Parteien
Mit Ausnahme weniger Jahre ist Japan seit dem Zweiten Weltkrieg von konservativen Parteien regiert worden. Von ihrem Entstehen aus dem Zusammenschluß der Liberalen und der Demokratischen Partei 1955 bis zur Wahlniederlage 1993 stand nahezu vierzig Jahre lang die "Liberaldemokratische Partei" (LDP) in der Regierungsverantwortung. Spötter haben immer wieder behauptet, daß die LDP weder liberal noch demokratisch noch eine Partei sei. Richtig ist, daß die LDP beispielsweise in der Bildungs- und Justizpolitik eher konservative denn liberale Positionen vertritt. Sie stellt mehr einen Zusammenschluß einzelner um bestimmte Führungspersönlichkeiten konzentrierter politischer Gruppen (sogenannte Faktionen) dar als eine an gemeinsamen politischen Idealen orientierte Partei westlicher Prägung. Dies hat unter anderem zur Folge, daß politische und innerparteiliche Personalentscheidungen nicht immer transparent ablaufen, sondern oftmals von "Parteibaronen" gefällt werden. Diese Parteibarone sind in vielen Fällen gegenwärtige oder ehemalige Führer der innerparteilichen Faktionen.
Die ersten Faktionen entstanden bereits zum Zeitpunkt der Parteigründung als Unterstützergruppen einzelner Kandidaten für den Parteivorsitz. Aufgabe der Faktionsführer ist es traditionell gewesen, ihre Gefolgsleute mit Partei- oder Kabinettsposten zu versorgen und in finanzieller Hinsicht zu unterstützen. Die Anziehungskraft der einzelnen Faktionen hat daher viel mit der Gesamtsumme aus politischen Grundüberzeugungen, Charisma und Geldsammelfähigkeiten der jeweiligen Faktionsführer zu tun.
Liberaldemokratische Partei
Eine ausgeprägte Wirtschaftsorientierung und eine enge außenpolitische Anlehnung an die USA haben die Regierungspolitik der LDP seit den 50er Jahren gekennzeichnet. Im Rahmen ihrer Wirtschaftspolitik hat die LDP im Laufe ihrer Regierungszeit immer besonderes Gewicht auf die Berücksichtigung der Interessen der Großunternehmen gelegt. Allerdings hat sie es auch verstanden, durch eine Subventions- und Schutzpolitik wichtige Wählergruppen wie Landwirte sowie kleine und mittlere Unternehmen an sich zu binden. Die zentrale Aufgabe von LDP-Politikern ist es in der Regel gewesen, über gute Drähte zur Machtzentrale in Tokyo, die sogenannten "Pipelines", dafür zu sorgen, daß materielle Wohltaten wie Infrastrukturprojekte in ihre Wahlkreise gelenkt wurden. Die Notwendigkeit dieser vermittelnden Tätigkeit ist ein Ausfluß der starken politischen Zentralisierung in Japan. Eine Reform der Politik im Sinne einer Ausrichtung der Tätigkeit der Mandatsträger auf unabhängige Politikformulierung statt eigennützige Interessenvermittlung kann daher erst erwartet werden, wenn es gelingt, die Dezentralisierung und Föderalisierung in Japan voranzutreiben und somit die politische und fiskalische Autonomie auf der regionalen und kommunalen Ebene zu stärken.
Sozialdemokratische Partei
Die 1955 gegründete Sozialistische Partei Japans, die sich 1995 offiziell in "Sozialdemokratische Partei" (SDP) umbenannte, stellte bis in die frühen neunziger Jahre die wichtigste Oppositionspartei dar. Aufgrund ihrer idealistischen und teilweise recht realitätsfremden Positionen (insbesondere Ablehnung des amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrages und Nichtanerkennung der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte) sowie ihrer relativen Schwäche auf dem Lande hatte die SDP aber niemals wirklich eine Aussicht auf Übernahme der alleinigen Regierungsverantwortung. Rigide ideologische Grundüberzeugungen hinderten die Partei daran, ein politisches Programm aufzustellen, welches die SDP zu einer wirklichen Volkspartei hätte werden lassen können. Bis in die frühen neunziger Jahre konnte daher von einem "Eineinhalb-Parteien-System" der Liberaldemokraten und Sozialisten in Japan gesprochen werden.
Daß eine lange Verweildauer in der Regierung zu Korruptionsbeziehungen und Verfilzungen zwischen Staat und Wirtschaft führen kann, offenbarte sich in Japan mehrere Male. So häuften sich insbesondere Ende der achtziger Jahre die Korruptionsskandale, in die eine Reihe von führenden LDP-Politikern verwickelt waren. Ursächlich hierfür waren nicht zuletzt die immens hohen Kosten für Wahlkämpfe und für die "Betreuung" von Wahlberechtigten in der Zeit zwischen den Wahlgängen. So werden etwa traditionell von japanischen Politikern kleine Geldgeschenke zu wichtigen Fest- und Trauerfeiern erwartet. Gleichzeitig existierte bis 1995 jedoch keine staatliche Parteienfinanzierung, was zu einem ständigen Bedarf an Unternehmensspenden führte. Groß angelegte Geldsammelaktivitäten wurden so zu einer wichtigen Aufgabe für Politiker und deren persönliche Sekretäre.
Jüngste Entwicklung
Der "Politik des Geldes" der LDP überdrüssig, wählte Japans Bevölkerung 1993 eine Koalition von acht Parteien, die allesamt unter dem Banner politischer Reformen angetreten waren, in die Regierung. Diese Parteien stellten allerdings zu einem großen Teil Abspaltungsprodukte der LDP dar. Eine komplexe Gemengelage von Motiven lag diesen Abspaltungen zugrunde: So spielte bei einer Reihe von konservativen Politikern der Wunsch nach Abgrenzung von den skandalträchtigen Filzbeziehungen der LDP und Unzufriedenheit über deren Reformunwilligkeit eine Rolle bei der Abkehr von der eigenen Partei, aber auch Machtkämpfe innerhalb der größten LDP-Faktion wie wahltaktische Überlegungen trugen zu den Parteineugründungen bei.
Als zentrale Kraft schälte sich dabei bald eine konservative Erneuerungspartei heraus, die sich Ende 1994 mit einigen kleinen Parteien, darunter der buddhistischen "Komeito" und der "Demokratisch Sozialen Partei" (DSP), zur "Neuen Fortschrittspartei" (NFP) vereinigte. Kernforderungen des offiziellen politischen Programms der NFP waren eine Eindämmung der Macht der Bürokratie, eine stärkere Eigenverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger und ein deutlicheres außen- und sicherheitspolitisches Profil Japans. Viel von ihrem Programm konnte die Partei aber während ihrer Zeit als Teil der neuen Regierungskoalition nicht umsetzen, da diese bereits 1994 wieder auseinanderfiel und von einer Koalition aus LDP, SDP und der kleinen "Neuer Herold-Partei" ersetzt wurde. Die Wahlen 1996 brachten schließlich das vorläufige Ende des kurzen "Zeitalters der Koalitionsregierungen" in Japan; die LDP konnte im Rahmen einer Minderheitsregierung wieder die ungeteilte politische Macht übernehmen.
Größte Verlierer des politischen Restrukturierungsprozesses seit den frühen neunziger Jahren sind die Sozialisten gewesen. Sie waren - mit einer kurzen Unterbrechung - zwischen 1993 und 1996 zusammen mit der Neuen Herold-Partei an allen Koalitionsregierungen beteiligt. Auf diese neue Rolle in der Regierungsverantwortung sowie auf die neuen politischen Herausforderungen für die Parteien, die infolge des Endes des Kalten Krieges aufgekommen waren, reagierte die SDP wie folgt: Sie warf zentrale politische Grundsatzpositionen über Bord wie die Forderung nach einer Auflösung des Sicherheitsvertrages mit den USA, die Nichtanerkennung der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte oder die Ablehnung von Kernkraftwerken. Damit verprellte die Partei jedoch viele ihrer traditionellen Wählerinnen und Wähler. Sie wandten sich vor allem der im September 1996 von einigen Abgeordneten der SDP sowie der Neuen Herold-Partei gegründeten "Demokratischen Partei Japans" (DPJ), einer weiteren Abspaltung von der LDP, und der zunehmend moderateren "Kommunistischen Partei Japans" (KPJ) zu. Aus den Wahlen 1996 ging die ehemals zweitgrößte Partei Japans nur noch als fünfte Kraft hinter der LDP, der NFP, der DPJ und der KPJ hervor.
Der 1993 eingeläutete Restrukturierungsprozeß des Parteienspektrums kann jedoch noch lange nicht als abgeschlossen gelten. Zu sehr handelt es sich bei den neu geschaffenen Parteien noch um eher lose Bündnisse um einige Führungspersönlichkeiten herum. Weitere Abspaltungen, Parteiauflösungen und -zusammenschlüsse sind daher schon aus wahltaktischen Erwägungen heraus zu erwarten. Eine klare neue Konstellation konservativer, liberaler und anderer politischer Parteien, möglicherweise in Form eines starken Zwei-Parteien-Systems angelsächsischer Prägung, kann daher frühestens für den Beginn des 21. Jahrhunderts erwartet werden.
Wahlsystem
Japans Wahlberechtigte (das Wahlalter beginnt bei 20 Jahren) nehmen an einer großen Vielfalt von Wahlen auf der kommunalen, regionalen und nationalen Ebene teil. So werden Bürgermeister und Abgeordnete in den Versammlungen der Kommunen durch öffentliche Wahl bestimmt, ebenso wie der Gouverneur und die Abgeordneten in den Parlamenten der 47 Präfekturen, die allerdings in wichtigen Fragen, etwa der Finanz- oder Bildungspolitik, nur über eine begrenzte politische Autonomie verfügen. Alle drei Jahre steht zudem jeweils eine Hälfte der 252 Mitglieder des Oberhauses des nationalen Parlaments, ("Haus der Berater") zur Wahl. Die wichtigste Wahl ist jedoch die des politisch bedeutenderen Unterhauses des nationalen Parlaments, des Repräsentantenhauses.
Vor der Wahlreform des Jahres 1994 existierten 129 mittelgroße Wahlkreise, in denen mehrere Mandate für das Unterhaus zu vergeben waren. Aus jedem dieser Wahlkreise wurden die drei bis fünf Kandidaten (ab 1986 in Einzelfällen auch zwei oder sechs Kandidaten), auf die die meisten Stimmen entfielen, in das Unterhaus entsandt. Obwohl also bis zu sechs Mandatsträger in einem bestimmten Bezirk gewählt wurden, verfügten die Wählerinnen und Wähler jeweils nur über eine Stimme. Denn die Einzelstimmen konnten nicht zwischen Kandidaten derselben Partei verrechnet werden ("Unübertragbare Einzelstimmgebung"). Dies bedeutete, daß verschiedene Kandidaten ein- und derselben Partei gegeneinander antraten. Das Ergebnis waren in vielen Fällen personen- statt parteiprogrammorientierte Wahlentscheidungen. Zudem verstärkte das Wahlsystem den Faktionalismus innerhalb der Parteien, weil im Falle mehrerer Kandidaten und Kandidatinnen einer Partei in der Regel Mitglieder verschiedener innerparteilicher Faktionen antraten. Auch die Bedeutung von Geld in der Politik wurde durch das Wahlsystem befördert, da entsprechende Wahlkämpfe sehr teuer waren. Ziel der Wahlreform von 1994 war es demzufolge, diesem Zustand Abhilfe zu verschaffen.
Entscheidend für den Wahlerfolg sind traditionell die sogenannten drei "ban" gewesen: Eine lokale Hochburg (jiban), ein bekanntes Gesicht (kanban) und eine wohlgefüllte Börse für materielle Zuwendungen (kaban). Bei der Stimmenmobilisierung in Japan spielen zudem einerseits die persönlichen Unterstützergruppen einzelner Kandidaten und andererseits landesweite Organisationen wie Gewerkschaften, Agrargenossenschaften und religiöse Bewegungen wie die buddhistische Laienorganisation Soka Gakkai eine wichtige Rolle. Die Tatsache, daß die drei wesentlichen Erfolgsfaktoren bei Wahlen "vererbt" werden können, hat das Entstehen von Politikerdynastien gefördert. Von den aus den Wahlen für das Unterhaus 1996 hervorgegangenen Mandatsträgern waren beispielsweise ein Viertel "Erbpolitiker", das heißt vor allem Kinder oder Enkel von ehemaligen oder noch amtierenden Politikern. Die Existenz von Politikerdynastien wird von vielen Wählerinnen und Wählern in Japan nicht als problematisch empfunden, da, wie erwähnt, traditionell eine wichtige Aufgabe der Politiker in der erfolgreichen Vertretung der (materiellen) Interessen des jeweiligen Wahlkreises in Tokyo liegt. Die hierfür notwendigen Kontakte können von einer Generation an die andere weitergegeben werden, was insbesondere die Wahlbevölkerung in ländlichen Gebieten bei den Wahlen honoriert.
Geringer Frauenanteil
Nach Politikern, die ihre Karriere auf der lokalen Ebene begonnen haben, stellen ehemalige Ministerialbeamte die zweitgrößte Gruppe der Abgeordneten im Unterhaus. Die Ursachen für dieses Phänomen sind in der Politisierung der Leitungspositionen in den Ministerien und dem frühen Pensionsalter von Ministerialbeamten in Japan (55 Jahre) zu suchen, welche eine zweite Karriere als Politiker zu einer interessanten Option machen. Frauen in politischen Ämtern sind in Japan nach wie vor selten: 1996 waren gerade 4,6 Prozent der Unterhausabgeordneten weiblichen Geschlechts. Damit schneidet Japan ähnlich schlecht ab wie die europäischen Hochburgen männlicher Vorherrschaft in der Politik, nämlich Frankreich und Griechenland.
Von Vorteil für die langjährige Regierungspartei LDP war das Ungleichgewicht zwischen ländlichen und städtischen Wahlkreisen. Mitte der achtziger Jahre etwa reichten in Extremfällen zur Wahl in einem ländlichen Wahlkreis 111000 Stimmen, während in einem dicht besiedelten Wahlkreis in einer Großstadt fast die fünffache Zahl der Stimmen notwendig sein konnte. Dieses Ungleichgewicht der Stimmen war eine Folge der Grenzziehung der Wahlbezirke im Jahre 1947. Nachfolgende Wanderungsbewegungen in die Städte verschoben jedoch die demographischen Verhältnisse, ohne daß dies eine grundlegende Neueinteilung der Wahlkreise zur Folge hatte. Als Partei, die auf dem Land große Erfolge erzielte, war der regierenden LDP nicht an einer solchen Neueinteilung gelegen. Erst im Rahmen der Reform des Wahlsystems 1994 wurden die Grenzen der Wahlkreise neu gezogen und das Stimmenungleichgewicht der Wahlkreise dabei deutlich verringert.
Unter dem erstmals 1996 angewandten Wahlsystem werden 300 der insgesamt 500 Unterhausabgeordneten in Einerwahlkreisen gewählt. Die verbleibenden 200 Sitze im Unterhaus werden nach dem Verhältniswahlrecht vergeben. Entsprechend geben die Wählerinnen und Wähler bei der Unterhauswahl seither zwei Stimmen ab; eine für einen Kandidaten oder eine Kandidatin in ihrem Wahlkreis und eine weitere für eine Parteiliste in einem der elf regionalen Wahlbezirke ("Blöcke"), aus denen je nach Größe 7 bis 33 Mandatsträger in das Unterhaus entsandt werden. Anders als in Deutschland entscheidet die Zweitstimme also nicht über die Zahl der gesamten Sitze der Parteien im Parlament, sondern nur über deren Anteil an den 200 Sitzen, die über die regionalen Listen vergeben werden. Das Wahlsystem ist nicht unumstritten; Unverständnis herrscht vielfach darüber, daß Kandidaten, die es nicht über den Einerwahlkreis geschafft haben, in das Unterhaus einzuziehen, dies trotzdem noch über einen sicheren Platz auf den Blocklisten tun können. Japans erste Änderung des Wahlsystems in 70 Jahren wird daher, wenn diese Kritik anhält, nicht die letzte bleiben.
Parlament
Gesetzgebende Organe verschiedener Länder unterscheiden sich oftmals in ihrer Zusammensetzung und Operationsweise. Während Japans Zweikammerparlament, die "Kokkai" (Nationalversammlung), viel mit seinen Gegenstücken anderswo auf der Welt gemeinsam hat, ist es auch durch eine Reihe von Eigenheiten gekennzeichnet. So sehen sich die Mitglieder des Parlaments nicht kollektiv als oberste politische Macht im Staate, wie dies für andere parlamentarische Systeme typisch ist. Die politische Macht in Japan wird vielmehr geteilt zwischen dem Parlament einerseits und der Regierung - dem Kabinett - und der mächtigen Bürokratie andererseits.
Das Parlament spielt, wie auch viele Parlamente in westlichen Demokratien, nur eine beschränkte Rolle im Prozeß der Gesetzgebung. Die überwiegende Mehrzahl der Gesetzentwürfe geht nicht vom Parlament aus, sondern von der Regierung, wobei der Bürokratie des Landes traditionell eine zentrale Rolle bei deren Vorbereitung und Umsetzung zugekommen ist. So sind in der Vergangenheit viele Gesetzentwürfe direkt von der Ministerialbürokratie ausgegangen, die dann formell von der Regierungspartei in das Parlament eingebracht wurden. Allerdings wäre es falsch, die Kokkai als reines "Absegnungsparlament" zu bezeichnen. Aushandlungsprozesse in den einzelnen Komitees haben selbst in Zeiten absoluter Mehrheiten einer Partei dafür gesorgt, daß sich zumeist keine der größeren Parteien völlig ausgegrenzt fühlen mußte. Das kompromißlose Durchbringen von Gesetzentwürfen stellt eher die Ausnahme von der Regel dar; statt dessen dominiert die Suche nach dem Konsens zwischen den maßgeblichen Parteien. Der legislative Prozeß in Japan ist insgesamt von beträchtlicher politischer Bedeutung, insbesondere in bezug auf seine Rolle als Fokus öffentlicher Diskussion und Meinungsbildung sowie auf seine Funktion für die Aufrechterhaltung öffentlicher Zustimmung zum Regierungsprozeß insgesamt.
Unter- und Oberhaus
Wie erwähnt, besteht das japanische Parlament aus zwei Kammern, wobei - wie in vielen anderen Demokratien auch - die meiste Macht beim Unterhaus liegt. Das Oberhaus, das Haus der Berater, ist ein Nachfolger der Kammer der Adligen, die zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg existierte. Infolge der Abschaffung der erblichen Aristokratie nach dem Krieg ist das Oberhaus heutzutage weder parlamentarisches Forum der Adligen wie in Großbritannien noch Länderkammer wie der Bundesrat in Deutschland.
Das Oberhaus kann zustimmungspflichtige Gesetze ablehnen, was aber nur selten passiert, da in der Regel bereits vor der Einbringung von Gesetzesentwürfen in das Parlament die zur Sicherstellung einer Mehrheit notwendigen Aushandlungsprozesse stattfinden. Diese Neigung zu Verhandlungen hinter den Kulissen hat unter anderem dazu geführt, daß das formale Vermittlungsverfahren bei Unstimmigkeiten zwischen dem Unter- und dem Oberhaus jahrzehntelang nicht angewendet wurde. Zu den Gesetzen, die demgegenüber nicht zustimmungspflichtig sind, gehören etwa der Haushalt und internationale Verträge, die automatisch einen Monat nach Verabschiedung durch das Unterhaus in Kraft treten. Stimmen, die das Oberhaus für überflüssig halten, werden von Zeit zu Zeit immer wieder laut.
Aufgabe des Parlaments insgesamt ist es, über Gesetze zu entscheiden und den Haushalt zu verabschieden, dem Abschluß von Verträgen zuzustimmen, den Ministerpräsidenten zu wählen und Zusätze zur Verfassung zu erlassen. Jedes der beiden Häuser kann zudem Untersuchungsausschüsse einrichten, Petitionen beraten und seine eigenen Sprecher, die Vorsitzenden von ständigen Ausschüssen sowie andere Funktionsträger wählen.
Obwohl die Ausschüsse des japanischen Parlaments nicht über den Einfluß verfügen wie etwa ihr Gegenstück in den USA, nach dessen Vorbild sie ursprünglich geschaffen wurden, stellt Ausschußarbeit eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere dar. Über die Mitgliedschaft in den Ausschüssen können wichtige Kontakte zur Ministerialbürokratie und zu zentralen Interessengruppen aufgebaut werden. So ist es kein Zufall, daß etwa die Liberaldemokratische Partei die Zuweisung von Ausschußposten nach dem umgekehrten Senioritätsprinzip vornimmt: Junge Abgeordnete erhalten bevorzugt Posten in politisch wichtigen Ausschüssen wie dem für Landwirtschaft, damit sie neue Beziehungen zu Unterstützergruppen aufbauen können, während altgediente Mandatsträger, die bereits über weit gespannte Beziehungsnetzwerke verfügen, unverhältnismäßig mehr Positionen in politisch weniger attraktiven Ausschüssen wie etwa dem für Außenbeziehungen einnehmen.
Die ordentlichen Sitzungsperioden der beiden Kammern des Parlaments beginnen im Januar und dauern 150 Tage. Daneben kann das Kabinett außerordentliche Sitzungsperioden einberufen, was in der Regel auch ein- bis zweimal im Sommer und Herbst jedes Jahres der Fall ist. Das Unterhaus muß spätestens alle vier Jahre neu gewählt werden. Der Ministerpräsident verfügt jedoch wie in Großbritannien über das Recht, das Unterhaus auch früher aufzulösen. Bis auf eine Ausnahme haben die amtierenden Ministerpräsidenten seit 1949 auch stets von diesem Instrument Gebrauch gemacht.
Regierung
Die Autonomie und der Einfluß des japanischen Regierungschefs - des Ministerpräsidenten - ist eingeschränkt durch die Existenz von mächtigen Faktionen innerhalb der Parteien, allen voran der LDP. Wichtige politische Entscheidungen werden daher nur in den wenigsten Fällen im Alleingang durch den Ministerpräsidenten getroffen. Mithin hat er nicht die Möglichkeit, die Richtlinienkompetenz auszuüben, wie dies dem deutschen Bundeskanzler im Bedarfsfall möglich ist. Im Regelfall gehen Entscheidungen Aushandlungsprozesse zwischen einflußreichen Politikern, wie insbesondere den Führern der einzelnen Faktionen voraus.
Da keine einzelne Faktion in der LDP dominiert, gehen auch der Auswahl des Ministerpräsidenten oftmals langwierige Aushandlungsprozesse zwischen den einzelnen "Parteibaronen" hinter den Kulissen voraus. Derjenige Politiker, der schließlich zum Ministerpräsidenten gewählt wird, muß sich entsprechend auch während seiner Amtszeit der Anliegen der einzelnen Faktionen annehmen, um nicht deren Unterstützung zu verlieren. Auch in der Auswahl seiner Minister ist der Regierungschef nicht frei, da die Zusammensetzung des Kabinetts in der Regel die Stärke der einzelnen Faktionen widerspiegelt. Selbst in den langen Jahren der LDP-Alleinregierung hat die Regierung daher koalitionsähnliche Züge getragen.
Neben schwachen Ministerpräsidenten, die von den Faktionen als Kompromißkandidaten auf den Schild gehoben wurden, hat es auch immer wieder Ministerpräsidenten mit klaren politischen Zielvorstellungen und dem Willen zur Führung gegeben, von denen wesentliche politische Impulse ausgingen. Selbst diese Regierungschefs waren aber infolge des innerparteilichen Faktionalismus in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt. Mithin kann kein japanischer Ministerpräsident davon ausgehen, ständig seinen Willen durchsetzen zu können. Politiker, die dieses zu häufig versuchen, gelten schnell als herrschsüchtig und verlieren an Unterstützung in den eigenen Reihen. Schließlich kann kein Regierungschef davon ausgehen, über eine Reihe von Jahren im Amt zu verbleiben, da auch andere führende Politiker ihren Anspruch auf Ausübung des höchsten Regierungsamtes verwirklicht sehen wollen.
Einfluß der Ministerialbürokratie
Hinsichtlich der Verflechtung von Exekutive und Ministerialbürokratie ist Japans Regierung durch einen Politikfindungsprozeß von unten nach oben gekennzeichnet, in welchem die Beamtenschaft eine wichtige Rolle in der Formulierung und Umsetzung von Politik spielt. Obwohl die japanischen Regierungschefs in der Regel einen groben politischen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen detaillierte politische Initiativen ausgearbeitet werden, mischen sie sich normalerweise nicht in den politischen Entscheidungsprozeß auf der Ebene der Ministerien ein. Offiziell kommt den einzelnen Ministern eine breite Machtfülle zu in den Bereichen der Formulierung und Umsetzung von Politik sowie in Fragen, die Ausgaben und Personalangelegenheiten betreffen. In der Realität gehen dagegen viele konkrete Politikvorschläge von Referatsleitern und Vize-Referatsleitern aus.
Allerdings wäre es überzogen zu behaupten, daß Japan von der Ministerialbürokratie regiert wird. Richtig ist aber, daß diese im internationalen Vergleich über eine starke Rolle im Politikfindungs- und -formulierungsprozeß verfügt und sich in ihrem Selbstverständnis traditionell weniger als "Dienerin der Öffentlichkeit" denn als Lenkerin und Koordinatorin der Staatsgeschäfte verstanden hat. Wie mächtig die Ministerialbürokratie in Japan wirklich ist, ist heftig umstritten. Allgemein kann festgehalten werden, daß sie den Höhepunkt ihrer politischen Gestaltungsfähigkeit, etwa im industriepolitischen Bereich, in den fünfziger und frühen sechziger Jahren erlebte. Die abnehmende Autonomie der Ministerialbürokratie bei der Aufstellung des Staatshaushaltes und die wachsende Sachkompetenz von Politikern auf vielen Politikfeldern sind seither mit einer aktiven Rolle der Abgeordneten der Regierungspartei(en) in politischen Entscheidungsprozessen einhergegangen.
Insbesondere in Politikfeldern, die aus Gründen der Stimmenmaximierung und der Befriedung von Interessengruppen wichtig sind, wie etwa die Finanz-, Industriestruktur-, Transport- oder Landwirtschaftspolitik, offenbart sich oftmals die Handschrift von Politikern. Andere Politikfelder, die aus wahltaktischer Sicht weniger attraktiv sind, werden aber weiterhin weitgehend von der Ministerialbürokratie bestimmt. Die Frage, wer über mehr Einfluß in der Politikgestaltung verfügt, kann daher nur von Bereich zu Bereich oder gar von Fall zu Fall beantwortet werden. Wichtiger erscheint ohnehin die Tatsache, daß in Japan Politiker und Ministerialbeamte einen hohen Grad von gegenseitiger Abhängigkeit entwickelt haben, der oftmals mit dem westlichen Verständnis von einer klaren Unterordnung der Ministerialbürokratie unter die Politik nur schwer zu vereinbaren ist.
Angesichts einer Reihe von Skandalen um Filzbeziehungen zwischen Ministerialbürokratie und Wirtschaft ist Mitte der neunziger Jahre eine Reform der Verwaltung von allen politischen Parteien zu einer zentralen politischen Frage erhoben worden. Entsprechende Reformvorschläge sehen unter anderem eine umfassende Deregulierung und Liberalisierung des Wirtschaftsgeschehens, eine Neuordnung der Ministerienstruktur, die Reduzierung der Anzahl halbstaatlicher Unternehmungen und die Stärkung der Befugnisse des Sekretariats des Ministerpräsidenten vor. Die tatsächliche Umsetzung dieser Pläne wird darüber entscheiden, ob sich an der starken Rolle und hohen Autonomie der Bürokratie in Japan etwas Wesentliches ändern wird.
Trotz der gemeinsamen Zielausrichtung zeichnet sich die japanische Bürokratie oftmals durch Ressortdenken sowie inter- und intraministerielle Kompetenzstreitigkeiten aus. Zum Erreichen von Kompromissen bedarf es daher oft zeitaufwendiger Verhandlungsprozesse. In wichtigen Fällen kann der Ministerpräsident eine Vermittlerrolle zwischen widerstreitenden Ministerien spielen. Zu Zeiten der Alleinregierung der LDP bildete jedoch der Forschungsrat für politische Angelegenheiten der LDP, dessen Unterkomitees die einzelnen Abgeordneten der Partei angehören, die zentrale Anlaufstelle für die Ministerialbürokratie. Im Fall von Koalitionsregierungen gehen mit Vertretern aller Koalitionspartner besetzte Komitees und Projektteams der Aufgabe der Koordinierung von Gesetzesvorhaben nach.
Beziehungsgeflecht
Schließlich lassen sich auch im Bereich der Verbindungen zwischen Regierung und Interessengruppen Besonderheiten in Japan ausmachen. Wenn auch das zuweilen als "Japan AG" oder "eisernes Dreieck" kolportierte Beziehungsgeflecht zwischen Politik, Bürokratie und Interessenvertretungen der Wirtschaft keineswegs immer reibungslos funktioniert hat, geht der Initiierung und Umsetzung von sektorspezifischer Politik in der Regel stets ein umfangreicher Meinungsaustausch voraus. Im Mittelpunkt des Prozesses der Interessenvermittlung steht dabei eine Reihe von Beratungs- und Diskussionsforen, die der Teilhabe betroffener Gruppen an politischen Entscheidungen und damit der Erzielung eines größtmöglichen Einverständnisses dienen sollen.
Grundlage dieser engen Beziehungen sind die gegenseitigen Abhängigkeiten der drei Gruppen voneinander in Japans politischem System: Politiker benötigen die Interessenvertretungen der Wirtschaft zur Stimmenmobilisierung für Wahlen und zur finanziellen Unterstützung für ihre politische Arbeit. Die Wirtschaftsvertreter wiederum sind an für sie günstiger Regierungspolitik allgemeiner und sektorspezifischer Art interessiert, während die Bürokratie politische Rückendeckung für Gesetzesvorhaben und Anstellungen für pensionierte Beamte benötigt. Langfristig angelegte Beziehungen, die auch durch informelle Zusammenkünfte gefestigt werden, gemeinsame Schul- und andere Verbindungen sowie Praktiken wie der Eintritt von pensionierten hohen Beamten in private Unternehmen und halbstaatliche Unternehmungen fördern diesen hohen Grad der Interaktion unter den beteiligten Eliten.
Das enge Beziehungsgeflecht von Politikern, Ministerialbeamten und Unternehmen führt im besten Fall dazu, daß alle beteiligten Parteien an einem Strang ziehen und Politik somit erfolgreicher umgesetzt werden kann. Andererseits kann es jedoch auch zu Kollusion (das heißt zu Interessenfilz und politischer Kumpanei) beitragen, wie immer wieder auftretende Korruptionsfälle und andere Skandale um die Verfilzung der Beziehungen zwischen Politikern, Ministerialbeamten und Unternehmen in Japan gezeigt haben. Die Probleme, die sich aus dieser Symbiose von Politikern, Ministerialbürokratie und Wirtschaft ergeben haben, sind in Japan klar erkannt worden und haben zu einem gehörigen Grad an politischer Apathie und einem gewissen Zynismus unter der wahlberechtigten Bevölkerung beigetragen. Wie weit die in den frühen neunziger Jahren eingeleiteten politischen Reformen (Änderung des Wahlsystems, Einführung der Parteienfinanzierung, Neuregelung der Geldsammelaktivitäten von Politikern) sowie die ab 1996 intensivierten Bemühungen um eine Reform der Verwaltung hier Abhilfe schaffen werden, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen.
Gewerkschaften
Neues Object
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Japans Arbeitnehmer waren nie stark organisiert; selbst in einer Zeit politischer und wirtschaftlicher Umbrüche während der vierziger Jahre waren maximal 55,8 Prozent der Arbeiter in Gewerkschaften zusammengeschlossen. Dies ist ein Erbe der Vorkriegszeit, als die Gewerkschaften von den Sicherheitsbehörden unerbittlich verfolgt wurden. Wie auch vor dem Krieg standen die Gewerkschaftsorganisationen auf der linken Seite des politischen Spektrums. Viele waren von Kommunisten geführt und sahen sich als Vorhut der Revolution. Die US-Besatzungsbehörden hatten unmittelbar nach Kriegsende die Gründung freier Gewerkschaften gefördert. Als diese jedoch zunehmend unter den Einfluß linksradikaler Funktionäre gerieten, begann das US-Hauptquartier die Gewerkschaftsorganisationen als Bedrohung für die innere Stabilität Japans anzusehen. Während des Korea-Krieges (1950-1953) wurden viele Gewerkschaftsorganisationen wie auch andere radikale Organisationen der Linken bekämpft. Als die Besatzungsbehörden 1947 einen Generalstreik verboten, schwand der revolutionäre Elan der Gewerkschaften und ihr Einfluß ging deutlich zurück. Die Organisationsrate sank kontinuierlich Jahr für Jahr. Mit nur 23,8 Prozent Organisationsrate wurde 1995 ein Rekordtiefstand erreicht (Deutschland 1994: 28,9 Prozent).
Zersplitterung
Trotz der niedrigen Organisationsrate ist der betriebliche Einfluß japanischer Gewerkschaften nicht zu unterschätzen: Während in Deutschland der Einfluß der großen Einzelgewerkschaften sich mit den Gewerkschaftsverbänden zu einer bundesweiten Kraft verbindet, die als Tarifpartner mit den Arbeitgeberverbänden Flächentarifverträge aushandeln kann, liegt die Macht der japanischen Gewerkschaften in ihrer Rolle als Betriebsgewerkschaften. Nicht landesweite Gewerkschaftsorganisationen bestimmen die japanischen Tarifrunden, sondern einzelne Betriebsgewerkschaften in den jeweiligen Betrieben. Über die Betriebsgewerkschaften funktioniert auch das japanische Modell der betrieblichen Mitbestimmung: Die Führung der Betriebsgewerkschaft kann beispielsweise massiv Einfluß auf die Zusammensetzung des Vorstandes nehmen. Es gab Fälle, in denen Betriebsgewerkschaften sogar die Ablösung eines Vorstandsvorsitzenden erzwungen haben. Nicht wenige Vorstandsmitglieder waren im Laufe ihrer Karriere auch Gewerkschaftsführer.
Neben der niedrigen Organisationsrate ist die starke Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung in Japan auffallend: Die meisten Gewerkschaften sind Betriebs- oder Unternehmensgewerkschaften der Großunternehmen. Die Arbeitnehmer der Klein- und Mittelindustrie sind kaum organisiert. Zudem sind die Gewerkschaften Interessenvertretungen der Stammarbeitnehmer, die lebenslange Beschäftigungsgarantie genießen. Dieser Teil der Arbeitnehmerschaft aber umfaßt nur 30 Prozent aller Arbeitskräfte, die vor allem in den Großbetrieben beschäftigt sind. Leiharbeitnehmer, Kontraktbeschäftigte und Frauen (die meist keine Stammarbeitnehmerinnen und daher auch keine Gewerkschaftsmitglieder sind) beispielsweise werden in der Regel nicht von den Gewerkschaften vertreten. Die Betriebsgewerkschaften können durchaus hart gegenüber den Betriebsleitungen auftreten. Ihr Einfluß reicht so weit, daß in einigen Fällen sogar Vorstände von ihren Betriebsgewerkschaften "gekippt" wurden. Aber es gibt kaum branchenweite Solidarität oder Koordination in tarifrechtlichen Fragen.
Auch die "Frühjahrslohnkampagnen", in denen alljährlich die Grundlohnerhöhungen ausgehandelt werden, sind nur unzulänglich zwischen den Einzelgewerkschaften oder auch den Dachverbänden koordiniert. Überdies schwindet die Bedeutung dieser jährlichen Lohnrunden, die Tarife werden immer häufiger auf Betriebs- oder Unternehmensebene ausgehandelt. Streiks gibt es so gut wie nie, die harten Auseinandersetzungen des Jahres 1975, als der öffentliche Dienst für die Erlangung des Streikrechts tagelang die Arbeit niederlegte, sind nur noch in vager Erinnerung. 1993 gingen in Japan 116000 Arbeitstage wegen Streiks verloren (Deutschland: 593000, USA: 3,98 Millionen, Großbritannien 649000).
Die Zunahme von Teilzeitarbeit und Leiharbeit mindert die Bedeutung von organisierten Arbeitnehmervertretungen in Einzelunternehmen. Mit solchen Veränderungen im Beschäftigungssystem, besonders bei marginaler Beschäftigung, entstehen aber auch neue Arbeitnehmerorganisationen, die sich jetzt unternehmensübergreifend orientieren, um die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mit häufig wechselnden Arbeitsplätzen wahrzunehmen. Diese Organisationen zielen auf Teilzeitkräfte - vor allem auch Frauen -, organisieren aber auch auf höherer Ebene sogar mittleres Management.
Politisch sind die verbliebenen Dachverbände recht aktiv. Sie standen bis 1994 meist hinter den Sozialisten oder hinter der Demokratisch-Sozialistischen Partei (DSP, japanisch Minshato). Einige kleinere Verbände sympathisierten auch mit der KPJ. Als 1994 die SPJ mit der LDP eine Koalition einging und sich die DSP einer anderen Oppositionspartei anschloß, zog der größte Dachverband "Rengo" die politische "Selbständigkeit" vor und stellte eigene Parlamentskandidaten auf. Er ist mit einigen Abgeordneten im Oberhaus vertreten. Die wichtigsten Verbände sind: Rengo (7642 Einzelgewerkschaften, circa acht Millionen Mitglieder), Zenroren (859000 Mitglieder), Zenrokyo (296000 Mitglieder). Als Industriegewerkschaften ähnlich wie in Deutschland können die Seeleutegewerkschaft, der Verband der Beschäftigten der Regional- und Kommunalverwaltungen und die Textilarbeitergewerkschaft genannt werden.
Wirtschaftsverbände
Vier Wirtschaftsverbände haben die wirtschaftliche Entwicklung in der Nachkriegszeit maßgeblich mitgeprägt: die Vereinigung der Wirtschaftsverbände "Keidanren", der Arbeitgeberverband "Nikkeiren", der Unternehmerverband "Keizai Doyukai" und die Japanische Industrie- und Handelskammer "Nissho". Gemeinsam stellten sie die "Wirtschaftsflanke" im bereits erwähnten eisernen Dreieck aus Politik, Administration und Wirtschaft dar. Die Funktionen der vier einzelnen Verbände sind klar voneinander abgegrenzt: Der Keidanren gilt als "Ministerpräsident" der Busineßverbände, der Nikkeiren als ihre "Arbeits- und Tarifabteilung". Die Handelskammer vertritt die Belange der Klein- und Mittelbetriebe, während der Keizai Doyukai das Image einer "Denkfabrik" der Wirtschaft hat.
Die Vereinigung der Wirtschaftsverbände ist das wichtigste Sprachrohr der japanischen Wirtschaft und in dieser Funktion auch im Ausland am bekanntesten. Sie wurde 1946 gegründet und hat 1226 Firmen- und Verbandsmitglieder (Mitte 1996). Seit ihrer Gründung dominierten im Keidanren stets die Großunternehmen der Schlüsselindustrien, die wiederum im Zentrum der Wirtschafts- und Industriepolitik standen. Mit jährlichen Parteispenden in Höhe von rund 13 Milliarden Yen (etwa 180 Millionen DM), die fast ausschließlich der lange regierenden konservativen LDP (Liberaldemokratische Partei) zuflossen, war der Keidanren eine bedeutende Einnahmequelle für die Politik. Nach der Wahlniederlage der LDP im Sommer 1993 stellte der Keidanren seine Parteispenden ein. Dadurch büßte er jedoch an Einfluß ein. Allerdings ist die Politikformulierung ohnehin schwieriger geworden, da die Interessen der Mitglieder vielfältiger und komplexer geworden sind.
Die Arbeitgeber gründeten ihren Dachverband, der unter seiner Kurzbezeichnung Nikkeiren bekannt ist, im Jahre 1948. Der Zusammenschluß kann als Antwort der Unternehmer auf die äußerst aggressive und militante Arbeiterbewegung der ersten Nachkriegsjahre verstanden werden. Die Mitglieder des Nikkeiren sind die Arbeitgeberverbände von 57 Industriegruppen und Verbänden der 47 Präfekturen (Stand 1996). Der Nikkeiren fungiert als Interessenvertreter bei arbeitsrechtlichen Gesetzesvorgaben und als Koordinator der Arbeitgeber bei den alljährlichen Lohnverhandlungen.
Der Unternehmerverband Keizai Doyukai wurde 1946 als Vereinigung von jungen Managern gegründet, die über den Wiederaufbau der Wirtschaft diskutieren wollten. Anders als bei den drei anderen wichtigen Wirtschaftsverbänden sind im Keizai Doyukai Einzelpersonen Mitglieder, keine Firmen. Durch die Einzelmitgliedschaft versprach man sich eine weitsichtigere, umfassendere Denkweise, die nicht allein auf die Gewinne oder Verluste der Unternehmen ausgerichtet ist. Dem Keizai Doyukai gehören heute etwa 1600 Manager an, die rund 1000 Firmen repräsentieren. Allerdings sind die meisten Mitglieder aus dem Alter des dynamischen Jungmanagers inzwischen heraus.
Die Japanische Industrie- und Handelskammer wurde 1922 gegründet und umfaßt 515 Handelskammern aus verschiedenen Städten, denen wiederum vor allem mittelgroße Firmen angehören.
Wie bereits beim Keidanren angedeutet wurde, ist der Einfluß der Wirtschaftsverbände in jüngster Zeit weniger deutlich als in den Jahren des wirtschaftlichen Aufbaus. Ein Grund ist die größere Komplexität der Industrie- und Wirtschaftsstrukturen, ein anderer ist der Versuch der Regierung, die engen Beziehungen zwischen Wirtschaft, Politik und Bürokratie zu lockern und sie vor allem transparenter zu machen. Dennoch sind die Verbände in allen wichtigen Ausschüssen und Gremien vertreten und partizipieren an Politikberatungen. Sie entwerfen Reformvorschläge und Visionen und bemühen sich dabei, auf die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen einzugehen.
So unterstützen der Keidanren und der Keizai Doyukai die Deregulierung der japanischen Wirtschaft sehr entschieden.
Sozialpolitik
Das Rentensystem wurde in Japan 1986 grundlegend reformiert. Danach steht jedem Bürger und jeder Bürgerin ab dem 65. Lebensjahr unabhängig von einer vorausgegangenen Erwerbstätigkeit eine einheitliche Grundrente von derzeit 65000 Yen oder 850 DM zu. (© Japan Photo-Archiv)
Das Rentensystem wurde in Japan 1986 grundlegend reformiert. Danach steht jedem Bürger und jeder Bürgerin ab dem 65. Lebensjahr unabhängig von einer vorausgegangenen Erwerbstätigkeit eine einheitliche Grundrente von derzeit 65000 Yen oder 850 DM zu. (© Japan Photo-Archiv)
Japan gilt als sozialpolitischer "Spätentwickler". Beim Aufbau des heutigen Sozialsystems nach 1945 begann man - von vereinzelten Ausnahmen abgesehen - bei Null. Aus Sicht des Staates hatte dies den Vorteil, daß in der Bevölkerung keine historischen Ansprüche an die öffentliche Fürsorge existierten, die es zu erfüllen galt. Der Aufbau des Sozialsystems konnte daher schrittweise vollzogen werden, wobei in den Aufbaujahren der Konsens herrschte, daß der Aufbau der Wirtschaft Priorität habe und dafür im Sozialen und im Konsum vorerst Verzicht geübt werden müsse. So stellt sich Japan bis heute im internationalen Vergleich als ein Staat mit einem gering entwickelten Sozialsystem dar, der einerseits durch eine niedrige Staatsquote und andererseits durch vergleichsweise niedrige Abgaben (Steuern und Sozialversicherungen) gekennzeichnet ist.
1986 wurde auch die gesetzliche Krankenversicherung reformiert. Alle Bürgerinnen und Bürger sind nun grundsätzlich versicherungspflichtig. Die Leistungen fallen wegen unterschiedlicher Zuzahlungen der Betriebe allerdings sehr unterschiedlich aus. (© Japan Photo-Archiv)
1986 wurde auch die gesetzliche Krankenversicherung reformiert. Alle Bürgerinnen und Bürger sind nun grundsätzlich versicherungspflichtig. Die Leistungen fallen wegen unterschiedlicher Zuzahlungen der Betriebe allerdings sehr unterschiedlich aus. (© Japan Photo-Archiv)
Die Grundlagen des japanischen Sozialsystems wurden bis Mitte der sechziger Jahre gelegt, so daß alle Erwerbstätigen durch eine gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung abgesichert waren - allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Anfang der siebziger Jahre wurden die sozialen Leistungen erheblich gesteigert: Die nationale Rente wurde drastisch erhöht, Kindergeld eingeführt und älteren Menschen über 70 Jahren wurde eine kostenlose medizinische Versorgung gewährt. Durch die Leistungssteigerung sollte die Kluft zwischen der arbeitenden und der pensionierten Generation verringert werden.
Modell "Wohlfahrtsgesellschaft"
Bevölkerung nach Altersgruppen (© Japan Foto-Archiv)
Bevölkerung nach Altersgruppen (© Japan Foto-Archiv)
Die Ölkrise 1973 brachte die japanische Regierung jedoch wieder davon ab, sich an den umfassenden Wohlfahrtssystemen nach europäischem Modell zu orientieren. Statt dessen entwickelte man ein "japanisches Modell für eine Wohlfahrtsgesellschaft", das bis heute Leitbild der Sozialpolitik ist. Ziel dieses Modells ist es, die Staatsausgaben zu entlasten und an die Selbsthilfekräfte in Familie und Nachbarschaft zu appellieren. Es geht von "traditionellen japanischen Tugenden" aus, das heißt von dem "den Japanern eigenen Geist der autonomen Selbsthilfe", "von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägten Beziehungen und gegenseitiger Unterstützung", wie es Ministerpräsident Masayoshi Ohira 1979 formulierte. Schon im Begriff "Wohlfahrtsgesellschaft" gegenüber "Wohlfahrtsstaat" schwingt mit, daß nicht allein der Staat, sondern die Gesellschaft als Ganzes die Verantwortung für die Wohlfahrt trägt.
Auch die Reformansätze in den neunziger Jahren setzen auf die Eigenverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger. Nach wie vor kommt der traditionellen, nichtstaatlichen sozialen Sicherung - insbesondere in der Familie - eine große Bedeutung zu. "Die Familie bildet den wichtigsten Kern der Gesellschaft und eine in sich gefestigte Familie ist zugleich die Grundlage der japanischen Wohlfahrtsgesellschaft" (so der frühere Ministerpräsident Ohira). Die Familie wird also als kulturelle und ökonomische Einheit gesehen, die - moralisch - verpflichtet ist, für ihre Mitglieder zu sorgen. Die konkrete Umsetzung sieht so aus, daß nach wie vor der Großteil der alten Menschen von ihren Kindern oder genauer gesagt von ihren Töchtern und Schwiegertöchtern gepflegt wird. Zwar sinkt auch in Japan der Anteil der Mehrgenerationenfamilien, er liegt aber immer noch höher als in anderen Industrienationen. 1990 lebten 60 Prozent aller über Sechzigjährigen mit ihren Kindern zusammen (1960 waren es 87 Prozent). Dieses Versorgungsschema gerät allerdings ins Wanken, denn immer mehr Alte müssen von immer weniger Kindern versorgt werden. Hinzu kommt, daß die Frauen zunehmend ins Erwerbsleben einsteigen und nicht mehr bereit und in der Lage sind, eine Vollzeitbetreuung zu leisten.
Obgleich man diese Entwicklung erkennt, hält die japanische Sozialpolitik grundsätzlich an den traditionellen Familienfunktionen fest, das heißt, sie versucht vor allem die Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß die Familien - vor allem die Frauen - ihre traditionellen Funktionen weiter ausüben können.
Im Vordergrund der aktuellen Altenpolitik steht denn auch nicht der Ausbau von Senioren- und Pflegeheimen, sondern der ambulanten Versorgung in Form von Altenpflege und Tagesstätten, so daß alte Menschen zu Hause leben können, auch wenn sie pflegebedürftig sind. Derzeit herrscht in allen genannten Punkten ein gravierendes Defizit im Vergleich zu anderen Nationen.
Deshalb wird die Kinderbetreuung verbessert, damit die Frauen Kinder und Beruf besser miteinander verbinden können. 1992 wurde ein einjähriger Erziehungsurlaub eingeführt und die Zahl der Kindertagesstätten soll deutlich erhöht werden. Die Rollenverteilung der Geschlechter wird dabei jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Das japanische Sozialversicherungssystem umfaßt die gleichen Bereiche wie das deutsche: Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung. Bei abhängig Beschäftigten zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber je die Hälfte der Beiträge, Selbständige müssen ihre Beiträge allein tragen.
1986 wurde das Rentensystem grundlegend reformiert und ist nunmehr zweistufig: Jeder Bürger und jede Bürgerin - auch die Nichterwerbstätigen - erhält ab dem 65. Lebensjahr eine einheitliche Grundrente (1996: Monatsbeitrag 12300 Yen oder 166 DM; Rente 65000 Yen oder 850 DM). Für Selbständige oder nichterwerbstätige Ehefrauen ist dies die einzige gesetzliche Rente. Die abhängig Beschäftigten (das heißt Angestellte) haben eine zusätzliche gesetzliche Rentenversicherung über ihren Arbeitgeber, deren Beiträge und Auszahlungen einkommensabhängig gestaffelt sind (der Beitragssatz beträgt seit Oktober 1996 circa 17,4 Prozent). Diese Rente kann ab dem 60. Lebensjahr bezogen werden, ab 2001 wird das Bezugsalter schrittweise auf 65 Jahre angehoben. Große Unternehmen bieten außerdem - freiwillig - Betriebsrenten, die mit der Betriebszugehörigkeit steigen und bei Firmenaustritt entweder als Abschlagszahlung oder anschließend als monatliche Zusatzrente ausgezahlt werden.
QuellentextBurakumin - Japans größte Minderheit
[ ] Allgemein bekommt man Geschichten über die Burakumin nur durch ein "unjapanisches" Nachfragen zu hören. In ihnen schimmert eine merkwürdige Mischung aus Fiktion und Realität, geforderter Diskretion und tiefer Verwurzelung der Diskriminierung von Burakumin durch. Mit ca. drei Millionen Angehörigen stellen sie die größte japanische Minderheit dar. Die Rolle der Burakumin erscheint heute insofern merkwürdig, beinahe rätselhaft, als sich die Gruppe weder körperlich noch durch besondere kulturelle Verhaltensweisen von anderen Japanern unterscheidet. Einer Art Paria-Kaste ähnlich, waren Burakumin (etwa "Leute aus speziellen Dörfern") in der Edo-Zeit (1603-1867) von der Ständeordnung mit Kriegern, Bauern, Handwerkern und Kaufleuten ausgeschlossen. Noch heute müssen Burakumin bei der Arbeitssuche damit rechnen, daß Personalabteilungen (auch internationaler Konzerne) mit Hilfe von - verbotenen - geheimen Listen ihre Herkunft ausmachen, und sie ohne weitere Begründung ablehnen. Neuerdings kursieren diese Listen auch über Nifty Surf, der Variante des Internets. Jährlich beauftragen mehrere tausend besorgte Eltern Detekteien mit der Durchleuchtung der Familienverhältnisse von Ehepartnern - auch im Hinblick auf Burakumin. Zuweilen führt eine "Aufdeckung" sogar zum Selbstmord der Betroffenen.
Die Burakumin setzen sich aus zwei Gruppen zusammen: den eta, den "Beschmutzten", und den hinin, den "Nicht-Menschen". Die eta waren seit dem 9. Jahrhundert Tierschlächter, Gerber, Lederverarbeiter, Gefängniswärter, aber auch mit Geburtshilfe und Totengräberei betraut, gesellschaftlichen Funktionen, die sowohl vom Buddhismus als auch vom Schintoismus verachtet werden: Der Kontakt mit Fleisch, Blut und Tod war verfemt. Hierbei erstaunt, daß sich dieser Makel in einem Land gehalten hat, in dem Vegetarier heute eher auf Unverständnis stoßen. Die Gruppe der eta entwickelte sich zumeist aus der der Kleinbauern, die mit ihrem wenigen Land kaum überleben konnten. Ihr religiös verachteter Umgang mit Fleisch ergab sich teils aus willkürlicher Arbeitsverteilung durch die mächtigen Familien (zum Beispiel Fütterung von deren Jagdfalken und Hunden), teils aus materieller Not. Zu den hinin gehörten Wanderkünstler, Theaterschauspieler, "Vagabunden", Obdachlose. Aber auch verbannte Kriminelle kamen dazu.
Erstmals systematisiert wurde die Diskriminierung Anfang des 17. Jahrhunderts mit der Einrichtung einer Ständeordnung durch die militärisch ausgerichteten Tokugawa, um der Bevölkerungsmehrheit mit einem Sündenbock ein Ventil für die zunehmenden Repressionen zu schaffen. Bei der Unterdrückung von Bauernrevolten wurden die hinin tatsächlich weitaus brutaler behandelt als andere Aufständische. Die grausame Ausgrenzung und Verachtung konnte auch als abschreckendes Beispiel für Leute dienen, die nicht ausreichend Steuern abgaben und sich somit vom Abrutschen in die Gruppe der hinin bedroht sahen.
Die Burakumin wohnten in Gettos. Das älteste in Kyoto wurde im 9. Jahrhundert gegründet, die größten offiziellen befinden sich heute in Städten des Südwestens wie Osaka und Kobe, heißen "Integrationsbezirke" (Dowa-chiku) und haben zum Teil slumartigen Charakter. Vor allem in Tokyo versuchen Burakumin, der Diskriminierung in der Anonymität zu entkommen. Anders als etwa die nach Koreanern und Chinesen drittgrößte Immigrantengemeinde der "rein" japanischstämmigen Brasilianer, die an Sprache und Verhalten zu erkennen sind, müßte dies einem Burakumin durchaus gelingen. Doch gibt es traditionelle Merkmale wie Herkunftsort und Beruf sowie die bloße Projektionsfläche einer unklaren Abstammung oder eines "merkwürdigen" Verhaltens. [ ]
Für die Burakumin verwenden Japaner noch heute, statt sie beim Namen zu nennen, ein Handzeichen, das auf das von der Verwandtschaft mit Tieren abgeleitete körperliche Merkmal, nur vier Finger zu besitzen, hinweist. Die auch in Japan angelaufene Debatte über die "politische Korrektheit" brachte mit sich, daß in harmlosen Kinder-Mangas, dem populären japanischen Comic, alle vierfingrigen Monster mit einem Bann belegt wurden. In rechtsradikalen Computernetzwerken finden sich Burakumin nach wie vor als "Vierfüßige" und "Nicht-Menschen" verunglimpft. [ ]
Ganz real litten die Burakumin Ende des 19. Jahrhunderts als "niedere" Arbeitskräfte besonders unter der straff durchgezogenen Industrialisierung der Meiji-Restauration [ ] .
Unter den Burakumin herrscht heute noch eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit. Ihre Tätigkeiten sind mit Abdeckerei, Schusterei und Bauarbeit insgesamt auf der untersten Stufe der Arbeitshierarchie der Tagelöhner bzw. Saisonarbeiter angesiedelt. Freilich haben einige staatliche Stipendienprogramme in den letzten Jahrzehnten eine Verbesserung der Schul- und Universitätsausbildung bewirkt. Aus der unfreiwilligen Gruppenfestigung kann sich in seltenen Fällen auch eine Dynamik ergeben, die ökonomische Erfolge, etwa in Totengräberunternehmen und Schlachtbetrieben, einschließt, die andere Japaner ungern betreiben. [ ]
Loel Zwecker, "´Nicht-Menschen und ´Beschmutzte. Die Burakumin - zur Diskriminierungsgeschichte von Japans größter Minderheit", in: Frankfurter Rundschau vom 22. Februar 1997.
Grundversorgung
Das staatliche Rentensystem kennt lediglich eine Grundversorgung, die Pflichtrente reicht für den Lebensunterhalt nicht aus. Die meisten Japanerinnen und Japaner setzen deshalb außerdem auf eine private Lebensversicherung: Über 90 Prozent der Haushalte besitzen eine entsprechende Police. Hiermit kann die "einkommenslose" Phase zwischen dem Betriebsrentenalter, das in der Regel bei 57 Jahren liegt, und dem Einsetzen der Rentenzahlung, das je nach Versicherung bei 60 oder 65 Jahren liegt, überbrückt werden. Diese Versorgungslücke und die relativ niedrigen Rentenbeiträge sind die Hauptgründe für den hohen Anteil von Erwerbstätigen bei alten Menschen, der im internationalen Vergleich deutlich wird. Ältere Angestellte arbeiten also nach ihrer Pensionierung weiter, meistens auf einem niedriger dotierten Posten, mitunter sogar im gleichen Unternehmen.
Ein großes Problem ist die schnell wachsende Zahl von alten Menschen, die immer höhere Anforderungen an das Rentensystem mit sich bringt. Da das japanische Rentenversicherungssystemnoch relativ jung ist, weisen die Kassen zur Zeit noch einen Kapitalüberschuß aus, denn im Gegensatz zum deutschen Generationenvertrag ist das japanische Rentensystem ein individuelles Versicherungssystem, das erst nach einer längeren Einzahlungsdauer "reift". Dieser Pool wird in absehbarer Zeit jedoch schrumpfen, so daß das japanische System sich ebenfalls in Richtung Umlageverfahren entwickelt. Dann müssen also die aktiven Erwerbstätigen mit ihren Beiträgen direkt die Zahlungen an die Rentengeneration finanzieren, eine Kapitalreserve oder -anlage kann nicht mehr aufgebaut werden.
Die gesetzliche Krankenversicherung wurde ebenfalls 1986 reformiert. Auch hier sind grundsätzlich alle Bürgerinnen und Bürger versicherungspflichtig, entweder über ihren Arbeitgeber oder durch die Nationale Krankenversicherung. Rentnerinnen und Rentner sind in einer Sonderkasse krankenversichert, die von den anderen Kassen mitfinanziert wird. Die kostenlose Versorgung wurde bereits 1983 wieder aufgehoben. Die Leistungen der verschiedenen Kassen können sehr unterschiedlich ausfallen, denn große Firmen bieten häufig Zuzahlungen, die über die gesetzlichen Ansprüche hinausgehen. So erstattet die Nationale Krankenversicherung beispielsweise 70 Prozent der Krankenhauskosten, die Arbeiter- und Angestelltenversicherung 90 Prozent (bzw. 80 Prozent für die Angehörigen) - eine große Firma übernimmt mitunter den gesamten Eigenanteil.
Sorge bereitet derzeit der rapide Kostenanstieg in der Rentenversicherung, verursacht durch die wachsende Zahl von Älteren. Um die weiteren Belastungen einzudämmen, wird in Japan eine allgemeine Pflegeversicherung vorbereitet, die sich an dem deutschen Modell orientiert (Stand: Ende 1996).
Die Arbeitslosenversicherung ist in Japan ein eher unterentwickelter Bereich, der zwar eine Grundabsicherung umfaßt, aber nur relativ wenigen Personen zugute kommt. Theoretisch sind alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer versicherungspflichtig. In der Realität fallen aber viele durch das Versicherungsnetz wie beispielsweise Beschäftigte in Kleinbetrieben, Teilzeitbeschäftigte oder Heimarbeiter. Das bedeutet, daß in der Regel nur reguläre Vollzeitbeschäftigte abgesichert sind. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind abhängig vom Alter des Empfängers und von der Dauer seiner Beitragszahlung. Maximal werden 300 Tage lang zwischen 60 und 80 Prozent des vorherigen Lohnes gezahlt.
Von Gewerkschaftsseite bestand stets wenig Interesse an einer Ausweitung der Versicherung, da ihre Mitglieder fast ausschließlich zu den festangestellten Arbeitnehmern in Großbetrieben zählen, die traditionell kaum von Kündigung und Arbeitslosigkeit bedroht sind. Auch die japanische Beschäftigungspolitik ist eher auf Erhaltung und Subvention von bestehenden Arbeitsplätzen ausgerichtet als auf die Versorgung von Arbeitnehmern, die ihren Arbeitsplatz bereits verloren haben. Dies ist ein Grund dafür, daß die Arbeitslosenquote in Japan stets niedriger ist als in anderen Industrienationen.
Das japanische Sozialsystem bietet somit eine allgemeine Grundversorgung auf niedrigem Niveau, wobei es gravierende Unterschiede bei den Leistungen gibt, durch die vor allem Beschäftigte in Kleinbetrieben oder Teilzeitbeschäftigte benachteiligt sind. Das System ist durchsetzbar, weil sich einerseits der Staat nicht als Garant für gleiche Lebenschancen versteht, und andererseits in der Bevölkerung eine grundsätzliche Eigenverantwortung bzw. -beteiligung akzeptiert wird. Statt einer staatlichen Rundumversorgung werden die sozialen Aufgaben auf andere gesellschaftliche Kräfte übertragen. Dabei steht die Familie im Mittelpunkt, daneben aber auch Nachbarschaftsgruppen oder freiwillige soziale Helferinnen und Helfer. Als Ausgleich für die relativ hohe soziale Eigenleistung ist die Abgabenquote für die Bürgerinnen und Bürger geringer, so daß der japanische Staat in sozialpolitischer Hinsicht im internationalen Vergleich ein "schlanker Staat" ist. Angesichts der raschen Alterung der Bevölkerung steht das bisherige System jedoch vor Anforderungen, die eine höhere Belastung der Allgemeinheit unumgänglich machen werden.