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Fußball weltweit

Franz-Josef Brüggemeier

/ 12 Minuten zu lesen

Der Schweizer FIFA-Präsident Joseph Blatter öffnet den Umschlag, der verkündet, dass die FIFA Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika stattfinden wird. (© AP)

Gründung der FIFA

Als sich vom 21. bis 23. Mai 1904 in Paris sieben fußballbegeisterte Europäer aus fünf Nationen trafen und die FIFA gründeten, konnten sie nicht ahnen, dass ihr Sport einmal weltweit populär werden würde. Ebenso wenig konnten sie vorhersehen, dass ihr Verband einige der wichtigen Entwicklungen widerspiegeln würde, die das 20. Jahrhundert prägten. Hierzu zählt zum Beispiel der allmähliche Machtverlust der europäischen Staaten, das Bemühen von Ländern aus Lateinamerika, Asien und Afrika, sich als gleichberechtigte Partner zu behaupten, eine globale Kommerzialisierung oder das prekäre Verhältnis von politischer und ökonomischer Macht.

1904 in Paris war die Zielsetzung eigentlich ganz einfach. Zu diesem Zeitpunkt bestanden in Europa bereits mehr als zwanzig Fußballverbände, die zwar erst wenige Mitglieder zählten, aber an internationalen Begegnungen interessiert waren. Diese erforderten einheitliche Regeln, klare Zuständigkeiten und eine gemeinsame Organisation. Da der Fußball in England am weitesten entwickelt war und als Vorbild diente, hofften die Beteiligten, der englische Verband werde diese Aufgabe übernehmen. Dieser hielt sich jedoch zurück, da er in dem geplanten Zusammenschluss für sich keinen Vorteil sah. Zudem gab es bereits seit 1882 einen International Football Association Board mit je einem Mitglied aus England, Schottland, Wales und Irland, der die Festlegung und Einhaltung der Regeln sicherte.

Nicht nur die Fußballer organisierten sich um die Jahrhundertwende international. In dieselbe Zeit fielen auch ein internationales Patentabkommen (1883), die Gründung des Internationalen Olympischen Komitees (1894), die Erste Haager Friedenskonferenz (1899), der Internationale Frauentag (1911) oder eine Beleuchtungskommission zur Festlegung verbindlicher Standards (1913). Doch neben solchen Bemühungen um eine internationale Zusammenarbeit war die damalige Zeit durch große Spannungen geprägt. Dazu gehörten vor allem Nationalitätenkonflikte, die auch Auswirkungen auf die FIFA hatten, denn jedes Land bzw. jede Nation durfte in der FIFA nur durch einen Verband vertreten sein. Es gab aber Nationen, die über keinen eigenen Staat verfügten, so zum Beispiel die Böhmen. Sie besaßen aber einen eigenen Fußballverband und wurden in die FIFA aufgenommen. Da Böhmen jedoch politisch zu Österreich-Ungarn gehörte und dieser Vielvölkerstaat seine Existenz durch die aufstrebendennationalen Bewegungen bedroht sah, setzte der österreichische Verband 1908 den Ausschluss Böhmens durch.

Mit dem Ersten Weltkrieg scheiterten die Bemühungen um internationale Verständigung und lebten auch danach nur langsam wieder auf. So gab es anfangs in der FIFA Forderungen, Spiele gegen die ehemaligen Kriegsgegner Deutschland, Österreich und Ungarn zu verbieten. Daran hielten nach langen Diskussionen aber nur die britischen Verbände fest, die sich deshalb von 1920 bis 1924 aus der FIFA zurückzogen. Zu Spannungen kam es auch mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), denn an den Olympischen Spielen nahmen auch Fußballmannschaften teil, die nicht nur aus Amateuren bestanden, was einen Verstoß gegen die Amateur-Prinzipien des IOC bedeutete.

Einrichtung der Fußball-WM

Unabhängig von diesem Konflikt fanden die Fußballbegegnungen bei den Olympischen Spielen so viele Zuschauer, dass die FIFA überlegte, einen eigenen Wettbewerb zu veranstalten. Da mehrere europäische Verbände ähnliche Pläne verfolgten und die Spannungen mit dem IOC nicht nachließen, beschloss die FIFA 1928, alle vier Jahre eine Weltmeisterschaft auszutragen. Sie fand 1930 zum ersten Mal in Uruguay statt. Dieses Land hatte sich um die Ausrichtung des Turniers beworben, um internationale Anerkennung zu erlangen und den hundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit zu feiern. Außerdem unterbreitete Uruguays Fußballverband der finanzschwachen FIFA das beste finanzielle Angebot, und das Fußballteam Uruguays hatte 1924 und 1928 die olympischen Turniere gewonnen. Auch im eigenen Lande war die Mannschaft aus Uruguay 1930 siegreich, und das Turnier löste in ganz Südamerika große Begeisterung aus. Aus Europa hingegen nahmen nur vier Verbände teil, da die anderen die weite Anreise sowie die Kosten scheuten und zudem über die Vergabe des Wettbewerbs nach Uruguay pikiert waren.

Weltmeisterschaften 1934 bis 1954

Das darauf folgende Turnier fand in Italien statt, dessen Regierung sich ebenfalls politisch profilieren wollte. Die heimische Mannschaft gewann den Titel und siegte 1938 in Frankreich erneut. Dort traten die politischen Spannungen in Europa bereits deutlich zutage. Als eine "großdeutsche" Mannschaft aus deutschen und österreichischen Spielern gegen die Schweiz antrat, zeigten viele Zuschauer offen, dass sie das nationalsozialistische Deutschland ablehnten, und trugen dadurch zum frühen Ausscheiden der Mannschaft bei. 1934 waren aus Südamerika lediglich Brasilien und Argentinien und 1938 sogar nur Brasilien angereist. In Italien nahm erstmals eine Auswahl aus Ägypten teil, während in Frankreich Mannschaften aus Kuba und Indonesien vertreten waren. Auf dem Papier handelte es sich 1934 und 1938 somit um "Weltmeisterschaften", doch faktisch waren bei diesen beiden Turnieren die europäischen Mannschaften weitgehend unter sich.

Etwas internationaler sah es 1950 in Brasilien aus. Hier beteiligten sich immerhin sechs europäische Länder und weitere sechs aus Lateinamerika. Außer diesen nahmen jedoch lediglich die USA teil, sodass diese Weltmeisterschaft letztlich ein Vergleich zwischen Europa und Südamerika war. Zahlreiche Länder beteiligten sich nicht, da sie weiterhin die Kosten der weiten Anreise scheuten oder untereinander in Konflikte verwickelt waren. So zog Argentinien aufgrund einer Auseinandersetzung mit dem brasilianischen Verband seine Meldung zurück. Kurz darauf sagten auch Peru und Ecuador ab. In Europa scheuten gleich mehrere Mannschaften die weite Anreise, so aus der Türkei, Ungarn, Schottland oder Frankreich, obwohl sie bereits qualifiziert waren oder die FIFA sie ausdrücklich eingeladen hatte.

Die Fußball-Weltmeister seit 1930

Demgegenüber fand 1954 die Weltmeisterschaft in der Schweiz ein bedeutend größeres Interesse. 44 Mitglieder der FIFA aus der ganzen Welt meldeten sich dazu an, darunter Indien, Kuba und Vietnam. Die Mitfavoriten aus Brasilien und Uruguay reisten bereits Wochen vor Beginn des Turniers in die Schweiz, und aus der ganzen Welt trafen fast 900 zugelassene Journalisten ein - sehr zur Freude der Schweiz und der FIFA, die sich von der WM hohe Einnahmen erhofften.

Regionale Dachverbände

Die europäischen Vereine gründeten während des Turniers 1954 einen eigenen Dachverband, die Union of European Football Associations (UEFA). Dazu trug bei, dass die Europäer bisher die FIFA weitgehend als "ihren Club" betrachteten und jetzt die zahlreicher werdenden Vertreter aus Lateinamerika als Konkurrenten ansahen. Diese hatten sich bereits 1916 in einem eigenen Dachverband, der Confederación Sudamericana de Fútbol (CONMEBOL), zusammengeschlossen und meldeten vermehrt ihre Interessen gegenüber den europäischen Verbänden an.

Die Welt spielt Fußball

Da zudem immer mehr Länder aus Afrika und Asien der FIFA beitraten, verschoben sich langsam die Kräfteverhältnisse. 1954 entstand die Asian Football Confederation (AFC), 1957 die Confédération Africaine de Football (CAF), 1961 die Confederation of North and Central American and Caribbean Association Football (CONCACAF) und 1966 die Oceania Football Confederation (OFC). Diesem Verband gehörte Ende der 1970er Jahre vorübergehend auch Israel an, da Spiele zwischen israelischen und arabischen Mannschaften zunehmend zu Spannungen führten und die damals gemeinsame Mitgliedschaft im asiatischen Verband problematisch wurde. Deshalb wurde Israel Ozeanien zugeordnet, was zwar gegen die territoriale Aufteilung der FIFA verstieß, aber die Möglichkeit bot, einen politischen Konflikt auszuklammern. Seit 1991 ist der israelische Fußballverband Mitglied der UEFA - auf Vorschlag des Brasilianers Joao Havelange, der seit 1974 Präsident der FIFA war.

Einfluss der FIFA-Präsidenten

Havelange hatte sein Amt nach einem heftigen Wahlkampf errungen. Dass 1974 überhaupt ein Wahlkampf stattfand, war ungewöhnlich. Bis dahin beruhten die Entscheidungen auf Absprachen und Verbindungen. Entsprechend erwartete der Engländer Stanley Rous, seit 1961 FIFA-Präsident, seine Wiederwahl. Havelange hingegen bereiste zahlreiche Mitgliedsländer, führte intensive Gespräche und machte vor allem den weniger entwickelten Landesverbänden Zusagen. So versprach er unter anderem zusätzliche finanzielle Mittel, Unterstützung beim Ausbau von Stadien und technische sowie medizinische Hilfe. Außerdem sicherte er den Verbänden aus Afrika und Asien je zwei Plätze bei der WM-Endrunde zu und wollte dazu die Zahl der Teilnehmer auf 16 erhöhen.

Havelange gewann die Wahl, blieb bis 1998 im Amt und hat in dieser Zeit grundlegende Änderungen herbeigeführt. Dazu musste er jedoch erst das notwendige Geld auftreiben und seine Zusagen finanzieren, denn die FIFA verfügte allein nicht über genügend Mittel. Ihre Finanzen beruhten vor allem darauf, dass sie bei Länderspielen und Weltmeisterschaften einen Teil der Einnahmen erhielt. Fernsehrechte und Sponsoren spielten noch keine nennenswerte Rolle. Hier setzt Havelange an und überzeugte in den kommenden Jahren eine wachsende Zahl internationaler Konzerne davon, dass es in ihrem Interesse sei, die FIFA und damit seine Politik zu fördern. Den Anfang machten 1976 Coca-Cola und Adidas. Beide Unternehmen wollten weltweit expandieren und vor allem in Asien, aber auch in Afrika ihren Absatz steigern. Bei Adidas lag die Verbindung mit dem Fußball auf der Hand. Coca-Cola sah darin vor allem die Möglichkeit, jugendliche Fußballfans als Kunden zu gewinnen. Andere Konzerne schlossen sichan, doch der eigentliche Durchbruch erfolgte erst, als die Fernseheinnahmen zuvor ungeahnte Höhen erreichten. Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich (1998) erbrachten sie bereits 147 Millionen Euro und werden 2006 1,1 Milliarden Eurobetragen, aufgestockt um weitere 700 Millionen Euro durch Sponsoren.

Politik der FIFA

Finanziell war die FIFA unter Havelange und dessen Nachfolger Joseph Blatter enorm erfolgreich. Diese Entwicklung fand jedoch von Anfang an Kritiker, denn Havelange kaufte Stimmen und stützte sich weitgehend auf Länder aus Lateinamerika und Afrika, denen vielfach Diktatoren oder autoritäre Regierungen vorstanden. Um seine Zusagen einlösen zu können, verbündete er sich zudem mit internationalen Firmen, die weltweit expandierten und dabei einheimische Produzenten verdrängten. Außerdem verlagerten sie ihre Produktion zunehmend in arme Länder Asiens und Afrikas, um niedrigere Löhne zu zahlen. Schließlich sind nicht alle Gelder für ihren eigentlichen Zweck genutzt worden, sondern haben auch zu Korruption und persönlicher Bereicherung geführt. Daher lässt die Kritik an der FIFA und ihren geschäftlichen Verbindungen seit der Wahl von Havelange 1974 nicht nach.

Diese Kritik zeichnet jedoch ein zu einfaches Bild von Gut und Böse, das den komplexen Entwicklungen und Hintergründen nicht gerecht wird. Als Havelange den Vorsitz der FIFA anstrebte, hatten europäische Länder den Verband dominiert. In den 1960er Jahren verschoben sich jedoch die Kräfteverhältnisse, als die ehemaligen Kolonialreiche zerfielen und vor allem in Afrika neue, unabhängige Staaten entstanden. Für sie gewann der Fußball national und international zunehmend an Bedeutung. Im Inneren hat er wesentlich zum schwierigen Prozess des so genannten Nation Building beigetragen, und die Entstehung eines nationalen Bewusstseins unterstützt. Denn die Landesgrenzen hatten die Kolonialmächte vielfach willkürlich festgelegt, und die Bevölkerung in den neuen Staaten stellte oftmals eine konfliktreiche Mischung unterschiedlicher Stämme, Religionen und Ethnien dar. Ihnen bot der Fußball eine wichtige Klammer, da er Menschen unabhängig von ihrer Herkunft anspricht. Dies hatte sich bereits während der Kämpfe um die Unabhängigkeit gezeigt, als Fußballvereine und -spiele wichtige Treffpunkte bildeten. Nach außen wiederum erlaubt dieser Sport es auch jungen (oder kleinen) Staaten, überraschende Siege gegen ansonsten übermächtige Gegner zu erringen. Das haben gerade die Erfolge afrikanischer Mannschaften bei den letzten Weltmeisterschaften gezeigt. Wie wichtig diese Möglichkeit war, gegen die vermeintliche Überlegenheit der Europäer bestehen zu können, hat in den 1950er Jahren Ferhat Abbas, ein führender Politiker im Kampf um die algerische Unabhängigkeit, so ausgedrückt: "Sie (die Franzosen) beherrschen uns mit Gewehren und Maschinen; wenn es jedoch auf dem Fußballfeld Mann gegen Mann geht, zeigen wir, wer wirklich überlegen ist".

In der FIFA waren afrikanische Staaten seit den 1950er Jahren zahlreich vertreten. Sie besaßen jedoch nicht die erforderlichen Personen, Finanzen und Erfahrungen, um größeren Einfluss auszuüben, während die europäischen Länder die stattfindenden Veränderungen ignorierten und nichts unternahmen, um den neuen Mitgliedern entgegenzukommen. Joao Havelange hingegen reagierte darauf, war aber auf die Unterstützung von internationalen Firmen angewiesen, um seine Zusagen einhalten zu können. Anders ausgedrückt: Um die Dominanz der Europäer zu brechen, war eine Person wie er erforderlich - jemand, der sich in den entwickelten Ländern auskannte, deren Spielregeln verstand und bereit war, sich mit westlichen Konzernen zu verbünden, da nur diese die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen konnten. Es gab offensichtlich keinen anderen Weg, um die FIFA zu reformieren, die globale Verbreitung des Fußballs zu fördern und die Position Asiens und Afrikas zu stärken. Heute kommen von dort sehr gute Mannschaften, die nicht nur hervorragende Einzelspieler besitzen, sondern im Fußball nahezu gleichberechtigt auftreten können.

Politisch sind die afrikanischen Verbände in den FIFA-Gremien annähernd gleichberechtigt, ökonomisch hingegen nicht. Hier dominiert weiterhin Europa, das allein die Hälfte der WM-Fernsehrechte finanziert und schon dadurch seine Interessen erfolgreich vertreten kann. Hinzu kommen die Einnahmen aus den eigenen Ligen und den europäischen Wettbewerben, die derzeit Jahr für Jahr mehrere Milliarden Euro einbringen, sodass die besten Spieler Afrikas und aller anderen Kontinente überwiegend in Europa spielen. Das ist problematisch, da diese Abwanderung einen Verlust bedeutet und auch innerhalb Afrikas zu Wanderungen von armen zu etwas reicheren Ländern führt.

Es wäre aber zu einfach, diese Prozesse lediglich auf die Machenschaften internationaler Konzerne, das Erbe des Kolonialismus oder die anhaltende europäische Wirtschaftsmacht zurückzuführen. Diese Elemente spielen zwar eine wichtige Rolle, doch innerhalb der betroffenen Länder Afrikas und Asiens müssen ebenfalls Reformen stattfinden. Hierzu könnten sogar die internationalen Firmen bzw. ihre Kunden in Europa und in den USA einen Beitrag leisten, in dem sie Druck ausüben, damit die Unternehmen in den Entwicklungsländern Mindeststandards einhalten, höhere Löhne zahlen oder Korruption unterbinden. Angesichts der strukturellen und politischen Probleme in vielen afrikanischen und asiatischen Staaten können sich hier überraschende Möglichkeiten eröffnen, die politische und ökonomische Macht des Fußballs zu nutzen. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung könnte die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika bedeuten. Zum ersten Mal in der Geschichte des Fußballsüberhaupt wird dann eine Sportveranstaltung dieser Größe auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden.

WM 2006 in Deutschland

In Deutschland werden zur kommenden Weltmeisterschaft 3,2 Millionen Fußballfans und Gäste erwartet, die Hälfte davon aus dem Ausland. Ihre Ausgaben sollen 1,5 Milliarden Euro betragen, ein Teil davon für über 10.000 verschiedene Fanartikel. Mehr als 15.000 Journalisten werden über die WM berichten. Für sie steht in München ein neu erbautes Medienzentrum bereit, das allein 96 Millionen Euro gekostet hat. Deutlich höher liegen die Ausgaben für Verkehr, Infrastruktur und Stadien, die auf sechs Milliarden Euro geschätzt werden. Jeder der fünfzehn offiziellen FIFA-Partner wird für seinen Auftritt zwischen 30 und 70 Millionen Euro ausgeben und die sechs nationalen Sponsoren mussten je 12,9 Millionen Euro zahlen, um als Partner der FIFA anerkannt zu werden. Die Stadien wurden mit viel Aufwand renoviert oder gleich - so in München, Mönchengladbach oder Gelsenkirchen - neu errichtet. Die Preise für die Eintrittskarten bewegen sich zwischen 35 Euro bei Spielen der Vorrunde und 600 Euro für den teuersten Platz beim Endspiel, bei dem allerdings ein großer Teil der Sitze nicht in den Verkauf kommt, sondern Sponsoren und Funktionären vorbehalten bleibt.

Die Einnahmen aus dem Kartenverkauf sollen die Ausgaben decken, die bei der Durchführung der WM anfallen. Die anderen und viel höheren Einnahmen durch Fernseh- und andere Rechte hingegen verbleiben bei der FIFA und werden innerhalb des Weltfußballs verteilt. Das ist wichtig, weil vor allem die ärmeren Verbände darauf angewiesen sind. Zugleich ist es aber problematisch, dass diese Gelder nicht dazu benutzt werden, die hohen Ausgaben beispielsweise für Infrastruktur und Stadien zu bezahlen. Diese Kosten werden im vergleichsweise wohlhabenden Deutschland aus Steuermitteln finanziert. Kleinere und ärmere Länder hingegen können unter diesen Bedingungen wohl keine Weltmeisterschaften veranstalten.

Dennoch: Dieses Turnier fasziniert, nicht zuletzt aufgrund solcher Zahlen. Doch dahinter dürfen nicht diejenigen vergessen werden, die als Kinder, Jugendliche oder Erwachsene selbst Fußball spielen, sei es in Vereinen, auf Straßen oder Plätzen, am Strand, auf dem trockenen Boden einer Steppe oder in den Elendsquartieren ärmerer Länder. Sie bekommen kein Geld und werden nur selten beeindruckende Fertigkeiten entwickeln. Ebenso selten werden die Zuschauer der unzähligen Schul-, Kinder-, Freizeit- oder Amateurmannschaften herausragende Begegnungen erleben. Doch hier liegt die eigentliche Stärke des Fußballs, und hier hat er in den letzten Jahren - vor allem in Asien und Afrika, aber auch in Nordamerika - besonders rasche und dauerhafte Fortschritte gemacht.

QuellentextIntegration und Vielfalt

Gonzalo Castro braucht dringend einen neuen Favoriten. Neulich hat er noch "Spanien" geantwortet auf die Frage, wer im nächsten Jahr wohl Fußball-Weltmeister wird. Er hat das sagen dürfen, denn er wurde vor 18 Jahren als Sohn spanischer Eltern in Wuppertal geboren. Jetzt muss er seinen Patriotismus aber neu definieren, denn der Mittelfeldspieler vom Bundesligisten Bayer Leverkusen, der schon für die spanischen U-19-Junioren aktiv war, hat sich entschieden, fortan für Deutschland zu spielen.Wenn das Dribbling durch die Behörden nicht allzu lange dauert, spielt Castro vielleicht schon im Mai bei der U-21-Europameisterschaft in der deutschen Auswahl. [...]
"Sie sind alle mit dem Herzen dabei", sagt Dieter Eilts über jene Spieler seines U-21-Teams, die noch andere als deutsche Wurzeln haben und sich deshalb auch für andere Nationalteams hätten entscheiden können. Die meisten von ihnen haben das nicht getan, weil sie das Heimatland des Vaters oder der Mutter nur aus dem Urlaub kennen und sich deutsch fühlen. Malik Fathi (Herta BSC Berlin) wurde als Sohn eines Türken in Berlin geboren, David Odonkor (Borussia Dortmund) als Sohn eines Ghanaers im westfälischen Ort Bünde, Aaron Hunt (Werder Bremen) als Sohn einer Engländerin in Goslar, Ioannis Masmanidis (Karlsruher SC) als Sohn griechischer Eltern in Leverkusen und Marvin Matip (1. FC Köln) als Sohn eines Kameruners in Bochum. Diese Spieler wurden als deutsche Bürger geboren und mussten nicht lange überlegen, für welches Land sie spielen wollen. Anders sieht das bei dem in Luanda (Angola) geborenen Nando Rafael aus, der mit zehn Jahren zu Ajax Amsterdam kam und jetzt für Hertha BSC Berlin spielt. Er hat sich genauso für Deutschland und gegen sein Heimatland entschieden wie Piotr Trochowski vom Hamburger SV, der im polnischen Ort Tczew geboren wurde und mit fünf Jahren nach Hamburg kam. [...] "Alle diese Spieler fühlen sich als Deutsche", sagt Dieter Eilts, "ihre Wurzeln spielen bei der täglichen Arbeit keine Rolle". Trotzdem hat der Bundestrainer festgestellt, dass mancher Spieler mit einem anderen kulturellen Hintergrund "ein anderes Temperament oder eine andere Denkweise hat und deshalb neue Elemente in die Mannschaft bringt". [...]Dem Miteinander tut das gut.
Der multikulturelle Anstrich deutscher Fußball-Nationalmannschaften ist neu. Anders als etwa in Frankreich, wo das Fußballteam schon lange als identitätsstiftende Einheit verschiedener ethnischer Gruppen gilt, hat der deutsche Fußball einige Jahrzehnte gebraucht, ehe die zweite Generation von Gastarbeiterkindern nun wie selbstverständlich in die Jugendarbeit der Fußballklubs und Verbände integriert ist. Die Entscheidung für Deutschland, sagt Gonzalo Castro, "ist Ausdruck meines Heimatgefühls". [...]

Ulrich Hartmann, "Das Herz ist stärker als die Herkunft", in: Süddeutsche Zeitung vom 15. November 2005

Bei den berühmten und erfolgreichen Vereinen fällt auf, wie international sie mittlerweile sind. Jeder von ihnen zählt Spieler aus mehreren Ländern und von (fast) allen Kontinenten. Das hat jedoch den Möglichkeiten, sich mit ihnen und den Mannschaften zu identifizieren, keinen Abbruch getan. Zwar finden sich zahlreiche Klagen darüber, dass wegen der vielen ausländischen Spieler der heimische Nachwuchs nur noch wenig Chancen hat. Dies ist in der Tat ein wichtiges Problem. Doch auch die ausländischen Spieler sind populär und können ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen. Ein Beispiel dafür ist Energie Cottbus, in dessen Bundesligamannschaft zeitweise kein deutscher Spieler zum Einsatz kam. Dennoch galt Cottbus als Verein des Ostens, und ein Sieg gegen die "kapitalistischen" Bayern wurde als Zeichen von Eigenständigkeit und Selbstbehauptung gefeiert. Einmal mehr zeigt sich hier die faszinierende Möglichkeit dieses Sports, Formen der Zuordnung und Identitätsbildung zu bieten, die sowohl verbindlich wie frei wählbar sind, nationale Grenzen überwinden können und neuartige Gemeinschaften hervorbringen.

geb. 1951 in Bottrop, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Freiburg. Er veröffentlicht zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zuletzt mit Schwerpunkten auf der Umweltgeschichte und der Geschichte des modernen Sports. Daneben ist er Mitglied der Lenkungsgruppe großer historischer Ausstellungen, darunter: Feuer und Flamme. 200 Jahre Ruhrgebiet (Gasometer Oberhausen 1994/1995); mittendrin. Sachsen-Anhalt in der Geschichte (Kraftwerk Vockerode 1998); Der Ball ist rund. Die Fußballausstellung (Gasometer Oberhausen 2000).

Kontakt: f.j.brueggemeier@geschichte.uni-freiburg.de