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Politisches System und Parteien | Israel | bpb.de

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Politisches System und Parteien

Tobias Grill Michael Wolffsohn Tobias Grill / Michael Wolffsohn

/ 14 Minuten zu lesen

Die Knesset, das israelische Parlament, ist sowohl die verfassung- wie die gesetzgebende Gewalt des Staates. In ihr sind 120 Abgeordnete vertreten. Sitzung der Knesset in Jerusalem 2017. (© Reuters / Amar Awad)

In der Selbst- wie in der Fremdwahrnehmung gilt Israel als "einzige Demokratie" im Nahen Osten. Bei näherer Betrachtung bewegt sich allerdings die Definition, was den Staat Israel ausmacht, spätestens seit dem Sechstagekrieg von 1967 in einem Spannungsverhältnis von "jüdisch" und zugleich "demokratisch", was teilweise Widersprüche aufwirft. Diese grundsätzliche Problematik prägt das politische System wie die politische Praxis und nimmt in partei- und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zunehmend eine zentrale Rolle ein. Die folgenden Ausführungen zum politischen System Israels und seiner Parteienlandschaft werden daher versuchen, sich in diesem Spannungsverhältnis zu verorten.

Politisches und rechtliches System des Staates Israel. (© Benyamin Neuberger, in: Länderbericht Israel, Bonn 2016, S. 321)

Grundgesetze

Die verfassungsrechtliche Rolle der Grundgesetze
Bis heute hat der Staat Israel keine geschriebene Verfassung. Stattdessen übernehmen die Unabhängigkeitserklärung und sogenannte Grundgesetze (GG) weitgehend verfassungsrechtliche Funktionen. Die Grundgesetze sind Ergebnis einer Kompromissentschließung vom 13. Juni 1950, auf die sich die Mitglieder der ersten Knesset, des israelischen Parlaments, einigten. Ihre Entscheidung sah vor, dass die Verfassung aus der Summe einzelner "Kapitel" zu bestehen hätte, wobei jedes ein Grundgesetz und der Knesset einzeln vorzulegen sei. Die Gesamtheit der Grundgesetze gilt als "Verfassung" Israels.

Nachdem der Oberste Gerichtshof Israels bereits 1964 in einer Entscheidung den jüdischen Charakter des Staates als verfassungsmäßiges Merkmal festgelegt hatte, wurde im Sommer 1985 das Grundgesetz "Knesset" um den bedeutsamen Absatz ergänzt, dass keine Partei bzw. Wahlliste die Existenz Israels als sowohl demokratischen wie jüdischen Staat leugnen dürfe: Beide Grundsätze des Staates sind damit in der politischen Verfasstheit Israels festgeschrieben worden.
Wenn auch beide Grundsätze des Staates gleichermaßen betont wurden, so lässt sich doch nur schwer die Intention der Mehrheit der Legislative leugnen, dass damit der Vorrang des "Jüdischen" vor dem "Demokratischen" in der politischen Verfasstheit Israels festgeschrieben werden sollte.

Oberster Gerichtshof
Der Oberste Gerichtshof Israels bildet die Spitze der israelischen Judikative. Er hat seinen Sitz in Jerusalem und besteht normalerweise aus zwölf, aktuell 15 Richtern. Ihre Zahl bestimmt die Knesset, ihre Auswahl erfolgt durch den Rechtsausschuss des Parlaments und ihre Amtszeit endet mit dem 70. Lebensjahr. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit im Sinne der USA oder der Bundesrepublik Deutschland existiert in Israel nicht. Grundsätzlich ist die Knesset "souverän", sodass es wegen dieser "Oberhoheit des Parlamentes" anders als beispielsweise in Deutschland oder in den USA keine Normenkontrollklage bzw. Verfassungsbeschwerde geben kann.

Dennoch nimmt Israels Oberster Gerichtshof eine immer gewichtigere Rolle im Verfassungsleben des Staates ein. Entscheidende Instrumente stellen die beiden 1992 verabschiedeten Grundgesetze "Berufsfreiheit" und "Menschenwürde und Freiheit" dar, da sie dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit bieten, nachfolgende Gesetze, die im Widerspruch zu den Bestimmungen dieser Grundgesetze stehen, für verfassungswidrig zu erklären. Vor diesem Hintergrund bezeichnete der Richter Aharon Barak die Verabschiedung dieser beiden Grundgesetze als eine "konstitutionelle Revolution". Insbesondere Barak, der von 1995 bis 2006 dem Obersten Gerichtshof vorstand, steht für eine neue Phase oberster Rechtsprechung in Israel. Sie ist seither von einem gewissen politischen Aktivismus geprägt, der auf eine Wahrung demokratischer und universalistischer Prinzipien sowie internationaler Normen abzielt.

Auffallend ist, dass sich palästinensische Bewohner der besetzten Gebiete nicht selten erfolgreich gegen Enteignungen beim Obersten Gerichtshof zur Wehr setzen, was trotz aller Kritik nicht nur auf die Unabhängigkeit dieser Institution schließen lässt, sondern auch auf deren Neigung, demokratischen bzw. rechtsstaatlichen Prinzipien den Vorrang vor dem jüdischen Charakter des Staates einzuräumen. In ähnlicher Weise gilt dies auch für mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, von der Wahl ausgeschlossene arabische Parteien dennoch zuzulassen. Insofern ist es alles andere als verwunderlich, dass das Oberste Gericht in der arabischen Bevölkerung die höchste Wertschätzung aller israelischen Institutionen genießt.

Staatspräsident

Artikel 3 des GG "Staatspräsident" (1964) legte fest, dass das Staatsoberhaupt von der Knesset mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten für fünf Jahre gewählt werden sollte, wobei eine Wiederwahl möglich war. 1998 wurde Artikel 3 geändert: Seitdem ist nur eine einzige Amtszeit von sieben Jahren erlaubt.

Der Präsident Israels hat folgende Vollmachten:
1.Er unterzeichnet diejenigen Gesetze, die nicht seine eigenen Befugnisse betreffen, sowie Abkommen mit fremden Staaten, die von der Knesset bestätigt wurden.
2.Er wird bei der Regierungsbildung tätig, nimmt den Rücktritt von Kabinetten oder deren Mitgliedern entgegen und wird über die Sitzungen der Ministerrunde unterrichtet.
3.Er ernennt die diplomatischen Vertreter des Staates, nimmt die Beglaubigungsschreiben auswärtiger Botschafter entgegen und bestätigt die Ernennung konsularischer Vertreter des Auslands.
4.Er ernennt die Richter des Obersten Gerichtshofes und anderer Gerichte sowie den Staatskontrolleur und den Präsidenten der Zentralbank.
5.Er kann das Gnadenrecht ausüben, Strafen verringern oder verändern.

Im Vergleich zum Ministerpräsidenten und dessen Kabinett ist das politische Gewicht des Präsidenten relativ gering und durchaus mit den stark repräsentativen Funktionen des deutschen Bundespräsidenten vergleichbar. Während sich bis 1979 kein Staatspräsident Israels aktiv in die Gestaltung der Politik einschaltete, hängt es inzwischen vom jeweiligen Amtsinhaber ab, inwieweit er versucht, mit seinen begrenzten Mitteln in die Tagespolitik einzugreifen.

Parlament: die Knesset

Die israelische Legislative, die Knesset, besteht aus einer Kammer. Ihr Sitz ist Jerusalem. Die Zahl der Abgeordneten ist auf 120 festgelegt. Die Wahlen zur Knesset sind allgemein, direkt, gleich, geheim, landesweit (das gesamte Land ist ein Wahlkreis) und proportional, das heißt, die Anzahl der Parlamentssitze einer Partei entspricht dem Verhältnis ihrer Stimmen zu der insgesamt abgegebenen Stimmenzahl. Zur Wahl stehen grundsätzlich nur Listen, die sich aus einer oder mehreren Parteien zusammensetzen.

Über das aktive Wahlrecht verfügen Männer und Frauen, die die israelische Staatsbürgerschaft besitzen und ihr 18. Lebensjahr vollendet haben. Mit 21 Jahren erhält man das passive Wahlrecht, kann also in die Knesset gewählt werden. Es besteht keine Wahlpflicht. Eine Briefwahl ist nicht möglich. Wenn ein Parlamentarier auf sein Mandat verzichtet oder ein Amt übernimmt, das mit der parlamentarischen Tätigkeit unvereinbar ist (zum Beispiel, weil er zum Staatspräsidenten gewählt wurde), rückt der Bewerber mit dem nächsthöchsten Listenplatz derselben Partei nach.

Ähnlich wie in Deutschland existiert auch in Israel ein festgesetztes Quorum für den erfolgreichen Einzug einer Wahlliste in die Knesset. Diese Sperrklausel lag von 1992 bis 2006 bei 1,5 Prozent, seit 2006 bei zwei Prozent. Im März 2014 wurde sie schließlich auf 3,25 Prozent angehoben. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Fraktionen in der Knesset – seit der Staatsgründung gab es nie weniger als zehn in einer Legislaturperiode – war dies durchaus ein logischer Schritt, stabilere Regierungsbildungen zu ermöglichen. Kritische Stimmen wiesen demgegenüber allerdings nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass sich die Anhebung der Sperrklausel in erster Linie gegen arabische Wählerschichten und deren Parteien richte.
Auch wenn die offizielle Legislaturperiode vier Jahre dauert, wird diese tatsächlich häufig nicht ausgeschöpft. Seit 1981 ist nahezu jede Knesset vorzeitig aufgelöst worden. Rechtlich ist dies unter anderem möglich, wenn die einfache Stimmenmehrheit der Abgeordneten ein Sondergesetz über die vorzeitige Auflösung des Parlaments billigt, keine Regierung gebildet bzw. nicht mehr gebildet werden kann, der Premierminister mit Zustimmung des Staatspräsidenten Neuwahlen anordnet oder der Haushalt nicht verabschiedet werden kann.

Die Knesset ist als Nachfolgerin der "Verfassunggebenden Versammlung" selbst Verfassungsgeberin und gleichzeitig die gesetzgebende Gewalt Israels. Sie erfüllt demnach eine Doppelfunktion im gesetzgeberischen Bereich. Außerdem kontrolliert sie die Regierung, verfügt über das Haushaltsbewilligungsrecht einschließlich der Folgegesetze und kann Untersuchungsausschüsse einrichten.

Exekutive: Ministerpräsident und Regierungsbildung

Gemäß Artikel 7 des GG "Regierung" beauftragt der Staatspräsident ein Knesset-Mitglied mit der Regierungsbildung, wofür diesem 28 Tage sowie weitere Verlängerungen von insgesamt höchstens 14 Tagen zugestanden werden. Die übrigen Artikel schränken jedoch den Spielraum des Präsidenten erheblich ein und verlagern das Hauptgewicht bei der Regierungsbildung auf das Parlament.

Artikel 5 des GG "Regierung" schreibt vor, dass der Ministerpräsident Knesset-Mitglied sein muss, während ein Ministeramt auch Nichtparlamentarier bekleiden können. Allerdings stellt es heute eine seltene Ausnahme dar, wenn Minister nicht zugleich Mitglieder der Knesset sind. Nach der Regierungsbildung präsentiert sich die Ministerrunde der Knesset, der Ministerpräsident verkündet das Regierungsprogramm (wörtlich: die "Richtlinien der Politik"), gibt die Verteilung der Ressorts bekannt und bittet um das Vertrauen des Parlaments. Nachdem dieses vorliegt, beginnt die Amtszeit der Regierung und die Minister nehmen ihre Tätigkeit auf.

Außenpolitische Verträge werden von der Regierung unterzeichnet und bestätigt. Auch die Anerkennung fremder Staaten oder Regierungen, die Verleihung diplomatischer Sonderrechte an fremde Regierungen oder Kriegserklärungen gehören zu den Vorrechten der Exekutive. Die Zustimmung der Knesset ist rechtlich nicht notwendig, in strittigen Fragen wird sie jedoch aus politischen Gründen eingeholt (Rechtfertigungsfunktion des Parlaments; zum Beispiel bei den Verhandlungen über die Wiedergutmachung durch die Bundesrepublik Deutschland, beim Abkommen von Camp David 1978 und beim Autonomieabkommen mit der PLO 1994).

Bis 2001 konnte der Ministerpräsident durch ein einfaches Misstrauensvotum gestürzt werden. Seit 2001 kann er (wie in Deutschland) nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum mit 61 Stimmen der Knesset-Abgeordneten seines Amtes enthoben werden. Allerdings sah dieses quasi-konstruktive Misstrauensvotum lediglich die Beauftragung eines Kandidaten mit der Regierungsbildung vor. Sofern die der Knesset vorgeschlagene Regierung nicht die Unterstützung der Mehrheit der Abgeordneten erhalten hätte, wäre es zu Neuwahlen gekommen (ein Umstand, der nie eingetreten ist). Im März 2014 wurde das Grundgesetz "Regierung" schließlich dahingehend geändert bzw. ergänzt, dass im Zuge eines konstruktiven Misstrauensvotums die absolute Mehrheit der Legislative einen neuen Ministerpräsidenten bestimmen kann, wenn der Knesset ein vollständiges Kabinett mit den entsprechenden Richtlinien der Politik präsentiert wird.

Koalitionsregierungen
Die durch das Wahlsystem bedingte parteipolitische Zersplitterung der Knesset ermöglichte es bislang keiner Gruppierung, allein die Regierung in Israel zu stellen. Vielmehr wurde jede israelische Regierung von einer größeren Koalition getragen, die ungefähr die Hälfte der in der Knesset vertretenen Fraktionen umfasst. Darüber hinaus werden breitere Koalitionen vor allem auch deshalb bevorzugt, um im Falle wichtiger Abstimmungen nicht von einem Partner erpressbar zu sein. Diese größeren und damit oftmals auch politisch heterogenen Regierungsallianzen führen allerdings nicht selten zu Koalitionsumbildungen während einer Legislaturperiode: Fraktionen scheiden aus, andere treten in die Regierung ein. Dieser Vorgang tritt weitaus häufiger auf als die vorzeitige Auflösung des Parlaments.

Bis 1977 dominierte die Arbeitspartei (Mapai/IAP) jede Regierung. Aufgrund von langfristigen strukturellen Veränderungen in Israels Politik und Gesellschaft, einer verspäteten Reaktion auf den Schock des Jom-Kippur-Krieges von 1973 und diversen Korruptionsaffären der Arbeitspartei, um nur einige Gründe zu nennen, läuteten die Wahlen im Mai 1977 eine "Revolution" ein, da nun erstmals der bürgerlich-konservative Likud als größte Fraktion der Knesset die Regierung bilden und den Ministerpräsidenten stellen konnte.

Die politische Dominanz linker Parteien bei der Regierungsbildung gehört aufgrund struktureller Schwächen dieses Lagers inzwischen der Vergangenheit an. Zuletzt stellte die Arbeitspartei zwischen 1999 und 2003 den Ministerpräsidenten. Die Wahlen 2013 markierten einen vorläufigen Höhepunkt der politischen Machtverschiebungen: Nach 25 Jahren war es zum ersten Mal der führenden Regierungspartei (Likud) gelungen, wiedergewählt zu werden und mit Benjamin Netanjahu erneut den Ministerpräsidenten zu stellen. Gleichzeitig waren erstmals seit Jahrzehnten keine ultraorthodoxen Fraktionen an der Regierung beteiligt. Auch 2015 wurde der von Netanjahu geführte Likud ein weiteres Mal zur stärksten Fraktion der Knesset. An seiner Regierungskoalition sind ultraorthodoxe Fraktionen beteiligt.

Parteiensystem Israels: Parteien im Knesset und deren Anzahl der Sitze nach der Parlamentswahl 2015. (© Benyamin Neuberger, in: Länderbericht Israel, Bonn 2016, S. 332 (aktualisiert))

Entwicklungen des Parteiensystems

Trotz der verwirrenden Vielzahl israelischer Parteien war das Grundmuster der traditionellen Parteienlandschaft bis 1977 relativ einfach. Es gab drei größere politische Lager: die Arbeiter- bzw. Linksparteien, die bürgerlichen bzw. rechten sowie die religiösen Parteien. In jedem Lager fanden sich gemäßigte und ideologisch unnachgiebigere Gruppierungen – vor allem auch, was den Umgang mit den Palästinensern und den besetzten Gebieten anbelangte.

Inzwischen wird die parteipolitische Trennlinie in erster Linie von der grundsätzlichen Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt, zur Siedlungs- und Besatzungspraxis sowie zu einer künftigen Zweistaatenlösung definiert. Insofern gehören israelische Parteien entweder dem Lager der politischen "Falken" an, die in dieser Frage geringe bis keine Kompromissbereitschaft an den Tag legen, oder dem der politischen "Tauben", die zu weitergehenden Zugeständnissen gegenüber den Ansprüchen der palästinensischen Bevölkerung bereit sind. Während die Falken zunehmend den jüdischen Charakter des Staates gegenüber dem demokratischen betonen, sind die gemäßigten Tauben Anhänger einer Politik, die sich an einer jüdisch-zionistischen und zugleich demokratischen Verfasstheit des Staates orientiert, wohingegen die radikalen Tauben dem demokratischen Prinzip Priorität einräumen.

Im Arbeiterlager dominierte seit den frühen 1920er-Jahren die gemäßigte Sozialdemokratie (Mapai, einschließlich Vorläufer, später Arbeitspartei). Sie fand später in der Achdut Ha-Avoda (hebr.: Einheit der Arbeit) sowie in der Mapam Konkurrenten, die sich im politischen Spektrum weiter links von ihr hervortaten. Die Kommunisten blieben unbedeutend, genossen aber lange Zeit eine nicht unerhebliche Popularität bei arabischen Wählerschichten. Bis 1977 waren die Arbeiterparteien politisch und organisatorisch am gewichtigsten, was sich auch in der Regierungsbildung niederschlug. Inzwischen ist die Arbeiterbewegung Israels Geschichte und die Arbeitspartei (IAP) wie auch die unter anderem auf Mapam zurückgehende Partei Meretz (hebr.: Energie) sind keine Arbeitnehmerparteien mehr. Sie gelten eher als die Parteien der aschkenasischen, also ursprünglich aus Europa bzw. den USA stammenden Mittel- und Oberschicht, deren Gemeinsamkeit vor allem in folgendem Umstand liegt: Sie sind zu territorialpolitischem Verzicht bereit und befürworten die Gründung eines Palästinenserstaates an der Seite Israels. Als Verfechterin einer Zweistaatenlösung ist die Linke jedoch durch den palästinensischen Terror friedens- und sicherheitspolitisch delegitimiert und damit bei vielen Wählerinnen und Wählern diskreditiert.

Im bürgerlichen Lager organisierten sich 1965 die bis dahin größten rechts- und linksliberalen Parteien in einem Block, der sich Gachal nannte und 1973 im Likud aufging. Die im Likud-Block verbliebenen Parteien schlossen sich zur Likud-Partei zusammen. Dabei handelt es sich im Grunde genommen um eine Fusion der Cherut (hebr.: Freiheit – Partei aus der Zionistisch-Revisionistischen Bewegung) und der (Rechts-)Liberalen.

Im Zuge der Einwanderung von mehr als einer Million Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten vor allem in den 1990er-Jahren entstanden auch Parteien, die sich dezidiert an Wähler mit "russischem" Hintergrund richten. Angesichts der Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus war es dabei nicht verwunderlich, dass sich diese Parteien im bürgerlich-konservativen, wenn nicht nationalistischen Lager verorteten. Bis heute spielt Avigdor Liebermans ultra-rechte, säkulare Partei Israel Beiteinu (hebr.: Unser Haus Israel) als Vertreterin der "russischen" Juden eine nicht unerhebliche Rolle in der israelischen Parteienlandschaft, insbesondere als Koalitionspartner.

Die heute stärksten Gruppierungen der Rechten, allen voran der Likud von Ministerpräsident Netanjahu (seit 2009) sind einerseits sozialpolitisch aktiver als die Arbeitspartei, andererseits extrem nationalistisch, was sich besonders in der Territorial- und Siedlungspolitik sowie in einer Ablehnung der Zweistaatenlösung äußert. Grundsätzlich repräsentiert die israelische Rechte besonders die Unterschicht.

Seit einigen Jahren ist in Israel wieder der Versuch zu beobachten, eine größere bürgerlich-liberale Partei der Mitte zu etablieren. Nach dem raschen Niedergang von Kadima (hebr.; Vorwärts, 2005–2015) ist momentan Ja’ir Lapids Jesch Atid (hebr.; Es gibt eine Zukunft) der neue Hoffnungsträger einer europäisch-orientierten, bürgerlich-liberalen Mittelschicht, die für eine Zweistaatenlösung eintritt. Zwar konnte die Partei ihren Wahlerfolg von 2013, als sie zweitstärkste Fraktion der Knesset wurde, 2015 nicht wiederholen (11 Sitze, viertstärkste Fraktion), jedoch ist sie Umfragen zufolge momentan die einzige Partei, die dem Likud von Ministerpräsident Netanjahu gefährlich werden könnte. Angesichts der sich ständig verändernden Parteienlandschaft in Israel ist allerdings auch der Weg in die Bedeutungslosigkeit alles andere als ausgeschlossen.

Im religiösen Lager blieb bei rückläufiger Tendenz die nationalreligiöse Richtung, vertreten durch Mizrachi (hebr.; spirituelles Zentrum) und Ha-Po’el Ha-Mizrachi (hebr.; der Mizrachi-Arbeiter), lange dominierend. Beide schlossen sich 1956 zur Nationalreligiösen Partei (NRP) zusammen. Seit Ende 2008 firmiert diese Partei im Grunde genommen unter dem Namen Ha-Bajit Ha-Jehudi (hebr.; das jüdische Haus), die sich vor allem als Sachwalterin jüdischer Siedler im Westjordanland sieht und territorial- wie siedlungspolitisch äußerst kompromisslos ist. Neben Ha-Bajit Ha-Jehudi sind gegenwärtig Schas ("Sephardische Thorawächter"), die vor allem die Interessen traditionalistischer Juden aus arabischsprachigen Ländern vertritt, sowie das aschkenasisch dominierte Vereinigte Thora-Judentum (Agudat Israel und Thora-Banner) die bedeutendsten religiösen Parteien bzw. Wahlbündnisse. Als sektoralen Parteien geht es diesen Parteien insbesondere darum, für die partikularistischen Interessen der eigenen Klientel staatliche Finanzierung und Zuschüsse zu erlangen. Bis in die frühen 1990er-Jahre trennte die Friedenspolitik auch die Religiösen in "Tauben" und "Falken". Heute gehört dieser Block fast ausschließlich zum Lager der kompromisslosen Falken.

Schließlich darf in dieser Liste das Lager der arabischen Parteien nicht fehlen. In den ersten Jahrzehnten nach der Staatsgründung wählten die israelischen Araber fast ausschließlich entweder anti- oder nicht-zionistische Linksparteien wie die binationale Gruppe der Neuen Kommunistischen Liste (NKL) bzw. der Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit (DFFG bzw. Chadasch) oder die mit der IAP verbundenen "Arabischen Listen", die bis 1969 regelmäßig vier oder fünf Sitze erhielten, danach aber innerhalb weniger Jahre von der parlamentarischen Bühne verschwanden.

Das heutige Spektrum arabischer Parteien in Israel lässt sich ideologisch einem der drei folgenden Lager zuordnen: säkular-sozialistisch (Chadasch), arabisch-nationalistisch-säkular (Ta’al, Balad) oder islam(ist)isch-konservativ (Ra’am). Gemeinsam ist ihnen allen zum einen die Forderung nach der Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates, der alle in ihren Augen palästinensischen Gebiete (Ost-Jerusalem, Westjordanland, Gazastreifen) umfasst. Zum anderen treten sie für das Ziel ein, Israel in einen nicht-ethnischen, binationalen demokratischen Staat umzuwandeln, in dem die arabische Bevölkerung über kollektive Minderheitenrechte oder sogar Autonomie verfügt. Insofern geht es den arabischen Parteien im Wesentlichen um eine politische Verfasstheit Israels, in der nur noch der demokratische, aber nicht mehr der jüdische bzw. zionistische Aspekt eine Rolle spielen soll.

Kurz vor den Wahlen von 2015 gelang es zum ersten Mal, eine gemeinsame Wahlliste der vier wichtigsten arabischen Parteien (Chadasch, Balad, Ta’al, Ra’am) zu schmieden. Dies war umso dringlicher geworden, da ein Scheitern an der auf 3,25 Prozent angehobenen Sperrklausel drohte. Tatsächlich konnte diese sogenannte Vereinigte Liste mit 13 Abgeordneten zur drittstärksten Fraktion der Knesset avancieren. Fraglich bleibt allerdings, ob dieses äußerst heterogene Bündnis, das Sozialisten, Nationalisten und Islamisten umfasst, von Dauer sein wird.

Wohin entwickelt sich der Staat Israel?

In den letzten 20 Jahren scheint sich bei der Sicht auf die grundsätzliche Ausrichtung des Staates, der, wie eingangs ausgeführt, rechtlich sowohl als jüdisch wie auch als demokratisch definiert ist, ein Einstellungswandel auszuwirken. Seit Jahren zeigt sich in Umfragen, dass für immer weniger jüdische Israelis die Definition Israels als gleichermaßen jüdisch und demokratisch von Bedeutung ist. In den nächsten Jahren dürfte sich der Trend zugunsten einer Präferenz für den jüdischen Charakter des Staates verstärken, da nicht nur die Mehrheit der Religiösen und der Rechten, sondern vor allem auch die jüngere Generation, die sich zunehmend dem religiösen und rechten Lager zuwendet, dem Jüdischen den Vorzug vor dem Demokratischen gibt.

Dieser Umstand verweist auf die zentrale Frage, ob Israel in Zukunft tatsächlich jüdisch und demokratisch bleiben wird bzw. bleiben kann. Die Bemühungen, das Westjordanland durch den Ausbau von jüdischen Siedlungen demografisch zu judaisieren, müssen paradoxerweise zur politischen Entjudaisierung des jüdischen Staates führen: Ungewollt bringt die jüdische Siedlungspolitik der extremen Falken immer mehr einen binationalen, also jüdisch-arabischen Staat hervor, der an die Stelle des rein jüdisch bestimmten Gemeinwesens tritt.

In dem Maße, wie die besetzten Gebiete immer mehr Teil des israelischen Kernlandes werden, rückt auch die politische Grundsatzentscheidung zunehmend näher, ob man der arabischen Bevölkerung in der Westbank letztlich auch das Wahlrecht einräumen muss, das die arabischen Bürger im Kernland besitzen. Dies wäre das Ende Israels als dezidiert jüdischer Staat. Wird hingegen den Millionen Arabern der Westbank das gleiche Wahlrecht verweigert, würde man zwar Israels jüdisch bestimmten Charakter bewahren, gleichzeitig aber die demokratische Tradition des Zionismus aufgeben. Mit anderen Worten: Es ist alles andere als ausgeschlossen, dass Israel in Zukunft vor die unmöglich zu lösende Frage gestellt wird: jüdisch oder demokratisch?

Dr. Tobias Grill ist Historiker und promovierte über ein Thema der osteuropäisch-jüdischen Geschichte.

Prof. Dr. Wolffsohn ist der Autor des Standardwerks "Israel: Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft."