In den vergangenen Jahrzehnten hat die globale Verflechtung der internationalen Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen weiter zugenommen. Insbesondere seit den 1980er-Jahren, als sich die Volksrepublik China für die Marktwirtschaft öffnete, sowie mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation und mit der wirtschaftlichen Transformation Mittelosteuropas hat diese Entwicklung, die als Kern der so genannten Globalisierung gilt, an Fahrt gewonnen. Seither wächst der grenzüberschreitende Güter- und Kapitalverkehr stetig. Firmen können ihre Produktion kostensparend in andere Länder verlagern und Investoren ihr Kapital weltweit anlegen.
Die jüngste Phase dieser Entwicklung ist auch dadurch gekennzeichnet, dass viele Unternehmen nicht nur ihre Vorprodukte aus anderen Ländern beziehen, sondern selbst die Endproduktion in kleinste Schritte zerlegen und sie auf unterschiedliche, zum Teil weltweit verstreute Standorte verteilen. So entstehen Liefer- und Produktionsketten, die global wechselseitige Abhängigkeiten verstärken, aber auch Folgen haben, die über ökonomische Zusammenhänge hinausgehen.
Unter anderem stellt sich die Frage nach dem Gestaltungsspielraum der nationalen Politiken, speziell in demokratisch verfassten Gesellschaften. Sie haben die Möglichkeit, den Marktkräften freien Lauf zu lassen oder sie zu regulieren. Zudem können sie institutionelle Foren für internationale Konfliktbearbeitung bereithalten. Gleichzeitig ist der Nationalstaat oft als letzte Instanz gefragt, wenn die Marktkräfte versagt haben und Fehlentwicklungen sozialpolitisch aufgefangen werden müssen.
Diese Ausgabe führt in die theoretischen Grundlagen grenzüberschreitender Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen ein. Sie stellt deren Praxis und Akteure vor, beleuchtet die Vor- und Nachteile, dieser Beziehungen und geht der Frage nach, wem sie nutzen oder wen sie eher benachteiligen.
Dabei wird deutlich, dass die internationale Arbeitsteilung sich für viele Beteiligte – Individuen wie ganze Volkswirtschaften – positiv ausgewirkt, aber auch bedenkliche Folgeerscheinungen hervorgebracht hat. Dazu zählen nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen der Handelsliberalisierung auf Unternehmen, Beschäftigte und Verbraucher, sondern auch Finanzkrisen wie diejenige von 2008/09, als verschiedene Banken in Europa auf Kosten der Steuerzahler "gerettet" werden mussten.
Wenn sich Absatzmärkte, Kapitalbesitz und Produktionsstandorte weiter voneinander entkoppeln und Nationalstaaten als Ordnungsinstanzen schwächen, können diese unerwünschten Nebenwirkungen nur schwer politisch aufgefangen werden. Diese Erfahrungen haben eine tiefe Konfliktlinie zwischen Befürwortern und Gegnern einer offenen Gesellschaft und des Freihandels entstehen lassen. Immer häufiger wird der Wunsch nach Abschottung zum Schutz der einheimischen Wirtschaft laut.
Die Darstellung präsentiert unterschiedliche Sichtweisen auf die Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und geht auch der Frage nach, wie viel Raum in einer globalisierten Weltwirtschaft für spezifische Präferenzen einzelner Gesellschaften noch bleibt.
Christine Hesse