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Sozialstaatskonzeptionen und Familienpolitik | Familie und Familienpolitik | bpb.de

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Sozialstaatskonzeptionen und Familienpolitik

Irene Gerlach

/ 19 Minuten zu lesen

Eine Mutter mit ihren beiden Kindern. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Die vergleichende Politikanalyse hat im letzten Jahrzehnt auch und insbesondere für die Gestaltung von Familienpolitik an Bedeutung gewonnen. Der Reiz des Vergleiches liegt im Benchmarking. Dies ist eine ursprünglich betriebswirtschaftliche Methode, nach der sich Unternehmen im Hinblick auf bestimmte Bereiche ihrer betrieblichen Praxis miteinander vergleichen, um vom Beispiel des Besten zu lernen. Die Politik hat sich in den 1990er Jahren dieser Methode vor allem in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bedient und an den Staaten orientiert, die die Arbeitslosigkeit am erfolgreichsten zu bekämpfen schienen. Das waren zum Beispiel die Niederlande und Großbritannien. In der Familienpolitik ging der Blick in die skandinavischen Länder, denn hier gelang es offensichtlich, die Geburtenraten auf deutlich höherem Niveau als in Deutschland stabil zu halten - und dies trotz hoher Müttererwerbstätigkeit.

Beim Politikbenchmarking darf allerdings nicht vergessen werden, dass politisch-gesellschaftliche Systeme ungleich komplexer sind als Unternehmen und eine Vielzahl - auch dominierender - Faktoren Einfluss ausübt. Diese Faktoren bündeln sich und schaffen so eine "Pfadabhängigkeit", der politische Systeme bis zu einem gewissen Grad unterliegen. Sie kann zur Folge haben, dass Maßnahmen und Instrumente, die sich in einem Staat bewährt haben, bei der Übertragung in ein Land mit anderer sozialstaatlicher Tradition oder Form von Demokratie ganz anders wirken.

Die Familienpolitik eines Landes ergibt sich aus einer Vielzahl von Faktoren: Moral- und Rechtstraditionen, Sozialstaatskonzepten, Geschlechtsrollen und Familienleitbildern, dem Verhältnis von Staat und Kirche, der Organisation staatlicher Aufgabenerfüllung und schließlich steuerlichen Rahmenbedingungen. Sie alle haben sich im Rahmen der nationalstaatlichen Entwicklung und der Formierung entsprechender Sozialstaatsregime herausgebildet: Politisches Handeln wurde durch sozialpolitische Institutionen kanalisiert, so dass bestimmte Orientierungen, Interessen und Politikmuster gefördert und andere unterdrückt wurden. Ein Vergleich von policies - auch der Familienpolitik - ist insofern problematisch, als bestimmte Faktoren, die für die Politik in einem Staat besonders wichtig sind, in anderen Staaten kaum ihre Entsprechung finden. Die Vergleichsergebnisse hängen sehr stark von der Auswahl der verglichenen Kenngrößen ab: Können familienpolitische Systeme zum Beispiel aussagekräftigmiteinander verglichen werden, wenn nur Kindergeld, Erziehungsgeld und Geburtsbeihilfen in den Vergleich einbezogen werden, oder müssen nicht in jedem Fall die Konsequenzen des Steuer- und Sozialversicherungssystems, des Betreuungs- und Bildungssystems berücksichtigt werden? Entsprechend detaillierte Analysen gibt es bis heute in der vergleichenden Familienpolitikanalyse nicht.

Der Vergleich bedarf eines Vergleichsrasters, das es ermöglicht, unterschiedliche Systeme vereinfacht darzustellen. Solche Raster finden sich zum Beispiel in Sozialstaatstypologien. Die am häufigsten zitierte ist die des dänischen Soziologen Gøsta Esping-Andersen, die er Anfang der 1990er Jahre entwickelte. Er unterscheidet Sozialstaaten

  • danach, welche Machtkonstellationen zur Zeit ihrer Entstehung herrschten und ihre Interessen politisch artikulieren konnten;

  • nach dem Maß, in dem Individuen von marktmäßig erzielten Einkommen unabhängig sind (De-Kommodifizierung), sowie

  • nach dem Ausmaß, in dem vor allem Frauen über andere als familiale Einkommensquellen abgesichert sind (De-Familialisierung).

Anhand dieser Maßstäbe unterschied er den "liberalen", den "sozialdemokratischen" und den "konservativen" bzw. "staatskorporatistischen" Wohlfahrtsstaat. Während sich die einen (liberalen) im Wesentlichen an Minimalstandards orientieren, die, wenn der entsprechende Bedarf besteht, mit dem Mittel der Sozialfürsorge gewährleistet werden, sichern Staaten des skandinavischen Wohlfahrtsstaatsmodells (sozialdemokratisch) gleiche Grundleistungen für alle Bürgerinnen und Bürger auf relativ hohem Niveau zu. Daneben gibt es Sozialstaaten, die nach einem Zwangsversicherungssystem organisiert sind, wie es im Typ des deutschen, durch Bismarck geschaffenen Modells vorliegt, und in denen der direkte oder abgeleitete Bezug zwischen Beitragsleistungen und Erwerbseinkommen die Leistungen begründet (konservativ). Aus diesen unterschiedlichen Ansätzen der Regime resultieren auch qualitativ vollkommen andere Arrangements der "Versorgungsinstitutionen" Staat (bzw. Parafiskus = Nebenfiskus, in diesem Fall Organisationen der Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherung), Markt und Familie. So war für das Zwangsversicherungssystem der Bismarckschen Prägung die Familie nachgeordnet, ihre Ansprüche leiteten sich ab aus dem Erwerbsstatus ihrer Familienmitglieder, ansonsten hatte sie nach dem Subsidiaritätsprinzip zunächst für sich selbst zu sorgen. Das sich im Grundsatz als allzuständig begreifende sozialdemokratische Regime hat dagegen den Einzelnen im Blick und ist von seinem Ansatz her gleichheitsorientiert und emanzipatorisch, setzt also in Fragen der familialen Funktionserfüllung weniger bei der Institution Familie, sondern bei den Rechten und Möglichkeiten von Individuen an.

Aber auch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist nicht nur für die Leitbildentwicklung, sondern auch für die Entwicklung zum Beispiel eines staatlichen Betreuungssystems von großer Bedeutung gewesen. So stellten Astrid Pfenning und Thomas Bahle vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung 2000 fest, dass in Staaten mit protestantischem Staatskirchentum wie zum Beispiel in Skandinavien Gleichheit (auch zwischen den Geschlechtern) früh zu einem wichtigen Ziel staatlichen Handelns wurde. Ihre Familienpolitik richtete sich am Individuum aus, mischte sich ein (= interventionistisch), ihre Maßnahmen waren auf soziale Gleichheit ausgerichtet (egalitär), und sie erhob allumfassende (universale) Ansprüche. In Ländern mit starker Zentralstaatlichkeit und säkularem Staatswesen wetteiferten Staat, Kirche und "Verbände" um die Kontrolle der Familie, was zu einer frühen, aber im Kern vorherrschend konservativen Familienpolitik führte wie in Frankreich und Belgien. Die Allianz zwischen katholischer Kirche und Staat in Staaten mit traditionalen Gesellschaften hatte zur Folge, dass staatliche Familienpolitik sich erst sehr spät entwickelte und selbst dann nur sehr zurückhaltend handelte, zum Beispiel in Spanien, Portugal und Irland. In England dagegen gab es früh einen starken Zentralstaat, er war aber durch eine unvollständige Reformation, die Entwicklung eines radikal-ethischen Protestantismus und Liberalismus gekennzeichnet, die verhinderten, dass der Staat zu einer interventionistisch-ausgleichenden Familienpolitik gelangte.

QuellentextBeispiel Dänemark

Die krippenverwöhnten Dänen [...] haben vor allem bei Kinderzahl und Müttererwerbsquote den Deutschen einiges voraus. Während die deutsche Geburtenziffer auf 1,3 Kinder pro Frau gesunken ist, liegt sie in Dänemark bei 1,8. Das Fünf-Millionen-Volk gehört damit zu den vermehrungsfreudigsten in der EU. Gleichzeitig sind in Dänemark die meisten Mütter berufstätig. Nach der Geburt bleiben die Frauen selten länger als ein Jahr ihrem Arbeitsplatz fern. Die Erwerbsquote von Müttern, deren jüngstes Kind unter drei ist, liegt bei über 70 Prozent.
Vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts gibt Dänemark für die Familien aus, fast zwei Drittel davon fließen an Kinderbetreuungsstätten. Einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Krippe oder bei der Tagesmutter haben Kinder in Dänemark schon ab dem neunten Lebensmonat. [...] "Gesellschaftlich ist es völlig akzeptiert, dass Kinder schon früh außerfamiliär betreut werden", resümiert der dänische Kultursoziologe Kim Rasmussen. "Wir wollen, dass Mütter arbeiten gehen." [...]
Dass sich die Krippen in Dänemark so großer Beliebtheit erfreuen, liegt auch daran, dass ihre Qualität den deutschen Standard bei weitem übertrifft. "Ausstattung, Personalschlüssel und Qualifizierung der Erzieher sind besser als alles, was ich aus Deutschland kenne", erzählt Jutta Bison, die vor zwei Jahren aus ihrer deutschen Heimat nach Kopenhagen gezogen ist. "Wenn ich meinen deutschen Freundinnen erzähle, dass in der Krippe meines Sohnes auf vier Kinder eine Erzieherin kommt, kriegen die feuchte Augen." [...]
Wirklich gut wird die aushäusige Kleinkindbetreuung in Deutschland erst werden, wenn sich die Einsicht durchsetzt, dass sie nur Gewinner schafft: Manchen Kindern geht es in der Kita deutlich besser als zu Hause; das kann ihnen helfen, dem Schicksal als lebenslanger Sozialfall zu entgehen. Denjenigen Kleinen, die daheim ohnehin glücklich sind, schadet die Krippe nicht; ihren Müttern und Vätern aber ermöglicht sie echte Wahlfreiheit zwischen Vollzeiterziehung der Kleinen und Berufsleben. [...]

Andrea Brandt / Rafaela von Bredow / Merlind Theile, "Glaubenskrieg ums Kind", in: Der Spiegel Nr. 9 vom 25. Februar 2008, S. 40ff.

Familienpolitische Regimetypen

Grob lassen sich die folgenden familienpolitischen Regimetypen in Europa unterscheiden:

  • Das nordische Familienpolitikregime ist dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat zuzuordnen. Es betont die zentrale Rolle des Staates als Erbringer wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, die Gleichheit der Geschlechter, das Wohlergehen des Kindes, eine hohe weibliche Erwerbstätigkeit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Staat gewährt großzügige und universelle Leistungen an Familien und vor allem an erwerbstätige Eltern. Um zum einen Familien zu stärken und zum anderen größere individuelle Unabhängigkeit zu ermöglichen, bemüht sich die staatliche Wohlfahrtspolitik aktiv darum, dass die Familienmitglieder über andere als familiale Einkommensquellen abgesichert (De-Familialisierung) und in hohem Maße von marktmäßig erzieltem Einkommen unabhängig sind. (De-Kommodifizierung)

  • Das kontinentaleuropäische Familienpolitikregime zeigt sich in Staaten mit einem konservativen bzw. staatskorporatistischen Wohlfahrtsregime. Es betont die "traditionelle" Rolle der Familie und der Familienmitglieder, das heißt die "Versorger-Ehe" (in der Regel erwerbstätiger Mann, auf Familienarbeit beschränkte Frau) als Erbringerin von Wohlfahrtsleistungen. Es begrenzt die Frauenerwerbstätigkeit, und daher sind Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf geringer entwickelt, wobei die Leistungen an Familien allgemein als moderat eingestuft werden. Während der konservative Wohlfahrtsstaat durchaus einen hohen Grad an De-Kommodifizierung aufweist, ist sein Grad an De-Familialisierung gering. Wir finden diesen Typ etwa in Deutschland, Frankreich oder Österreich.

  • Das anglo-amerikanische Familienpolitikregime ist in liberalen Wohlfahrtsstaaten anzutreffen und betont die Rolle des Marktes als zentralem Erbringer wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. Dieses Familienpolitikregime ist durch geringe staatliche Leistungen an (oft nur) bedürftige Familien gekennzeichnet, zugleich jedoch durch eine hohe Frauenerwerbstätigkeit. Dies kann aufgrund geringer Leistungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu Spannungen in den Familien führen. Im letzten Jahrzehnt wurden deshalb zusätzliche Maßnahmen ergänzt. Deren Charakter lässt sich durch die Workfare-Philosophie beschreiben, das heißt, es handelt sich um eine Kombination aus Arbeitsmarkt(Work)- und Wohlfahrtspolitik (Welfare), die Leistungen für Familien unter der Voraussetzung vorsehen, dass die Eltern einer Mindesterwerbstätigkeit nachgehen.

Diese Systematik ergänzende Analysen haben versucht, die südeuropäischen Staaten als "rudimentäre" Sozialstaaten zu beschreiben. In der Familienpolitik fallen alle Staaten Südeuropas (auszunehmen: Südosteuropa) durch extrem niedrige und bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen auf, zugleich bilden sie in Bezug auf die Geburtenquoten in Europa die absoluten "Schlusslichter".

Defizite dieser Typologien sind zum Beispiel darin zu sehen, dass Deutschland und Frankreich trotz ihres unterschiedlichen Institutionen- und Finanzierungssystems in der Familienpolitik (Frankreich hat ein umfassendes System einer Familienkasse, und die Arbeitgeber haben in der Vergangenheit eine große Rolle bei der Finanzierung gespielt) demselben Typ zuzuordnen sind. Der Wert, den Familie im Leben der Menschen darstellt, geht zum Beispiel nicht in den Vergleich mit ein, er dürfte aber für die unterschiedliche Ausgestaltung von Familienpolitik und ebenso für die Tatsache, dass Frankreich heute wieder die höchste Geburtenrate Europas vorweisen kann, sehr bedeutsam sein.

Blick über die Grenzen: Europa im Vergleich

Investitionen in die Zukunft

Auch wenn ein Vergleich in der Familienpolitik nicht nur die Leistungen betrachten, sondern in umfassender Weise Traditionen, Leitbilder sowie unterschiedliche Akteurskonstellationen einbeziehen sollte, wird hier kein anderer Weg zu gehen sein.

Direkte Hilfen

Die auf den ersten Blick wichtigste Leistung ist das Kindergeld, das in den EU-15 Staaten zwischen 1930 (Belgien) und 1958 (Griechenland) gesetzlich geregelt worden ist. Gezahlt wird jeweils vom ersten Kind an, lediglich Frankreich zahlt erst ab dem zweiten Kind. Eine vergleichbare Mehrkinderförderung, die der betont bevölkerungspolitischen Motivation der französischen Familienpolitik entspricht, findet sich dort auch bezüglich anderer finanzieller Maßnahmen. Die Zahlung des Kindergeldes geschieht in Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Spanien, Italien, Luxemburg und Österreich bis zum 18. Lebensjahr, in Frankreich bis zum 20. Lebensjahr, in Irland, Portugal, Schweden und in Großbritannien bis zum 16. Lebensjahr und in den Niederlanden und in Finnland jeweils bis zum 17. Sie kann wegen Arbeitslosigkeit, Berufsausbildung und Studium verlängert werden. In allen Staaten gibt es Sonderregelungen für behinderte Kinder, die zu einer Verlängerung oder zum unbegrenzten Leistungsbezug führen.

Die Eltern erhalten das Kindergeld in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Finnland und Schweden universal, einkommensunabhängig. Die Zahlung erfolgt in der Mehrzahl der EU-Staaten nicht steuerpflichtig. In Griechenland wird sie dem steuerpflichtigen Einkommen hinzugerechnet.

Mehr Elternzeit

In vielen Staaten Europas werden Geburtsbeihilfen gezahlt, wobei in Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Spanien und Großbritannien die Mutter nicht selbstständig versichert sein muss. Allerdings ist die Auszahlung teilweise an Bedingungen wie Einkommenshöhe, Mehrkinderfamilien, Mehrlingsgeburten gebunden. Darüber hinaus wird in allen Staaten ein Mutterschaftsgeld bezahlt, das heißt eine Leistung für einige Wochen vor und nach der Geburt, die allerdings von der vorherigen Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen abhängt. Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1996 schrieb den Mitgliedstaaten vor, Elternurlaub einzurichten. Die Umsetzung dieser Richtlinie zog sich recht lange hin und geschah sehr unterschiedlich:

  • Eine erste Gruppe von Staaten (im Schaubild rot und orange eingefärbt) gewährt heute mehr oder weniger großzügige finanzielle Leistungen während der Elternzeit.

  • Die zweite Staatengruppe - Niederlande, Portugal und Spanien - dagegen stellt keine direkten finanziellen, sondern Sachleistungen in der Form von Sozialversicherungsbeiträgen oder Steuervergünstigungen bereit.

  • Irland, Griechenland und Großbritannien schließlich bieten weder finanzielle noch Sachleistungen während der Elternzeit an.

Steuerliche Maßnahmen

Neben den direkten Transfers ist für die Situation von Familien auch die Art der steuerlichen Begünstigung von Ehe und / oder Familie von Bedeutung. Bezüglich der steuerlichen Veranlagung von Ehepaaren gibt es sowohl das Individualbesteuerungsprinzip ohne Option auf Zusammenveranlagung als auch - im Jahr der Eheschließung - die Möglichkeit der Einzelbesteuerung mit Option. Daneben besteht das Ehegattensplitting (Deutschland) und das Familiensplitting (Frankreich). Im Falle des Ehegattensplittings werden für die Berechnung der Steuerschuld die Einkommen der Ehepartner addiert und durch zwei geteilt und die sich daraus ergebende Steuerschuld mit dem Faktor 2 multipliziert. Beim französischen Familiensplitting wird das Einkommen dagegen durch die Kopfzahl der Familienmitglieder geteilt, wobei das erste und zweite Kind mit einem Faktor von 0,5, die weiteren mit 1 eingehen. Dieses System entlastet insbesondere Familien mit vielen Kindern und höherem Einkommen.

Indirekte Transfers

Nicht nur die direkten Transfers sowie die Rahmenbedingungen der Besteuerung spielen für die Lebenssituation von Familien eine Rolle, sondern auch die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, die häufig erst durch ergänzende Kinderbetreuung möglich wird. Noch um die Mitte der 1990er Jahre differierte der Anteil erwerbstätiger Mütter in Europa zwischen 35 Prozent in Spanien und 75 Prozent in Schweden, der Anteil der Mütter, die vollzeiterwerbstätig waren, lag zwischen sechs Prozent in den Niederlanden und 55 Prozent in den ostdeutschen Ländern. Aktuell sind die Erwerbstätigenquoten von Frauen mit Kindern in Slowenien, Dänemark, Litauen und Portugal am höchsten, gefolgt von Österreich, Finnland, Zypern und den Niederlanden. Am niedrigsten sind sie in Malta, Italien, Ungarn, Spanien, Griechenland und der Tschechischen Republik. Die Unterschiede bei den Erwerbstätigenquoten von Frauen mit und ohne Kinder sind besonders in der Tschechischen Republik, Ungarn, Malta, der Slowakei, dem Vereinigten Königreich, Estland und Deutschland ausgeprägt.

Generell nimmt der Anteil an Teilzeitarbeit mit der Zahl der Kinder bei Frauen zu, bei Männern ist dies hingegen nicht der Fall. In der EU arbeiten 33 Prozent der Frauen mit einem Kind unter zwölf Jahren in Teilzeit, bei Müttern mit zwei Kindern steigt der Teilzeitarbeits-Anteil auf 44 Prozent, und mit drei oder mehr Kindern auf 51 Prozent. Besonders viele teilzeitbeschäftigte Mütter gibt es in den Niederlanden (79 Prozent), Großbritannien (59 Prozent), Deutschland (59 Prozent), Österreich (45 Prozent), Luxemburg (44 Prozent) und Belgien (40 Prozent). Auffallend ist auch, dass in Slowenien und der Slowakei, wie generell in der Mehrzahl der neuen Mitgliedstaaten, die Teilzeitarbeit hingegen wenig verbreitet ist. (Angaben laut EU-Kommission sowie Statistischem Bundesamt).

In Europa zeigen sich starke Unterschiede im Hinblick auf die Geburtenzahlen und die Müttererwerbstätigkeit. Staaten mit einer hohen (Vollzeit)Müttererwerbstätigkeit wie zum Beispiel Dänemark, Schweden und Frankreich mit gegenwärtigen Anteilen von bis zu 50 Prozent voll erwerbstätiger Mütter weisen zugleich vergleichsweise hohe Geburtenraten auf (in gleicher Reihenfolge 1,83, 1,85, 2,00 Kinder pro Frau im Jahr 2006). Deutschland und die Niederlande mit 1,32 und 1,70 Kindern pro Frau zeigen zwar wachsende Anteile von Müttererwerbstätigkeit in den letzten Jahrzehnten, diese erweisen sich aber bei genauer Betrachtung als Teilzeitarbeitsverhältnisse.

Betreuung für die Jüngsten

Aus der vergleichenden Familienpolitikforschung ist mittlerweile bekannt, dass die Höhe der Leistungen allein das generative Verhalten nicht erklärt. Es gibt vergleichsweise sichere Zusammenhänge zwischen hohen Geburtenraten und umfassenden sowie differenzierten Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Insbesondere Kombinationen aus unterschiedlichen Maßnahmengruppen scheinen erfolgreich.

Vergleichende Betrachtung

Bleibt der Vergleich der familienpolitischen Leistungssysteme auch lückenhaft, so zeigt er doch unter Einbezug von Müttererwerbstätigkeitsquoten und Geburtenraten recht eindeutige Tendenzen. Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland und Luxemburg gehören zu den Spitzenreitern bei Geldleistungen des Familienlastenausgleichs. Das Gewicht dieser Leistungen lässt sich besser einschätzen, wenn sie in Bezug zu anderen Daten gesetzt werden. Wählt man als Vergleichgröße das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt eines männlichen Arbeitnehmers, ergibt sich das folgende Bild: Gemessen am durchschnittlichen Bruttoeinkommen eines männlichen Arbeitnehmers im jeweiligen Land in ausgewählten EU-Staaten gewährt Luxemburg die großzügigsten Kindergeldleistungen für eine Familie mit zwei Kindern im Alter von 6 Monaten und 6 Jahren (11,9 Prozent), gefolgt von Belgien mit 9,2, Deutschland mit 8,4 und Schweden mit 8,2 Prozent. Den Schluss dieses Vergleichs bilden die Niederlande mit 4,1, Spanien mit 3,1 und Griechenland mit 1,7 Prozent.

Ländervergleich Kindergeldleistungen

Im Jahr 2006 gewährten Luxemburg und Österreich die höchsten Familienbeihilfen (5676,70 Euro bzw. 4516,80 Euro), während Italien mit 464,80 Euro am untersten Ende der Skala lag. In fast allen EU-15 Staaten (wobei allerdings Daten für Deutschland, Spanien und Griechenland fehlen) sind die Familienbeihilfen zwischen 2000 und 2006 angestiegen. Ausnahmen bilden Dänemark, das die Familienbeihilfe senkte, sowie die Niederlande und Italien, bei denen die Höhe der Familienbeihilfe stabil blieb. Wird das Steuersystem mit seinen Wirkungen einbezogen, zeigt sich, dass Luxemburg die höchsten Familienbeihilfen, damit verbunden eine höhere Lohnersatzquote und ein hohes Kindergeld zahlt und zugleich den Familientypus eines Ehepaares mit zwei Einkommen und zwei Kindern gegenüber einem allein stehenden Arbeitnehmer steuerlich stark begünstigt. Auch Deutschland zeichnet sich durch hohe Leistungen vor allem im Bereich Mutterschaft und Elterngeld und durch eine steuerliche Begünstigung des Familientyps "Alleinverdiener" (Ehegattensplitting) aus. Hohe Familienbeihilfen, Lohnersatzquoten und ein hohes Kindergeld kennzeichnen schließlich auch Belgien, Schweden und Dänemark, wobei bei diesen Staaten die steuerliche Begünstigung von Familien gegenüber allein stehenden Personen eher gering ist.

Insbesondere die vergleichende Betrachtung von Familiensituationen im Zusammenhang unterschiedlicher nationaler Maßnahmen legt Fragen nach dem Zusammenhang zwischen beidem nahe, die sich zuspitzen lassen auf die Frage: Wirkt Familienpolitik?

Wirkungen und Wirkungsanalysen

Die Formulierung von familienpolitischen Motiven, so wie sie auf Seite 43 ff. geschehen ist und wie sie im Bereich der Familienpolitikforschung schon lange üblich ist, suggeriert, dass der Staat bestimmte Instrumente einsetzt, um entsprechende Wirkungen im Bereich der familialen Funktionserfüllung zu erzielen. Für die deutsche Familienpolitik ist eine solche Wirkungsorientierung jedoch über lange Jahre - zumindest bezogen auf den Einsatz eines eingegrenzten Instrumentariums - kaum nachweisbar. Die Gründe dafür sind teils politischer Natur, teils sind sie in der Systematik von Wirkungsanalysen zu finden. Zu den politikimmanenten Ursachen bisher fehlender Wirkungsanalysen gehört vor allem die Tatsache, dass die Leistungen des Familienlastenausgleichs in Deutschland über Jahrzehnte starken Änderungen nach Kassenlage und parteipolitischer Zusammensetzung der jeweiligen Regierung unterlagen.

Dies lässt sich am Kindergeld veranschaulichen, das zunächst nur für dritte und weitere Kinder gezahlt wurde, dann auch für zweite und erste, mal einkommensunabhängig, dann wiederum abhängig, mal mit Zuschlag, mal ohne. Diese flexible Handhabung wurde mit der Urteilssprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Jahrtausendwende und der Formulierung von nicht zurücknehmbaren Eckwerten für die Familienbesteuerung überwunden. Vor dem Hintergrund der demographischen Krise hat die Familienpolitik in Deutschland zudem erheblich an Ansehen und Bedeutung in der Regierung gewonnen und sich mit der Einrichtung eines "Kompetenzzentrums für familienbezogene Leistungen" im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006 selbst das Ziel gesetzt, die Wirkungen bestimmter familienpolitischer Leistungen zu erforschen und die Erkenntnisse für einen effektiven und effizienten Mitteleinsatz zu nutzen.

Abgesehen von diesen eher politikimmanenten Gründen, stellen systematische Wirkungsanalysen im Allgemeinen und insbesondere in der Familienpolitik erhebliche methodische Herausforderungen dar. Idealerweise müsste sichergestellt sein, dass eine in Frage stehende familienpolitische Maßnahme eindeutig als unabhängige Variable einzuordnen ist und sich ein sowohl statistischer als auch kausaler Zusammenhang zu abhängigen Variablen nachweisen lässt. Das wird im Zusammenhang der politischen Praxis nicht möglich sein, da menschliches Verhalten in Bezug auf Familie durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt wird, die nicht alle kontrolliert werden können. Dazu gehören nicht allein Familienpolitik und andere Politikfelder wie Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, sondern auch die wirtschaftliche Lage, gängige Karrieremuster im Arbeitsleben, Wertmuster bis hin zu religiösen Kulturen und vieles mehr. Dennoch lassen sich - nachdem entsprechende Wirkungen noch in der Forschung der 1980er und1990er Jahre bestritten wurden - in der neueren historisch und international vergleichenden Familienpolitikanalyse Beispiele finden, die eine (Mit)Verursachung von familienbezogenem Verhalten, insbesondere bei einer Einschränkung auf die reproduktive Funktion, überaus plausibel erscheinen lassen.

Geburtenverläufe im Vergleich

Hierzu gehört zunächst das Beispiel der DDR. Es ist vor allem darum besonders reizvoll, weil hier ein Vergleich der Geburtenraten mit denen in der Bundesrepublik Deutschland im selben Zeitraum möglich ist. Zum Ende der 1960er Jahre stieg in der DDR die Zahl der Frauen, die von einer Voll- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergehen wollten, und zugleich sank die Geburtenrate rapide. So verabschiedete die DDR in zwei Stufen 1972 und 1976 Maßnahmen, die die Reproduktionsfunktion der Familien wieder verbessern sollten. Das Angebot an Krippen-, Kindergarten- und Hortplätzen wurde erweitert. Zugleich beschloss die Politik Arbeitszeit und Mindesturlaub nach Kinderzahl zu differenzieren und den Mutterschutz (Wochenurlaub) zu verbessern. Schließlich wurden die Geburtenbeihilfe auf 1000 DDR-Mark erhöht und zinslose Anschaffungskredite (maximal 10000 M) eingeführt, die "abgekindert" werden konnten, das heißt mit der Geburt von Kindern sukzessive erlassen wurden. Zudem führte der Staat besondere Maßnahmen zur Förderung studierender Mütter ein. Für Mütter mit mindestens zwei Kindern reduzierte sich die wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden (Regelarbeitszeit 43 3/4 Stunden), und der Schwangerschafts- und Wochenurlaub wurde von 20 auf 26 Wochen erweitert. Schließlich folgte die Einführung eines bezahlten Babyjahres. Damit erreichte die DDR für das Jahr 1980 tatsächlich wieder die Geburtenrate von 1968.

In der Bevölkerungswissenschaft der 1980er Jahre entspann sich angesichts dieser Entwicklung eine lebhafte Diskussion darüber, ob es sich dabei nur um Timing-Effekte handelte, die Menschen also geplante Geburten nur vorzogen. Der Vergleich der Geburtenzahlen in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland lässt jedoch den Schluss zu, dass diese Maßnahmen Wirkung gezeigt haben, denn in Westdeutschland fiel die Rate stetig weiter. Aus diesem Beispiel war gleichzeitig zu lernen, dass die Entscheidung zur Elternschaft nur durch Verbundmaßnahmen, also in Kombination monetärer und infrastruktureller Maßnahmen, erfolgreich beeinflussbar ist.

Dass insbesondere die aktive Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen Wirkung zeigt, belegt der Entwicklungsvergleich zwischen Staaten, die im Verlauf der 1980er Jahre betont auf Vereinbarkeit setzten, und solchen, die eine eher klassische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern unterstützten. Noch 1980 nahm die Zahl der von einer Frau durchschnittlich geborenen Kinder im internationalen Vergleich ab, wenn die Frauenerwerbstätigkeit zunahm. Doch 2005 stellte sich der Zusammenhang umgekehrt dar: Dort, wo seit den 1980er Jahren die Berufstätigkeit von Frauen bzw. Müttern familienpolitisch unterstützt worden war - vor allem in den skandinavischen Staaten -, gab es auch vergleichsweise hohe Geburtenraten.

Und schließlich kann noch ein drittes Beispiel, die Wirkung familienpolitischer Maßnahmen belegen: die Einführung des Eltergeldes in Deutschland zum 1. Januar 2007. Mit der Ablösung des Erziehungsgeldes durch das Elterngeld vollzog sich eine konzeptionelle Wende: Das Elterngeld sollte durch seine Lohnersatzqualität den Eltern einen Teil der Verzichtkosten ersetzen, die sie für Geburt und Erziehung von Kindern erbringen. Zuvor war das Erziehungsgeld stark einkommensabhängig ausgerichtet und hatte zudem eine maximale Höhe von 300 Euro, entsprach also eher einer Philosophie der Armutsvermeidung. Hatte die Geburtenzahl in den Jahren 1998 bis einschließlich 2006 im Vergleich zum Vorjahr stetig abgenommen, kehrte sich der Trend 2007 um: Die Zahl der Geburten stieg an und dies setzte sich auch in der ersten Jahreshälfte 2008 fort. Es liegt also nahe, davon auszugehen, dass die Einführung des Elterngeldes dazu beitrug, vorhandene Kinderwünsche zu verwirklichen, wenn gleich in der politischen Diskussion auch die gute wirtschaftliche Lage 2007 als Beweggrund für den neuen Kindersegen angeführt worden ist.

Differenz der Geburtenrate zum jeweiligen Vorjahr

Über die Umkehrung - oder zumindest den Stop - des langjährigen Trends abnehmender Geburten hinaus kann noch ein weiteres Indiz für die "Wirkung" der Maßnahme Elterngeld herangezogen werden: Während in den über 20 Jahren, in denen Erziehungszeit und -geld gewährt wurden, der Anteil beantragender Väter nie über 3,5 Prozent wuchs, schnellte er innerhalb weniger Monate beim Elterngeld auf über zehn Prozent hinauf. 2008 lag er schon bei durchschnittlich 16 Prozent. Bei aller gebotenen Skepsis gegenüber behaupteten Wirkungen familienpolitischer Maßnahmen - im Übrigen geht es hier auch immer nur um die Verwirklichung vorhandener Kinderwünsche: Hier gibt es keine andere Erklärungsmöglichkeit, es wirkt.

Die gewählten Beispiele legen nahe, dass Familienpolitik gezielt Wirkungen herbeiführen kann, ob diese sich als langfristig herausstellen, muss die Zukunft zeigen. Ebenso bleibt für die zukünftige familienwissenschaftliche Forschung zu klären, ob und in welchem Ausmaß ihr das auch im Bereich der anderen familialen Funktionsbereiche neben der reproduktiven Funktion gelingen kann,

Herausforderungen der Gegenwart: ein Resümee

Familie ist auch heute noch die zentrale gesellschaftliche Institution, die Individuen den Weg in ihr Leben ebnet, sie in ihrer Entwicklung unterstützt, sie in Krisenzeiten auffängt und Zeiten von Glück und Erfolg mit ihnen feiert. Für die Gesellschaft übernimmt Familie zentrale Aufgaben des Fortbestandes, der Sozialisation, des Zusammenhalts und vor allem - wie vom Fünften Familienbericht in den familienpolitischen Diskurs eingeführt - der Produktion von "Humanvermögen". Schon aufgrund dieser zentralen Funktionen, aber auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in einem nicht zu vernachlässigendem Ausmaß Defizite bei der Erfüllung der familialen Funktionen festzustellen sind, bedarf Familie breiter gesellschaftlicher Unterstützung. Die Koordination und teilweise auch die direkte Sicherung der Hilfe erfolgt durch Familienpolitik.

Ein Rückblick auf die Familienpolitik der letzten Jahrzehnte im Verbund mit einer aktuellen Problemdiagnose lässt die Identifikation von vier zentralen aktuellen und zukünftigen Aufgabenbereichen zu:

  • In einem ersten Handlungsfeld geht es um die finanzielle Anerkennung von Familienleistungen und die Reduzierung der Opportunitätskosten. Das heißt, die Verzichtskosten, die Eltern leisten, um Kinder zu betreuen, müssen weitgehend von der Gesellschaft getragen werden. Eine besonders sensible Aufgabe ist angesichts des hohen Anteils Kinderloser in unserer Gesellschaft der Ausgleich zwischen Eltern und Kinderlosen. In den 1990er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends erließ das Bundesverfassungsgericht zahlreiche Urteile zum Familienlastenausgleich, die dem Gesetzgeber verbindliche Vorgaben für die Höhe sowie die Struktur von Leistungen bzw. steuerlichen Entlastungen für die Familie vorgaben. Die Mittel, die bis dahin lange Zeit als steuerliche Manövriermasse für die deutsche Familienpolitik genutzt wurden, konnten nun erstmalig systematisch, wirkungsorientiert und effizient für den Familienlastenausgleich eingesetzt werden.

  • Die Vereinbarkeit zwischen Erwerbsleben und Elternschaft unter dem Primat der Wahlfreiheit zu gewährleisten, ist ein zweiter wesentlicher Handlungsbereich. Dies ist - ableitbar aus der international vergleichenden Familienpolitikanalyse - die zentrale Stellschraube für die Erfüllung vorhandener Kinderwünsche bei den Menschen, aber auch für die Realisierung der ökonomischen Voraussetzungen für die Familiengründung. Angesichts der vergleichsweise ausgeprägten Instabilität von Familien, des hohen Risikos von Trennung und Scheidung und nachfolgenden Alleinerziehens für einen Elternteil bedeutet Vereinbarkeit aber auch Armutsvermeidung bei Familien. Und schließlich soll auch eine gesamtgesellschaftliche bzw. volkswirtschaftliche Perspektive nicht unterschlagen werden: Unter Berücksichtigung des für Deutschland in den nächsten Jahrzehnten prognostizierten Arbeitskräfterückgangs von über 30 Prozent sollte das vorhandene Potenzial gut ausgebildeter Frauen nicht vernachlässigt werden.

  • Vor dem Hintergrund, dass zunehmend Defizite in der Erziehung von Kindern beobachtet werden können, muss eine aktuelle und zukünftige Familienpolitik zum Ziel haben, die Elternkompetenz breit zu unterstützen und zu entwickeln. Diese Forderung mag erstaunen, doch gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Elternkompetenzen keineswegs selbstverständlich sind, obwohl sie vielfach im öffentlichen Diskurs wie Instinkte behandelt werden. Wissen über Erziehungs-, Ernährungs- und Haushaltsfunktionen scheint in unserer Gesellschaft zumindest in Teilen verloren gegangen zu sein. Im Rahmen der PISA-Studien gaben darüber hinaus rund zwei Drittel der untersuchten Jugendlichen an, dass sich ihre Eltern nicht oder nur wenig für ihre schulischen Belange interessierten. Kinderbefragungen haben schon zur Mitte der 1990er Jahre gezeigt, dass viele Kinder sich zwar an ihre Eltern um Rat wenden, hilfreiche Gespräche oder Unterstützung aber häufig vermissen. Auch die World Vision-Studie 2007 wies eine vergleichsweise hohe Zahl von Kindern aus, denen die Zuwendung ihrer Eltern nicht ausreichte. Mit 28 Prozent war sie inssbesondere hoch bei Kindern, deren Eltern nicht erwerbstätig waren. Fehlende Elternkompetenzen bedeuten auf gesamtgesellschaftlicher Ebene mangelnde Unterstützung bei der Schaffung von "Humanvermögen". Gut ausgebildete Kinder und Jugendliche mit Sozialkompetenz, die sie vornehmlich im Elternhaus erwerben können, bilden das Kapital unserer Gesellschaft.

  • In Zusammenhang mit den beiden letzten Handlungsfeldern und darüber hinaus veranlasst durch die bildungspolitische Diskussion nach "PISA" ist es angeraten, Betreuung, Erziehung und Bildung stärker aufeinander abzustimmen. Erziehung obliegt - neben den Eltern - auch staatlichen Stellen auf kommunaler oder Landesebene, rechtlich ist sie durch Bundesgesetz, das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) geregelt. Bei der Betreuung stehen die Kommunen nicht nur in der Gewährleistungsverantwortung, müssen also ein ausreichendes Betreuungsangebot vorhalten, sie sind gleichzeitig für die Finanzierung von Gebäuden und (eines Teils) des Personals zuständig. Mit der 2008 verabschiedeten Schaffung eines Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz für ein Drittel aller Unter-Drei-Jährigen ab 2013 hat sich diese Situation noch einmal verschärft. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Bund und die Länder 2007 und abschließend mit dem Kinderförderungsgesetz 2008 zusätzliche Finanzierungsformen gefunden haben, um das Angebot zu entwickeln, da es sich hier erstens um Formen der außergewöhnlichen Finanzierung handelt und der Bund keinerlei Möglichkeit hat, die Mittelverwendung auf ihre ursprünglichen Zwecke oder bezüglich einer anzustrebenden Qualitätssicherung hin zu kontrollieren. Bildung gehört schließlich in den Bereich der Länderkompetenz, obwohl vieles dafür spricht, dass auch der Betreuung von Kindern vor dem Schuleintritt eine zentrale Bildungsfunktion zukommt. Darum erscheint eine Verbindung der drei Zuständigkeitsbereiche unverzichtbar. Sie dürfte allerdings angesichts der Kompetenzverteilung im deutschen Föderalismus eine Aufgabe sein, für die Lösungen allenfalls in ferner Zukunft sichtbar werden.

QuellentextFamilie war schon immer bunt

FR: [...] Herr Bertram, wie werden Familien in zehn Jahren aussehen?
Hans Bertram: Bei den Familien mit deutschem Hintergrund werden wir zwei Standardformen haben: die klassische Familie, deren Existenzsicherung auf den Schultern von Mann und Frau liegt, und ein hoher Prozentsatz alleinerziehender Eltern. Migranten werden vor ihrem anderen kulturellen Hintergrund "Familie" wieder ganz anders leben. Und Familie ändert sich ja auch im Lebensalter, beispielsweise, wenn dann der 60-jährige Sohn mit der 90-jährigen Mutter zusammenlebt. Wir haben heute schon ein gewisses Maß solcher Buntheit erreicht.
FR: Diese Buntheit quält heute schon viele, weil sie nicht wissen, wo sie Vorbilder finden.
Bertram: Familien waren schon immer ziemlich bunt. Die Menschen müssen ihre privaten Beziehungen selbst organisieren. Das müssen alle aushalten. Von außen können nur Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sicher stellen, dass man diese Buntheit leben kann. Das heißt beispielsweise, wenn ich als 60-jähriger Sohn für meine Mutter sorge, dann brauche ich, wenn es ihr schlecht geht, eine Auszeit. Die Bundesregierung hat darauf reagiert und vor kurzem beschlossen, dass man sechs Monate Pflegezeit in Anspruch nehmen kann.
FR: Müssen Männer und Frauen bei der Neuaufteilung der Rollen nicht auch mutiger werden?
Bertram: Die Männer sind, bevor Kinder kommen und noch beim ersten Kind relativ egalitär und kümmern sich auch um ihr Kind. Wenn dann das zweite Kind kommt, gibt es häufig eine Re-Traditionalisierung der Lebensformen. Das kann man nachvollziehen, denn wenn zwei oder mehr Kinder da sind, muss die Familie sehr genau auf ihr Einkommen schauen. Derjenige, der mehr verdient, wird also noch mehr arbeiten, um noch mehr zu verdienen. Und dann verfällt die Familie wieder in die klassische Form der Arbeitsteilung.
FR: Wie ließe sich das ändern?
Bertram: Frauen und Männer müssen gleich viel verdienen. Das ist hier zu Lande leider noch nicht der Fall. Wenn Mann und Frau gleich viel verdienen, dann werden die Rollen auf Augenhöhe ausgehandelt. Das geht aber nicht, wenn einer von beiden 20 Prozent weniger verdient. Hier müssen Politiker, Arbeitgeber und Gewerkschaften etwas tun.

Interview von Katharina Sperber mit dem Soziologen Hans Bertram, in: Frankfurter Rundschau vom 6. August 2007

ist Professorin für Politikwissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule Bochum und Co-Leiterin des Forschungszentrums für Familienbewusste Personalpolitik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ihre Ar-beits- und Forschungsschwerpunkte sind: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, deutsche und international vergleichende Familienpolitik, Jugendpolitik, Wertewandel, Methoden der empirischen Sozialforschung, Neuere Staats- und Demokratietheorie.

Kontakt: gerlach@uni-muenster.de