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Wege zur diplomatischen Anerkennung

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Das Luxemburger Abkommen 1952, in dem die Bundesrepublik erstmals eine Verpflichtung gegenüber Israel und dem jüdischen Volk anerkannte, war in beiden Gesellschaften heftig umstritten. In den folgenden 13 Jahren gab es eine Reihe von Stolpersteinen, die die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verhinderten.

Bedeutender Wegstein: Am 10. September 1952 unterzeichnen Bundeskanzler Konrad Adenauer (2. v. re.) und Israels Außenminister Moshe Sharett (2. v. li.) in Luxemburg das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen.

Bedeutender Wegstein: Am 10. September 1952 unterzeichnen Bundeskanzler Konrad Adenauer (2. v. re.) und Israels Außenminister Moshe Sharett (2. v. li.) in Luxemburg das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen. (© picture-alliance / dpa)

Nach 1945 hatten die meisten Deutschen, die sich inmitten der Trümmer wieder zu reorganisieren versuchten, anderes im Sinn als Politik. Sie waren in erster Linie mit dem täglichen Überleben beschäftigt. Die ehemaligen Täter und Mitläufer, aber auch die meisten Verfolgten des NS-Regimes vermieden es, sich mit der Schoah auseinanderzusetzen. Lediglich einige christliche, linksliberale und sozialistische Intellektuelle durchbrachen das Schweigen.

Die Lage der nach Palästina eingewanderten bzw. vertriebenen Juden – ihr Aufbauwerk sowie die jüdisch-arabischen Auseinandersetzungen – rückte zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Blickfeld. Selbst von der Staatsgründung Israels im Mai 1948 nahm die deutsche Öffentlichkeit kaum Notiz.

Ringen um "Wiedergutmachung"


Die Publizisten Eugen Kogon und Walter Dirks gehörten 1949 zu den ersten Stimmen, die an Bundesregierung und Bundestag appellierten, "die so lange schon hingeschleppte Wiedergutmachung" einzuleiten. Ihr Ziel, bestmögliche Beziehungen zum jüdischen Volk zu entwickeln, "besonders aber mit seinem Staat in Palästina", verhallte zunächst auch in Israel ungehört. Ohne Resonanz blieb auch der Vorschlag des SPD-Politikers Carlo Schmid im Februar 1951, den Staat Israel als "Rechtsnachfolger für alle erbenlosen Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsansprüche" anzuerkennen.

Eine Wende zeichnete sich erst zwei Monate später ab. Bundeskanzler Konrad Adenauer geriet unter Zugzwang, zumal politische Kreise in Israel die Westmächte mahnten, in der Reparationsfrage Druck auf die Deutschen auszuüben. Zwar lehnten die Westmächte eine Vermittlungstätigkeit ab, doch der Kanzler bekannte sich jetzt zum Prinzip der materiellen Entschädigung zugunsten der jüdischen Gemeinschaft. Im April 1951 traf Adenauer unter strengster Geheimhaltung israelische Abgesandte, um Verhandlungen vorzubereiten. Am 27. September 1951 bekannte sich Adenauer vor dem deutschen Bundestag zu Schuld und Verantwortung des deutschen Volkes an den NS-Verbrechen sowie zu einer prinzipiellen Verpflichtung gegenüber Israel und dem jüdischen Volk. Während der Bundestag dieses Vorhaben im Nachhinein mehrheitlich begrüßte, konnte Israels Regierungschef David Ben Gurion nur unter größten Schwierigkeiten ein Mandat für die Aufnahme von Entschädigungsverhandlungen mit den Deutschen erwirken. Die schleppenden, oft kontroversen Unterredungen zwischen der Bundesregierung sowie Vertretern der jüdischen Dachorganisation Claims Conference führten 1952 zum Luxemburger Abkommen, in dem sich beide Seiten auf deutsche Zahlungen in Höhe von 3,45 Milliarden DM in zwölf Jahresraten einigten, die als kollektive Reparationen vor allem in Form von Warenlieferungen an den Staat Israel geleistet werden sollten.

Das Abkommen war umstritten: Lehnte es die innerisraelische Opposition anfangs vehement ab, aus Deutschland stammendes "Blutgeld" in Empfang zu nehmen, drohten die arabischen Staaten, den Handel mit der Bundesrepublik auszusetzen. Deutsche Kritiker inner- und außerhalb der Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und DP argumentierten, Israel habe kein Recht auf Reparationen, da es während der NS-Herrschaft noch gar nicht existiert habe. Auch in der öffentlichen Meinung war das Abkommen alles andere als populär: Laut einer Umfrage des Allensbacher Instituts im August 1952 hielten 44 Prozent der Deutschen das Abkommen für "überflüssig"; nur 11 Prozent signalisierten ihre Zustimmung.

Doch Adenauer hielt an der Vereinbarung fest – aus realpolitischen und moralischen Gründen. Die christlich-liberale Koalitionsregierung stand vor einer Zerreißprobe. Nur zusammen mit den Stimmen der sozialdemokratischen Opposition konnte das Abkommen 1953 im Bundestag verabschiedet werden. Auf israelischer Seite setzte sich Ministerpräsident Ben Gurion für das umstrittene, aber wirtschaftlich unerlässliche Abkommen ein, an dessen Zustandekommen Nahum Goldmann als Präsident der Claims Conference wesentlichen Anteil gehabt hatte.

Am 30. Juli 1953 lief in Bremen der israelische Frachter "Haifa" mit ersten deutschen Warenlieferungen aus, und am 17. Februar 1955 traf das erste Frachtschiff unter deutscher Flagge in Israel ein. Diese und weitere Lieferungen waren in den 12 Folgejahren grundlegend für die Entwicklung und Modernisierung der israelischen Wirtschaft und Infrastruktur; sie dienten auch der Eingliederung von etwa 1,5 Millionen Einwanderinnen und Einwanderern. Außerdem begann Westdeutschland, Entschädigungsgelder und Renten an Überlebende der Schoah zu entrichten.

Auch die Bundesrepublik profitierte von dem Abkommen: Nach der Barbarei der NS-Zeit signalisierte die Vereinbarung aller Welt einen Neuanfang, der der Rehabilitierung Deutschlands den Weg bereiten sollte. Die Waren- und Finanzströme legten einen Grundstein für die Entwicklung eines stabilen Beziehungsgeflechts zwischen beiden Ländern – unabhängig von der politischen Eiszeit, die das bilaterale Verhältnis noch auf Jahre hinaus prägen sollte.

Mit dem Wiedergutmachungsabkommen schien der Bann des Schweigens in Deutschland gebrochen zu sein: Eine pro-israelische Grundeinstellung, zunächst vor allem in sozialdemokratischen und links-christlichen Kreisen, wurde zum Prüfstein demokratischer Gesinnung. Ab Mitte der 1950er-Jahre kamen erstmalig deutsche Studierendengruppen nach Israel, um in sozialistischen Kibbuzim den Aufbau der dortigen Landwirtschaft zu unterstützen. Sie bewunderten den linkszionistischen "Pionierstaat" Israel als ein Gegenmodell zur "restaurativen" westdeutschen Bundesrepublik. Leidenschaftlich setzten sich linksgerichtete Gruppen für eine Verständigung mit dem jüdischen Staat ein. Immer mehr junge Leute brachen nun zu Besuchen oder Arbeitseinsätzen nach Israel auf. Dem "Sozialistischen Deutschen Studentenbund" (SDS) gelang es rascher als staatlichen Stellen, Kontakte zu israelischen Partnern aufzubauen. 1957 erhielt der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer auf seiner Israelreise als erster Deutscher der Nachkriegszeit die Gelegenheit zu einer öffentlichen Ansprache vor einem israelischen Publikum. Andererseits stießen die Annäherungsversuche deutscher Nichtregierungsorganisationen bei potenziellen israelischen Partnern zumeist auf Ablehnung.

Stolpersteine


Inzwischen konstatierte die israelische Seite, dass die Deutschen die "Wiedergutmachung" verlässlich erfüllten – selbst während des Sinaikrieges von 1956 gingen die Lieferungen weiter. Gleichzeitig vermochten die Israelis nicht, ihre politische Isolation im Nahen Osten zu überwinden; Verbündete waren rar gesät. So keimte in israelischen Regierungskreisen der Wunsch auf, die Beziehungen zu Europa, Asien und Afrika zu vertiefen – diplomatische Beziehungen nicht zuletzt auch mit dem "neuen Deutschland" aufzunehmen.

Doch die westdeutsche Bundesrepublik beanspruchte gegenüber der DDR einen Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland – die sogenannte Hallstein-Doktrin ließ ab 1955 eine Aufnahme offizieller Beziehungen zu Israel als unvereinbar mit den deutschlandpolitischen Interessen der Bundesrepublik erscheinen. Die arabischen Staaten drohten, bei einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel das traditionell gute Verhältnis zu Westdeutschland einzufrieren und die DDR völkerrechtlich anzuerkennen. Ungeachtet dessen forderte Ben Gurion am 27. Juni 1957 die Bundesregierung erstmals öffentlich auf, "normale diplomatische Beziehungen" zu Israel aufzunehmen.

Um einen Ausweg aus ihrem Dilemma zu finden, nahmen Bonn und Jerusalem Ende 1957 geheime Verhandlungen über eine militärische Zusammenarbeit auf. Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß und Staatssekretär Shimon Peres trafen mündliche Absprachen über gegenseitige Rüstungslieferungen. "Panzer statt Diplomaten" war die unausgesprochene Parole: Politische Interessen und moralische Überzeugungen schienen für die nächsten Jahre zum Nutzen beider Staaten ausbalanciert worden zu sein.

Als sich am 14. März 1960 in New York Ben Gurion und Adenauer das erste Mal begegneten, widersetzte sich der deutsche Kanzler erneut dem israelischen Wunsch nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Zugleich bezifferten beide Politiker den Umfang der deutschen Waffenlieferungen auf 200 Millionen DM. Außerdem stellte Adenauer eine zehnjährige deutsche Anleihe in Höhe von jährlich 50 Millionen US-Dollar in Aussicht, vor allem zwecks wirtschaftlicher und infrastruktureller Erschließung der Negev-Wüste.

Gleichwohl blieben diese Vorboten der Entspannung nicht ohne Krisen: Der Jerusalemer Prozess gegen Adolf Eichmann, den Leiter des "Judenreferats" im NS-Reichssicherheitshauptamt, führte 1960/61 der Weltöffentlichkeit das Ausmaß der deutschen Schuld vor Augen. Er dokumentierte auch die Unzulänglichkeit der deutschen Bemühungen, NS-Täter vor Gericht zu stellen. Auf der anderen Seite wurde in Deutschland die systematische Ermordung der Juden erstmals breit in den Medien thematisiert. So paradox es klingen mag: Der Eichmann-Prozess hat Deutsche und Israelis einander nähergebracht.

1960 setzte in der Bundesrepublik eine endlos anmutende Debatte um die drohende juristische Verjährung von NS-Verbrechen ein, die in der israelischen Öffentlichkeit als Zeichen einer stillschweigenden Rehabilitierung nazistischer Umtriebe gedeutet wurde. Erst 1979 hob der Deutsche Bundestag die Verjährbarkeit von Mord endgültig auf und ermöglichte damit eine weitere Verfolgung von NS-Verbrechen – sofern die Täter noch lebten.

1962 wurde bekannt, dass eine Reihe hochkarätiger deutscher Techniker an der Entwicklung eines ägyptischen Raketenprogramms beteiligt war. Diese Nachricht schreckte Israels Öffentlichkeit, aber auch Teile der bundesdeutschen Gesellschaft in doppelter Hinsicht auf – erstens, weil bundesdeutsche Behörden die "private" Tätigkeit der deutschen Experten geduldet hatten, zweitens, weil damit die Sicherheit Israels bedroht wurde. Die Jerusalemer Regierung forderte Bonn zur Rückführung jener schon dem NS-Regime dienstbar gewesenen Wissenschaftler auf. Doch die Bundesregierung beschränkte sich 1964 auf Worte des Bedauerns und stellte materielle Anreize zur Abwerbung der Raketenspezialisten in Aussicht. Gleichwohl nahm hierzulande die Kritik an der als halbherzig gewerteten Aufarbeitung der Vergangenheit zu; die Weigerung, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen, begriffen viele Deutsche zusehends als Skandal.

Ende der Doppelstrategie


Die Hallstein-Doktrin hatte bewirkt, dass die arabischen Staaten die diplomatische Anerkennung der DDR hinauszögerten, solange sie sicher sein konnten, dass die Bonner Regierung keine offiziellen Beziehungen zu Israel unterhielt. Diesen Zusammenhang mochte ein wachsender Teil der westdeutschen Öffentlichkeit nicht länger hinnehmen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) startete im Oktober 1964 eine Unterschriften-Kampagne für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Als kurz darauf die deutschen Waffenlieferungen an Israel aufgedeckt wurden, empörten sich auch andere zivilgesellschaftliche Initiativen über die ihrer Ansicht nach unwürdige Kompensation für die diplomatische Missachtung des jüdischen Staates.

Auch der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser reagierte auf die deutsche Militärhilfe für Israel und empfing im Februar 1965 den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zu einem Staatsbesuch in Kairo. Spätestens jetzt war der westdeutsche Alleinvertretungsanspruch auf dem diplomatischen Parkett nicht mehr haltbar. Die Bundesregierung sah sich zum Einlenken und zur Aufgabe ihrer Rechtsposition gezwungen. Damit war der Weg für eine diplomatische "Normalisierung" frei. Am 12. Mai 1965 vereinbarten Bundeskanzler Ludwig Erhard und Ministerpräsident Levi Eshkol den Austausch von Botschaftern. Zehn von 13 arabischen Staaten brachen vorübergehend ihre diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik ab, wagten es aber noch nicht, die DDR anzuerkennen.

Israel berief den in Wien geborenen Diplomaten Asher Ben-Nathan zu seinem ersten Botschafter in Deutschland; die Bundesrepublik entsandte den Karrierediplomaten Rolf Pauls nach Israel. Trotz anfänglich heftiger Proteste links- und rechtsgerichteter Israelis gegen einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier als deutschen Botschafter entwickelten sich die deutsch-israelischen Beziehungen bald in bemerkenswerter Weise.