Institutionelle Grundlagen
Evangelische Landeskirchen:
Der seit 1919 gehegte, aber in der Weimarer Republik nie verwirklichte Plan zur Bildung einer evangelischen Nationalkirche wurde 1933 völlig diskreditiert, als die Nationalsozialisten die Wahlen zu einer ersten Nationalsynode nutzten, um die Landeskirchen weitgehend gleichzuschalten. Der Plan wurde danach nicht wieder aufgenommen. Stattdessen knüpfte man nach 1945 wieder an das alte landeskirchliche System an, das nunmehr durch einen Zusammenschluss auf nationaler Ebene, die "Evangelische Kirche in Deutschland" (EKD) überwölbt wurde, der in seinem Selbstverständnis bis heute nicht endgültig geklärt ist. Die EKD wird von einem Rat unter einem Ratspräsidenten (derzeit, bis Oktober 2009, Prof. Dr. Wolfgang Huber, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) im Zusammenwirken mit einer einmal jährlich tagenden Synode geleitet. Damit wurde die konfessionelle und territoriale Zersplitterung der derzeit 22 evangelischen Landeskirchen nicht überwunden.
Die staatskirchenrechtlichen Entwicklungen in der DDR hatten 1969 unter dem Druck der Verhältnisse zur Gründung des "Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR" (BEK) und somit zur faktischen Abspaltung der Kirchen auf dem Territorium der DDR von der EKD geführt. Nach der Wiedervereinigung löste sich der BEK 1991 auf, und die alten Verhältnisse wurden wiederhergestellt. Freilich hatten die Bemühungen um Entkirchlichung im real existierenden Sozialismus in der Bevölkerung der DDR tiefe Spuren hinterlassen, die immer noch nachwirken.
In neuerer Zeit sind in den evangelischen Kirchen zunehmende Anzeichen dafür zu entdecken, dass man sich auf theologischer wie auf administrativer Ebene auf Gemeinsamkeiten besinnt. Schon seit den 1960er Jahren hatte es Bemühungen gegeben, in Lehrfragen zwischen den evangelischen Kirchen lutherischer und reformierter Tradition Übereinstimmung zu erzielen (etwa in der so genannten Arnoldshainer Konferenz). Parallel dazu verpflichtete sich eine große Zahl insbesondere lutherischer und reformierter Kirchen aus ganz Europa im Jahr 1973 in Leuenberg bei Basel zur gegenseitigen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft (so genannte Leuenberger Konkordie). Daraus entstand die "Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa" mit derzeit 105 Kirchen. Die lehrmäßigen Differenzen zwischen den Kirchen der Reformation dürfen seither als weitgehend überwunden gelten.
Diese Rückbesinnung auf die reformatorischen Grundlagen bei gleichzeitiger theologischer Weiterarbeit, aber auch zunehmende finanzielle Probleme und andere Gründe haben schließlich im Jahr 2003 zur Entstehung der "Union evangelischer Kirchen" (UEK) innerhalb der EKD geführt. Ihre Grundordnung basiert auf einem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums und der Sakramente von Taufe und Abendmahl, weshalb sich die UEK - unbeschadet der fortdauernden kirchlichen Selbstständigkeit ihrer Mitglieder - als Kirche versteht und eine weitergehende Einheit der EKD anstrebt.
Ob diese gelingen wird ist derzeit noch offen, nicht zuletzt deshalb, weil die verwirrende Zahl von Zusammenschlüssen auf unterschiedlichen Ebenen eine Kirchenbürokratie hervorgebracht hat, die ein erhebliches Beharrungsvermögen aufweist. Der vom Rat der EKD im Sommer 2006 durch das Impulspapier "Kirche der Freiheit" angestoßene Reformprozess "Kirche im Aufbruch" könnte zunächst zu einer Konzentration der Zahl der Landeskirchen führen. So fordert das Impulspapier, es solle im Jahr 2030 statt derzeit 22 Landeskirchen nur noch acht bis zwölf geben, "die an den Grenzen der großen Bundesländer orientiert sind und jeweils nicht weniger als eine Million Kirchenmitglieder haben".
Katholische Kirche:
Auf katholischer Seite steht der Fülle der evangelischen Kirchen ein weitgehend zentralistisches System gegenüber: Die 27 deutschen Bistümer sind in sieben Kirchenprovinzen gegliedert mit den Erzdiözesen Bamberg, Berlin, Freiburg, Hamburg, Köln, München und Freising sowie Paderborn. Ihre Struktur ist durch den weltweit gültigen Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983 geordnet.
Die Katholische Kirche in Deutschland
Die Katholische Kirche in Deutschland
Als nationales Gremium fungiert die Deutsche Bischofskonferenz, die laut Statut "zum Studium und zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zu gegenseitiger Beratung, zur notwendigen Koordinierung der kirchlichen Arbeit und zum gemeinsamen Erlass von Entscheidungen sowie zur Pflege der Verbindung zu anderen Bischofskonferenzen" dient. Sie wird durch einen Vorsitzenden (derzeit Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Freiburg) geleitet.
Da die ostdeutschen Bischöfe nach dem Mauerbau nicht mehr an der Bischofskonferenz teilnehmen konnten, gab es in der DDR zeitweise eine separate "Berliner Ordinarienkonferenz" (seit 1976 "Berliner Bischofskonferenz"). 1990 vereinigten sich beide Gremien wieder.
Die Spannungen zwischen nationalkirchlichen und ultramontanen (das heißt nach Rom ausgerichteten) Tendenzen innerhalb des deutschen Katholizismus, die vor allem im 19. Jahrhundert die Beziehungen zu den deutschen Staaten erheblich belasteten, sind zwar nicht völlig verschwunden, aber doch deutlich abgeklungen. Gleichwohl muss man sich klar machen, dass die katholische Kirche seit jeher in viel stärkerem Maße global denkt als der Protestantismus und insofern die Lage im deutschen Katholizismus oft durch Entwicklungen beeinflusst wird, die außerhalb der Landesgrenze ihren Ursprung haben. So wächst der Katholizismus in anderen Weltteilen, während er in Europa zurückgeht. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf die Politik der Kurie bleiben. Die Diskussionen über die Möglichkeit der Wahl eines afrikanischen Papstes beim letzten Konklave sind hierfür ein Beispiel.
Auch das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) reagierte auf globale Entwicklungen. Seine Einsichten und Ergebnisse hatten Auswirkungen auf die gesamte katholische Christenheit und sorgen seither auch unter den Katholiken Deutschlands für Diskussionsstoff. In den Beschlüssen dieses Konzils wurde eine deutliche, so bisher nicht dagewesene Öffnung der katholischen Kirche zur Welt und zu den Chancen und Herausforderungen der modernen Zeit vollzogen.
Für das Gros der Katholikinnen und Katholiken machte sich dies unter anderem durch die Liturgiereform bemerkbar. In deren Folge wurde die lateinische (tridentinische) Messe weitgehend abgeschafft und die jeweilige Landessprache im Gottesdienst eingeführt. Die Reform brachte eine Abkehr vom Hochaltar und die Einführung des frei stehenden "Volksaltars" mit sich, an dem der Priester nunmehr die Messe zu den Gottesdienstbesuchern hingewandt zelebriert, wodurch der Gemeinschaftscharakter stärker hervortreten soll.
Außerdem wurde die Mitsprache von Laien gestärkt. Sie konnten nun in den neu eingerichteten (beratenden) Pfarrgemeinderäten und verstärkt auf anderen Ebenen der Kirchenadministration mitwirken; dadurch wuchs auch der Einfluss des "Zentralkomitees der deutschen Katholiken" (ZdK), das den repräsentativen Zusammenschluss der in der katholischen Kirche in Deutschland aktiven Laien darstellt (derzeitiger Präsident Prof. Dr. Hans Joachim Meyer).
Darüber hinaus entspannte sich das Verhältnis zu den anderen Konfessionen und Religionen, vor allem zum Judentum, zunächst merklich.
Diese Aufbruchstimmung wurde indessen noch während der Amtszeit Papst Pauls VI. (1963-1978) durch weithin als konservativ empfundene Maßnahmen gedämpft, ein Trend, der sich unter Pauls Nachfolgern Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (seit 2005) noch verstärkte.
Hierzu zählten unter anderem offizielle Verlautbarungen wie die Enzyklika Humanae Vitae (1968) Pauls VI., in der die Empfängnisverhütung durch Kontrazeptiva ("Pille") und jede Form von Abtreibung abgelehnt wurden, eine Lehre, die auch Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Evangelium Vitae (1995) bekräftigte.
Ebenso führte und führt die Besetzung von Bischofsstühlen mit konservativen Kirchenführern - wie etwa in Köln im Jahre 1988 - zu erheblichen Auseinandersetzungen in den betroffenen Diözesen.
Schließlich hat die weitgehende Wiederzulassung der lateinischen Messe nach dem Messbuch von 1962 durch Benedikt XVI. im Jahre 2007 für erhebliche Unruhe unter deutschen Katholiken gesorgt. Die damit einhergehende Wiederzulassung der Karfreitagsliturgie mit der problematischen Fürbitte für die Juden (die mittlerweile überarbeitet wurde) hat zudem das Verhältnis zum Judentum getrübt.
Dieses Verhältnis wurde Anfang 2009 einer erneuten Belastungsprobe unterzogen, als Benedikt XVI. die auch in Deutschland vertretene Priesterbruderschaft St. Pius X., deren Bischöfe, angeführt von Erzbischof Marcel Lefebvre, 1988 exkommuniziert worden waren, wieder in die Sakramentsgemeinschaft aufnahm, während gleichzeitig führende Vertreter der Bruderschaft offen antisemitische Ansichten vertraten. Dabei kam es unter anderem zu einer öffentlichen Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Benedikt zu einer Klarstellung aufforderte, dass eine Leugnung des Holocaust nicht geduldet werde.
QuellentextHolpriger Weg - die Verbesserung des katholisch-jüdischen Verhältnisses
Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Holocaust leitete die Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil [...] ab 1962 grundlegende Reformen ein, die das christlich-jüdische Verhältnis neu definierten [...]. Innerhalb dieses Konzils wurde im Oktober 1965 auch die Erklärung "Nostra Aetate" ("In unserer Zeit") verabschiedet, die das Verhältnis der Kirche zu den nicht christlichen Religionen in einer "fast totalen Kehrtwendung" - so umschrieb es später Kardinal Karl Lehmann - neu fasste. So sprach die Erklärung die Juden vom Vorwurf des Jesusmordes frei, insofern als es hieß, "obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen". Dieser Vorwurf - für Jesu Tod verantwortlich zu sein - war oft der Grund und die Rechtfertigung für jahrhundertelange, auch durch die Kirche induzierte Judenverfolgung, Inquisition und Pogrome gewesen. Auch dürfe "man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern". Schließlich heißt es: "Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben." [...]
Mit der Erklärung "Nostra Aetate", die die Juden vom Vorwurf des Christusmordes freisprach, begann eine Zeit deutlich größerer Toleranz und Akzeptanz gegenüber den Juden. Die Kirche änderte Liturgie und Lehre und bemühte sich, dem Antisemitismus auch in den eigenen Reihen ein Ende zu bereiten.
[...] Im Februar 2008 veröffentlichte der Papst eine Fürbitte für die Juden in der wieder aufgewerteten tridentinischen Karfreitagsliturgie. Darin wird ausgedrückt, dass Juden nur durch Jesus Christus zum Heil gelangen könnten. Dies führte zu Irritationen im christlich-jüdischen Dialog, [...].
Mittlerweile [...] haben sich Kirchenvertreter und Rabbiner erfolgreich um einen neuen Schulterschluss bemüht, einschließlich eines klaren Bekenntnisses zur "Nostra Aetate" als eine "abgrundtiefe Ablehnung des Antisemitismus, ganz gleich, wie er daherkommt, und ein dezidiertes Ja zu den jüdischen Wurzeln des Christentums [...]", so P. Norbert Hofmann, der Sekretär der Kommission für die Beziehungen zum Judentum am päpstlichen Einheitsrat, Mitte Februar in einem "Radio Vatikan"-Interview. Auch Papst Benedikt XVI. fand deutliche Worte, indem er bei einem Treffen mit jüdischen Spitzenvertretern die Leugnung des Holocausts als untragbar und inakzeptabel bezeichnete [...]. Für das Verhältnis der Kirche zum Judentum bleibt die Erklärung "Nostra Aetate" nicht nur ein Meilenstein auf dem Weg zur Versöhnung - sondern auch Wegmarke für den weiteren Weg in die Zukunft.
Katja Behling, "Das Bekenntnis zu ,Nostra Aetate`", in: aufbau. Das jüdische Monatsmagazin, 75. Jg., Nr. 4, April 2009, S. 16ff.
Im ökumenischen Dialog mit dem Luthertum hatte es im Jahre 1999 - trotz erheblicher Proteste vor allem von Seiten evangelischer Theologieprofessoren - durch die Unterzeichnung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung" zwischen Lutherischem Weltbund und katholischer Kirche einen wichtigen Schritt zur Überwindung der seit der Reformation strittigen dogmatischen Fragen gegeben. Seither sind aber die offiziellen ökumenischen Kontakte zwischen den Protestanten und Rom deutlich abgekühlt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die katholische Seite auf ihrer Auffassung beharrt, die Kirchen der Reformation könnten nicht "Kirchen" genannt werden, da sie "die apostolische Sukzession im Weihesakrament" nicht besäßen und ihnen deshalb "ein wesentliches konstitutives Element des Kircheseins" fehle (so in dem Schreiben der Glaubenskongregation "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche" vom 29. Juni 2007). Die Lehre von der apostolischen Sukzession in ihrer römischen Form, das heißt unter Anerkennung der Vorrangstellung des Papstes als Nachfolger des Apostels Simon Petrus, aufgrund derer der Papst die höchste Lehrautorität in dogmatischen Fragen beansprucht, ist den Protestanten schlechterdings unannehmbar.
Diese Vorbehalte aus Rom konnten auf nationaler Ebene durch die guten Kontakte zwischen EKD und Bischofskonferenz teilweise abgemildert werden, belasten aber die ökumenischen Beziehungen bis hinunter auf Gemeindeebene schwer.
Sonstige Kirchen:
Die nicht landeskirchlich organisierten Gemeinschaften fasst man häufig unter dem (irreführenden) Begriff der "Freikirchen" zusammen. Zu ihnen zählen diejenigen Kirchen, die direkt oder indirekt aus dem so genannten linken Flügel der Reformation hervorgegangen sind, indem sie über die ethischen und kirchlichen Forderungen der Lutheraner und Calvinisten hinausgingen (zum Beispiel Mennoniten, Baptisten), ferner die Abspaltungen von Rom wie die Alt-Katholische Kirche oder von den Landeskirchen wie die Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche und schließlich die Pfingstkirchen.
Die im Einzelnen sehr unterschiedlichen Freikirchen sind oft durch eine Haltung gekennzeichnet, die die Bibel im Wortsinn als unbezweifelbar ansieht und der historisch-kritischen Bibelforschung, wie sie an theologischen Fakultäten betrieben wird, distanziert gegenübersteht. Einige Kirchen wie etwa die Mennoniten sind einem strengen Pazifismus verpflichtet und lehnen zum Beispiel den Dienst an der Waffe ab; viele praktizieren eine Erwachsenentaufe. In Gruppen wie den Pfingstkirchen wird eine ausgeprägte Jesusfrömmigkeit gepflegt, die charismatische Züge trägt. So kann sich etwa in der öffentlichen Gebetsansprache eines Gemeindemitglieds die Gegenwart des Heiligen Geistes offenbaren (Zungenreden). Einige Gruppierungen lehnen die Evolutionslehre zugunsten des biblischen Schöpfungsberichts ab und pflegen ein konservatives Ehe- und Familienbild (Enthaltsamkeit vor der Ehe; Ablehnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften). Es gibt dabei zahlreiche Überschneidungen zu evangelikalen Gruppierungen innerhalb der Landeskirchen wie etwa dem Liebenzeller Gemeinschaftsverband. Die evangelikalen Christen sind im Verband der Deutschen Evangelischen Allianz organisiert.
Insgesamt spielen die Freikirchen in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Dies ist insbesondere für die aus den USA stammenden Pfingstkirchen bemerkenswert, die sich in anderen Regionen wie Lateinamerika, aber auch in Teilen Asiens und Afrikas derzeit teilweise explosionsartig entwickeln.
Rechtliche Rahmenbedingungen:
Dass dies in Deutschland anders ist, dürfte auch mit der geordneten Beziehung von Staat und Kirche zu tun haben, von der beide Seiten profitieren. Dieses Verhältnis wurde und wird durch das Staatskirchenrecht geregelt. Dazu zählen zum einen das Grundgesetz und zum anderen die Staatskirchenverträge.
Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte das Grundgesetz unmittelbar an die Weimarer Verfassung an. Es garantiert in Art. 4 die Glaubens- und Gewissensfreiheit und eine ungestörte Religionsausübung. Dementsprechend darf niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt, aber auch nicht bevorzugt werden (Art. 3 [1]; Art. 33 [3]). Die bereits erwähnten Bestimmungen der Art. 136-139 und 141 der Weimarer Verfassung wurden wörtlich in Art. 140 des Grundgesetzes übernommen. Art. 7 bestimmt den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen und räumt den Eltern das Recht ein, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Der Unterricht ist "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" zu erteilen. Art. 7 [4] ermöglicht auch die Einrichtung von kirchlichen Schulen, freilich unter der Aufsicht des Staates.
Daneben gibt es für jedes einzelne Bundesland Verträge zwischen dem Staat und den Kirchen, die meist den Bestand der theologischen Fakultäten und die Religionslehrerausbildung an staatlichen Schulen regeln.
Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen
Charakteristische Unterschiede zwischen Katholizismus und Protestantismus
Charakteristische Unterschiede zwischen Katholizismus und Protestantismus
Entkirchlichung:
Während die rechtlichen Rahmenbedingungen derzeit (noch) relativ stabil sind, hat sich in den Kirchen in den letzten Jahrzehnten fast unbemerkt ein erheblicher Wandel vollzogen.
So sind die Kirchen durch den kontinuierlichen Mitgliederschwund in den letzten Jahrzehnten weiter geschwächt worden. Dieser Prozess der Entkirchlichung, dessen Wurzeln weit zurückreichen (siehe S. 6 f.), wurde durch die Wiedervereinigung erheblich beschleunigt. So gibt es ein massives Gefälle in der Kirchenzugehörigkeit zwischen West- und Ostdeutschland. Abgesehen von diesen regionalen Unterschieden ist die traditionelle Kirchlichkeit in ländlichen Gegenden stabiler als in den sich schneller wandelnden urbanen Ballungszentren. Schließlich gibt es ein Altersgefälle: Die kirchliche Bindung ist bei älteren Menschen deutlich höher als bei Jugendlichen.
Doch auch abgesehen von dem formalen Merkmal der Kirchenzugehörigkeit vollzieht sich innerhalb der Kirchen ein massiver Wandel. So zeigen religionssoziologische Untersuchungen, dass die Zugehörigkeit zu einer Kirche keineswegs mit einer entsprechenden Glaubenspraxis konform geht. Der Religionsmonitor 2008 der Bertelsmann-Stiftung etwa hat ermittelt, dass nur 18 bzw. 32 Prozent der Bevölkerung in den alten Bundesländern ihren Glauben öffentlich bzw. privat in hohem Maße praktizieren. In den neuen Bundesländern pflegt sogar nur jeder Zehnte ein intensives religiöses Leben.
Dem entspricht der in den letzten Jahrzehnten stetig gesunkene Gottesdienstbesuch. Er liegt in der katholischen Kirche derzeit bei 13,7 Prozent. Bei den Protestanten ist die Kirchenbindung noch schwächer ausgeprägt: Hier nehmen nur noch 3,7 Prozent der Kirchenmitglieder an einem durchschnittlichen Sonntagsgottesdienst teil. (Das sind Sonntag für Sonntag in beiden Großkirchen allerdings immer noch 4,5 Millionen Menschen.)
Die abnehmende Kirchenbindung zeigt sich auch bei der Frage nach der Häufigkeit des Kirchenbesuchs: 61 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger nehmen nie oder selten am Gottesdienst teil.
Erkennbar wird dies schließlich an der schwindenden Bedeutung der großen Laientreffen in den beiden Kirchen, dem Deutschen Evangelischen Kirchentag und dem Katholikentag (jeweils alle zwei Jahre im Wechsel). Die hohen Teilnehmerzahlen der 1980er Jahre (noch ohne Besucher aus der ehemaligen DDR, wo es notgedrungen eigene Versammlungen gab) wurden in den letzten Jahren nicht mehr erreicht.
Neue religiöse Alternativen:
Die Gründe hierfür sind vielfältig und können hier nur angedeutet werden:
Neuere religionssoziologische Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Frömmigkeits- und Glaubenspraxis der Deutschen stark individualisiert hat. Dementsprechend sind die Erwartungen an die Kirchen außerordentlich verschiedenartig. Die Fachwelt spricht mittlerweile - unter Übernahme von Erkenntnissen aus der sozialwissenschaftlichen Forschung - von unterschiedlichen, meist sechs bis zehn religiösen Milieus oder Lebensstiltypen, die unter anderem vom Alter, Geschlecht, dem Bildungsstand, dem Freizeitverhalten, der Wert- und Normorientierung sowie weiteren Parametern abhängen.
Das Gefälle in der Kirchenzugehörigkeit zwischen alten und neuen Bundesländern ist eine Folge der systematischen Agitation des SED-Regimes gegen jede Form von Religion, die sich als erstaunlich effektiv erwiesen hat.
Religiöse Alternativangebote haben erheblich an Anziehungskraft gewonnen:
Eingangs wurde auf die Attraktivität von alternativen Heilslehren hingewiesen. Ihr Einfluss auf die Religiosität der Deutschen ist zwar schwer zu belegen, doch deutet allein die hohe Zahl der Buchtitel aus diesem Bereich auf ein stark gestiegenes Bedürfnis hin, sich in den Fragen, in denen man sich von den Kirchen allein gelassen fühlt, anderswo Rat zu suchen. Dies hat dazu geführt, dass Religion nicht mehr auf bestimmte heilige Zeiten (Sonntag) und heilige Räume (Kirchen) beschränkt ist. Man stößt auf sie auch auf dem Bücherwühltisch des nächstgelegenen Supermarkts. Religion ist zur allseits verfügbaren Sinndeutungsware geworden, mit der die traditionellen Kirchen nur schwer konkurrieren können oder wollen.
Die religiöse Situation in Deutschland wurde nicht zuletzt auch dadurch komplexer, dass die Zahl der Muslime in Deutschland angewachsen ist und diese nun mit Recht auf verstärkte Teilhabe am deutschen Politik-, Kultur- und Wirtschaftsleben drängen. Erste Anzeichen hierfür sind bereits erkennbar. Voraussetzung ist allerdings eine bessere Organisation und Repräsentanz der verschiedenen islamischen Gruppierungen, damit sie gegenüber dem Staat als Ansprechpartner zur Regelung von Fragen wie der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts identifizierbar werden. Dieser Prozess der Selbstorganisation ist derzeit in vollem Gange.
Ebenso ist das Judentum, das durch die Shoah (Holocaust) in Deutschland fast vollständig ausgelöscht war, wieder verstärkt sichtbar. Seinen institutionellen Repräsentanten, wie der Präsidentin des Zentralrats der Juden (derzeit Charlotte Knobloch), wird aus historischen Gründen eine - gemessen an der Zahl der Angehörigen dieser Religion in Deutschland - überproportionale Aufmerksamkeit im öffentlichen Leben entgegengebracht. Neuerdings wird es darüber hinaus durch den vermehrten Bau von Synagogen vor allem auch in den Großstädten erneut sichtbar. Jüdische Spiritualität und Bildung, die großen Leistungen von deutschen Jüdinnen und Juden haben seit jeher auf viele nicht-jüdische Deutsche eine erhebliche Faszination ausgeübt.
Alle diese Entwicklungen haben zur Folge, dass den Kirchen eine massive religiöse Konkurrenz entstanden ist, mit der umzugehen sie sich mitunter schwer tun. Eine Zeitlang glaubten sie, von dem Trend zur wachsenden Präsenz des Religiösen im öffentlichen Raum profitieren zu können. Vor allem im Gefolge der letzten Papstwahl und des katholischen Weltjugendtages in Köln im Jahr 2005 sprachen auch evangelische Kirchenführer von einer "Wiederkehr der Religion" oder - noch unschärfer - "des Religiösen", die auch den Kirchen zugute kommen werde. Selbst die alternative "tageszeitung" (TAZ) titelte am 19. August 2005 in ironischer Begeisterung: "Wenn Gott das noch erlebt hätte" und fragte in der Unterzeile: "Ist der Wohlstands- und Gleichgültigkeits-Atheismus in Deutschland bedroht?".
Mittlerweile ist die Euphorie der Erkenntnis gewichen, dass die Kirchen als Institutionen von dieser Renaissance kaum profitieren können. Denn dieses "neue" Interesse an der Religion kümmert sich wenig um organisierte Formen von Frömmigkeit und die gedankliche Durchdringung von Glaubensinhalten, sondern ist überwiegend individualistisch und unintellektuell ausgerichtet. Man könnte von einer diffundierenden Religiosität sprechen, die in der Forschung gerne als "Patchwork-Religion" bezeichnet wird. In welchem Maße sie gesellschaftlich und politisch wirksam wird, ist außerordentlich schwer zu sagen und auch noch nicht hinreichend erforscht.
Die Veränderungen lassen sich an der neuen Konjunktur des Begriffs Religion und der damit verbundenen Disziplin der Religionswissenschaft ablesen. Während bis in die 1980er Jahre hinein "Religion" in der öffentlichen Diskussion eher ein Randdasein führte, ist er mittlerweile zum Leitbegriff in der Beschreibung der Begegnung des Menschen mit dem Göttlichen avanciert.
Dementsprechend hat die Disziplin der Religionswissenschaft an den Universitäten eine neue Konjunktur. Ursprünglich eine Unterdisziplin der (evangelischen) Theologie hat sie sich von dieser nahezu allerorten auch institutionell emanzipiert und wird kaum noch an den theologischen Fakultäten, sondern überwiegend an den philosophischen, kultur- oder gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten oder Fachbereichen betrieben.
Veränderte öffentliche Wahrnehmung:
Die Veränderung der Religiosität hin zur "Patchwork-Religion" hat nun auch eine deutliche Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung der Kirchen zur Folge. Es besteht seit jeher eine Spannung zwischen der Beteiligung der Kirchen an öffentlichen Gremien und Entscheidungsprozessen wie etwa innerhalb der Rundfunk- und Fernsehräte (siehe S. 16) - analog zu anderen Verbänden und Interessengruppen - und ihrer öffentlichen Wahrnehmung als Wegweiser in ethischen Fragen. Diese Spannung löst sich zunehmend zu Ersterem hin auf. Doch verliert die Kirche damit ein zentrales Alleinstellungsmerkmal: Im Konzert der Interessen wird sie als ein "Verein" neben anderen gesehen und dementsprechend wie andere Lobbyisten behandelt. Dies wird besonders deutlich an der mangelnden Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Kommunions- und Konfirmandenunterrichts sowie auf die sonntäglichen Gottesdienstzeiten: Es fällt den Kirchen immer schwerer, den hierfür notwendigen Freiraum gegenüber Schulen, Sportvereinen und Musikunterricht zu behaupten. Dies gelingt vor allem dort, wo der lokale Geistliche als Begleiter in Übergangs-, Grenz- und Krisensituationen von Menschen, aber auch als Stimme innerhalb des öffentlichen Lebens einer Stadt oder Gemeinde Ansehen genießt. Dem Beruf des Pfarrers bringt die Bevölkerung unverändert großen Respekt entgegen: Einer Umfrage des Allensbach-Instituts von 2008 zufolge belegen Geistliche unverändert Platz 2 der Berufe, die eine hohe gesellschaftliche Anerkennung genießen (allerdings mit deutlichem Abstand hinter den Ärzten und nur knapp vor den Hochschulprofessoren).
Die Kirchen als Institutionen können hingegen fast nur noch in Ausnahmefällen, vor allem in Krisenzeiten, moralische Autorität beanspruchen. In einer neuen Forsa-Umfrage für den "Stern" vom 5. Februar 2009 steht die katholische Kirche unter den Institutionen, denen die Deutschen "großes Vertrauen" entgegenbringen, nur auf Platz 13, während die evangelische Kirche hier überhaupt nicht erscheint.
Dessen ungeachtet versuchen die Kirchen weiterhin, durch öffentliche Stellungnahmen soziale und ökonomische Probleme anzusprechen, jedoch mit schwindender Akzeptanz: Während die EKD durch ihre Denkschriften und die Bischofskonferenz mit ihren Hirtenschreiben und Erklärungen früher gesellschaftliche Debatten anregen oder die Diskussion in schwierigen ethischen Fragen maßgeblich beeinflussen konnten, werden diese Texte, die ein konzentriertes und geduldiges Lesen und Mitdenken erfordern, heute allenfalls in den überregionalen Tages- und Wochenzeitungen noch ausführlicher gewürdigt.
Es gibt somit eine Diskrepanz zwischen der personalen Präsenz der Kirchen vor Ort durch den Pfarrer und der Wahrnehmung von Kirchenführern als Repräsentanten der Institution Kirche. Gerade bei jüngeren Menschen genießen die Kirchen wenig Ansehen: So ermittelte die Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2006, dass fast die Hälfte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von zwölf bis 25 Jahren wenig Vertrauen zu den Kirchen hatte. 65 Prozent der Deutschen dieses Alters meinten gar, die Kirche habe keine Antworten auf die Fragen, die sie wirklich bewegen. Dem entsprach die Erkenntnis, dass etwa die Hälfte der jungen Deutschen dem Glauben an Gott wenig oder keine Wichtigkeit beimaß.
Immer seltener traut man den Kirchen also die Kompetenz zur ethischen Wegweisung zu. Immer häufiger hingegen werden sie samt ihren Repräsentanten als Kuriositäten eingepasst in die mediale Vermarktungsmaschinerie. So erschien Papst Benedikt XVI. im April 2007 auf dem Cover des Gesellschaftsmagazins "Vanity Fair" mit der Schlagzeile "Ein Popstar wird 80", und das Männermagazin "Esquire" wählte ihn wenig später seiner roten Schuhe wegen gar zum "Accessorizer of the Year", was den "Osservatore Romano" zu der Feststellung veranlasste: "Der Papst trägt nicht Prada, sondern Christus."
Doch wäre es zu kurz gegriffen, würde man die Kirchen zum Auslaufmodell oder zur musealen Antiquität erklären. Solche Prognosen hat die Religionskritik seit der Aufklärung immer wieder abgegeben, und immer wieder haben sich die Kirchen in ihrer Geschichte institutionell als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen.
In der aktuellen Lage reagieren sie durch Ausweitung ihrer gesellschaftlichen Aktivitäten und ihres geistlichen Angebots. So gibt es politische, intellektuelle, kulturelle, soziale und - was oft übersehen wird - ökonomische Verflechtungen zwischen Kirche und Staat bzw. Gesellschaft, die es unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Kirchen so bald verschwinden werden. Diese Verflechtungen sollen im Folgenden knapp umrissen werden.
Innergesellschaftliche Aktionsfelder
Staat und Politik:
Nach wie vor übt das Christentum einen erheblichen Einfluss auf Staat und Politik aus.
Im Staat selbst bildet sich in vielfältiger Weise ab, dass Religionen Bestandteil des Gemeinwesens sind. Hier wäre der große Bereich der "Zivilreligion" zu betrachten, also staatliche Zeichen und Handlungen, die sich aus Religionen ableiten lassen. In Deutschland zählen dazu Phänomene wie der Bezug auf Gott in der Präambel des Grundgesetzes, die freiwillige Eidesformel "so wahr mir Gott helfe" bei der Vereidigung von Ministern und Rekruten der Bundeswehr, das musikalische Gebet beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr, die Kreuze in bayerischen Klassenzimmern sowie die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten vor einem geschmücktem Tannenbaum. Im weiteren Sinne gehört zur Zivilreligion auch die Militärseelsorge zur geistlichen Betreuung der Angehörigen der Bundeswehr.
Darüber hinaus gibt es seit dem Kaiserreich Parteien, die sich in ihrem Selbstverständnis ausdrücklich auf Religion beziehen. So legen die CDU und die CSU, die Nachfolger der katholischen Zentrumspartei, ihren Parteiprogrammen ausdrücklich die aus "dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott" (CDU) bzw. dem "christlichen Menschenbild" (CSU) abgeleiteten Werte zugrunde.
Schließlich haben die meisten deutschen Politikerinnen und Politiker als Individuen eine Erziehung durchlaufen, die sie in der einen oder anderen Weise mit der Kirche in Berührung gebracht hat. Insofern das Christentum Teil ihrer je eigenen Bildungsgeschichte ist, kann man von einer (mehr oder minder ausgeprägten) Religiosität von Politikerinnen und Politikern sprechen. Unter den Bundestagsabgeordneten der derzeitigen Legislaturperiode hat sogar eine erstaunlich hohe Anzahl Theologie studiert (katholisch: vier; evangelisch: elf). In der Rangfolge der im Bundestag vertretenen Berufsgruppen liegen die Geistlichen mit zwölf Vertretern auf Platz 9. Dementsprechend ist mit unterschiedlichen Graden von Beeinflussung politischen Handelns durch Maßstäbe, Parameter oder Interessen zu rechnen, die direkt oder indirekt vom Christentum ableitbar sind und sich aus den Biographien der einzelnen Politikerinnen und Politiker ergeben. Die Religiosität von Politikern ist indessen in Deutschland noch ungenügend erforscht. Erst in neuester Zeit schenkt die Politikwissenschaft diesem Aspekt politischen Handelns größere Aufmerksamkeit. Es gibt allerdings Anzeichen dafür, dass die religiöse Individualisierung auch in den politischen Biographien ihren Niederschlag gefunden hat, dass der Einfluss der Kirchenbindung zurückgegangen ist und weiter zurückgeht.
Natürlich versuchen die Kirchen, den noch vorhandenen Einfluss zu sichern und zu mehren. Dies geschieht in Staat und Politik auf vielen Ebenen, durch öffentliche Stellungnahmen und Verlautbarungen ebenso wie durch stille Einflussnahme, etwa durch den "Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union" (derzeit: Prälat Dr. Bernhard Felmberg) oder durch den Leiter des "Katholischen Büros in Berlin" (derzeit: Prälat Karl Jüsten), die kirchlichen Lobbyisten im Bundestag.
Wirtschaft:
Auch im Bereich der Ökonomie ist der Einfluss des Christentums erheblich.
Die Religiosität von Unternehmern beeinflusst ebenso wie die von Arbeitnehmern das wirtschaftliche Handeln und hat in der Vergangenheit zu weitreichenden Thesen geführt. So sah Max Weber einen Zusammenhang zwischen der calvinistischen Ethik und dem "Geist" des Kapitalismus. Zwar sind die großen Vereinigungen und Verbände der Arbeitgeber auf der einen und die klassischen Gewerkschaften auf der anderen Seite nicht religiös geprägt. Gleichwohl gibt es in Deutschland sowohl christliche Unternehmerzirkel als auch christliche Arbeitnehmerbewegungen, Vereine und Gewerkschaften.
Daneben machen die Kirchen besondere pastorale, soziale und pädagogische Angebote im Bereich der Arbeitswelt, etwa durch den "Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt" oder das "Kolpingwerk Deutschland". Ersterer setzt sich für humane und sozial gerechte Bedingungen in der Arbeitswelt ein und begleitet und unterstützt Menschen etwa durch Informations- und Fortbildungsangebote in ihrer christlichen Existenz innerhalb ihres beruflichen Umfelds. Das Kolpingwerk ist aus einem Verein für Handwerksgesellen hervorgegangen und sieht heute als wesentliche Aufgaben unter anderem die Jugendsozialarbeit und die Arbeit mit Familien.
Die Kirchen versuchen auch durch bestimmte Aktionen, aus christlichen Grundsätzen abgeleiteten ethischen Maximen öffentliche Geltung zu verschaffen. So waren kirchliche Gruppen in der Vergangenheit maßgeblich an einem Wirtschaftsboykott gegen Südafrika zur Abschaffung der Apartheid beteiligt ("Kauft keine Früchte aus Südafrika", seit 1977) und engagieren sich heute in vielfältiger Weise im Kampf gegen eine Globalisierung auf dem Rücken der Armen, etwa durch die Einrichtung oder Unterstützung von "Eine-Welt-Läden" und durch die Beteiligung an der Fairtrade-Bewegung.
Schließlich sind die Kirchen selbst in vielfältiger Weise unternehmerisch tätig. Im Bereich des so genannten Dritten (oder: Non-Profit-) Sektors, also dem weder gewinnorientierten noch staatlichen Teil der Wirtschaft, sind sie durch ihre diakonischen und karitativen Unternehmungen die größten Arbeitgeber, indem sie beispielsweise Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäuser und Behinderteneinrichtungen betreiben.
Das Diakonische Werk der EKD, der Dachverband der Diakonischen Werke der 22 Landeskirchen der EKD und weiterer Institutionen umfasst fast 27 500 selbstständige Einrichtungen unterschiedlicher Größe und Rechtsform mit über einer Million Betreuungsplätzen. Darin sind mehr als 435 000 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voll- oder teilbeschäftigt.
Im Deutschen Caritasverband e.V., dem Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche, sieht es ähnlich aus: Es gibt mehr als 25 000 Caritas-Einrichtungen, die sich der Gesundheits-, Jugend-, Familien-, Alten- und Behindertenhilfe widmen sowie Hilfen in sozialen Notlagen leisten oder der Aus- und Fortbildung dienen. Hier sind insgesamt rund 520 000 Menschen hauptberuflich tätig.
Das heißt, dass in Deutschland mehr als 950 000 Menschen im Bereich des Dritten Sektors in kirchlichen und kirchennahen Einrichtungen arbeiten.
Zur Finanzierung und zum ökonomischen Schutz dieser und anderer Unternehmungen haben sich ein umfangreiches kirchliches Bankenwesen sowie kirchliche Versicherungsunternehmen entwickelt.
Als ökonomischer Faktor nicht zu unterschätzen ist auch die Produktion von Gütern, die im weitesten Sinne mit Religion zu tun haben. Das reicht von der Herstellung religiöser Medien (Bücher, Filme, Musik) über die Architektur (Kirchenbau) bis hin zur Fabrikation von Devotionalien (Kreuzen, Amuletten).
Über Deutschland hinaus sind die Kirchen mit ihren großen Hilfswerken wie "Brot für die Welt" und "Misereor" tätig, um weltweit Not zu lindern und es unterprivilegierten und benachteiligten Menschen zu ermöglichen, am Produktionsprozess teilzunehmen und ihren Lebensunterhalt auf diese Weise nachhaltig zu sichern.
QuellentextBrot für die Welt
[...]. Die Debatte, wie politisch "Brot für die Welt" sein darf, hat die Arbeit des Hilfswerks von Anfang an begleitet. Und diesen Anfang markierte eine Zigarrenkiste. Ende der fünfziger Jahre wollten die Christen der Welt etwas von dem zurückgeben, was sie selbst nach dem Krieg so reichlich erhalten hatten: Hilfe in der Not. "Für die Hungernden" schrieb Lothar Kreyssig, Mitglied der Bekennenden Kirche und später Gründer von "Aktion Sühnezeichen", auf eine Zigarrenkiste, die er im kirchlichen Amt in Berlin aufstellte. Dort war man sich schnell einig - hier eine Initiative und da eine Aktion, das führt zu nichts. Als im April 1959 die katholische Bischofskonferenz unter dem Motto "Misereor" zu einem Fastenopfer gegen Armut, Hunger und Krankheit in der sogenannten Dritten Welt aufrief, drängte Christian Berg, damals Generalsekretär des Evangelischen Hilfswerks und Direktor der Ökumenischen Abteilung des Diakonischen Werkes, auf eine gleichgerichtete Aktion der Protestanten in der nächsten Adventszeit. Als Kampagnentitel wurden die abenteuerlichsten Namen durchdacht: "Lazarus vor Europas Tür" oder "Denn sie sollen satt werden". Eines Tages im Juli 1959 kam Berg [...] in sein Barackenbüro, rief die Mitarbeiter zusammen und fragte sie: "Was haltet ihr von Brot für die Welt?"
[...] "Brot für die Welt" - das war in den ersten Jahren wörtlich gemeint. Hungerkatastrophen im afrikanischen Biafra und in Indien machten Schlagzeilen. Akute Überlebensnot zu lindern galt als das Gebot der Stunde. Auf den Sammelbüchsen war die bekannte "Hungerhand" des Berliner Künstlers Rudi Wagner zusammen mit der Zeile "Wenn Du wieder satt geworden bist, gib 5 Pfennig für die Hungernden" abgebildet. Dieser heute seltsam fremd anmutende Satz traf das damalige Lebensgefühl der Deutschen, denen trotz Wirtschaftswunder die eigene Hungerzeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch lebhaft in Erinnerung war.
Schon bald begannen sich die Prioritäten zu ändern. "Brot für die Welt" gewährte nicht mehr nur Hungerhilfe, sondern unterstützte Projekte wie die Bananenkampagne, die von Kleinbauern angebaute Früchte aus Costa Rica nach Deutschland schaffte. Es wurden Minenräumaktionen in Angola, Behindertengruppen in Botswana, Menschenrechtsarbeit in Paraguay, Erziehungskurse für Mädchen und Frauen in indischen Slums gefördert. Aktuell existieren knapp 1 200 Projekte - jeweils zu einem Drittel in Afrika, Asien und Lateinamerika. Hinter diesen so ungleichen Initiativen verbirgt sich ein Grundgedanke: Hilfe zur Selbsthilfe. [...]
Gleichzeitig wurde die Arbeit politischer und selbstkritischer. Friedenspolitik, Menschenrechte, Frauenförderung, Neokolonialismus, strukturelle Gewalt zwischen Reich und Arm waren die neuen Stichworte in den Entwicklungsdebatten. Im Advent 1970 stand eine Kampagne erstmals unter dem Motto "Den Frieden entwickeln". Sie öffnete sich der Theologie der Befreiung und geißelte die "systematische Ungerechtigkeit in der Weltwirtschaft". 1977 rief das Hilfswerk die "Aktion e" aus - "einfacher leben - einfach überleben - Leben entdecken" - und forderte ein Umdenken im Lebensstil der reichen Nationen. Statt der bittenden "Hungerhand" zeigten die Plakate nun die Hände eines Dritte-Welt-Bauern, der gewissenhaft und sachkundig sein Feld bestellt. Dies war kein Almosenempfänger mehr, sondern der eigentliche, aktive Träger der Entwicklung.
Nach zwei Jahrzehnten zog die Zeitschrift "Diakonie" eine erste selbstkritische Bilanz des Wandels und sprach von "schmerzhaften Lernprozessen beim Abschied von den missionarisch-paternalistischen Hilfskonzepten". Der damalige Direktor Hans-Otto Hahn konstatierte: "Als Brot für die Welt begann, den direkten Zusammenhang zwischen unserem Überfluss und dem Hunger der anderen beim Namen zu nennen, war die Empörung groß."
Heute steht die Entwicklungsarbeit vor allem unter dem Eindruck des Klimawandels. "Nachhaltige Landwirtschaft" und "klimasichere Ernährung" wurden zu Kernthemen der Sammelaktionen. Immer wieder pocht "Brot für die Welt" darauf, dass nachhaltige Verbesserungen im Leben der Armen nur möglich sind, wenn sich die Strukturen in den Ländern des Südens und die Gesetze im internationalen Welthandel ändern. "Gottes Spielregeln für eine gerechte Welt" hieß die Leitidee der Spendenaktion 2007. Das Jubiläumsmotto 2008 "Es ist genug für alle da" will diese Botschaft von globaler Gerechtigkeit weiter vertiefen. [...]
Martin Gehlen, "Wie uns die Zeiten ändern", in: Der Tagesspiegel vom 29. November 2008
Bildungswesen:
Kirchen unterhalten eigene Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen und nehmen dadurch einen erheblichen Einfluss auf die Bildung und Ausbildung.
Auch hier eine Zahl: Die letzterhobene Statistik (Schuljahr 2002/03) weist für die Bundesrepublik 1164 katholische Schulen mit etwa 368 000 Schülerinnen und Schülern aus. Ihnen stehen derzeit 988 evangelische Schulen mit etwa 147 000 Schülerinnen und Schülern gegenüber. Dieses Schulangebot trifft vor allem in den neuen Bundesländern, in denen es durch den herrschenden Sozialismus zu einem starken Rückgang des Bildungsbürgertums kam, auf eine gesteigerte Nachfrage.
Dabei muss man sich allerdings bewusst bleiben, dass der Löwenanteil der Finanzierung nicht von den Kirchen, sondern vom Staat getragen wird. Der Trägeranteil der Kirchen bei den Kindergärten beträgt heute deutlich unter 20 Prozent. Dies wirft Fragen im Hinblick auf die Aufnahmeverfahren in diesen Einrichtungen auf: Ist es zulässig, dass in einen kirchlichen Kindergarten überwiegend oder bevorzugt Kinder der eigenen Konfession aufgenommen werden, wenn die Kosten ganz überwiegend von der Allgemeinheit getragen werden?
Demgegenüber haben die kirchlichen Akademien (15 evangelische, 24 katholische), die früher - ähnlich wie die Denkschriften und Hirtenbriefe - entscheidend zur Meinungsbildung beitrugen und öffentliche Debatten nicht selten vorantrieben, erheblich an Attraktivität verloren. Die deutlich zurückgegangene Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und deren gestiegener Altersdurchschnitt haben auf Seiten der Anbieter zu erheblicher Unsicherheit geführt. Zwar gibt es unverändert zahlreiche Veranstaltungen, in denen gesellschaftliche Strömungen oder Probleme thematisiert und theologisch bearbeitet und geistliche Hilfestellungen gegeben werden. Aber viele Einrichtungen reagieren auf die veränderten Rahmenbedingungen auch mit einer Tendenz zur "Entkirchlichung" und "Enttheologisierung" ihres Tagungsprogramms zugunsten von Esoterik- und Wellness-Kursen. Doch begeben sie sich damit nicht selten in einen Teufelskreis, da ihr Angebot sich nur noch graduell von dem der Volkshochschulen unterscheidet. Am Ende steht oftmals die Schließung von Einrichtungen.
Medien:
Schließlich sind die Kirchen auch in den Medien präsent. Sie üben so einen erheblichen kulturellen und intellektuellen Einfluss aus, der sich teilweise indirekt vollzieht. Diese Präsenz manifestiert sich in unterschiedlicher Weise:
Klassische Multiplikatoren religiöser Nachrichten sind die kirchlichen Nachrichtendienste, die "Katholische Nachrichtenagentur" (kna) und der "Evangelische Pressedienst" (epd). Daneben spielen die von der Evangelischen Allianz getragene Nachrichtenagentur "idea" sowie neuerdings die konservative katholische Nachrichtenagentur "kath.net" in der öffentlichen Wahrnehmung eine nicht unbedeutende Rolle.
Deutlich zurückgegangen ist hingegen in den letzten Jahren die Bedeutung einer eigenständigen kirchlichen Publizistik. So musste die evangelische Wochenzeitung "Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt" im Jahr 2000 eingestellt werden. Sie wurde in ein Monatsmagazin mit dem Namen "Chrismon" umgewandelt, das großen überregionalen Zeitungen beigelegt wird und daneben in einer erweiterten selbstständigen Ausgabe erscheint. Daneben gibt es nur noch das "Sonntagsblatt", eine evangelische Wochenzeitung für Bayern. Auf katholischer Seite gibt es die in Bonn erscheinende Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" sowie die dreimal wöchentlich erscheinende konservative "Tagespost" (Würzburg), wobei allerdings nur dem "Rheinischen Merkur" eine nennenswerte überregionale Bedeutung zukommt. An beiden Zeitungen sind die Bischofskonferenz und/oder Bistümer finanziell erheblich beteiligt.
Im Gegenzug haben die Kirchen in den letzten Jahren ihren Einfluss in den elektronischen Medien Fernsehen, Radio und Internet deutlich verstärkt. Zur Koordination dieser Aktivitäten verfügen sie über eigene Medienbeauftragte bzw. Abteilungen.
Die Kirchen sind nicht nur in den Rundfunk- und Fernsehräten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit Sitz und Stimme vertreten - über die Kirchenredaktionen wird das Programm der großen Fernsehsender auch unmittelbar mit gestaltet: zum Beispiel durch das jeden Samstagabend ausgestrahlte "Wort zum Sonntag", durch die im Fernsehen übertragenen Gottesdienste sowie durch die Sendungen "Gott und die Welt" in der ARD und "37 Grad" im ZDF.
Daneben nehmen die Kirchen durch Produktions- und Sponsoringaktivitäten auf das kulturelle und mediale Leben Einfluss. So besitzt die EKD in der EIKON eine eigene Filmproduktionsfirma, die sich "in der deutschsprachigen Medienlandschaft als Vermittlerin der christlichen Botschaft, als Stimme der Schwachen, als Fenster nach Osteuropa und in die Dritte Welt sowie als Chance für Kreative auf Freiraum in Verantwortung" versteht. Ähnlich breit ist die katholische Kirche aufgestellt: Auch sie engagiert sich über die Firmen der TELLUX-Gruppe in der Produktion und sodann in der gesamten Verwertungskette von Filmen.
Darüber hinaus sind beide Kirchen an dem Fernsehsender Bibel-TV beteiligt, zu dem mit "[tru:] young television" neuerdings auch ein Jugendsender gehört. Einzelne Landeskirchen und Diözesen leisten sich weitere Fernseh- und Radioprogramme.
Auch die Internetpräsenz der Kirchen und christlichen Gruppen wurde in letzter Zeit erheblich ausgebaut und hat zu einer unübersichtlichen Vielfalt geführt. Alle Landeskirchen und Diözesen verfügen über umfangreiche Webportale mit einem vielfältigen Angebot. Man experimentiert online mit "Kirchenfernsehen", "heavenradio", mit Internetvideoportalen, mit Andachten als podcasts und Seelsorge in chatrooms.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Einfluss der Kirchen in der deutschen Gesellschaft immer noch erheblich ist, sich aber von Formen offener Einflussnahme zunehmend auf Formen indirekter Beeinflussung verlagert. Dies ist möglicherweise als Reflex auf die abnehmende Kirchenbindung und den Vertrauensverlust gegenüber den Kirchen als Institutionen zu deuten.
Konfliktthemen:
Als Folge dieser komplexen Gemengelage im Miteinander von Kirche und Gesellschaft kommt es immer wieder auch zu teilweise heftig ausgetragenen Konflikten.
Größter Problempunkt ist für die Kirchen derzeit die Aufrechterhaltung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Obwohl er in GG Art. 7 Abs. 3 garantiert ist, gelten (neben dem Sonderfall Bremen) für die Bundesländer Brandenburg und Berlin rechtliche Ausnahmeregelungen. Sie rühren nicht zuletzt daher, dass in den neuen Bundesländern Religion zu DDR-Zeiten kein ordentliches Lehrfach gewesen war und durch die Wiedervereinigung hier Regelungsbedarf entstand. In Berlin scheiterte am 26. April 2009 ein Volksentscheid des Vereins "Pro Reli" e.V., der darauf abzielte, älteren Schülern die Entscheidungsfreiheit zwischen den Wahlpflichtfächern Religion und Ethik zu ermöglichen. Die Auseinandersetzungen werden auch dadurch verschärft, dass nach neuesten Umfragen eine Mehrzahl der Deutschen dafür ist, dass ein Werte- und Ethikunterricht an Schulen Pflichtfach wird.
Demgegenüber spielen andere Konflikte im Augenblick eine eher untergeordnete Rolle. Erinnert sei etwa an das "Kruzifix-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995, das die Anbringung von Kreuzen in bekenntnisfreien Schulen als Verstoß gegen GG Art. 4 Abs. 1 wertete.
In Zeiten finanzieller Engpässe steht auch die Frage der Existenz theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten und deren Größe wiederkehrend auf der Tagesordnung und muss durch komplexe Verhandlungen zwischen den Ländern und den Kirchen geregelt werden.
Ein Dauerthema der öffentlichen Diskussion sind die Versuche, die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen durchzusetzen, die aber bisher stets am Widerstand des Bundesverfassungsgerichts gescheitert sind.
Neuestens gibt es Kontroversen um das Verhältnis von zivilrechtlicher und kirchlicher Eheschließung infolge der Novellierung des Personenstandsgesetzes, die zu Anfang des Jahres 2009 in Kraft getreten ist. Danach ist es nunmehr erlaubt, ohne vorherige standesamtliche Trauung kirchlich zu heiraten, womit die Vorordnung der Zivil- vor die kirchliche Ehe, wie sie seit Einführung der Zivilehe im Jahre 1875 bestanden hatte, abgeschafft wurde. Dies wird von Staatskirchenrechtlern, aber auch von jüdischen Gelehrten teilweise abgelehnt, da sie das einheitliche, staatliche und religiöse Ordnungen übergreifende Eheverständnis akut bedroht sehen. Auch wird davor gewarnt, dass sich die rechtliche Situation der nur kirchlich verheirateten Paare im Todesfall eines der Partner oder bei Trennung durch den Wegfall der zivilrechtlichen Trauung verschlechtert.
Erstaunlicherweise kein zentraler Diskussionspunkt ist derzeit in der öffentlichen Debatte die Kirchensteuer, obwohl sie von explizit freigeistigen und atheistischen Kirchengegnern wie etwa den Mitgliedern und Unterstützern der "Humanistischen Union", des "Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten e.V.", oder des "Humanistischen Verbandes Deutschland" (HVD) unverändert als das deutlichste Zeichen einer fortdauernden Verflechtung von Staat und Kirche bekämpft wird. Von einer ähnlich säkularen Weltsicht inspiriert ist der jüngste Versuch der "Giordano Bruno Stiftung", über eine Petition an Bundesrat und Bundesländer zu erreichen, dass der Feiertag "Christi Himmelfahrt" in "Evolutionstag" umbenannt wird.
Größer als zwischen dem Staat und den Kirchen sind die Konfliktfelder in der bundesdeutschen Gesellschaft derzeit im Umgang mit dem Islam. Sie betreffen etwa die Stellung und die Rechte von Frauen, die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, den Bau von Moscheen, den Gebrauch der deutschen Sprache in Moscheen und die Frage des Tragens eines Kopftuchs als religiöses Zeichen in Schulen.