Die Finanzverfassung
Die Finanzverfassung ist entscheidend für die Frage, wie viel Vielfalt die Länder leben können. Sie ist aber auch verbunden mit der Frage, wie viel Verantwortung die Länder für staatliche Aufgaben übernehmen müssen. Nur wer über eigene Einnahmen verfügt, kann über diese alleine entscheiden. In den Staaten, in denen eine große Einnahmenautonomie sich mit einer Fülle von Länderkompetenzen paart (Beispiele Kanada, USA), wird von den Gliedstaaten erwartet, dass sie weitgehend selbstständig die in ihre Zuständigkeit fallenden staatlichen Aufgaben erledigen. Die deutsche Finanzverfassung ist nicht am Gedanken der Autonomie der Länder ausgerichtet, sondern folgt ebenfalls dem bereits dargestellten Prinzip der Politikverflechtung. Über eigene Steuern kann auf Landesebene mit der Ausnahme der Festlegung des Hebesatzes auf die Grunderwerbsteuer nicht entschieden werden. Bei knappen Kassen nutzen die Länder diesen schmalen Restbestand ihrer steuerlichen Unabhängigkeit. So hat jüngst eine Reihe von Ländern die Grunderwerbsteuer erhöht. Ansonsten ist die Steuergesetzgebung Bundesangelegenheit.
Nur der Bund hat die Gestaltungshoheit über das Steuersystem, doch die Länder müssen den Steuergesetzen über den Bundesrat zustimmen. So können sie sich gelegentlich auch finanziell besserstellen, indem sie sich bei knappen Mehrheiten ihre Zustimmung zu den Gesetzesvorlagen des Bundes durch Gegenleistungen erleichtern lassen.
Ertragshoheit der Länder
Selbst wenn die Länder keine Gestaltungshoheit in der Steuerpolitik haben, so gewährt das Grundgesetz ihnen doch in einer Reihe von Fällen die Ertragshoheit, sichert ihnen also die Einnahmen aus bestimmten Steuerarten wie der Einkommen-, der Körperschaft- und der Umsatzsteuer zu. Dies sind die sogenannten Gemeinschaftsteuern von Bund und Ländern. Sie machen circa 70 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus. Ausschließlich den Ländern stehen die Erträge aus der Erbschaftsteuer, der Biersteuer und aus bestimmten Verkehrsteuern (Grunderwerbsteuer, Feuerschutzsteuer, Rennwett- und Lotteriesteuer) zu. Bis zur Abschaffung der Vermögensteuer 1997 erhielten die Länder zudem deren Erträge. Die Trennung von Gestaltungshoheit einerseits und Ertragshoheit andererseits erfordert ein hohes Maß an Zusammenarbeit im Föderalismus und schließt den steuerlichen Wettbewerb zwischen den Ländern aus. Begründet wird dieser Verzicht auf Vielfalt mit dem Argument, dass unterschiedliche Besteuerung und besonders ein steuerliches Unterbieten in den einzelnen Ländern der Wirtschaft schaden würde.
Dennoch ist die Diskussion um mehr steuerliche Eigenverantwortung der Länder nie ganz verstummt. Fest steht: Je solider die Einnahmenbasis eines Landeshaushaltes ist, desto weniger finanzielle Hilfe braucht das betreffende Land von anderen Ländern oder vom Bund. Alle Versuche, zumindest die Ertragshoheit bei den Steuern neu zu ordnen und von der geltenden Aufteilung der Steuerarten wegzukommen, scheiterten an der Befürchtung der beteiligten politischen Ebenen, sich finanziell schlechterzustellen.
Bei den Beratungen zur Föderalismusreform I spielte kurzzeitig die Idee eines "kleinen Steuertausches" eine Rolle. Der Bund hatte angeboten, die Ertragshoheit bei der Kraftfahrzeugsteuer und der Biersteuer zu übernehmen und den Ländern im Gegenzug die Versicherungsteuer zu überlassen. Ein solcher Tausch hätte es dem Bund erlaubt, im Zusammenspiel von Kraftfahrzeugsteuer, Autobahnmaut und Mineralsteuer lenkend ökologische Vorstellungen in der Verkehrspolitik durchzusetzen. Die Länder waren erst zu Verhandlungen bereit, nachdem die Biersteuer aus dem Verhandlungspaket entfernt war. Die Beratungen scheiterten dennoch, weil den Ländern die Erträge aus der Versicherungsteuer als nicht ausreichend und zu unsicher erschienen. Der Gedanke einer Bundeskompetenz für die Erträge aller den Straßenverkehr betreffenden Steuern blieb jedoch in der Diskussion. Nach weiteren Verhandlungen einigten sich Bund und Länder 2009 auf eine Änderung des Grundgesetzes. Dem Bund wurde die Ertragshoheit bei der Kraftfahrzeugsteuer übertragen, die Länder erhalten dafür eine finanzielle Entschädigung. Die Kompensation für die Länder betrug zunächst circa neun Milliarden Euro, kann aber immer wieder neu ausgehandelt werden. Sie wird durch Bundesgesetz geregelt, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Die attraktivste Steuerart ist die Umsatzsteuer, von der relativ krisensicher Erträge erwartet werden, da sie den Konsum besteuert. Weniger ertragreich und weniger krisenfest ist die von den Unternehmen zu entrichtende Körperschaftsteuer, die zudem in der Vergangenheit reduziert wurde, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu sichern. Auch die Erträge der Einkommensteuer sind im Vergleich zu den Umsatzsteuereinnahmen zurückgegangen und unterliegen stärkeren Schwankungen als diese.
QuellentextLänderfinanzausgleich – ein Dauerbrenner in Karlsruhe
Klagen gegen den Länderfinanzausgleich gibt es fast schon so lange wie das System selbst. 1952 erklärte das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal den horizontalen Finanzausgleich, also die Zahlungen zwischen den Ländern zur Angleichung der Lebensverhältnisse, als mit dem Grundgesetz vereinbar. Damals hatte das Land Baden-Württemberg geklagt. Es hatte sich auf den Standpunkt gestellt, nur Bundeszuschüsse seien vom Grundgesetz gedeckt.
1986 entschieden die Richter in Karlsruhe, der Länderfinanzausgleich sei nicht verfassungskonform. Der Grund lautete: Die Finanzkraft der Länder werde unzureichend bestimmt, weil bergrechtliche Förderabgaben und die Spielbankenabgabe ebenso wenig berücksichtigt würden wie die Grunderwerbsteuer und die Feuerschutzsteuer. Hingegen akzeptierten die Richter die so genannte Einwohnerveredelung, mit der die Sonderlasten der Küstenländer mit ihren Häfen und der Stadtstaaten ausgeglichen wird.
Das 1987 geänderte Gesetz landete schon kurz darauf wieder in Karlsruhe. 1992 stufte der Zweite Senat es als im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar ein. Bremen und Hamburg hatten geklagt, weil sie sich einen für sie günstigeren Einwohnerschlüssel erhofft hatten. Auch Schleswig-Holstein und das Saarland waren mit ihrem Ansinnen gescheitert, die (schwache) Finanzkraft ihrer Gemeinden stärker zu berücksichtigen. Damals äußerten sich Baden-Württemberg und Hessen zufrieden, weil sie nicht noch mehr zahlen mussten.
1999 gab das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf, den Länderfinanzausgleich in zwei Stufen neu zu regeln. In einem Maßstäbegesetz sollte er grundlegend klären, wie das Umsatzsteueraufkommen und die Bundesergänzungszuweisungen verteilt werden sollen, "bevor deren spätere Wirkungen konkret bekannt werden". Anschließend sollten auf dieser Basis die Details geklärt werden. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen hatten geklagt. Doch erwies es sich als eine Illusion, dass die Verhandlungen unabhängig von den dadurch ausgelösten Umverteilungseffekten möglich sein sollten. So hat man die rechtlichen Grundlagen zwar geändert, aber das System aus wenigen Zahlern und vielen Empfängern ist im Wesentlichen gleich geblieben.
mas, "Die Urteile der Verfassungsrichter seit 1952", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Februar 2013
Der Finanzausgleich
Der Finanzausgleich im deutschen Föderalismus, also die Hilfe für finanzschwache Länder, wird mit dem bündischen Prinzip begründet, welches besagt, dass die Länder gemeinsam sowie Bund und Länder füreinander einstehen. Politischer Streit entsteht regelmäßig über das Ziel der Hilfe, über den erforderlichen Umfang dieser Solidaritätsleistung und über die Frage des Maßstabs für einen Ausgleich: Folgt man der Logik des Subsidiaritätsprinzips, kann es nur um Hilfe zur Selbsthilfe gehen, wenn Länder unverschuldet in Not geraten, bzw. um Hilfen für den wirtschaftlichen Strukturwandel in diesen Ländern. Steht dagegen das Ziel im Vordergrund, unabhängig von den Leistungen einzelner Landesregierungen in ganz Deutschland einheitliche oder gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, so ist die Hilfe weder zeitlich noch dem Umfang nach zu begrenzen. Verschärft wird die Ausgleichsproblematik noch, wenn sich der Umfang der Leistungen nicht danach ausrichtet, wie viel Geld ein Land benötigt, um arbeitsfähig zu sein, sondern nach dem angemeldeten Bedarf. Dieser kann wegen seiner Unbestimmtheit schon prinzipiell nie zufriedenstellend gedeckt werden.
Je unterschiedlicher die einzelnen Länder wirtschaftlich erfolgreich sind, desto größer und einseitiger wird der Finanzausgleich. Im Detail ist dieser hoch kompliziert, weil der Gesetzgeber den Ehrgeiz hat, am Bedarf orientiert, exakt zu kalkulieren. So wird der Anteil, zu dem kommunale Steuern (wie die Hundesteuer oder die Zweitwohnungsteuer) in die Berechnungen einbezogen werden, beispielsweise ebenso geregelt wie der Umgang mit Stadtstaaten und dünn besiedelten Ländern sowie – außerhalb des Finanzausgleichs, aber mit diesem verbunden – die Seehafenlasten für Länder. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 sollte der Gesetzgeber den Finanzausgleich überschaubarer gestalten und nachvollziehbare Maßstäbe für diesen definieren. Bund und Länder wichen dieser Herausforderung dadurch aus, dass sie sich zunächst auf den Finanzausgleich für die Jahre 2005 bis 2019 einigten und danach erst – auf diesen Kompromiss bezogen – ein "Maßstäbegesetz" verabschiedeten.
Das Bundesverfassungsgericht suchte nach einem Mittelweg zwischen Subsidiaritätsprinzip und Solidarität im Föderalismus. In seinem Urteil zum Ausmaß der gegenseitigen Hilfestellung der Länder (horizontaler Finanzausgleich) heißt es: "Der horizontale Finanzausgleich soll die Finanzkraftunterschiede unter den Ländern verringern, aber nicht beseitigen. Er hat die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite." Stärker als die Politik betonte das Gericht aber die Eigenverantwortung der Länder als Voraussetzung für Ländersolidarität.
Regeln des Finanzausgleichs – Stufe 1 und 2
Tatsächlich wurden 2005 nur wenige Fortschritte in Richtung transparenter Regeln des Finanzausgleichs gemacht. Seine konkrete Ausgestaltung blieb der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Die Grundstruktur des Finanzausgleichs wurde 2005 nicht verändert, er erfolgt nach wie vor in drei Schritten. Der erste Schritt ist ein Umsatzsteuerausgleich. Die Umsatzsteuer steht nach immer wieder neu zu vereinbarenden Prozentsätzen einerseits dem Bund und andererseits den Ländern zu. Diejenigen Länder, "deren Einnahmen aus den Landessteuern und aus der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer sowie der Entschädigung für Erträge aus der am 1. Juli 2009 an den Bund übertragenen Kraftfahrzeugsteuer je Einwohner unter dem Durchschnitt der Länder liegen" (Artikel 107 GG), erhalten bis zu 25 Prozent des Länderanteils an der Umsatzsteuer. Sinn dieser Umverteilung ist es, das System des Länderfinanzausgleichs funktionsfähig zu machen.
Ohne den ersten Schritt wären die Finanzkraftunterschiede zwischen den "ärmeren" und den "reicheren" Ländern so groß, dass der Betrag, den die "reicheren" an die "ärmeren" übertragen müssten, deren Haushalte sprengen würde. Nur mit diesem Mechanismus war es nach der deutschen Einheit möglich, die neuen Länder unmittelbar in den Finanzausgleich aufzunehmen. Mit dem Umsatzsteuerausgleich wird die Finanzkraft der "ärmeren" Länder auf über 90 Prozent der durchschnittlichen Steuerkraft aller Länder angehoben.
Der zweite Schritt ist der "Länderfinanzausgleich" im eigentlichen Sinne, also der horizontale Ausgleich zwischen den Ländern. Hier wird die Solidarität zwischen ihnen verwirklicht, indem die finanzstarken direkt den finanzschwächeren helfen. Ziel dieser Solidarität ist nicht, dass bestimmte Länder auf Dauer andere Länder unterstützen, sondern vielmehr die Hilfe zur Selbsthilfe. Die Finanzkraft der ausgleichsberechtigten Empfängerländer wird im zweiten Schritt des Finanzausgleichs weiter angehoben. Zur Berechnung des Mitteltransfers werden die Einnahmen der Länder in Bezug zur jeweiligen Einwohnerzahl gesetzt. Bei den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg geht der horizontale Finanzausgleich von einer Sonderbelastung der Stadtstaaten aus und gewichtet ihre tatsächliche Einwohnerzahl mit dem Faktor 1,35. Es wird angenommen, dass sie Leistungen auch für ihr Umland erbringen müssen. Beispielsweise haben sie ein Kultur- und Freizeitangebot, das auch von den Umlandgemeinden in Anspruch genommen wird. Deren Bewohner nutzen ebenso die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadtstaaten, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Diese besondere Gewichtung wird beim Finanzausgleich "Einwohnerveredelung" genannt. Sie ist auch ein gewisser Ausgleich dafür, dass andere Städte in Ballungsräumen im Rahmen des in den Ländern stattfindenden kommunalen Finanzausgleichs mit besonderen Mittelzuweisungen bedacht werden, die Stadtstaaten nicht zur Verfügung stehen.
Der horizontale Finanzausgleich hat Grenzen. Einem "Zahlerland" müssen hundert Prozent der durchschnittlichen Finanzkraft der Länder bleiben, es darf also durch die Abgabe von Haushaltsmitteln nicht ärmer als der Länderdurchschnitt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem in seinem Urteil zum Länderfinanzausgleich von 1999 bekräftigt, dass der horizontale Finanzausgleich nicht dazu führen darf, dass am Ende die "Geberländer" ärmer sind als die "Empfängerländer" finanzieller Hilfe. Fest steht: Der Finanzausgleich nivelliert die Finanzkraft der Länder. Hessen und Bayern hatten 2011 vor dem Ausgleich eine Finanzkraft von 115 Prozent des Durchschnitts, danach noch 105 Prozent. Berlin kam vorher auf 69 Prozent und nach dem Finanzausgleich auf fast 91 Prozent.
Kontroverse um Stufe 2
Die innenpolitische Kontroverse um diesen zweiten Schritt des Länderfinanzausgleichs hält nun seit Jahrzehnten an. 2013 haben Bayern und Hessen beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht, weil sie sich finanziell überfordert sehen und auf eine Begrenzung ihrer Zahlungsverpflichtungen hoffen. Baden-Württemberg sieht das Problem ebenfalls, möchte aber zunächst mit den Nehmerländern verhandeln. Ein Kritikpunkt bezieht sich dabei auf die Wirksamkeit des Ausgleichs. Bisher ist es nur einem Land, Bayern, gelungen, durch die Hilfe der anderen Länder in den 1980er-Jahren vom "Empfänger-" zum "Geberland" zu werden. Der Kreis der Geberländer hat sich verkleinert. Heute sind dies Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Bayern zahlte 2012 etwa die Hälfte der bundesweit umverteilten Mittel (3,904 Milliarden Euro), gefolgt von Baden-Württemberg (2,694 Milliarden Euro) und Hessen (1,327 Milliarden Euro). Das größte Empfängerland ist mit weitem Abstand Berlin (3, 323 Milliarden Euro), gefolgt von Sachsen (963 Millionen Euro).
Die Empfängerländer machen dagegen geltend, dass die Bilanz der regionalen Ausgleichszahlungen im Rahmen des Finanzausgleichs durch andere Finanzströme, wie Investitionen des Bundes (z. B. in der Vergangenheit in die Kernkraft) oder Förderprogramme für bestimmte Technologien (z. B. das Erneuerbare-Energien-Gesetz, hier profitiert insbesondere Bayern) sowie durch Hilfen an die Landwirtschaft oder Infrastrukturentscheidungen (Sitz von Bundesbehörden oder Bundeswehrstandorte), ergänzt werden müsste. Nur so entstünde ein Gesamtbild der föderalen Solidarität. Für die ostdeutschen Länder kommen die Folgelasten aus der mangelnden Konkurrenzfähigkeit der DDR-Wirtschaft hinzu. Sie mussten nach deren Zusammenbruch 1990 neu starten. 2012 lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner der ostdeutschen Bundesländer nach einer Erhebung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) bei 66 Prozent des Westniveaus.
Der zweite generelle Kritikpunkt am Finanzausgleich kreist um das Thema "Fehlanreize". Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete 2012 den Länderfinanzausgleich als "absolut bescheuertes System", weil es politisch vernünftiges Verhalten nicht fördere. Hierzu gehört, nicht nur aus der Sicht Kretschmanns, auch das Zusammenspiel von Entscheidungen und der Verantwortung für ihre Folgen: Wenn ein Empfängerland beispielsweise seinen Bürgerinnen und Bürgern soziale Leistungen wie kostenlose Kita-Plätze anbietet, das Geberland sich aber selbst dazu finanziell nicht in der Lage sieht, stellt sich die Frage nach den Regeln der Wahrnehmung finanzieller Verantwortung.
Der Finanzausgleich sichert eine Annäherung der Finanzkraft der Länder auf hohem Niveau, unabhängig davon, ob sie gut oder schlecht wirtschaften, ob sie erfolglos oder erfolgreich investieren. Geberländer sehen sich somit vor einem Dilemma: Je besser ihre finanzielle Lage wird, desto mehr müssen sie im Länderfinanzausgleich abgeben. Wie die wirtschaftlichen Anreize im deutschen Finanzausgleich funktionieren, verdeutlicht folgende Überlegung: Würden sich Geber- und Empfängerländer beim Finanzausgleich im wirtschaftlichen Sinne "vernünftig" verhalten, käme etwas Unvernünftiges heraus: Die Geberländer würden schlecht wirtschaften, um weniger abgeben zu müssen, und die Empfängerländer würden ebenfalls schlecht wirtschaften, um sich die Finanzströme aus den anderen Ländern zu sichern. Ein solches Modell kann nicht auf Dauer funktionieren. Schon heute wird von internationalen Organisationen wie der OECD vermutet, dass die Geberländer bei der Steuerprüfung von Unternehmen großzügig sind, um Arbeitsplätze im Land zu halten oder Firmen anzulocken. Die unregelmäßige Steuerprüfung vermindert zwar die Einnahmen, da diese aber zum gewissen Teil ohnehin in den Finanzausgleich flössen, ist dies für den Landesfinanzminister möglicherweise weniger wichtig. Um solchen Problemen entgegenzuwirken, wurde für die Geberländer 2005 eine "Deckelung" der Abschöpfung ihrer Überschüsse gemessen am Länderdurchschnitt eingeführt. Zusätzlich wurde ein Anteil der Überschüsse bestimmt, der bei der Berechnung ihrer Leistungen an die anderen Länder nicht berücksichtigt wird. Damit sollen die Geberländer einen Anreiz erhalten, sich weiterhin um wirtschaftliche Erfolge zu bemühen. Dieser stärkeren Berücksichtigung der eigenen Anstrengungen der Länder widerspricht aber die finanziell große Rolle der dritten Stufe des Finanzausgleichs. Sie führt dazu, dass am Ende "ärmere" Länder entgegen der Logik eigener Leistung finanzstärker sind als "reichere".
Stufe 3 und Solidarpakt
Die dritte Stufe des Finanzausgleichs ist vertikal organisiert, das heißt der Bund leistet den bedürftigen Ländern zusätzliche Hilfe durch Ergänzungszuweisungen. Er zahlt hier Hilfen aus seinem Umsatzsteueranteil, um die Finanzkraft der "ärmeren" Länder weiter anzuheben. Zusätzliche Hilfen werden vom Bund zum Ausgleich besonderer, auf die Teilung Deutschlands und deren Überwindung zurückzuführender Lasten gezahlt; ebenso für unterdurchschnittlich finanzierte Kommunalhaushalte oder als Ausgleich für die pro Kopf höheren Kosten der politischen Führung (Regierung und Verwaltung) in den kleineren Ländern. Das Saarland und Bremen erhielten Zuwendungen des Bundes zur Überwindung ihrer Haushaltsnotlage. An der schwierigen Haushaltssituation dieser beiden Länder hat diese Hilfeleistung jedoch nichts geändert. Berlins Versuch, ebenfalls eine Haushaltsnotlage geltend zu machen, scheiterte 2006 am Bundesverfassungsgericht. Das Gericht hat die Hürde für Bundeshilfen zur Sanierung der Länderhaushalte höher gelegt, die Eigenverantwortung der Länder betont und im Falle Berlins entschieden, dass das Land seine finanziellen Möglichkeiten nicht in ausreichendem Maße ausgeschöpft habe.
Für die ostdeutschen Länder steht bis 2019 Geld aus dem Solidarpakt II zur Verfügung. Mit diesem werden die Länderhaushalte aufgestockt und unter anderem Mittel für die Wirtschaftsförderung zur Verfügung gestellt. Auch über zwanzig Jahre nach der deutschen Einheit fehlen diesen Ländern ausreichende Steuereinnahmen aus der Wirtschaftstätigkeit. Dieses Strukturproblem ist schwer lösbar.
Weiterer Reformbedarf
Ohne die Solidarität im Föderalismus wären einige Länder in Ost und West nicht überlebensfähig. Es gibt zwei Wege, mit diesem Problem umzugehen: Eine Möglichkeit wäre, Länder zusammenzulegen. Für eine Länderneugliederung gibt es aber wohl zu wenige wirtschaftlich erfolgreiche Länder. Die andere Lösung ist die Fortführung eines stärker auf sinnvolle Anreize setzenden Finanzausgleichs. Wie dieser gestaltet wird, muss vor dem Jahr 2020 entschieden werden. Eine Föderalismusreform III, die sich mit dem Finanzföderalismus befasst, den die Föderalismusreformen von 2006 und 2009 ausgeblendet haben, ist unausweichlich. 2019 laufen nicht nur die gegenwärtigen Regeln für den Länderfinanzausgleich und der Solidarpakt II aus. Im selben Jahr endet auch die Übergangsfinanzierung des Bundes für Aufgaben wie den Bau von Hochschulen und Hochschulkliniken, die seit der Föderalismusreform 2006 Länderangelegenheiten sind.
QuellentextEine andere Art von Umverteilung
Bayern gewinnt, Nordrhein-Westfalen verliert. Auf diesen einfachen Nenner lassen sich Ergebnisse neuer Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zu regionalen Verteilungswirkungen des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien (EEG) bringen. Die Daten zeigten, dass sich das schon starke Gefälle der Zahlungsströme für Ökostrom weiter verstärkt habe, erklärte Verbandschefin Hildegard Müller.
Demnach haben Anlagenbetreiber in Bayern [2012] 1,2 Milliarden Euro mehr erhalten, als Stromverbraucher dort an Umlage gezahlt haben. Bayern verzeichnete damit den höchsten Zufluss aller Länder und hat ihn zum Vorjahr um fast 280 Millionen Euro erhöht. Am anderen Ende der Skala liegt Nordrhein-Westfalen (NRW): Die Stromkunden haben über ihre Stromrechnung 1,8 Milliarden Euro mehr an Umlage gezahlt, als die Anlagenbetreiber dort aus der Umlage an Förderung erhalten haben. Das waren 150 Millionen Euro mehr als 2011. Auf der Gewinnerseite des EEG folgen auf Bayern mit großem Abstand Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Die größten Zahler sind nach NRW mit weitem Abstand Hessen, Baden-Württemberg und Berlin.
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) beklagte […], […] 1,8 Milliarden Euro hätten vor allem die Mieter in Nordrhein-Westfalen 2012 netto bezahlt, damit vor allem bayerische Hausbesitzer sich eine Photovoltaik-Anlage auf das Dach stellen könnten. "Diese Umverteilung von West nach Süd können wir bei der Debatte um den Länderfinanzausgleich nicht einfach ignorieren."
[…] Über den Finanzausgleich waren 2012 knapp 8 Milliarden Euro umverteilt worden. Die EEG-Umlage betrug laut BDEW 2012 gut 18 Milliarden Euro.
Der starke Ausbau der Ökostromerzeugung ist der Grund dafür, dass die EEG-Umlage zum Jahreswechsel [2012/2013] um fast 50 Prozent auf 5,28 Cent je Kilowattstunde gestiegen ist. Sie wird von allen deutschen Stromkunden gezahlt. Müssten die Bürger jedes Bundeslandes für "ihre" Ökostromerzeugung selbst aufkommen, ergäbe sich ein anderes Bild: In den windstarken, aber bevölkerungsschwachen Bundesländern Schleswig-Holstein, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hätte die Umlage 2012 statt 3,6 Cent je kWh bis zu 8 Cent betragen, in Bayern immerhin noch 6 Cent.
Bayern profitiert vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (© F.A.Z.-Grafik Brocker)
Bayern profitiert vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (© F.A.Z.-Grafik Brocker)
Schon 2011 seien erstmals mehr als eine Million Anlagen durch das EEG gefördert worden, erklärte der BDEW. Waren 2010 erst 921 000 Anlagen am Netz, gab es Ende 2011 bereits mehr als 1,1 Millionen Anlagen, die Strom aus Wind, Sonne, Biomasse oder Wasserkraft produzierten. In Bayern waren 383.000 Anlagen zur Ökostromerzeugung – meist Photovoltaik – installiert, so viele wie sonst nirgends in Deutschland. Bayern hatte 2011 auch erstmals die Nase beim Neubau von Ökostromkraftwerken vorn. Das führte aber nicht automatisch dazu, dass dort auch der meiste Ökostrom erzeugt wurde.
Den ersten Rang, vor Bayern, belegte 2011 weiterhin Niedersachsen wegen seiner vielen Windräder und Biogasanlagen, die dauerhaft Strom erzeugen können. Auch hier fallen Effizienzunterschiede auf: Während die Niedersachsen mit 16 Prozent der EEG-Förderung ein Fünftel des Ökostroms erzeugten, brauchten die Bayern ein Viertel der Förderung, um gut 15 Prozent des Ökostroms zu erzeugen.
Andreas Mihm, "Bayern kassiert, Nordrhein-Westfalen bezahlt", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Februar 2013 (Externer Link: http://www.faz.net/-gqe-76co3)
Die Schuldenbremse
Die Schuldenbremse (© picture-alliance/dpa)
Die Schuldenbremse (© picture-alliance/dpa)
Mit der Föderalismusreform 2009 wurde eine Schuldenbremse ins Grundgesetz eingefügt. Sie bedeutet für die Länder, dass sie bis 2020 ihre Haushalte ohne jährliche Neuverschuldung ausgleichen müssen. Durch diese Reform und durch die Bestimmungen des Fiskalpakts, der auf europäischer Ebene geschlossen wurde, verschärfte sich die finanzielle Lage der Länder – für einige von ihnen dramatisch. Der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum sagte 2012 eine Länderneugliederung voraus, wenn die Länder es nicht schafften, sich rechtzeitig auf die Vorgaben der Schuldenbremse einzustellen. Bremen, das Saarland, Schleswig-Holstein oder Berlin drohe der Verlust jeglichen politischen Gestaltungsspielraums. Die 2012 im Saarland gebildete Große Koalition setzte sich demzufolge auch den Erhalt der Eigenständigkeit des Landes als oberstes Ziel.
Es ist bemerkenswert, dass die Landesparlamente, deren "Königsrecht" ja die Souveränität über den Landeshaushalt ist, bei der Föderalismusreform 2009, die ihre Ausgabenhoheit massiv einschränkte, außen vor blieben. Sie engagierten sich erst nach der von den Länderregierungen im Bundesrat mitverantworteten Grundgesetzänderung bei diesem Thema. In einigen Ländern wurde die Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen. In Hessen, wo wie in Bayern die Verfassung nur durch einen Volksentscheid geändert werden darf, fand ein solcher zusammen mit den Kommunalwahlen im März 2011 statt und erzielte ein positives Ergebnis.
Konsolidierungshilfen
Infolge der Schuldenbremse können die Länder also Haushaltslöcher nicht mehr durch Kredite auf dem Kapitalmarkt stopfen. Länder, denen der Haushaltsausgleich besonders schwerfällt, erhalten Hilfen vom Bund und den anderen Ländern. Für Bremen (300 Millionen Euro jährlich), das Saarland (260), Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein (jeweils 80 Millionen jährlich) sind sogenannte Konsolidierungshilfen vorgesehen. Sie belaufen sich auf insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr. Die Konsolidierungshilfen werden je zur Hälfte vom Bund und den anderen Ländern aus ihrem Umsatzsteueranteil getragen. Mit ihnen sind strenge Auflagen für die Konsolidierungsländer verbunden. Um die Erfüllung dieser Auflagen zu überwachen, wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2010 ein Stabilitätsrat eingerichtet, der für den Bund nach 2016 und für die Länder nach 2020 auch das Einhalten des Verschuldungsverbots kontrollieren wird. Dem Stabilitätsrat gehören der Bundesminister der Finanzen, die für Finanzen zuständigen Minister der Länder und der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie an. Kritiker bemängeln, dass hier potenzielle "Sünder" bei der Ausgabenpolitik unter sich sind. Der Gesetzgeber hat deshalb vorgesehen, bei Entscheidungen des Stabilitätsrats über Defizitsünder das entsprechend kritisierte Land oder den Bund, wenn er der Sünder ist, nicht zu beteiligen.
Für die Konsolidierungsländer sind die Auflagen und Kontrollen streng. Jährlich werden für sie Obergrenzen für den Defizitabbau festgelegt. Vom Jahr des Inkrafttretens der Schuldenbremse-Regel 2011 bis 2020 sind es zehn Haushaltsjahre. Jedes Jahr muss also die Neuverschuldung um zehn Prozent kleiner sein als im Vorjahr. Die Auszahlung der Jahresbeträge der Konsolidierungshilfen erfolgt durch das Bundesfinanzministerium in Höhe von zwei Dritteln zum 1. Juli des laufenden Jahres. Der Stabilitätsrat entscheidet, ob die Voraussetzungen für die Auszahlung der Gesamtsumme gegeben sind. Die Auszahlung des restlichen Drittels erfolgt zum 1. Juli des Folgejahres. Werden die Voraussetzungen nicht erfüllt, sind auch die bereits ausbezahlten zwei Drittel zurückzuzahlen. Verfehlt ein Land sein Konsolidierungsziel in einem Jahr, verliert es den Anspruch auf Konsolidierungshilfe für dieses Jahr und wird vom Stabilitätsrat verwarnt. Sofern es in einem späteren Jahr die Regeln wieder einhält, bekommt es erneut entsprechende Zahlungen. Hilfszahlungen für vergangene Jahre, auf die kein Anspruch bestand, werden nicht nachgeholt. Sachsen-Anhalt hat 2012 als erstes Land einen eigenen Stabilitätsrat gegründet, dem die Landesregierung, Kommunalbehörden und mehrere Landesbehörden angehören. Er soll die Haushaltspolitik Sachsen-Anhalts so steuern, dass es seine Schulden abbauen und die Schuldenbremse einhalten kann.
Erlaubte Schulden
2020 endet für die Länder die Möglichkeit zur sogenannten strukturellen Neuverschuldung, also der Verschuldung, die sich aus einer Ausgabenpolitik ergibt, die mit der Leistungsfähigkeit eines Landes nicht in Einklang steht. Die Länder dürfen aber noch Schulden machen, wenn die Wirtschaftskonjunktur einbricht ("konjunkturelle" Neuverschuldung). Diese Schulden dienen dazu, der schwachen Wirtschaft durch staatliche Investitionen wieder auf die Beine zu helfen. Sie müssen aber auf einem Kontrollkonto verbucht und möglichst rasch wieder ausgeglichen werden. Ausnahmen vom ausgeglichenen Haushalt ohne Kreditaufnahme sind auch in Notfällen erlaubt, wie Naturkatastrophen oder anderen Ereignissen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Ein solches "Ereignis" wäre in der Vergangenheit die deutsche Einheit gewesen und ist heute möglicherweise die europäische Finanzkrise. Wird eine solche Notlage durch den Gesetzgeber festgestellt, muss er diesen Beschluss mit einem Tilgungsplan verbinden, welcher die Rückführung der aufgenommenen Kredite binnen eines angemessenen Zeitraums darlegen soll.
Der Fiskalpakt
Der Fiskalpakt (© picture-alliance/dpa)
Der Fiskalpakt (© picture-alliance/dpa)
Die Schuldenbremse hält also das Ziel "Keine neuen Schulden!" fest im Blick. In der Europäischen Union wurde sie Bestandteil des 2012 von 25 der 27 EU-Staaten, darunter auch Deutschland, vereinbarten Fiskalpakts. Dieser ist eines der Maßnahmenpakete zur Überwindung der Staatsschuldenkrise in der EU. Er konzentriert sich darauf, Neuverschuldung zu vermeiden und Schulden abzubauen, was wiederum eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist, Hilfen aus Eurorettungsschirmen zu bekommen. Alle Euroländer sollen haushaltspolitische Disziplin üben und dies sogar rascher, als es die deutsche Schuldenbremse vorsieht. Ab 2014 darf sich Deutschland, falls keine außergewöhnlichen Umstände geltend gemacht werden können, insgesamt nur um maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) neu verschulden. Der Fiskalpakt sieht zudem vor, die Gesamtverschuldung jedes der Euroländer zu reduzieren, falls diese Verschuldung in einem Land über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Die Verringerung soll jährlich fünf Prozent ausmachen, bis die 60-Prozent-Grenze erreicht ist. Die deutschen Schulden (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen) lagen 2011 bei 81,2 Prozent des BIP. Deutschland muss also auch zusätzlich sparen. Für eine Zustimmung zum Fiskalpakt war eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat und im Bundestag erforderlich. Der Grund ist der Eingriff in die Haushaltshoheit von Bund und Ländern durch europäische Institutionen als Folge des Fiskalpakts. Dieser Eingriff ist so gravierend, dass es einer Mehrheit bedurfte, mit der das Grundgesetz geändert werden kann.
Garantien des Bundes
Die Länder stimmten dem Fiskalpakt erst zu, als der Bund ihnen wichtige Garantien gegeben hatte. Er verpflichtete sich, eventuelle Strafzahlungen, die auf Deutschland beim Verfehlen der Ziele des Fiskalpakts zukommen könnten, bis 2019 zu übernehmen. Dabei handelt es sich um Summen bis zu 0,1 Prozent der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung, also bis zu 2,5 Milliarden Euro. Für den Zeitraum bis 2019 wurde auch festgelegt, dass der Fiskalpakt die Länder finanziell nicht stärker in die Pflicht nehmen darf als die Schuldenbremse, welche für die Länder 2020 beginnt. Das frühere Inkrafttreten des Fiskalpakts hätte von diesen aber bereits ab 2014 gefordert, ihre Ausgaben zu kürzen, um Verschuldung zu vermeiden oder abzubauen.
Um die wirtschaftlich schwächeren Länder vor den hohen Zinsen zu schützen, die sie auf den Kapitalmärkten für Kredite zur Finanzierung ihrer Schulden zu entrichten hätten, wollen Bund und Länder gemeinsame Anleihen herausgeben. Damit kommen die wirtschaftsschwächeren Länder, die besondere Probleme bei der Vermeidung von Staatsverschuldung haben, zu einem günstigeren Zinssatz. Die Inanspruchnahme von Staatsanleihen zur Finanzierung ihrer Defizite ist für die Länder seit 2006 zur bevorzugten Strategie geworden. Die zuvor favorisierten Bankkredite verloren demgegenüber an Bedeutung. Für Zahlungsausfälle haften die Länder aber weiterhin separat. Dennoch besteht Hoffnung auf einen günstigeren Zinssatz, da gemeinsame Anleihen größer sind als die einzelner Länder. Heute schon gibt es "Jumbo-Anleihen", die mehrere Länder gemeinsam ausgeben. Ein weiteres Entgegenkommen des Bundes im Zuge der Verhandlungen über den Fiskalpakt war die Erhöhung des Kostenanteils, den der Bund für den Ausbau der Kinderbetreuung übernimmt, sowie des Anteils der Eingliederungskosten für Behinderte, um die Gemeinden zu entlasten.
Die europäische Staatsschuldenkrise hat die Kooperation im deutschen Föderalismus verstärkt. Der äußere Druck zur Haushaltsdisziplin zwingt zu gemeinsamen Lösungen von Bund und Ländern und schränkt gleichzeitig die Handlungsspielräume der Länder ein. Wenn der Bund zu europapolitischen Weichenstellungen, wie dem Fiskalpakt, die Ländermehrheit im Bundesrat braucht, ist er bereit, auf diese zuzugehen. Und wenn es den Ländern dazu noch an Geld mangelt, haben beide Seiten eine neue Basis für ihre Zusammenarbeit gefunden.
Das Konnexitätsprinzip
"Wer bestellt, der bezahlt." Dieses Prinzip sollte eigentlich auch im deutschen Föderalismus gelten. Da der Bund für den größten Teil der Gesetzgebung verantwortlich ist, enthält dessen Gesetzgebung jedoch meist auch Leistungen, die der Bund zwar rechtlich bindend festlegt, die aber die Länder oder Gemeinden bezahlen müssen. In der schlechtesten Lage sind hierbei die Gemeinden, die anders als die Länder bei der Gesetzgebung im Bundesrat nicht beteiligt sind. Mit der Föderalismusreform von 2006 wurde deshalb in Artikel 85, Absatz 1 GG festgehalten, dass Gemeinden und Gemeindeverbänden keine Aufgaben durch Bundesgesetz übertragen werden dürfen. Eine solche Aufgabenübertragung ist Sache der Länder. Diese haben sich gegenüber ihren Gemeinden auf das sogenannte Konnexitätsprinzip verpflichtet. Es besagt: Wenn durch die Aufgabenübertragung des Landes an die Gemeinden Kosten entstehen, muss sich das Land finanziell engagieren. Der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof verpflichtete in seinem Urteil vom Februar 2012 das Land Rheinland-Pfalz ausdrücklich auf eine finanzielle "Abfederungspflicht" gegenüber seinen Kommunen, wenn diese kostenintensive Bundesgesetze umsetzen. Im Verhältnis Bund-Länder sind die Kostenfolgen der Bundesgesetze anders geregelt. Da sie im Bundesrat ohne die Zustimmung der Länder nicht zustande kommen können, ist eine zusätzliche Verpflichtung des Bundes zur Kostenübernahme nicht erforderlich. Sie ist Gegenstand der Verhandlungen im Bundesrat.
QuellentextWie das Konnexitätsprinzip umgangen wird
Der Gemeindefinanzbericht des Deutschen Städtetags für 2012 zeichnet ein widersprüchliches Bild von den Kommunen. Zwar sind die Einnahmen (vor allem aus der Gewerbesteuer) in den vergangenen zwei Jahren stärker gestiegen als die Ausgaben; doch das Volumen der sogenannten Kassenkredite, also der Verschuldung zur Deckung laufender Kosten, ist in drei Jahren um mehr als 60 Prozent auf 43,8 Milliarden Euro gewachsen. […]
Der Deutsche Städtetag erklärt das mit einem Auseinanderdriften von reichen und armen Städten: die reichen kämen bei guter Konjunktur über die Runden, die armen steckten in einer Abwärtsspirale. Auch für die reichen Städte gelte indessen, dass sich ihre Haushalte von Investitionshaushalten in Sozialhaushalte verwandelt hätten […]: "Der Anstieg der sozialen Leistungen ist seit nunmehr 40 Jahren ungebrochener Trend." Diese sozialen Leistungen haben sich die Kommunen nicht selbst gegeben. Sie wurden von Bund und Ländern beschlossen, die Kommunen haben allenfalls Gestaltungsspielräume. Jüngstes Beispiel ist der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren. Beides wurde von Bund und Ländern beschlossen, die Kommunen müssen ein Drittel der Anschubfinanzierung übernehmen. Wie hoch die laufenden Kosten eines Tages für sie werden, weiß niemand – der Bund hat auch hier Zuschüsse zugesagt. Die nächste Leistung wartet aber schon: die Inklusion, der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern. Für Personal, für Umbau und Ausstattung der Schulen müssen in den Kommunen schätzungsweise 660 Millionen Euro ausgegeben werden – jährlich.
Von einer kommunalen Selbstverwaltung zu sprechen, wird angesichts solcher Pflichten immer schwieriger. Um die Selbstverwaltung vor finanzieller Aushöhlung zu schützen und um eine Sozialpolitik aufzuhalten, die ohne Rücksicht auf die Kosten immer neue Pflichten delegiert, wurde mittlerweile in allen Verfassungen der Länder das Prinzip festgeschrieben: Wer bestellt, bezahlt – das sogenannte Konnexitätsprinzip. Die Verantwortung für eine Entscheidung und die Last der Finanzierung sollten so in einer Hand liegen. Mit anderen Worten: Wollen Bund und Länder einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, wollen sie die Inklusion, wollen sie bessere Sozialhilfe, wollen sie bessere Pflege, müssen sie dafür auch bezahlen.
Das hört sich gut an, doch funktioniert es offenbar nur mangelhaft. Der Grund dafür ist, dass Bund und Länder durchaus bestellen dürfen, ohne zu bezahlen. Wichtigstes Hintertürchen für die Länder bei der Aufnahme des Konnexitätsprinzips in die Verfassung war es, dass es sich nur auf "neue Aufgaben" bezog. Alte Aufgaben fallen nur dann darunter, wenn sie grundlegend erweitert werden – nicht, wenn sie durch neue Standards einfach nur teurer werden. Doch welche "neue Aufgaben" gibt es in einem Sozialstaat wie dem deutschen? Welche werden "erweitert" und nicht nur verändert? Es gibt aus Sicht des Städtetags nur eine neue Aufgabe, die seit Einführung des Konnexitätsprinzips auf die Kommunen zugekommen ist: die Grundsicherung im Alter. Die Kosten dafür wurden vom Bund übernommen.
Neue Sozialleistungen werden von den Ländern deshalb in der Regel als Aufgabe deklariert, die schon lange Sache der Kommunen, also nicht neu oder erweitert worden sei. Eine andere Flucht ist der Hinweis darauf, es seien gar nicht die Länder gewesen, die sich etwas Neues ausgedacht hätten, sondern der Bund, die Europäische Union oder – wie im Falle der Inklusion – die Vereinten Nationen. Andere Spitzfindigkeiten beziehen sich auf den Dreiklang der Konnexität: Außer der "Übertragung" muss es eine "Verpflichtung" und die "Belastung" geben. Gibt es eine Verpflichtung durch den Bund, die von den Ländern gegenüber den Kommunen in "Optionen" verwandelt werden, denen sie sich "freiwillig" beugen, wird die Konnexität umgangen. Auch wenn es keine flächendeckende Belastung aller Gemeinden gibt, fällt die Konnexität aus.
[…] Doch selbst in Fällen, die glasklar zu liegen scheinen, kommt es immer wieder zum Streit. So war es bei der Kinderbetreuung, und so wird es auch bei der Inklusion sein. Die Städte in Nordrhein-Westfalen stellen sich in diesem Fall auf den einfachen Standpunkt: Wenn die Länder behaupten, sie hätten uns die Aufgabe nicht übertragen, sondern die Vereinten Nationen, gibt es die Aufgabe für uns eben nicht. […] Ihr Hebel gegenüber den Ländern ist zwar etwas länger geworden, doch lang ist er deshalb nicht. Sie sind weiter auf die Runden im Bundesrat angewiesen, in denen von Bund und Ländern wie auf einem Basar die Gesetze gewogen und gehandelt werden. In diesem "Casino föderal" sehen sich die Städte unterm Spieltisch, wo sie auf die kleinen und großen Brosamen warten.
Jasper von Altenbockum, "Im Casino föderal, Städten und Gemeinden wird keine Verschnaufpause gegönnt", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. November 2012 (Externer Link: http://www.faz.net/-h7u-74lj4).