Überlebende in den DP-Camps
Noch bevor das NS-Regime am 8. Mai 1945 endgültig besiegt war, hatte sich am 11. April 1945 in dem von den Alliierten befreiten Köln wieder eine jüdische Gemeinde zusammengefunden. Gleiches geschah in anderen Großstädten nach dem Ende der NS-Diktatur. Diese anfänglichen Gemeinden bildeten sich aus den circa 12000 jüdischen Partnern der "Mischehen", ungefähr 8000 deutschen Juden, die den Konzentrationslagern entkommen waren, maximal 3000 jüdischen Männern und Frauen, die im Untergrund überlebt hatten, sowie einigen Hundert Rückkehrern aus dem Exil. Hinzu kamen als eine besondere Gruppe die jüdischen Displaced Persons (DPs).
DPs nannte die UNO die rund 13,5 Millionen Menschen, die vom NS-Regime als Arbeitssklaven, "Hilfswillige" oder als KZ-Häftlinge aus ihrer Heimat verschleppt worden waren und nach Kriegsende in Europa nicht dorthin zurückkehren konnten oder wollten. Unter ihnen befanden sich etwa 50000 jüdische Überlebende der Konzentrationslager. Sie lebten zumeist in eigenen DP-Camps, um nicht mit ihren ehemaligen KZ-Peinigern zusammenzutreffen, von denen einige sich ebenfalls unter den DPs befanden. In die jüdischen DP-Camps, die vorwiegend in der amerikanischen Besatzungszone in Süddeutschland eingerichtet wurden, kamen auch jüdische Überlebende, die vor den antisemitischen Aktionen in osteuropäischen Ländern nach 1945 in den Westen geflohen waren. Auf diese Weise stieg die Zahl der in diesen Camps Lebenden bis zum Oktober 1946 auf circa 141000 Menschen. Sie wollten jedoch zumeist nicht in Deutschland bleiben, sondern versuchten, in die USA oder nach Palästina bzw. Israel auszuwandern.
Selbstorganisation jüdischer Komitees
Obgleich das Leben in einem Camp nicht dazu angetan war, die psychischen Folgen der Konzentrationslagerhaft möglichst rasch zu überwinden, zeugen die kulturellen und sozialen Aktivitäten in den DP-Camps von einem außerordentlichen Optimismus. Es entstanden Sportvereine, Volkshochschulen und Schulen, Zeitungen, Theater- und Gesangsgruppen. Mehrere jüdische Religionsschulen (Jeschiwen) wurden gegründet und Oberrabbinate eingerichtet. Es war eine autonome Kultur, die auf der jiddischen Sprache basierte und kaum etwas mit der deutsch-jüdischen Kultur vor 1933 zu tun hatte. Vom Vertrauen in die Zukunft des jüdischen Volkes zeugt vor allem die hohe Geburtenrate in den DP-Camps. Die aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Komitees nahmen die Selbstverwaltung in die Hand. Im Juni 1945 bildete sich ein "Vereinigter zionistischer Verband", und am 1. Juli 1945 konstituierte sich ein Zentralkomitee der befreiten Juden in der amerikanischen Besatzungszone.
In Erwartung der Auswanderung nach Palästina/Israel entstanden Hachschara-Kibbuzim. In diesen Ausbildungslagern, die von 1945 bis 1948 existierten und von denen es allein in Bayern über 30 gab, wurden die Überlebenden auf ihr Leben in Palästina vorbereitet. Am bekanntesten war der "Kibbuz auf dem Streicher-Hof". Vor 1945 hatte der Hof, auf dem 150 Überlebende ausgebildet wurden, dem NS-Gauleiter von Franken, Julius Streicher, gehört; er hatte den "Stürmer", eines der übelsten antisemitischen Blätter, herausgegeben. Für die Hachschara-Kibbuzim gab es eine eigene Zeitung in jiddischer Sprache: "Landwirtszaftlicher Wegwajzer".
Die meisten jüdischen DPs (1947 rund 118000 von 133000) wollten nicht in Deutschland bleiben, sondern wünschten die Auswanderung nach Palästina und die Gründung eines eigenen jüdischen Staates. Doch die antijüdische Palästinapolitik Großbritanniens verhinderte zunächst eine Realisierung dieses Vorhabens. Erst die Gründung des Staates Israel im Mai 1948 brachte das Ende des Lagerlebens. Von April bis Oktober 1949 ging die Zahl der jüdischen DPs von 165000 auf 30000 zurück; 1952 waren es noch 12000. 1957 wurde mit Föhrenwald, heute ein Stadtteil von Wolfratshausen in Oberbayern, das letzte DP-Lager geschlossen. Die in der Bundesrepublik Deutschland verbliebenen 12000 bis 15000 DPs, die weitgehend aus osteuropäischen Ländern stammten, und eine ebenso große Zahl deutscher Juden, die die Shoah überlebt hatten, bildeten die Keimzelle für die wieder entstehenden jüdischen Gemeinden in Deutschland.
Anfänge in der jungen Bundesrepublik
Auch wenn die Überlebenden der ehemaligen deutsch-jüdischen Gemeinden in den neuen Gemeinden den Ton angaben, kann von einer Kontinuität mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland vor 1941 nicht die Rede sein. Man verzichtete in den Folgejahren bewusst darauf, den Kindern deutsch-jüdische Geschichte zu vermitteln. Stattdessen boten ihnen die Gemeinden mit der Israelkunde eine neue Identität an. Auch an die einst in Deutschland vorherrschende liberale Gottesdienst-Tradition knüpften die neuen Gemeinden nicht an, sondern verstanden sich als Einheitsgemeinde, deren Kultus auch von den Orthodoxen akzeptiert werden konnte, zu denen die meisten aus Osteuropa und den DP-Camps kommenden Juden gehörten. Zerstörte Synagogen wurden restauriert, neue errichtet. 1959 zählte man 80 Gemeinden mit 21500 Mitgliedern in Deutschland. Allerdings gab es nur wenige Rabbiner, nachdem die Jeschiwen mit Auflösung der DP-Camps nach Israel verlegt worden waren. Leo Baeck (1873-1956), Rabbiner und letzter großer Repräsentant des deutschen Judentums, setzte sich dafür ein, dass für die "Scherit Hapleta", die "letzten Entronnenen", wie nach einem Jesaja-Wort die verbliebenen Juden bezeichnet wurden, auch geistlich gesorgt wurde. Auf seine Initiative hin gingen einige Rabbiner wieder nach Deutschland. Die meisten kehrten allerdings nach ein- oder zweijähriger Amtszeit wieder in ihre Gemeinden im Ausland zurück. Das Wissen um die jüdische Tradition war daher in den jüdischen Gemeinden in Deutschland bis in die 1960er Jahre eher gering.
Die Existenz jüdischer Gemeinden in dem "Land der Mörder" blieb von jüdischer Seite nicht unangefochten. Nachdem 1948 der Staat Israel gegründet worden war, gelang es den Juden in Deutschland nur schwer, die Anerkennung internationaler jüdischer Organisationen zu finden. Da diese mehrheitlich die Idee des Zionismus vertraten, versuchten sie, die Juden in Deutschland zu isolieren. Nie wieder, so hatte der Jüdische Weltkongress schon im Juli 1948 gefordert, sollten sich Juden "auf dem blutgetränkten deutschen Boden ansiedeln". Die Jewish Agency, eine Organisation, die die Interessen der in Palästina/Israel lebenden Juden vertrat, forderte im August 1950 sogar in einem Ultimatum, alle Juden in Deutschland sollten innerhalb von sechs Wochen ihre Koffer packen. Die Ressentiments gegen die in Deutschland lebenden Juden blieben auch in den folgenden Jahrzehnten erhalten und verstärkten vor allem unter den Gemeindemitgliedern aus den ehemaligen DP-Camps die Schuldgefühle.
Innerhalb der Gemeinden blieb die Uneinheitlichkeit der verschiedenen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Kulturmustern ein Problem. Die neuen Gemeinden waren vielfach als "Interessengemeinschaft von Geschädigten" entstanden; die meisten Überlebenden der deutschen Restgruppe, die in "privilegierter Mischehe" überlebt hatten, standen dem Judentum innerlich fern. Ehepartner und Kinder waren häufig christlich getauft, sollten aber mit in das Gemeindeleben integriert werden. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Zahl der Ehen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Partnern in der Zeit von 1951 bis 1958 deutlich zunahm - auf 100 jüdische Ehen kamen fast 300 "Mischehen". Erst mit dem Heranwachsen der nach 1945 in Deutschland geborenen jüdischen Kinder änderte sich das Heiratsverhalten. Diese neue Generation stammte fast ausschließlich aus ehemaligen DP-Familien, verstärkt durch die Kinder der Rückwandererfamilien, die ebenfalls stärker in der jüdischen Tradition verankert waren.
Fortleben des Antisemitismus
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Das Umfeld, in dem diese Gemeinden sich bildeten, war trotz des allgemeinen Entsetzens über die Gräuel, die die Nationalsozialisten in den KZ verübt hatten, keineswegs sehr judenfreundlich. Wenn auch die führenden Politiker sich gegen jede Art von Antisemitismus aussprachen, machten viele der aus den Konzentrationslagern in ihre Heimat zurückkehrenden Juden die Erfahrung, dass die Judenfeindschaft unter ihren nicht-jüdischen Mitbürgern ungebrochen war. Die nationalsozialistische Propaganda und Erziehung wirkten fort. Ungefähr 30 bis 40 Prozent der Deutschen waren immer noch extrem judenfeindlich eingestellt. Das schlechte Gewissen, das viele aufgrund ihres Verhaltens gegenüber ihren ehemaligen jüdischen Mitbürgern empfanden, kompensierten sie mit der Aufrechnung des eigenen Schicksals. Die hartnäckig tradierten antijüdischen Stereotype wurden trotz des durch Deutsche verübten millionenfachen Mordes an Juden keineswegs korrigiert.
Das Wiederhervortreten ehemaliger Nazis in Politik, Kultur und Wirtschaft sowie die Debatte um die Wiedergutmachungszahlungen von deutscher Seite führten periodisch zu antisemitischen Bekundungen, sei es in Form von aggressiven Leserbriefen oder aber als Beifallsbekundungen, wenn ehemalige nationalsozialistische Kulturgrößen wie Veit Harlan vom Vorwurf der Unterstützung des NS-Regimes freigesprochen wurden. Die Schändungen jüdischer Friedhöfe rissen nicht ab: zwischen 1945 und 1950 betrafen sie fast 200 von den vorhandenen 400 jüdischen Friedhöfen. Verbale und tätliche Angriffe richteten sich auch gegen die DPs, deren Schwarzmarktaktivitäten mit entsprechenden antisemitischen Stereotypen verurteilt wurden. Teilnehmer von Demonstrationszügen gegen antisemitische Vorfälle wurden tätlich angegriffen. Einige Betrugsfälle in Wiedergutmachungsverfahren durch führende jüdische Persönlichkeiten (Philipp Auerbach 1952, Werner Nachmann 1988) wurden in der Presse mit einer gewissen Schadenfreude und der Tendenz kommentiert, die Opfer als Täter zu verunglimpfen.
Viele, die überlebt hatten oder aus dem Exil zurückgekehrt waren, empfanden sich deshalb als "Fremde im eigenen Land". Dennoch leisteten sie ihren Beitrag zum Wiederaufbau Deutschlands auf geistigem und kulturellem Gebiet und vermittelten Maßstäbe für die politisch-demokratische Kultur der jungen Bundesrepublik Deutschland. Unter den Rückkehrern und den aus den Konzentrationslagern Befreiten, die sich in der Tradition der deutschen Kultur verstanden, waren Schauspieler wie Ernst Deutsch und Fritz Kortner oder die Schauspielerin Ida Ehre, Wissenschaftler wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Politiker wie Herbert Weichmann, Werner Jacobi oder Jeanette Wolff.
Symbolpolitik und Rückschläge
Trotz gelegentlicher antisemitischer Entgleisungen führender Politiker und der Wiedereinstellung ehemaliger NSDAP-Funktionäre in den öffentlichen Dienst betrieb die Bundesregierung gegenüber den jüdischen Repräsentanten eine "symbolische Politik", wie es die Historikerin Monika Richarz nennt. Ein positives Verhältnis zu den Juden sollte der Testfall der jungen Demokratie sein. In seiner ersten Regierungserklärung am 20. September 1949 verurteilte Bundeskanzler Konrad Adenauer die "anscheinend hervorgetretenen antisemitischen Bestrebungen [...] aufs schärfste", äußerte aber für die Regierung keinerlei Schulderklärung. Erst in seiner Regierungserklärung zum Abkommen mit Israel über eine Wiedergutmachung vom 27. September 1951 akzeptierte er teilweise eine historische Verantwortung. Der erste Bundespräsident der Republik, Theodor Heuss, der durch die Shoah keineswegs ein Ende der deutsch-jüdischen Geschichte gekommen sah, lehnte zwar eine pauschale Kollektivschuld ab, sprach aber von der "Kollektivscham", die alle Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk empfänden. Für Adenauer war die Wiedergutmachungsfrage wohl ein primär politischer Akt, von dem er sich eine Rehabilitierung Deutschlands in den Augen der westlichen Öffentlichkeit versprach. Die Ratifizierung des Luxemburger Abkommens vom September 1952, das den Rahmen für Wiedergutmachungszahlungen regelte, kam im Deutschen Bundestag im März 1953 nur mit Hilfe der nicht zur Regierung gehörenden SPD zustande, da in Adenauers eigener Partei, der CDU, der Widerstand gegen eine Regelung sehr groß war.
Das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre, die allmähliche Westintegration, aber wohl auch die offiziell propagierte antikommunistische Ideologie, durch die ein neues Feindbild geschaffen wurde, führten schließlich zu einem allmählichen Rückgang antijüdischer Einstellungen, wenn auch bei Umfragen immer noch über 20 Prozent der Befragten angaben, dass es besser für Deutschland sei, keine Juden im Land zu haben. Antisemitische Äußerungen von Lehrern und Richtern zeigten, dass auch im öffentlichen Dienst derartige Gesinnungen präsent waren.
Als sich Ende der 1950er Jahre erneut Hakenkreuzschmierereien und Friedhofsschändungen häuften und die Schändung der wiedererrichteten Kölner Synagoge 1959 Aufsehen erregte, sahen sich die Bundesregierung und die Länder zum Handeln veranlasst. Die Kritik am mangelhaften Geschichtsunterricht führte zu zahlreichen Neuerungen durch die Kultusminister: Das Fach Gemeinschaftskunde wurde eingerichtet und in der Lehrerausbildung die Zeitgeschichte betont. Die Ereignisse von 1959/60 hatten jedoch auch eine stärkere Sensibilisierung der politischen Öffentlichkeit und des kulturellen Lebens gegen judenfeindliche Äußerungen zur Folge. Zahlreiche Theaterstücke der 1960er Jahre setzten sich mit dem Antisemitismus auseinander. In der politischen Kultur wurde nun der Anti-Antisemitismus zu einem wesentlichen Faktor. Zur Aufklärung antisemitischer Vorfälle trugen vor allem die Medien bei, die im Gegensatz zur Zeit der Weimarer Republik nun eindeutig gegen den Antisemitismus Stellung bezogen.
Die Kirchen hielten sich in dieser Angelegenheit zunächst sehr zurück und leisteten kaum etwas für die Aufarbeitung ihres eigenen Verhaltens im Hinblick auf die Verbrechen an den Juden im Dritten Reich. Neben den traditionellen tritt in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig ein neuer Antisemitismus, der von zahlreichen arabischen, aber auch türkisch-islamistischen Gruppen vertreten wird, die damit vorgeblich gegen die Politik Israels protestieren.
Zwischen Konsolidierung und Befremden
Sprecher der und Ansprechpartner für die jüdische Gemeinschaft ist in der deutschen Öffentlichkeit der 1950 gegründete "Zentralrat der Juden in Deutschland". Mit dieser Bezeichnung machte er deutlich, dass er alle in Deutschland lebenden Juden vertrat, die aus verschiedenen Ländern kamen; denn auch die nachwachsende Generation, deren Eltern meist aus den DP-Camps stammten, lehnte es entschieden ab, sich als deutsche Juden zu fühlen. Sie identifizierten sich vielmehr mit Israel, wohl auch aus dem schlechten Gewissen heraus, im "Land der Mörder" zu wohnen. Doch war nach der Einrichtung der Gemeinden, dem Bau von Synagogen und Gemeindehäusern sowie den regionalen und überregionalen Zusammenschlüssen an einen Weggang nicht mehr zu denken. Eine eigene Infrastruktur entwickelte sich allerdings nur allmählich. Selbst in Großgemeinden wie in Hamburg gab es keine koscheren Läden oder Lokale. Für die Beschneidung der Knaben nach ihrer Geburt musste der Mohel (Beschneider) aus dem Ausland kommen. Auch die feste Etablierung eines Gemeinderabbiners blieb über 50 Jahre ein Problem. 1979 gründete der Zentralrat die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, deren akademische Grade vom Staat anerkannt werden. Allerdings bildete die neue Hochschule keine Rabbiner aus, wie es viele gewünscht hatten, da sie nicht als Jüdisch-Theologische Hochschule etabliert worden war. Die hier ausgebildeten jüdischen Religionslehrer konnten in den neu gegründeten Schulen eingesetzt werden, so in dem neuen jüdischen Gymnasium Berlins.
Auch wenn es in der Bundesrepublik "keinen lebendigen jüdisch-religiösen Kern gibt", wie das Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main, Salomon Korn, 1991 feststellte, entwickelte sich in den Gemeinden eine "jüdische Kultur", die stark säkulare Züge trägt. Unterstützt wurde diese Tendenz durch das Interesse vieler Nicht-Juden an der, vielfach in Osteuropa geprägten, jüdischen Alltagskultur, mit der sich, wie bei der Klezmer-Musik, ein Hauch Exotik verbindet. Daneben gab und gibt es ein wissenschaftliches Interesse von Seiten der nicht-jüdischen Deutschen am Judentum, wie die Angebote der Universitäten zu jüdischen Themen und die Vielfalt der Sachbücher zeigen. Gleiches gilt für die jüdische Presselandschaft. Die "Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben", die vom Zentralrat herausgegeben wird, wendet sich nicht nur an jüdische Bürger. Um die Vielfalt jüdischer Meinungen zu publizieren, entstanden weitere jüdische Presseorgane wie die "Jüdische Zeitung. Unabhängige Monatszeitung für zeitgenössisches Judentum" sowie mehrere Journale mit Beiträgen zur jüdischen Gegenwart.
Aber auch eine entgegengesetzte Tendenz war in der Bundesrepublik der 1980er Jahren zu beobachten. Im so genannten Historiker-Streit 1986/87 plädierten namhafte deutsche Geschichtswissenschaftler dafür, die NS-Geschichte endlich als Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen. Die Singularität der Shoah wurde in Frage gestellt und durch einen Vergleich mit anderen Genoziden relativiert; die Mordtaten der Nationalsozialisten wurden heruntergespielt, indem sie als Reaktion auf die Mordtaten des sowjetischen Diktators Stalin interpretiert wurden. Diese Sichtweise vermochte das Geschichtsbild in Deutschland bzw. das kollektive Gedächtnis nicht zu bestimmen. Doch symbolische Gesten der Politik irritierten mitunter die Öffentlichkeit. So besuchte Bundeskanzler Helmut Kohl 1985 gemeinsam mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg, wo neben US-amerikanischen Soldaten und deutschen Wehrmachtsangehörigen auch Mitglieder der Waffen-SS begraben liegen.
"Leben im Ausnahmezustand"
Die Skepsis, ob es richtig sei, im Land der Mörder zu leben, blieb somit auch in der zweiten Generation lebendig. Deren Begeisterung für die linke Studentenbewegung der 1968er, die sich mit der NS-Vergangenheit ihrer Eltern kritisch auseinandersetzte, wurde ernüchtert, als hinter dem so genannten Antizionismus ein linker Antisemitismus zu Tage trat. Denn in den Kreisen der linken Studenten, die in den 1960er Jahren begeistert die israelischen Kibbuzim als eine freie und erfolgreiche sozialistische Lebensform begrüßt hatten, war nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und der israelischen Besetzung der eroberten Gebiete die Sympathie umgeschlagen zugunsten der gegen Israel gerichteten palästinensischen Befreiungsbewegung. An die Stelle der Begeisterung für Israel trat nun der Antizionismus.
Manche der jungen Juden in Deutschland wanderten nach Israel aus, die Zurückbleibenden wurden immer wieder durch zahlreiche antisemitische Aktionen verunsichert. Das Gefühl, in einem gewissen "Ausnahmezustand" zu leben, verstärkte sich nach dem Münchner Anschlag von 1972, bei dem israelische Olympiateilnehmer durch palästinensische Terroristen getötet wurden. Seither stehen alle jüdischen Einrichtungen unter Polizeischutz: Keine Synagoge, kein jüdisches Gemeindezentrum kann ohne Kontrolle betreten werden. Manche Angehörige dieser zweiten Generation setzten und setzen sich mit dem Thema "Juden im Land der Mörder" relativ schonungslos auseinander und nutzen dabei das Mittel der Provokation - wie etwa die Schriftsteller Rafael Seligmann oder Maxim Biller.
Die Aufführung des Stückes von Rainer Werner Fassbinder "Der Müll, die Stadt und der Tod" (verfasst 1975, an deutschen Bühnen bis 2009 nicht aufgeführt), das sich indirekt gegen den Frankfurter Immobilienmakler Ignatz Bubis richtete, verhinderten 1985 die zumeist jungen Mitglieder der Frankfurter jüdischen Gemeinde, indem sie die Bühne besetzten. In der Charakterisierung eines Spekulanten, bezeichnet als "der reiche Jude", beweist das Stück eine eindeutig antijüdische Tendenz. Für die jüdischen Jugendlichen war ihre erfolgreiche Intervention ein Beweis ihres Selbstbehauptungswillens. Eine Verunsicherung dieser Generation blieb allerdings auch über die für das jüdische Leben in Deutschland wichtige Zäsur von 1989/90 hinweg bestehen.
Juden in der DDR
Im Gegensatz zu den zu diesem Zeitpunkt ca. 30000 jüdischen Bürgern in Westdeutschland waren die 350 jüdischen Bürger der DDR 1989 numerisch kaum von Bedeutung. Viele Juden (Stand 1959: 3100) hatten noch vor dem Mauerbau 1961 die DDR verlassen, als im Zuge der spätstalinistischen antijüdischen Aktionen, zum Beispiel der "Ärzteverschwörung" in der Sowjetunion (1953), die Juden in der DDR der Spionage für den "US-Imperialismus" verdächtigt wurden. Auch jüdische Intellektuelle wie der Germanist Hans Mayer und der Philosoph Ernst Bloch, die aus dem Exil kommend sich in der DDR niedergelassen hatten, gingen in den Westen. Die DDR verstand sich als antifaschistischer Staat und weigerte sich mit dieser Begründung, Ausgleichszahlungen für erlittenes Unrecht zu leisten oder den durch die Nationalsozialisten enteigneten Besitz jüdischer Bürger zurückzuerstatten. Als die DDR 1987/88 politisch und wirtschaftlich in die Krise geriet, versuchte sie durch symbolische Gesten gegenüber den wenigen jüdischen Gemeinden in der DDR von den USA wirtschaftliche Vergünstigungen zu erreichen. So gestattete die SED die Anstellung eines amerikanischen Rabbiners sowie den Wiederaufbau der größten Synagoge Berlins in der Oranienburger Straße, der nach der Einheit vollendet wurde. Heute ist diese Synagoge mit ihrer goldenen Kuppel ein Wahrzeichen Berlins und dient mit dem dort untergebrachten Centrum Judaicum als Erinnerungsort jüdischer Geschichte in dieser Stadt.
Situation der jüdischen Gemeinden heute
Bei der Auflösung der DDR existierten dort nur noch acht Gemeinden. Sie schlossen sich im September 1990 dem Zentralrat der Juden in Deutschland an. Dessen jeweilige Vorsitzende gelten in der deutschen Öffentlichkeit als offizielle Sprecher der Judenheit in Deutschland. Profiliert hat sich in dieser Funktion Heinz Galinski (1954 bis 1963, 1988 bis 1992), wenn auch sein autokratischer Stil und sein bisweilen schroffes Auftreten manche irritierte; große Popularität und Sympathie in der Öffentlichkeit erwarb sich dagegen sein Nachfolger Ignatz Bubis, der als Vorsitzender von 1992 bis 1999 einen "vorsichtigen Pluralismus nach Innen" ermöglichte. Der Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck (1994) sowie die antisemitischen Einstellungen in den 1990er Jahren, die auch im intellektuellen Milieu deutlich wurden, veranlassten ihn kurz vor seinem Tod allerdings zu dem resignierten Eingeständnis: "Ich habe nichts, fast nichts erreicht."
Zu dieser Haltung hatte eine Kontroverse mit dem Schriftsteller Martin Walser beigetragen. Dieser hatte 1998 in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels bekundet, dass er der organisierten Erinnerung und Betroffenheit angesichts von "Auschwitz" überdrüssig sei. Dabei polemisierte er gegen die "Instrumentalisierung [der Shoah] zu gegenwärtigen Zwecken" und warf den "Meinungssoldaten" vor, Auschwitz als "Moralkeule" zu gebrauchen. Bubis hatte dies als Versuch gedeutet, Auschwitz dem Vergessenwollen anheim fallen zu lassen. Als er im August 1999 starb, ließ er sich aus Enttäuschung nicht in Deutschland, sondern in Israel begraben. Seine Nachfolger Paul Spiegel (2000 bis 2006) und Charlotte Knobloch (seit 2006) gehören ebenfalls zur Generation der Shoah-Überlebenden, die NS-Verfolgung haben sie während ihrer Kindheit als "Untergetauchte" überstanden. Erst bei den Neuwahlen 2010 des/der Vorsitzenden geht nach einem Verzicht von Charlotte Knobloch auf eine erneute Kandidatur diese Funktion vermutlich auf eine Persönlichkeit über, die der Nach-Shoah-Generation angehört.
Zu dieser Haltung hatte eine Kontroverse mit dem Schriftsteller Martin Walser beigetragen. Dieser hatte 1998 in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels bekundet, dass er der organisierten Erinnerung und Betroffenheit angesichts von "Auschwitz" überdrüssig sei. Dabei polemisierte er gegen die "Instrumentalisierung [der Shoah] zu gegenwärtigen Zwecken" und warf den "Meinungssoldaten" vor, Auschwitz als "Moralkeule" zu gebrauchen. Bubis hatte dies als Versuch gedeutet, Auschwitz dem Vergessenwollen anheim fallen zu lassen. Als er im August 1999 starb, ließ er sich aus Enttäuschung nicht in Deutschland, sondern in Israel begraben. Seine Nachfolger Paul Spiegel (2000 bis 2006) und Charlotte Knobloch (seit 2006) gehören ebenfalls zur Generation der Shoah-Überlebenden, die NS-Verfolgung haben sie während ihrer Kindheit als "Untergetauchte" überstanden. Erst bei den Neuwahlen 2010 des/der Vorsitzenden geht nach einem Verzicht von Charlotte Knobloch auf eine erneute Kandidatur diese Funktion vermutlich auf eine Persönlichkeit über, die der Nach-Shoah-Generation angehört.
Die 1990er Jahre und auch das darauf folgende Jahrzehnt stellten die jüdische Gemeinschaft in Deutschland vor eine große Herausforderung: den Zuzug der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, der die Zahl der Mitglieder jüdischer Gemeinden von etwa 30000 auf über 105000 Menschen ansteigen ließ. Die Bundesregierung sah es als eine Verpflichtung aus der Geschichte an, den Zuzug zu ermöglichen. Doch die circa 200000 Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion hatten mit dem Judentum meist wenig zu tun, auch wenn in ihrem russischen Pass als Nationalbezeichnung Evrej (= Jude) steht. Da nach jüdischem Recht nur der Jude ist, der eine jüdische Mutter hat, konnte die Hälfte der Neuankömmlinge nicht in die Gemeinden aufgenommen werden. Die Bundesregierung erließ deshalb 2006 restriktive Bestimmungen und verlangte neben Deutschkenntnissen die Anerkennung als Jude durch die jüdischen Gemeinden.
Die neuen Gemeindemitglieder nehmen zwar die sozialen Dienste der Gemeinden an, wollen aber ihre bisherige Lebensweise aufrechterhalten und verändern damit zwangsläufig das Gemeindeleben. Gemeindeblätter und -verlautbarungen erscheinen seither in vielen Gemeinden zweisprachig oder in manchen Gemeinden sogar nur auf Russisch. An dem Angebot, sie mit der jüdischen Tradition vertraut zu machen, zeigten die meisten Älteren nur wenig Interesse. Die Gemeinden versuchen deshalb, die Kinder und Jugendlichen für das jüdische Leben zu gewinnen, doch fehlt es an hinreichenden jüdischen Kindergärten und Schulen. Vor allem in den Großstadtgemeinden hat sich eine "russische Kulturszene" mit einem eigenen Bücher-, Zeitungs- und Musikangebot entwickelt. In den Vorständen der großen Gemeinden sind die Zuwanderer jedoch nicht angemessen vertreten. Häufig sind dafür Sprachprobleme ausschlaggebend. Doch es gibt auch Gemeinden, in denen ausschließlich "russische" Zuwanderer den Vorstand bilden.
Um Vermittlung der jüdischen Tradition an die "russischen" Gemeindemitglieder kümmern sich auch die Orthodoxen, so Adass Jisroel, und die ultraorthodoxe Gemeinde der Lubawitscher. Sie organisieren Sprachkurse und sorgen in Teestuben für die Kommunikation. Doch die soziale Integration bleibt ein Problem. Viele der russischen Zuwanderer fanden keine Arbeit in ihren ehemaligen, zumeist intellektuellen Berufen, so dass hier vielfach erst für die Kinder oder Enkelkinder die Chance der Integration besteht. In diesem Zusammenhang lebte erneut die Diskussion um die Bezeichnung "Deutsche Juden" oder "Juden in Deutschland" auf. Während die Zentralratsvorsitzende Charlotte Knobloch für die Bezeichnung Deutsche Juden plädiert, um eine schnellere Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft zu erreichen, wollen andere Mitglieder des Vorstands mit der herkömmlichen Bezeichnung die Pluralität der Juden in Deutschland gewahrt wissen.
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Perspektiven
Pluralität zeigt seit den 1990er Jahren die Entwicklung in den Gemeinden. Der Anspruch der Einheitsgemeinde kann nur noch im weitesten Sinne aufrechterhalten werden. Neben den ultraorthodoxen und orthodoxen Gemeinden entstanden außerhalb der Einheitsgemeinde auch liberale Gemeinden. Die liberalen Rabbiner in Deutschland werden an dem 2001 in Potsdam gegründeten Abraham-Geiger-Institut ausgebildet und dann ordiniert. Eine ähnliche Institution besteht seit 2005 mit dem Hildesheimerschen Rabbinerseminar für die orthodoxen Gemeinden. Der Zentralrat spricht auch weiterhin gegenüber der Bundesregierung für alle 108 jüdischen Gemeinden mit etwa 105000 Mitgliedern. Auch den Frauen stehen heute führende Positionen sowohl in der Verwaltung wie im Kultus der jüdischen Gemeinden offen. Nachdem 1935 mit Regina Jonas in Berlin die erste Rabbinerin ordiniert worden war, wurde erst wieder 1995 in der Gemeinde Oldenburg eine Frau in dieses Amt berufen. 2009 lebten 30 Rabbiner (darunter vier Frauen) in Deutschland, die sich in zwei Organisationen, einer liberalen und einer konservativen, zusammengeschlossen haben.
In der deutschen Öffentlichkeit gibt es seit den 1990er Jahren eine intensive Debatte um die Form der Erinnerung an die Shoah. Jüdische Museen, restaurierte ehemalige Synagogen oder die (umstrittene) Stolpersteinaktion erinnern an die Geschichte und die Tragik der deutschen und europäischen Juden. Bei den Stolpersteinen sollen kleine mit Namen versehene Metallplatten, die in den Bürgersteig eingelassen werden, an die jüdischen Menschen erinnern, die aus dem Haus, vor dem die Stolpersteine liegen, in die Vernichtungslager deportiert worden sind. Den sinnfälligsten Ausdruck fanden diese Bemühungen in dem monumentalen "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", das, 1999 durch den Bundestag beschlossen, von dem amerikanisch-jüdischen Architekten Peter Eisenman in Berlin errichtet wurde. Es symbolisiert das Bekenntnis Deutschlands zur historischen Schuld der Shoah und die Verpflichtung, den jüdischen Deutschen eine lebenswerte Zukunft zu bieten.