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Brief-, Post- und Fernmeldegeheimis | Grundrechte | bpb.de

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Brief-, Post- und Fernmeldegeheimis

Mathias Metzner

/ 5 Minuten zu lesen

Artikel 10

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmelde­geheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Menschen sind auf Kommunikation miteinander angewiesen und nutzen dazu oft Hilfsmittel – seien es Briefe, Telefone, Faxe oder Angebote der modernen Telekommunikation wie E-Mails oder die Internet-Telefonie. Allen Kommunikationsmitteln ist eines gemeinsam: Dritte können auf den Kommunikationsvorgang zugreifen. Die vertrauliche Kommunikation wird dann von Personen zur Kenntnis genommen, für die sie nicht bestimmt ist. Briefe können auf dem Beförderungsweg gelesen werden, Telefonanrufe können mitgehört oder E-Mails gelesen werden, ohne dass die Absender oder die Empfänger dies erkennen können.

In der Vergangenheit waren die wichtigsten Erbringer von Postdienstleistungen staatliche Unternehmen. Staatliche Eingriffe in den Post- und Telekommunikationsbereich wären daher ein Leichtes gewesen, wenn nicht Art. 10 Abs. 1 GG die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vorgeschrieben hätte.

Das Grundrecht entfaltet seine Wirkung in allen Bereichen der Kommunikation über Distanzen in gleicher Weise: Der Übermittlungsvorgang wird geschützt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich sicher sein, dass ihre Briefe, Telefonate und E-Mails grundsätzlich ohne eine Kenntnisnahme des Staates oder anderer Personen als den Empfängern übermittelt werden. Geschützt sind dabei nicht nur die Inhalte, sondern auch die Umstände der Kommunikation, also wer mit wem telefoniert hat, wer an wen Briefe geschickt hat und wann dies geschehen ist.

Umstritten ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten. Dabei geht es nicht um die Inhalte der Kommunikation, sondern darum, wer wann von wo mit wem Kontakt hatte. Mehrfach haben Gerichte deutlich gemacht, dass auch solche Verbindungsdaten nur in engen Grenzen anlasslos gespeichert werden dürfen. Eine EU-Richtlinie von 2006 verlangte, dass die Anbieter von Telekommunikations-Dienstleistungen verpflichtet werden, diese Verbindungsdaten von Festnetztelefonie, Mobilfunk, E-mail, SMS, MMS, Fax und Internetdiensten mindestens sechs Monate lang zu speichern. In Deutschland sollte das mit einem Gesetz aus dem Jahr 2007 vorgeschrieben werden.

Ca. 350.000 Bürgerinnen und Bürger unterstützten Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen 2010 Recht. So äußerte es sich in seinem Urteil vom 2. März: "Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit einer vorsorglich anlasslosen Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten setzt vo­raus, dass diese eine Ausnahme bleibt. Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss. Durch eine vorsorgliche Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten wird der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der Europäischen Union erheblich geringer."

Allerdings sagten die Richter nicht, dass die Vorratsdatenspeicherung als solche, wie sie die EU-Richtlinie verlangt, verfassungswidrig wäre. Was der deutsche Gesetzgeber daraus gemacht habe, verstoße aber gegen das Fernmeldegeheimnis. Wenn so umfangreich Daten gespeichert würden, müsse der Gesetzgeber für einen besseren Schutz dieser Daten sorgen und näher eingrenzen, für was die Daten verwendet werden könnten. Solche Datensammlungen müssten die Ausnahme bleiben, bei der Vorratsdatenspeicherung handle es sich um einen "besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt."

Vier Jahre später erklärte der Europäische Gerichtshof auch die zugrunde liegende Richtlinie für unvereinbar mit den Rechten auf Privatsphäre und Schutz der personenbezogenen Daten aus der EU-Grundrechtecharta. Die Luxemburger Richter befanden, die Richtlinie sei unverhältnismäßig umfassend, weil sie sich "ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten […] generell auf sämtliche Personen, elektronische Kommunikationsmittel und Verkehrsdaten" erstreckt und den Zugriff auf die gespeicherten Daten nur unzureichend einschränkt. Außerdem kritisierten auch die europäischen Richter, dass Vorgaben für den Schutz gegen Missbrauch fehlen. Nach langer innenpolitischer Diskussion erließ der deutsche Gesetzgeber trotzdem eine neue Regelung zur Vorratsdatenspeicherung. Mehrere Bündnisse von Klägern haben auch diese Neuregelung vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen. Sie argumentieren dabei unter anderem mit der Warnung der Verfassungsrichter vor einer zu großen "Überwachungs-Gesamtbilanz" aus dem früheren Urteil.

Umstritten ist auch der Umgang von in- und ausländischen Geheimdiensten mit solchen Verbindungsdaten. Das Gesetz unterscheidet hier zwischen Telekommunikationsvorgängen im Inland, die nur in engen Grenzen ausgewertet werden dürfen, solchen, die zwischen Deutschland und dem Ausland stattfinden und der Kommunikation von Ausländern im Ausland.

Nachdem bekannt wurde, dass der US-Nachrichtendienst NSA massenhaft Verbindungsdaten auswertet, stieß dies teilweise auf massive Kritik. Vor allem durch die Arbeit des zuständigen Untersuchungsausschusses des Bundestages wurde bekannt, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst, in Zusammenarbeit mit befreundeten ausländischen Diensten und auch allein solche Auslands-Auslands-Kommunikation auswertet. Umstritten ist dabei unter anderem, wie weit dort der Schutz des Artikels 10 greift und ob die Kommunikation von Deutschen ausreichend ausgefiltert wird und werden kann. Die große Koalition bemühte sich, die rechtlichen Zweifel durch eine Ergänzung des BND-Gesetzes auszuräumen. Die Opposition aus Grünen und Linkspartei kritisiert das ebenso wie andere Gruppen, die das Gesetz in Karlsruhe angegriffen haben.

Da sich der Schutz auf den Kommunikationsvorgang selbst beschränkt, bedeutet das aber auch, dass dann, wenn der Übermittlungsvorgang abgeschlossen ist, also etwa der geöffnete Brief auf dem Schreibtisch liegt oder die gelesene E-Mail gespeichert wird, Artikel 10 GG keinen Schutz mehr bietet. Der Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses wirkt jedoch nicht uneingeschränkt. Zwar spricht Art. 10 Abs. 1 GG von der Unverletzlichkeit des Grundrechts, aus Abs. 2 Satz 1 ergibt sich jedoch, dass Beschränkungen zulässig sind. Diese dürfen nur "auf Grund eines Gesetzes" angeordnet werden, Verwaltungsanordnungen und Ähnliches genügen also grundsätzlich nicht. Allerdings darf ein Eingriff in das Grundrecht (etwa durch eine Telefonüberwachung) nie zu einer Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung führen.

Beispiel: In den 1960er-Jahren schrieb ein Strafgefangener einen Brief an eine Gefangenenorganisation, in dem er sich über die Verhältnisse in der Justizvollzugsanstalt beschwerte und sich abfällig über den Anstaltsleiter äußerte. Dieser Brief wurde von der Anstaltsverwaltung angehalten. Grundlage hierfür war eine Verwaltungsanordnung, ein Strafvollzugsgesetz gab es damals noch nicht. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass es entgegen Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG kein Gesetz gab, welches die Post­überwachung bei Strafgefangenen regelte. Diesen Zustand hielt es nur für eine Übergangsfrist für hinnehmbar, der Gesetzgeber wurde also zur Schaffung einer Rechtsgrundlage aufgefordert, wobei sich für die Gefangenen kurzfristig nichts änderte.

Art. 10 Abs. 1 GG schützt mittelbar aber ebenso vor Eingriffen durch Private. Dies ist auch deshalb wichtig, weil mittlerweile die Übermittlungsvorgänge regelmäßig von privaten Unternehmen erbracht werden. Insoweit muss der Staat die Bürgerinnen und Bürger auch vor Eingriffen durch diese Unternehmen schützen. Gleichzeitig ist es ihm nicht erlaubt, für seine Zwecke auf diese Privaten zuzugreifen, um dadurch ihm auferlegte Beschränkungen zu umgehen.

Mathias Metzner war wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht und im Grundrechtsreferat des Bundesministers der Justiz tätig. Er ist Vizepräsident des Externer Link: Verwaltungsgerichts Kassel.