Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die einzelnen Grundrechte | Grundrechte | bpb.de

Grundrechte Editorial Grundrechte im Alltag Geschichte der Grundrechte Besondere Merkmale der Grundrechte Grundrechtsschutz aus Karlsruhe – das Bundesverfassungsgericht Die einzelnen Grundrechte Grundrechte in anderen Verfassungen Literatur- und Onlineverzeichnis Impressum
Informationen zur politischen Bildung Nr. 359/2024

Die einzelnen Grundrechte

Mathias Metzner

/ 76 Minuten zu lesen

Obwohl das Grundgesetz den einzelnen Grundrechten keine Namen gibt, hat sich für jedes Grundrecht eine Benennung eingebürgert. Die folgende Darstellung berücksichtigt die Artikel 1 bis 19.

(© Gerhard Mester/www.mester-karikaturen.de)

Schutz der Menschenwürde

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Der Schutz der Menschenwürde steht nicht nur im Text des Grundgesetzes an erster Stelle, er hat auch überragende Bedeutung als oberster Verfassungswert und tragendes Verfassungsprinzip. Inhaltlich bedeutet der Schutz der Menschenwürde, dass der Mensch selbst immer Zweck an sich bleiben muss und dass er nicht zum Zweck für etwas anderes gemacht werden darf. Damit vollzieht das Grundgesetz eine deutliche Abkehr von der in der Zeit des Nationalsozialismus vertretenen Maxime, dass der einzelne Mensch nichts sei und der Staat alles. Auf dem Boden des Grundgesetzes ist es umgekehrt: Der Staat ist für den Menschen da; zuerst kommt der Mensch, dann der Staat.

Wenn der Schutz der Menschenwürde dem Staat verbietet, Bürgerinnen und Bürger zu Objekten seines Handelns zu machen, ist damit vorrangig das Verbot menschenunwürdiger Behandlung gemeint. Der Staat darf Menschen nicht erniedrigend behandeln, brandmarken und ächten. Ebenso sind Folter und grausame Strafen verboten. Aus diesen Beispielen wird aber auch deutlich, dass wegen der fundamentalen Bedeutung der Menschenwürde diese nicht dazu herhalten kann, schon Beeinträchtigungen von geringer Intensität abzuwehren. So schützt die Menschenwürdegarantie die Bürgerinnen und Bürger zwar davor, durch überharte Besteuerung zum Empfänger von Sozialleistungen zu werden. Die Menschenwürde wird aber nicht durch die Verpflichtung berührt, Unterlagen zum Nachweis der Besteuerungsgrundlagen einreichen zu müssen.

Der hohe Rang der Menschenwürde kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Menschenwürde vorbehaltlos garantiert ist. Dies lässt sich am Wortlaut der Vorschrift eindeutig erkennen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Kein Gesetz darf also zu einem Eingriff in die Menschenwürde ermächtigen – egal, wie hoch die dafür angeführten Gründe sind.

Beispiel: Die Strafprozessordnung enthält einen abschließenden Katalog von Befugnissen, die die Polizei zur Aufklärung von Straftaten einsetzen darf (zum Beispiel die Durchsuchung einer Wohnung, die Überwachung von Telefonanrufen, verschiedene körperliche Untersuchungen). Hat die Anwendung all dieser Mittel nicht dazu geführt, die tatverdächtige Person zu überführen, ist es der Polizei nicht erlaubt, zur Aufklärung der Straftat, mag sie auch noch so gravierend (etwa Mord, Totschlag) sein, zum Mittel der Folter zu greifen. Gesetzliche Befugnisse dieser Art enthält die Strafprozessordnung daher nicht, im Gegenteil: § 136a StPO verbietet sogar ausdrücklich den Einsatz solcher Mittel und wiederholt damit eigentlich nur das, was unmittelbar aus der Gewährleistung der Menschenwürde folgt.

Die Menschenwürde wird durch die nachfolgenden Grundrechte konkretisiert. Praktisch bedeutet dies, dass eine Verletzung der Menschenwürde immer auch eine Verletzung eines anderen Grundrechts beinhaltet.

Beispiele: Die Anwendung von Folter verletzt die Garantie der Menschenwürde, zugleich aber auch das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne eine konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance, doch noch einmal die Freiheit wiedererlangen zu können, verletzt die Würde des Menschen, zugleich aber auch das Grundrecht auf Freiheit der Person. Eine Überwachung von Wohnräumen verletzt die Menschenwürde, wenn dadurch Wahrnehmungen über den Kernbereich privater Lebensgestaltung wie etwa die Äußerung innerster Gefühle oder die sexuelle Sphäre erfolgen. Gleichzeitig wird auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt.

Der Schutz der Menschenwürde verbietet dem Staat aber nicht nur bestimmte Handlungen, sondern er gebietet ihm auch, aktiv tätig zu werden. Aus Art. 1 Abs. 1 GG folgt eine Schutzpflicht des Staates, seine Verpflichtung, Menschen vor Angriffen auf die Menschenwürde durch andere zu schützen.

Beispiel: Im Jahre 1974 sollten in der Bundesrepublik rechtliche Voraussetzungen zum Schwangerschaftsabbruch neu geregelt werden. Bis dahin war die „Abtötung der Leibesfrucht“ einer Schwangeren generell eine strafbare Handlung. Die neu eingeführte Fristenregelung wollte demgegenüber den mit Einwilligung der Schwangeren erfolgten Schwangerschaftsabbruch dann unter Straffreiheit stellen, wenn seit der Empfängniszeit nicht mehr als zwölf Wochen verstrichen waren. Doch das Bundesverfassungsgericht sah die neue Gesetzregelung als verfassungswidrig an, weil sie dem Schutz des ungeborenen Lebens, der auch aus dem Schutz der Menschenwürde hergeleitet wird, nicht im gebotenen Umfang gerecht wurde. Aus dieser objektiven Wertentscheidung leitete das Bundesverfassungsgericht letztlich eine Verpflichtung des Gesetzgebers zum Erlass von Strafnormen ab. Der Gesetzgeber kehrte daraufhin zu dem Regelungskonzept einer grundsätzlichen Strafbarkeit zurück, sah aber bestimmte Ausnahmen vor. So ist der Tatbestand des § 218 StGB dann nicht verwirklicht, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt, sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle hat beraten lassen, der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt oder einer Ärztin vorgenommen wurde und seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind (§ 218a Abs. 1 StGB). Auch ist ein Schwangerschaftsabbruch dann nicht rechtswidrig, wenn er erfolgt, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung abzuwehren (§ 218a Abs. 2 StGB) oder wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist (§ 218a Abs. 3 StGB).

Die Diskussion um die Schutzpflicht des Staates für das ungeborene Leben war danach jedoch nicht beendet. Das strafrechtlich bewehrte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche (§ 219a StGB), welches ebenfalls das Rechtsgut des ungeborenen Lebens schützen sollte, wurde Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Anlass war die strafrechtliche Verurteilung der Frauenärztin Kristina Hänel im Jahr 2017, die auf der Website ihrer Praxis über Methoden zum Schwangerschaftsabbruch informiert hatte. In der Folge dieser Diskussion stimmte der Deutsche Bundestag (19. Wahlperiode) am 21. Februar 2019 für eine Gesetzesänderung, die eine Ergänzung des Straftatbestands um einen Ausnahmetatbestand beinhaltete. Danach durften Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser öffentlich darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Auch durften sie auf weitergehende Informationen von Behörden und Beratungsstellen hinweisen. Aber auch diese Gesetzesänderung führte nicht dazu, dass die strafrechtliche Verurteilung von Frau Hänel aufgehoben wurde. Schließlich beschloss der Deutsche Bundestag (20. Wahlperiode) am 24. Juni 2022 die vollständige Streichung des Werbeverbots. Zugleich wurden mit diesem Gesetz alle strafrechtlichen Verurteilungen, die nach dem 3. Oktober 1990 ergangen sind, aufgehoben. Allerdings wurde nunmehr im Heilmittelwerbegesetz ein Verbot irreführender Werbung für Schwangerschaftsabbrüche eingeführt, womit wiederum die staatliche Schutzpflicht für das ungeborene Leben zur Geltung gebracht wird. In ihrem Koalitionsvertrag von 2021 hat sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP außerdem vorgenommen, noch einmal grundsätzlich zu prüfen, ob es bei der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches bleiben soll.

Recht auf Freiheit der Person

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art. 2 Abs. 1 GG enthält mehrere unterschiedliche Gewährleistungen: Zum einen schützt er die allgemeine Handlungsfreiheit, die einen sehr weiten Schutzbereich hat. Daneben wird in Verbindung mit der Menschenwürde das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt, das verschiedene Ausprägungen hat, nämlich den Schutz der Privatsphäre, das informationelle Selbstbestimmungsrecht sowie das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Allgemeine Handlungsfreiheit

Die allgemeine Handlungsfreiheit erfasst grundsätzlich jedes menschliche Verhalten, wobei allerdings zu prüfen ist, ob nicht die infrage stehende Handlung oder Betätigung durch spezielle Grundrechte geschützt wird:

So wird die Äußerung einer Meinung durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt, die Teilnahme an einer Versammlung durch Art. 8 Abs. 1 GG. Wird die infrage stehende Handlung jedoch nicht durch eines der speziellen Grundrechte geschützt, greift die allgemeine Handlungsfreiheit ein. Deshalb wird sie auch als Auffanggrundrecht bezeichnet. Das Grundrecht ist beschränkt durch „die Rechte anderer“, die „verfassungsmäßige Ordnung“ und das „Sittengesetz“. Mit der „verfassungsmäßigen Ordnung“ sind jedoch nicht lediglich andere Vorschriften des Grundgesetzes, sondern alle verfassungsmäßigen Rechtsvorschriften gemeint. Im Ergebnis bedeutet dies, dass jeder Eingriff, der eine Bürgerin oder einen Bürger beeinträchtigt, einer gesetzlichen Grundlage bedarf (Gesetzesvorbehalt).

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das sichtbarste Zeichen dafür, wie „lebendig“ die Grundrechte sind. Es steht nicht wörtlich im Grundgesetz. Die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht haben es schon früh Entscheidungen zugrunde gelegt und mehrfach erweitert, um aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen zu können. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die engere persönliche Lebenssphäre des Menschen und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen. Es findet in der Rechtsprechung verschiedene Ausprägungen:

Das Grundrecht schützt die Privatsphäre. Damit ist die Möglichkeit gemeint, sich aus der Öffentlichkeit in eine geschützte, private Sphäre zurückzuziehen. Dabei wird unterschieden: Die Intimsphäre als „letzter unantastbarer Bereich“ ist – wegen des engen Zusammenhangs mit dem Schutz der Menschenwürde – jedem staatlichen Zugriff entzogen. Demgegenüber ist die Privatsphäre schon eher gewissen Einschränkungen zugänglich. Allerdings sind solche Einschränkungen nur unter hohen Anforderungen gestattet. Sie müssen insbesondere verhältnismäßig sein (siehe Beitrag: Interner Link: Besondere Merkmale der Grundrechte).

Eine weitere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist das Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort. Es ist dem und der Einzelnen selbst vorbehalten, darüber zu entscheiden, ob er oder sie fotografiert werden will, ob von ihm getätigte Äußerungen aufgezeichnet werden und ob solche Bild- und Tonaufnahmen veröffentlicht werden. Große Bedeutung hat insbesondere das Recht am Bild bei heimlichen Aufnahmen von Prominenten gewonnen. Dabei sind Bilder, die in der Öffentlichkeit aufgenommen wurden – auch wegen der Bedeutung der Freiheit zur Berichterstattung –, zulässig, nicht jedoch Aufnahmen aus einem privaten, von der Öffentlichkeit zurückgezogenen Bereich. In ähnlicher Weise wird die Darstellung der eigenen Person geschützt, indem sich der oder die Einzelne gegen verfälschende oder entstellende Darstellungen wehren kann. Dies gilt unabhängig davon, in welchem Medium die Veröffentlichung erfolgt, bezieht sich grundsätzlich also auch auf beleidigende und unrichtige Darstellungen im Internet.

Allerdings ist die Geltendmachung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber ehrverletzenden Äußerungen im Internet schwierig. Unter Ehre wird das Ansehen eines Menschen innerhalb der Gesellschaft angesehen. Häufig sind die Verantwortlichen für solche Äußerungen in sozialen Medien nicht erkennbar und verstecken sich in der Anonymität des Internets. Zwar hat der oder die Verletzte einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Dienstanbieter, für die Erteilung der Auskunft bedarf es jedoch zuvor einer gerichtlichen Anordnung (vgl. § 21 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz). Die frühere Bundesministerin und Bundestagsabgeordnete Renate Künast wurde in einem Internetblog massiv persönlich diffamiert und beleidigt. Im Jahr 2019 klagte sie auf Auskunft über die Bestandsdaten der betreffenden Nutzerinnen bzw. Nutzer der Social-Media-Plattform. Ein Auskunftsrecht wurde ihr nur teilweise gewährt, im Übrigen vertraten Gerichte über zwei Instanzen die Auffassung, sie müsse als Politikerin derlei Angriffe im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen. Erst das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen wegen der Verkennung der Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf (Beschluss vom 19.12.2021, Az. - 1 BvR 1073/20 -). Auch die von der Meinungsfreiheit gedeckte Machtkritik erlaube nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern.

QuellentextDas Recht auf Vergessen(werden) im Internet

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die persönliche Lebenssphäre eines jeden Menschen – auch gegenüber Gefährdungen der Persönlichkeitsentfaltung, die durch technische Neuerungen entstehen. Dazu gehört die Verbreitung von personenbezogenen Informationen im Internet. In Zeiten vor dem Internet waren Nachrichten zwar tagesaktuell durch Zeitungen sowie Funk und Fernsehen verfügbar. Allerdings gerieten selbst Sensationsnachrichten für die breite Masse der Bürgerinnen und Bürger mit der Zeit in Vergessenheit und waren nur noch für einen eingeschränkten Personenkreis und mit großem Aufwand wieder auffindbar. Dies änderte sich durch das Internet und den dort verfügbaren Suchfunktionen ganz grundsätzlich.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2019 (Beschluss vom 06.11.2019 - 1 BvR 16/13 -) einen Fall zu entscheiden, in dem die Zeitschrift „Der Spiegel“ in seinem Online-Archiv kostenlos mehrere Artikel aus den Jahren 1982 und 1983 über einen spektakulären Mordfall zugänglich gemacht hatte. Der Täter war im Jahre 1982 wegen Mordes verurteilt worden und wurde 2002 aus der Haft entlassen. Gab man den Namen des Mannes in einer gängigen Suchmaschine im Internet ein, war einer der ersten Treffer ein Verweis auf die Zeitungsartikel. Dagegen wehrte sich der Betroffene vor den Gerichten bis hin zum Bundesgerichtshof – jedoch ohne Erfolg.

Vor dem Bundesverfassungsgericht machte er eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend. Er wolle nach der Verbüßung seiner Haftstrafe unbelastet von seiner Tat seine Beziehungen gestalten können. Dies werde dadurch beeinträchtigt, dass jede dritte Person bei Eingabe seines Namens in eine Suchmaschine an erster Stelle auf die alten Zeitungsberichte gelenkt werde. Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde statt. Es hat dabei das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers gegen die Meinungs- und Pressefreiheit der Zeitung abgewogen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze vor der Verbreitung von Informationen im öffentlichen Raum, wobei der Schutz flexibel und durch die Einbindung der Person in ihre sozialen Beziehungen relativiert sei. Es sei daher nicht allein der Einzelperson überlassen, über die Darstellung ihrer Person zu verfügen.

Bei der aktuellen Berichterstattung über Straftaten habe das Informationsinteresse Vorrang, dies nehme allerdings mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur Tat ab. Durch moderne Informationstechnologien erhalte jedoch der Zeitfaktor eine neue rechtliche Dimension. Bei einer Verbreitung durch Zeitungen seien Informationen nur eine begrenzte Zeit zugänglich. Demgegenüber seien über das Internet verbreitete Informationen langfristig verfügbar und könnten in immer neuen Kontexten aufgegriffen und verwendet werden. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge allerdings nicht ein Recht auf Vergessenwerden in dem Sinne, dass allein der oder die Betroffene darüber entscheiden könne, dass alle in der Vergangenheit im Internet eingestellten Informationen zu löschen seien.

Ob der oder die Betroffene sich wegen der zwischenzeitlich vergangenen Zeit gegen die Veröffentlichung schützen kann, hängt danach vom Gegenstand der Berichterstattung ab und davon, welche Auswirkung diese auf das Privatleben des bzw. der Betroffenen hat. Wichtig ist dabei, wie die Veröffentlichung im Netz kommuniziert wird. Wird eine Information unmittelbar als erstes Ergebnis einer Internetrecherche angezeigt, beeinträchtigt dies die betroffene Person am stärksten.

Dies bedeutete im konkreten Fall für den Verlag jedoch nicht, dass die Artikel aus dem Netz genommen werden mussten. Das Bundesverfassungsgericht forderte jedoch, zumutbare Vorkehrungen gegen eine Auffindbarkeit der Artikel bei namensbezogenen Suchabfragen zu treffen.

In ganz ähnlicher Weise hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahre 2014 entschieden, dass Bürgerinnen und Bürger im Einzelfall einschränken dürfen, was bei einer namensbezogenen Suche über sie im Internet auffindbar ist (Urteil vom 13.05.2014 - C- 131/12). Ein spanischer Bürger hatte sich dagegen gewehrt, dass bei Eingabe seines Namens in Google 15 Jahre alte Informationen über die Versteigerung seines Hauses angezeigt wurden.

Mathias Metzner

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt außerdem das Recht, Gewissheit über die eigene Abstammung zu erlangen. Das bedeutet zwar nicht, dass der Staat bei jedem Neugeborenen „von Amts wegen“ die Abstammung ermitteln müsste. Jedoch dürfen dem oder der Einzelnen verfügbare Informationen nicht vorenthalten werden. Auch darf es einem Mann nicht verwehrt werden, zu erfahren, ob ein ihm rechtlich zugeordnetes Kind auch tatsächlich von ihm abstammt.

Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist aus dem Gedanken der Selbstbestimmung abgeleitet. Jede Person soll frei darüber entscheiden können, welche ihrer persönlichen Daten gespeichert werden dürfen und welche nicht. Gleichzeitig haben die Bürgerinnen und Bürger das Recht zu wissen, welche Daten über sie gespeichert werden. Unrichtige Daten müssen korrigiert und schließlich müssen die Daten gelöscht werden, wenn sie zu dem Zweck, für den sie ursprünglich erhoben wurden, nicht mehr benötigt werden. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht kann eingeschränkt werden. Hierfür bedarf es aber einer besonderen Ermächtigungsgrundlage. Diese muss hinreichend beschreiben, welche staatliche Stelle für die Erhebung welcher Daten und zu welchen Zwecken befugt ist.

Volkszählung, Rasterfahndung, Datenschutz

Gudula Geuther

Beim Stichwort Datenschutz denken heute die meisten an massenhafte Preisgabe persönlicher Daten im Internet oder Verarbeitung von Informationen durch Konzerne, vielleicht auch an den Zugriff auf Telekommunikationsdaten durch inländische und ausländische Nachrichtendienste. Die Aufregung um die Volkszählung Anfang der 1980er-Jahre scheint lange her. Trotzdem sind die Ideen von damals noch aktuell – mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Im Frühjahr 1983 sollten Beamtinnen und Beamte und Beauftragte von Tür zu Tür gehen. Sie sollten nicht nur zählen, wie viele Haushalte und Einwohnende es wo in der Bundesrepublik gab, sondern mit einem Fragebogen auch viele andere Informationen erfragen. Das ging vielen Menschen zu weit, es folgten massenhafte Proteste und Boykottaufrufe. Zu dieser Zeit gab es schon ein Bewusstsein für den Datenschutz, auch einzelne Datenschutzbeauftragte. Das Grundgesetz aber, so glaubten damals die meisten in Deutschland, sage nichts aus über den Umgang des Staates mit den Daten von Einzelpersonen.

Die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht sahen das anders. Auf eine Verfassungsbeschwerde hin stoppten sie zuerst vorläufig die Volkszählung, später erklärten sie das zu Grunde liegende Gesetz zum Teil für verfassungswidrig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, so entschieden sie hier erstmals, umfasst auch ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, weil die moderne Informationstechnik unbeherrschte Datensammlungen zur Gefahr nicht nur für den und die Einzelne, sondern auch für das Gemeinwohl mache.

Ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen bedürfe der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürgerinnen und Bürger. Die könnte aber gefährdet sein, wenn Einzelne aus Angst vor der Speicherung versuchten, nicht weiter aufzufallen und somit auf individuelle Entfaltungschancen verzichteten. Diese Gefahr sahen die Richterinnen und Richter vor allem, weil in Datenbanken gezielt Informationen gesucht und verknüpft werden können. Was der Staat über Einzelpersonen weiß, können diese deshalb gar nicht mehr überblicken. Die daraus folgenden Regeln für die Datenspeicherung gelten, so entschieden die Rechtsprechenden ausdrücklich, für alle Daten, nicht nur für solche, die als besonders sensibel erkennbar sind. Denn die mögliche Verknüpfung von Informationen könne dazu führen, dass auch scheinbar belanglose Daten neue Aussagen ergäben. Deshalb muss jede Person selbst bestimmen können, welche personenbezogenen Daten von ihr gespeichert und wie sie verwendet werden.

Einschränkungen dieses Rechts sind nur durch ein Gesetz möglich. Der Gesetzgeber muss dabei rechtfertigen, warum die Erfassung notwendig ist. Und er muss klar festlegen, welchem Zweck die Sammlung dient, nur für diesen darf sie verwendet werden. Das Einwohnermeldeamt zum Beispiel darf den Namen, das Geburtsdatum und den Wohnort einer Person speichern, weil ein funktionierendes Meldewesen in Deutschland – übrigens anders als in manchen anderen Staaten – als Voraussetzung einer geordneten Verwaltung angesehen wird, von der Bestimmung des zuständigen Finanzamtes bis zur Information an die Sicherheitsbehörden, wenn eine Person gesucht wird. Die Zulassungsbehörde speichert, wer Halter oder Halterin welchen Autos ist, weil das zum Beispiel für die Haftung bei Unfällen wichtig ist. Das Finanzamt darf die Daten speichern, die es braucht, andere nicht und vor allem: Andere staatliche Behörden dürfen nicht ohne weiteres auf diese Informationen zugreifen. Für anonymisierte Daten, bei denen kein Rückschluss möglich ist, von wem sie stammen, gelten diese Regeln allerdings nur eingeschränkt.

Die Volkszählung fand erst 1987 statt und in einer Form, die dem neu anerkannten Grundrecht entsprach. Das Urteil wirkte aber weit über Volkszählungen hinaus. Der Staat muss seither Vorkehrungen dafür treffen, dass Daten nicht missbräuchlich verwendet werden. Das kann er durch Verfahrensvorschriften tun – die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder beruhen zum großen Teil auf dieser Entscheidung – und auch dadurch, dass er den staatlichen Datenschutzbeauftragten die Kontrolle ermöglicht.

QuellentextSchutz für die Festplatte

Steht eine Person in Verdacht, eine Straftat begehen zu wollen, und vermuten die Sicherheitsbehörden auf ihrer Computer-Festplatte Informationen, zum Beispiel über weitere Verdächtige, können sie unter bestimmten Umständen die Festplatte beschlagnahmen.

Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) reichte das in manchen Fällen nicht aus, zum Beispiel, weil eventuelle Personen im Hintergrund dadurch gewarnt werden könnten, und im Übrigen, weil nicht jede Behörde überhaupt zu solchen Mitteln greifen kann. Der Verfassungsschutz schaut also heimlich auf die Festplatte. Technisch gibt es dafür verschiedene Wege, der Bundesnachrichtendienst nutzt die Methoden seit langem.

Erst als das Bundeskriminalamt (BKA) neue Befugnisse zur Gefahrenabwehr bekommen sollte, darunter auch die zur Online-Untersuchung von Computern, wurde die Methode bekannt und war sofort stark umstritten. Nordrhein-Westfalen gab noch vor der Verabschiedung eines Bundesgesetzes für das BKA seinem Verfassungsschutz das Recht, Computer auszuspähen. Mehrere Bürgerinnen und Bürger erhoben Verfassungsbeschwerde.

Warum genau Grundrechte verletzt sein könnten, war zuerst nicht klar: Um informationelle Selbstbestimmung geht es hier nicht, weil nicht die personenbezogenen Daten Vieler gesammelt werden. Der Schutz der Wohnung könnte verletzt sein, jedenfalls dann, wenn ein Ermittler oder eine Ermittlerin sich heimlich in der Wohnung am Computer zu schaffen macht, vielleicht aber auch bei einem Online-Zugriff, wenn der Computer zu Hause steht. Was aber, wenn nicht? Die Telekommunikationsfreiheit greift nur, solange jemand zum Beispiel per Computer kommuniziert.

Dem Verfassungsgericht genügte das nicht. Hier, so entschied es, geht es um etwas anderes als nur elektronische Kommunikation. Computer – oder auch Mobiltelefone mit Zusatzfunktionen, elektronische Terminkalender – können so viele Informationen enthalten, dass sich daraus ein ganzes Profil der Überwachten erstellen ließe. Das müsse verhindert werden. Wie unter anderem beim Datenschutz griff das Bundesverfassungsgericht auch hier zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das greift, wenn der technisch-wissenschaftliche Fortschritt zu neuen Gefährdungen für die Persönlichkeit führt, vor denen der bzw. die Einzelne geschützt werden muss. In diesem Fall nannten sie das Recht „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“.

Online-Untersuchungen sind auch nach dieser Entscheidung möglich, allerdings nur unter engen Voraussetzungen. Vor allem muss es Hinweise dafür geben, dass so wichtige Rechtsgüter gefährdet sind wie Leib, Leben oder Freiheit. Nach diesen Maßstäben hat das Bundesverfassungsgericht 2016 auch die entsprechende Vorschrift für das Bundeskriminalamt beanstandet. Für die Strafverfolgung darf die Online-Durchsuchung genutzt werden – die Strafprozessordnung stellt ähnlich hohe Hürden wie für die Wohnraumüberwachung, den großen Lauschangriff, vor.

Während Datenschützer die Entscheidung und das neue Grundrecht begrüßten, bezweifelten manche Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, dass das Grundrecht außerhalb der Online-Untersuchung überhaupt noch einmal zur Anwendung kommen würde und hielten deshalb die sehr grundsätzliche Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts für unnötig. Tatsächlich ist auch viele Jahre nach dieser Entscheidung noch nicht klar, wie breit sich das neue Grundrecht auswirken wird. Der frühere Innenminister Gerhart Rudolf Baum, einer der Verfassungsbeschwerdeführer, der das Karlsruher Urteil erstritten hat, verlangt, dass die Ideen des Urteils auch viel breiter im Privatrecht zur Geltung kommen sollten, wenn Unternehmen Zugriff auf Daten haben können – sei es bei Nutzung von Speicherplatz in der Cloud oder über Worte, die Bürgerinnen und Bürger Siri oder Alexa anvertrauen.

Gudula Geuther

(© Eigene Darstellung auf Grundlage von picturealliance / dpa Grafik )

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hat außerdem in vielen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine Rolle gespielt. Unter anderem 2006, als die Richterinnen und Richter eine Rasterfahndung in Nordrhein-Westfalen (eine automatisierte Suche nach bestimmten gespeicherten Merkmalen, in dem Fall im Zuge der Anschläge auf die USA vom 11. September 2001) für verfassungswidrig erklärten. Eine solche Nutzung der zu anderen Zwecken gesammelten Daten sei nur bei konkreter Gefahr erlaubt, also nur, wenn eine Gefahr in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen würde. Es durfte also nicht ohne weitere Hinweise auf konkrete Gefahren nach möglicherweise gefährlichen Personen gesucht werden, indem man der Suche bestimmte Merkmale zugrunde legte, die zwar die Attentäter des 11. September kennzeichneten, vor allem aber auf viele unschuldige Menschen zutrafen (jung, männlich, Muslim, bestimmte Herkunft, technische Studiengänge).

Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung begründete das Bundesverfassungsgericht 2014 auch, warum in der Anti-Terror-Datei bestimmte Daten nicht gespeichert werden dürfen – zum Beispiel müssen Daten von bloßen Kontaktpersonen ohne eigenen Bezug zu Terrorismus besonders zurückhaltend gespeichert werden. In ihrer Entscheidung zum BKA-Gesetz haben die Richterinnen und Richter des Ersten Verfassungsgericht-Senats ihre Maßstäbe für den Umgang des Staates mit dem Datenschutz in der Gefahrenabwehr teilweise zusammengefasst, teilweise auch verändert. Unter anderem ist seitdem klarer, wann staatliche Behörden personenbezogene Daten mit anderen Staaten austauschen dürfen.

Das Volkszählungsurteil bezog sich nur auf das Verhältnis von Staatsangehörigen und Staat. Derzeit wird besonders über den Umgang von (privaten) Unternehmen mit erhobenen oder gekauften Datensätzen diskutiert. Hierfür wurden einfache Gesetze geändert – aus Sicht der Unternehmen wurden sie verschärft. Manche plädieren dafür, ein Grundrecht auf Datenschutz ausdrücklich ins Grundgesetz zu schreiben. Die Gegenpartei eines solchen weiteren Grundrechts fürchtet, dass eine klare allgemeine Regel kaum formuliert werden könne. Außerdem wäre es das erste Mal, dass ein Grundrecht nicht in erster Linie gegenüber dem Staat, sondern ganz allgemein zwischen Privaten gelte (Fall Lüth, siehe Kasten "Interner Link: Erich Lüth und die Meinungsfreiheit"). Das passe nicht zum Grundrechtsbild des Grundgesetzes.

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährt in Artikel 8 den Schutz der personenbezogenen Daten. Schon seit 1995 verpflichtet eine EU-Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu, Mindeststandards zu wahren. Die Datenschutz-Grundverordnung (DGSVO), die seit dem 25. Mai 2018 in allen Mitgliedstaaten der EU unmittelbar anzuwenden ist, gibt seitdem den rechtlichen Rahmen für die Verarbeitung personenbezogener Daten vor. Artikel 5 DGSVO enthält sechs Grundsätze, die bei der Datenverarbeitung zu beachten sind, nämlich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung, die Zweckbindung, der Grundsatz der Datenminimierung, die Richtigkeit der Daten, die Speicherbegrenzung und die Integrität und Vertraulichkeit. Die im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts enthaltenen Maßgaben, insbesondere das für jede Datenerhebung geltende Erfordernis der bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlage, finden sich darin wieder.

Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme

Gerade beim Umgang mit Daten zeigt sich, dass Grundrechte keine statischen Gebilde sind, sondern ständig auf ihre Tauglichkeit überprüft werden müssen. Veränderungen der Technik und der Lebensweise können neue Antworten erfordern. Bei Eingriffen in informationstechnische Systeme durch Sicherheitsbehörden genügen die Gewährleistungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts nicht mehr, denn hier können Daten über die Betroffenen in einem großen Umfang gewonnen werden, die einen Einblick in wesentliche Teile ihrer Lebensgestaltung und unter Umständen sogar ein aussagekräftiges Persönlichkeitsbild ermöglichen.

Wegen der Tiefe dieses Grundrechtseingriffs verlangt das Bundesverfassungsgericht hohe Anforderungen zu seiner Rechtfertigung. So ist dieser nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut (Leib, Leben, Freiheit der Person, Bestand des Staates, Grundlagen der Existenz der Menschen) bestehen. Auch muss ein Gericht eine solche Maßnahme anordnen, und der Kernbereich privater Lebensgestaltung ist zu beachten. Hierzu gehört insbesondere die Äußerung innerster Gefühle und die Sexualsphäre [= der Lebensbereich, in dem Menschen ihre Sexualität ausleben, Anm. d. Red.].

Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG regelt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Beides erscheint uns heute als Selbstverständlichkeit. Die Vorschrift wurde aber unter dem Eindruck der massenhaften Morde geschaffen, die durch staatliche Maßnahmen in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes geschahen. Die Weimarer Reichsverfassung enthielt keine vergleichbare Vorschrift. Das Grundrecht steht unter Gesetzesvorbehalt, das heißt Einschränkungen dürfen auf Grund eines Gesetzes vorgenommen werden. Wegen der hohen Bedeutung des Grundrechts auf Leben und der engen Verbindung zur Garantie der Menschenwürde werden Eingriffsbefugnisse nur auf der Grundlage eines formellen Gesetzes geregelt werden können.

Gesetzliche Befugnisse, die zu Eingriffen in das Recht auf Leben, also zur Tötung eines Menschen ermächtigen, sind in der deutschen Rechtsordnung selten. Zudem ist die Todesstrafe als staatliche Strafsanktion für die Begehung einer Straftat durch Artikel 102 GG verboten. Es gibt jedoch Bereiche, in denen die Tötung eines Menschen als „ultima ratio“ (=letztes geeignetes Mittel, letztmöglicher Weg) erlaubt ist:

§ 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes erlaubte in seiner ursprünglichen Fassung den Abschuss eines Flugzeugs, das als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll. Die Vorschrift wurde als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA geschaffen und sollte als Rechtsgrundlage für Abwehrmaßnahmen gegen vergleichbare Anschläge dienen. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass diese Vorschrift mit dem Grundrecht auf Leben insoweit vereinbar war, als sie die Anwendung von Waffengewalt gegen ein unbemanntes Flugzeug oder gegen ein nur von „Angreifern“ besetztes Flugzeug erlaubte. Nicht mehr grundrechtskonform war die Vorschrift aber, soweit sie auch zum Abschuss eines mit unschuldigen Passagierinnen und Passagieren besetzten Flugzeugs ermächtigte. Die Regelung war mit dem Grundrecht auf Leben in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde nicht mehr zu vereinbaren, weil die davon betroffenen Opfer durch ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer Menschen benutzt worden wären, also zum bloßen Objekt staatlichen Handelns geworden wären. Die Entscheidung war lange Zeit umstritten. Nach Uneinigkeit zwischen den Senaten des Bundesverfassungsgerichts haben sie sich inzwischen geeinigt: Einige Punkte der Entscheidung wurden zwar relativiert, nicht aber der absolute Schutz der Menschenwürde.

Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit sind demgegenüber in unserer Rechtsordnung schon häufiger vorgesehen. Ein Beispiel ist die in der Strafprozessordnung zur Aufklärung von Straftaten vorgesehene Blutentnahme.

Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit kann auch durch Umwelteinflüsse beeinträchtigt werden. Dies gilt insbesondere bei Technologien, von denen ein hohes Gefährdungspotenzial ausgehen kann, wie etwa die Atomkraft. Es darf also nicht der freien Entscheidung etwa eines Stromerzeugers überlassen bleiben, ob er eine solche Anlage errichtet und welche Sicherheitsvorkehrungen er dabei beachtet oder nicht. Der Staat ist verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz gegen die Gefahren der friedlichen Nutzung der Atomkraft zu treffen. Hierzu gehören Regelungen, die inhaltliche Anforderungen für die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen beinhalten und Verfahrensregelungen für die Genehmigung solcher Anlagen. In seiner Entscheidung zum Atomausstieg hat das Bundesverfassungsgericht zwar 2016 Konzernen wegen der konkreten Gestaltung des zweiten Ausstiegsgesetzes von 2012 dem Grundsatz nach eine Entschädigung zugesprochen. Gleichzeitig stellte es aber auch klar, dass die Entscheidung über den Umgang mit Hochrisiko-Technologien und damit auch die Entscheidung über den Ausstieg Sache des Gesetzgebers ist.

QuellentextKlima und Freiheit

„Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr unsere Zukunft klaut!“ – das ist einer der Slogans auf Demonstrationen von „Fridays for Future“. Junge Menschen brachten diesen Gedanken vor das Bundesverfassungsgericht. Und die Karlsruher Richterinnen und Richter gaben ihnen teilweise Recht. Unter anderem hatten die Klägerinnen und Kläger das 2019 erlassene Klimaschutzgesetz kritisiert. Der Staat schaffe keine ausreichenden Regelungen zur Verringerung der Emission von Treibhausgasen, vor allem CO2. Letztlich wollten sie konkretere Maßnahmen zum Klimaschutz erreichen. In diesem Punkt hatten sie keinen Erfolg. Aber der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts gab dem Klimaschutz Verfassungsrang. Er interpretierte einen Artikel des Grundgesetzes konkreter als andere ihn bis dahin verstanden hatten. Artikel 20a besagt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Die Richterinnen und Richter folgerten daraus unter anderem, dass der Staat verpflichtet sei, Klimaneutralität anzustreben. Gleichzeitig sprachen sie dem Staat eine große Freiheit in der Frage zu, wie er das erreichen will. Sie akzeptierten das Ziel des Klimaschutzgesetzes, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen sei. Erfolg hatten die Klagen, weil die Richterinnen und Richter den Gesetzgeber sozusagen beim Wort nahmen und den Staat auf dieses Ziel verpflichteten. Deutschland müsse darauf auch international hinwirken und könne sich nicht darauf zurückziehen, dass andere Länder nicht mitmachen.

In dem Beschluss nutzt das Verfassungsgericht dafür eine neue rechtliche Konstruktion: Es stellt auf die Freiheit nicht nur der Klägerinnen und Kläger ab, sondern insgesamt auf die künftigen Generationen. Vereinfacht gesagt: Die Möglichkeit, CO2 zu verbrauchen, kann Voraussetzung für die Verwirklichung von Freiheit sein. Das muss der Gesetzgeber im Blick haben, auch wenn er den Verbrauch von Kontingenten regelt – immer mehr, je weniger CO2 oder Freiheit übrig bleibt. Ganz konkret folgt nach dem Beschluss daraus allerdings nur die Pflicht, die entsprechenden Pläne im Sinne von Transparenz und offener politischer Verantwortung über das Jahr 2030 hinaus fortzuschreiben. Nach wie vor sind viele Fragen in Zusammenhang mit diesem Beschluss offen.

Die Wirkung auf die Politik ist schwer zu messen. Gerichte haben sich nur in Einzelfällen auf den Klimabeschluss berufen, etwa in Freiburg, wo hohe Parkgebühren für rechtmäßig befunden wurden. Diskutiert wird auch, ob diese neue Konstruktion auch ein rechtliches Argument dafür sein kann, in Haushalts- oder Sozialversicherungsfragen die Interessen künftiger Generationen stärker zu berücksichtigen. Allerdings spielt für die Klima-Entscheidung Art 20a GG eine große Rolle. Eine vergleichbare Vorschrift im Grundgesetz gibt es für die anderen Themen nicht.

Gudula Geuther

Recht auf Freiheit der Person

Das Recht auf Freiheit der Person ist in Zusammenhang mit Artikel 104 GG zu lesen. Geschützt wird die körperliche Bewegungsfreiheit, also das Recht, einen beliebigen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, sofern dieser zugänglich ist. Eingriffe sind nur auf der Grundlage eines vom Parlament verabschiedeten Gesetzes (also nicht auf untergesetzlicher Grundlage wie etwa einer Satzung) möglich. Jede Beschränkung der Freiheit beschränkt das Grundrecht, insbesondere Verhaftungen, Festnahmen oder auch zwangsweise Unterbringungen in Heimen oder Anstalten. Aus Art. 104 Abs. 2 GG ergibt sich zusätzlich, dass über jede Freiheitsentziehung ein Richter oder eine Richterin zu entscheiden hat, dass diese Entscheidung unverzüglich herbeizuführen ist und dass ohne eine richterliche Entscheidung niemand länger als bis zum Ablauf des auf die Ergreifung folgenden Tages festgehalten werden darf.

Gleichheit vor dem Gesetz

Artikel 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Art. 3 Abs. 1 GG beinhaltet eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Regelungen im Grundrechtsbereich. Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, Gleiches ungleich zu behandeln. Ebenso darf Ungleiches nicht gleichbehandelt werden. Kurz gefasst könnte man sagen: Gleiches Recht für alle.

Wenn es heißt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, liegt die Formulierung nahe, dass der Gleichheitssatz in erster Linie die Verwaltung und die Rechtsprechung verpflichtet, da das Verhältnis dieser Gewalten zu den Bürgerinnen und Bürgern gerade durch die Anwendung von Gesetzen geprägt ist. Auch darf der Gesetzgeber nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen, insoweit ist der Wortlaut etwas missverständlich.

Der Gleichheitssatz kommt nicht nur in Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck, an anderer Stelle im Grundgesetz sind ebenfalls (speziellere) Gleichheitsgrundrechte geregelt:

  • Art. 3 Abs. 2 GG regelt die Gleichbehandlung von Männern und Frauen.

  • Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet eine Ungleichbehandlung aufgrund verschiedener Kriterien (Geschlecht, Abstammung, „Rasse“, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, religiöse/politische Anschauung).

  • Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbietet eine Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen.

  • Art. 6 Abs. 5 verbietet die Benachteiligung „unehelicher“ Kinder.

  • Art. 33 Abs. 1 gibt jedem deutschen Staatsangehörigen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

  • Art. 33 Abs. 2 verbietet beim Zugang zu öffentlichen Ämtern andere Unterscheidungen als nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung und

  • Art. 33 Abs. 3 stellt klar, dass in diesen Fragen auch die Religion keine Rolle spielen darf.

QuellentextArtikel 3 GG und die „Rasse“

Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG enthält besondere Diskriminierungsverbote. Die Verwendung des Begriffs der „Rasse“ lässt sich aus den Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus erklären. Mit der Anknüpfung an den Rassebegriff wollte man dem Rassewahn der Nationalsozialisten eine deutliche Absage erteilen und genau die damit einhergehende Diskriminierung verbieten. Die Vorschrift verbietet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Diskriminierung aus rassistischen Gründen (BVerfG, Beschl. vom 02.11.2020 - 1 BvR 2727/19 -).Allerdings wird kritisiert, dass durch die weitere Verwendung des Begriffs der „Rasse“ in der Verfassung der gedankliche Ansatz der NS-Ideologie, Menschen könnten nach unterschiedlichen „Rassen“ in einem biologischen Sinne unterschieden werden, reproduziert wird. Daher wird die Abschaffung bzw. die Ersetzung dieses Begriffs gefordert. Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die 20. Wahlperiode sieht vor, den Begriff zu ersetzen, enthält aber noch keinen Formulierungsvorschlag.

Mathias Metzner

Wann aber liegt eine Ungleichbehandlung vor? Genau genommen gibt es ja gerade nicht zwei völlig gleiche Menschen, alle Menschen unterscheiden sich voneinander. Auch wird es nie zwei völlig gleiche Lebenssachverhalte geben. Die Vergleichbarkeit hängt immer von bestimmten Gesichtspunkten ab. Mit jeder Regelung eines bestimmten Sachverhalts ist also immer auch eine Differenzierung verbunden. Letztlich hängt es von den für eine Differenzierung angeführten Gründen ab, ob eine gleichheitswidrige Behandlung vorliegt oder nicht.

Der Gesetzgeber, die Verwaltung und die Gerichte können also differenzieren, regelmäßig müssen sie es sogar. Will der Gesetzgeber zum Beispiel Arbeitslose unterstützen, schließt er damit diejenigen von der Hilfe aus, die Arbeit haben, das liegt in der Natur der Sache. Nicht immer liegt das aber so klar auf der Hand. Ob eine Differenzierung den Gleichheitssatz verletzt und die Ungleichbehandlung dadurch verfassungswidrig wird, hängt davon ab, ob sie durch einen hinreichend gewichtigen Grund gerechtfertigt ist.

Wird zwischen Personengruppen unterschieden (Beispiel: Arbeiter oder Angestellte; Ausländer oder Deutsche), gilt grundsätzlich ein strenger Prüfungsmaßstab. Die Ungleichbehandlung muss durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein, wobei dieser Rechtfertigungsgrund in einem angemessenen Verhältnis zu der Ungleichbehandlung stehen muss. Je schwerer die Ungleichbehandlung wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe sein, die dafür angeführt werden.

Beispiel: Bei der Einführung der Pflegeversicherung als Volksversicherung bestimmte der Gesetzgeber, dass alle krankenversicherten Bürgerinnen und Bürger auch pflegeversichert sein sollten. Hierzu sah er eine Versicherungspflicht für die gesetzlich oder privat krankenversicherten Bürgerinnen und Bürger (zusammen 98 Prozent der Bevölkerung) vor. Der übrige Teil der Bevölkerung – der also nicht krankenversichert war – unterlag nicht der Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung. Die betroffenen Personen hatten aber auch keine andere Möglichkeit, in die Pflegeversicherung einzutreten. Das Bundesverfassungsgericht sah darin eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung: Der Gesetzgeber hätte diese Menschen, die gleichermaßen pflegebedürftig werden könnten, nicht generell vom Zugang zur Pflegeversicherung ausschließen dürfen. Sie müssten sich zumindest freiwillig versichern können. Hinreichend gewichtige Gründe, dies zu verwehren, sah das Gericht nicht: Der Gesetzgeber habe auch bei der ursprünglichen Regelung Menschen einbezogen, die bereits pflegebedürftig seien oder bei denen ein hohes Risiko für eine Pflegebedürftigkeit bestehe. Die Sorge, dass bei der Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung ebenfalls Personen mit hohem Risiko der Pflegebedürftigkeit in die Pflegeversicherung eintreten könnten, sei daher keine Rechtfertigung. Der Ausschluss der betroffenen Personen war somit gleichheitswidrig, der Gesetzgeber wurde aufgefordert, auch für diese einen Zugang zur Pflegeversicherung zu schaffen.

Von vornherein verboten ist allerdings eine Anknüpfung der Ungleichbehandlung an die in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Merkmale (Geschlecht, Abstammung, „Rasse“, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, religiöse/politische Anschauung). Differenzierungen, die an diese Merkmale anknüpfen, sind in keinem Fall zu rechtfertigen. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG wurde erst im Zuge einer Verfassungsreform im Jahre 1994 eingefügt und erweitert den Kreis der speziellen Diskriminierungsverbote: Die Vorschrift verbietet die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen.

QuellentextGrundrechtsschutz durch das Selbstbestimmungsgesetz

Volljährige transidente, intergeschlechtliche und nicht binäre Menschen können künftig mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Grundlage dafür ist das neue Selbstbestimmungsgesetz, das der Bundesrat abschließend gebilligt hat.

Bei Kindern unter 14 Jahren sollen die Eltern die nötige Erklärung beim Standesamt einreichen können. Jugendliche ab 14 Jahren können dies selbst tun, allerdings nur mit Einverständnis der Eltern. In beiden Fälle ist aber eine Erklärung über eine vorherige Beratung notwendig.

Eine Begrenzung, wie oft der Geschlechtseintrag geändert werden kann, gibt es nicht. Allerdings soll es eine Sperrfrist von einem Jahr geben – erst danach ist eine erneute Änderung möglich. Für das Inkrafttreten der Änderung des Geschlechtseintrags gilt eine Dreimonatsfrist.

Die für eine Änderung verlangte „Erklärung mit Eigenversicherung“ erfordert keine Gutachten und wird nicht gerichtlich überprüft. Sie ist unabhängig davon, inwieweit sich der oder die Betroffene zu geschlechtsangleichenden medizinischen Eingriffen entscheidet. Betroffene müssen lediglich erklären, dass die beantragte Änderung ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht.

Das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt das umstrittene Transsexuellengesetz. Die bisherige Regelung aus dem Jahr 1980 hatte vorgesehen, dass Betroffene für eine Änderung des Geschlechts- oder Vornamenseintrags zwei psychologische Gutachten einreichen müssen. Am Ende entschied dann das zuständige Amtsgericht. Teile der Vorschriften wurden aber inzwischen vom Bundesverfassungsgericht verworfen. Betroffene empfanden die bisherigen Regelungen vielfach als langwierig, teuer, erniedrigend und diskriminierend – sie sprechen von einer „psychiatrischen Zwangsbegutachtung“.

Das neue Gesetz ist ein Koalitionsvorhaben der Ampelregierung. Der Bundestag verabschiedete es im April, eine Zustimmung des Bundesrats war nicht dafür notwendig. Das Gesetz tritt zum 1. November 2024 in Kraft. Ab dem 1. August können betreffende Personen sich beim Standesamt für eine Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens anmelden.

Transidente oder transgeschlechtliche sind Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Als intergeschlechtlich werden Menschen bezeichnet, die körperliche Geschlechtsmerkmale haben, die nicht ausschließlich männlich oder weiblich sind. Unter nicht binär werden Menschen verstanden, die sich selbst nicht in die gängige Geschlechtseinteilung in Frau/Mann einordnen.

Philip-Johann Moser, „Bundesrat billigt erleichterte Änderung des Geschlechtseintrags“, in: ZEIT Online vom 17. Mai 2024. Online: Externer Link: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-05/bundesrat-billigt-selbstbestimmungsgesetz-geschlechtseintrag-transgender

Quelle: AFP

Die sexuelle Orientierung wird in Artikel 3 nicht genannt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber entschieden, dass der Gesetzgeber besonders gute Gründe braucht, wenn es um eine Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung geht. Immer wieder haben die Richterinnen und Richter unter anderem deshalb gefordert, dass Personen, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, nicht schlechter gestellt werden dürfen als Eheleute.

Viele Unterschiede in der rechtlichen Behandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft wurden allmählich beseitigt. So ist in einer Lebenspartnerschaft zwar eine gemeinsame Adoption eines Kindes bis heute nicht möglich, allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 19. Februar 2013 (1 BvL 1/11) entschieden, dass die Sukzessivadoption – also die Adoption eines Kindes, welches ein Lebenspartner adoptiert hatte, durch den anderen Lebenspartner – möglich sein muss. Auch im Einkommenssteuerrecht hat das Bundesverfassungsgericht den Ausschluss der eingetragenen Lebenspartnerinnen und -partner von der Begünstigung des Ehegattensplittings als gleichheitswidrig angesehen (Beschluss vom 7. Mai 2013 - 2 BvR 909/06). Im Recht der Beamtenbesoldung, bei der betrieblichen Altersversorgung und im Erbschaftssteuerrecht wurden anfänglich noch bestehende Unterschiede unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz beseitigt.

Einen größeren Spielraum hat der Gesetzgeber aber dort, wo nicht Personen ungleich behandelt werden, sondern lediglich Sachverhalte, wie etwa bei technischen Regelungen, die von vornherein keinen menschlichen Bezug aufweisen. Hier darf der Gesetzgeber lediglich nicht willkürlich handeln.

Art. 3 Abs. 2 GG ist die Grundlage für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Danach ist das Geschlecht eines Menschen kein zulässiger Grund für eine Differenzierung.

Beispiel: Eine im Jahre 1957 vorgenommene Änderung des Familienrechts sah vor, dass das Sorgerecht zwar grundsätzlich von Mutter und Vater ausgeübt werden sollte. Für den Fall aber, dass sich beide nicht einig werden konnten, war der sogenannte Stichentscheid des Vaters maßgeblich. Er sollte also das letzte Wort haben. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass dies gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau entfalte auch im durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern seine volle Bedeutung.

Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit

Artikel 4

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Artikel 4 GG regelt die Glaubensfreiheit, die Gewissensfreiheit und das Recht der Kriegsdienstverweigerung.

Die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit beinhaltet zum einen die innere Freiheit, einen Glauben oder eine Weltanschauung zu haben, und zum anderen die nach außen gerichtete Freiheit, den Glauben zu äußern, sich zu ihm zu bekennen, ihn zu verbreiten und dem Glauben und der Weltanschauung entsprechend zu handeln. Umgekehrt ist es von der Glaubensfreiheit auch geschützt, seinen Glauben nicht zu bekennen. Besonders wichtig bei der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Religionsfreiheit ist der Schutz des nach außen gerichteten Handelns. Hierzu gehört nicht nur die ungestörte Religionsausübung zu Hause sowie in Kirchen und Gebetsräumen. Erfasst werden auch eine missionarische Tätigkeit, der Bau von Kirchen, Synagogen und Moscheen, Sammlungen für kirchliche Zwecke, aber auch sakrales Kirchengeläut (nicht allerdings das Schlagen der Kirchturmuhr), der Ruf des Muezzins und bestimmte Bekleidungsvorschriften, wie etwa das Tragen eines Kopftuchs.

QuellentextNicht nur ein Stück Stoff?

Es sind vor allem Bekleidungsvorschriften aus muslimisch geprägten Kulturen, die immer wieder für Diskussionen sorgen. Dabei ist es im Allgemeinen völlig klar, dass alle, die das wollen, auch ein Kopftuch tragen können. Grundrechtlich geschützt ist das nicht nur durch die Religionsfreiheit (wenn das der Grund für das Kopftuch ist), sondern auch durch die allgemeine Handlungsfreiheit.

Fragen stellen sich aber, wenn der Staat mit ins Spiel kommt. Kritische Stimmen bemühen sich aus unterschiedlichen Gründen, das Kopftuch möglichst aus dem staatlich geprägten Bereich des öffentlichen Lebens zu verbannen. Vor allem Frauenrechtlerinnen befürchten, junge Mädchen könnten durch das Kopftuch in ihrer Entwicklung behindert werden. Für diese Gruppe steht das Tuch für ein Gesellschaftsbild, in dem sich die Frau dem Mann unterzuordnen hat. Je mehr ein junges Mädchen mit solchen Bekleidungsregeln konfrontiert würde, desto weniger habe es der Familie entgegenzusetzen, die sie zum Tragen des Tuchs zwingen will.

Zum Streit führt die Frage deshalb vor allem, wenn Lehrerinnen, die für ihre Schülerinnen Vorbild sein können, mit Kopftuch unterrichten wollen. Das Land Baden-Württemberg stellte deshalb schon 1998 eine Lehrerin nicht ein, die auch im Unterricht nicht auf die Bekleidung verzichten wollte. 2003 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das ohne Gesetz nicht möglich sei. Das Land Baden-Württemberg hatte argumentiert, dass der Koran das Kopftuch nicht unbedingt vorschreibe. Eine solche Definition religiöser Interpretation durch Dritte ließ das Gericht nicht gelten, die Richterinnen und Richter hinterfragten aber auch darüber hinaus die Motivation der Lehrerin nicht. In der Entscheidung spielten die Grundrechte der Lehrerin eine große Rolle. Anders als beim Kruzifix im Klassenzimmer steht den Lernenden hier eben nicht nur der Staat, sondern eine Persönlichkeit gegenüber. Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats gestanden dabei zu, dass wegen der zunehmenden weltanschaulichen Pluralität in Deutschland möglicherweise neue Regeln sinnvoll sein könnten. Die könne ein Landesgesetzgeber dann allgemein – nicht mit Blick zum Beispiel nur auf das Kopftuch – schaffen.

Acht Länder taten das, mit unterschiedlichen Regeln. Teilweise wird dabei argumentiert, ein Kopftuch sei gar nicht unbedingt religiös, sondern möglicherweise politisch und als Zeichen einer bestimmten Ideologie, gemeint und zu verstehen. Das Land Nordrhein-Westfalen zum Beispiel bestimmte in seinem Schulgesetz: „Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt.“

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2015 über dieses Gesetz aus Nordrhein-Westfalen zu entscheiden, und es änderte seine Rechtsprechung: Pauschale Kopftuchverbote dürfe der Staat nicht erlassen. Eine äußere religiöse Bekundung wie das Kopftuch könne der Lehrkraft nur verboten werden, wenn daraus nicht nur ein abstrakte, sondern eine „hinreichend konkrete“ Gefahr für den Schulfrieden entsteht. Und: Wenn sich ein Land gegen solche äußeren Bekundungen wendet, dann darf nicht zwischen Religionen oder Weltanschauungen unterschieden werden. „Christliche Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“ dürfen deshalb nicht besser behandelt werden als andere. Eine entsprechende Vorschrift des nordrhein-westfälischen Gesetzes erklärten die Richterinnen und Richter deshalb für nichtig. Seitdem hat es um Lehrerinnen, die im Unterricht ein Kopftuch tragen wollten, immer wieder Auseinandersetzungen gegeben. In Berlin zum Beispiel hat sich die Regierung 2023 vorgenommen, die Möglichkeit von Verboten zu erhalten. Sie muss dafür aber belegen, wann konkrete Gefahren für Bildungsauftrag und Schulfrieden vorliegen.

Streit um Bekleidungsregeln gibt es nach wie vor. Für die rechtliche Bewertung kommt es darauf an, in welchem Zusammenhang sich die Fragen stellen. So wäre es etwa unproblematisch, die Vollverschleierung durch Burka oder Niqab überall dort zu verbieten, wo sie den Staat an der Aufgabenerfüllung hindert, vor allem um Sicherheit zu gewährleisten – sei es am Steuer eines Autos (dort ist das seit 2017 der Fall) oder bei der Aussage vor Gericht. Anders könnte es aussehen, wenn es nur darum geht, dass sich eine Frau vollverschleiert in der Öffentlichkeit bewegen will. Wieder andere Fragen stellen sich zum Beispiel beim Burkini beim Schulschwimmen. Hier geht es auch um die Frage, ob solche Bekleidung andere Bedenken lindern kann. Ob also eine Schülerin zum Sportunterricht verpflichtet werden kann, wenn sie dabei einen Burkini tragen darf.

Gudula Geuther

Die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubensfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich jedwedes Verhalten, dass sich auf religiöse Überzeugungen und Regeln zurückführen lässt, uneingeschränkt durchsetzen kann. So ist zwar anerkannt, dass religiöse Verhaltensregeln von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt sind. Unter manchen Musliminnen und Muslimen gibt es den Brauch, dass Mädchen sich etwa ab dem 7. Lebensjahr außerhalb der Familie so kleiden, dass der Körper mit Ausnahme von Händen und Gesicht bedeckt bleibt. Dies bedeutet aber nicht, dass unter Berufung auf diese Vorschrift die Teilnahme am Schwimmunterricht verweigert werden dürfte. Die Verpflichtung zur Teilnahme am schulischen Sport- und Schwimmunterricht ist vom staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG getragen. Auch kann die Schülerin durch das Tragen eines sogenannten Burkinis im Schwimmunterricht die religiösen Bekleidungsregeln einhalten.

Gleichzeitig ist die Freiheit geschützt, nicht zu glauben. So darf die Einzelperson nicht gegen ihren Willen von staatlicher Seite den Einflüssen einer bestimmten religiösen Überzeugung ausgesetzt werden. Der Staat muss hier den religiösen Frieden in der Gesellschaft wahren, er darf nicht einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, selbst wenn diese die Mehrheitsgesellschaft darstellt, den Vorzug geben bzw. sich mit dieser Religionsgemeinschaft identifizieren.

Die Gewissensfreiheit schützt die moralische Identität und Integrität des Individuums. Als Gewissensentscheidung ist jede ernsthafte sittliche, das heißt an den Kategorien von „Gut und Böse“ orientierte, Entscheidung anzusehen, die die Einzelperson in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend empfindet, sodass sie gegen sie nicht ohne ernste innere Not handeln könnte. Das Grundrecht schützt ebenso wie bei der Glaubensfreiheit den rein inneren Vorgang des Denkens, das Entäußern von Gewissensentscheidungen wie auch das dadurch bedingte Handeln.

Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung wiederum knüpft an den Begriff der Gewissensentscheidung an. Es besteht nur, wenn der oder die Betroffene aufgrund einer Gewissensentscheidung den mit dem Kriegsdienst verbundenen Zwang zum Töten ablehnt. Dabei genügt es nicht, nur bestimmte Kriege (etwa aus einer bestimmten politischen Überzeugung heraus) abzulehnen, die Entscheidung muss schlechthin jeden Kriegsdienst mit der Waffe betreffen. Darunter fällt auch der Dienst mit der Waffe in Friedenszeiten, also insbesondere die Ausbildung an Waffen. Folge einer berechtigten Kriegsdienstverweigerung ist, dass die anerkannte kriegsdienstverweigernde Person von der Pflicht zur Landesverteidigung freigestellt ist. Das Recht der Kriegsdienstverweigerung hat gegenwärtig – nach der Aussetzung der Wehrpflicht – nur noch Bedeutung für Zeit- und Berufssoldatinnen und -soldaten, die sich nach ihrem freiwilligen Eintritt in die Bundeswehr auf Gewissensgründe berufen.

Freiheit von Meinung, Kunst und Wissenschaft

Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Artikel 5 enthält verschiedene Grundrechte. Absatz 1 regelt die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit sowie die Medienfreiheiten (Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit). Art. 5 Abs. 3 GG regelt die Freiheit von Kunst und Wissenschaft.

Meinungsfreiheit

Frei seine Meinung sagen zu dürfen, ist in einer Demokratie nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern sogar eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass sie funktioniert. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist daher grundsätzlich weit zu verstehen. Es umfasst jede Form der Meinungsäußerung, ohne dass es auf ihren „Wert“ ankäme. Auch polemische Äußerungen sind von der Meinungsfreiheit geschützt. Meinungsäußerungen haben eine subjektive Prägung, sie enthalten ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens. Allerdings fallen auch Tatsachenbehauptungen unter die Meinungsfreiheit. Dies hat seinen Grund darin, dass tatsächliche Annahmen die Voraussetzung für die Meinungsbildung sind oder sein können. Jedoch findet die Meinungsfreiheit ihre Grenze dort, wo bewusst eindeutig unwahre Tatsachen behauptet werden, da diese zu der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsbildung nicht beitragen können.

Beispiel: Die Stadt München befürchtete, dass bei einer Veranstaltung der NPD, bei der ein einschlägig bekannter Redner auftreten sollte, der Holocaust geleugnet werden könnte. Es erging daher gegenüber dem Veranstalter NPD die Auflage, solche Äußerungen während der Veranstaltung sofort zu unterbinden und auf die Strafbarkeit solcher Äußerungen hinzuweisen. Diese Auflage verstieß nicht gegen Art. 5 Abs. 1 GG. Die Verbreitung der Behauptung, es habe in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes keine Judenverfolgung und -vernichtung gegeben, unterliegt als eindeutig unwahre Tatsachenbehauptung nicht der Meinungsfreiheit. Allerdings bedeutet dies nicht, dass jede Äußerung, die sich im Nachhinein als unwahr erweist, automatisch den Schutz der Meinungsfreiheit verliert. Die Anforderungen an die Wahrheitspflicht dürfen nur so bemessen werden, dass die Ausübung der Meinungsfreiheit nicht aus Furcht vor staatlichen Sanktionen unterbleibt.

Die Bürgerinnen und Bürger dürfen also ihre Meinung äußern, und sie dürfen sie verbreiten. Welche Medien sie dafür wählen („Wort, Schrift und Bild“), bleibt ihnen überlassen, auch Meinungsäußerungen im Internet sind davon erfasst. Umgekehrt schützt die Meinungsfreiheit aber auch das Recht, die eigene Meinung nicht äußern zu müssen. Dabei ist es nicht von Bedeutung, aus welchen Gründen die Meinung geäußert oder zurückgehalten wird. Ob aus politischen, rein privaten oder auch wirtschaftlichen Motiven.

QuellentextErich Lüth und die Meinungsfreiheit

Schon sehr früh machte das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass die Grundrechte sehr viel mehr sein können als Abwehrrechte gegen den Staat. In einer Auseinandersetzung über Meinungsfreiheit und Boykott vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit erklärten sie das Grundgesetz zu einem „Wertesystem“. In seinem Mittelpunkt steht demnach die menschliche Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet – und das hat Auswirkungen auch im Verhältnis von Privatleuten zueinander.

1950 sollte der Film „Unsterbliche Geliebte“ in der „Woche des deutschen Films“ gezeigt werden. Dies veranlasste den Publizisten Erich Lüth zu einer scharfen Kritik, denn der Regisseur des Films, Veit Harlan, war in der Nazizeit mit seinem antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“ bekannt geworden. Harlans Produktionsfirma forderte Lüth daraufhin zu einer Klarstellung auf. Doch Lüth legte nach, er bezeichnete es als „Pflicht aller anständigen Deutschen“, den Film zu boykottieren. Im darauffolgenden Streit vor den Zivilgerichten bekamen die Produktions- und die Verleihfirma Recht: Veit Harlan sei im Strafverfahren freigesprochen worden, für seine Berufsausübung gebe es keine Beschränkungen. Den Boykottaufruf qualifizierten die Zivilrichter als „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch.

Beim Bundesverfassungsgericht dagegen hatte Erich Lüth Erfolg. Sein Aufruf, so entschieden die Verfassungsrichter, sei vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. In dieser Entscheidung stellten die Richter Weichen für das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und für die Grundrechte allgemein:

Was das Recht auf Meinungsfreiheit betrifft, so hat es nach dem Grundgesetz seine Schranken in „allgemeinen Gesetzen“ zum Schutz der Jugend und der persönlichen Ehre. Die Richter entschieden: Solche „allgemeinen Gesetze“ können an sich in Ordnung sein – im Einzelfall müssten Behörden und Gerichte die Gesetze aber trotzdem noch einmal im Licht der Grundrechte genau daraufhin prüfen, ob die Meinungsfreiheit ausreichend zur Geltung komme. In Lüths Fall entschieden sie: Er habe befürchtet, dass das Wiederauftreten Harlans – vor allem im Ausland – so gedeutet werden könne, als habe sich im deutschen Kulturleben seit der Nazizeit nichts geändert. Gegen ein solches Bild habe Lüth sich auch sonst eingesetzt. Andere Mittel als den Boykottaufruf habe er nicht gehabt, dieser sei deshalb rechtmäßig gewesen. Weit über das Urteil und auch über die Meinungsfreiheit hinaus gaben die Richter aber auch dem Verhältnis der Grundrechte zwischen Privaten eine neue Basis. Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes war es ja vor allem darum gegangen, Abwehrrechte gegen den Staat zu schaffen. Hier aber ging es darum, wie sich der Privatmann Lüth gegenüber den ebenfalls privaten Verleih- und Produktionsfirmen verhalten durfte; ein, wie es scheint, rein zivilrechtliches Problem also. Trotzdem sagten die Verfassungsrichter: Auch im Zivilrecht können die Grundrechte wirken. Sie bilden eine objektive Werteordnung, in deren Mittelpunkt sich die menschliche Persönlichkeit befindet, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet. Der Gesetzgeber ist nach dem Grundgesetz ohnehin an diese Werteordnung gebunden. Aber auch Behörden und Gerichte müssen seitdem auch im Zivilrecht die Grundrechte immer dann beachten, wenn sie es mit Begriffen zu tun haben, die mit Werten ausgefüllt werden können oder müssen. Hier entfalten die Grundrechte nun – mit ihrer Ausstrahlungswirkung – eine sogenannte mittelbare Drittwirkung.

Gudula Geuther

Art. 5 Abs. 2 GG ist zu entnehmen, dass die Meinungsfreiheit (wie auch die Pressefreiheit) ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze findet. Das heißt jedoch nicht, dass der Gesetzgeber beliebig Gesetze erlassen dürfte, in denen er die Äußerung bestimmter Meinungen oder die Meinungsäußerung überhaupt untersagt, im Gegenteil. Denn ein „allgemeines Gesetz“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG ist eine Regelung, die weder gegen eine bestimmte Meinung noch gegen den Prozess der Meinungsbildung als solche gerichtet ist. Vielmehr muss diese Regelung dazu dienen, anderweitige Rechtsgüter (wie beispielsweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des und der Einzelnen, wenn es um die Veröffentlichung von Einzelheiten aus der Privatsphäre geht) zu schützen, die schlechthin, also ohne Rücksicht auf bestimmte Meinungen, geschützt werden.

Aber die Beschränkungsmöglichkeiten haben wiederum eine Grenze, nämlich das Zensurverbot, Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG. Das Zensurverbot kann durch beschränkende Gesetze im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG nicht durchbrochen werden. Das Grundgesetz verbietet die sogenannte Vorzensur, also ein präventives Verfahren, vor dessen Abschluss ein Werk nicht veröffentlicht werden darf. Die Zensur verpflichtet also die Autorin oder den Autor eines Werkes, dieses zunächst einer staatlichen Stelle zuzuleiten, die allein entscheidet, ob das Werk veröffentlicht werden darf.

Während der Zeit der Coronavirus-Pandemie wurde gerade aus verschwörungstheoretischen Kreisen und von Corona-Leugnerinnen und -Leugnern häufig der Vorwurf erhoben, sie seien Opfer einer staatlichen Zensur, man hindere sie an der Äußerung ihrer Meinung. Doch gerade der Umstand, dass man in zahlreichen Internetportalen derlei Meinungsäußerungen dieser Agitatoren [Agitation = aggressive Tätigkeit zur Beeinflussung anderer, vor allem in politischer Hinsicht, Anm. d. Red.] lesen kann, belegt das Gegenteil. Ob diese Äußerungen wahr sind oder nicht, spielt keine Rolle, denn auch sie unterliegen der Meinungsfreiheit.

Allerdings haben die Landesmedienanstalten gerade Fälle von Falschinformationen über die Auswirkungen der Corona-Infektion zum Anlass genommen, von den betreffenden Internetmedien die Einhaltung journalistischer Grundsätze einzufordern, wozu sie auf der Grundlage des Medienstaatsvertrags berechtigt sind. Hierbei handelt es sich freilich nicht um eine verbotene Zensur in dem grundgesetzlichen Sinne. Die Befugnisse der Landesmedienanstalten, „alternativen Wahrheiten“ entgegenzutreten, liegen im Abwägungsbereich zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit und dem Interesse der Allgemeinheit, vor gezielter Desinformation geschützt zu werden.

Informationsfreiheit

Es erscheint uns heute als eine Selbstverständlichkeit, uns jederzeit ungehindert aus „allgemein zugänglichen Quellen“ (Art. 5 Abs. 1 GG) informieren zu können. Insbesondere das Internet ist inzwischen ein Medium, durch das sich Informationen in bislang nicht gekannter Fülle abrufen lassen. In der Zeit des NS-Regimes wurde der Zugang zu Informationsquellen jedoch drastisch eingeschränkt: Inländische Zeitungen unterlagen einer starken Zensur. Damals kam insbesondere dem Rundfunk eine besondere Bedeutung zu. Denn ausländische Radioprogramme, die mit starken Kurzwellensendern in deutscher Sprache vom Ausland her in das Deutsche Reich gesendet wurden, unterlagen diesen Beschränkungen nicht. Um zu verhindern, dass sich die Bevölkerung aus diesen Quellen informierte, ordnete der Ministerrat für die Reichsverteidigung mit der „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ vom 1. September 1939 ein Verbot des „absichtlichen Abhörens ausländischer Sender“ an. Verstöße, sogenannte Rundfunkverbrechen, konnten mit Freiheitsstrafe, schwere Verstöße sogar mit der Todesstrafe geahndet werden.

Die grundgesetzlich abgesicherte Informationsfreiheit geht auf diese Erfahrungen zurück. Sie schützt die Freiheit, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Gemeint sind damit solche Medien, die der Allgemeinheit und nicht bloß einem beschränkten Personenkreis zugänglich sein sollen, also beispielsweise Zeitungen, Rundfunkprogramme und das Internet. Als Abwehrrecht verbietet die Informationsfreiheit dem Staat, die Informationsaufnahme zu ver- oder behindern. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beinhaltet allerdings kein Leistungsrecht, das den Staat verpflichten würde, bestimmte, allgemein zugängliche Informationsquellen einzurichten.

QuellentextDie Freiheit der Medien

Als die Väter und Mütter des Grundgesetzes die Freiheit von Presse und Rundfunk besonders schützten, hatten sie eine völlig andere Medienlandschaft im Blick, als sie heute existiert. Internet und Social Media gab es noch nicht, welche Struktur der Rundfunk haben würde, war nicht klar – zumal das damals nur das Radio war. Seitdem hat sich nicht nur die Medienwirklichkeit verändert. Vor allem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde aus dem kurzen Satz in Artikel 5 Absatz 1 zur Rundfunkordnung ein komplexes Gebilde. Wie weit Internet-Dienste oder auch Internet-Zeitungen überhaupt unter die Pressefreiheit fallen, ist aus juristischer Perspektive umstritten. Geregelt sind diese Angebote zum Teil trotzdem.

In dem Sinn, wie er heute verwendet wird, meinte der Begriff der Pressefreiheit ursprünglich die Möglichkeit, Druckerzeugnisse ohne staatliche Beschränkungen veröffentlichen zu können. In einem weiteren Sinn wird unter Pressefreiheit bis heute die Freiheit von Medien insgesamt verstanden. Heute geht es bei dem Begriff auch nicht mehr nur ums Veröffentlichen-Dürfen. Geschützt ist auch der Weg, auf dem eine Veröffentlichung entsteht, also zum Beispiel der Schutz von Informantinnen und Informanten. Aus dem ergibt sich, dass Journalistinnen und Journalisten vor Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht haben können oder dass sie nur unter engen Bedingungen abgehört werden dürfen. Außerdem muss der Staat dazu beitragen, dass es eine freie Presse überhaupt geben kann. Deshalb ist er zu einem gewissen Grad auch für die Rahmenbedingungen verantwortlich, zum Beispiel indem er verhindert, dass nur bestimmte einzelne Gruppen Einfluss auf Medien haben und so die Meinungsbildung in Deutschland bestimmen können.

Trotz solcher und anderer Rahmenbedingungen heißt für Print-Medien (und auch für Tele-Medien wie Internetzeitungen) Pressefreiheit vor allem, von staatlichen Einflüssen in Ruhe gelassen zu werden. Beim Rundfunk ist das komplizierter. Mindestens bei den klassischen Verbreitungswegen sind Frequenzen und Kanäle beschränkt, ist die Technik teuer. Das Bundesverfassungsgericht hat hier früh festgestellt: Es ist nicht Sache des Staates, selbst Fernsehen oder Hörfunk zu betreiben. Andererseits darf er aber die Rundfunkfreiheit auch nicht einfach dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Er muss dafür sorgen, dass nicht nur wenige gesellschaftliche Gruppen Einfluss bekommen. Das erklärt einen Teil der vielfältigen Voraussetzungen für das Verfahren der Zuteilung von Frequenzen, der Zusammensetzung von Gremien, der Aufsicht, die es gibt. Teilweise hat diese Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Inhaltlich soll die Meinungsfreiheit und -vielfalt durch so genannte Binnenpluralität gewährleistet sein. Als in den 1980er-Jahren private Rundfunkanbieter hinzukommen sollten, ermöglichte das Bundesverfassungsgericht mit seinen Rundfunkurteilen die Einrichtung des „dualen Systems“. Das Ergebnis ist eine auch für Fachleute oft anspruchsvolle Konstruktion, in der das Zusammenspiel von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten immer wieder beobachtet werden muss und in dem andere verfassungsrechtliche Belange wie der Jugendschutz eine Rolle spielen.

Wenn redaktionell gestaltete Inhalte über das Internet verbreitet werden, ist umstritten, wie weit sie verfassungsrechtlich geschützt sind. Rechtliche Regelungen gibt es in einem Staatsvertrag, den die Bundesländer mit ihren Gesetzen umsetzen, daraus können sich zum Beispiel Sorgfaltspflichten ergeben. Die Frage nach dem Schutz des Grundgesetzes bleibt trotzdem relevant. Das haben zum Beispiel die Mitarbeitenden des Internetportals „Frag den Staat“ erlebt. Die wollten vom Kanzleramt und vom Büro von Altkanzler Gerhard Schröder Auskunft zu Gesprächsterminen des ehemaligen Bundeskanzlers – auf der Grundlage journalistischer Auskunftsansprüche. Dabei ging es um Schröders Nähe zu russischen Energiekonzernen. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin stand infrage, ob sich ein solches Internetportal auf die Pressefreiheit berufen kann – oder ob es dafür gedruckt werden müsste. Der Betreiber von „Frag den Staat“ fertigte daraufhin kurzerhand eine Druckversion an – und wurde in der nächsten Instanz deshalb als Presse angesehen. Die Frage, wie weit Online-Medien dem Schutz der Presse unterliegen, dürfte immer wichtiger werden, zumal auch bisherige Print-Medien immer mehr ins Internet wandern.

Gudula Geuther

Das Grundrecht hat allerdings nicht nur Bedeutung im Verhältnis Staatsangehörige – Staat, sondern es hat auch eine Ausstrahlungswirkung im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger untereinander: So kann etwa eine Vermieterin einem Mieter nicht verwehren, dass er eine Parabolantenne installiert, um bestimmte Fernsehprogramme sehen zu können; es sei denn, diese Programme wären über einen Kabelanschluss zu empfangen.

Die Kunstfreiheit

Was ist Kunst? Kommt Kunst von Können? Und wer entscheidet das? Häufig geht es bei Konflikten, die die Kunstfreiheit betreffen, um die Frage, ob bestimmte Darstellungen, etwa von Personen oder Geschehnissen, erlaubt sind. So wird sich eine dargestellte Person möglicherweise dagegen wehren, wenn sie sich durch eine künstlerische Darstellung verunglimpft fühlt. Oftmals kommt es auch zu Protesten, weil betrachtende Personen durch die Art der Darstellung ihr Schamgefühl oder ihre moralischen Wertevorstellungen verletzt sehen.

Diese Konflikte führen sehr häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Dann sollen Richterinnen und Richter entscheiden, ob die Darstellung, das Gemälde, das Theaterstück als Kunstwerk zu bewerten ist und deshalb das Werk von der Kunstfreiheit geschützt ist oder nicht. Hier zeigt sich das Problem der Kunstfreiheit: Bewerten jetzt Gerichte aufgrund von Gesetzestexten den „Wert“ einer gestaltenden Arbeit als Kunstwerk? Sollen sie sich dabei auf Gutachten stützen? Welche Anforderungen muss ein Werk erfüllen?

Es liegt auf der Hand, dass eine vorgegebene Definition die Kunstfreiheit einschränken würde. Wenn etwa in Malerei, Bildhauerei und Dichtung nur noch das Kunst wäre, was bestimmte, vorher festgelegte Kriterien erfüllt, dürften sich die Künstlerinnen und Künstler nur noch in den festgelegten Darstellungsformen bewegen. Neue, eigene Formen der Darstellung wären von der Freiheit der Kunst nicht mehr geschützt. Daher geht das Grundgesetz von einem sehr weiten Kunstbegriff aus. Es kommt also nicht darauf an, welches künstlerische Niveau oder gar welche „Kunstfertigkeit“ in einem Werk zum Ausdruck kommt oder welchen Wert das Kunstwerk hat.

Als Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG wird daher die „freie schöpferische Gestaltung“ bezeichnet, „in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden“. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen. Dieses Schaffen ist unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit der kunstschaffenden Person und damit Kunst, wobei auch wichtig ist, dass der Urheber oder die Urheberin selbst das Werk als Kunstwerk ansieht. Bei Letzterem muss es sich nicht notwendig um etwas Gegenständliches handeln, möglich ist auch, dass sich das Kunstwerk in einer bestimmten Handlung manifestiert.

Der Schutz der Kunstfreiheit umfasst zweierlei: Zunächst ist die eigentliche schöpferische Tätigkeit, also die Herstellung des Kunstwerks, geschützt. Man bezeichnet diesen Bereich als Werkbereich. Für Künstlerinnen und Künstler ist es aber ebenso bedeutsam, ihr Werk der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Der Verfasser eines Theaterstücks möchte sein Werk auf einer Bühne aufführen, die Autorin eines Romans will, dass ihr Buch von möglichst vielen Leserinnen und Lesern gelesen wird. Dieser Teil der Kunstfreiheit wird als Wirkbereich bezeichnet.

Wie wichtig dieser Freiheitsbereich für die Einzelperson ist, wird im Vergleich zur Verfahrensweise des NS-Regimes deutlich: Die nationalsozialistischen Machthaber verboten beispielsweise die Aufführung von Theaterstücken, und die Bücher missliebiger Autoren durften nicht mehr gedruckt und verbreitet werden. Als Kunstschaffende waren die durch diese Maßnahmen betroffenen Menschen öffentlich nicht mehr präsent.

Trotzdem muss es Grenzen geben; Möglichkeiten, sich gegen bestimmte, herabwürdigende Darstellungen der eigenen Person zu wehren. So ist in jedem Einzelfall zu prüfen, wo die Grenzen zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz jeweils verlaufen. Eine Möglichkeit, die Kunstfreiheit durch einfaches Recht beschränken zu können, sieht Art. 5 Abs. 3 GG nicht vor. Die Kunstfreiheit findet jedoch ihre Grenzen in kollidierendem Verfassungsrecht.

QuellentextSatire darf alles?

„Was darf die Satire? – Alles.“ Was der Jurist Kurt Tucholsky unter dem Alias Ignaz Wrobel 1919 schrieb, war ein künstlerisches Statement, ein Aufruf gegen Duckmäusertum. Als rechtliche Leitlinie taugt der Satz nicht. Aber gerade in letzter Zeit gibt es immer wieder Künstlerinnen und Künstler, die die Grenzen der Satire ganz bewusst austesten. 2021 war das Danger Dan, der mit rhetorischen Figuren rechtsextremistischer Veröffentlichungen spielte, sie gegen Exponenten der Neuen Rechten oder der AfD richtete und im Refrain immer wieder feststellte: „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.“ Ob es das ist, ist richterlich nicht entschieden – soweit ersichtlich, hat niemand geklagt. Aber klar ist, dass die Grenzen gar nicht so einfach zu ziehen sind. Das zeigte im Jahr 2016 die Auseinandersetzung zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dem deutschen Satiriker Jan Böhmermann.

Der hatte im März 2016 in seiner ZDF-Sendung Neo Magazin Royale ein sogenanntes Schmähgedicht gegen Erdoğan vorgetragen. Hintergrund waren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, das scharfe Vorgehen Erdoğans gegen Journalisten und sein Versuch, andere satirische Kritik an seinem Regierungsstil auch in Deutschland gerichtlich verfolgen zu lassen. Böhmermann erklärte nun, die Grenzen des rechtlich Erlaubten demonstrieren zu wollen (übrigens ähnlich wie später Danger Dan), und nannte das Gedicht selbst als ein Beispiel für Satire, die rechtlich nicht erlaubt sei.

Anders als im Fall des Rappers, gegen den nicht geklagt wurde, erstattete Erdoğan Strafanzeige. Für Diskussionen sorgte das auch, weil er sich auf Paragraf 103 des Strafgesetzbuches stützte, der (damals noch) die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter besonders streng unter Strafe stellte – und weil Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilte. Für die grundrechtliche Bewertung macht das aber keinen Unterschied.

Die Strafanzeigen Erdoğans gegen das Gedicht hatten keinen Erfolg. Die Staatsanwaltschaft Mainz ließ offen, ob die Sendung den objektiven Tatbestand der Beleidigung erfüllte – also nach ihrem objektiven Verlauf. Auf jeden Fall sei nicht auszuschließen, dass Böhmermann Erdoğan nicht habe beleidigen wollen, dass er angesichts der krassen Übertreibungen nicht auf Erdoğans Persönlichkeit gezielt habe. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren deshalb ein.

Das Landgericht Hamburg dagegen verbot im Februar 2017 ganz überwiegend, das Gedicht zu wiederholen. Einige der „Beleidigungen und Beschimpfungen“ seien derart schwerwiegend, dass sie zu untersagen seien. Da es dort um ein Zivilverfahren ging, kam es auf den Vorsatz nicht an.

Aus den Begründungen von Staatsanwaltschaft und Landgericht geht aber hervor, dass die Juristinnen und Juristen den Sachverhalt hier mindestens in Einzelfragen unterschiedlich bewerteten. Die rechtliche Auseinandersetzung ging danach weiter. Hinter dem Streit steht auch die Frage, wie sich die Grundrechte der Beteiligten darauf auswirken.

Fühlt sich eine angegriffene Person beleidigt, wird vor Gericht immer wieder darüber gestritten, ob überhaupt Satire vorliegt oder ob die Person nicht zum Beispiel durch bloße Schmähkritik nur noch diffamiert werden soll. Satire ist nicht immer Kunst, kann es aber sein. Dann wird sie gleich durch drei Grundrechte geschützt: die Meinungs-, die Presse- und die Kunstfreiheit.

Anders als man erst einmal denken könnte, hilft der Satz in Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz „eine Zensur findet nicht statt“ hier nicht weiter. Denn der verbietet nur die sogenannte Vorzensur, nicht nachträgliche Abwägungen. Den größten Schutz entfaltet hier die Kunstfreiheit, denn für sie nennt das Grundgesetz gar keine Schranke. Das heißt aber nicht, dass alles erlaubt ist.

Wenn durch die Satire andere Grundrechte verletzt werden, muss abgewogen werden. Dabei geht es fast immer um das allgemeine Persönlichkeitsrecht der angegriffenen Person. Bei der Abwägung kann Vieles berücksichtigt werden. Wie satirisch ist das Gedicht und seine Einkleidung, wie tief geht die Bedeutungsebene jenseits der Beleidigung, wie sehr wird Kritik geübt? Welche Rolle spielt es, dass Erdoğan selbst hart gegen politische Gegner austeilt? Wie ist es zu bewerten, dass Böhmermann stereotype Vorurteile gegen Türkinnen und Türken aufnimmt?

Der Schutz der Kunstfreiheit geht weit. Trotzdem sind Kunstschaffende vor Gericht auch immer wieder unterlegen. Besonders umstritten war die Entscheidung über Zeichnungen des Karikaturisten Rainer Hachfeld. Er hatte den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß mehrfach als kopulierendes Schwein dargestellt, unter anderem mit einem anderen Schwein, das mit Robe, Fliege und Barett einen Richter darstellen sollte. Gerichte entschieden unterschiedlich. Das Bundesverfassungsgericht wies Hachfelds Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung wegen Beleidigung zurück.

Gudula Geuther

Die Wissenschaftsfreiheit

Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG beinhaltet nicht nur die Freiheit der Kunst, sondern auch die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre.

Diese drei Begriffe werden unter dem Begriff der Wissenschaftsfreiheit zusammengefasst. Sie schützt „die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei der Suche nach Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe.“ Es geht also um die Suche nach Wahrheit, wobei mit der Lehre nicht etwa der Schulunterricht, sondern die wissenschaftliche Lehre gemeint ist.

Die Freiheit der Wissenschaft umfasst die Fragestellung, also die Auswahl des Forschungsobjekts. Auch die Art und Weise der Untersuchung, die Methodik der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird geschützt, ebenso wie die Bewertung des Forschungsergebnisses. Ähnlich wie bei der Kunstfreiheit ist auch der Bezug zur Öffentlichkeit einbegriffen: Die Verbreitung des Forschungsergebnisses und das Recht, eine wissenschaftliche Meinung zu äußern, sind ein wesentlicher Teil der Wissenschaftsfreiheit.

Art. 5 Abs. 3 GG schützt dabei nicht eine bestimmte Auffassung von der Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie. Der Wissenschaftsfreiheit liegt die Erkenntnis zugrunde, dass eine Wissenschaft, die frei von gesellschaftlichen und politischen Nützlichkeitserwägungen ist und sich anhand immer wieder neuer Fragestellungen weiterentwickelt, Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten dienen kann. Diese Auffassung hat sich in der europäischen Gesellschaftsentwicklung relativ spät durchgesetzt; unter welchen Schwierigkeiten und zu welchem Vorteil dies geschah, belegt anschaulich der Fall des Galileo Galilei. Er sprengte die im Mittelalter vorherrschende Verkettung von Physik und vorgegebenen philosophischen und theologischen Grundsätzen, indem er Naturvorgänge nicht mehr theologisch oder philosophisch, sondern aus Naturgesetzen erklärte. Damit geriet er aber in Konflikt mit der kirchlichen Lehre. In zwei Prozessen (1616 und 1632) vor dem Heiligen Offizium [Name der Zentralbehörde der römisch-katholischen Kirche bis 1965, Anm. d. Red.] wurde Galilei gezwungen, sich von zwei Aussagen zu distanzieren, die heute selbstverständlich sind: die Auffassungen, dass die Sonne der Mittelpunkt unseres Planetensystems sei und dass sich die Erde um die Sonne bewege. Den wissenschaftlichen Fortschritt konnten die Galilei auferlegten Restriktionen dennoch nicht aufhalten. Auf ihn geht die moderne Naturwissenschaft zurück, die auf Erfahrung und Beobachtung beruht.

Solche massiven Einwirkungen auf Wissenschaft und Forschung sind heute zwar kaum noch vorstellbar. Dennoch entfaltet die Wissenschaftsfreiheit nach wie vor dort ihre Wirkung als Abwehrrecht, wo es um den Schutz der Tätigkeit der Wissenschaftlerin oder des Wissenschaftlers vor Beeinflussung geht, etwa durch Weisungen, die die eigene wissenschaftliche Initiative, die Auswahl und die Durchführung von Forschungsprojekten einschränken. Dabei schützt das Grundrecht schon vor sehr geringfügigen Beeinträchtigungen. Bereits inhaltliche Vorgaben über die Gestaltung des Studienplans oder organisatorische Maßnahmen können die Wissenschaftsfreiheit beschneiden:

So regelte beispielsweise das niedersächsische Hochschulgesetz, dass den Kollegialorganen der Hochschulen neben Vertreterinnen der Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen auch Vertreter der Studierenden und der sonstigen Mitarbeiter angehörten. Die Repräsentation der Professorinnen und Professoren in den verschiedenen Organen betrug zwischen 30 und 50 Prozent, erreichte aber nie eine absolute Mehrheit. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass bei Entscheidungen, die unmittelbar die Lehre betreffen, den Hochschullehrenden die Hälfte der Stimmen zustehen muss. Bei Entscheidungen, die unmittelbar Fragen der Forschung beträfen, genüge dies jedoch nicht. Dort müsse den Professorinnen und Professoren wegen der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm ein darüber hinausgehender ausschlaggebender Einfluss vorbehalten bleiben (BVerfGE 35, 79, 132f.). Wegen ihrer wissenschaftlichen Qualifikation, ihrer Funktion und ihrer Verantwortung müssten sich die Professorinnen und Professoren in diesem Bereich allen anderen Gruppen gegenüber durchsetzen können.

Die Wissenschaftsfreiheit schützt aber nicht nur vor dem Staat, sie fordert außerdem, dass er selbst aktiv wird (sogenannter objektiver Gehalt): Der Staat muss für die Idee der freien Wissenschaft einstehen und an ihrer Verwirklichung mitwirken. Konkret bedeutet dies, dass der Staat die Freiheit der Wissenschaft fördern muss, indem er beispielsweise finanzielle Mittel und Personal bereitstellt und organisatorische Maßnahmen trifft, die die Freiheit der Wissenschaft sicherstellen.

Die Wissenschaftsfreiheit kann (ebenso wie die Kunstfreiheit) nicht durch einfaches Gesetz eingeschränkt werden. Insbesondere gilt auch die in Art. 5 Abs. 2 Satz 1 GG vorgesehene Schranke nicht im Bereich von Art. 5 Abs. 3 GG. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die Wissenschaftsfreiheit immer und überall durchsetzen würde. Sie findet insbesondere dort ihre Grenzen, wo andere Grundrechte ihre Wirkung entfalten. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Frage, wie gelehrt wird: Die Bestimmung der Lehrinhalte von Vorlesungen und Übungen gehört zur Lehrfreiheit der Hochschullehrerin bzw. des Hochschullehrers. Sieht jedoch beispielsweise der Lehrinhalt eines Studienfachs wie Medizin oder Biologie die Durchführung von Tierversuchen oder Übungen an getöteten Tieren vor, kann dies in das Grundrecht der Gewissensfreiheit der Studierenden aus Art. 4 Abs. 1 GG eingreifen. Von einem Studenten, der sich auf seine Gewissensfreiheit beruft, darf daher nur dann die Teilnahme an Tierversuchen oder die Präparation von Tieren verlangt werden, wenn keine alternativen, gleichwertigen Unterrichtsmethoden zur Verfügung stehen.

Schutz von Ehe und Familie und von Kindern nicht verheirateter Eltern

Artikel 6

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Artikel 6 GG enthält Regelungen, die sich in ihrer Wirkungsweise stark unterscheiden:

Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, Ehe und Familie zu schützen. Mit der Ehe ist die grundsätzlich auf Lebenszeit angelegte Verbindung von Mann und Frau gemeint. Dieser grundgesetzliche Ehebegriff erfasst gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht. Er stand aber auch einer Weiterentwicklung des Familienrechts in diesem Bereich nicht entgegen. Zunächst wurde es mit dem am 1. August 2001 in Kraft getretenen Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglicht, eine Lebenspartnerschaft einzugehen. Mit der Änderung von § 1353 BGB zum 1. Oktober 2017 wurde schließlich auch die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet.

Unter dem Begriff der Familie wird das Zusammenleben von Eltern und Kindern in einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft verstanden. Geschützt sind dabei auch Lebensgemeinschaften, bei denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind, bei denen nur ein Elternteil mit einem oder mehreren Kindern zusammenlebt, in denen ein Kind adoptiert wurde oder bei Pflegeeltern lebt.

Das Grundrecht enthält zunächst ein klassisches Abwehrrecht, das staatliche Eingriffe verbietet. So schützt die Vorschrift das Recht, seinen Ehepartner oder -partnerin frei zu wählen. Eheverbote sind nur äußerst eingeschränkt zulässig (beispielsweise bei der Ehemündigkeit, § 1303 BGB). Die Eheleute können ihre Ehe im Innern frei ausgestalten, also etwa frei entscheiden, wie sie untereinander die Erwerbsarbeit und die Arbeit im Haushalt aufteilen. Im Hinblick auf die Familie schützt Art. 6 Abs. 1 GG die Entscheidung, ob eine Familie gegründet wird und wie die familiäre Gemeinschaft ausgestaltet wird.

Praktisch wirkt das Grundrecht vor allem als Verbot, Ehe und Familie zu diskriminieren. Das bedeutet, dass Ehe und Familie nicht schlechter behandelt werden dürfen als andere Lebensgemeinschaften. Beispiel: Bei der Berechnung von Leistungen der Arbeitslosenhilfe wurde arbeitslosen Eheleuten, die in familiärer Gemeinschaft zusammenlebten, nur ein gemeinsamer Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zugebilligt. Dieser war niedriger als es zwei einzelne Ansprüche gewesen wären. Partnerinnen und Partnern, die in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft wie Eheleute zusammenlebten und „aus einem Topf wirtschafteten“, wurden dagegen wie zwei getrennt lebenden Personen jeweils ein Anspruch zugebilligt. Das Bundesverfassungsgericht sah das als verbotene Schlechterstellung der Ehe an. Dies führte letztlich dazu, dass der Gesetzgeber nun auch für nicht verheiratete Personen, die in einer eheähnlichen Einstandsgemeinschaft leben, also füreinander mit ihrem Einkommen oder Vermögen einstehen, eine Anrechnung vorgesehen hat.

Der Staat ist außerdem verpflichtet, Ehe und Familie zu fördern. Allerdings ist dieses Fördergebot wenig konkret. Grundsätzlich kann daraus – wie generell aus den Grundrechten – nicht ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung oder Fördermaßnahme abgeleitet werden. Auch der Wortlaut hilft nicht weiter: Wenn danach Ehe und Familie unter dem „besonderen Schutze des Staates“ stehen, bleibt gleichzeitig offen, wie der Staat diesen Schutz verwirklicht. Er hat dabei also einen großen Spielraum.

Der Schutz von Ehe und Familie findet seine Grenzen allenfalls an konkurrierendem Verfassungsrecht. Dies bedeutet aber nicht, dass es gar keine Regelungen über Ehe und Familie geben dürfte. Die Eheschließung setzt vielmehr gesetzliche Regelungen geradezu voraus, etwa Festlegungen, unter welchen Voraussetzungen sie wirksam ist, wofür das Standesamt zuständig ist und in welcher Form sie durchgeführt wird. Diese Regelungen dürfen aber die garantierten Freiheiten nicht einschränken.

Gleichzeitig wird Art. 6 Abs. 1 GG als sogenannte Institutsgarantie verstanden: Der Staat darf das Rechtsinstitut der Ehe nicht abschaffen.

Art. 6 Abs. 2 GG regelt das sogenannte Elternrecht. Damit ist im Wesentlichen die freie Entscheidung der Eltern über die Pflege und Erziehung des Kindes gemeint. Allerdings weist das Elternrecht eine bedeutsame Unterscheidung zu anderen Grundrechten auf: Das Elternrecht wird als ein pflichtengebundenes Recht bezeichnet. Die Ausübung des Elternrechts ist nämlich am Wohl des Kindes orientiert. Es bedeutet also gerade nicht ein einseitiges Recht der Eltern am Kind, die Eltern müssen stattdessen dieses Recht im Interesse des Kindes ausüben. Sie können zwar ohne staatliche Beeinflussung über die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes entscheiden, also grundsätzlich selbst bestimmen, in welche Schule das Kind geht, wie es sich kleidet und wie es sich ernährt. Die Grenze dieser Freiheit liegt jedoch beim Wohl des Kindes. So gibt das Elternrecht gerade kein Recht auf eine körperliche Züchtigung der Kinder.

Das Elternrecht steht grundsätzlich den leiblichen Eltern zu, das heißt Mutter und Vater gleichberechtigt. Gleichgültig ist, ob die Eltern verheiratet, geschieden oder nicht miteinander verheiratet sind. Auch den Adoptiveltern steht das Elternrecht in vollem Umfang zu, da sie durch die Adoption vollständig in die Elternrolle gelangen, welche die leiblichen Eltern durch die Adoptionsentscheidung verlieren. Deshalb ist die Adoption nur unter sehr hohen Voraussetzungen zulässig: wenn sie dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht. Aktuelle Reformpläne (Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in der 20. Wahlperiode) sehen auch vor, dass bei der Ehe zweier Frauen, in die ein Kind geboren wird, beide Frauen rechtliche Mütter des Kindes werden; einer Adoption durch die Ehefrau der Mutter bedarf es danach nicht mehr.

Welche Bedeutung das Kindeswohl, also die Ausübung des Elternrechts zum Wohle des Kindes hat, erkennt man an den in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 6 Abs. 3 GG enthaltenen Regeln: Der Staat muss über die Ausübung des Elternrechts wachen (staatliches Wächteramt), um die Menschenwürde des Kindes zu schützen. Verletzen die Eltern das Kindeswohl, ist der Staat aufgerufen, einzuschreiten.

So findet das staatliche Wächteramt etwa in den Regelungen des Jugendhilferechts wie auch des Familienrechts seine Ausprägung. Danach ist es im Extremfall erlaubt, das Kind aus der Familie herauszunehmen. Dafür allerdings stellt Art. 6 Abs. 3 GG hohe Hürden auf: Nur wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht, kann es von den Eltern getrennt werden. Entscheidend ist, dass das Versagen der Eltern zu Schädigungen des Kindes führt. Andere als im Kindeswohl wurzelnde Gründe können eine Trennung des Kindes von den Eltern aber nicht rechtfertigen. Auch diese Vorschrift geht auf negative Erfahrungen in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes zurück, als Kinder aus rassistischen oder politischen Gründen durch staatliche Maßnahmen von den Eltern getrennt wurden.

Art. 6 Abs. 4 GG gibt Müttern den Anspruch auf Schutz und Fürsorge. Vorrangig geht es darum, die mit der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit verbundenen besonderen Belastungen auszugleichen. Verwirklicht wurde dieser Schutzauftrag unter anderem durch den Kündigungsschutz für Schwangere.

Art. 6 Abs. 5 GG enthält wiederum einen Auftrag an den Gesetzgeber: Kinder von Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, dürfen deshalb nicht benachteiligt werden. Das Grundgesetz enthält noch die früher gebräuchliche Formulierung „unehelich“. Der Gesetzgeber hatte den Verfassungsauftrag, die Gleichstellung der Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern zu verwirklichen, bis zum Ende der 5. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (1969) zu erfüllen. Nach diesem Zeitpunkt war entgegenstehendes Recht verfassungswidrig. Mütter nicht ehelicher Kinder erhielten selbst das eheliche Sorgerecht, mussten also nicht mehr die automatische Vormundschaft des Jugendamtes hinnehmen, und ihre Kinder wurden erbberechtigt. Beim Lesen von Artikel 6 GG fällt auf, dass die Kinder in dieser Regelung erwähnt werden, dies aber nicht als Träger eigener Rechte, sondern im Zusammenhang mit den Rechten der Eltern und dem staatlichen Wächteramt. Dass Kinder auch Träger der Grundrechte sind, ist seit langem allgemein anerkannt. So hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 29. Juli 1968 (1 BvL 20/63; 1 BvL 31/66; BVerfGE 24, 119, 144) ausgeführt, dass das Kind „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG“ ist.

Die Stellung des Kindes als eigener Grundrechtsträger ist auch in der Folge durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die für die Gerichte und Behörden Gesetzeskraft hat, immer weiter ausgebaut worden. Danach dürften jedenfalls die Richterinnen und Mitarbeiter von Behörden, die sich mit Angelegenheiten von Kindern zu befassen haben, keinen Zweifel über den Umfang und Inhalt der verfassungsrechtlich verbürgten Interner Link: Kinderrechte haben. Es wird jedoch gefordert, diese Rechtsposition ausdrücklich im Text des Grundgesetzes niederzulegen, um ein ausdrückliches Bekenntnis der Verfassung zu den Rechten des Kindes zu haben und um eine längst fällige Klarstellung vorzunehmen. Eine Gesetzesinitiative zur Änderung des Grundgesetzes im Jahre 2021 hatte folgenden Wortlaut:

„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“

Die für diese Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat fand sich hierfür jedoch nicht. In der 20. Wahlperiode haben sich die Regierungsparteien erneut vorgenommen, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Sie wollen sich dabei an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention orientieren, die auf den Grundsätzen der Entwicklung, der Nichtdiskriminierung, der Beteiligung und der Wahrung der Interessen der Kinder beruht.

Einzelne Landesverfassungen, wie etwa die der Freien Hansestadt Bremen, enthalten Regelungen zu den Kinderrechten:

„Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.

Es ist Aufgabe des Staates, die Jugend vor Ausbeutung und vor körperlicher, geistiger und sittlicher Verwahrlosung zu schützen. Fürsorgemaßnahmen, die auf Zwang beruhen, bedürfen der gesetzlichen Grundlage.“ (Artikel 25 der Bremer Landesverfassung)

Schulwesen

Artikel 7

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.
(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis¬ oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.
(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

Art. 7 Abs. 1 GG ist kein Grundrecht, sondern eine organisationsrechtliche Regelung. Wichtig ist jedoch, dass der in Art. 7 Abs. 1 GG enthaltene staatliche Erziehungsauftrag dem elterlichen Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG gleichgeordnet ist. So ist beispielsweise die allgemeine Schulpflicht mit dem Elternrecht vereinbar.

Art. 7 Abs. 2 GG konkretisiert das in Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene elterliche Erziehungsrecht für den Bereich des Religionsunterrichts. Es bleibt danach den Eltern vorbehalten, zu entscheiden, ob und an welchem Religionsunterricht ihre Kinder teilnehmen sollen.

Art. 7 Abs. 3 GG enthält ein Grundrecht der Religionsgemeinschaften: Der Religionsunterricht wird innerhalb des Unterrichts an staatlichen Schulen garantiert (Ausnahmen: Gemäß Art. 141 GG findet Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand, was auf Bremen und Berlin zutrifft. Auch in Brandenburg gelten nach einem Vergleich der Beschwerdeführende und der Einstellung des Verfassungsgerichtsverfahrens 2002 weiterhin Ausnahmeregelungen.).

Unter Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG sind zunächst die beiden großen christlichen Konfessionskirchen zu verstehen, andere sind jedoch dadurch nicht ausgeschlossen. Es wird allerdings gefordert, dass eine Religionsgemeinschaft, die sich auf Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG beruft, ein Minimum an Organisationsstruktur aufweist und eine allseitige Aufgabenerfüllung für die Identität der Glaubensgemeinschaft leistet. Da bislang nur wenige islamische Religionsgemeinschaften diese Voraussetzungen erfüllen, gibt es bisher neben einzelnen Pilotprojekten, einen islamischen Religionsunterricht nur in wenigen Ländern. So wird etwa in Hessen ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 3 GG in Kooperation mit zwei Religionsgemeinschaften angeboten.

Art. 7 Abs. 4 GG beinhaltet das Grundrecht, Privatschulen errichten zu dürfen. Es besteht also kein staatliches Schulmonopol. Die Errichtung von Privatschulen steht jedoch teilweise unter einem Genehmigungsvorbehalt: Soll die Privatschule eine staatliche Schule ersetzen (Ersatzschule), müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere darf die Schule mit ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie der Ausbildung der Lehrkräfte den öffentlichen Schulen nicht nachstehen. Ist dies gewährleistet, wird mit dem Besuch dieser Schule auch die Schulpflicht erfüllt. Ergänzungsschulen, deren Besuch nicht unter die Schulpflicht fällt, unterliegen diesen Beschränkungen nicht.

Versammlungsfreiheit

Artikel 8

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist nicht nur auf die Privatsphäre oder die Meinungsäußerung beschränkt, sie kann auch in Gemeinschaft stattfinden. Diesen Bereich schützt Art. 8 Abs. 1 GG. Versammlung wird dabei als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung verstanden. Im Unterschied dazu fallen bloße Menschenansammlungen auf Volksfesten, bei Konzerten oder Kinovorführungen nicht unter den Schutz der Versammlungsfreiheit. Ausschlaggebend ist vielmehr die innere Verbindung der Teilnehmenden zu einem gemeinsamen Handeln. Der gemeinsame „Zweck“ kann, muss aber nicht zwangsläufig die Äußerung einer Meinung sein – dann spricht man von einer Demonstration.

Nicht von der Versammlungsfreiheit geschützt ist dagegen die Teilnahme an einer Versammlung, um diese zu stören oder zu beenden. Eine „Gegendemonstration“, mit der die Teilnehmenden bekunden wollen, dass sie mit den von der ursprünglichen Demonstration verfolgten Zielen nicht einverstanden sind, ist aber wiederum wie jede andere Versammlung von dem Grundrecht geschützt.

Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann das Grundrecht für Versammlungen unter freiem Himmel gesetzlich beschränkt werden. Dies darf jedoch nicht beliebig geschehen. Beispiel: Das Versammlungsgesetz vom 15. November 1978 sah in § 14 vor, dass Versammlungen unter freiem Himmel spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe anzumelden sind. Wurde diese Bestimmung nicht eingehalten, konnte die Versammlung nach § 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz aufgelöst werden.

Widersprach diese Regelung nicht Art. 8 Abs. 1 GG, der ausdrücklich besagt, dass alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung und Erlaubnis versammeln zu dürfen? Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Anmeldepflicht keine unverhältnismäßige Beschränkung sei, solange die Verletzung dieser Verpflichtung nicht automatisch zu einer Auflösung der Demonstration führe. Für „Spontandemonstrationen“ bestehe keine Anmeldungspflicht. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes, die im Übrigen die Auflösung nicht angemeldeter Versammlungen nicht zwingend vorsahen, träten insoweit hinter das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG zurück.

QuellentextGrenzen der Versammlungsfreiheit?

Das Versammlungsrecht ist Ausdruck der freiheitlichen Demokratie. Es ist ein zentrales Grundrecht, weil es eng mit der Meinungsfreiheit und der Möglichkeit zu freier Willensbildung verbunden ist. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es darum immer wieder Streit, es muss immer wieder neu erkämpft werden – und seine Grenzen müssen immer wieder neu bestimmt werden. Das ist auch deshalb nötig, weil das Grundrecht in seiner Eigenschaft als Demonstrationsrecht – also für Versammlungen unter freiem Himmel – unter bestimmten engen Voraussetzungen eingeschränkt werden kann. Zu Streitigkeiten führt das oft, weil gerade Minderheiten das Demonstrationsrecht nutzen wollen, um auf ihre Positionen aufmerksam zu machen, und auch dafür ist dieses Recht da. Naturgemäß geht es dabei oft um unliebsame Meinungen. Verantwortliche vor Ort fühlen sich deshalb häufig unter Druck, Demonstrationen zu unterbinden. Das ist aber kein Grund für ein Verbot oder für Auflagen. Verboten werden darf eine Demonstration nur, wenn durch sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist.

Besonders umstritten waren die Grenzen der Versammlungsfreiheit zu Beginn der Coronavirus-Pandemie. Die Corona-Verordnungen der Länder verboten zum Schutz der Gesundheit und um den Zusammenbruch des Gesundheitswesens zu verhindern durchweg Ansammlungen, auch unter freiem Himmel. Protestaktionen und Demonstrationen wurden deshalb anfangs ganz überwiegend verboten – auch Aktionen und Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und gegen die Demonstrationsverbote selbst. Für viele Gegnerinnen und Gegner der Pandemie-bedingten Einschränkungen entstand so der Eindruck, ihre Meinungsäußerung solle unterdrückt werden. Die ersten Entscheidungen, mit denen das Bundesverfassungsgericht Anti-Corona-Maßnahmen für verfassungswidrig erklärte, bezogen sich denn auch auf diese Demonstrationsverbote, während andere Einschränkungen ganz überwiegend nicht beanstandet wurden. Die Gerichte entschieden, dass auch unter Bedingungen der Pandemie über jeden Einzelfall entschieden werden müsse. Die Bundesländer passten danach ihre Verordnungen an und verlangten bei Anmeldungen Hygienekonzepte, insbesondere mit Obergrenzen, Abstandsregeln und Maskenpflicht. Trotzdem blieb in der Folge vieles umstritten. Das lag auch daran, dass bei solchen Demonstrationen immer wieder Auflagen verletzt wurden. Mit der nichtzutreffenden Behauptung, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit würde generell verletzt, versuchten sich Organisatorinnen und Organisatoren teilweise dem Versammlungsrecht zu entziehen, indem sie zum Beispiel zu „Spaziergängen“ aufriefen oder in nicht angemeldeten Versammlungen versuchten, auf Politikerinnen und Politiker in ihrem persönlichen Umfeld Druck auszuüben.

Nach dem Überfall der Hamas auf Israel und dem folgenden Krieg im Gazastreifen wurde ebenfalls teilweise der Vorwurf laut, Behörden würden bestimmte Meinungen unterdrücken. Vielfach wurden in den ersten Tagen propalästinensische Demonstrationen mit der Begründung verboten, dass dort Straftaten zu erwarten seien. Solche Prognosen treffen Behörden und Gerichte auch nach den Erfahrungen mit den Anmeldern der Demonstrationen bei früheren Gelegenheiten. In manchen Bundesländern, etwa in Berlin, sieht das Gesetz auch vor, dass Demonstrationen verboten werden können, wenn zu Hass gegen eine ethnische oder nationale Gruppe aufgestachelt wird. In jedem Fall genügt nicht einfach die Straftaten-Prognose. Das Verbot muss immer das letzte Mittel sein, wenn Auflagen oder Verhaftungen während der Demonstration nicht genügen. Auch hier geht es also wieder um die Frage, ob die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Gerichte in Deutschland sehen das immer wieder unterschiedlich. Dabei spielt die Frage eine Rolle, ob die Gefahr zum Beispiel von volksverhetzenden Äußerungen als solche ein Verbot tragen kann. Es geht auch um das erwartete Ausmaß von Gewalt. Problematisch werden solche Verbote, wenn der Eindruck entsteht, dass auch friedliche Demonstrationen für ein Anliegen kaum noch möglich sind, weil die Gefahr besteht, dass Einzelne die Grenzen überschreiten.

Im Fall von rechtsextremen Demonstrationen hat das Bundesverfassungsgericht selbst seine Rechtsprechung geändert, nach einer Intervention des Gesetzgebers. Schon länger hatten einzelne Gerichte wie das Oberverwaltungsgericht Münster die Ansicht vertreten, solche Demonstrationen könnten schon wegen des rechtsextremen Gedankengutes verboten werden, das darin zum Ausdruck kommen sollte. Denn dabei handle es sich nicht einfach um missliebige Meinungen von Andersdenkenden. Stattdessen gehe es um Anschauungen, die mit grundgesetzlichen Wertvorstellungen schlechterdings unvereinbar seien. Das rechtfertige es, bezogen und beschränkt auf dieses Gedankengut, die Freiheit der Meinungsäußerung inhaltlich zu begrenzen.

Das Bundesverfassungsgericht sah das anders. 2004 entschied der Senat sinngemäß: Mit welchen Mitteln sich die Demokratie wehrhaft zeigt, sei im Grundgesetz abschließend geregelt. Zusätzliche Grundrechtseinschränkungen könne ein Gericht deshalb nicht aus der Verfassung ableiten. Rechtsextreme Demonstrationen konnten demnach also nur dann verboten oder mit Auflagen belegt werden, wenn das auch für Versammlungen mit anderen Inhalten galt. Auflagen waren und sind trotzdem möglich. Sei es, dass – so die Kammer – wegen der provokativen Wirkung eine solche Demonstration nicht am Holocaust-Gedenktag stattfinden darf, sei es, dass als einschüchternd wahrgenommene Insignien wie Springerstiefel unter bestimmten Umständen verboten werden können.

Nicht nur dem Oberverwaltungsgericht in Münster, auch anderen Juristinnen und Juristen und einigen Politikerinnen und Politikern ging dieser Schutz der Demonstrationsfreiheit zu weit. 2005 fürchteten Angehörige fast aller Fraktionen, am 8. Mai, 60 Jahre nach Kriegsende, würden Neonazis durch das Brandenburger Tor marschieren oder vorbei am Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Auch die jährlich wiederkehrenden Demonstrationen in Wunsiedel zum Gedenken an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß bestimmten die Diskussion.

Mit den Stimmen der rot-grünen Koalitionsfraktionen und der oppositionellen CDU/CSU verschärfte der Gesetzgeber das Versammlungsrecht und den Volksverhetzungsparagraphen 130 des Strafgesetzbuches. Haft bis zu drei Jahren droht seither denjenigen, die in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise öffentlich oder in einer Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigen, verherrlichen oder rechtfertigen. 2005 wurde das Verbot einer Demonstration in Wunsiedel damit begründet, dass durch die Verherrlichung von Rudolf Heß Straftaten nach dem 2005 geänderten Volksverhetzungsparagraphen zu erwarten seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 2004 wäre das verfassungsrechtlich problematisch gewesen.

Auf eine Verfassungsbeschwerde hin urteilte das Gericht aber 2009: Es handelt sich bei der Strafvorschrift zwar tatsächlich nicht um ein allgemeines Gesetz, wie es das Grundgesetz bei Einschränkungen der Meinungsfreiheit an sich verlangt. Denn es stellt nicht allgemein die Verherrlichung totalitärer Willkürregime unter Strafe, sondern allein Äußerungen mit Bezug zum Nationalsozialismus.

Aber da sich das Grundgesetz gegen den Nationalsozialismus wende, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, sei die Norm trotzdem verfassungskonform; geschützt werde der öffentliche Frieden. Die Befürwortung der NS-Herrschaft sei in Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potenzial. Dies könne nicht zuletzt auch im Ausland tiefgreifende Beunruhigung auslösen. Die Richterinnen und Richter übernahmen also zu Teilen die Auffassung ihrer früheren Kritiker.

Gudula Geuther

Vereinigungsfreiheit

Artikel 9

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Art. 9 Abs. 1 GG garantiert die Vereinigungsfreiheit. Das Grundrecht ähnelt der Versammlungsfreiheit insoweit, als beide Grundrechte die Gemeinschaft von Menschen betreffen. Art. 9 Abs. 1 GG hat zwei Funktionen: Zum einen wird das Recht des und der Einzelnen geschützt, sich mit anderen zusammenzuschließen, in bestehende Vereine einzutreten, aber auch diesen fern zu bleiben. Zum anderen sind diese Vereinigungen selbst in ihrem Bestand und ihrer Funktionsfähigkeit vor staatlichen Übergriffen geschützt. Lediglich solche Vereine, die sich zu einem strafbaren Zweck gebildet haben, und Vereine, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, können sich nicht auf den Schutz der Vereinigungsfreiheit berufen. Solche Vereinigungen sind nach Art. 9 Abs. 2 GG verboten.

Art. 9 Abs. 3 GG schützt Vereinigungen mit einem besonderen Zweck, nämlich um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren. Damit sind im Wesentlichen die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände gemeint. Auch hier sind die Bildung solcher Vereinigungen und ihre Existenz geschützt. Zugleich werden diese Vereinigungen vor Eingriffen in ihre „spezifisch koalitionsmäßige Betätigung“ geschützt. Damit ist insbesondere ihre Befugnis zum Aushandeln von Tarifverträgen, die sogenannte Tarifautonomie, gemeint.

Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis

Artikel 10

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.
(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie den Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Menschen sind auf Kommunikation miteinander angewiesen und nutzen dazu oft Hilfsmittel – seien es Briefe, Telefone oder Angebote der modernen Telekommunikation wie E-Mails oder die Internet-Telefonie und soziale Medien. Allen Kommunikationsmitteln ist eines gemeinsam: Dritte können auf den Kommunikationsvorgang zugreifen. Die vertrauliche Kommunikation wird dann von Personen zur Kenntnis genommen, für die sie nicht bestimmt ist. Briefe können auf dem Beförderungsweg gelesen werden, Telefonanrufe können mitgehört oder E-Mails gelesen werden, ohne dass die absendende oder die empfangende Person dies erkennen kann.

In der Vergangenheit waren die wichtigsten Erbringer von Postdienstleistungen staatliche Unternehmen. Staatliche Eingriffe in den Post- und Telekommunikationsbereich wären daher ein Leichtes gewesen, wenn nicht Art. 10 Abs. 1 GG die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vorgeschrieben hätte.

Das Grundrecht entfaltet seine Wirkung in allen Bereichen der Kommunikation über Distanzen in gleicher Weise: Der Übermittlungsvorgang wird geschützt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich sicher sein, dass ihre Briefe, Telefonate und E-Mails grundsätzlich ohne eine Kenntnisnahme des Staates oder anderer Personen als den empfangenden übermittelt werden. Geschützt sind dabei nicht nur die Inhalte, sondern auch die Umstände der Kommunikation, also wer mit wem telefoniert hat, wer an wen Briefe geschickt hat und wann dies geschehen ist.

Umstritten ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten. Dabei geht es nicht um die Inhalte der Kommunikation, sondern darum, wer wann von wo mit wem Kontakt hatte. Mehrfach haben Gerichte deutlich gemacht, dass auch solche Verbindungsdaten nur in engen Grenzen anlasslos gespeichert werden dürfen. Eine EU-Richtlinie von 2006 verlangte, dass die Anbieter von Telekommunikations-Dienstleistungen verpflichtet werden, diese Verbindungsdaten von Festnetztelefonie, Mobilfunk, E-Mail, SMS, MMS, Fax und Internetdiensten mindestens sechs Monate lang zu speichern. In Deutschland sollte das mit einem Gesetz aus dem Jahr 2007 vorgeschrieben werden.

Ca. 350.000 Bürgerinnen und Bürger unterstützten Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen 2010 Recht. So äußerte es sich in seinem Urteil vom 2. März: „Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit einer vorsorglich anlasslosen Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten setzt voraus, dass diese eine Ausnahme bleibt. Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss. Durch eine vorsorgliche Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten wird der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der Europäischen Union erheblich geringer.“

Allerdings sagten die Richterinnen und Richter nicht, dass die Vorratsdatenspeicherung als solche, wie sie die EU-Richtlinie verlangt, verfassungswidrig wäre. Was der deutsche Gesetzgeber daraus gemacht habe, verstoße aber gegen das Fernmeldegeheimnis. Wenn so umfangreich Daten gespeichert würden, müsse der Gesetzgeber für einen besseren Schutz dieser Daten sorgen und näher eingrenzen, für was die Daten verwendet werden könnten. Solche Datensammlungen müssten die Ausnahme bleiben, bei der Vorratsdatenspeicherung handle es sich um einen „besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt.“

Vier Jahre später erklärte der Europäische Gerichtshof auch die zugrunde liegende Richtlinie für unvereinbar mit den Rechten auf Privatsphäre und Schutz der personenbezogenen Daten aus der EU-Grundrechtecharta. Die Luxemburger Richterinnen und Richter befanden, die Richtlinie sei unverhältnismäßig umfassend, weil sie sich „ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten […] generell auf sämtliche Personen, elektronische Kommunikationsmittel und Verkehrsdaten“ erstreckt und den Zugriff auf die gespeicherten Daten nur unzureichend einschränkt. Außerdem kritisierten auch die europäischen Richterinnen und Richter, dass Vorgaben für den Schutz gegen Missbrauch fehlen. Nach langer innenpolitischer Diskussion erließ der deutsche Gesetzgeber trotzdem eine neue Regelung zur Vorratsdatenspeicherung. Mehrere Bündnisse von Klagenden haben auch diese Neuregelung vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen. Sie argumentieren dabei unter anderem mit der Warnung der Verfassungsrichterinnen und -richter vor einer zu großen „Überwachungs-Gesamtbilanz“ aus dem früheren Urteil.

Umstritten ist auch der Umgang von in- und ausländischen Geheimdiensten mit solchen Verbindungsdaten. Das Gesetz unterscheidet hier zwischen Telekommunikationsvorgängen im Inland, die nur in engen Grenzen ausgewertet werden dürfen, solchen, die zwischen Deutschland und dem Ausland stattfinden und der Kommunikation von Ausland zu Ausland.

Nachdem bekannt wurde, dass der US-Nachrichtendienst NSA massenhaft Verbindungsdaten auswertet, stieß dies teilweise auf massive Kritik. Vor allem durch die Arbeit des zuständigen Untersuchungsausschusses des Bundestages wurde bekannt, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND), in Zusammenarbeit mit befreundeten ausländischen Diensten und auch allein solche Auslands-Auslands-Kommunikation auswertet. Umstritten ist dabei unter anderem, wie weit dort der Schutz des Artikels 10 greift und ob die Kommunikation von Deutschen ausreichend ausgefiltert wird und werden kann. Das Bundesverfassungsgericht war daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde befasst, mit der die gesetzlichen Befugnisse des BND zur Überwachung von im Ausland befindlichen Ausländerinnen und Ausländern angegriffen wurden. Mit seinem Urteil vom 19. Mai 2020 (1 BvR 2835/17) hob das Gericht verschiedene Befugnisse zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs im Ausland auf. Zur Begründung führte es aus, dass die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt ist. Die Auslandsüberwachung sei grundsätzlich mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar, jedoch seien die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten.

Da sich der Schutz auf den Kommunikationsvorgang selbst beschränkt, bedeutet das aber auch, dass dann, wenn der Übermittlungsvorgang abgeschlossen ist, also etwa der geöffnete Brief auf dem Schreibtisch liegt oder die gelesene E-Mail gespeichert wird, Artikel 10 GG keinen Schutz mehr bietet. Der Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses wirkt jedoch nicht uneingeschränkt. Zwar spricht Art. 10 Abs. 1 GG von der Unverletzlichkeit des Grundrechts, aus Abs. 2 Satz 1 ergibt sich jedoch, dass Beschränkungen zulässig sind. Diese dürfen nur „auf Grund eines Gesetzes“ angeordnet werden, Verwaltungsanordnungen und Ähnliches genügen also grundsätzlich nicht. Allerdings darf ein Eingriff in das Grundrecht (etwa durch eine Telefonüberwachung) nie zu einer Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung führen (siehe Artikel 13).

Beispiel: In den 1960er-Jahren schrieb ein Strafgefangener einen Brief an eine Gefangenenorganisation, in dem er sich über die Verhältnisse in der Justizvollzugsanstalt beschwerte und sich abfällig über den Anstaltsleiter äußerte. Dieser Brief wurde von der Anstaltsverwaltung angehalten. Grundlage hierfür war eine Verwaltungsanordnung, ein Strafvollzugsgesetz gab es damals noch nicht. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass es entgegen Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG kein Gesetz gab, welches die Postüberwachung bei Strafgefangenen regelte. Diesen Zustand hielt es nur für eine Übergangsfrist für hinnehmbar, der Gesetzgeber wurde also zur Schaffung einer Rechtsgrundlage aufgefordert, wobei sich für die Gefangenen kurzfristig nichts änderte.

Art. 10 Abs. 1 GG schützt mittelbar aber ebenso vor Eingriffen durch Private. Dies ist auch deshalb wichtig, weil mittlerweile die Übermittlungsvorgänge regelmäßig von privaten Unternehmen erbracht werden. Insoweit muss der Staat die Bürgerinnen und Bürger auch vor Eingriffen durch diese Unternehmen schützen. Gleichzeitig ist es ihm nicht erlaubt, für seine Zwecke auf diese Privaten zuzugreifen, um dadurch ihm auferlegte Beschränkungen zu umgehen.

Freizügigkeit

Artikel 11

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

Mit der in Artikel 11 GG geregelten Freizügigkeit ist die Freiheit gemeint, an jedem Ort in der Bundesrepublik Deutschland Aufenthalt oder Wohnsitz nehmen zu können. Nicht erfasst ist das Recht auf Auswanderung oder Ausreise aus dem Bundesgebiet. Die Einreise oder Einwanderung von Deutschen in das Bundesgebiet ist jedoch von Artikel 11 GG geschützt. Kurz gefasst könnte man sagen, das Ende der „Reise“ muss im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland liegen. Das Grundrecht steht nur Deutschen zu, nicht jedoch Ausländerinnen und Ausländern. Mit Aufenthalt ist ein vorübergehendes Verweilen an einem Ort gemeint, wie etwa bei einem Urlaub. Wohnsitznahme ist demgegenüber die ständige Niederlassung an einem Ort. Von diesem Inhalt ausgehend, mutet der in Absatz 2 geregelte Gesetzesvorbehalt angesichts einer immer mobiler werdenden Gesellschaft etwas antiquiert an: Dort ist unter anderem von nicht ausreichender Lebensgrundlage sowie den daraus entstehenden besonderen Lasten für die Allgemeinheit die Rede. Die Regelung versteht sich in erster Linie vor dem Hintergrund der Nachkriegsverhältnisse, als eine Vielzahl von Menschen von Evakuierung, Flucht und Vertreibung betroffen waren, kann aber auch heute noch von Bedeutung sein: So sah beispielsweise das Wohnortzuweisungsgesetz zwischen 1996 und 2009 vor, dass Spätaussiedelnde für eine begrenzte Zeit nur Sozialhilfeleistungen erhielten, wenn sie an dem ihnen zugewiesenen Ort Wohnsitz nahmen. Das Bundesverfassungsgericht sah darin eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit, die es aber für gerechtfertigt hielt: angesichts eines Zuzugs von drei Millionen Aussiedelnden und Spätaussiedelnden in die Bundesrepublik Deutschland seit 1987 sei die Regelung geeignet, die hierdurch entstehenden Belastungen gleichmäßig auf alle Gemeinden zu verteilen. Eine ähnliche Regelung erließ die Große Koalition nach dem Zuzug vieler Flüchtenden 2016 für anerkannte Asylbewerberinnen und -bewerber. Der Europäische Gerichtshof, der für die deutschen Spätaussiedelnden nicht zuständig war, hat hier engere Grenzen aufgezeigt: Solche Regelungen sind demnach nur dann möglich, wenn sie der Integration der Menschen dienen.

Berufsfreiheit

Artikel 12

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Die Berufsfreiheit betrifft einen sehr wesentlichen Lebensbereich: Menschen ergreifen einen Beruf, um sich eine Lebensgrundlage zu schaffen; um das Geld zu verdienen, das sie für sich und ihre Familie benötigen. Andererseits erfolgt die Wahl eines bestimmten Berufs nicht allein „des Geldes wegen“, sondern auch aufgrund bestimmter Begabungen, Fähigkeiten und zur Selbstverwirklichung des Menschen. Schon die Entscheidung, welche Berufsausbildung oder welches Studium angestrebt wird, geht von der Überlegung aus, welcher Beruf den eigenen Fähigkeiten und Interessen entspricht. Der Beruf ist also „Lebensgrundlage und Lebensaufgabe“ zugleich. Das Grundrecht schützt die freie Wahl eines bestimmten Berufs und seine Ausübung wie auch die Wahl eines bestimmten Arbeitsplatzes. Als Vorstufe der späteren Berufsausübung wird auch bereits die Wahl der Ausbildungsstätte geschützt.

Wie kann es dann aber sein, dass beispielsweise der Zugang zu einem Studienplatz für Medizin einer Zulassungsbeschränkung unterliegt? Wieso kann ich eine Autoreparaturwerkstatt nur dann eröffnen, wenn ich eine bestimmte Berufsausbildung abgeschlossen habe? Dass nicht die völlige, uneingeschränkte Freiheit der Berufsausübung vom Grundgesetz garantiert ist, lässt sich am Wortlaut des Artikels 12 GG erkennen:

Wenn es dort heißt, dass die Berufsausübung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, bedeutet dies, dass jedenfalls die wesentlichen Regelungen über den Zugang und die Ausübung eines Berufes nur durch das Parlament entschieden werden können. Auch kann nicht nur, was der Wortlaut nahelegt, die Berufsausübung eingeschränkt werden. Auch Regelungen über die Berufswahl sind möglich, denn Berufswahl und Berufsausübung sind untrennbar miteinander verbunden.

QuellentextDer streitbare Apotheker

Viele wesentliche Grundrechtsentwicklungen gehen auf Verfassungsbeschwerden zurück, hinter denen erst einmal nicht mehr als die unmittelbare Betroffenheit derjenigen steht, die Verfassungsbeschwerde einlegen. So war es zum Beispiel bei der grundlegenden Entscheidung zur Berufsfreiheit: Der Apotheker Karl-Heinz Röber war aus der DDR nach Bayern geflohen. Dort wollte er in den 1950er-Jahren eine Apotheke aufmachen. Er sah sich um und fand – wie er meinte – einen geeigneten Ort und einen Architekten, der ihm helfen wollte. Nur die Apothekenbetriebserlaubnis bekam er nicht. Es gebe genug Apotheken in der Umgebung, hieß es. Bei einer Überversorgung bestünde die Gefahr, dass er unbefugt Arzneimittel abgeben würde. Karl-Heinz Röber kaufte sich eine bayerische Verfassung und ein Grundgesetz und sagte: „Das hört sich anders an“. Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte er Erfolg. Die Apotheke konnte er sich zwar schließlich doch nicht leisten. Artikel 12 aber sieht seit seiner Verfassungsbeschwerde anders aus als zuvor: Die Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Zulassungsvoraussetzungen und Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit geht auf die Apotheker-Entscheidung zurück.

Gudula Geuther

QuellentextLeistungsrechte und Staatsziele

Wer die formalen Voraussetzungen erfüllt, also zum Beispiel Abitur hat, kann an sich einen Studienplatz verlangen. Das folgt aus der Berufsfreiheit. Das heißt aber nicht, dass der Staat unbegrenzt Plätze in allen Fächern zur Verfügung stellen muss. Sehr früh begannen Bundesländer und Universitäten aus Kosten- und Kapazitätsgründen höhere Hürden aufzustellen, zum Beispiel für diejenigen, die Medizin studieren wollten. Das Bundesverfassungsgericht verlangte 1972, dass die Vergabe solcher Studienplätze mit beschränktem Zugang bundesweit koordiniert wird.

Bekannt ist dieses sogenannte erste Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber vor allem, weil die Richterinnen und Richter sich dort Gedanken darüber gemacht haben, ob aus dem Recht auf Berufsfreiheit nicht auch die Pflicht des Staates folgt, eine bestimmte Anzahl von Studienplätzen zu schaffen. Das schlossen die Richterinnen und Richter in dem Urteil zwar nicht aus. Gleichzeitig aber begrenzten sie den Anspruch auf das, „was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann“. Nur wenn dieser Anspruch evident verletzt ist, kann der oder die Einzelne klagen.

Das Gericht kam auf diesen Gedanken nicht wieder zurück, Klagen auf Schaffung neuer Studienplätze hatten keinen Erfolg. Trotzdem werden seitdem vermehrt sogenannte Leistungsrechte oder auch Teilhaberechte diskutiert. Kann also der oder die Einzelne vom Staat nicht nur verlangen, in Ruhe gelassen zu werden (Abwehrrechte), sondern darüber hinaus unmittelbar aus den Grundrechten fordern, etwas zu bekommen? Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist das nur sehr selten der Fall. Beispiele sind Rundfunkanstalten und Privatschulen, die als Institutionen Unterstützung verlangen können. Ein Recht des oder in diesem Fall der Einzelnen auf staatliche Leistung ergibt sich für Mütter aus dem Anspruch auf Schutz und Fürsorge in Artikel 6 Absatz 4.

Wie dieser Schutz allerdings aussieht, ist nicht genau definiert. Echte Leistungsrechte gibt es also kaum. Trotzdem kann eine Einzelperson oft konkrete staatliche Zuwendungen verlangen – immer dann, wenn der Staat überhaupt etwas gewährt. Denn dabei muss er gerecht sein. Wer also zum Beispiel glaubt, er habe zu Unrecht keinen Studienplatz bekommen, obwohl er mindestens so gute Voraussetzungen habe wie andere, die berücksichtigt wurden, kann sich auf das Gleichheitsrecht in Artikel 3 berufen. Er kann also – auch vor Gericht – verlangen, dass er so behandelt wird wie andere.

Dass das Grundgesetz so zurückhaltend dabei ist, staatliche Leistungen zu versprechen, hat mehrere Gründe: Die Grundrechte sollen unmittelbar wirken und dem oder der Einzelnen einklagbare Rechte verschaffen. Das kann aber bei staatlichen Leistungen nicht funktionieren: Die Mittel des Staates sind begrenzt; wie viel er geben kann, ändert sich außerdem ständig. Damit würde die Entscheidung über staatliche Leistungen statt vom Gesetzgeber von dafür weniger legitimierten Richterinnen und Richtern getroffen. Je mehr die Grundrechte außerdem versprechen, ohne es einlösen zu können, desto mehr werden sie entwertet.

Das ist auch der Grund, warum das Grundgesetz – anders als die Weimarer Verfassung, anders als die Verfassung der DDR und auch viele aktuelle Landesverfassungen – keine sozialen Grundrechte vorsieht. Solche sozialen Grundrechte können ganz unterschiedlich aussehen. Klassischerweise versteht man darunter Rechte wie das auf Arbeit oder Wohnung. Während gegnerische Stimmen anführen, damit würden Hoffnungen geweckt, die der Staat nicht erfüllen kann, argumentieren befürwortende Stimmen anders: Ein Recht auf Arbeit zum Beispiel soll demnach gar kein konkretes Versprechen sein. Es soll den Staat aber verpflichten, für möglichst viele Arbeitsplätze zu sorgen und die Einzelperson bei der Suche unterstützen. So steht es zum Beispiel in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Diskutiert wurden solche sozialen Grundrechte in Deutschland vor allem bei den Überlegungen zu Verfassungsänderungen nach der Wiedervereinigung. Die Befürwortenden konnten sich aber nicht durchsetzen.

Ein ähnlicher Gedanke wie hinter den sozialen Grundrechten – verstanden als Pflicht des Staates, auf ihre Verwirklichung hinzuwirken – steckt hinter den Staatszielen. Unter den vielen Aufgaben des Staates heben sie einzelne hervor. Diese müssen Gesetzgeber, Gerichte und Verwaltung dann bei ihren Entscheidungen besonders beachten. Beispiele im Grundgesetz sind das Sozialstaatsgebot in Artikel 20 oder neuerdings der Schutz von natürlichen Lebensgrundlagen oder der Tiere in Artikel 20a. Derzeit fordern manche, zum Beispiel die Förderung von Sport oder Kultur als Staatsziel in die Verfassung zu schreiben. Von den Grundrechten des Grundgesetzes unterscheiden sich auch solche Ziele – wie die sozialen Grundrechte – vor allem dadurch, dass sie der Einzelperson keine konkreten Ansprüche geben, die sie durchsetzen könnte.

Gudula Geuther

Grundsätzlich gilt: Je höher die Hürden für den Zugang und bei der Ausübung eines Berufes sind, desto gewichtiger müssen die Gründe sein, die der Gesetzgeber mit der Einschränkung verfolgt. Letztlich bedeutet dies, dass Einschränkungen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen sind (siehe Beitrag Interner Link: Besondere Merkmale der Grundrechte). Sehr hohe Anforderungen im Hinblick auf die Rechtfertigung gibt es bei den sogenannten objektiven Zulassungsvoraussetzungen. Diese beruhen auf Kriterien, die weder mit den Eigenschaften der Betroffenen in Zusammenhang stehen noch von ihnen beeinflusst werden können. Hierzu gehören etwa Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf von einer Bedarfsprüfung abhängig machen. Solche Regelungen sind nur zulässig, wenn sie zur „Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeingut zwingend geboten“ sind. So entschied es das Bundesverfassungsgericht zuerst im Fall eines Apothekers, der ursprünglich keine Betriebserlaubnis bekommen sollte, weil es schon mehrere Apotheken in der Umgebung gab (siehe Kasten).

Nicht ganz so hoch sind die Anforderungen, wenn es um subjektive Zulassungsvoraussetzungen geht. Damit sind Kriterien gemeint, welche persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten betreffen, also etwa die persönliche Zuverlässigkeit und die fachlichen Qualifikationen, die durch bestandene Prüfungen nachgewiesen werden müssen. Solche Einschränkungen sind nur gerechtfertigt, wenn die Ausübung des Berufs ohne die Erfüllung der Voraussetzungen unmöglich oder unsachgemäß wäre oder wenn sie Schäden für die Allgemeinheit mit sich brächte.

Regelungen, die lediglich die Ausübung eines Berufs betreffen, sind wiederum unter weniger hohen Anforderungen zulässig. Für sie genügen vernünftige Gründe des Gemeinwohls. So rechtfertigt es beispielsweise der Gesichtspunkt des Arbeitsschutzes, für den Einzelhandel Ladenöffnungszeiten vorzusehen.

Art. 12 Abs. 2 und 3 GG enthalten das Verbot des Arbeitszwangs und der Zwangsarbeit. Arbeitszwang bedeutet nur die Verpflichtung zu einzelnen Tätigkeiten, Zwangsarbeit die Erbringung der gesamten Arbeitskraft der Betroffenen. Auch diese Vorschriften sind vor dem Hintergrund der massenhaften Verpflichtung zu Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Regime zu verstehen. Sie gelten allerdings nicht bei ehrenamtlichen Tätigkeiten wie etwa dem Schöffendienst, dem Einsatz als Wahlhelfer, Volkszählerin oder Feuerwehrmitglied.

Wehrdienst- und andere Dienstverpflichtungen

Artikel 12a

(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.
(2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muss, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.
(3) Wehrpflichtige, die nicht zu einem Dienst nach Absatz 1 oder 2 herangezogen sind, können im Verteidigungsfalle durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden; Verpflichtungen in öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind nur zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder solcher hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nur in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis erfüllt werden können, zulässig. Arbeitsverhältnisse nach Satz 1 können bei den Streitkräften, im Bereich ihrer Versorgung sowie bei der öffentlichen Verwaltung begründet werden; Verpflichtungen in Arbeitsverhältnisse im Bereich der Versorgung der Zivilbevölkerung sind nur zulässig, um ihren lebensnotwendigen Bedarf zu decken oder ihren Schutz sicherzustellen.
(4) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.
(5) Für die Zeit vor dem Verteidigungsfalle können Verpflichtungen nach Absatz 3 nur nach Maßgabe des Artikels 80a Abs. 1 begründet werden. Zur Vorbereitung auf Dienstleistungen nach Absatz 3, für die besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Pflicht gemacht werden. Satz 1 findet insoweit keine Anwendung.
(6) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an Arbeitskräften für die in Absatz 3 Satz 2 genannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, so kann zur Sicherung dieses Bedarfs die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Vor Eintritt des Verteidigungsfalles gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend.

Art. 12a Abs. 1 GG enthält eine Grundentscheidung für die Legitimität und Notwendigkeit einer militärischen Landesverteidigung. Danach kann eine Wehrpflicht eingeführt werden, es besteht jedoch keine Verpflichtung dazu. Die Wehrpflicht bestand von 1956 bis 2011. Sie wurde durch das Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 zum 1. Juli 2011 ausgesetzt und ist seitdem nur noch für den Spannungs- und Verteidigungsfall vorgesehen.

Der auch in Art. 12a Abs. 2 GG angesprochene Ersatzdienst hat daher nur für den Fall Bedeutung, dass die Wehrpflicht noch einmal aktiviert wird. Hat ein Wehrpflichtiger von seinem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen aus Art. 4 Abs. 3 GG Gebrauch gemacht, folgt letztlich aus Art. 3 Abs. 1 GG, dass eine Ersatzdienstpflicht geschaffen werden muss, damit für alle gleiche Pflichten gelten (sog. Wehrgerechtigkeit). Dabei ergibt sich aus Art. 12a Abs. 2 Satz 2 GG, dass kein unmittelbarer Funktionszusammenhang mit Aufgaben der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes bestehen darf, das heißt, der Kriegsdienstverweigerer darf nicht zu Tätigkeiten gezwungen werden, die letztlich doch zu einem Mitwirken beim Kriegsdienst führen können, wie etwa bei Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehrverwaltung.

In der Vergangenheit wurde die Ersatzdienstpflicht bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 dadurch umgesetzt, dass anerkannte Kriegsdienstverweigerer als Ersatz für den Wehrdienst in der Regel den Zivildienst zu leisten hatten. Dort hatten sie Tätigkeiten zu verrichten, die dem Gemeinwohl dienten, insbesondere im sozialen Bereich. Die Dienststellen für die Zivildienstleistenden mussten zuvor vom Bundesamt für den Zivildienst anerkannt worden sein. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht wurde auch der Zivildienst zum 1. Juli 2011 ausgesetzt und durch den Bundesfreiwilligendienst ersetzt, der die schon bestehenden Freiwilligendienste ergänzt.

In der aktuellen politischen Diskussion wird angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Möglichkeit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht, die ja nur ausgesetzt ist, diskutiert. Ebenso wird davon unabhängig die Einführung einer allgemeinen sozialen zivilen Dienstpflicht für Frauen und Männer diskutiert. Dem wird jedoch entgegengehalten, dass die Einführung neuer allgemeiner Dienstpflichten sowohl aus grundrechtlicher Sicht (Art. 12 Abs. 2 GG) wie auch aufgrund völkerrechtlicher Regelungen (Art. 4 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte sowie Art. 8 Abs. 3 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte) unzulässig wäre.

Unverletzlichkeit der Wohnung

Artikel 13

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.
(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.
(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.
(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.
(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Jeder Mensch hat das Bedürfnis, einen Ort zu haben, an den er sich ungestört zurückziehen und an dem er sich frei entfalten kann. In diesen eigenen „vier Wänden“ soll der Mensch grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen sein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Wohnung nun im Eigentum des betreffenden Menschen steht oder nicht. Entscheidend ist, dass sie nach dem Willen des Bewohners oder der Bewohnerin der Öffentlichkeit entzogen ist. Geschützt ist also nicht bloß die Wohnung, sondern auch beispielsweise ein Hotelzimmer, ein Zimmer im Studierendenwohnheim, im Altersheim oder im Krankenhaus. Das Recht, in seiner Privatsphäre in Ruhe gelassen zu werden, hat einen sehr starken Bezug zur Menschenwürde. Die hohe Bedeutung dieses Grundrechts erklärt auch die hohen Schranken, die gegen Beeinträchtigungen des Grundrechts bestehen.

Durchsuchungen einer Wohnung stellen einen schweren Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen dar. Deshalb soll sichergestellt werden, dass dieser Eingriff durch eine unabhängige, neutrale Instanz bewertet wird. So sieht Art. 13 Abs. 2 GG vor, dass Durchsuchungen grundsätzlich nur durch einen richterlichen Beschluss angeordnet werden dürfen. Das Gericht hat also zu prüfen, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen einer Durchsuchung vorliegen. Es muss auch prüfen, ob nicht mit weniger einschneidenden Mitteln das erstrebte Ziel – etwa Beweismittel für die Verfolgung von Straftaten zu finden – erreicht werden kann. Es muss ferner dafür sorgen, dass nicht mehr oder weitergehend durchsucht wird als unbedingt erforderlich. Auch hier ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (siehe Beitrag Interner Link: Besondere Merkmale der Grundrechte) strengstens zu beachten. In der Entscheidung, mit der die Durchsuchung anordnet wird, muss das Gericht deshalb genau angeben, was aufgefunden werden soll, um damit zu verhindern, dass die Durchsuchung zu unnötigen Erforschungen der Privatsphäre führt.

Der Schutz der Wohnung wird auch beeinträchtigt, wenn Vorgänge in der Wohnung überwacht werden. Dies kann durch technische Vorrichtungen wie etwa Kameras oder Mikrofone geschehen, wobei es keine Rolle spielt, ob diese Geräte von außen auf die Wohnung gerichtet oder in ihr installiert werden. Für solche Eingriffe stellen Art. 13 Abs. 3 bis 5 GG besonders hohe Anforderungen. Für den sogenannten großen Lauschangriff zur Aufklärung von Straftaten sieht Art. 13 Abs. 3 GG vor, dass die Maßnahme nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten, also etwa Mord, schwerer Raub oder Geiselnahme, zulässig ist. Auch darf der große Lauschangriff nur dann angeordnet werden, wenn der Sachverhalt ohne die akustische Wohnraumüberwachung gar nicht oder nur unter unverhältnismäßig großen Erschwernissen aufgeklärt werden könnte. Auch darf über diese Maßnahme grundsätzlich nur ein mit drei Richterinnen bzw. Richtern besetzter Spruchkörper entscheiden.

Weil aber das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung einen starken Bezug zur Menschenwürde aufweist, dürfen Maßnahmen wie der Lauschangriff selbst unter all diesen Voraussetzungen dann nicht stattfinden, wenn sie den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren. Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutz des sogenannten Kernbereichs unmittelbar aus der Menschenwürde abgeleitet. Es hat den Kernbereich nicht abschließend definiert, es hat lediglich bestimmte Beispiele genannt: Dazu gehören die Äußerung innerster Gefühle und die sexuelle Sphäre. Wo es also intim wird, dürfen Ermittlerinnen und Ermittler nicht mehr zuhören. Für das Bundesverfassungsgericht folgten der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und das Verbot, ihn anzutasten, unmittelbar aus der Menschenwürde. Da die Menschenwürde nicht, auch nicht durch anderweitiges Verfassungsrecht, eingeschränkt werden kann, ist jeder Eingriff in die Menschenwürde ausnahmslos verboten.

Eigentum, Erbrecht, Enteignung und Sozialisierung

Artikel 14

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen. Artikel 15 Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 und 4 GG entsprechend.

Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet das Eigentum, die Vorschrift erläutert aber nicht, was mit Eigentum gemeint ist. Das ist zwar im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Die Verfassung hat aber ein eigenes Bild vom Eigentum, das weiter gefasst ist als das des einfachen Rechts. Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG sind alle vom Gesetzgeber gewährten konkreten vermögenswerten Rechte. Der grundgesetzliche Eigentumsschutz hängt also zuerst davon ab, dass überhaupt gesetzliche Regelungen bestehen. Die bestimmen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dann auch Inhalt und Schranken des Eigentums, das bedeutet: Sie regeln nicht nur, welche Rechtspositionen es geben kann, sondern auch, wie weit sie geschützt sind. Zu den vom Eigentumsgrundrecht geschützten Rechten gehören Forderungen (etwa gegen eine Bank auf Auszahlung eines Sparguthabens), das Eigentum im Sinne des Zivilrechts (also Eigentum an beweglichen Sachen und Grundeigentum), aber auch Ansprüche gegenüber dem Staat. Diese müssen allerdings auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen, wie beispielsweise der Anspruch auf Zahlung einer Rente aus der Sozialversicherung.

Dass es aber nach dem Grundgesetz nicht lediglich um den einseitigen Schutz des Eigentumsrechts geht, ergibt sich aus Art. 14 Abs. 2 GG: Das Eigentum ist sozialpflichtig. Das muss vor allem der Gesetzgeber berücksichtigen, wenn er regelt, was Eigentum ist und wie weit es geht. Konkret bedeutet dies, dass der Gesetzgeber etwa bei der Ausgestaltung des Mietrechts sowohl die Interessen der Eigentümerinnen und Eigentümer wie auch die Interessen der Mieterinnen und Mieter in einen gerechten Ausgleich bringen muss.

Art. 14 Abs. 3 GG sieht vor, dass Enteignungen nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig sind. Dies stellt jedoch die Eigentumsgarantie selbst nicht infrage, da die Enteignung nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig ist. Wesentlich ist dabei, dass eine Enteignung immer auch eine Entschädigung voraussetzt.

Auch im Artikel 15, dem Sozialisierungsartikel, sieht das Grundgesetz die Entziehung von Eigentum vor. Mit ihr würden nicht wie bei der Enteignung nur bestimmte Eigentumspositionen im Einzelfall entzogen, sondern die genannten vergesellschaftungsfähigen Güter insgesamt, mit dem Ziel, sie in die Gemeinwirtschaft zu überführen. Dies bedeutet, dass die Güter nicht mehr zum privaten Gewinnstreben eingesetzt werden, sondern ihre Nutzung unmittelbar der Allgemeinheit zugutekommt, wobei auch hier eine Entschädigung vorgesehen ist.

Die Vorschrift hat wohl nur historische Bedeutung. Im parlamentarischen Rat hatte man sich früh verständigt, die hoch umstrittene Wirtschaftsordnung nicht im Grundgesetz festzuschreiben, sondern sie der Entwicklung der neuen Republik zu überlassen. Dort fiel schnell die Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft. Artikel 15 ist nie angewendet worden.

Artikel 15 GG ist eine Vorschrift, die in der Vergangenheit kaum eine praktische Bedeutung gehabt hat. Die Vorschrift ermöglicht die Sozialisierung von Grund und Boden (und den darauf errichteten Gebäuden), Naturschätzen und Produktionsmitteln (dazu gehören alle Wirtschaftsunternehmen). Diese Güter sollen nicht mehr der individuellen Gewinnerzielung dienen, sondern mit ihnen sollen Zwecke des Gemeinwohls verwirklicht werden. Für die Verwirklichung gemeinwirtschaftlicher Vorstellungen bedarf es eines Gesetzes, welches den mit der Sozialisierung verfolgten Zweck konkretisiert. Zugleich muss das Gesetz aber auch eine Regelung zur Entschädigung enthalten. Diese Entschädigung ist auf der Grundlage einer Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Betroffenen festzusetzen; diese muss nicht den Verkehrswert erreichen, denn sonst wäre eine Sozialisierung wohl faktisch unmöglich.

In der Vergangenheit ist es nicht vorgekommen, dass bestehende privatwirtschaftliche Unternehmen sozialisiert wurden. Im Gegenteil, gerade in dem Bereich der Wohnungswirtschaft fand eine umgekehrte Entwicklung statt: In den 1980er-Jahren kam die gemeinnützige Wohnungswirtschaft in Misskredit. Das gemeinnützige Wohnungsunternehmen Neue Heimat, dass in der Nachkriegszeit erfolgreich einen großen Bestand an Wohnungen zur Linderung der kriegsbedingten Wohnungsnot geschaffen hatte, war aufgrund von Misswirtschaft und persönlicher Bereicherung durch Vorstandsmitglieder überschuldet und musste liquidiert werden. Im Jahre 1990 wurde die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau abgeschafft, seit dieser Zeit verliert der Bereich des gemeinwirtschaftlichen Wohnbaus kontinuierlich an Bedeutung und große Teile dieses Wohnungsbestands wurden an private Unternehmen veräußert. So ist zwischenzeitlich der Bestand an preisgünstigen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus von einem Bestand von über drei Millionen Wohnungen im Jahre 1990 auf gegenwärtig lediglich eine Million geschrumpft.

Dem steht eine drastisch zunehmende Wohnungsnot gegenüber. Gerade in Haushalten mit niedrigen Einkommen zehren die Mieten mittlerweile einen großen Teil des verfügbaren Einkommens auf. Die private Wohnungswirtschaft arbeitet gewinnorientiert und ist an einer Preissteigerung des Mietzinses interessiert; so haben sich beispielweise in Berlin in vielen Wohnlagen die Mieten seit 2010 fast verdoppelt.

Um diesem entgegenzutreten, wurde in Berlin 2018 eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen, die eine Vergesellschaftung großer privater Immobilienkonzerne anstrebt. Diese Initiative beschränkt sich gerade nicht auf eine Forderung nach Enteignung der Wohnungskonzerne. Vielmehr wird eine Überführung größerer Wohnungsbestände in eine Anstalt öffentlichen Rechts angestrebt. Diese soll nach den Prinzipien der Gemeinwirtschaft arbeiten. Die Wohnungsbestände würden danach nicht mehr der Gewinnmaximierung durch private Konzerne unterliegen, die erwirtschafteten Gewinne würden der Gemeinschaft bleiben und zur Finanzierung einer besseren Versorgung mit Wohnraum als lebensnotwendigem Grundbedarf eingesetzt.

Im Jahre 2021 fand zugleich mit der Bundestagswahl und der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hierzu ein Volksentscheid statt. Fast 60 Prozent der abgegebenen Stimmen stimmten für den zur Abstimmung gestellten Beschluss. Mit diesem wurde der Senat jedoch nur aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zur Vergesellschaftung der betreffenden Wohnungsbestände einzuleiten. Dabei hat der Senat, anders als bei einem Volksentscheid über ein konkretes Gesetz, einen Spielraum, letztlich ist er an den Beschluss nicht gebunden. Aufgrund der politischen Wirkung dieses Volksentscheides bleibt es jedoch abzuwarten, ob Art. 15 GG nicht doch noch praktische Relevanz bei der Bewältigung der Wohnungsnot bekommt.

Ausbürgerung und Auslieferung

Artikel 16

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

Art. 16 Abs. 1 GG schützt deutsche Bürgerinnen und Bürger vor dem Verlust der Staatsangehörigkeit. Unzulässig ist eine Entziehung der Staatsangehörigkeit, das heißt eine Ausbürgerung aus Gründen, die die Betroffenen nicht in zumutbarer Weise vermeiden können. Hierzu gehört insbesondere die Entziehung aufgrund einer politischen Anschauung, die in der Zeit des Nationalsozialismus massenhaft erfolgte. Es wird allerdings zwischen Entziehung und Verlust der Staatsangehörigkeit unterschieden. Mit Verlust sind die Fälle gemeint, in denen die Betroffenen durch ein in zumutbarer Weise vermeidbares Verhalten die Staatsangehörigkeit verlieren.

Artikel 16 Abs. 2 GG schützt alle deutschen Staatsangehörigen davor, gegen ihren Willen aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert zu werden. Auslieferung bedeutet die Entfernung eines Bürgers oder einer Bürgerin aus der Bundesrepublik Deutschland und die Überstellung an einen ausländischen Staat. Ein ausländischer Staat wird eine Auslieferung eines Bürgers bzw. einer Bürgerin von der Bundesrepublik Deutschland insbesondere dann verlangen, wenn die betreffende Person dort eine Straftat begangen hat und diese Tat geahndet werden soll.

Die Bundesrepublik Deutschland möchte aber auch, dass die Völker verstärkt bei der Strafverfolgung zusammenarbeiten. Dies soll besonders auch im Rahmen der Europäischen Union geschehen, die zu einem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ weiterentwickelt werden soll. Auch hat die Bundesrepublik Deutschland das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnet. In diesem Rahmen war es erforderlich, ausnahmsweise auch die Auslieferung eigener Staatsangehöriger zu ermöglichen.

Daher wurden im Jahre 2000 Einschränkungen des Auslieferungsverbots in dem neu eingefügten Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG vorgesehen. Danach sind Auslieferungen auf gesetzlicher Grundlage nur dann zulässig, wenn das Auslieferungsgesuch von Seiten anderer Mitgliedstaaten der EU oder von internationalen Gerichtshöfen kommt, die sich zur Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze verpflichtet haben. Auf dieser Grundlage wurde 2004 das Europäische Haftbefehlsgesetz erlassen.

Asylgrundrecht

Asylrecht, früher auch als „Freistättenrecht“ bezeichnet, bedeutet das Recht, an einem Ort – dem Asyl – frei von Verfolgung zu sein. Der Schutz vor politischer Verfolgung besteht somit vorrangig darin, dass die Asylberechtigten nicht an den Staat, der ihn verfolgt, ausgeliefert werden, sondern im Aufnahmestaat bleiben dürfen. Das Asylgrundrecht gewährt also einen Anspruch auf Aufnahme im Bundesgebiet. Es richtet sich an politisch verfolgte Ausländerinnen und Ausländer, und es erlaubt ihnen die Einreise und den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Begriff „Asylrecht“ wird unterschiedlich verwendet. In einem eher umgangssprachlichen Sinn versteht man darunter jeden Flüchtlingsschutz, den der Staat zuerkennt. In einem etwas engeren Sinn umfasst das Asylrecht zumindest auch den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Artikel 16a GG ist noch deutlich enger gemeint: Das Asylgrundrecht bietet Schutz vor politischer Verfolgung.

Dem Asylgrundrecht liegt die Überzeugung zugrunde, dass kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit eines Menschen aus Gründen zu verletzen, die in seiner politischen oder religiösen Überzeugung oder sonstigen, für ihn unverfügbaren Merkmalen (also etwa der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe) liegen. Das Asylrecht wurde in den Grundrechtskatalog aufgenommen, weil viele, die in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes rassistisch oder politisch verfolgt wurden, nur hatten überleben können, indem sie Zuflucht im Ausland fanden, während anderen solcher Schutz nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten gewährt wurde. Beide Erfahrungen führten dazu, dass der Parlamentarische Rat das Asylrecht ohne weitere Diskussionen unumschränkt festschrieb. Das Asylrecht soll also einer politisch verfolgten Person wirksamen Schutz vor Verfolgung bieten. Diese Grundidee hat Folgen für das Asylverfahren. Wäre es nämlich so konzipiert, dass die asylsuchende Person erst einreisen dürfte, wenn sie nachgewiesen hat, dass sie verfolgt wird, würde sie das bis zur endgültigen Entscheidung (die oft viel Zeit in Anspruch nimmt) schutzlos lassen. Sie wäre so lange weiterhin der Verfolgung in ihrem Heimatstaat ausgeliefert.

Damit ist die Struktur des Verfahrens, in dem über das Asylgesuch entschieden wird, im Grundsatz vorgegeben: Der Staat prüft, ob die asylsuchende Person tatsächlich vor Verfolgung aus ihrem Heimatstaat geflohen ist. Diese muss dabei mitwirken, ihre Asylberechtigung nachweisen muss sie aber nicht. Solange das Verfahren dauert, darf sie nicht an der Grenze abgewiesen werden oder in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Stellen Asylsuchende bei ihrer Einreise einen Asylantrag, ist ihnen daher – wenn nur Art. 16a GG berücksichtigt wird – die Einreise zur Durchführung des Asylverfahrens zu gestatten. Sie dürfen also nicht deshalb an der Grenze abgewiesen werden, weil ihnen das für ausländische Personen erforderliche Visum fehlt oder weil sonstige Regelungen des Ausländerrechts ihrer Einreise entgegenstehen.

Diese unmittelbar aus dem Grundrecht folgenden Maßgaben machen aber auch die Schwierigkeiten bei der Gewährleistung des Asylrechts deutlich: Das ansonsten für Einreise und Aufenthalt maßgebliche Ausländerrecht verbietet demgegenüber einen ungehinderten Zuzug in das Bundesgebiet und macht – jedenfalls im Grundsatz – jede Einreise einer ausländischen Person von einer vorherigen Erlaubnis abhängig. Das Asylgrundrecht mit seiner ganz anders gelagerten Gewährleistung sieht jedoch den eben beschriebenen, umgekehrten Mechanismus vor.

Dieses rechtliche Verfahren geriet zu Beginn der 1990er-Jahre unter Druck. Unter anderem das Ende des Ost-West-Konflikts hatte offenere Grenzen, aber nicht die erhoffte „Friedensdividende“ bewirkt. Auch führten innerstaatliche Konflikte in manchen Ländern zu instabilen Verhältnissen. Diese Entwicklungen brachten es unter anderem mit sich, dass die Einreise von Ausländerinnen und Ausländern stark zunahm. Viele hatten Armut, mangelnde Verdienstmöglichkeiten und fehlende Sicherheit bewogen, das eigene Land zu verlassen, und sie beriefen sich auf das Asylgrundrecht, um Aufnahme zu finden. Aus Angst vor Überforderung der sozialen Sicherungssysteme wurden Forderungen nach einer Änderung des Asylrechts laut. Im Grundgesetz lautete das Asylgrundrecht in seiner ursprünglichen Fassung in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG knapp: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Damit war das Grundrecht vorbehaltlos garantiert, es konnte nicht durch ein einfaches Gesetz eingeschränkt werden.

Dies änderte sich nun durch den sogenannten Asylkompromiss vom 6. Dezember 1992. Der Gesetzgeber schränkte mit der für Verfassungsänderungen notwendigen Zweidrittelmehrheit das Grundrecht ein. Heute lautet die Vorschrift wie folgt:

Artikel 16a

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muss, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Einschränkungen des Asylgrundrechts ergeben sich nun aus der Regelung über die sogenannten sicheren Drittstaaten (Art. 16a Abs. 2 GG). Einreisende aus solchen Staaten können sich grundsätzlich nicht auf das Asylgrundrecht berufen. Als sichere Drittstaaten gelten die Mitgliedstaaten der EU und andere Staaten, in denen die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt sein soll. Auf welche Staaten dies zutrifft, entscheidet der Gesetzgeber.

Eine weitere Regelung betrifft Asylsuchende aus sogenannten verfolgungsfreien oder auch „sicheren“ Herkunftsstaaten (Art. 16a Abs. 3 GG). Auch hier ist der Gesetzgeber wieder berufen, durch Gesetz zu entscheiden, auf welche Staaten diese Regelung Anwendung finden soll. Wer aus einem solchen Land kommt, dessen Antrag wird in der Regel keinen Erfolg haben. Galten lange Zeit nur der Senegal und Ghana als sichere Herkunftsstaaten, werden inzwischen immer mehr Staaten als frei von politischer Verfolgung erklärt.

Von Anfang an hatten gegnerische Positionen der Verfassungsänderung kritisiert, dass mit ihr das Grundrecht faktisch seinen Wert verloren habe. Da die Bundesrepublik von „sicheren Drittstaaten“ umgeben ist, kann eine Berufung auf das Asylgrundrecht jedenfalls bei einer Einreise auf dem Landweg nicht mehr geltend gemacht werden. Inzwischen stellt sich die Frage, ob die dem Asylkompromiss zu Grunde liegenden Annahmen nicht teilweise widerlegt sind. Nachdem nach Ansicht einzelner deutscher Gerichte, auch des Bundesverfassungsgerichts, Asylsuchende zum Beispiel in Griechenland nicht den Schutz bekamen, von dem Artikel 16a GG ausgeht, halten kritische Stimmen die Drittstaatenregelung für zu weitgehend.

Gleichzeitig geriet das deutsche und europäische Asylsystem mit den Fluchtbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 und dem auch danach anhaltenden Zustrom von Flüchtenden weiter unter Druck. Nachdem es zunächst zu weiteren Einschränkungen des deutschen Flüchtlingsrechts gekommen war, vereinbarten die EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2023 unter dem Eindruck des anhaltenden Zustroms von Flüchtenden auf der Grundlage von Art. 78 AEU-Vertrag weitere Verschärfungen des Flüchtlingsrechts.

So sollen für bestimmte Personengruppen in Asylzentren in EU-Mitgliedsstaaten an den EU-Außengrenzen eine Prüfung ihrer Asylanträge stattfinden. Das Grenzverfahren soll für Antragstellende aus sicheren Herkunftsstaaten und Asylbewerberinnen und -bewerber aus Staaten mit einer geringeren Anerkennungsquote als 20 Prozent verpflichtend werden, ebenfalls für Personen, die die Behörden getäuscht haben und für solche Personen, von denen eine Gefahr für die nationale Sicherheit ausgeht. Unbegleitete Minderjährige sollen aber von dem Grenzverfahren ausgeschlossen sein. Eine gerichtliche Kontrolle der im Grenzverfahren ergangenen Entscheidungen soll möglich sein. Es ist geplant, dass Asylbewerberinnen und -bewerber bei Ablehnung ihres Antrags direkt aus diesen Asylzentren abgeschoben werden können. Das Grenzverfahren wird dahingehend kritisiert, dass es haftähnliche Internierungslager vorsieht. Dem wird entgegnet, dass das Grenzverfahren im Normalfall auf 12 Wochen zeitlich begrenzt sein soll. Auch werde lediglich die Einreise in die EU verhindert, nicht jedoch eine Rückkehr in den Heimatstaat oder eine Weiterreise in einen Drittstaat.

Eine wesentliche Änderung besteht darin, dass nunmehr alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, Asylbewerberinnen und -bewerber aufzunehmen oder in anderer Weise einen Beitrag zu leisten. Bislang erfolgte die Verteilung der Flüchtenden auf freiwilliger Basis, die Forderung nach einer solidarischen Regelung, nach der alle EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen zur Aufnahme verpflichtet sind, war seit langen Jahren zwischen diesen umstritten.

Das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16a GG selbst wird durch die vorgesehenen europarechtlichen Regelungen aber nicht verändert, es hat jedoch für die Flüchtenden in der Vergangenheit auch kaum noch praktische Relevanz gehabt.

QuellentextAsyl und Flüchtlingsschutz

Lange Zeit spielte das Asylrecht nach Artikel 16a GG die wichtigste Rolle für den Flüchtlingsschutz – obwohl seit 1953 in Deutschland auch die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gilt. Diese UN-Konvention erkannte erstmals die Notwendigkeit an, Flüchtlinge unter den Schutz des Völkerrechts zu stellen. Allerdings galt sie anfangs nur für Europäerinnen und Europäer (gemeint waren vor allem Angehörige der kommunistischen Staaten) und nur wegen Verfolgung, die noch früher (bis 1951) stattgefunden hatte. Nach und nach wurde der Schutz durch die Konvention aber stärker, das Verhältnis zwischen dem sogenannten großen Asyl nach Art. 16a und dem „kleinen Asyl“ nach der GFK kehrte sich um: Völkerrechtlich wurde die Konvention so geändert, dass sie viel mehr Menschen und Verfolgungsschicksale umfasste.

Auch der deutsche Gesetzgeber weitete den Anwendungsbereich durch das innerstaatliche Recht aus. Inzwischen bekommen nur noch ein bis zwei Prozent der Asylbewerberinnen und -bewerber den Asylschutz des Grundgesetzes. Wie viele Schutz nach der Genfer oder der entsprechenden europäischen Konvention zuerkannt bekommen, schwankt. 2022 war es mehr als jede zweite schutzsuchende Person, schaut man auf die inhaltlichen Entscheidungen waren es fast drei von vier. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes dachten beim Asylrecht daran, Menschen vor einer Verfolgung zu schützen, wie sie sie zur NS-Zeit erlebt hatten: Gezielt, aus politischen Gründen im engeren Sinn oder zum Beispiel aus rassistischen Gründen, gesteuert durch den Staat. Entsprechend eng formulierte später auch das Bundesverwaltungsgericht die Regeln. Die GFK dagegen legen auch deutsche Gerichte inzwischen deutlich weiter aus. So spielt es keine Rolle, ob die Verfolgung vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist – es genügt, wenn die geflüchtete Person im Herkunftsstaat verfolgt wurde, zum Beispiel durch Milizen oder Terrorgruppen, und sich nicht innerhalb ihres Landes in Sicherheit bringen könnte. Trotzdem setzt auch die GFK noch eine Verfolgung gerade der Person oder der Volksgruppe oder der Religion voraus, der sie angehört.

Aber auch andere Menschen haben gute Gründe, zu fliehen – zum Beispiel, weil sie wegen Kriegen oder Bürgerkriegen in ihrem Land um ihr Leben fürchten müssen. Auch sie bekommen Schutz in Deutschland, allerdings mit weniger Rechten als anerkannte Asylbewerberinnen und -bewerber oder GFK-Flüchtlinge. Sie bekommen subsidiären, das heißt nachrangigen Schutz. Die Unterscheidung ist allerdings im Einzelfall oft schwierig und umstritten.

Noch deutlich weniger Rechte haben Geduldete. Sie werden nur vorübergehend nicht abgeschoben – sei es, weil sie in Deutschland eine Ausbildung machen, sei es, weil ihr Herkunftsstaat ihnen keine Papiere gibt. Für Menschen mit Duldung ist besonders wichtig, was für alle Geflüchteten gilt: Die GFK verbietet es, Menschen dahin zurückzuschicken, wo ihnen unmenschliche Behandlung oder Schlimmeres drohen.

Auch wenn sich also viele Flüchtlinge nicht auf das Grundrecht auf Asyl, wie es das Grundgesetz meint, berufen können, sind sie in Deutschland von den Grundrechten geschützt – auch von dem auf Menschenwürde.

Welche Flüchtenden in Europa Schutz bekommen sollen und welcher europäische Staat ihnen Schutz bietet, wird derweil mehr und mehr durch Europäisches Recht bestimmt. Allerdings sind die Interessen der Mitgliedstaaten der EU teilweise sehr unterschiedlich. Starken politischen Bemühungen um europaweite Regeln stehen deshalb langsame Beschlussfassungen und wiederholte Abkehr von gemeinsamen Lösungen gegenüber. Trotzdem versucht die EU seit 2023 verstärkt, zu einem einheitlichen Recht zu kommen. Anfang 2024 stimmte das Europäische Parlament einem Kompromiss zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) zu. Damit ist es wahrscheinlich, dass die neuen Regeln im Lauf des Jahres 2026 in Kraft treten. Dabei geht es nicht nur um mehr oder weniger bindende Regeln für die Verteilung der Menschen in Europa, sondern auch um Verfahren an den Europäischen Außengrenzen, deren Ausgestaltung umstritten ist.

Gudula Geuther

Petitionsrecht

Artikel 17

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.

Das Petitionsrecht gibt jeder Person die Möglichkeit, sich auch außerhalb von förmlichen Verwaltungsverfahren oder von Rechtsmittelverfahren an den Staat zu wenden. Petitionen können zum einen an die Parlamente, also den Bundestag und den jeweiligen Landtag, gerichtet werden. Zum anderen können sich interessierte Personen mit ihren Anliegen an alle Stellen und Behörden öffentlich-rechtlicher Einrichtungen wenden, die für die betreffenden Belange zuständig sind.

Eine Petition ist ein gegenüber staatlichen Stellen geäußerter Wunsch nach einem bestimmten Tun oder Unterlassen. Von ihr zu unterscheiden sind solche Anträge und Beschwerden, mit denen ein Rechtsanspruch geltend gemacht werden soll. Hierfür steht der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG offen. Ebenso unterschiedlich ist auch das, was sich jeweils erreichen lässt: Auf dem Rechtsweg kann man das durchsetzen, worauf man einen Anspruch hat. Mit dem Petitionsrecht erhält man lediglich das Recht, dass die Petition zur Kenntnis genommen wird, sie sachlich geprüft wird und dies dem Petenten bzw. der Petentin mitgeteilt wird.

QuellentextArtikel 18 und politischer Extremismus

Nach Artikel 18 des Grundgesetzes kann derjenige, der die Meinungs-, die Versammlungs- oder die Vereinigungsfreiheit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung […] missbraucht, diese Grundrechte verwirken. […]

Ähnlich wie bei einem Parteiverbot kann auch über die Grundrechtsverwirkung nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Es wird nicht von sich aus tätig, sondern auf Initiative von Bundestag, Bundesregierung oder einer Landesregierung.

Das Verfahren läuft – insofern ist der Begriff „Grundrechtsverwirkung“ etwas irreführend – nicht darauf hinaus, dass der Betroffene vollumfänglich seine Grundrechte verliert. Das wäre in einem Rechtsstaat undenkbar. Vielmehr stellt das Bundesverfassungsgericht fest, welches spezifische Grundrecht dem Betroffenen entzogen wird.

Ein Beispiel: Das Gericht könnte Höcke [AfD-Politiker Björn Höcke, Anm. d. Red.] seine Versammlungsfreiheit entziehen. Würde er dann eine Versammlung anmelden, könnten die Behörden diese leichter verbieten. […]

Das Bundesverfassungsgericht kann darüber hinaus entscheiden, dass der Betroffene das aktive und passive Wahlrecht und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verliert. Im Fall Höckes würde das heißen, dass er nicht mehr ins Parlament gewählt werden kann.

Die Grundrechtsverwirkung muss sich allerdings noch in der Praxis bewähren. Seit Bestehen der Bundesrepublik ist Artikel 18 des Grundgesetzes noch nie angewandt und sind niemandem die Grundrechte entzogen worden. […]

Charlotte Greipl, „Kampf gegen Demokratie-Feinde: Kann man Höcke & Co. ihre Grundrechte nehmen?“, in: Tagesspiegel vom 12. Januar 2024. Online: Externer Link: https://www.tagesspiegel.de/politik/kampf-gegen-demokratie-feinde-kann-man-hocke-co-ihre-grundrechte-nehmen-11039875.html

Justizgrundrechte

Artikel 19

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Rechtsweggarantie

Bislang wurde der Inhalt der einzelnen Grundrechte erläutert, wobei immer die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte im Vordergrund stand. Die Grundrechte sollen also die Bürgerinnen und Bürger vor bestimmten Zugriffen des Staates schützen, sie räumen ihnen Freiheitsrechte ein. Was aber, wenn sich der Staat nicht daran hält, wenn also beispielsweise eine Demonstration aufgelöst wird, ohne dass ein Grund dafür besteht oder wenn ein Kind gegen den Willen der Eltern vom Jugendamt aus der Familie herausgenommen wird? In den materiellen Grundrechten selbst ist dazu nichts ausgeführt. Hier greift Art. 19 Abs. 4 GG ein:

Die Rechtsweggarantie ist in Abgrenzung zu den materiellen Grundrechten, die ein bestimmtes Niveau der Freiheit und Gleichheit sichern sollen, ein sogenanntes prozessuales oder Verfahrensgrundrecht. Es sichert die Durchsetzung der materiellen Grundrechte (aber auch des einfachen Rechts) und den Schutz gegen Verletzungen dieser Grundrechte in einem gerichtlichen Verfahren. Dabei schützt das Grundrecht nur vor Eingriffen der Exekutive, also der Behörden. Es stehen also immer Behördenentscheidungen auf dem Prüfstand. Diese werden von den Gerichten vollständig im Hinblick auf ihre materielle Richtigkeit überprüft.

Gesetze der Parlamente sind von Art. 19 Abs. 4 GG dagegen nach herrschender Ansicht nicht erfasst. Was aber, wenn nicht die Entscheidung der Behörde „falsch“ ist, sondern schon das zugrunde liegende Gesetz gegen Grundrechte verstößt? Die Beschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG auf Entscheidungen der Exekutive, also der Verwaltung, bedeutet keineswegs, dass kein Rechtsschutz gegen die Gesetze gegeben ist, auf deren Grundlage die Verwaltungsentscheidung ergangen ist. Hier sind zum einen die Gerichte befugt, eine Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG herbeizuführen, indem sie das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. Geschieht auch dies nicht, können die Bürgerinnen und Bürger (nach der Erschöpfung des Rechtswegs) auf dem Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, dass das Gesetz (und die auf seiner Grundlage ergangene Entscheidung) mit den Grundrechten nicht in Einklang steht. Denn es steht nur den Verfassungsgerichten zu, vom Parlament erlassene Gesetze zu überprüfen und zu verwerfen.

Da Art. 19 Abs. 4 GG nur den Rechtsschutz gegen die Verletzung der Rechte des oder der Einzelnen durch die öffentliche Gewalt gewährleistet, ist die Möglichkeit, vor den Zivilgerichten Rechtsschutz etwa gegen Verletzungshandlungen Privater zu erlangen, von diesem Grundrecht nicht erfasst. Hier greift der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete allgemeine Justizgewährungsanspruch, der einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten erfordert.

Mathias Metzner war wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht und im Grundrechtsreferat des Bundesministers der Justiz tätig. Er ist Vorsitzender Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof.