Die NATO: Rückbesinnung auf den Kernauftrag | bpb.de

Informationen zur politischen Bildung
Informationen zur politischen Bildung Nr. 353/2022

Die NATO: Rückbesinnung auf den Kernauftrag

/ 9 Minuten zu lesen

Das Nordatlantische Bündnis als zentrales Element der kollektiven Verteidigung Europas

Annalena Baerbock und die Sonderbeauftragte Irene Fellin stehen bei einer Pressekonferenz auf einer Bühne hinter Redepulten, die mit dem Logo des Nato-Gipfeltreffens versehen sind. Baerbock steht rechts im Bild und spricht, Fellin steht links und hört zu, den Kopf Baerbock zugewandt. Die blaue Wand im Hintergrund ist ebenfalls mit dem Logo des Gipfeltreffens in unterschiedlichen Größen bestückt.

Außenministerin Annalena Baerbock (r.) auf einer Pressekonferenz während des NATO-Gipfeltreffens in Madrid am 30. Juni 2022 mit der Sonderbeauftragten des NATO-Generalsekretärs für Frauen, Frieden und Sicherheit Irene Fellin (l.). Auf dem Gipfel wird ein neues strategisches Konzept beschlossen, das sich verstärkt der Bedrohung durch Russland, dem Klimawandel und der weiblichen Perspektive auf Sicherheitsfragen widmet. (© picture-alliance, photothek | Janine Schmitz)

"Our world is contested and unpredictable", so heißt es in der Einleitung zum neuen Strategischen Konzept der NATO, dass auf dem Gipfel von Madrid am 29. Juni 2022 verabschiedet wurde. Damit zog die Nordatlantische Allianz (NATO) einige radikale Konsequenzen aus dem sich seit längerem abzeichnenden fun­damentalen Wandel ihres sicherheitspolitischen Umfeldes. Erneut musste die NATO damit die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen, die sie seit über 70 Jahren zum ältesten und wohl erfolgreichsten militärpolitischen Bündnis der Welt hat werden lassen.

Kernfunktionen

Lord Ismay, dem ersten Generalsekretär der NATO (1952–1957), wird die Aussage zugeschrieben, dass das Bündnis drei zentrale Aufgaben habe: "to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down". Diese Formulierung traf 1950, fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Stimmung der Zeit, aber noch heute beschreibt sie plakativ den Kern der Allianzaufgaben:

  • kollektive Verteidigung nach außen,

  • Kooperation und transatlantische Bindung nach innen und

  • ein Mindestmaß an kollektiver Sicherheit in- und außerhalb der Allianzgrenzen.

Formal gesehen handelt es sich bei der NATO um ein Solidaritätsversprechen souveräner Nationen für den Fall sicherheitspolitischer Bedrohungen von außen, jedoch ohne militärischen Automatismus. Dieser politische Anspruch wurde Schritt für Schritt in institutionelle Formen gegossen und den jeweiligen Erfordernissen der Zeit angepasst. Vor dem Hintergrund der Konfrontation zweier hochgerüsteter Machtblöcke repräsentierte die Allianz in den ersten vierzig Jahren zwischen ihrer Gründung 1949 und dem Ende des Kalten Krieges 1989 primär eine Institution zur Bewahrung des politischen Status quo in Europa. Basierend auf der "Gleichgewicht des Schreckens" genannten Erkenntnis, dass beide Seiten dazu in der Lage wären, sich unabhängig von der Möglichkeit eines nuklearen Überraschungsschlages gegenseitig und endgültig zu vernichten, wurde die Kriegsvermeidung durch Abschreckung und Dialog zur "Überlebenshoffnung" aller europäischen Staaten.

Kollektive Sicherheit

Nach dem Ende des Kalten Krieges gelang es der NATO, ihre Bedeutung für die Sicherheitspolitik ihrer Mitgliedstaaten zu bewahren, sich sogar in Mitgliedschaft und Aufgabenvielfalt weiter auszudehnen. Mit dem Wegfall einer existenziellen Bedrohung für alle Mitgliedstaaten traten dabei die beiden anderen Aspekte der Allianzaufgaben stärker in den Vordergrund: die transatlantische Kooperation und die kollektive Sicherheit. Von Beginn an machte die Präsenz der übermächtigen USA als "external balancer" das jahrhundertalte Ringen um innereuropäische Dominanz weitgehend unnötig. Dies erleichterte nicht nur der Bundesrepublik Deutschland die westliche Integration und später sogar die friedliche Wiedervereinigung, sondern half auch, bilaterale Spannungen wie die Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei abzuschwächen und damit größeren Schaden zu vermeiden.

Auch die schrittweise Annäherung der neuen souveränen Staaten Mittel- und Osteuropas an EU und NATO war ein Element dieser kooperativen Form der kollektiven Sicherheit. Erstaunlich flexibel konnte die Allianz dabei ihren Aufgaben­katalog den jeweiligen Sicherheitsbedürfnissen der Zeit anpassen. So wurde schon 1991 mit der Anerkennung der Risiken vermehrter Instabilität an der Bündnisgrenze ein erster Schritt in Richtung Krisenmanagement gemacht, einer Aufgabe, die zwischen dem Beginn des Einsatzes der NATO im Bosnien-Konflikt 1995 (IFOR) und dem Rückzug aus Afghanistan 2021 die militärischen Beiträge der Allianz ein Vierteljahrhundert lang dominieren sollte. Dazu kamen weitere Aspekte wie die Folgen der globalen Klimaveränderung. Aber auch Energie- und Ressourcensicherheit oder Cyberbedrohungen wurden zu Themen des transatlantischen Sicherheitsdialoges. Terrorismusabwehr und zuletzt der zunehmend als bedrohlich empfundene Aufstieg Chinas als Militärmacht im Indo-Pazifik fanden ebenfalls Eingang in die unterschiedlichen Minister- und Gipfelbeschlüsse der Allianz.

Transatlantische Kooperation

In dieser Phase wurde die Aufgabe der transatlantischen Kooperation zu einem wesentlichen Element der Bündnispolitik, galt es doch trotz des geografisch, wirtschaftlich oder politisch bedingten Auseinanderdriftens von Einzelinteressen der Mitgliedstaaten, stets Wege zum Erhalt des Grundkonsenses einer kooperativen Sicherheit in und für Europa zu finden. Die Führungsrolle der USA war immer wieder entscheidend dafür, die unterschiedlichen Interessen der europäischen Mitglieder konstruktiv zusammenzuführen, sei es bei der Frage der Osterweiterung oder bei der Terrorismusabwehr. Umgekehrt gelang es den europäischen Mitgliedern wiederholt, durch das eigene sicherheitspolitische Engagement die USA von der anhaltenden Bedeutung und Nützlichkeit der Allianzstrukturen bei der Verteidigung ihrer eigenen Interessen zu überzeugen.

Die institutionalisierten Dialoggremien und die stetig eingeübte politische wie militärische Kooperationsfähigkeit boten hierbei dauerhaft einzigartige Vorteile für alle Mitgliedstaaten. Hier gilt der längste und mit zeitweise über 50 mitwirkenden Partnernationen größte Einsatz der NATO-Geschichte in Afghanistan von 2003 bis 2021 als herausragendes Beispiel. Das westliche Engagement am Hindukusch begann als Reaktion auf die erste Aktivierung von Artikel 5 des NATO-Vertrages (kollektive Verteidigung), entwickelte sich dann jedoch schnell zum umfassenden Krisenmanagement. Der ehrgeizige Ansatz des "Nation Building" scheiterte am Ende mit der Machtübernahme der Taliban in Kabul und einem schmählich improvisierten Abzug der Alliierten.

Die Gründe dafür sind vielschichtig und eine Aufarbeitung steht noch aus. Rückblickend muss jedoch festgestellt werden, dass die Schwerpunktsetzung auf das Krisenmanagement zwar einerseits die Modernisierung westlicher Streitkräfte hin zu leichten und flexiblen Einsatzkräften massiv vorangetrieben hatte, dass dies aber andererseits nur auf Kosten einer weitergehenden Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung möglich war. So steht spätestens nach der Invasion Russlands in der Ukraine nun wieder eine aufwendige Umrüstung der NATO-Streitkräfte an.

Neue Mitglieder

Anfang der 1990er-Jahre drängten mehrere Staaten Osteuropas, allen voran Polen und Ungarn, mit der Unterstützung der USA und später auch der Bundesrepublik Deutschland auf eine baldige Aufnahme in NATO und EU. Ihre Ziele dabei waren einerseits ein Platz innerhalb der westlichen liberalen Marktwirtschaft, andererseits ein Maximum an äußerer Sicherheit für ihre noch jungen Demokratien. Parallel zum Öffnungsprozess der NATO, der zwischen 1994 und 2022 die Mitgliedschaft der Allianz von 19 auf bald 32 Staaten erhöhte, gehörte zum Stabilitätstransfer der NATO nach Osteuropa auch die Bemühung um eine sicherheitspolitische Kooperation mit Russland.

Anhand einer Europakarte wird die NATO-Osterweiterung veranschaulicht. Staaten, die vor 1999 beitraten, und Staaten, die nach 1999 beitraten, sind farblich abgesetzt. Verschiedenfarbige Punkte markieren Luftwaffenstützpunkte, Raketenschilde, Hauptquartiere und Multinationale Gefechtsverbände sowie eine Radarstation in der Türkei.

Die NATO in Europa. (© Infografik auf Basis von zwei Darstellungen von picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH, Quellen: NATO, Bundeswehr, bpb)

Im Gegensatz zur verbreiteten Wahrnehmung hatte dabei nie ein formales Versprechen gegenüber Moskau im Raum gestanden, die Allianzstrukturen nicht nach Osten hin zu erweitern. Stattdessen war das Bündnis stets bemüht, einen Interessenausgleich zu ermöglichen, unter anderem mit der Einrichtung eines exklusiven bilateralen Dialoggremiums auf der Basis der NATO-Russland-Grundakte von 1997 und dessen Aufwertung zum entscheidungsberechtigten NATO-Russland-Rat 2002 (NATO-Russia Council, NRC), aber auch mit verschie­denen Versuchen eines "Resets" in den Beziehungen zu Moskau nach dem Georgien-Krieg 2008.

Strukturen

Im Zentrum jeder Entscheidungsfindung innerhalb der Allianz steht der Nordatlantikrat (NAC). Der NATO-Rat tagt regelmäßig auf der Ebene der Ständigen Vertreter (umgangssprachlich NATO-Botschafter) sowie mehrfach im Jahr auf der Ebene der Ministerinnen und Minister für Außen- und Verteidigungspolitik sowie in unregelmäßigen Abständen als NATO-Gipfel auf der höchsten Ebene der Staats- und Regierungschefs bzw. -chefinnen. Dazu kommen noch verschiedene Treffen mit den Partnerstaaten, die mehr oder weniger institutionalisiert sind, also zumeist bedarfsorientiert organisiert werden. Unterhalb dieser hohen politischen Ebene wurden in der Allianz noch eine ganze Reihe weiterer Ausschüsse und Arbeitsgremien sowie der diese unterstützende Apparat des Internationalen Stabs (IS) geschaffen, in denen die Entscheidungen im NATO-Rat vorbereiten werden.

In Ergänzung zum politischen Überbau verfügt die NATO noch über eine ausdifferenzierte Militärstruktur. An deren Spitze steht der Militärausschuss (Military Committee, MC), der sich aus den jeweils höchsten nationalen militärischen Vertretern bei der NATO zusammensetzt und das wichtigste militärische Beratungsgremium innerhalb des Bündnisses ist. Er tagt mindestens einmal pro Woche auf der Ebene der Ständigen Militärischen Vertreter (Military Permanent Representatives, MilReps). Drei Mal im Jahr tagt der Militärausschuss auch auf der Ebene der nationalen Generalstabschefs (Chiefs of Defense, CHODS).

Ein Organigramm zeigt den militärischen und politischen Aufbau der NATO. Im Mittelpunkt steht der Nordatlantikrat, dem der Generalsekretär vorsitzt.

Aufbau der NATO – Politische und Militärische Organisation. (© NATO, eigene Darstellung)

Dem Militärausschuss steht wiederum der Internationale Militärstab (IMS) als Arbeitsgremium zur Verfügung. Unterhalb dieser Entscheidungsebenen steht der Allianz die integrierte und gemeinschaftsfinanzierte NATO-Kommandostruktur (NKS) zur Verfügung, welche sich auf der militärstrategischen Ebene aus dem Allied Command Operations (ACO) in Mons, Belgien, und dem Allied Command Transformation (ACT) in Norfolk (Virginia, USA) zusammensetzt und durch mehrere nachgeordnete Militärstäbe ergänzt wird. Außerhalb dieser multinationalen Kommandostruktur existieren nur wenige gemeinsame Militärstrukturen, da die eigentlichen militärischen Kräfte eine rein nationale Angelegenheit bleiben.

Das Grundprinzip der Souveränität im Bündnis

Kern des Washingtoner Vertrages ist das Versprechen aller beteiligten Nationen, sich im Falle eines bewaffneten Angriffes gegenseitig Hilfe zu leisten und darüber hinaus in allen Fragen der gemeinsamen Sicherheit zu kooperieren und sich zu konsultieren. Doch alles Handeln innerhalb der Bündnisstrukturen bleibt grundsätzlich und jederzeit strikt dem Nationalitätenprinzip untergeordnet. Dies gilt sowohl für das Zustandekommen der Entscheidungen, das ausschließlich dem Konsensprinzip folgt, als auch für die militärische Umsetzung dieser gemeinsamen Entscheidungen. Das heißt, in praktisch jeder Situation kann jedes Bündnismitglied für sich selbst frei und souverän entscheiden, was es tut und wie es die zuvor getroffene Konsensentscheidung interpretieren und praktisch umsetzen will.

EIn Balkendiagramm zeigt den Anteil der Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten am Bruttoinlandsprodukt in Prozent. Die Tabelle wird angeführt von Griechenland mit 3,59%, das Schlusslicht bildet Luxemburg mit lediglich 0,54%. Der NATO-Zielwert liegt bei 2,0%.

Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten. (© picture-alliance/dpa, dpa Grafik | dpa-infografik GmbH, Quelle: NATO; Schätzungen, Stand: März 2022)

Der Erfolg der NATO im Kalten Krieg und auch die heutige Ausstrahlung der Allianz beruhen im Wesentlichen auf zwei wichtigen, aber weniger formalistischen Faktoren: Zum einen ­ist das über Jahre gewachsene Vertrauen aller beteiligten Staaten (sowie potenzieller Gegner) in eine zuverlässige mili­tärische Abschreckung von zentraler Bedeutung. Dabei spielt auch die institutionelle Flexibilität der NATO eine wichtige Rolle, die es dem Bündnis ermöglicht hat, jeweils zeitgerechte politische und strukturelle Antworten auf die sich wandelnden Herausforderungen zu finden und damit den Zusammenhalt zu bewahren. Zum anderen beruht die wahrgenommene Stärke der NATO natürlich auch auf der dominanten Position der USA als wirtschaftlich wie militärisch mächtigster Einzelnation der Welt. Ein Mangel an Führungswillen in den USA wird daher bisher auch automatisch als Schwächung der Allianz und ihrer Handlungsfähigkeit wahrgenommen.

Grenzen militärischer Leistungsfähigkeit

Mit der neuen Herausforderung des Krisenmanagements hat sich die Allianz seit 1992 schrittweise zu einem zentralen militärischen Instrument des politisch gewünschten Stabilitätstransfers über die Bündnisgrenzen hinaus entwickelt. Am Anfang dieses Prozesses stand die Bereitschaft zur Übernahme von OSZE- und VN-Mandaten im Zusammenhang mit den Balkan-Krisen der 1990er-Jahre, vor allem aber die Ereignisse der Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 verfestigten diese Aufgabe des Bündnisses. Gleichzeitig mit einer Anpassung der NATO-Militärstruktur bemühten sich die europäischen Staaten nun verstärkt darum, ihre militärischen Streitkräfte nach US-amerikanischem Vorbild – jedoch strikt nach nationaler Militärkultur und Finanzlage – zu transformieren und damit ihre Einsatzfähigkeit im Rahmen des internationalen Krisenmanagements zu erhöhen.

Vor dem Hintergrund innenpolitischer Entwicklungen, der Folgen der globalen Finanzkrise sowie des immer deutlicher werdenden Aufstiegs Chinas signalisierten die USA nach 2010, sich unter dem Stichwort "Pivot to Asia" künftig stärker im asiatischen Raum engagieren zu wollen. Die Folgen daraus wurden den europäischen Verbündeten und Partnern – deren Streitkräfte selbst unter erheblichen Einsparungen zu leiden hatten – bereits bei der NATO-Operation Unified Protector in Libyen 2011 klar, als ihre Abhängigkeit insbesondere von US-amerikanischen Aufklärungs- und Führungsfähigkeiten, elektronischer Kriegsführung sowie Präzisionsmunition offensichtlich wurden.

Die Ereignisse des Kaukasus-Krieges im August 2008 riefen zwar bereits die alten Ängste vor allem kleinerer mittel- und osteuropäischer Staaten vor einem Wiedererwachen russischer Expansionsbestrebungen hervor, dies führte jedoch eher zu einer symbolischen und stark begrenzten Rückbesinnung auf die Kernfunktion der Allianz im Sinne kollektiver Verteidigung. Nach wie vor bekannte sich die NATO ausdrücklich zum Dialog mit Russland. Dementsprechend trafen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sowie die russische Aggression in der Ostukraine die Allianz 2014 überraschend und weitgehend unvorbereitet. Dies löste zwar eine Neubewertung des Verhältnisses zu Russland sowie des Verhältnisses der drei Kernaufgaben der Allianz – kollektive Verteidigung, Internationales Krisenmanagement und kooperative Sicherheit – zueinander aus, dennoch blieb es selbst dann noch bei moderaten Anpassungen in der Verteidigungsplanung der Allianz. Vor allem aber wurden dadurch die Tendenz zu "hohlen Strukturen" anstelle von kampfkräftigen europäischen Verbänden nicht wirklich gebrochen.

Rückbesinnung auf die Bündnisverteidigung

Erst die Invasion russischer Streitkräfte in die Ukraine am 24. Februar 2022 führte zum vollständigen Bruch mit Russland, zur eindeutigen Neupositionierung der Allianz sowie zur massiven Ausweitung nationaler Verteidigungsanstrengungen, wie sie in den Gipfelbeschlüssen von Madrid Ende Juni 2022 deutlich wurden. Zusätzlich zur Aufnahme der beiden bisher neutralen skandinavischen Partner Finnland und Schweden sowie des 7. Strategischen Konzeptes seiner Geschichte beschloss die Allianz die größte Anpassung ihrer Streitkräftestrukturen seit dem Ende des Kalten Krieges. Die NATO-Response Force, mit einer Stärke von 40 000 Soldaten bisher eher Symbol der Solidarität in Gefahrenlagen, soll schnellstmöglich in eine wirklich schlagkräftige Truppe von circa 300 000 "kaltstartfähigen" Soldaten und Soldatinnen umgewandelt werden. Dazu kommen eine bessere Finanzierung und Stärkung der Innovation für die fortschreitende Modernisierung der Streitkräfte.

Über die Bekräftigung der Zusagen zur Unterstützung der Ukraine hinaus hat dieser Gipfel aber auch wichtige Signale in Richtung inhaltlicher und geografischer Neuausrichtung gesendet. So wurde nicht nur das Ziel einer vollständigen Emissionsfreiheit der NATO bis 2050 beschlossen, sondern erstmalig auch eine Reihe von Partnerstaaten aus dem pazifischen Raum zur Teilnahme am NATO-Gipfel eingeladen. Die Anwesenheit von Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea als Gesprächspartner in Madrid war ein klares Signal der Allianz, über die aktuelle Bedrohung durch Russland hinaus auch nicht die neuen globalen Risiken aus dem Blick zu verlieren und sich den Herausforderungen einer expansiven chinesischen Sicherheitspolitik stellen zu wollen.

Ohne die weiterhin bestehenden internen Spannungen zu übertünchen, hat die NATO damit auch nach über 70 Jahren eindrucksvoll ihre Anpassungsfähigkeit und Relevanz für die Sicherheit aller ihrer bald 32 Mitgliedstaaten bewiesen.

Auf einer Weltkarte sind die 30 Mitgliedsstaaten der Nato und die Jahreszahlen ihrer jeweiligen Beitritte markiert.

Die 30 Mitgliedstaaten der NATO. (© picture-alliance/dpa, dpa Grafik | dpa-infografik GmbH, Quelle: NATO; Stand: Dezember 2022)