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Herausforderungen im 21. Jahrhundert | Internationale Beziehungen I | bpb.de

Internationale Beziehungen I Zu diesem Heft Der Beginn der Bipolarität Ursachen und Entstehung des Kalten Krieges Zwang zur Koexistenz in den fünfziger Jahren Vom Kalten Krieg zur Ära der Entspannung Entspannung und Neue Ostpolitik 1969-1975 Krise und Neubeginn der Ost-West-Kooperation Die demokratische Revolution in Osteuropa Herausforderungen im 21. Jahrhundert Literaturhinweise Impressum

Herausforderungen im 21. Jahrhundert

Manfred Görtemaker

/ 4 Minuten zu lesen

Von links nach rechts, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der kanadische Premierminister Stephen Harper, der russische Premierminister Dimitri Medwedew, US-Präsident George W. Bush, der japanische Ministerpräsident Yasuo Fukuda, der französische Präsident Nicolas Sarkozy, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der britische Premierminister Gordon Brown, Präsident der Europäischen Union Jose Manuel Barroso, bei einem offiziellen Foto des G8-Gipfels am Badesee von Toyako auf der japanischen Nordinsel Hokkaido. (© AP)

Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war von einem rapiden Wandel der Weltpolitik gekennzeichnet. Der Zerfall des sowjetischen Imperiums sowie die Notwendigkeit, das dadurch entstandene Vakuum durch Elemente einer neuen Ordnung zu füllen, erforderten eine politische Phantasie, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg kaum noch benötigt worden war. Das alte Muster der Bipolarität existierte nicht mehr. Die Welt mußte politisch, wirtschaftlich und militärisch grundlegend neu gestaltet werden. Doch während die USA und Westeuropa sich dabei auf vertraute Instrumente und Institutionen, wie die NATO und die Europäische Union, stützen konnten, war die Lage in Osteuropa und besonders in Rußland von extremer Unsicherheit und Offenheit gekennzeichnet.

Inzwischen, am Beginn des 21. Jahrhunderts, sind bereits manche Strukturen erkennbar, die zumindest andeuten, in welche Richtung die Entwicklung verlaufen dürfte. So ist die Umwandlung der Sowjetunion in ein "Commonwealth" mehr oder minder unabhängiger Staaten mit einer funktionierenden und allgemein akzeptierten Zentralgewalt mißlungen. Rußland hat sich unter seinen Präsidenten Boris Jelzin und Wladimir Putin als regionale Hegemonialmacht behauptet und scheut auch nicht vor Anwendung von Gewalt zurück, wenn, wie im Falle Tschetschenien, ein neuer Separatismus droht.

Dabei beruht der neue russische Nationalismus nicht nur auf dem Willen und der politischen Entschlossenheit der obersten Führung, sondern ist auch Ausdruck einer verbreiteten Stimmung in der russischen Bevölkerung. In der Duma, dem russischen Parlament, ist sogar ein Schulterschluß zwischen autoritären Nationalisten und orthodoxen Kommunisten an der Tagesordnung.

Eine der Hauptursachen dieser Entwicklung ist die fundamentale Erschütterung des russischen Selbstverständnisses: Die ehemalige Weltmacht UdSSR hat abgedankt und praktisch alle Verbündeten und Stützpunkte verloren. Im Ausland stationierte Truppen kehrten in die Heimat zurück. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst. Und die früher im Sinne der leninistischen Revolutionstheorie eher auf ein weltweites Engagement ausgerichtete Außenpolitik war zu einem völligen Umdenken gezwungen. Dies führte zu außenpolitischer Lähmung, nach einer Phase der Resignation aber auch zu einer Trotzreaktion in Gestalt eines neuen Nationalismus.

Das wirtschaftliche Elend weiter Teile der Bevölkerung und der heimgekehrten Soldaten sowie der Verfall einer ehemals stolzen Weltmacht, der nicht zuletzt innenpolitisch - im Bewußtsein jedes einzelnen Bürgers - bewältigt werden muß, dürften somit bei der Orientierung Rußlands auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Rußland ist immer noch eine militärische Supermacht mit Verfügungsgewalt über ein gewaltiges Potential an Kernwaffen, das ausreichen würde, die gesamte Welt mehrere Male zu vernichten. Diese Kombination wirtschaftlicher Unterentwicklung und nuklearer Überrüstung könnte zu einem gefährlichen Problem werden, wenn Rußland politisch isoliert würde oder gar ein neuer Konflikt mit den Westmächten drohte. Die gleichberechtigte Einbeziehung Rußlands in die Weltpolitik ist somit - wie in der Ära der Entspannung nach 1969 - eine zentrale Aufgabe der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert.

Eine solche Notwendigkeit zur Zusammenarbeit besteht für die USA und die Staaten Westeuropas ebenfalls mit Blick auf Ost- und Ostmitteleuropa. Die ehemaligen Verbündeten der Sowjetunion, die in den achtziger Jahren maßgeblich zum Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums beigetragen haben, befinden sich inzwischen mehrheitlich auf dem Weg in die westlichen Institutionen. Die Aufnahme in die NATO und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union versprechen militärische Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlstand, aber auch politische Stabilität.

Risiken drohen aber nach wie vor von den wirtschaftlichen Problemen wie vom Sprengsatz der nationalen und ethnischen Gegensätze, die es nicht nur in der ehemaligen Sowjetunion, sondern in ganz Osteuropa und vor allem auf dem Balkan gibt. Der Zerfall Jugoslawiens und besonders die Kriege in Bosnien und im Kosovo haben die Gefahr deutlich gemacht, die von dieser Region für Europa und die Welt nach wie vor ausgeht. Die mögliche "Balkanisierung" Osteuropas ist ein Problem, dem nicht zuletzt die Europäische Union durch wirtschaftliche Unterstützung und die Perspektive einer politischen Integration entgegenwirken muß, um mögliche neue Unsicherheitspotentiale zu begrenzen. Neben der weiteren demokratischen Umgestaltung, marktwirtschaftlichen Reformen in Osteuropa und der Abrüstung gehört deshalb auch die Überwindung des Nationalismus zu den zentralen Aufgaben bei der Neuordnung Gesamteuropas im 21. Jahrhundert.

Die NATO und vor allem die Europäische Union dürften dabei auf dem Wege ihrer Osterweiterung eine Schlüsselrolle spielen. Aber auch andere Instrumente, wie die "Partnerschaft für den Frieden" zwischen der Atlantischen Allianz und Rußland oder die Organisation für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), können genutzt werden, um wieder eine stabile Ordnung in Europa zu errichten. In diesem Zusammenhang gilt es auch weiterhin, vor allem eine Isolierung Rußlands zu vermeiden. Sonst wäre die neue Architektur Europas von vornherein mit einer schweren Hypothek belastet. Selbst ein neuer Ost-West-Konflikt wäre dann nicht auszuschließen.