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Entwicklung zum Volkssport

Franz-Josef Brüggemeier

/ 18 Minuten zu lesen

DDR - BRD 1:0 - Mit einem Tor von Jürgen Sparwasser (links) besiegte die Mannschaft der DDR die Vertretung der Bundesrepublik bei der WM 1974. (© AP)

Einleitung

Am 7. August 1936 war das Olympiastadion in Berlin mit 50.000 Zuschauern gefüllt, die voller Anspannung auf das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Norwegen warteten. Im Jahr zuvor hatten die Deutschen 13 von 17 Länderspielen gewonnen und sich als eine der besten Mannschaften Europas erwiesen. Selbst Adolf Hitler kam ins Stadion, um zum ersten Mal überhaupt einem Fußballspiel beizuwohnen und den erwarteten Sieg zu erleben. Er wurde begleitet von der Spitze des NS-Staates, darunter Joseph Goebbels, Hermann Göring, Rudolf Heß und Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten. Im Stadion herrschte, wie Goebbels in seinem Tagebuch festhielt, eine enorme Spannung: "Der Führer ist ganz erregt, ich kann mich kaum halten. Ein richtiges Nervenbad. Das Publikum rast. Ein Kampf wie nie. Das Spiel als Massensuggestion."

Tatsächlich interessierte Hitler sich kaum für Fußball, doch er gehörte zu den ersten Politikern, die bemerkten, welche Möglichkeiten der Sport bot, sich zu inszenieren und die Bevölkerung zu begeistern. Deren Fußballinteresse war sprunghaft angestiegen. Während vor dem Ersten Weltkrieg selbst herausragende Spiele allenfalls einige Tausend Zuschauer fanden, zählten Spiele um die deutsche Meisterschaft jetzt zehntausende Besucher, und als die deutsche Mannschaft wenige Monate nach den Olympischen Spielen am 15. November in Berlin gegen Italien antrat, zählte die offizielle Statistik 100.000 Besucher. Diese neue Popularität war in vielen Bereichen zu erkennen. Die Zahl der Vereine und Aktiven nahm sprunghaft zu, Zeitungen berichteten regelmäßig über Fußballbegegnungen, und Fachblätter wie der Kicker fanden großen Absatz, wie überhaupt neue Märkte entstanden und Zuschauereinnahmen erhebliche Gelder einbrachten. Vereine warben um die besten Spieler und boten ihnen Geld oder andere Vergünstigungen, obwohl der DFB am Amateurgedanken festhielt und derartige Vergütungen verbot. Eine andere Folge der wachsenden Popularität waren neue Sportanlagen und größere Stadien, nicht nur für Fußballer, sondern auch für Leichtathleten und andere Sportler, die nun eine zuvor unbekannte Unterstützung durch Staat, Kommunen und Politiker erhielten. Diese kamen den Wünschen ihrer Wähler entgegen und wollten zugleich durch Sport die Gesundheit der Bevölkerung fördern, das Ansehen ihrer Städte steigern und außerdem nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg die Wehrfähigkeit verbessern.

Die beschriebenen Entwicklungen und Zielsetzungen betrafen den Sport generell, waren aber beim Fußball besonders ausgeprägt. Bei ihm war eine Kombination von Popularisierung, Kommerzialisierung und Politisierung zu beobachten, die sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern und in Lateinamerika abzeichnete und diesen Sport bis heute prägt.

Vereinnahmung durch die Politik

Vor dem Ersten Weltkrieg fand der Fußball - wie erwähnt - nur vereinzelt Unterstützung von Militärs und hochgestellten Persönlichkeiten, unter ihnen der deutsche Kronprinz, der selbst kickte und 1908 einen Pokal stiftete, um den Mannschaften der DFB-Landesverbände spielten.

Im Ersten Weltkrieg änderte sich die Situation. Als dieser länger anhielt und unerwartet große Opfer forderte, mussten die Soldaten motiviert und abgelenkt werden. Dazu eignete sich der Fußball besonders gut. Teils verstärkt durch bekannte Fußballer entstanden eigene Mannschaften, die zur Unterhaltung der Truppe, aber auch der Zivilbevölkerung gegeneinander antraten. Wenn dabei Offiziere und einfache Soldaten zusammen spielten, verschwanden vorübergehend sogar die bestehenden gesellschaftlichen und hierarchischen Unterschiede. Keiner, so eine zeitgenössische Aussage, war mehr als "Soldat zu erkennen, Vorgesetzter und Mann waren nicht zu unterscheiden".

Vereinzelt verschwanden sogar die Unterschiede zwischen den gegnerischen Truppen, als zu Weihnachten 1914 Soldaten der beteiligten Länder die Kämpfe einstellten, ihre Schützengräben verließen, miteinander sprachen und auch Fußballspiele austrugen. Doch wenige Tage nach Weihnachten begannen die Kämpfe erneut, forderten Millionen von Toten und ließen in den folgenden Jahren den Bemühungen um Versöhnung und Verständnis keine Chance. Die Ereignisse von Weihnachten 1914 wiederholten sich nicht.

Auch nach dem Krieg fiel eine Aussöhnung schwer. 1919 beantragten die britischen Verbände mit Unterstützung von Frankreich, Belgien und Luxemburg bei der FIFA, Begegnungen mit Mannschaften aus Deutschland und dessen ehemaligen Verbündeten zu verbieten. Dafür fand sich keine Mehrheit, was zum zeitweiligen Austritt der britischen Verbände aus dem Weltverband führte; in der olympischen Bewegung hingegen hatten sie mehr Erfolg und verhinderten die Teilnahme einer deutschen Mannschaft bei den Spielen von 1920 und 1924. Diese Anträge gingen von den Sportverbänden aus, nicht hingegen von der englischen Regierung, die weiterhin dem Sport keine größere politische Bedeutung zusprach. Für die selbstbewusste Weltmacht Großbritannien schien es nicht erforderlich, sich mit sportlichen Leistungen zu profilieren. Frankreich dagegen war trotz des Sieges geschwächt aus dem Krieg hervorgegangen, zählte weniger Einwohner als das besiegte Deutschland und lag wirtschaftlich deutlich zurück. Vor diesem Hintergrund gingen dort Sport und Politik eine enge Verbindung ein. Das französische Außenministerium mahnte 1920 in einem Bericht, dass Frankreich in Wettkämpfen gegen andere Länder "nicht das Prestige verlieren darf, das es im wichtigsten Sport errungen hat: im Krieg".

Ein besonderes Gespür für die Möglichkeiten des modernen Sports entwickelte das faschistische Italien. Dort gab sich Benito Mussolini seit seinem Machtantritt als "moderner Herrscher", der neuen Entwicklungen aufgeschlossen gegenüberstand und durch sportliche Erfolge internationales Prestige und die Unterstützung der eigenen Bevölkerung gewinnen wollte. Dazu setzte er vor allem den Fußball ein, der große Resonanz versprach. Als 1930 in Uruguay die erste Fußball-Weltmeisterschaft stattfand und sich als großer Erfolg erwies, übernahm es Mussolini, die nächste Weltmeisterschaft 1934 auszurichten, um der Welt sein Bild des modernen Italien zu vermitteln.

Förderung durch die Nationalsozialisten

Die Nationalsozialisten haben die Bedeutung des Sports deutlich später erkannt. Sie lehnten anfangs sogar die Olympischen Spiele ab, die 1936 in Berlin stattfinden sollten, da diese vom Gedanken der internationalen Verständigung und des friedlichen Wettbewerbs geprägt waren. Vor allem Goebbels erkannte jedoch bald, welche propagandistischen Möglichkeiten sich durch die Olympischen Spiele boten, sodass deren Durchführung größte Unterstützung erfuhr. Beim anfangs erwähnten Spiel gegen Norwegen half dies nicht. Die deutsche Mannschaft verlor mit 0:2, zur großen Enttäuschung von Hitler, der rasch das Stadion verließ und nie wieder ein Fußballspiel besuchte.

QuellentextMit "überwachter Selbstständigkeit"

[...] Der DFB war [...] von seiner Gründung an ein hochprofessionell agierender Verband, der mit erheblichem Erfolg den Vertretungsanspruch in Sachen Fußballsport zu monopolisieren suchte. Er grenzte sich von den sozialistischen und katholischen Sportverbänden gezielt ab und profilierte sich als unpolitische Organisation, in deren Reihen junge Menschen ungeachtet ihrer Schicht- oder Konfessionszugehörigkeit dem runden Leder nachrennen sollten. [...]
Bis 1936 konnte der DFB im Staate Hitlers eine "überwachte Selbstständigkeit" behaupten und weitgehend sein organisatorisches Eigenleben aufrechterhalten. Dieser Zustand beförderte die Anpassungsbereitschaft der DFB-Spitze, die ab 1936 allerdings einer zunehmenden Ernüchterung darüber wich, daß die Aufgaben des DFB immer weiter verstaatlicht wurden - eine Entwicklung, die mit der förmlichen Auflösung des DFB im April 1940 ihr logisches Ende nahm. Immer rigoroser instrumentalisierte der NS-Staat den zum "Reichsfachamt Fußball" im "Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen" degradierten organisierten Fußballsport. Die höheren DFB-Funktionäre wurden in diesem Prozeß entmachtet und abgeschoben. [...]

Wolfram Pyta, "Vergemeinschaftungsofferte", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Dezember 2005

Trotzdem förderten die Nationalsozialisten den Fußball weiter und setzten die Nationalmannschaft gezielt für ihre Zwecke ein, besonders eklatant nach dem "Anschluss" Österreichs im Frühjahr 1938. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die deutsche Mannschaft bereits für die Endrunde der Weltmeisterschaft qualifiziert, die wenige Monate später in Frankreich stattfinden sollte. Auf Geheiß der Nationalsozialisten musste Reichstrainer Sepp Herberger kurzfristig österreichische Spieler in die Mannschaft aufnehmen, um nach außen und nach innen den Zusammenhalt des neuen Großdeutschland zu demonstrieren. Sportlich war dieser Auftrag ein Desaster, denn in beiden Ländern bestanden unterschiedliche Spielweisen, die kaum miteinander zu vereinbaren waren. Als die Mannschaft schließlich in Paris auf die Schweiz traf, begrüßte das Publikum sie als Vertreter des nationalsozialistischen Großdeutschland mit Ablehnung und Feindseligkeit. Unter diesem Druck konnten die Spieler nur ein Unentschieden erreichen (1:1) und verloren das Wiederholungsspiel mit 2:4.

Ungeachtet dieses Rückschlages trug die Nationalmannschaft weiterhin zahlreiche Länderspiele aus. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 trat die deutsche Mannschaft aber nur noch gegen Staaten an, mit denen das nationalsozialistische Deutschland verbündet war, die - wie die Schweiz und Schweden - neutral waren oder die es besetzt hielt. Das letzte Länderspiel fand am 22. November 1942 in Pressburg (Bratislava) gegen die Slowakei statt. Noch im Juni 1944 wurde ein Endspiel um die deutsche Meisterschaft ausgetragen, ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr die Nationalsozialisten sich noch in dieser Phase des Krieges bemühten, den Anschein der Normalität zu wahren und Fußballspiele zur Ablenkung zu nutzen.

Amateur- oder Berufsfußball

Die rasche Verbreitung des Fußballs in den 1920er Jahren und die wachsenden Einnahmen, die sich mit ihm erzielen ließen, warfen zunehmend die Frage auf, ob das Amateurideal noch zeitgemäß sei. In England hatten vergleichbare Debatten bereits 1885 zur Zulassung von Berufsspielern geführt, wenngleich deren Löhne bis in die 1960er Jahre erstaunlich gering blieben. Doch zumindest war damit ein Streitfall ausgeräumt, während in Deutschland die Konflikte zunahmen. Sie drohten 1922, die Existenz von Sepp Herberger zu ruinieren. Dieser kam - wie erwähnt - aus ärmsten Verhältnissen und sah im Fußball eine Möglichkeit, die fehlende schulische Ausbildung zu kompensieren und seine Situation zu verbessern. Ende 1921 wollte der Mannheimer Verein Phönix 07 den herausragenden Spieler gewinnen und bot ihm für den Wechsel die Summe von 10.000 Mark sowie eine Ausbildung als Trainer an. Das war ein Verstoß gegen die Amateurbestimmungen des DFB, die nur einen Spesensatz von 3,50 M je Spiel vorsahen und keine weiteren Zuwendungen oder Kostenerstattungen erlaubten. Derartige Praktiken waren mittlerweile bei den großen Vereinen jedoch an der Tagesordnung und wurden faktisch geduldet. Als Herberger aber nach einer Auseinandersetzung mit seinem neuen Verein zum besser gestellten VfR Mannheim wechselte, erboste dies die Funktionäre von Phönix 07 so sehr, dass sie sich selbst und damit auch ihn wegen der Geldzahlungen anzeigten. Der Skandal war groß, Herberger wurde lebenslang gesperrt, seine Karriere schien beendet. Doch er hatte Fürsprecher. Kurz darauf, im März 1922, reduzierte die Berufungsinstanz die Strafe auf eine einjährige Sperre. Herberger konnte seine Laufbahn mit Erfolg fortsetzen und anschließend sogar die ersehnte Ausbildung zum Trainer absolvieren.

Streit um Schalke 04

Bedeutend mehr Aufsehen als die kurzzeitige Sperre von Herberger erregte der Fall Schalke 04. Im Sommer 1930 sperrte der Westdeutsche Spielverband gleich vierzehn Spieler und schloss acht Vorstandsmitglieder des Vereins wegen illegaler Zahlungen aus. In den Jahren zuvor hatte Schalke 04 einen rasanten Aufstieg erlebt, war in die damals höchste Liga (Ruhrgau-Liga) aufgestiegen und erzielte sowohl bei der Westdeutschen wie der Deutschen Meisterschaft wachsende Erfolge.

Die Mannschaft verfügte über ungewöhnlich talentierte Spieler, darunter Ernst Kuzzorra und Fritz Szepan, die zu den besten deutschen Fußballern zählten. Die Schalker Spieler übten offiziell zwar Berufe aus, konzentrierten sich tatsächlich aber auf den Fußball und trainierten intensiv. Bei anderen Mannschaften herrschten vergleichbare Verhältnisse, so dass faktisch eine Mischung von Amateur- und Profifußball bestand. Bemühungen, diesen Zustand anzuerkennen und die Bezahlung von Spielern zuzulassen, scheiterten jedoch, da die Mehrheit in den regionalen Fußballverbänden am Amateurprinzip festhielt. So klafften Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinander. Zwar war im Fall Schalke 04 der Ausschluss von Spielern und Funktionären formal korrekt, doch die Sperre löste eine Welle der Empörung aus. Die lokale Buersche Zeitung sprach von einem "Dolchstoß gegen Schalke", und der Skandal weitete sich aus, als der Finanzobmann des Vereins, der die Zahlungen ermöglicht hatte, aus Schmach über die Verurteilung Selbstmord beging.

Bis heute ist umstritten, warum die Sperre verhängt wurde, denn die Praxis illegaler Zahlungen war allgemein bekannt. Es spricht einiges dafür, dass die Anhänger des Amateurprinzips ein Exempel statuieren wollten und dafür einen besonders bekannten Verein wählten. Doch von Beginn an wurde auch vermutet, dass mit Schalke 04 ein Verein bestraft werden sollte, der aus der Arbeiterschaft kam und trotz dieser Herkunft erfolgreich war.

Die Organisation des deutschen Fußballs

Der Verein kam aus dem nördlichen Ruhrgebiet, das durch Schwerindustrie und Zuwanderung geprägt war. Etwa ein Drittel der Mannschaft waren Bergleute, je ein weiteres Drittel Arbeiter und Handwerker. Fast alle Spieler stammten aus Gelsenkirchen oder der unmittelbaren Umgebung, so dass zwischen Zuschauern und Verein eine enge Beziehung bestand. Doch in den Verbänden dominierten weiterhin Vertreter des Bürgertums. Sie hatten lange Zeit auch im Ruhrgebiet die besten Mannschaften gestellt und sahen sich nun einem neuen und leistungsfähigen Konkurrenten gegenüber. Es gab somit reichlich Anlass für Ressentiments, zumal in der politisch aufgeladenen Situation der Weimarer Republik, wo die Unterschiede zwischen links und rechts bzw. zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum nur zu deutlich waren. In dieser Situation geriet Schalke 04 zwischen die Fronten, obwohl der Verein großen Wert auf seinen unpolitischen Charakter legte.

Das zeigte sich schon daran, dass er dem DFB angehörte. Dieser war bürgerlich dominiert und konservativ-national orientiert, sprach sich aber explizit gegen politische und religiöse Festlegungen aus und verpflichtete dazu auch seine Vereine. Im Gegensatz dazu forderte die sozialistische Arbeitersportbewegung von ihren Mitgliedern ein klares politisches Bekenntnis und lehnte das kapitalistische Konkurrenzdenken ab. Entsprechend fehlten in ihren Spielberichten die Namen der Torschützen, um nicht einzelne Spieler aus dem Kollektiv herauszuheben und um einem Starkult vorzubeugen. Diese Bemühungen wirkten jedoch wenig überzeugend, denn der Fußball war gerade deshalb attraktiv, weil es um Sieg oder Niederlage ging, um Titel und Pokale. Die "bürgerlichen" Vereine waren deshalb bedeutend attraktiver, auch für Arbeiter, die mit der Ideologie des sozialistischen Arbeitersports wenig anfangen konnten und sich größtenteils dem DFB anschlossen.

So wurde der Fußball populärer und kommerzieller, entwickelte sich zu einem Sport der unteren Schichten und verlor weitgehend seinen Rückhalt im Bürgertum. Diese Entwicklung konnte auch die Sperre der Schalker Mannschaft nicht aufhalten. Sie wurde vielmehr nach kurzer Zeit aufgehoben, da der Verein zu beliebt und die Praxis von Geldzahlungen zu verbreitet war. Zwar verhinderte der Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 noch einmal die Einführung des bezahlten Fußballs, weil sie ihn als Ausdruck von materialistischer Gesinnung und angeblich jüdischem Einfluss ablehnten. In der Praxis allerdings änderte sich nicht viel, die Diskrepanz zwischen Verlautbarung und Realität blieb bestehen. Weiterhin erfolgten Zahlungen, und Schalke 04 setzte seine Erfolgsserie fort. In dichter Folge errang die Mannschaft sechsmal zwischen 1934 und 1942 die deutsche Meisterschaft und gewann 1937 zusätzlich den Pokal.

Die Nationalsozialisten instrumentalisierten diese Siegesserie, die ihrer Propaganda geradezu ideale Möglichkeiten bot. Sie feierten die Mannschaft als Beispiel für die von ihnen geforderte Volksgemeinschaft und priesen die Spieler als Verkörperung des "kleines Mannes". Mit Schalke, so hieß es, errang eine Mannschaft den Sieg, "die aus der Tiefe des Volkstums aufsteigt und von einer [...] großen Gemeinschaft getragen wird". Wie der Führer hätten die Spieler über Jahre Aufbauarbeit geleistet, sich durch Niederlagen und Rückschläge nicht beirren lassen und ihrem Ziel alle Kleinigkeiten und alles Persönliche untergeordnet. Entsprechend stellten Presse und Rundfunk die Schalker Mannschaft und ihre führenden Spieler als Vorbilder heraus. Diese bekannten sich mehrfach in Aufrufen zur nationalsozialistischen Führung und unterstützten Wahlappelle. Dabei ist strittig, ob die Spieler die Äußerungen, die ihnen zugeschrieben wurden, tatsächlich gemacht haben, da Wortwahlund Formulierungen sich deutlich von ihrer sonstigen Sprache unterschieden.

Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach 1945

Fußballspiele fanden bis kurz vor Kriegsende statt, und schon bald nach der Kapitulation gab es erste Bemühungen, diesen Sport erneut zu betreiben und Ligen zu gründen. Erschwert wurde dies nicht allein durch die Zerstörungen des Bombenkriegs und die große materielle Not. Vielmehr verboten die alliierten Siegermächte zunächst alle nationalsozialistischen Organisationen, darunter auch Sportvereine und Verbände wie den DFB. Sie sahen in ihnen wichtige Bestandteile der nationalsozialistischen Herrschaft und betrachteten sie mit großem Misstrauen. Die verantwortlichen Funktionäre hingegen behaupteten, ihr Sport sei "unpolitisch" gewesen und habe mit Nationalsozialismus nichts zu tun gehabt - eine Rechtfertigung, die in der Nachkriegszeit weit über den Fußball hinaus vorherrschte und verdeckte, wie eng die Zusammenarbeit tatsächlich war. Wie in allen Bereichen der westdeutschen Gesellschaft kamen jedoch auch im Fußball weitgehend dieselben Personen wieder in Amt und Würde, die schon während des Nationalsozialismus aktiv gewesen waren. Sie waren politisch nicht besonders aufgefallen, verfügten über reichhaltige Erfahrungen und waren untereinander vertraut, sodass die alten Verbindungen und Strukturen wieder entstanden.

QuellentextFußball bis zuletzt

[...] Die partielle Kontinuität des Sporttreibens inmitten von Not, Hunger und Zerstörung in den letzten Kriegsmonaten und unmittelbar nach Kriegsende gehört zu den überraschenden Befunden des sporthistorischen Blicks auf das Jahr 1945. [...]
Das wohl frappierendste Beispiel dieser "Fußballverrücktheit" aus dem Jahr 1945 wird aus Marburg an der Lahn berichtet. Hier spielte die Jugendmannschaft des VfL Marburg 1860 am 27. oder 28. März 1945 gegen eine Gruppe italienischer Kriegsgefangener so eifrig, daß sie sich bei ihrem 9:0-Sieg, wie sich der damalige Torwart erinnert, nicht einmal von den ersten amerikanischen Panzern stören ließen, die auf der am Sportplatz vorbeiführenden Straße Richtung Marburg vorrückten. Sport als Ausgleich, als Ausgrenzung der Gegenwart und als Ausdruck unbekümmerten Lebensmutes - eindrucksvoller, als es kulturphilosophische oder anthropologische Studien vermögen, belegt diese Marburger Momentaufnahme den elementaren Stellenwert von Spiel und Sport selbst in existentiellen Krisensituationen. [...]
Nach Kriegsende wurde das Netz der alten Sport- und Vereinskontakte für viele der überlebenden Sportler zu einem Halt inmitten der Katastrophengesellschaft des Jahres 1945. [...]

Hans-Joachim Teichler, "Spiel und Sport bleiben in der größten Krise lebenswichtig", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Juli 1995

In der Sowjetzone wurden die Vereine ebenfalls verboten, und wie in den drei Westzonen fehlte es an Plätzen, Bällen, Trikots und Geld. Doch es gab einen großen Unterschied: Die sowjetischen Besatzungsbehörden und die SED wollten vermeiden, dass die alten Strukturen neu entstanden, und personelle Kontinuitäten verhindern. Sie strebten eine einheitliche Sportbewegung an, die "unter Führung klassenbewusster Arbeiter mit klarer antifaschistisch-demokratischer Zielsetzung" stehen sollte.

Ungeachtet dieser Unterschiede herrschte in allen Zonen das Bemühen vor, möglichst schnell zur "Normalität" zurückzukehren. So fanden die ersten Begegnungen kurz nach Ende des Krieges statt, in Stuttgart schon am 10. Mai 1945. Bereits im Herbst konnten die meisten Fußballvereine ihren Betrieb wieder aufnehmen, obwohl viele Plätze und Stadien weiterhin zerstört, Spieler noch nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt oder gefallen und Trikots sowie Bälle Mangelware waren. Gerade in dieser schwierigen Situation bot der Fußball jedoch Ablenkung und den Spielern zugleich ein zusätzliches Einkommen, das sie oftmals nicht in Geld, sondern in Naturalien erhielten. Aus Essen meldete die Ruhrzeitung am 22. August: "Im Essener Fußballsport herrschte am vergangenen Sonntag ziemlich reger Betrieb. [...] Helle Freude strahlte aus den Augen der Spieler und Zuschauer, Freude darüber, daß endlich wieder eine Gelegenheit vorhanden ist, sich dem geliebten Sport ungestört widmen zu können."

In den folgenden Jahren entstanden im Westen die alten Ligen wieder und führten in mehreren Etappen 1950 zur Neugründung des DFB. Er war jetzt nur noch für die Bundesrepublik zuständig, erhob allerdings zunächst den Anspruch, ganz Deutschland zu vertreten. Eine andere wichtige Entscheidung fiel im September 1948, als die Süddeutsche Oberliga den Status des "Vertragsspielers" einführte, der ein Gehalt von 150 bis 320 DM im Monat verdienen konnte. In West- und Norddeutschland gab es weitergehende Forderungen nach Einführung von Berufsspielern, die jedoch keine Mehrheit fanden und erst mit Einführung der Bundesliga 1963 verwirklicht wurden.

In der sowjetischen Zone waren inzwischen kommunale Sportgemeinschaften (SG) entstanden, die einzelne Stadtteile oder Städte zusammenfassten, bei denen sich faktisch jedoch nicht viel änderte. Deshalb forderte die SED zunehmend die Gründung von Betriebssportgemeinschaften (BSG), um die politische Kontrolle zu erhöhen und auch im Fußball "das Kräfteverhältnis zwischen den reaktionären und den fortschrittlichen Kräften [...] zugunsten der Antifaschisten" zu ändern. 1950 gewann mit Horch Zwickau die Mannschaft eines volkseigenen Betriebes das erste Endspiel um die Fußballmeisterschaft der DDR, und erwies - so Walter Ulbricht - "die Richtigkeit des Weges der demokratischen Sportbewegung". Tatsächlich jedoch war dieser Sieg mit zweifelhaften Schiedsrichterentscheidungen verbunden und führte zu heftigen Zuschauerprotesten.

Auch im Fußball entwickelten sich somit die beiden deutschen Staaten auseinander. In der DDR setzten die Machthaber einen Neuanfang von oben durch, während im Bereich des DFB in etwa die Strukturen und das Personal wieder anzutreffen waren, die bereits die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus kennzeichneten. Ein Sonderfall war das Saarland, das bis 1956 unter französischer Verwaltung stand und sowohl eine eigene Regierung wie auch einen eigenen Fußballverband besaß. So existierten drei Dachverbände und mit ihnen drei Auswahlmannschaften, von denen jede einen Platz in der FIFA beanspruchte und am internationalen Spielverkehr sowie an den Weltmeisterschaften teilnehmen wollte. Die erste Nachkriegs-WM fand 1950 in Brasilien statt und blieb ohne deutsche Beteiligung, da die FIFA noch keinen der Verbände aufgenommen hatte. Die DDR musste am längsten darauf warten und erreichte ihr Ziel erst im Juli 1952, während sowohl der Verband des Saarlandes wie der DFB bereits im Juni bzw. September 1950 Mitglieder wurden. Das war früh genug, um an den Ausscheidungsspielen für die Weltmeisterschaft von 1954 teilzunehmen, in denen die Auswahlmannschaften beider Verbände aufeinander trafen.

QuellentextDDR-Oberliga

Das Spiel in Belgien am 12. September 1990 ist das 293. Länderspiel der Nationalmannschaft der DDR, und es ist zugleich ihr letztes. Einen knappen Monat später wird die DDR der Bundesrepublik beitreten, es wird dann nur noch eine Nationalelf geben, und sie wird den Bundesadler auf der Brust tragen. [...]
Die Geschichte der DDR-Oberliga endet ein halbes Jahr später, nach einer Saison, die als wohl skurrilste Spielzeit in die Geschichte des DDR-Fußballs eingeht. [...]
Viele Spieler, vor allem bei den großen Klubs, kassieren längst Gehälter auf Westniveau, die Einnahmen halten jedoch nicht Schritt. Lange existiert überhaupt kein Vertrag über die Fernsehrechte, zudem brechen die Zuschauereinnahmen weg.
[...]Doch die Angst sitzt den Verantwortlichen im Nacken, sie alle treibt der Alptraum, womöglich nicht zu den acht ausgewählten Teams zu gehören, die nach dieser Saison in die westdeutschen Bundesligen eingegliedert werden. Dafür verschulden sich manche Klubs bis über beide Ohren und stehen am Ende doch mit leeren Händen da. Wie der 1.FC Magdeburg und Energie Cottbus, vor allem aber der Serienmeister BFC Dynamo, der sich bereits eilig in "FC Berlin" umbenannt hat und die Saison auf dem 11. Platz beschließt.
Der BFC Dynamo stand zu seinen besten Zeiten für den Glanz und das Elend der DDR-Oberliga gleichermaßen. Bis 1979 gelang dem Klub nicht eine einzige Meisterschaft, zuvor hatte eher Dynamo Dresden die Rolle des Klassenprimus gespielt, dann jedoch gewann der BFC den Titel gleich zehn Mal in Serie. Er dominierte in manchen Jahren die Liga nach Belieben [...], auch weil der BFC in den achtziger Jahren spielerisch stets eine Klasse für sich war und schönen Fußball spielte. Vornehmlich eine Folge der konsequenten Nachwuchsarbeit des BFC, die größten Talente der Region landeten ganz automatisch beim Berliner Rekordmeister. Was wiederum ein Schlaglicht auf die Nachteile der DDR-Talentförderung warf. Denn tatsächlich sorgte diese Form der Konzentration der Talente auf wenige große Klubs für ein starkes Gefälle innerhalb der Liga und führte dazu, dass die Spiele der Oberliga stark an Spannung verloren.
Vielmehr beschäftigte die Zuschauer allerdings noch der Verdacht, dass manche Erfolge am grünen Tisch erkauft und erschummelt wurden. Und in der Tat häuften sich über die Jahre die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter zugunsten des BFC Dynamo. Diese riefen vor allem deshalb Misstrauen hervor, weil bei Spielen der Berliner die Politprominenz auf der Tribüne flanierte, vor allem der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke. [...]
Dass Schiedsrichter die Regeln bewusst wohlwollend für den BFC Dynamo auslegten, lässt sich belegen. Ein ebenso einfacher wie fataler Konflikt: Zu Auslandsreisen als FIFA-Referee, das Ziel eines jeden Schiedsrichters, wurde nur abkommandiert, wer zuvor vom Ministerium für Staatssicherheit das Gütesiegel erhalten hatte, sowohl fachlich als auch moralisch unbedenklich zu sein. Wer allerdings den BFC Dynamo, den Klub der Staatssicherheit, nicht mit der nötigen Ehrerbietung behandelte, minderte damit seine Chancen.
Doch nicht nur die Schiedsrichter, auch die Spieler standen unter genauer Beobachtung der Staatssicherheit. Vor allem die Spieler der Spitzenvereine waren allesamt Reisekader, die Befürchtung, einzelne Spieler könnten anlässlich solcher Reisen in den Westen fliehen, war stets präsent. [...]
Von politischer Einflussnahme sind bereits die frühen Jahre der Oberliga gekennzeichnet. Die Zusammensetzung der Liga wird weniger von sportlichen Erwägungen als von gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten geprägt. Und am liebsten würde die politische Führung auch noch den Meister der DDR-Liga festlegen. [...]
Besonders grotesk wurde die Einflussnahme jedoch im Falle der Berliner Vereine. Eine DDR-Liga ohne Vereine aus der Hauptstadt ist undenkbar. Also wird die Liga nach ihrer ersten Saison ohne sportliche Qualifikation gleich um vier Mannschaften aufgestockt, darunter drei Berliner Vereine. [...]
Doch auch jenseits der Berlin-Frage herrscht in der Liga vor allem Verwirrung, denn Vereinsnamen und Orte sind nur Schall und Rauch, wenn es dem sozialistischen Gedanken dient. Zu den erstaunlichsten Umquartierungen gehört dabei der Ortswechsel der Mannschaft von Empor Lauter aus dem Erzgebirge. Weil die Hansestadt Rostock noch einen erstklassigen Fußballverein braucht, zieht die komplette Mannschaft in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Lauter an die See um. [...]
Nach den turbulenten ersten Jahren beruhigt sich alsbald die Szenerie. [...] Zu diesem Zeitpunkt ahnt die sportliche Führung noch nicht, dass es ausgerechnet der Fußball sein wird, der ihr einen der meist beachteten sportlichen Erfolge der siebziger Jahre bescheren wird, den 1:0-Vorrundensieg gegen die westdeutsche Mannschaft bei der WM 1974 in Hamburg. Torschütze Jürgen Sparwasser stöhnt heute, wenn man ihn auf seinen Treffer anspricht: "Wenn ich mal sterbe, muss auf meinem Grabstein nur 'Hamburg 1974' stehen, und jeder wird wissen, was gemeint ist." Doch so sehr der Magdeburger Sparwasser darunter gelitten haben mag, allein auf sein Tor gegen die Westdeutschen reduziert zu werden, so war der Sieg dennoch dazu geeignet, die Identität der DDR-Oberliga zu festigen. Einige Wochen zuvor hatte Sparwasser ja bereits mit dem FC Magdeburg das Kunststück vollbracht, den Europapokal der Pokalsieger zu gewinnen, mit einem 2:0 gegen AC Milan. Freudestrahlend rannten die Spieler in ihren weißen Bademänteln über den Platz, und bei der Rückkehr nach Magdeburg säumten viele Tausende die Straßen und umjubelten die Heimkehrer. Vielleicht war die Oberliga nie so stark wie in jenen Jahren. [...]

Maik Rosner, Philipp Köster, "Oberliga", in: 11 Freunde. Magazin für Fußball-Kultur Nr. 40, Dezember/Januar 2004/05, S. 33 ff.

Sport und nationale Symbole

Angesichts der Schrecken des Krieges und der NS-Vernichtungspolitik behandelte die FIFA die Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges härter als 1918. Der deutsche Fußballverband wurde - wie auch der japanische - aus dem Weltverband ausgeschlossen, und Begegnungen mit deutschen Mannschaften jeder Art waren verboten. Zwar nahm die FIFA den DFB 1950 wieder in den Weltfußball auf, doch vor allem bei Länderspielen brachen die Erinnerungen an den Krieg auf. Die Deutschen wussten oft selbst nicht, wie sie sich verhalten sollten. Wie sollte die Nationalflagge aussehen und welches Lied die Nationalhymne werden? "Normalen" Staaten wären derartige Fragen unverständlich gewesen, doch in der Bundesrepublik war man sich bewusst, welchen Missbrauch die Nationalsozialisten mit der Nation und nationalen Symbolen betrieben hatten.

Am einfachsten ließ sich das Flaggenproblem lösen. Es drängte besonders, da der neu gegründete Staat bei zahlreichen Anlässen auf eine Nationalfahne angewiesen war. Bereits 1949 entschied sich der Parlamentarische Rat für die Farben Schwarz-Rot-Gold. Sie erinnerten an die deutsche Einheitsbewegung des 19. Jahrhunderts und waren bereits in der Weimarer Republik gegen die schwarz-weiß-rote Fahne des Kaiserreichs zur Nationalflagge gewählt worden.

Bedeutend schwieriger war die Antwort auf die Frage, welches Ereignis in der deutschen Geschichte die ganze Nation so ansprach, dass es zum Anlass eines Nationalfeiertages werden konnte. Bereits im Kaiserreich hatten die Feiern zum Geburtstag des Kaisers oder zum Sieg im Krieg gegen Frankreich 1870/71 (Sedantag) nur bei Teilen der Bevölkerung Anklang gefunden, und auch die Weimarer Republik hatte auf diese Frage keine überzeugende Antwort geben können.

Die DDR ging bald einen eigenen Weg und erklärte 1950 den 8. Mai als Tag der Befreiung zum Nationalfeiertag. Damit war dieses Datum sozialistisch besetzt und schied nach der Logik des Kalten Krieges, der zur Teilung Deutschlands geführt hatte, für die Bundesrepublik aus. Hier sahen ohnehin noch viele Menschen im 8. Mai keine Befreiung, die sie feiern konnten, sondern eine Niederlage. Ähnlich umstritten war der Vorschlag, den 20. Juli 1944 zu wählen. Die Bewertungen des Attentats auf Hitler, das an diesem Tag fehlgeschlagen war, gingen weit auseinander, nicht wenige sahen darin einen "Vaterlandsverrat". So unterbreitete der damalige Bundesinnenminister Gustav Heinemann 1950 den Vorschlag, den ersten Sonntag im September zu wählen und an die erste gemeinsame Sitzung des Bundestags und des Bundesrates zu erinnern. Dieser Tag sollte das Grundgesetz, die neue Verfassung des jungen Staates, feiern, der Opfer des Nationalsozialismus gedenken und die Aufgabe ins Bewusstsein rufen, die deutsche Einheit zu verwirklichen. Heinemanns Vorschlag fand breite Zustimmung: 1951 wurde der erste nationale Gedenktag begangen - jedoch nicht als Volksfest wie die Nationalfeiertage in anderen Ländern, beispielsweise in Frankreich oder in den USA. Vielmehr fand die Feier als Staatskundgebung statt, an der nur wenige teilnahmen.

Eine allgemein akzeptierte Lösung ergab sich erst nach dem 17. Juni 1953. An diesem Tag waren Deutsche in der DDR bereit gewesen, für Freiheit, Demokratie und die Einheit der Nation zu kämpfen, sodass der Bundestag dieses Datum schon kurz nach dem Scheitern des Aufstandes zum Nationalfeiertag für die Bundesrepublik erklärte. Damit feierte fortan ausgerechnet der Westen Deutschlands diesen Tag, obwohl er sich bei der Unterstützung der Aufständischen zurückgehalten hatte, um die Sowjetunion nicht zu provozieren. Die Aufständischen in der DDR hingegen konnten diesen Tag nicht feiern. Sie hatten weder Demokratie noch Freiheit errungen und mussten zudem noch akzeptieren, dass ihr Scheitern die Teilung Deutschlands und die sozialistische Diktatur auf absehbare Zeit festschrieb.

Entschieden werden musste auch die Frage nach der Nationalhymne, denn es gab immer wieder Anlässe wie Staatsbesuche oder sportliche Begegnungen, die eine Hymne erforderten. Das konnte zu kuriosen Vorfällen führen. Als etwa 1950 der Hamburger Sportverein ein Spiel in den USA bestritt, konnten die Gastgeber nicht auf eine Nationalhymne zurückgreifen und spielten deshalb die "Nordseewellen". Als jedoch 1952 die Olympischen Winterspiele in Norwegen anstanden, an denen erstmals nach dem Krieg wieder deutsche Sportler teilnehmen konnten, musste eine Lösung gefunden werden. Das Nationale Olympische Komitee wandte sich deshalb im Mai 1951 an Bundeskanzler Adenauer, der zum Deutschlandlied riet, "da ein anderes Lied im Ausland nicht bekannt" sei. Dieser Vorschlag war akzeptabel, denn das Lied besaß eine demokratische Tradition. Es enthielt aber auch eine nationalistische Aussage, da die erste Strophe "Deutschland, Deutschland über alles" stellte. Adenauer forderte deshalb dazu auf, lediglich die dritte Strophe zu singen, die von derartigen Untertönen frei war und "Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland" verlangte. Die Süddeutsche Zeitung hatte bereits am 20. April 1950 die gleiche Meinung vertreten. Man dürfe nicht "jedes Wort für bare Münze nehmen [...], das Völker singen". Außerdem, so Die Zeit vom 27. April 1950, könne man nicht alle nationalen Symbole nur deshalb ablehnen, weil die Nationalsozialisten sie missbraucht hätten. Doch damit waren Missverständnisse nicht ausgeräumt. Als 1951 in Berlin das Deutschlandlied zur Probe als Hymne erklang, blieben die drei Alliierten Stadtkommandanten auf ihren Stühlen sitzen, und das Ausland reagierte mit heftiger Kritik.

Als Ausweg aus dem Dilemma ließ Bundespräsident Theodor Heuss eine neue Nationalhymne komponieren, die Ende 1951 vorlag und unverfänglich war. Doch breite Zustimmung konnte die neue Hymne nicht gewinnen, sie galt als kühl und wenig ansprechend. So nahm die Diskussion an Heftigkeit zu, eine überzeugende Lösung war nicht zu erkennen. Zugleich rückten die Olympischen Spiele näher. Das Kabinett beschloss, bei der norwegischen Regierung anzufragen, ob diese Bedenken gegen das Deutschlandlied habe. Damit verlagerte sie die Entscheidung über die Hymne nach außen, ein deutliches Zeichen dafür, wie groß in Deutschland die Unsicherheit in dieser Frage war. Für die Olympischen Spiele wurde schließlich ein Ausweg gefunden: Die Verantwortlichen verständigten sich auf die Zeilen "Freude, schöner Götterfunke" aus Beethovens neunter Sinfonie. Aus deutscher Sicht war dieser Vorschlag sinnvoll. Außenstehenden hingegen fiel es schwer, den Verzicht auf eine Nationalhymne zu verstehen. Als in Oslo die erste Siegerehrung für einen Deutschen anstand, glaubten die Zuständigen, durch ein Versehen die falschen Noten erhalten zu haben. Sie setzten die Zeremonie ab, erkundigten sich und holten die Siegerehrung vierundzwanzig Stunden später nach. Kurz darauf, im Mai 1952, fanden Adenauer und Heuss einen Kompromiss: Sie einigten sich auf das Deutschlandlied, von dem fortan aber lediglich die dritte Strophe gesungen werden sollte.

Vergleichbare Probleme traten auch bei Fußball-Länderspielen auf, so bei der ersten Begegnung nach dem Krieg am 22. November 1950 in Stuttgart gegen die Schweiz, zu der 115.000 Zuschauer strömten. An die Stelle der Nationalhymne, die es noch nicht gab, trat eine Schweigeminute. Das war, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung feststellte, würdig und eindrucksvoll, konnte allerdings auf Dauer nicht überzeugen. Auch nach der Entscheidung für das Deutschlandlied blieb der Umgang mit der Hymne bei Fußballspielen problematisch. So verzichteten die Verantwortlichen beim Länderspiel gegen Frankreich in Paris am 5. Oktober 1952 darauf, um französische Zuschauer nicht unnötig zu provozieren.

Bei den WM-Ausscheidungsspielen gegen das Saarland 1953/54 entstanden ganz andere Schwierigkeiten. Die Bundesrepublik lehnte die saarländische Eigenständigkeit ab und befürchtete, das Hissen der saarländischen Flagge und das Abspielen der Hymne könne als indirekte Anerkennung interpretiert werden. Man einigte sich darauf, dass beide Mannschaften auf ihre nationalen Symbole verzichteten.

geb. 1951 in Bottrop, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Freiburg. Er veröffentlicht zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zuletzt mit Schwerpunkten auf der Umweltgeschichte und der Geschichte des modernen Sports. Daneben ist er Mitglied der Lenkungsgruppe großer historischer Ausstellungen, darunter: Feuer und Flamme. 200 Jahre Ruhrgebiet (Gasometer Oberhausen 1994/1995); mittendrin. Sachsen-Anhalt in der Geschichte (Kraftwerk Vockerode 1998); Der Ball ist rund. Die Fußballausstellung (Gasometer Oberhausen 2000).

Kontakt: f.j.brueggemeier@geschichte.uni-freiburg.de