Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Wirtschaftliche Strukturen | Japan | bpb.de

Japan Zu diesem Heft Japan auf dem Weg ins 21. Jahrhundert Land und Leute Historische Entwicklung Geschichte und Einfluß des Kaiserhauses Aufbau des politischen Systems Gesellschaft und Kultur Wirtschaftliche Strukturen Grundlagen der Außenpolitik Literaturhinweise Redaktion

Wirtschaftliche Strukturen

Friederike Bosse

/ 34 Minuten zu lesen

Ölraffinerie in Kawasaki, Japan. (© picture-alliance/AP)

Entwicklung

Die Ausgangssituation für den wirtschaftlichen Aufbau Japans nach dem Krieg war äußerst schwierig. Die Industrieanlagen waren weitgehend zerstört, die industrielle Erzeugung war auf weniger als ein Drittel, die landwirtschaftliche Produktion auf zwei Drittel des Vorkriegsvolumens gefallen, und überdies war Japan von der Zufuhr von außen, das heißt vor allem von Rohstoffen aus den zuvor besetzten Ländern abgeschnitten. Die Folgen waren Engpässe in der Energieversorgung, Hunger und Millionen von Menschen, die aus der Armee und den zuvor besetzten Ländern auf den heimischen Arbeitsmarkt zurückdrängten.

1945-1973

Die amerikanische Besatzungsmacht unternahm schnell drei grundlegende Reformen, die die Demokratisierung und Befriedung Japans vorantreiben sollten:

  • Die großen Firmenkonglomerate, die die militärische Aufrüstung Japans mitbetrieben hatten, die zaibatsu, wurden zerschlagen.

  • Eine Landreform verhalf den bisherigen Pächtern zum Besitz der von ihnen bearbeiteten Flächen.

  • Drei Gesetze wurden erlassen, die die Arbeitsbeziehungen relativ demokratisch regelten, darunter erstmalig ein Gewerkschaftsgesetz. Mit dem Beginn des Kalten Krieges wurde Japans Wiederaufbau noch entschiedener unterstützt, um so einen starken Partner im Osten zu gewinnen. Der Koreakrieg, der 1950 begann, belebte die gesamte Weltwirtschaft und Japan profitierte als Nachschubbasis für die Truppen von dem Nachfrageboom besonders stark. Bereits Anfang der fünfziger Jahre hatte Japan seinen quantitativen Produktionsrückgang aufgeholt, in technischer Hinsicht war es jedoch dem Westen noch weit unterlegen. Der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft - aber ohne militärische Macht - wurde zum unausgesprochenen nationalen Leitbild.

    Hierfür wurden ausgewählte Industrien gezielt gefördert. Zu Beginn die Energie-, Schwer- und Grundstoffgüterindustrie (Chemie, Eisen- und Stahlindustrie, Schiffbau, Automobilbau), später kam die Elektronikindustrie hinzu. Die Förderung der ausgewählten Industriezweige enthielt neben Subventionen und Steuervorteilen den gezielten Import von Technologien und Gütern, über die Japan bis dato nicht selbst verfügte. Gleichzeitig wurden Schutzzölle und Importquoten für solche Güter erhoben, die die japanische Industrie selbst produzierte, so daß sie quasi vor dem internationalen Wettbewerb geschützt waren.

    Der Anteil dieser Industriepolitik und des MITI (Ministry of International Trade and Industry, das japanische Ministerium für Handel und Industrie) am Wirtschaftserfolg werden jedoch häufig überschätzt. Ebenso wichtig waren ausreichend Kapital und gut ausgebildete Arbeitskräfte. Durch die hohe Spartätigkeit der Privathaushalte, die steuerlich begünstigt wurde, hatten die Unternehmen ausreichend Kapital für ihre Investitionen zur Verfügung, und zugleich waren die Beschäftigten bereit, sich mit ihrer Arbeit voll für den Aufbau des Landes einzusetzen. Für dieses nationale Ziel wurde lange Zeit sogar der Verzicht auf mehr Lebensqualität im privaten Bereich in Kauf genommen.

    Zwar verbesserte sich der allgemeine Lebensstandard, denn die Engpässe der Nachkriegsjahre bei der Grundversorgung waren behoben und im Konsumgüterbereich wurde der große Nachholbedarf dank steigender Löhne weitgehend gedeckt. Auch wurde ein Fundament für eine allgemeine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau gelegt (siehe auch "Sozialpolitik"). Dennoch wurde ein großer Teil der Einkommen gespart, was staatlich durchaus gewollt und gefördert wurde. Sparziele waren neben teureren Anschaffungen vor allem die eigene Altersversorgung und die Ausbildung der Kinder. Das übliche Lohnsystem, in dem zweimal jährlich ein großer Bonus gezahlt wird, machte das Sparen noch leichter.

    Die Zeit bis 1973 kann - wie die zeitgleiche Entwicklung in Deutschland - als Japans Wiederaufbau- und Hochwachstumsphase bezeichnet werden. In den fünfziger und sechziger Jahren wuchs das Bruttosozialprodukt im Durchschnitt jährlich um zehn Prozent, die Exporte nahmen im gleichen Maß zu. Die japanische Industrie hatte Anfang der siebziger Jahre ihren technischen und Qualitätsrückstand gegenüber dem Westen aufgeholt. Dabei war eine exportorientierte Industrie entstanden, die durch die Ausnutzung von Kostenvorteilen durch Massenproduktion zunehmend hochwertigere Fertigprodukte auf dem Weltmarkt absetzen konnte. Der eigene Markt war hingegen vor Importen verarbeiteter Güter weitgehend geschützt, die Einfuhren bestanden größtenteils aus Roh- und Energiebrennstoffen, an denen es in Japan selbst mangelte. Die ausschließliche Konzentration von öffentlichen Ausgaben und wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf den Ausbau der Industrie hatte allerdings zur Folge, daß der Lebensstandard der Bevölkerung nicht im gleichen Maße anstieg wie die Produktivität und der Ausstoß der Wirtschaft. Allerdings verbesserte sich der Lebensstandard so weit, daß der Konsens darüber, daß der Aufbau einer starken Wirtschaft nationales Ziel Nummer Eins war, nicht in Frage gestellt wurde.

    1973-1985



    Zu Beginn der siebziger Jahre wurde das erfolgsverwöhnte Japan mit mehreren Krisen konfrontiert: Zum einen hatte das hohe Wachstum der belastungsintensiven Grundstoffgüterindustrie zu großen Umweltschäden geführt. In Minamata auf Kyushu beispielsweise erlitten Menschen Ende der fünfziger Jahre Quecksilbervergiftungen, als sie durch Industrieabwässer verseuchten Fisch aßen. Auch bei der ItaiItai-Krankheit wurden die Erkrankungen (starke Schmerzen und eine hohe Anfälligkeit für Knochenbrüche) durch Schwermetalleinleitungen (Cadmium) verursacht. Extreme Luftverschmutzung plagte ab etwa 1960 die Menschen in Yokkaichi, einer Stadt mit viel petrochemischer Industrie, und löste zahlreiche Asthmafälle aus. Diese Erkrankungen, die in vielen Fällen zum Tode führten, konnten alle direkt auf Umweltverschmutzung durch Industrieunternehmen zurückgeführt werden. Trotzdem zogen sich die Gerichtsprozesse über Entschädigungen jahrzehntelang hin und sind teilweise bis heute (1997) anhängig. Vor allem im Fall Minamata ist immer noch die Frage offen, wie viel Verantwortung - und damit Entschädigungspflicht - die Regierung an den Verschmutzungen trägt. Insgesamt lösten die genannten großen Umweltschäden aber in Japan ein grundlegendes politisches Umdenken aus: 1967 wurde das Umweltbasisgesetz verabschiedet, weltweit eines der ersten allgemeinen Umweltgesetze. Spürbare Verbesserungen traten allerdings erst einige Jahre später ein, als die Gesetze, nicht zuletzt wegen wachsender Proteste seitens der Bevölkerung, verschärft wurden.

    Das zweite Problem Anfang der siebziger Jahre waren die Ölpreissteigerungen, die Japans importabhängige Energieversorgung massiv verteuerten. Der wertmäßige Anteil der Rohöle an den Gesamtimporten wuchs zwischen 1970 und 1980 auf mehr als das Dreifache. Besonders der "Ölschock" 1973/74 stürzte das rohstoffarme Japan in eine tiefe Rezession und machte die hohe Abhängigkeit Japans von den internationalen Rahmenbedingungen deutlich. Dieses Ereignis markiert einen Wendepunkt in der japanischen Wirtschaftspolitik und -entwicklung: Die Zeit der zweistelligen Zuwachsraten war vorbei, das Wachstum verlief fortan deutlich moderater. Zugleich wurde das Leitbild "pures Wachstum" zugunsten einer effizienteren ökonomischen und sozialen Gesamtleistung aufgegeben.

    So wurden nach der Ölkrise in Industriezweigen mit hohem Energieverbrauch Kapazitäten abgebaut, zum Beispiel im Schiffbau - ein spezielles Gesetz unterstützte hierbei den Schrumpfungsprozeß. Statt energie- und rohstoffintensiven Produktionen wurden nun "wissensintensive" Zweige gefördert, mit hohem technologischen Niveau und möglichst effizienter Ressourcennutzung.

    Die Motive des Strukturwandels waren erstens, die Ölabhängigkeit zu reduzieren, zweitens, eine bessere Umweltverträglichkeit zu erreichen und drittens, Zukunftsindustrien mit eigenen Technologien aufzubauen.

    In den zehn Jahren nach dem ersten Umweltgesetz konnte die japanische Industrie ihren Energieverbrauch um 35 Prozent reduzieren. 1979 forderte ein Energiespargesetz von den Unternehmen, Umwelttechnologien wie verbesserte Verbrennungsverfahren mit höherem Nutzungsgrad einzuführen. Ein weiteres Gesetz führte Schadstoffgrenzwerte für die Luft ein, da der Smog in den Ballungsgebieten unerträglich geworden war. Die Industrie mußte Abluftfilter und Katalysatoren entwickeln und einbauen. Es stellte sich heraus, daß Umwelttechnologie eine gewinnbringende Industrie werden konnte.

    Japans Umweltpolitik galt - nach den frühen Schocks - in den siebziger und achtziger Jahren im Hinblick auf bestimmte Umweltschutzstrategien (zum Beispiel gegen Schwefeldioxidbelastung) weltweit als vorbildhaft und war zugleich ein Beispiel dafür, daß Umweltverträglichkeit und Wirtschaftswachstum sich nicht zwangsläufig ausschließen. Allerdings ist Japan allein aufgrund seines hohen absoluten Produktionsvolumens einer der größten Ressourcenverbraucher, und die Verbilligung der Energiepreise ab Mitte der achtziger Jahre wirkte sich demotivierend auf weitere ressourcenschonende Maßnahmen aus. Seither hat Japans Vorbildhaftigkeit in Sachen Umweltbewußtsein deutlich an Glanz verloren. Gesetze über Recycling etwa wurden erst spät erlassen (zum Beispiel über Rücknahme von Verpackungen durch die Hersteller) und vor allem im Bewußtsein der Verbraucherinnen und Verbraucher ist "umweltschonend" noch kein schlagendes Argument beim Konsumverhalten. Japan konnte die Folgen der Ölkrise in den siebziger Jahren schneller überwinden als die westliche Konkurrenz, wobei nicht zuletzt die kooperative Haltung der Gewerkschaften half. Nach vielen Jahren mit hohen Wachstumsraten sollten Anfang der siebziger Jahre auch die Arbeitnehmer mehr an den Erfolgen partizipieren, die Regierung erhöhte die Sozialleistungen und die Gewerkschaften stellten hohe Tarifforderungen. Doch der Aufwärtstrend der japanischen Wirtschaft hatte 1973 mit dem Ölschock einen Einbruch erlitten und die Preise begannen rasch zu steigen. Dabei trugen die hohen Tarifforderungen dazu bei, die Inflation voranzutreiben. 1974 war der Höhepunkt der Entwicklung erreicht: Die Verbraucherpreise stiegen exorbitant um 24,5 Prozent, die Löhne um 32,9 Prozent. In den folgenden Jahren wurde insbesondere in der verarbeitenden Industrie radikal rationalisiert, Arbeitsplätze wurden abgebaut und statt dessen wurde in technische Innovationen, vor allem in Mikroelektronik investiert. Die Gewerkschaften, die nur auf Betriebsebene organisiert sind, gingen aber nicht auf Konfrontationskurs, sondern standen hinter den Sparmaßnahmen, um die Existenz ihrer Firma nicht zu gefährden. Mitunter wurden sogar reale Einkommensminderungen akzeptiert. Diese grundsätzliche Kooperationsbereitschaft der betriebseigenen Gewerkschaften, die nicht an branchenweite Flächentarifverträge gebunden waren, sondern ausschließlich an der Situation "ihrer" Firma orientiert und interessiert waren, war ein wichtiger Vorteil für die Unternehmen, während er andererseits die Anhebung der Lebensqualität bei den Arbeitnehmern weiter verzögerte. Allerdings wurde durch die Zugeständnisse ein krasser Anstieg der Arbeitslosenzahlen vermieden. Insgesamt konnten durch die Kompromißbereitschaft soziale Spannungen vermieden werden, und die Wirtschaft kam schnell wieder auf einen Wachstumspfad. Dabei wuchs ab der Mitte der siebziger Jahre wiederum die Nachfrage nach Dienstleistungen, wo nun der Großteil der neu entstehenden Arbeitsplätze lag. Auch in Japan setzte die gesamtwirtschaftliche Verlagerung von einer auf hohem Arbeitseinsatz basierenden verarbeitenden Industrie zu einer technologieintensiven verarbeitenden Industrie und einer wachsenden Dienstleistungsgesellschaft ein.

    Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es der japanischen Wirtschaft nach dem Doppelschock von 1973 - der Ölpreissteigerung und der Aufwertung des Yen nach der Aufhebung der festen Wechselkurse - relativ schnell gelang, ein neues Gleichgewicht zu finden. Dabei wurde ein moderates, aber konstantes Wachstum erreicht, das im Inland auf stabilen Arbeitsbeziehungen basierte. Der Innovationsdruck zur Senkung der Produktionskosten beschleunigte dabei einerseits die Technologisierung und andererseits die Direktinvestitionen in die Billiglohnländer, durch die zugleich die Ressourcenversorgung gesichert werden sollte. Insgesamt festigte sich auf diese Weise der Erfolg der japanischen Exportindustrie. Die Folge waren wachsende Handelsüberschüsse, die die Beziehungen zu den Handelspartnern zunehmend belasteten.

    1985-1996



    Das sogenannte "Plaza-Abkommen" vom 22. September 1985 stellt für die japanische Wirtschaftsentwicklung eine fast ebenso scharfe Zäsur dar wie die Ölkrise von 1973. Anfang der achtziger Jahre war der Yen-Kurs stetig gefallen, weil die Kapitalinvestitionen in US-Anlagen flossen, die höhere Renditen brachten. Die USA nahmen die Entwicklung zunächst hin ohne zu intervenieren, so daß die japanischen Hersteller ihre Produkte preisgünstig - und erfolgreich - auf dem amerikanischen Markt anbieten konnten. 1985 war der Dollar-Kurs schließlich so hoch, daß die USA um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft fürchteten. Nun drängten die USA ihre Handelspartner, die Kursentwicklung zu korrigieren. Bei dem Treffen im New Yorker Plaza Hotel beugten sich die G5-Staaten dem amerikanischen Druck und stimmten überein, daß der Dollar überbewertet sei und Yen und D-Mark künftig aufgewertet werden müßten. Daraufhin sackte der Dollarkurs binnen neun Monaten von 240 Yen auf 150 Yen ab. Für die japanische Exportindustrie war diese Yen-Aufwertung verheerend. Da man sich nicht so schnell auf inländischen Absatz umstellen konnte, wurde nur das Exportgeschäft weitergeführt, und viele Unternehmen schrieben tiefrote Zahlen. Die endaka-Phase (= Yen-Hochphase) stellte quasi die gesamte japanische Wirtschaftsausrichtung und hier vor allem ihre Exportorientierung in Frage, zumal von den Handelspartnern Druck ausgeübt wurde, die Exportgeschäfte auf den inländischen Markt umzulenken.

    Diese Druckoffensive führte dazu, daß Ministerpräsident Yasuhiro Nakasone eine Expertengruppe bestellte, die einen Bericht über die zukünftige Entwicklung der japanischen Wirtschaft erarbeiten sollte. Der sogenannte "Maekawa-Report" vom April 1986 empfahl einerseits, den japanischen Markt stärker zu öffnen (mit Rücksicht auf die Kritik der Handelspartner). Andererseits empfahl er, den Lebensstandard der japanischen Bevölkerung anzuheben, indem beispielsweise öffentliche Investitionen in bürgernahe Projekte wie Wohnungsbau oder soziale Infrastruktur fließen sollten statt wie bisher fast ausschließlich den Unternehmen zugute zu kommen. So waren etwa 1985 erst 36 Prozent der Haushalte an öffentliche Abwässersysteme angeschlossen (1994 waren es 51 Prozent).

    Obwohl der Report zur offiziellen Handlungsmaxime wurde und man in Teilbereichen Erfolge erzielte, blieb das Gesamtkonzept von der "durch Binnennachfrage getragenen Wirtschaft" im Stadium der Idee stecken, denn der Nachfrageboom der folgenden Jahre erweckte den Anschein, als sei eine Reform der Wirtschaftsstruktur gar nicht mehr notwendig.

    Jener Boom wurde durch zusätzliche staatliche Investitionsausgaben und durch eine massive Senkung der Leitzinsen ausgelöst, so daß Geld (Kapital) in fast unbegrenzten Mengen zur Verfügung stand und obendrein zu extrem niedrigen Zinsen zu bekommen war. Ein anderes wichtiges Ereignis 1987 war die teilweise Börseneinführung des ehemals staatlichen Fernmeldeunternehmens Nippon Telephone & Telegraph (NTT). Der Kurs der NTT-Aktie stieg schnell auf Rekordhöhen und zog andere Aktien mit. Billige Kredite und der Börsenboom verleiteten die Unternehmen immer mehr, am Wertpapiermarkt zu spekulieren, statt in ihr eigentliches Geschäft zu investieren. Vor allem Firmen aus Branchen, die an Bedeutung verloren (etwa aus der Schwerindustrie), sahen hier Chancen, ihre sinkenden Geschäftsgewinne auszugleichen. Gerade jene Firmen verfügten oft über großen Grundbesitz, den sie beliehen, um am Finanzmarkt zu spekulieren. Dabei kam ihnen zugute, daß die Grundstückspreise ebenso stark stiegen wie die Aktienkurse. Der Preisanstieg war so rasant und der allgemeine Glaube daran, daß die Entwicklung ewig weitergehen würde, so ausgeprägt, daß man für ein Grundstück im Wert von einer Million DM einen Kredit über 1,2 Millionen DM bekam, weil sich die Lücke innerhalb weniger Monate schließen würde. Das Ausmaß der Hyperspekulation läßt sich erahnen, wenn man sieht, daß 1988 allein der Börsenwert von NTT den Wert aller an sämtlichen deutschen Börsen notierten Inlandsaktien übertraf oder daß der Grund des Kaiserpalastes in Tokyo - theoretisch - wertvoller war als ganz Kalifornien.

    Eine sehr früh sichtbare Kehrseite der Preisentwicklung war jedoch, daß viele Familien den Traum vom eigenen Heim aufgeben mußten, weil sie es sich bei den astronomischen Preisen schlicht nicht mehr leisten konnten, ein Stück Land zu kaufen. An der extrem beengten Wohnsituation der japanischen Familien änderte sich daher kaum etwas. Statt dessen floß das Geld nun in den Konsum von prestigeträchtigen Produkten, für Artikel von besonders angesehenen Luxusmarken. Dabei wurde fast jeder Preis bezahlt. Der japanische Einzelhandel florierte während dieser Jahre prächtig.

    Doch der unfreiwillige Verzicht auf ein Eigenheim hat über den puren "Konsum" hinaus weitreichende soziale Bedeutung, denn ein eigenes Heim ist ein wichtiger Teil der eigenen Altersvorsorge. Hinter dem großen Interesse an Immobilien bei Wirtschaft und Privatpersonen steht die Überlegung, daß Grund und Boden als kostbare Güter gelten, die zudem stets ihren Wert behalten oder gar steigern. Von diesem Mythos mußte man sich in Japan Anfang der neunziger Jahre verabschieden. Seither fielen die Grundstückspreise dramatisch, 1996 lagen sie in den Städten unter 50 Prozent ihrer Höchstmarken. Bei den Aktienkursen war der Wertverlust noch größer: Der Börsenindex fiel von fast 40000 Punkten im Dezember 1989 bis auf unter 14000 Punkte im August 1992 ab.

    QuellentextWirtschaft - Seismograph japanischen Nationalgefühls?

    So schlecht bestellt um Japans Wirtschaft wie Ende Januar [1997] sei es in der Nachkriegszeit nie gewesen, hieß es in vielen Kommentaren der japanischen Medien. Vergleiche mit dem Untergang der ehemaligen Weltmacht Großbritannien wurden bemüht. Shoichiro Toyoda, Vorstand der Toyota Motor Corporation, ließ sich sogar zu der Voraussage hinreißen, am Wohlstand des 21. Jahrhunderts würde Japan nicht teilhaben, wenn alles beim alten bliebe. Was war geschehen? In dem knappen Monat seit Jahresbeginn war der Aktienmarkt um elf Prozent gefallen. Zum erstenmal seit vier Jahren hatte die Bank of Japan Yen für Dollar kaufen müssen, um einen weiteren Kurssturz zu verhindern.

    Ende der achtziger Jahre, als der Aktienmarkt seinen Höchststand erreichte, reisten japanische Geldtouristen durch die Welt und kauften ein. Große, teuere Immobilien, sogar nationale Prestigeobjekte wie das Rockefeller Center in New York oder die Columbia Filmstudios in Hollywood gingen in japanische Hand über. Damals deutete man solche Einkäufe als eine Art Wachablösung. Das 20. Jahrhundert sei vielleicht ein amerikanisches Jahrhundert gewesen, das 21. gehöre aber den Japanern.

    Zwischen beiden Betrachtungen liegen nur ein paar Jahre. Im Grund sind sie beide Ausdruck des gleichen Syndroms. Japan reagiert mit großer Sensibilität auf Konjunkturschwankungen, da die Wirtschaft, wie in kaum einem anderen Land, zum Seismographen seines Nationalgefühls geworden ist. Die Kultur der Nachkriegszeit ist vor allem eine von wirtschaftlichen Leistungen geprägte […]. Daher ist Japans Selbstbewußtsein von seiner Wirtschaft nicht zu trennen, im Bruttosozialprodukt verbirgt sich seine nationale Identität.

    Bei der Betrachtung der einseitigen kulturellen Basis ihres Landes kommen Intellektuelle wie der Essayist Shuichi Kato zu dem Ergebnis, Japan hätte es versäumt, eine dem Verlauf der Geschichte angemessene Entwicklung durchzumachen. Die japanische Gesellschaft der Vor- und Nachkriegszeit, so Kato, sei im Grunde die gleiche geblieben. Gehorsam und Opferbereitschaft, während der 30er Jahre den Zielen des Militarismus unterstellt, mußten sich lediglich auf andere Betätigungsfelder umstellen lassen. […]

    Wenn derzeit der japanische Premierminister Hashimoto tiefgehende Strukturveränderungen, namentlich eine Reform der Bürokratie, des Steuersystems, des Bildungswesens und vieles mehr verordnen will, so wissen seine Landsleute um die Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens. Die Geschichte hat ihnen gezeigt, wie fest die reformbedürftigen Strukturen verwurzelt sind, wie wenig Ansatzfläche die japanische Gesellschaft bietet, sich selbst reformieren zu können.

    Mit einem berühmten Vergleich zwischen solchen Gesellschaften, die auf einer Geistesgemeinschaft wie einer Religion oder sonstigen mehrheitlich geteilten Anschauungen beruhen, und solchen wie etwa Japan, denen ein solches Fundament, also eine res publica, fehlt und die sich daraufhin nicht miteinander, sondern bloß nebeneinander entfalten können, zeigte der Philosoph Masao Maruyama seinen Landsleuten die Grenzen ihrer Möglichkeiten auf. Was in Japan zählt, heute noch wie vor Jahrhunderten, ist nicht die staatstragende Idee, sondern das Gefühl der örtlichen Zugehörigkeit, die auf japanisch sonraku kyodotai, wörtlich: Dorfgemeinschaft heißt. Nach diesem Denkmuster bildet jedes Ministerium, jeder politische Kader, jedes Unternehmen eine Einheit, deren integrierende Kraft ihr allein aus dem Anspruch der Ausschließlichkeit erwächst.

    Solchen im übertragenen Sinne überall noch vorhandenen Dorfgemeinschaften ist eine eigene, als ringi bekannte Form der Mitbestimmung entsprungen. Sieht man von Ausnahmen wie Sony ab, gibt es kaum ein Unternehmen in Japan, das diese Form der kollektiven Meinungsbildung nicht praktizierte. Auch wenn das Gutheißen eines Projekts durch das ringförmige Abzeichen eines Dokuments mit dem persönlichen Stempel aller Beteiligten im herkömmlichen Sinne kaum noch vorkommen mag, so wirkt dennoch der Geist dieser Konsensbildung, die keine Einzelperson zur Verantwortung ziehen läßt, unverändert weiter.

    Was sich beim ringi-System früher vielleicht vorteilhaft ausgewirkt haben mag, hat in einer pluralistischen, an immer neue Bedingungen anpassungsbedürftigen modernen Gesellschaft den großen Nachteil, daß sich keine nennenswerte Opposition bilden kann. Gesellschaftskritiker vom Kaliber eines Maruyama oder Kato gibt es auch nur wenige, da in Japan eine Kritik einer Klage gleichkommt. Wer über diese Dinge reflektiert, behält seine Einsichten normalerweise für sich.

    […]

    All die Debatten, die dringend notwendig wären, wie eine Auseinandersetzung mit der Kriegsverantwortung, mit der politischen Korruption, mit der Übermacht des Materialismus auf Kosten der geistigen Kultur, die zur Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung hätte gepflegt werden müssen, sind nie konsequent geführt worden. […]

    John David Morley, "Die verstummte Gesellschaft. Im Bruttosozialprodukt sucht Japan seine Identität", in: Süddeutsche Zeitung vom 3. März 1997.

    Tiefe Rezession



    Das Ende der Preisspirale auf dem Immobilien- und Aktienmarkt setzte Ende 1989 ein, als die Bank of Japan mit verschiedenen geldpolitischen Maßnahmen den Zugang zu Krediten, insbesondere für Immobiliengeschäfte, massiv erschwerte. So wurden die Leitzinsen binnen 15 Monaten von 2,5 Prozent auf sechs Prozent kräftig angehoben und Banken erhielten Einschränkungen darüber, wieviele Kredite sie für Immobiliengeschäfte ausgeben durften. Damit zerplatzte die "Seifenblase" oder "bubble economy", wie die Spekulation seither genannt wird, und in Japan setzte die längste Rezessionsphase der Nachkriegszeit ein. Erst jetzt wurden weitere Kehrseiten des Spekulationsfiebers sichtbar, die die schwache Konjunktur zusätzlich belasteten und grundlegende Schwachpunkte des japanischen Wirtschaftssystems deutlich machten.

    Das größte Problem betraf die Banken, bei denen zahllose Kunden ihre Kredite nicht zurückzahlen können, weil die Grundstücke, die sie erworben oder als Sicherheiten angeboten hatten, nur noch einen Bruchteil ihres ursprünglichen Wertes aufweisen. Dadurch gerieten nicht wenige Banken selbst in Zahlungsschwierigkeiten. Einige wurden von größeren Banken "gerettet", andere in Auffanggesellschaften abgewickelt. Die faulen Immobilienkredite machten zugleich deutlich, daß es in Japan zu viele Finanzinstitute gibt, und vor allem zu viele kapitalschwache. Bis zum Ende des Jahrzehnts werden hier weitere Konkurse und Fusionen erwartet.

    Eine zweite Schwäche betraf die Finanzaufsicht, denn das Finanzministerium und die Bank of Japan hatten mit ihrer lockeren Politik den Spekulationsboom mitverursacht und zu lange geduldet. Auch hier stehen Reformen bevor, die allerdings durch politische Überlegungen erschwert werden. Die Hauptziele der Reformen sollen darin bestehen, dem Finanzministerium einen Teil seiner Kompetenzen zu entziehen und zum Beispiel die Bankenaufsicht in einer gesonderten Aufsichtsbehörde unterzubringen. Außerdem ist vorgesehen, die Kompetenzen der Bank of Japan zu erweitern, ihr mehr Unabhängigkeit gegenüber dem Finanzministerium zu gewähren und somit ihre Position mehr den sehr autonom handelnden Zentralbanken der USA und Deutschlands anzugleichen.

    Nach fünf Jahren Flaute zeigte Japans Wirtschaft 1996 nicht mehr als einen zaghaften Aufschwung. Die Rationalisierungen der Unternehmen haben zwar zu höheren Gewinnen geführt, aber auch zu Rekordzahlen von Arbeitslosen und vor allem zu einer großen Unsicherheit, daß die Bereinigung noch nicht abgeschlossen sein könnte. 1996 waren im Jahresdurchschnitt 2,25 Millionen Personen erwerbslos, die Arbeitslosenquote lag mit 3,4 Prozent um 0,2 Prozent über der Vorjahresmarke und auf dem höchsten Stand, den die japanischen Statistiken je verzeichneten. Vor allem die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, die durch den Yen-Anstieg seit 1993 beschleunigt worden war, wird weiter auf den Arbeitsmarkt drücken.

    Gleichzeitig ist die Situation der öffentlichen Haushalte so kritisch, daß sich der Staat keine Mehrausgaben zur Konjunkturankurbelung leisten kann. Noch 1991 wies Japan als einziges OECD-Land (OECD: Organization for Economic Cooperation and Development, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) einen Überschuß im Haushalt auf, 1996 stand es am unteren Ende der Rangliste. Durch die Rezession fielen die Steuereinnahmen, während zugleich die öffentlichen Investitionsausgaben aufgestockt wurden, um die Konjunktur zu beleben. Mit einem Haushaltsdefizit von 4,5 Prozent und einer Gesamtverschuldung von rund 90 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde Japan die Konvergenzkriterien für die Europäische Währungsunion bei weitem überschreiten. Damit ist der Spielraum für öffentliche Impulspakete erschöpft, die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist zur obersten Priorität erklärt worden. Japan muß sich auf sehr niedrige Wachstumsraten einstellen sowie darauf, daß die Exportindustrie als Wachstumsmotor an Bedeutung verlieren wird. Zugleich werden die internationalen Verflechtungen immer enger; bereits heute stammt ein Großteil der in Japan verkauften Videorecorder und Fernsehgeräte aus Werken japanischer Hersteller im Ausland (siehe dazu auch "Außenwirtschaft").

    Faktoren



    Im Westen wird viel über den sagenhaften Erfolg der japanischen Unternehmen gerätselt. Hierbei werden Schlagworte wie "kulturelle Spezifika", "schlankes Management" und "hohes Arbeitsethos" genannt und nicht selten mißverstanden, während andere Faktoren häufig übersehen werden. Im wesentlichen läßt sich die Stärke der japanischen Wirtschaft mit drei Besonderheiten erklären, die Organisation und Zusammenspiel der verschiedenen Akteure kennzeichnen:

    • die "Kultur" innerhalb des einzelnen Unternehmens,

    • die Arbeitsteilung zwischen den Unternehmen und

    • die enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik und Bürokratie.´



    Unternehmenskultur



    Wenn von der besonderen japanischen Unternehmenskultur die Rede ist, sind in der Regel große Firmen gemeint, also die Repräsentantinnen des japanischen Erfolges. Kleinere Betriebe streben zwar das gleiche Ideal an, sind aber weniger streng organisiert.

    Management und Belegschaft in einem Großunternehmen verstehen sich als eine geschlossene Einheit, in der es auch keine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten gibt. Diese Abschottung der Firmen ist möglich, weil die Arbeitnehmer nur auf Betriebsebene organisiert sind (Betriebsgewerkschaften) und der Arbeitsmarkt sehr stark auf das Unternehmen begrenzt ist. Das bedeutet, daß vorzugsweise Berufsanfänger ohne spezifische Berufsqualifikation eingestellt werden, diese in und für die Firma ausgebildet werden und Führungsposten fast ausschließlich mit eigenen Mitarbeitern besetzt werden. Der Karriereverlauf sowie die Entlohnung der Angestellten sind eng mit dem Alter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit gekoppelt. Daher überholt nur sehr selten ein jüngerer Mitarbeiter einen älteren auf der Karriereleiter (Senioritätsprinzip). In jüngster Zeit gewinnt allerdings die individuelle Leistung an Bedeutung.

    Quereinsteiger werden selten als Stammarbeiter eingestellt, sondern als Leih-, Teilzeit- oder befristet Beschäftigte. Als solche erhalten sie weder Sondervergütungen noch genießen sie die weitreichende Beschäftigungssicherheit. Diese bedeutet allerdings nicht, daß Stammarbeiter grundsätzlich unkündbar sind oder daß ihnen bis zum Ruhestand ein bestimmter Arbeitsplatz garantiert ist. Sie müssen vielmehr häufige Versetzungen mitunter in andere Landesteile oder auch auf schlechtere Posten hinnehmen, die die Unternehmen bei Konjunkturschwankungen oder Veränderungen der Firmenstrategie anordnen. Solange allerdings die Stammbelegschaft nicht entlassen wird, kann sich das Management dabei gewöhnlich auf die Kooperation der Betriebsgewerkschaften verlassen.

    Die hohe Arbeitsplatzsicherheit und die finanziellen Vergünstigungen gelten nur für die regulären Vollzeitangestellten (in der Regel Männer) in den Großunternehmen. Das bedeutet, daß nur rund 30 Prozent der japanischen Beschäftigten von den vielgepriesenen Beschäftigungsbedingungen profitieren, während der Großteil unter schlechteren und unsicheren Bedingungen arbeitet. Durch das Arbeitsstandardgesetz sind ihre Arbeitszeiten, Mindestlöhne usw. zwar gesichert. Um eine Anpassung an die privilegierte Minderheit zu erreichen, fehlt den schlechter gestellten Arbeitnehmern jedoch eine schlagkräftige Organisation. In jüngerer Zeit wurden einige überbetriebliche Gewerkschaften gegründet, die bestimmte Berufe oder Sparten vertreten, doch bislang stellen sie noch eine sehr kleine und schwache Kraft dar.

    Zu den Besonderheiten des japanischen Managements gehört auch, daß man versucht, möglichst viele Mitarbeiter an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, damit alle die Umsetzung mittragen. Das bedeutet, daß eine Entscheidungsvorlage so lange herumgereicht und abgeändert wird, bis alle mit ihrem Namensstempel ihre Zustimmung dokumentiert haben. Dieses Procedere ist zunächst zwar zeitaufwendig, dafür geht die Umsetzung anschließend gewöhnlich umso schneller, weil niemand mehr Einwände hat. Ein anderes Mittel, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Geschäftsabläufe einzubeziehen, ist die ständige Aufforderung an jeden einzelnen, Vorschläge zur Verbesserung von Arbeitsabläufen zu machen. Beide Methoden stärken die Identifikation mit der Firma, die dann mit einem hohen Arbeitseinsatz rechnen kann. Auf diese Weise kann die Firma also ständig effizienter werden und gleichzeitig die Motivation ihrer Mitarbeiterschaft erhöhen.

    Duale Wirtschaftsstruktur



    So wie es im einzelnen Unternehmen eine klare Teilung zwischen Stammarbeitern und Randbeschäftigten gibt, ist auch die gesamte Wirtschaftsstruktur in zwei sehr unterschiedliche Bereiche geteilt: Auf der einen Seite gibt es einen kleinen Kern von leistungsstarken Großunternehmen - die oft weltweit bekannt sind - und auf der anderen Seite existieren zahllose "kleinere und mittelgroße Unternehmen" (KMU), die mehr oder weniger abhängig von ihren großen Abnehmern sind. Über 95 Prozent der japanischen Betriebe sind KMU, rund dreiviertel der japanischen Beschäftigten sind hier tätig. Zwischen den beiden Gruppen gibt es ein scharfes Gefälle hinsichtlich Produktivität, Profitabilität, Lohnniveau, Arbeitsplatzsicherheit und auch Prestige.

    Die japanischen Hersteller haben in der Regel eine ziemlich konstante, große Gruppe von Zulieferern, die ihrerseits in mehrere Stufen unterteilt sind. Je tiefer die Zulieferstufe, desto kleiner ist die Firma und desto schlechter sind gewöhnlich die Arbeitsbedingungen. Die gesamte Gruppe hat die Form einer Pyramide, an deren Spitze der Hersteller steht. Dieser stellt selbst einen viel geringeren Teil der Fertigung her als westliche Hersteller, bezieht also viele Teile und Vorprodukte von außen. Die Geschäftsverbindungen mit den Zulieferern bestehen über viele Jahre und werden auch in Krisenzeiten nicht einfach gekappt. Vielmehr bieten die Abnehmer den Zulieferern oft technische, personelle oder auch finanzielle Hilfe. Für die Zulieferer bedeutet diese Konstanz eine große Sicherheit, und sie nehmen dafür in Kauf, daß der Abnehmer Preis- und Lieferbedingungen quasi diktiert. Dieser wälzt seine Produktionsschwankungen auf die kleinen Betriebe ab und kann dadurch seine eigenen Kapazitäten erhalten. Nicht selten werden sogar überflüssig gewordene Arbeitnehmer in die Zulieferbetriebe "ausgeliehen", ein Mittel, mit dem das Großunternehmen unpopuläre Entlassungen vermeiden kann. Die Großunternehmen nutzen folglich bewußt die Schwäche der Kleinbetriebe und die Kostenunterschiede aus, um selbst kostengünstig und rentabel arbeiten zu können.

    Der Erfolg der namhaften japanischen Hersteller wäre ohne diese Arbeitsteilung und die Kleinbetriebe als Puffer nicht möglich gewesen. Die Zweigeteiltheit sowohl der einzelnen Unternehmen als auch der Industrie im Ganzen führt dazu, daß die japanische Gesellschaft ebenso in verschiedene soziale Schichten unterteilt ist wie die anderer Länder. Die weniger gutgestellten Arbeitnehmer versuchen zwar, in ein Großunternehmen mit besseren Konditionen zu kommen, aber die Unterschiede werden insgesamt nicht als so kraß empfunden, daß sie soziale Konflikte auslösen würden. Außerdem sind auch unsichere Arbeitsverhältnisse oder eine Stelle in einem kleineren Unternehmen immer noch mit einer Beschäftigung als solcher verbunden. Und darüber wiederum mit einem sozialen Status, der stark von Beruf und Arbeit abhängt. Nur sehr wenige fallen ganz aus diesem Raster der Normalität, sei es als Arbeitslose oder gar als Obdachlose. Diese Wahrnehmung spiegelt sich darin wider, daß sich über 90 Prozent der Japaner als Angehörige der Mittelschicht bezeichnen.

    "Eisernes Dreieck"



    Japans Erfolg wird oft mit der engen Verquickung von Wirtschaft, Politik und Bürokratie erklärt. Die Bezeichnung "Japan Incorporated" soll andeuten, daß alle Gruppen gemeinsam am gleichen Ziel arbeiten, nämlich dem Nutzen der Nation. Auf diese Weise entsteht der Eindruck einer politischen Geschlossenheit und Interessenharmonie, die in Wirklichkeit nicht besteht. Dabei wird der Einfluß des Staates im Westen allerdings sowohl von den Kritikern der engen Verquickung als auch von Bewunderern einer kontrollierenden Wirtschaftspolitik oft überschätzt.

    Ein Instrument des Staates ist die "Industriepolitik", der man in Japan grundsätzlich, auch innerhalb der Wirtschaft, positiver gegenübersteht als in Deutschland. In der Aufbauphase nach 1945 war die Industriepolitik schlicht auf Wachstum und auf wenige Industriezweige ausgerichtet. Die enge Zielrichtung und die Tatsache, daß der Staat zugleich über die Verteilung der meisten Investitionsmittel verfügte sowie den Außen- und Devisenhandel kontrollierte, trugen zum Erfolg der Industriepolitik und zum Ruhm des hauptverantwortlichen MITI (Ministerium für Industrie und Handel) bei. Viele Entscheidungen basierten jedoch nicht auf Gesetzen, sondern auf Konsens der Beteiligten, so daß das MITI auf die Kooperation der Industrieunternehmen angewiesen war. Falls ein Unternehmen eine Anweisung des MITI ignorierte, wurde es jedoch zuweilen dadurch gemaßregelt, daß es bei staatlichen Aufträgen benachteiligt behandelt wurde. Zuweilen widersetzen sich Unternehmen aber auch erfolgreich, beispielsweise als das MITI Mitte der sechziger Jahre Fusionen in der Autobranche empfahl, um übermäßige Konkurrenz zu vermeiden. Die Hersteller weigerten sich und bauten die Branche in ihrer heutigen, erfolgreichen Gestalt aus.

    Seit den siebziger Jahren wurden die einzelnen Unternehmen stärker - zum Beispiel durch internationale Verflechtungen - und die beteiligten Branchen wurden zahlreicher, so daß die kontrollierende Gestaltung der Industriepolitik schwieriger wurde. Heute gilt das MITI vorrangig als Koordinator von unterschiedlichen Interessen und als Gestalter der Rahmenbedingungen. Es ist maßgeblich bei der Formulierung von wirtschaftsrelevanten Gesetzen beteiligt, benennt und fördert die Wachstumsbranchen der Zukunft und versucht gleichzeitig, den Abbau von schwindenden Branchen sozialverträglich zu gestalten. Neben zahllosen Gesetzen, Vorschriften und Auflagen bedient sich der Staat der informellen administrativen Lenkung, um bestimmte Forderungen durchzusetzen. Diese Anweisungen sind zwar nicht rechtsverbindlich, dennoch meistens äußerst wirksam, da nur wenige Unternehmen es wagen, den Unmut der Verwaltung auf sich zu ziehen.

    Elitebeamte und Wirtschaftsführer (sowie auch Politiker) sind oftmals Absolventen der gleichen Universität und pflegen und nutzen diese persönlichen Kontakte über Jahrzehnte. Gleichzeitig wechseln viele Spitzenbeamte nach ihrer Pensionierung in Privatunternehmen und übernehmen dort "Beraterfunktionen". Die Unternehmen erhalten dadurch Zugang zu den internen Abläufen in den Ministerien und die Beamten bessern durch diese "Vom Himmel herabsteigen" (oder amakudari) genannte Praxis ihre Pension auf.

    Diese Vernetzung fördert nicht selten Bestechlichkeiten, wie in zahlreichen Skandalen deutlich wurde. Im Zuge der Verwaltungsreform und der Entbürokratisierung der Wirtschaft soll der Einfluß der Beamten eingeschränkt werden. Solange jedoch die personellen Verbindungen existieren, wird das "eiserne Dreieck" nicht in unabhängige und gleichstarke Einzelteile auseinanderfallen.

    Informatisierung in Japan



    Petra Plate

    Die japanische Informationsindustrie kann auf fast allen Gebieten wettbewerbsfähige Produkte vorweisen. Vor allem im Gebrauch von Personalcomputern und Netzen ist der japanische Inlandsmarkt jedoch lange Zeit zurückhaltend geblieben, während sich in den achtziger Jahren in den USA der Trend zu Personalcomputern immer mehr durchsetzte. In Japan wurden PCs zunächst kaum benötigt, denn die für sie entwickelte amerikanische Paketsoftware konnte in Japan nicht eingesetzt werden. Ihre für die Darstellung von nur etwa 80 Buchstaben und Zeichen vorgesehene amerikanische Technik reichte nicht aus, um die vielen tausend Bedeutungszeichen der japanischen Schrift zu verarbeiten.

    Bis in die siebziger Jahre konnte Japanisch nicht maschinell geschrieben werden, daher wird die geschäftliche Korrespondenz gewöhnlich auch heute noch handschriftlich geführt. Zur Übertragung von Handschrift und Skizzen eignet sich das Telefaxgerät. Als die Technologie zur elektronischen Verarbeitung der japanischen Sprache entwickelt war, wurde das Softwareprogramm dafür fest in ein weiteres Gerät installiert: die elektronische Schreibmaschine. Wo japanische PCs eingesetzt wurden, meist in der Forschung und Entwicklung, verwendeten sie nur anwendungsspezifische Software japanischer Hersteller, da sie mit amerikanischen Systemen nicht kompatibel sind.

    Da Telefax und Schreibmaschine zusammen mit den leistungsfähigen Zentralcomputern zunächst alle Aufgaben erfüllten, hat die japanische Geschäftswelt erst sehr spät begonnen, für die Mitarbeiter Personalcomputer anzuschaffen. Erst die neuen Anwendungen, durch die die Übertragung der weltweit verbreiteten PC-Betriebssysteme auf Japanisch und vor allem durch Computer-Kommunikationsnetze möglich werden, machen den Gebrauch von PCs erforderlich. Daher holt die japanische Industrie jetzt die Entwicklung von Systemsoftware nach, während sie ihren Inlandsmarkt für Informationstechnik mit den großen amerikanischen Konkurrenten teilen muß.

    QuellentextZweifel an der Technologie wächst

    DIE ZEIT: Seit Menschengedenken leben die Japaner mit der ständigen Gefahr von Naturkatastrophen: Erdbeben, Sturmfluten, Taifune und Vulkanausbrüche suchen das Inselreich in regelmäßigen Abständen heim. Prägen diese Naturerfahrungen heute noch die Menschen?

    Shuichi Kato: Im Prinzip leben die Japaner in der Gegenwart und denken nicht viel an die ferne Zukunft. Das hängt mit der Natur der Katastrophen zusammen: Man kann vor ihnen nicht fliehen. Sie sind ein Teil der Lebensbedingungen. Generationen hatten keine andere Wahl, als sich damit abzufinden. Ihnen fehlt deshalb die ständige Angst, die viele Europäer befällt, wenn sie in Japan leben. […]

    ZEIT: Hängt es mit Katastrophenerlebnissen wie in Kobe zusammen, wenn die Japaner immer bereit erscheinen, Altes durch Neues zu ersetzen - wie etwa bei dem zügigen Abbau der Kohleindustrie und dem ebenso raschen Aufbau der Elektronikindustrie?

    Kato: Das ist eine philosophische Frage. Die japanische Weltanschauung meint, daß sich im menschlichen Leben oder in dieser Welt alles ständig ändert. Es gibt keine Permanenz. Vielleicht läßt sich diese Lebensauffassung zum Teil aus der bewegten Natur erklären, sicherlich hat sie auch mit dem Buddhismus zu tun. Wie oft die Stadt Edo, das spätere Tokio, völlig abbrannte und wiederaufgebaut wurde, läßt sich heute kaum mehr sagen. Sogar Millionenstädte wurden vor diesem Jahrhundert nicht als etwas Dauerhaftes errichtet.

    Symbolisch steht dafür Chasitsu, das Teehaus. Es ist so leicht gebaut, daß es mit dem Taifun einfach wegfliegt. Das Teehaus verfügt ganz bewußt über keine Widerstandskraft gegen die Natur. Diese Haltung gegenüber der Umwelt führt wesentlich dazu, daß man bereit ist, alle radikalen Änderungen zu akzeptieren - bis hin zur Resignation. Natürlich gab es ähnliche Denkweisen seit Heraklit auch in Europa - doch die zählten nie zur Hauptströmung.

    ZEIT: Aber inzwischen versuchen doch auch die Japaner Häuser zu bauen, die weit mehr als hundert Jahre stehen, etwa das angeblich so erdbebensichere neue Tokioter Rathaus.

    Kato: Solche Versuche gibt es, doch sie bergen keine wirkliche Zukunftsvision. Deshalb wird die Regierung nie in der Lage sein, eine wirklich erdbebensichere Stadt aufzubauen. Hier zeigt sich die negative Seite unserer Philosophie.

    ZEIT: Dennoch stehen Architektur, Kunst und Literatur in Japan der europäischen Kultur auf ihre Weise nicht nach.

    Kato: Beide Philosophien können ungeheuer kreativ sein. Den Unterschied sehe ich bei den Naturwissenschaften. In Europa entspringen sie dem Versuch, die Natur zu beherrschen: also nicht Anpassung der Natur wie in Japan. Das Verhältnis der Europäer zur Natur ist ein analytisches. Die Natur ist Gegenstand des Wissens, man sucht in ihr nach allgemeingültigen Regeln, was impliziert, immer nur einen Teil des Ganzen zu sehen. Die japanische Haltung gegenüber der Natur als Gegenstand neigt dagegen immer noch zu einer ganzheitlichen Betrachtung. […]

    Nach dem Unfall von Tschernobyl hat man hier gesagt: Wir können es besser als die Russen. Nach dem Erdbeben von Los Angeles, bei dem eine große Brücke einstürzte, haben die hiesigen Experten gesagt: Das könnte bei uns nicht passieren. Die Japaner vertrauten bislang ihrer Technologie und waren stolz darauf. Erst mit dem Erdbeben von Kobe ist zum ersten Mal der Zweifel aufgetaucht, ob man der eigenen Technologie noch vertrauen kann. Mit den Trassen der berühmten Superschnellzüge, die seit 1962 ohne Unfall fuhren, wurde in Kobe ein maßloses Überlegenheitsgefühl zerstört. Das ist eine gute Sache, wahrscheinlich die wichtigste Lehre aus dem Erdbeben.

    Tatsächlich haben die Japaner in solchen Krisensituationen eine gewisse Flexibilität bewiesen, ihre eigenen Fehler zu korrigieren. Aus diesem Grund ist die Luft in Tokio heute wieder erstaunlich sauber - eine Folge der Reaktion auf die Smogkatastrophen zu Beginn der siebziger Jahre. In Europa reagiert man in solchen Lagen oft weniger flexibel und neigt zum Insistieren. Das liegt an der im Grunde stärkeren Technologieorientierung. Zwar besitzt Japan ein übertriebenes Vertrauen und manchmal eine geradezu naive Begeisterung für Technologie, aber das ist neu und nicht Teil der Tradition. Zwar denkt man in Europa inzwischen technologiekritisch und besitzt nicht mehr das vollkommene Vertrauen in die neuen Errungenschaften - aber bei Schwierigkeiten setzt sich der traditionelle, technologische Lösungsansatz in aller Regel immer noch durch.

    Europa hat eine viel längere Technologiegeschichte, und die auf dieser Entwicklung aufbauenden Denkweisen sitzen viel tiefer. In Japan könnte man dagegen sagen: Nun ist das technologische Zeitalter vorbei, und wir machen etwas anderes. Die Technologie hat also noch nicht die tiefsten Schichten des Bewußtseins erreicht. In diesem Sinne ist man in Japan flexibler.

    Georg Blume und Chikako Yamamoto, "Das Gefühl der Überlegenheit ist zerstört", in: Die Zeit vom 27. Januar 1995.

    Der Interviewte, Jahrgang 1919, machte den ständigen Neuanfang zum Lebensprinzip. Er ist einer der führenden japanischen Nachkriegsintellektuellen.

    Perspektiven



    Das 21. Jahrhundert wird für Japans Wirtschaft tiefgreifende Veränderungen bringen, die Mitte der neunziger Jahre bereits erkennbar sind. Erstens wird die verarbeitende Industrie in der Gesamtwirtschaft noch weiter an Bedeutung verlieren, während der Dienstleistungsbereich seinen Stellenwert ausbauen wird. Bis zum Jahr 2000 soll der Servicesektor 64,9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen (1993 waren es 60,4 Prozent), während die Industrie von 27,7 Prozent auf 23,7 Prozent absinken wird. Der bisherige Erfolg Japans beruhte fast ausschließlich auf seiner leistungsstarken Industrie, in deren Schatten der Servicebereich bis heute wenig produktiv arbeitet.

    Beispiel Handel: Das Distributionsnetz ist mehrstufig und ineffizient organisiert. Dadurch bietet es zwar viele Arbeitsplätze, verursacht aber zugleich sehr hohe Verbraucherpreise, da auf jeder Handelsstufe eine bestimmte Gewinnmarge aufgeschlagen wird. Außerdem ist im Dienstleistungssektor insgesamt die Marktliberalisierung noch nicht so weit fortgeschritten wie in der Industrie, das heißt in einzelnen Branchen sind die Unternehmen praktisch vor ausländischer oder auch vor zuviel inländischer Konkurrenz geschützt.

    Die eingeleitete Deregulierung soll die Unternehmen zu mehr Marktwirtschaftlichkeit zwingen, somit die Effizienz steigern und die Unternehmen auch international wettbewerbsfähig werden lassen. Dieser Prozeß ist mit Kostensenkungen verbunden und wird sicher auch Arbeitsplätze kosten, etwa in Einzel- und Großhandelsgeschäften. Auf der anderen Seite soll der Dienstleistungsbereich diejenigen Arbeitskräfte aufnehmen, die in der verarbeitenden Industrie abgebaut werden (rund eine Million bis zum Jahr 2000) und sogar neue Beschäftigung schaffen. Deshalb sollen neue Dienstleistungen gefördert werden, im Telekommunikations- und Informationsbereich, aber auch im pflegerischen und freizeitverbundenen Bereich. Weltweit werden hier die Wachstumschancen gesehen, einerseits aufgrund der technischen Entwicklung und andererseits aufgrund der Notwendigkeiten bei einer alternden Gesellschaft. In Japan gibt es in den genannten Bereichen bislang ein klares Defizit. In diesem Zusammenhang wurde an anderer Stelle bereits von unzureichenden Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen für Kinder und alte Menschen sowie von der geringen Informatisierung gesprochen. Durch den Nachholbedarf und durch die schnelle Alterung der Bevölkerung vergrößern sich die Wachstumspotentiale noch.

    Wegen der sinkenden Geburtenrate wird die Erwerbsbevölkerung in naher Zukunft schrumpfen und der Anteil der erwerbstätigen alten Menschen und der Frauen ansteigen. Zugleich werden immer mehr Menschen in Teilzeit- oder befristeten Arbeitsverhältnissen tätig sein und das Ideal der Dauerbeschäftigung wird an Bedeutung verlieren.

    Die Regierung erstellt optimistische Prognosen für die neuen Wachstumsbranchen und versucht, die Weichen für eine möglichst reibungslose Umstellung zu stellen. Dabei kann beispielsweise das MITI als Koordinator Unterstützung leisten. Allerdings ist auch ein Umdenken in der Gesellschaft, bei Unternehmen wie bei Beschäftigten, notwendig. Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen sich darauf einstellen, daß ihre Beschäftigung mehr von der individuellen Leistung abhängt und deshalb ihre persönliche Qualifizierung ausbauen. Auf der anderen Seite müssen die Unternehmen entsprechende Bewertungsmaßstäbe aufstellen und insgesamt offener für Arbeitskräfte "von außen" werden, damit Arbeit und Arbeitskräfte gesamtwirtschaftlich möglichst effizient und sozialverträglich verteilt werden können.

    Außenwirtschaft



    Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 5,1 Billionen US-Dollar im Jahre 1995 ist Japan heute die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt hinter den USA. Gemeinsam erwirtschafteten beide Staaten circa 40 Prozent des weltweiten BIP-(Bruttoinlandsprodukt-)Gesamtaufkommens (zum Vergleich: auf Deutschland entfallen circa 8 Prozent)

    Mit einem Beitrag zum Welthandelsaufkommen von knapp 8 Prozent gehört das Land gleichzeitig hinter den USA (circa 14 Prozent; EU insgesamt circa 37,5 Prozent) zu den wichtigsten Teilnehmern an der Weltwirtschaft. Die Abhängigkeit des Landes vom Außenhandel liegt zwar mit circa 8 Prozent erheblich unter derjenigen fast aller anderen Industrienationen (USA: circa 9 Prozent; Deutschland: circa 20 Prozent). Allerdings ist die Exportabhängigkeit einiger wichtiger Industriesparten in Japan relativ hoch.

    Die wichtigsten Handelspartner



    Seit 1945 sind die USA unangefochten an der Spitze der japanischen Handelspartner mit circa einem Viertel des gesamten japanischen Handelsvolumens. 1995 belief sich der Wert des gemeinsamen Handels auf 196267 Milliarden US-Dollar. Dabei erzielte Japan einen - politisch problematischen - Überschuß in Höhe von 45451 Milliarden US-Dollar. Neben den USA gehören die Staaten Ostasiens zu den wichtigsten Partnern im Handel. Deutschland, als größter einzelner Handelspartner Japans in der EU, nimmt bei den Importen wie bei den Exporten erst Rang sieben ein.

    Der Handel mit den achtzehn Staaten der APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation, Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation) in Nordamerika, Chile, Argentinien, Australien und in Ostasien hat in den vergangenen Jahren an Gewicht für die japanische Außenwirtschaft gewonnen. 1995 entfielen insgesamt 74 Prozent der japanischen Exporte und 67,1 Prozent der japanischen Importe auf diesen intraregionalen Handel. Demgegenüber scheinen die Staaten der EU für den japanischen Außenhandel leicht an Bedeutung zu verlieren.

    Besonderheiten der Handelsstruktur



    Japan hat sich seit 1945 in einem sehr raschen Tempo von einem "industrialisierten Agrarland" zu einem modernen Hochtechnologiestaat entwickelt. Erst Anfang der siebziger Jahre verlor das Land seinen Status als Entwicklungsland nach OECD-Standard. Die Stufen dieser raschen Entwicklung lassen sich anhand des Wandels nachvollziehen, den die Struktur des japanischen Außenhandels während der vergangenen fünfzig Jahre durchlaufen hat. Die Exporte der Leichtindustrie (Textil- und chemische Industrie) machten 1960 noch circa ein Drittel der Gesamtausfuhren aus, während die technologieintensive Sparte "Maschinen und Ausrüstungen" nur auf circa ein Viertel kam. 1993 hat sich der Anteil der arbeitsaufwendigen Textilexporte dagegen auf 2,3 Prozent reduziert, während etwa drei Viertel der Exporte auf "Maschinen und Ausrüstungen" entfallen.

    Auch innerhalb der einzelnen Warengruppen zeigt sich heute eine Spezialisierung auf technologieintensive Produkte. So entfällt heute beispielsweise etwa ein Viertel der Exporte der japanischen Textilindustrie auf synthetische Faserstoffe. Das hohe technologische Niveau der japanischen Industrie zeigt sich im internationalen Vergleich auch bei den Patentanmeldungen. So konnte Japan im Technologiehandel 1993 einen leichten Gewinn verbuchen und lag bei der Anmeldung internationaler Patente hinter den USA und Deutschland weltweit an dritter Stelle.

    Die Massenproduktion einiger weniger Produkte, die aufgrund einer hohen Stückzahl billig auf den Weltmärkten angeboten werden können, gehört heute nicht mehr zu den Schwerpunkten der Strategie der japanischen Industrie. Die Breite der Produktpalette der japanischen Exporte ist mit denen anderer Industriestaaten vergleichbar, wie sich am Beispiel der Warengruppe Maschinen und Ausrüstungen zeigt, die zwei Drittel der gesamten Exporte ausmacht.

    Allerdings entfällt auf die Produkte der Automobilindustrie - Fahrzeuge und Fahrzeugteile - mit circa 27 Prozent aller japanischen Exporte der Warengruppe "Maschinen und Ausrüstungen" ein erheblicher Anteil der Gesamtexporte. Auffällig ist, daß die Importe von Fahrzeugen im Falle Japans erheblich unter denen vergleichbarer anderer Industrienationen liegen.

    Die Struktur der japanischen Importe weist dagegen noch deutliche Spuren des raschen Tempos der wirtschaftlichen Entwicklung Japans auf. Der Anteil der Fertigprodukte an den Gesamtimporten, ein wichtiges Indiz für einen freien Marktzugang für ausländische Anbieter, liegt in Japan mit knapp über 50 Prozent noch erheblich unterhalb des Durchschnitts der übrigen Industrienationen von 75 Prozent bis 80 Prozent. Allerdings sind die Importe aus Europa zu 85 Prozent, die aus den USA zu 62 Prozent Fertigwaren. Der hohe Anteil an nichtverarbeiteten oder halbverarbeiteten Gütern läßt sich zum Teil aus der hohen Importabhängigkeit Japans bei lebenswichtigen Rohstoffen erklären. Etwa ein Fünftel der Einfuhren entfallen auf minerale Brennstoffe. Etwa 16 Prozent der Gesamtimporte sind Nahrungsmittel, wobei auf Fisch und Meeresfrüchte, die wichtigsten Eiweißlieferanten der japanischen Speisekarte, bereits 6 Prozent entfallen - aus dem Fang in japanischen Gewässern ist aufgrund von Überfischung der Bedarf nicht mehr zu decken.

    Importabhängigkeit Japans bei wichtigen Rohstoffen in Prozent:
    • Erdöl: 99,6%

    • Eisenerz: 100%

    • Nickel: 100%

    • Kohle: 100%

    • Aluminium: 99,2%

    • Sojabohnen: 96,2%

    • Kupfer: 98,8%



    Japanische Direktinvestitionen



    Gegen Ende der achtziger Jahre ist ein wachsendes Interesse japanischer Investoren an Direktinvestitionen ins Ausland festzustellen. Das Gros der japanischen Direktinvestitionen ging in die USA (1993: 42 Prozent der gesamten getätigten Auslandsdirektinvestitionen Japans). Europa lag mit 19,8 Prozent an zweiter Stelle vor Asien mit 15,7 Prozent. Tendenziell ist seit 1993 eine gewisse Verschiebung der japanischen Investitionsaktivitäten in Richtung Ostasien erkennbar.

    Insbesondere in den Boom-Jahren 1989 bis 1991 wurde sehr viel Kapital im Ausland angelegt. Japanische Auslandsinvestitionen flossen vor allem in die Bereiche Immobilien (1989: 14,1 Milliarden US-Dollar), verarbeitende Industrie (16,2 Milliarden US-Dollar) und Finanz- und Versicherungswesen (15,4 Milliarden US-Dollar). Besonders medienträchtig war der Erwerb des Rockefeller-Centers im Zentrum von New York. Doch solche spektakulären Investitionen führten binnen weniger Jahre ins finanzielle Desaster. In Japan brauchten viele Unternehmen in der 1992 einsetzenden Rezession dringend Kapital. Gleichzeitig sanken in den USA die Immobilienpreise und der Wert des Yen stieg gegenüber dem Dollar drastisch an. So waren die US-Anlagen japanischer Investoren nach Yen berechnet in nur zwei bis drei Jahren erheblich im Wert gesunken.

    Langfristig von großer Bedeutung sind die Auslandsinvestitionen im verarbeitenden Sektor. Sie werden durch die Verlagerung japanischer Produktionsstätten ins Ausland verursacht, die seit Beginn der neunziger Jahre in rasantem Maße zugenommen hat. Japans Großkonzerne, die bisher im internationalen Vergleich einen sehr niedrigen Internationalisierungsgrad aufwiesen, passen sich auch in diesem Punkt langsam den internationalen Standards an. Schätzungen gehen davon aus, daß der Anteil der Auslandsproduktion am gesamten Output bei japanischen Großkonzernen von 18,4 Prozent im Jahre 1995 auf 26,8 Prozent im Jahr 2000 steigen wird (zum Vergleich: USA im Jahre 1992: 31,6 Prozent).

    So bietet Japan Mitte der neunziger Jahre das Bild einer fast "normalen" modernen Industrienation. Die Exportindustrie wird allmählich ihre Bedeutung als Motor wirtschaftlichen Wachstums abgeben. Der Grad der internationalen Verflechtungen ihrer Wirtschaft wird zunehmen. Bereits heute stammt ein wachsender Teil der in Japan verkauften Haushaltselektronik und Automobile aus japanischen Produktionsstätten im Ausland.

    Japanisch-amerikanischer Handelskonflikt



    Seit Beginn der achtziger Jahre erwirtschaftet Japan jährliche Überschüsse im Handel mit anderen Industrienationen, die zu politischen Spannungen insbesondere mit dem Haupthandelspartner USA führten. Das amerikanische Defizit im Japanhandel machte zeitweise mehr als die Hälfte des gesamten amerikanischen Handelsdefizits aus und erreichte Größenordnungen von circa 60 Milliarden US-Dollar im Jahr. Zwischen 1993 und 1996 befanden sich die USA mit Japan aus diesem Grunde wiederholt am Rande eines Handelskrieges, bei dem beide Staaten Exporte des jeweiligen anderen nicht - oder nur mit extremen Strafzöllen belegt - ins eigene Land gelassen hätten. Ein solcher Streit zwischen der größten und der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt hätte nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der beiden Beteiligten gehabt, sondern wäre wahrscheinlich auch nicht ohne Folgen für die Weltwirtschaft geblieben.

    Schließlich einigte man sich auf Rahmenverhandlungen über eine Neuordnung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, die im Sommer 1993 aufgenommen wurden. Diese Verhandlungen verdeckten aber nur das eigentliche Problem, nämlich die Frage nach dem Charakter der japanischen Volkswirtschaft und, damit verbunden, nach den wirksamen und notwendigen Schritten, um ausländischen Unternehmen einen Zugang zum japanischen Markt zu ermöglichen.

    Ist Japan vielleicht auf den Weltmärkten deshalb erfolgreich, weil die eigene Industrie im Ausland Chancen wahrnimmt, die ausländischen Unternehmen im Inland verweigert werden? Japan hat ein besonderes Interesse an freien Märkten, da nur ein freier Zugang zu den Weltmärkten für das rohstoffarme und in wichtigen Industriesparten relativ exportabhängige Land das Überleben als Industrienation sicherstellt. Tatsächlich ist der japanische Durchschnittszollsatz denn auch seit Anfang der neunziger Jahre mit 1,7 Prozent der niedrigste aller Industrienationen.

    Der Vorwurf der USA bezog sich aber vor allem auf "unsichtbare Handelsschranken". Als solche werden in der Regel vor allem technische Standards angesehen. Die Clinton-Administration, die 1993 die Regierungsgeschäfte in Washington mit dem Wahlversprechen übernommen hatte, der amerikanischen Industrie den Weg nach Japan zu ebnen, ging jedoch zunächst weiter. Sie nahm an, daß es sich bei Japan prinzipiell um eine von oben gelenkte Volkswirtschaft handelt. Dieser planwirtschaftliche Charakter der japanischen Wirtschaftsstruktur, in dessen Mitte die mächtigen Ministerien - vor allem das MITI und das Finanzministerium die Fäden zögen, ließe nur den Schluß zu, daß ein Marktzugang für Ausländer einzig durch festgelegte Marktzugangsquoten durchzusetzen sei.

    Als vorbildhaftes Beispiel und als Beweis für die Richtigkeit dieser These sah man in Washington das "Halbleiterabkommen" an. Danach mußten ausländische Halbleiteranbieter auf dem japanischen Markt vom März 1993 an einen Anteil von mindestens 20 Prozent erreichen. Diese Marktanteilsquote - also eine numerische Zielvorgabe - ist seither immer erreicht worden. Die USA deuteten das Erfüllen dieser Quote als einen Beweis für den planwirtschaftlichen Charakter der japanischen Industrie. Folglich wollte man nun auch numerische Zielvorgaben für andere Marktsegmente vereinbaren.

    Dagegen wehrte sich Japan jedoch entschieden. Die Erfüllung der Quote sei allein auf marktwirtschaftliche Kräfte zurückzuführen. Japanische Hersteller seien bisher vor allem auf Speicherchips spezialisiert gewesen, deren Nachfrage gesunken sei. Die Nachfrage nach "intelligenten Chips", wie sie US-Hersteller anböten, sei dagegen weltweit gestiegen. Da es sich also aus japanischer Sicht um einen in der Marktwirtschaft normalen Vorgang handelte, lehnte Tokyo weitere Forderungen nach numerischen Zielvorgaben kategorisch mit dem Hinweis ab, dies sei gegen die in Japan wirksamen Kräfte des freien Marktes und gegen die Prinzipien des freien Welthandels.

    Wohl am pointiertesten machte der frühere Sony-Gründer Akio Morita deutlich, was man in Japan für die Ursache des Handelsüberschusses ansah, als er öffentlich fragte, was denn falsch daran sei, gute Ware zu billigen Preisen anzubieten. Mit anderen Worten, der japanische Wirtschaftserfolg sei einfach darauf zurückzuführen, daß japanische Produkte konkurrenzfähiger, "besser" seien als die anderer Industrienationen. Darin läge nicht nur der Erfolg der japanischen Exportwirtschaft begründet, es erkläre gleichzeitig, warum Ausländer es in Japan so schwer hätten. Die japanische Industrie sei nämlich so stark, weil der Konkurrenzkampf auf dem Binnenmarkt schon bereits vor der Öffnung des Landes im Jahre 1867 zwischen den Handelshäusern viel härter war als im Ausland.

    Die USA konterten damit, daß sie bis dato durch einen enormen Verteidigungshaushalt den Weltfrieden sichergestellt hätten, ohne den der japanische Wirtschaftserfolg nicht denkbar gewesen wäre. Man habe Japan Jahrzehnte unter den nuklearen Schutzschild genommen, ohne dafür finanzielle Gegenleistungen zu verlangen, während Japan davon profitieren konnte, daß es kaum Verteidigungsausgaben hatte. Mehr noch, man habe seit dem Zweiten Weltkrieg die eigenen Märkte für die japanischen Waren offengehalten, obwohl diese oft genug auf dem heimischen Markt teurer angeboten wurden als in den USA (Dumping) und obwohl Japan auf vergleichbare amerikanische Produkte bis in die achtziger Jahre hinein hohe Importzölle verhängte. Aber nun fordere die solchermaßen "gebeutelte" amerikanische Wirtschaft ihr gutes Recht: offene japanische Märkte.

    Letztlich konnte die Frage nach dem Charakter des japanischen Marktes durch die Rahmenverhandlungen nicht geklärt werden. Trotzdem sind schrittweise Lösungen in wichtigen Einzelbereichen - unter anderem im Automobilsektor, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, bei medizinischen Gerätschaften und bei Finanzdienstleistungen - erreicht worden. Deren Ziele waren jedoch durch privatwirtschaftliches Engagement (japanisch-amerikanische Unternehmenskooperationen etwa im Automobilsektor zur Erschließung japanischer Märkte) bereits weitgehend vorweggenommen worden.

    Wenngleich die Frage danach, ob Japan eine freie Marktwirtschaft ist oder von dem besonderen, geschlossenen Charakter der heimischen Märkte profitiert, nicht zwischen den USA und Japan geklärt werden konnte, haben die andauernden Krisen der japanischen Wirtschaft den von Morita geäußerten Glauben an die eigene, besondere Konkurrenzfähigkeit mittlerweile erheblich erschüttert. Die Internationalisierung der japanischen Wirtschaft liegt langfristig auch im Interesse der eigenen Volkswirtschaft, da sie den Weg zur internationalen Arbeitsteilung weiter ebnet.

    Herausforderungen



    Doch ob der japanische Markt nun "geschlossen" ist oder nicht, der Weg der Konfliktlösung, den Japan und die USA mit ihren Rahmenverhandlungen beschritten haben, wirft ein Grundproblem auf, dem sich alle Staaten in Zukunft stellen müssen: Welche Rechtfertigung und welche Bedeutung haben einseitige Maßnahmen im Zeitalter einer zunehmenden Globalisierung der Märkte?

    Heute sind die gegenseitigen Abhängigkeiten der amerikanischen und der japanischen Wirtschaft - ebenso wie die der anderen Industrienationen - so groß, daß jegliche Form von handelspolitischen Strafmaßnahmen gegen den jeweils anderen gleichzeitig auch negative Auswirkungen auf Teile der eigenen Wirtschaft haben muß. So könnten am Ende fast alle Teilnehmer am Welthandel Schaden nehmen, nur weil zwei Partner sich nicht einigen konnten.

    Je rascher sich die internationalen Verflechtungen der Wirtschaft verdichten, desto dringlicher werden globale Mechanismen zur Lösung von Konflikten und zur langfristigen Sicherung der für das Überleben auf diesem Planeten elementaren Ressourcen.

    Die 1994 gegründete Welthandelsorganisation (WTO), die im wesentlichen die Funktionen des GATT (General Agreement on Tarifs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) übernommen hat, hält ein Schiedsverfahren für Handelsstreitigkeiten unter Mitgliedsländern bereit. Zwar existierten bereits im GATT Konfliktlösungsmechanismen, doch waren die Verfahren langwierig und die Durchsetzung der Entscheidungen hing vom "guten Willen" der Beteiligten ab. Die WTO dagegen ist eine Organisation und damit ein völkerrechtliches Subjekt. Ihre Entscheidungen haben für alle Mitgliedsstaaten bindenden Charakter. Einseitige Maßnahmen, wie die von den USA gegenüber Japan angedrohten Strafzölle, sind nicht mehr zulässig.

    Japan - Europa



    Die Beziehungen zwischen Japan und den Staaten Europas konzentrierten sich vorrangig auf wirtschaftspolitische Aspekte. Aber auch die Wirtschaftsbeziehungen sind verglichen mit denen zu den USA von geringerer Bedeutung, wie der Umfang des Handelsvolumens und der Direktinvestitionen zeigt.

    Seit Beginn der siebziger Jahre waren immer stärker anwachsende japanische Fertigwarenexporte kennzeichnend für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, die in Sektoren wie der Unterhaltungselektronik- und Fotowarenindustrie die europäischen Anbieter weitgehend vom Markt drängten. Andererseits waren Produkte europäischer Unternehmen auf dem japanischen Markt fast in keinem Sektor präsent. Seit Beginn der siebziger Jahre war es daher eines der Hauptziele der europäischen Japanpolitik, das Handelsungleichgewicht zu beheben.

    Was die geeignete Politik gegenüber der "Warenflut" aus Japan anging, herrschten unter den Mitgliedsländern der EWG/EU sehr unterschiedliche Vorstellungen. Während beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland für offene Zollgrenzen eintrat, versuchte Frankreich, es Japan "mit gleicher Münze heimzuzahlen", nämlich mit nichttarifären Handelshemmnissen, die man in Europa als Grund für die Probleme europäischer Anbieter auf dem japanischen Markt ansah. (So wurden japanische Videorekorderimporte nach Frankreich zeitweilig von einem einzigen Zollbeamten in einem kleinen Zollbüro auf dem Lande abgefertigt). Entsprechend schwer war es, Kompromisse für eine gemeinsame europäische Japan-Politik zu finden. Als ein seltenes Beispiel für eine gemeinsame Strategie kann das japanisch-europäische Automobilabkommen angesehen werden, das zwischen 1989 und 1991 ausgehandelt wurde. Es sieht vor, daß die japanischen Automobilimporte in die Staaten der EU bis zum Jahr 1999 entsprechend der Entwicklung des Binnenmarktes kontingentiert und schrittweise vergrößert werden. Vom Jahr 2000 an werden dann alle Schranken zum EU-Pkw-Markt fallen. Das Ziel des Automobilabkommens war es, der europäischen Pkw-Industrie eine "Schonzeit" zu geben, in der sie sich auf den Konkurrenzkampf mit Japan vorbereiten kann. Doch haben die japanischen Direktinvestitionen im Bereich der Pkw-Industrie in Großbritannien seit Beginn der neunziger Jahre dazu geführt, daß die japanische Pkw-Produktion in Europa so stark zugenommen hat, daß die Importwagen aus Japan demgegenüber an Bedeutung verloren haben.

    Langfristig erfolgversprechender als der protektionistische Ansatz über Handelsabkommen scheinen Verhandlungen über Marktöffnungen mit Japan zu sein. Seit 1982 war Tokyo bereit, nichttarifäre Handelshemmnisse, zu denen technische Zulassungsverfahren und Normen ebenso gehören wie Verwaltungsvorschriften und Bearbeitungskapazitäten für ausländische Importe, zum Gegenstand von Verhandlungen mit der EU zu machen. Zu dieser Zeit ging die EU auch bereits dazu über, sektorale Analysen des Marktzugangs durchzuführen. So konnte man am konkreten Beispiel nachweisen, wie die im Rahmen des GATT 1979 vereinbarten Liberalisierungen durch interne japanische Vorgehensweisen unterlaufen wurden. In paritätisch besetzten Expertenkommissionen wurde in der Folge jeweils auf Sektoren bezogen der Abbau unsichtbarer Handelsschranken vorangetrieben. Diese Kooperation wird seit 1986 dadurch weiter begünstigt, daß auch Japan mit dem Maekawa-Report die Notwendigkeit der Öffnung der heimischen Märkte zum eigenen Nutzen erkannt hat.

    Wenngleich die USA und die EU das gleiche Interesse an einer Öffnung des japanischen Marktes haben, ist kein konzertiertes Vorgehen festzustellen. Dies liegt nicht zuletzt an der größeren Bedeutung der USA als wichtigstem Handelspartner und einzigem Garant der militärischen Sicherheit. Hinzu kommt aber auch, daß der amerikanische Ansatz, der auf äußeren Druck setzt und mit der geforderten Festschreibung "numerischer Zielvorgaben" planwirtschaftliche Züge trägt, aus europäischer Sicht nur schwer mit den Prinzipien des freien Welthandels vereinbar ist.

    Gemeinsame Interessen auf multilateraler Ebene verbinden die EU und Japan im Rahmen der WTO. Beide sind daran interessiert, daß die Schiedsstelle der WTO in Handelsfragen funktioniert. Als einer der ersten Streitfälle ist daher auch 1995/96 eine EU-Beschwerde gegen Japan wegen diskriminierender Steuern auf Importalkoholika (vor allem Whiskey und Wodka) vom Schiedsgericht verhandelt worden. Die EU bekam recht, und Japan hat bereits 1996 Maßnahmen in die Wege geleitet, die Diskriminierung abzuschaffen. Japan erwartet künftig Hilfe von der Weltorganisation gegen einseitige amerikanische Sanktionsdrohungen wegen unfairen Handels. Diese sind nämlich nach den WTO-Richtlinien verboten, und für viele der nichttarifären Handelshemmnisse, derer sich Japan durch die USA angeklagt sieht, bestehen noch keine allgemeingültigen Regeln.

    Insgesamt haben sich die japanisch-europäischen Wirtschaftsbeziehungen seit Mitte der neunziger Jahre relativ entspannt. In Japan herrscht heute die Meinung vor, daß der eigene Markt zwar tatsächlich früher einmal "geschlossen war", heute aber nicht weniger "offen" ist als der europäische Binnenmarkt. Der japanische Handelsüberschuß, der in den achtziger und frühen neunziger Jahren ein enormes Ausmaß erreicht hatte, ist seit 1993 wieder rückläufig. Das ist aber weniger auf verstärkte europäische Exporte nach Japan als auf weniger japanische Exporte in die EU zurückzuführen.