Anfang Dezember 2022 kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache "Zeitenwende" zum Wort des Jahres, gefolgt von "Krieg um Frieden" und "Gaspreisbremse". Die Wörter des Jahres 2021 lauteten "Wellenbrecher" und "SolidAHRität", und 2020 wurde "Corona-Pandemie" gewählt. Jeder dieser Begriffe steht stellvertretend für Krisen, die viele Menschen in Deutschland und weltweit in den vergangenen Jahren unmittelbar betroffen haben.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine seit Februar 2022 bedeutet einen epochalen Bruch der internationalen Ordnung und wird die europäische, aber auch die internationale Sicherheitspolitik grundlegend und langfristig verändern. Der Krieg in Europa ist neben all die anderen globalen Herausforderungen mit offenem Ausgang getreten: eine wachsende Zahl von Menschen, die vor Krieg, Armut und Naturkatastrophen – auch bedingt durch den menschengemachten Klimawandel und die daraus resultierende Umweltzerstörung – fliehen müssen, der Zerfall staatlicher Gewalt etwa in der Sahelzone, zunehmende Desinformationskampagnen und Cyberattacken sowie die wieder als real erscheinende Gefahr einer nuklearen Eskalation.
In dieser Ballung von Großkrisen haben sich nationalistische und populistische Tendenzen in vielen Staaten verstärkt und gefährden die internationale Zusammenarbeit. Bereits im siebten Jahr in Folge sind laut dem Jahresbericht des Stockholmer Instituts für Friedensforschung (SIPRI) die weltweiten Militärausgaben gestiegen – auf über zwei Billionen US-Dollar im Jahr 2021.
Die wachsende Polarisierung zwischen den USA und China, zwischen Europa und Russland, zwischen freiheitlichen Demokratien und autokratischen Staatsformen, ist die größte Herausforderung für die internationale Sicherheitspolitik. Die Coronavirus-Pandemie hat einige Entwicklungen noch verschärft: So ist in manchen westlichen Ländern die Skepsis gegenüber der Demokratie als beste Staatsform gewachsen, und viele Länder des Globalen Südens haben sich bei der Pandemiebekämpfung von den westlichen Staaten alleingelassen gefühlt.
Um die globalen Probleme zu lösen und menschenwürdige Lebensbedingungen für alle zu schaffen – wie es die Vereinten Nationen 2015 in ihren 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung festgelegt haben –, ist eine regelbasierte internationaleOrdnung notwendig, die allen Staaten gerecht wird, in derKooperationsangebote unterbreitet und Regelbrüche geahndet werden.
Denn seinen Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit zu gewährleisten, ist eine wichtige Grundaufgabe staatlicher Politik. Dabei umfasst Sicherheitspolitik heute mehr als nur den Schutz des eigenen Territoriums vor Angriffen von außen durch andere Staaten oder Individuen. Sicherheit bedeutet darüber hinaus, dass Individuen, Gesellschaften und Staaten in der Lage sind, existenzielle Güter wie Leben, Gesundheit, Wohlstand oder die politisch-kulturelle Ordnung wirksam zu kontrollieren und Gefahren abzuwehren. In welchem Rahmen und mit welchen Zielen die internationale Sicherheitspolitik dabei agiert, muss stets aufs Neue ausgehandelt werden.
Jutta Klaeren