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Zukunftsperspektiven | Deutsch-Israelische Beziehungen | bpb.de

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Zukunftsperspektiven

Martin Kloke

/ 3 Minuten zu lesen

Gemeinsame Werte und Interessen haben das Verhältnis zwischen Israelis und Deutschen in den vergangenen 50 Jahren bestimmt und bleiben eine Aufgabe für die Zukunft.

Streitpunkt Nahostkonflikt: Demonstranten mit palästinensischer Flagge treffen auf Unterstützer Israels, Berlin 2014 (© Jochen Eckel / Süddeutsche Zeitung Photo)

Im Februar 2014 trafen sich die deutsche und die israelische Regierung zum fünften Mal seit 2008, um bilaterale und internationale Fragen zu besprechen. Trotz anhaltender Meinungsunterschiede wegen der israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland und der Risikobewertung der iranischen Nuklearaktivitäten versicherten sich beide Seiten ihrer gegenseitig wertschätzenden Solidarität und Partnerschaft. Beide Regierungen unterzeichneten ein Abkommen über Ghetto-Renten, einigten sich auf eine konsularische Vertretung israelischer Bürgerinnen und Bürger in Ländern ohne israelische Repräsentanz durch Deutschland und brachten neue Jugendaustauschprogramme und befristete Arbeitsvisa sowie hochtechnische Wasserprojekte auf den Weg. Bundeskanzlerin Merkel empfing von Staatspräsident Peres den höchsten Orden Israels, derweil ihr persönliches Verhältnis zu Ministerpräsident Netanjahu als "schwierig" gilt.

Sieben Jahrzehnte nach dem Ende der Schoah kann und wird es kein Vergessen geben; gleichwohl lassen versöhnliche und zukunftsträchtige Gesten neues Vertrauen wachsen. Insbesondere auf technisch-operativer Ebene funktionieren die deutsch-israelischen Beziehungen weitgehend "normal" – über Besonderheiten in den beiderseitigen Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturbeziehungen muss kaum mehr ein Wort verloren werden. Beispielgebend in jüngster Zeit sind israelisch-deutsche Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit: Im Rahmen sogenannter Dreieckskooperationen tragen deutsche und israelische Expertinnen und Experten gemeinsam zur Modernisierung der Wasser- und Bodenbewirtschaftung bei – zum Nutzen der Menschen in Ghana, Äthiopien und Kenia und bald auch in Burundi, Burkina Faso und Kamerun.

Zur deutschlandkritischen Skandalisierung eignet sich heute allenfalls noch die Ausstrahlung von Musikstücken des Antisemiten Richard Wagner im israelischen Rundfunk oder Berichte über Aktionen von Neonazis in Teilen der deutschen Provinz. Die Proteste von fünf israelischen Abgeordneten gegen die auf Deutsch gehaltene Rede von Bundespräsident Horst Köhler vor der Knesseth im Februar 2005 weckten in der deutschen Öffentlichkeit größere Aufmerksamkeit als in den israelischen Medien.

Für die Mehrheit der Deutschen ist Israel noch immer kein Staat wie jeder andere. Ein Indiz dafür sind stets die aufgeregten Reaktionen, wenn der Nahostkonflikt aufs Neue eskaliert. Die Kritik an der Politik Israels nimmt dann häufig hysterische Ausmaße an – zeitweise ist mehr als die Hälfte aller Deutschen der Auffassung, Israel behandle die Palästinenser ähnlich schlecht wie die Nazis die europäischen Juden. Die Hintergründe des ungleichen Krieges zwischen der terroristischen Hamas und Israel – etwa die inmitten ziviler Einrichtungen lancierten Raketenangriffe auf israelische Bevölkerungszentren, die die israelischen Militärs zum Schutz der Bevölkerung zu "unverhältnismäßig" anmutenden Gegenschlägen zwingt – werden hierzulande vielfach mit Unverständnis aufgenommen. Während große Teile der gesellschaftlichen Mitte auf Distanz zu Israel gehen, protestieren islamistische sowie rechts- und linksgerichtete Demonstranten gemeinsam gegen den vermeintlichen "Aggressor"-Staat Israel und verbreiten antisemitische Parolen. Demgegenüber stoßen vergleichbare oder gar schlimmere Gewaltexzesse in anderen Ländern auf ein erstaunliches Desinteresse. Offenbar werden die Handlungen Israels mit anderen und strengeren Maßstäben gemessen als sie sonst international üblich sind.

Während Israelis hierzulande bisweilen als lästige Kritiker antisemitischer Tendenzen in Deutschland wahrgenommen werden, treten Deutsche gegenüber Israel manchmal wie selbstgerechte Moralisten auf, die den israelischen "Besatzern" mit erhobenen Zeigefingern Wege zum "gerechten" Nahostfrieden aufzeigen wollen. Wenn Deutsche und andere Europäer – übrigens auch Israelis und Palästinenser – in Zukunft eine konstruktive Rolle spielen wollen, werden sie das Plädoyer des Historikers Dan Diner für eine "gordische Lösung" beherzigen müssen: "Nämlich zum einen den Antisemitismus zu bekämpfen, als ob es den arabisch-jüdischen, israelisch-palästinensischen Konflikt nicht gäbe; zum anderen alles zu unternehmen, um ebenjenen Konflikt einer beiden Seiten zuträglichen Lösung zuzuführen – so, als gäbe es den Antisemitismus nicht."

Der gewaltsame Niedergang des "arabischen Frühlings" in Ägypten, Syrien und Irak unterstreicht das Bild des modernen Israels als einer blühenden Oase in einer durch Kriege gezeichneten Umgebung. Der Traum von einem Nahen Osten als Teil einer europäisch-mediterranen Wirtschafts-, Friedens- und Sicherheitszone wird noch lange Zeit eine utopische Vorstellung bleiben. Inwieweit es dagegen Israel (vielleicht auch einem palästinensischen Staat) gelingen wird, irgendwann einmal im Rahmen einer Zweistaatenlösung Vollmitgliedschaften bei der Europäischen Union und der NATO zu erlangen, wird auch von der weiteren Dynamik der deutsch-israelischen und zunehmend auch der europäisch-israelischen Beziehungen abhängen. Unbefangene "Normalität" im wortwörtlichen Sinne kann es in einem überschaubaren Zeitrahmen nicht geben. Umso wichtiger ist die Einsicht, dass Deutsche und Israelis nicht nur wegen der Vergangenheit, sondern auch aufgrund der Gegenwart – im Kontext gemeinsamer politischer Interessen sowie kultureller, demokratischer und menschenrechtlicher Werte – eng miteinander verbunden sind.

Dr. Martin Kloke ist verantwortlicher Redakteur für die Fächer Ethik, Philosophie und Religion bei den Cornelsen Schulverlagen in Berlin. Daneben befasst er sich seit vielen Jahren mit der deutsch-israelischen sowie christlich-jüdischen Beziehungsgeschichte und hat dazu zahlreiche Beiträge verfasst.