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Juden im deutschen Fußball

Franz-Josef Brüggemeier

/ 7 Minuten zu lesen

Am 30. Januar 1933 ging die Macht an die Nationalsozialisten über, Adolf Hitler wurde als Reichskanzler ernannt und die Demokratie wurde zur Dikatur. Juden waren fortan schlimmsten Repressionen ausgesetzt - auch im Fußball. (© AP)

Einleitung

Auf den ersten Blick bereitet es keine Probleme, den Beitrag deutscher Juden für die Entwicklung des Fußballs in ihrem Land hervorzuheben: Sie wirkten bei der Gründung vieler Vereine mit, trugen wesentlich zur Gründung des DFB bei, dessen Namen einer von ihnen (Walter Bensemann) vorschlug, und stellten in vielen Mannschaften Spieler. Darunter waren auch zwei Nationalspieler, Julius Hirsch mit sieben und Gottfried Fuchs mit sechs Berufungen. Fuchs erzielte in einem Spiel gegen Russland zehn Tore, ein Rekord, der bis heute nicht wieder erreicht wurde.

Der Befund ist also eindeutig, doch es fällt schwer, die Rolle der deutschen Juden im Fußball genauer zu bestimmen und vor allem zu klären, inwieweit sie sich selbst bewusst als Juden oder in erster Linie als Deutsche sahen. Allein schon die Fragestellung ist problematisch, da sie einen Unterschied zwischen Deutschen und Juden nahelegt, den die Nationalsozialisten mit so fatalen Folgen behauptet haben. Denn tatsächlich waren Juden trotz aller Angriffe auf sie ein Teil der deutschen Gesellschaft und haben sich "in ihrer Gesinnung und Einstellung als deutsche Bürger begriffen".

Jüdische Fußballpioniere

In der Anfangszeit des Fußballs in Deutschland ragen zwei Persönlichkeiten heraus: Gustav Rudolph Manning und Walther Bensemann. Beide wurden 1873 geboren, stammten aus Familien der oberen Mittelschicht, besuchten Gymnasium und Universität, verbrachten einige Zeit in England und beteiligten sich aktiv an der Einführung und Verbreitung des Fußballs. Bensemann gründete mit vierzehn Jahren seinen ersten Verein in Montreux in der Schweiz, wo er ein Internat besuchte. Zwei Jahre später, mit gerade 16 Jahren, rief er mit dem Karlsruher FV einen weiteren Verein ins Leben, während Manning 1897 den FC Freiburg mitbegründete. Kurz darauf, mit 27 Jahren, halfen beide in Leipzig bei der Gründung des DFB. Gemeinsam war ihnen eine internationale Orientierung, die bei Bensemann zur Organisation zahlreicher Reisen und internationaler Fußballbegegnungen führte. Dazu gehört das erste "Länderspiel" einer deutschen Auswahlmannschaft 1898 in Paris gegen eine englische Elf - das offiziell allerdings nicht zählt, da noch kein deutscher Fußballverband bestand.

Die große Bedeutung, die Bensemann, Manning und andere deutsche Juden in der Frühphase des Fußballs besaßen, hat wenig damit zu tun, dass sie Juden waren. Entscheidend war vielmehr ihre Herkunft aus einem liberalen, wohlhabenden und weltoffenen Bürgertum, dessen (männliche) Mitglieder sich ausgesprochen für Fußball interessierten. So gründete Bensemann 1920 den Kicker, eine illustrierte Fußballzeitschrift, die er selbst redigierte und in der er mehrfach seine liberalen Ansichten veröffentlichte. Antisemitische Vorbehalte und Aggressionen, die sich in dieser Zeit zunehmend ausbreiteten, erlangten im deutschen Fußball zunächst keine besondere Bedeutung, sodass die große Mehrzahl der jüdischen Spieler und Funktionäre im DFB engagiert blieb. Nur eine kleine Minderheit trat einem der jüdischen Vereine bei, die nach 1900 entstanden waren, um angesichts des generell zunehmenden Antisemitismus Stellung zu beziehen.

Zäsur 1933

Unter den Nationalsozialisten änderte sich die Situation schlagartig. Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 wurden in wenigen Wochen die jüdischen Mitglieder aus den Vereinen ausgeschlossen. So weit bekannt ist, gab es keine ernsthaften Versuche, die jüdischen Mitglieder in Schutz zu nehmen oder für sie einzutreten, obwohl sie vielfach schon seit dem Kaiserreich dazu gehörten. Lediglich einzelne Vereine wie Bayern München hielten zumindest den Kontakt aufrecht und ließen ihre jüdischen Mitglieder so lange wie möglich am Vereinsleben teilhaben.

QuellentextBrutale Ausgrenzung - Julius Hirsch

Ein Beispiel für die Situation der jüdischen Spieler nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten ist Julius Hirsch. Am 10. April 1933 schrieb er seinem Verein, dem Karlsruher FV, einen Brief. Er hatte in der Zeitung von dem Beschluss der süddeutschen Spitzenklubs gelesen, marxistische und jüdische Mitglieder auszuschließen. Hirsch erklärte deshalb seine Absicht, aus dem Verein auszutreten, was ihm sehr nahe ging: "Ich gehöre dem KFV seit dem Jahre 1902 an und habe demselben treu und ehrlich immer meine schwache Kraft zur Verfügung gestellt. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass es in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene deutsche Juden gibt. Nur aus diesem Grunde, und nicht um mich zu brüsten, will ich Ihnen im nachstehenden einen Beweis erbringen." Er verwies auf die militärischen Dienste und Auszeichnungen seiner Brüder, von denen einer im Ersten Weltkrieg gefallen war. Außerdem erwähnte er seine eigenen Leistungen und Auszeichnungen. Dazu zählten zwei deutsche Meisterschaften, vier süddeutsche Meistertitel, sieben Einsätze in der Nationalmannschaft und als Höhepunkt die Teilnahme am Fußballturnier bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm. Nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn hatte er dem KFV ehrenamtlich als Trainer und im Spielausschuss zur Verfügung gestanden.
Das alles zählte seit dem 10. April 1933 nicht mehr. Doch der Karlsruher FV spielte auf Zeit und teilte Hirsch mit, er wolle erst die Richtlinien abwarten, die noch nicht vorlagen. Vorerst bestehe deshalb für Hirsch kein Grund, den Verein zu verlassen, er solle vielmehr seine Austrittserklärung als ungültig ansehen. Doch kurz darauf lagen die Richtlinien vor, Hirsch musste aus dem Verein ausscheiden und hatte in den folgenden Jahren große Mühe, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Zeit lang arbeitete er als Trainer für den jüdischen Turnverein Karlsruhe 03. 1935 hielt Hirsch eine Rede vor diesem Verein. Darin schilderte er seine Probleme, schloss aber mit der optimistischen Bemerkung, er hoffe, der Verein werde geeignete Sportplätze erwerben und höhere Ziele erreichen können. Angesichts seiner Erfahrungen und der Unterdrückung des jüdischen Sports können die Bemerkungen als Versuch gesehen werden, seine Zuhörer aufzumuntern. Sie drücken aber auch aus, dass nicht nur Hirsch lange Zeit kaum glauben konnte, was um ihn herum geschah. Wie viele andere Juden sah er sich trotz der Ausgrenzungen und des brutalen Vorgehens der Nationalsozialisten weiterhin als Teil der deutschen Gesellschaft.
Nach seiner Zeit bei Karlsruhe 03 arbeitete Hirsch für einen französischen Verein im Elsass. Außerdem verdiente er Geld als Buchhalter in einer jüdischen Firma und versuchte mehrfach - allerdings ohne Erfolg -, im Ausland aufgrund seiner erfolgreichen Spielerlaufbahn eine Stelle als Trainer zu finden. Als 1938 die jüdische Firma arisiert wurde, verlor er seine Existenzgrundlage, wurde depressionskrank in eine Anstalt eingewiesen und erhielt nach seiner Entlassung nur noch eine Stelle auf einer städtischen Müllkippe. Seit 1941 musste er zudem den "Judenstern" tragen und konnte Heimspiele des KFV nur deshalb besuchen, weil ihn ein älterer Kartenkontrolleur heimlich an einem Hintereingang einließ.
Zwei Jahre vorher hatte Hirsch die Scheidung von seiner protestantischen Frau beantragt, um sie und die beiden Kinder durch die Trennung von ihrem jüdischen Ehemann bzw. Vater zu schützen. Hirsch wurde 1943 nach Auschwitz deportiert, wo sich seine Spuren verlieren. Seine Kinder kamen nach Theresienstadt und konnten dieses Lager mit viel Glück überleben.
Eine späte Würdigung erfuhr Julius Hirsch 2005. Der DFB vergab zum ersten Mal den Julius-Hirsch-Preis. Er soll jährlich an Personen und / oder Vereine verliehen werden, die sich besonders "für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit sowie gegen nationalsozialistische, rassistische, fremdenfeindliche oder extremistische Erscheinungsformen" einsetzen. Erster Preisträger ist der FC Bayern München, dessen U-17-Team im Sommer 2005 gegen eine israelisch-palästinensische Jugendauswahl gespielt hatte.

Franz-Josef Brüggemeier

Trotz dieser Erfahrungen nahmen viele jüdische Sportler zunächst an, dass die schlimmsten Ausschreitungen bald vorüber sein würden. Im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 gab es Anzeichen für diese Hoffnung. Um die Weltöffentlichkeit zu täuschen, gingen die Nationalsozialisten etwas vorsichtiger vor, ohne ihre Aussonderungs- und Unterdrückungsmaßnahmen jedoch zurückzunehmen. So blieben Juden aus "bürgerlichen" Vereinen ausgeschlossen und waren gezwungen, jüdischen Vereinen beizutreten, die jetzt einen Aufschwung erlebten. Sie bestanden schon seit der Jahrhundertwende, hatten bisher jedoch nur wenige Mitglieder, denn die große Mehrheit der Juden sah sich als Deutsche und lehnte den Beitritt zu einem explizit jüdischen oder gar zionistischen Verein ab. Gerade Sportvereine waren für sie eine wichtige Möglichkeit der Integration, hier erlebten sie eine gleichberechtigte Teilnahme - bis die Nationalsozialisten dies verboten, Juden absprachen, Deutsche zu sein, und sie in den Konzentrationslagern millionenfach ermordeten.

Eines von ihnen, das KZ-Theresienstadt, sollte als "Musterlager" die internationale Öffentlichkeit in die Irre führen. Hier ließen die Nationalsozialisten Fußballspiele zu und erlaubten den Häftlingen, eigene Ligen zu gründen. Zynischerweise benannten sie dabei eine der Begegnungen, die für eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes stattfand, nach Theodor Herzl, dem Begründer des politischen Zionismus. Aus Erinnerungen wissen wir, wie wichtig Fußballspiele für viele Häftlinge in Theresienstadt waren. Sie boten Schutz und eine Flucht vor den Schrecken des Lagers, insbesondere für Jugendliche, die eigene Mannschaften mit Fahnen und Ausrüstung bildeten. Gerade für sie war Fußball ein wichtiges Gesprächsthema, und es bedeutete eine große Enttäuschung, wenn sie am Samstag Arrest erhielten und weder teilnehmen noch als Zuschauer zu einem Spiel gehen konnten.

Auch in anderen Konzentrationslagern wurde Fußball gespielt. Daran konnten auch Juden teilnehmen, die in diesen Lagern jedoch eine Minderheit bildeten, denn sie wurden in der Regel in die Vernichtungslager transportiert und dort ermordet. Es gab vereinzelt auch Boxkämpfe mit Juden, die jedoch nicht den Regeln eines fairen Wettkampfes folgten. Im Gegenteil: Die Nationalsozialisten wählten bewusst körperlich schwache und zudem erschöpfte Juden aus, um deren vermeintliche rassische Unterlegenheit vorzuführen.

Entwicklungen nach 1945

Nach Kriegsende sollte Gustav Rudolph Manning noch einmal eine wichtige Rolle für den deutschen Fußball spielen. Er war 1905 als Arzt in die USA ausgewandert, sodass ihm Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland erspart blieben - im Gegensatz zu Walther Bensemann. Dieser musste 1933 als Herausgeber des Kicker zurücktreten, ging ins Exil in die Schweiz und starb ein Jahr später, am 12. November 1934, in Montreux, wo er fast fünfzig Jahre zuvor seinen ersten Verein gegründet hatte. Manning hingegen hatte sich auch in den USA im Fußball engagiert, wurde 1913 Präsident der United States Football Association und 1948 als erster Vertreter der USA in das Exekutivkomitee der FIFA gewählt. Zwei Jahre später diskutierte der Weltverband auf seiner Konferenz in Rio de Janeiro über die Wiederaufnahme des DFB in den Weltfußball. So wenige Jahre nach dem Krieg war diese Frage äußerst umstritten. Manning gehörte zu denjenigen, die ihr ganzes Gewicht zugunsten des DFB in die Waagschale warfen, trotz seines Wissens um das Schicksal der Juden in Deutschland. Ein Grund für sein Verhalten mag gewesen sein, dass er vor seiner Auswanderung ein anderes Deutschland kennen gelernt hatte und an diesem besseren Deutschland festhalten wollte.

Jedenfalls trug seine Unterstützung dazu bei, dass der DFB wieder in die FIFA aufgenommen wurde und die deutsche Mannschaft vier Jahre später an der Weltmeisterschaft in der Schweiz teilnehmen konnte. So haben deutsche Juden nicht nur entscheidende Pionierleistungen für den deutschen Fußball erbracht, sondern ermöglichten durch ihre Fürsprache in der Nachkriegszeit, dass er seinen wohl größten Erfolg erringen konnte.

QuellentextMakkabi Frankfurt

Die überlieferte Niederschrift des Sportamtes über ein Gespräch mit dem schon kurz nach der Machtübernahme 1933 von den Nazis eingesetzten Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main ist recht kurz. Doch die Entscheidungen des Parteigenossen Friedrich Krebs lassen am 2. November 1938 an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Der Sportplatz an der Sonderhausenstraße wird den Juden entzogen. Das Strandbad Niederrad soll im nächsten Jahr den Juden nicht mehr zur Verfügung stehen. Der Platz am Bornheimer Hang soll von den Juden freigemacht werden." [...] Wenige Tage später brannten in Deutschland die Synagogen, und über die Menschen jüdischen Glaubens ging eine Welle der Gewalt nieder. Mit den Pogromen erlosch der jüdische Sport in Deutschland.
In Frankfurt hat es wie in anderen Städten mit ehemals bedeutenden jüdischen Gemeinden bis 20 Jahre nach Kriegsende gedauert, bis es wieder einen jüdischen Sportverein gab. Der 1. Vorsitzende des TuS Makkabi 1965 Frankfurt, Dr. Dieter Graumann, will daran glauben, dass Sport ein Mittel ist, um ein Stück Normalität herzustellen. Denn normal, so meint er, sei das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden vor dem Hintergrund des Holocaust noch nicht. "Dabei verstehen wir uns ja selbst als Deutsche." [...]
Die Ausgrenzung jüdischer Mitglieder in deutschen Sportvereinen hatte unmittelbar nach der Machtergreifung begonnen. Als besonders williger Helfer des Nazi-Regimes trat die Deutsche Turnerschaft hervor, die es in ihrer devoten Haltung gar nicht abwarten konnte, ihre Vereine von Juden "zu säubern". Der 1925 von jüdischen Frontsoldaten gegründete Sportverein Schild Frankfurt bot schon im Juni 1933 allen durch die Ariergesetze heimatlos gewordenen jüdischen Turnern und Sportlern an, in seine Reihen einzutreten. In Frankfurt gab es in den dreißiger Jahren drei (manche Quellen sprechen auch von vier) jüdische Sportvereine. Bar Kochba mit seinen 650 Mitgliedern gehörte zur zionistischen Bewegung, die auf einen eigenen Staat für die Juden hinarbeitete. Bei Schild organisierten sich assimilierte, deutsch-nationale Juden, die zu Beginn der NS-Herrschaft ausdrücklich auf ihre patriotische Gesinnung hinwiesen. Der jüdische Turnverein war ein Sammelbecken für orthodox denkende Gläubige.
Makkabi Frankfurt versteht sich ausdrücklich als ideologiefreier Verein. Mitmachen kann jeder, gleich, an wen oder wen er nicht glaubt. [...] Für die Juden unter den mehr als 500 Mitgliedern soll der sportliche Zusammenhalt aber auch jüdische Identität stiften. Dieter Graumann ist zu jung, um sich an die Gründerzeit und die Gründerväter zu erinnern. Aber er weiß aus der Geschichte, dass die meisten Juden, die aus welchen Gründen auch immer ins Land der Täter zurückgekehrt waren, auf gepackten Koffern saßen, "eigentlich auf der Durchreise waren". Nach den Gräueln, die viele mitgemacht hatten, stand den meisten sicher nicht der erste Sinn nach Sport treiben. "Die Menschen waren in einer schwierigen seelischen Verfassung, weshalb die Gründung von Makkabi Frankfurt erst 20 Jahre nach der Befreiung erfolgte. Aber sie war immerhin ein zartes Zeichen dafür, dass die wenigen Überlebenden des Völkermordes, ,ihre Koffer doch schon ein wenig ausgepackt hatten' ", glaubt Graumann. Von den einst 29 000 Menschen in der nach Berlin zweitgrößten jüdischen Gemeinde waren 1945 nur ungefähr 100 in der Stadt übrig geblieben. 15 000 waren vor dem Terror geflüchtet, 11 000 kamen in den Todeslagern um. Nur wenige Hundert kehrten nach dem Zusammenbruch zurück. Vor allem wegen der starken Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion zählt die jüdische Gemeinde in Frankfurt heute wieder mehr als 7000 Mitglieder. "[...] Ich wünsche mir, dass wir nicht mehr als Exoten angesehen werden", sagt Graumann und ist überzeugt davon, dass der Turn- und Sportverein Makkabi seinen Beitrag dazu leisten kann.

Jürgen Ahäuser, "Nie mehr auf der Durchreise", in: Frankfurter Rundschau vom 9. Mai 2005

"Vergangenheitsbewältigung"

Im Sommer 2001 hat der Fall Fritz Szepan einen anderen Aspekt des deutsch-jüdischen Verhältnisses im Fußball an die Öffentlichkeit gebracht. In den 1930er/40er Jahren war dieser Spieler ein Star der legendären Schalker Mannschaft, die in dieser Zeit den deutschen Fußball dominierte und sechsmal die Meisterschaft gewann. Nach dem Krieg setzte Szepan seine Karriere fort, erst als Spieler, dann als Trainer und schließlich von 1964 bis 1967 als Präsident des Vereins. Als Schalke 2001 ein neues, modernes Stadion, die Schalke-Arena, baute, sollte eine der Straßen in der Nähe des Stadions nach Szepan benannt werden, um den Weg in eine bessere Zukunft mit den Erfolgen der Vergangenheit zu verbinden. Dieser Vorschlag rief heftige Kritik hervor. Denn Kenner der Vereinsgeschichte wussten, dass Szepan von der "Arisierung" jüdischen Vermögens profitiert hatte, und sprachen sich gegen eine derartige Ehrung aus. Doch nicht wenige Fans hielten an dem Vorschlag fest, sodass der Verein eine offizielle Untersuchung veranlasste, deren Ergebnisse keinen Zweifel ließen: Für eine lächerlich niedrige Summe hatte Szepan ein Textilgeschäft von dessen jüdischem Eigentümer gekauft. Dabei handelte er nicht alleine, sondern als Teil eines lokalen Netzwerks von einflussreichen Personen und Anhängern des Vereins. Sie sahen in dem Kauf des Geschäftes eine ideale Möglichkeit, die finanzielle Existenz von Szepan zu sichern und ihrem Star ein höheres Einkommen zu verschaffen. Fußballer durften zu dieser Zeit offiziell noch kein Geld erhalten, und Bemühungen zur Einführung von bezahltem Berufsfußball waren am Veto der Nationalsozialisten gescheitert. Unter der Hand gab es dennoch Zahlungen und andere Vergünstigungen. Szepan ließ sich seine Tätigkeit als Platzwart im Dienste der Stadt mit 2.800 Reichsmark pro Jahr vergüten, während das Textilgeschäft ein Einkommen von mehr als 30.000 RM einbrachte.

Als diese Ergebnisse veröffentlicht wurden, konnte die Straße nicht länger nach Szepan benannt werden. Der Fall Szepan steht exemplarisch für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit: Sie fand jahrzehntelang kaum statt, erst eine Straßenbenennung führte zu einer öffentlichen Diskussion über die Mitwirkung gesellschaftlicher Gruppen an der NS-Verfolgungspolitik.

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geb. 1951 in Bottrop, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Freiburg. Er veröffentlicht zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zuletzt mit Schwerpunkten auf der Umweltgeschichte und der Geschichte des modernen Sports. Daneben ist er Mitglied der Lenkungsgruppe großer historischer Ausstellungen, darunter: Feuer und Flamme. 200 Jahre Ruhrgebiet (Gasometer Oberhausen 1994/1995); mittendrin. Sachsen-Anhalt in der Geschichte (Kraftwerk Vockerode 1998); Der Ball ist rund. Die Fußballausstellung (Gasometer Oberhausen 2000).

Kontakt: f.j.brueggemeier@geschichte.uni-freiburg.de