von Politik und Wissenschaft zuletzt viel Aufmerksamkeit erregten: das Konzept des CO2-Budgets sowie Maßnahmen zur CO2-Entnahme.

Das Konzept des COc-Budgets

Das CO2-Budget meint die verbleibende Menge an CO2, die noch ausgestoßen werden kann, bevor bestimmte Klimaziele verfehlt werden. Sie ergibt sich aus den bereits ausgestoßenen Emissionen und den jeweiligen Obergrenzen für einzelne Klimaziele. Das Konzept spielt in der Klimawissenschaft seit den späten 2000er-Jahren eine prominente Rolle und wird seitdem immer häufiger als Ausgangspunkt klimapolitischer Zielvorgaben und Instrumente diskutiert.

Die wissenschaftliche Debatte über das CO2-Budget entstand, um zwischen Klimawissenschaft und -politik vermitteln zu können und ist ein anschauliches Beispiel für die vielfältigen Interaktionen zwischen Wissenschaft und Politik. Häufig wird der Budget-Ansatz genutzt, um die Dringlichkeit ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen aus der wissenschaftlichen Forschung in politische Debatten und Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozesse zu übersetzen.

So erfährt der Budget-Ansatz insbesondere seit dem Abkommen von Paris stetig wachsende Aufmerksamkeit und Beliebtheit, indem etwa immer mehr nationale Klimaschutzgesetze auf ihn zurückgreifen. Doch es gibt auch grundlegende Herausforderungen, die in der Wissenschaft diskutiert werden und auch die Gesetzgebung vor Probleme stellt. Sie liegen unter anderem in der Methodik zur Berechnung des globalen Budgets, aber auch in der gerechten Aufteilung des globalen Budgets auf einzelne Staaten, die auf internationaler, zwischenstaatlicher Ebene umstritten ist.

Diskussion um die Möglichkeiten der CO2-Entnahme

Seit dem Abkommen von Paris wird in Wissenschaft und Politik außerdem ein spezifischer Baustein der IAM-Modelle viel diskutiert: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen in ihren Annahmen davon aus, dass zusätzliches CO2 langfristig aus der Atmosphäre entnommen werden kann und tatsächlich auch in großen Mengen entnommen werden muss, wenn die Klimaziele des Pariser Abkommens eingehalten werden sollen. Schon jetzt entziehen beispielsweise Ozeane oder Wälder der Atmosphäre auf natürliche Weise große Mengen CO2.

Würde man diese Mechanismen ausweiten und die Menge des absorbierten CO2 – sei es durch natürliche oder technische Maßnahmen – deutlich erhöhen, könnten nur schwer zu eliminierende Emissionen hiermit ausgeglichen und somit Netto-Null-Emissionen erreicht werden. Viele Modelle gehen zusätzlich davon aus, dass in Zukunft Netto-Negativ-Emissionen erreicht werden müssten, das heißt, es müsste der Atmosphäre mehr CO2 entnommen werden, als in sie ausgestoßen wird.

In welchem Ausmaß CO2-Entnahmen in Zukunft benötigt werden, ist in der Wissenschaft zurzeit noch umstritten. Klar ist aber, dass die Menge maßgeblich von der Klimapolitik der kommenden Jahre abhängt. Je langsamer CO2-Emissionen reduziert werden, desto mehr CO2-muss in der Zukunft aus der Atmosphäre entnommen werden.

Zukunftsbilder im IPCC

Der IPCC wertet in seinen Berichten eine Vielzahl von Modellen und Szenarien aus und bündelt die Ergebnisse in sogenannten illustrativen Modellpfaden. Für den 1.5°C-Sonderbericht des IPCC wurden beispielsweise 90 Szenarien ausgewertet, die mit der Begrenzung der globalen Erwärmung um 1,5°C vereinbar sind. Daraus wurden vier unterschiedliche illustrative Modellpfade erarbeitet, um unterschiedliche Zukunftsbilder auszuleuchten.

Mit der Auffächerung unterschiedlicher Pfade zielt der IPCC darauf ab, eine Bandbreite möglicher Entwicklungen abzubilden und damit seiner politischen Unabhängigkeit gerecht zu werden. Zwar grenzen auch die wissenschaftlichen Modelle den Lösungsraum ein, indem sie bestimmte Entwicklungen als mit dem 1,5°C-Ziel unvereinbar ausschließen und andere als zwingend notwendig erachten. Doch eine konkrete Handlungsanleitung bzw. Empfehlungen für die politische Entscheidungsebene oder für die breite Bevölkerung, die Verbraucherinnen und Verbraucher, formuliert der IPCC damit nicht.

So zeigen die für den 1.5°C Sonderbericht ausgewerteten Modelle beispielsweise klar, dass weltweit bis 2050 Netto-Null-CO2-Emissionen erreicht werden müssen. Welches Land bis dahin wie schnell Emissionen reduziert oder in welchen Wirtschaftssektoren das vorrangig zu erfolgen hat, sind jedoch politische Aushandlungsprozesse, die diese Modelle nicht vorwegnehmen können.

Die für den IPCC ausgewerteten Modelle bemühen sich zunehmend, gesellschaftliche Dynamiken stärker zu berücksichtigen, indem sie beispielsweise sozialwissenschaftliche Forschungen über Transformationsprozesse mit einbeziehen. So wird versucht, Innovationsdynamiken, Pfadabhängigkeiten, die politische Machbarkeit einzelner Maßnahmen und auch plötzlich auftretende, sprunghafte gesellschaftliche Veränderungen(=disruptive Transformation) stärker zu berücksichtigen. Wichtig bleibt trotz dieser Erweiterung: Die bevorstehenden politischen Konflikte können damit beschrieben und analysiert, die nötigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse aber nicht in die Modelle verlagert werden.

Der Blick auf die Zukunftsbilder im IPCC veranschaulicht wichtige Dynamiken zwischen Klimawissenschaft und -politik, die zu einem politisch und gesellschaftlich relevanten Schluss führen: Der Übergang hin zu einer Netto-Null-Emissionen-Gesellschaft kommt nicht ohne politische und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und demokratische Entscheidungen aus. Die Berichte des IPCC und die Klimawissenschaft insgesamt begleiten diese Prozesse, doch mehr wissenschaftliches Wissen allein wird die bevorstehenden politischen Konflikte nicht lösen können.

Neue Impulse für das Verhältnis von Wissenschaft und Politik

Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik bekommt seit der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 neue Aufmerksamkeit, sowohl durch das Abkommen selbst, das sich mehrmals auf die "besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse" beruft und den IPCC zu einem Sonderbericht über 1,5°C Globale Erderwärmung mobilisierte, als auch durch die jüngsten politischen Entwicklungen.

Karikatur: "Eine Schülerin aus Schweden möchte Sie sprechen..." (© Gerhard Mester)

In 2017, noch vor den großen Klimaprotesten von Fridays for Future, fanden unter anderem in Deutschland und den USA zahlreiche "Märsche für die Wissenschaft" statt. Sie galten als Reaktion auf sogenannte alternative Fakten, den befürchteten Bedeutungsverlust wissenschaftlicher Expertise sowie auf konkrete politische Entscheidungen, Forschungsgelder zu kürzen. Die Klimawissenschaft war dabei ein zentrales Thema der Proteste.

Ab 2018 mobilisierten Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future zu wöchentlichen Demonstrationen. Die Bewegung war von den Schulstreiks der schwedischen Schülerin Greta Thunberg inspiriert worden. Sie hatte im August 2018 zunächst alleine begonnen, jeden Freitag für Klimaschutz zu streiken. Weltweit schlossen sich nach und nach immer mehr Schülerinnen und Schüler sowie Studierende an. Ihren Höhepunkt erreichten die Proteste im September 2019 als nach Angaben von Fridays für Future über 1,4 Millionen Menschen weltweit demonstrierten. Eine ihrer Kernbotschaften war und ist der Aufruf, sich hinter der Wissenschaft zu versammeln ("unite behind the science").

QuellentextKlimaprotest in Afrika

[…] Herbst [2019] am Rande einer Staubpiste in Bamako: Fousseny Traoré reckt ein selbstgemaltes Schild in die Höhe. Man muss nahe herangehen, um die dünne Handschrift zu entziffern: "Handelt endlich, sonst nehmen wir Jungen das auf unsere Weise in die Hand!"

Ein paar Dutzend Schüler und Studenten in Warnwesten begleiten ihn, drängen sich zwischen überladenen Kleinbussen, Mofa-Trauben und Lastenträgern. "Unsere Generation. Unser Planet. Unsere Zukunft!", ruft Traoré in sein Megafon. Und: "Stoppt den Klimawandel jetzt." Parolen also, die an diesem Tag auch viele Millionen Menschen so oder so ähnlich in München, Paris oder Sydney skandieren, wo Rundfunk, Fernsehen und Zeitungsreporter breit über den globalen Klimastreit der Aktivisten von "Fridays for Future" berichten.

Während in westlichen Großstädten allerdings Soundanlage, Bühne und Ordner selbstverständlicher Teil eines solchen Medienereignisses sind, müssen sich Traoré und seine Mitstreiter mühsam gegen das tägliche Hupkonzert, die Konkurrenz der Marktschreier und Wasserverkäufer durchsetzen. Keine Popband greift ihnen unter die Arme. Ja nicht einmal Flyer oder Aufkleber haben sie zu verteilen. Nur der Wille, endlich etwas zu verändern, treibt die jungen Malier an.

Wer allerdings westliche Medien verfolgt, erfährt kaum etwas von den Fousseny Traorés dieser Welt. Die Berichterstattung über die globalen Klimastreiks zeigt fast ausschließlich weiße Gesichter. Fast könnte man glauben, der Klimaschutz sei ein Anliegen des privilegierten Bürgertums im Westen. Wo aber bleibt Afrika? Wo die Sahelzone, deren Länder zwar für nur 0,25 Prozent der weltweiten Treibhausemissionen verantwortlich sind, deren Bewohner aber jetzt schon am meisten unter dem Klimawandel leiden?

Schnell entsteht der Eindruck, der Westen müsse mehr oder weniger im Alleingang die Welt retten – während Afrikanern die "Fridays for Future"-Parolen egal seien. "Viele Leute haben schon Probleme genug, sie sind einfach entnervt", sagt Traoré in einem Café in Bamakos Stadtteil Hippodrome […]. Immerhin kennt er den Verdacht mancher Landsleute, er und seine Umweltschützer-Kollegen würden das Geschäft der Westler betreiben: "Sie sagen: Wir haben eine schlechte Gesundheitsversorgung, die Schulen funktionieren nicht, im Norden herrscht Krieg – und dann kommt ihr noch mit der Klimakrise! Überlassen wir das doch den Europäern!"

Traoré ist 26 Jahre alt, hat mal Apotheker gelernt und muss sich wie die meisten Malier seiner Generation mit kleinen Jobs über Wasser halten. Die Umwelt- und Klimaschutzinitiative "Ensemble pour le Climat Bamako" hat er vor drei Jahren gegründet. Weil er die Menschen leiden sah, aber kaum jemand über die Zusammenhänge Bescheid wusste. "Ich bin bei meinem Onkel, einem Bauern und Lehrer, in einem Dorf in der Nähe der Hauptstadt aufgewachsen. Und ich habe dort gesehen, wie sich die Umwelt verändert, wie es auf den Feldern jedes Jahr trockener wird." 2010 hätten sie noch 100 Säcke mit Hirse geerntet. 2012 seien es nicht mal 70 gewesen. "Gleichzeitig sehe ich, wie unsere Landwirtschaft die Böden zerstört. Es fehlt an Informationen über nachhaltige Anbaumethoden."

[…] Traoré arbeitet von seinem Schlafzimmer aus, sein Laptop ist die einzige Verbindung zur großen Welt da draußen und all den Klimaaktivisten aus Frankreich, Amerika, Deutschland, mit denen er – notfalls per Google Translator – Kontakt aufnimmt. Eine französische Umweltgruppe hat ein Interview mit ihm online gestellt. Eine australische Umweltwissenschaftlerin sich auf Facebook für seine Arbeit begeistert. Dauerhaftere Partnerschaften aber haben sich bisher nicht ergeben.
Traoré und seine Mitstreiter sind denn auch hin- und hergerissen: Zwischen dem Wunsch, Teil einer weltweiten Bewegung zu sein, und dem Gefühl, am Rande zu stehen. So wie die ugandische Klimaschutzaktivistin Vanessa Nakate beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Ein Fotograf der Agentur Associated Press hatte aus einem Gruppenbild von Greta Thunberg und ihren jugendlichen Mitstreitern aus aller Welt ausgerechnet das einzige schwarze Gesicht herausgeschnitten.

Klimaaktivisten aus Afrika haben es doppelt schwer: Sowohl im Ausland als auch daheim kämpfen sie oft vergeblich um Sichtbarkeit. Umso bewegender ist es zu sehen, mit welcher Unermüdlichkeit und trotziger Hoffnung das Grüppchen Klima-Aktivisten um Traoré agiert. An jedem der weltweiten Klimastreik-Freitage stehen sie an einer Straßenkreuzung in Bamako: "Stoppt die Umweltzerstörung durch die Minenkonzerne", haben sie mit Filzmarker auf eine der Wellpappen geschrieben. "Fridays for Future Mali" auf eine andere. Oder auch einfach: "Merci Greta!"

In der afrikanischen Metropole voll von Gerüchen, Farben und Lärm kann man die Demonstranten leicht übersehen. Und dennoch: Traoré und seine Mitstreiter – es sind zur Hälfte Frauen – haben am Ende einige der Umstehenden überzeugt. Im persönlichen Gespräch. Der einzigen Methode, die den mittellosen Aktivisten zur Verfügung steht. "Bei jeder Demonstration", sagt der "Ensemble pour le Climat"-Präsident, "gewinnen wir in der Regel ein paar Dutzend neue Mitglieder".

Das ist an sich schon ein Erfolg. Denn nicht einmal die örtlichen Radio- und Fernsehsender berichten über "Ensemble pour le Climat". Was wohl nicht nur daran liegt, dass die zwei Hundertschaften an "Fridays for Future"-Aktivisten in Bamako rein zahlenmäßig nicht mit ihren westlichen Pendants konkurrieren können. Sondern auch an der Ignoranz der Politik: "Wir können von unserem Umweltministerium keine Unterstützung erwarten. Es bleibt privaten Initiativen überlassen, etwas zu bewegen." […]

Jonathan Fischer, "Klimakampf der Unsichtbaren", in: Süddeutsche Zeitung vom 12. August 2020

QuellentextKlimaprotest in China

[…] Fridays for Future, das sind Millionen von Schülerinnen und Studenten in mehr als 120 Ländern. Fridays for Future in China besteht eigentlich nur aus der 18-jährigen Ou Hongyi. Ihr Nachbar und einige Dutzend andere im Land streiken gelegentlich mit, die meisten waren aber nicht öfter als einen Tag lang dabei. […]

Zum globalen Klimastreiktag am 26. September [2020] kamen in einer Fußgängerzone in Shanghai kürzlich mehr Journalisten als Aktivisten zusammen. Hongyi hatte per Video in den sozialen Medien junge Chinesen aufgerufen, sich ihrem Protest anzuschließen. In dem Video kam auch Luisa Neubauer zu Wort, die Grüße aus Deutschland schickte. Am Ende waren nur etwa zehn Leute da.

Der Protest endete nach einer Stunde auf der Polizeistation: Die Beamten kassierten die Plakate ein, verhörten Hongyi […] und nach vier Stunden ließ man sie gehen. Auf das in solchen Fällen übliche Strafverfahren wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" wurde verzichtet. Hongyi war zu dem Zeitpunkt noch 17, darum beließen die Beamten es bei einer telefonischen Warnung an die Eltern: ob es nicht "unsicher" sei, wenn die minderjährige Tochter sich in der Fremde mit Internetbekanntschaften treffe?

[…] [I]m Mai 2019, hatte Hongyi zum ersten Mal fürs Klima den Unterricht geschwänzt. Sieben Tage demonstrierte sie vor den Toren der Provinzregierung. Die Fotos auf ihrem Twitter-Account wurden weltweit geteilt. Greta Thunberg nannte sie "eine Heldin". Der Direktor ihrer Schule stellte ihr kurz darauf ein Ultimatum: Entweder sie lasse ihren Klimastreik sein, oder sie müsse von der Schule gehen. Hongyi entschied sich für den Streik. In den 81 Wochen seither suchten Polizisten immer wieder ihre Eltern auf. Einmal fiel das Internet zu Hause tagelang aus. Hongyi vermutet dahinter den Staat. Inzwischen ist ihr Konto bei Weibo gesperrt, dem wichtigsten sozialen Netzwerk Chinas.

Man könnte denken, dass Hongyis Kampf für das Klima in China große Zustimmung finden müsste – geriert sich doch selbst die Regierung seit Neuestem als Klimaretter. Staatschef Xi hat angekündigt, die Volksrepublik bis 2060 klimaneutral zu machen. Erreicht China dieses Ziel, bleiben der Erde 0,2 bis 0,3 Grad Erwärmung erspart. Das wäre ein Zehntel der drei Grad, auf die die Welt derzeit zusteuert. So viel Gewicht hätte kein Beitrag eines anderen Landes auf der Welt. Überall treibt China grüne Leuchtturmprojekte voran: Die südliche Insel Hainan will bis 2030 Verbrennungsmotoren verbieten. 60 Prozent aller öffentlichen Busse im Land fahren mit Strom. Bis in die entlegensten Winkel lassen Provinzkader der regierenden KP Solarfarmen, Windparks und Biogasanlagen bauen. China ist heute der weltgrößte Produzent von Wind- und Solarkraftanlagen.

Das ist der eine Teil der Geschichte, den die Partei oft und gerne erzählt.
Über den anderen Teil der Wahrheit, der Ou Hongyi in Panik versetzt, spricht das offizielle China weniger gern: Denn um seine Emissionen bis 2060 auf netto null zu bringen, müsste das Land sofort mit den Einsparungen anfangen. Nicht erst 2030, wie in den Plänen von Staatschef Xi. China müsste den Neubau von Kohlekraftwerken sofort stoppen. Tatsächlich aber schießen sie aus dem Boden. […]

Ou Hongyi glaubt, dass in China der Wandel nur von unten kommen kann. Diese Haltung teilen wenige im Land. "Das ist doch bloß wieder eine, die am Ende nur alles für ein Studium an einer Elite-Universität in Amerika tut", lautet noch einer der freundlicheren Kommentare über sie, die man auf Weibo finden kann. Nach vier Jahrzehnten des Booms haben sich viele Chinesen bequem in ihrer Ohnmacht eingerichtet. Der Fatalismus hat auf Mandarin drei Silben: Méibànfã, sinngemäß: "Man kann eh nichts machen." Eine Schülerin wie Hongyi, die das Gegenteil behauptet, muss eine Geisteskranke oder eine Heuchlerin sein.

Hinzu kommt: Verzicht zu predigen ist unpopulär in einem Land, in dem Hunderte Millionen Menschen weiterhin nichts zum Verzichten haben. China ist zwar Emissionsweltmeister, doch ein Viertel seines CO2-Ausstoßes entfällt auf die Herstellung von Exportprodukten. Nur jede oder jeder Fünfte im Land besitzt ein Auto, genauso wenige Chinesen sind je ins Ausland gereist.
Die Aussicht auf ein Immer-mehr an Wohlstand, bis man eines Tages den Westen eingeholt und überholt hat, versöhnt die Mehrheit der Bürger mit dem autoritären Regime. Eine Schulabbrecherin, die den Bürgern sagt, sie sollen lieber wieder nur Gemüse essen wie zu Zeiten der Kulturrevolution, die predigt, man solle die Audis stehen lassen und die neuen Designer-Flughäfen meiden, kommt nicht gut an. […]

In der Schule, wird ihre Mutter später erzählen, trieb Hongyi mit ihrer Hartnäckigkeit nicht nur Klassenkameraden, sondern auch die Lehrer in den Wahnsinn. Sie sei immer eine der Klassenbesten gewesen. […] Als ich mit Hongyi entlang der Flusspromenade Guilins spazieren gehe, […] hebt sie nebenbei Zigarettenstummel und To-go-Becher vom Boden auf, die sie in einem Jutebeutel sammelt. Nachdem wir das Backpacker-Hostel erreichen, in dem Hongyi regelmäßig Filmabende zum Thema Klima veranstaltet, geht sie die sieben Stockwerke zu Fuß (ich nehme den Aufzug). Eigentlich sei sie gegen touristische Betriebe jeder Art, sagt Hongyi, als sie verschwitzt in der Lobby ankommt. In der Hotellerie werde ständig renoviert, dazu komme der Müll. […]

Mit Greta Thunberg ist Hongyi über Twitter in Kontakt. Wenn sie über die berühmte Schwedin spricht, wirkt sie allerdings etwas enttäuscht. Hongyi hofft auf Mentoring und Tipps, Greta schicke aber vor allem Motivationsbotschaften.
Die Frage, wie sie Fridays vor Future China aus einer Ich-AG in eine Massenbewegung verwandeln kann, raubt Hongyi jede Nacht den Schlaf. Nicht nur ihr. Bald werde man andere Seiten aufziehen, wenn die Tochter so weitermache, deuteten die Behörden gegenüber den Eltern an. Weil sie so wenig Erfolg hat, zeigte die Staatssicherheit bislang wenig Interesse an ihr. Doch das könnte sich bald ändern.

Ihre Minderjährigkeit schützt sie nicht mehr, […] [am 11. Dezember 2020] feierte Hongyi ihren 18. Geburtstag. Ob sie keine Angst vor dem Gefängnis habe? Ihre Antwort jagt den Eltern Angst und Schrecken ein. "Festgenommen zu werden ist ehrenvoll" sagt Hongyi feierlich. "Mit jeder Strafe entblößt das autoritäre System seine ganze Härte." Sie fährt fort mit einem Zitat von Martin Luther King: "Ich wäre der Erste, der es befürwortet, gerechten Gesetzen zu gehorchen." Ungerechte Gesetze gelte es zu missachten. […]

Xifan Yang, "Die chinesische Greta", in: DIE ZEIT Nr. 53 vom 17. Dezember 2020

Im deutschsprachigen Raum bekam die Bewegung auch Unterstützung aus der Wissenschaft – über 26.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unterzeichneten die Stellungnahme der Scientists for Future. Dass die Unterzeichnenden damit politische Forderungen erhoben und eng an die Fridays for Future-Bewegung heranrückten, wurde vielerorts begrüßt, war aber nicht nur unumstritten. Teilweise wurde kritisiert, dass die Grenzen zwischen unabhängiger Wissenschaft und politischer Positionierung zu verschwimmen schienen.

Die Scientists for Future sind damit ein wichtiges Beispiel für die Spannungen, die zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik gehören, und veranschaulichen dessen Ambivalenz: Einerseits ist wissenschaftliche Expertise eine wichtige Ressource für politische Forderungen nach ambitionierterer Klimapolitik. Andererseits besteht bei zu enger Verflechtung das Risiko, dass die Wissenschaft sich politisiert und damit Gefahr läuft, langfristig an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Felix Schenuit, M. A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Sustainable Society Research der Universität Hamburg und forscht im Rahmen des DFG-Exzellenzclusters "Climate, Climate Change, and Society" (CLICCS).