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Last der Vergangenheit

Martin Kloke

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Das Verhältnis Israels und zu Deutschland ist durch die deutsch-jüdische Vergangenheit belastet, den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden und gefährdet zeitweilig die Balance der Beziehungen. Noch heute leben in Israel fast 100 000 Überlebende der Schoah.

Historische Verpflichtung: Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin erinnert an die sechs Millionen Juden, die der NS-Herrschaft zum Opfer fielen. (© imago / imagebroker)

Die deutsch-israelische Beziehungsgeschichte ist nicht zu verstehen ohne ihre europäischen Wurzeln: Gerade weil die europäische Normalität jahrhundertelang von einer judenfeindlichen Grundstimmung geprägt war, richteten in der Neuzeit viele europäische Juden im Prozess ihrer bürgerlichen Gleichstellung besondere Erwartungen auf die emanzipatorischen Reformen im deutschen Sprach- und Kulturraum. Juden konnten im kaiserlichen Deutschland (1871–1918) sowie in der Weimarer Republik (1919–1933) in beachtlichem Maße wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich an der aufstrebenden bürgerlich-kapitalistischen Moderne teilhaben. Gewiss: Der religiöse und zunehmend auch rassistische Antisemitismus machte sich, wie fast überall in Europa, auch in der Mitte der deutschen Gesellschaft breit. Doch schienen antijüdische Vorbehalte in den sogenannten Goldenen 1920er-Jahren hierzulande weniger ausgeprägt zu sein als in anderen europäischen Staaten – Antisemitismus wurde vielerorts als ein primitives Relikt voraufklärerischen Denkens verharmlost. Die Ideen des Zionismus verhallten deshalb zunächst insbesondere in liberalen Milieus des deutschen Judentums, die an ihrem Traum von der "deutsch-jüdischen Symbiose" festhielten.

Umso größer war der Schock, dass ausgerechnet im "Land der Dichter und Denker" ein staatlich organisierter Vernichtungsantisemitismus auf den Plan treten konnte, dem in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) sechs Millionen jüdischer Frauen, Männer und Kinder zum Opfer fielen (Schoah). "Wie kam es, dass ein Volk, das der Menschheit das Erhabenste schenkte, was Poesie, Philosophie und Musik hervorgebracht haben, das furchtbarste Verbrechen in der Geschichte beging?", fragt der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk in seinem Buch "Der letzte Berliner".

Vor dem Hintergrund der deutschen Massenverbrechen wurde das britische Mandatsgebiet Palästina zum "Rettungsanker" für verfolgte Juden, die andernorts zunehmend unerwünscht waren. Ungeachtet der schärfer werdenden Einwanderungsbestimmungen verdreifachte sich zwischen 1933 und 1947 die Zahl der Juden in Palästina. Dieser Zustrom stieß auf den wachsenden Widerstand der lokalen arabischen Bevölkerung. Die aktive Unterstützung des NS-Vernichtungsantisemitismus durch Amin el-Husseini, dem palästinensischen Großmufti von Jerusalem, verbreiterte den Graben zwischen Juden und Arabern in Palästina. Als die arabische Staatenwelt den 1947 von der UNO-Vollversammlung beschlossenen Plan zur Teilung Palästinas in zwei separate Staaten ablehnte und schließlich das britische Mandat für Palästina ohne eine einvernehmliche Übergangslösung endete, rief der jüdische Nationalrat am 14. Mai 1948 in Tel Aviv den Staat Israel aus. Im darauf folgenden ersten Nahostkrieg konnte sich Israel gegenüber den Armeen sämtlicher arabischer Nachbarstaaten behaupten, die das "zionistische Gebilde" auslöschen wollten.

Noch heute leben in Israel fast 100.000 Überlebende der Schoah. Das Trauma einer Gesellschaft, die nicht vergessen kann, dass ihr Staat auf der Asche eines (deutschen) Vernichtungswahns gegründet wurde, zeigt sich in Israel bis heute: "Hätte die zionistische Bewegung zehn Jahre früher einen wehrhaften jüdischen Staat gründen können, wäre die Schoah verhindert worden!" und "Nie wieder Opfer!" lauten Schlussfolgerungen aus der Vergangenheit, die auch die Konfrontation mit dem palästinensischen Nationalismus bestimmt. Die Last der deutsch-jüdischen Vergangenheit ist nach wie vor präsent.

Dr. Martin Kloke ist verantwortlicher Redakteur für die Fächer Ethik, Philosophie und Religion bei den Cornelsen Schulverlagen in Berlin. Daneben befasst er sich seit vielen Jahren mit der deutsch-israelischen sowie christlich-jüdischen Beziehungsgeschichte und hat dazu zahlreiche Beiträge verfasst.