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Das Thema im Unterricht

Melanie Tajnsek

/ 7 Minuten zu lesen

Unterrichtsstunde: Schülerinnen und Schüler melden sich. (© AP)

Entwicklungsländer im Alltag

Der Fußballer Giovane Elber engagiert sich für ein Ausbildungszentrum, das Favelakindern in Brasilien zugute kommen soll. Der in Freiburg gut verdienende Spieler Boubacar Diarra sorgt, wie ein Filmbericht im WDR am 14. Mai 2001 zeigte, mit gebrauchten Fahrzeugen aus Deutschland für die Gründung eines Transportunternehmens in der Heimat Mali, mit dem seine Familie ein eigenes Einkommen erwirtschaftet kann. Er fühlt sich für das Wohlergehen der Familie verantwortlich, und diese Unterstützung wird auch von ihr erwartet.

Die Flutkatastrophe in Südostasien Ende 2004 führte zu verstärkter Berichterstattung aus den betroffenen Regionen, die auch die spezifischen Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung aufgriff. Die Nachrichtenbeispiele zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, ohne sich dessen immer bewusst zu sein, der "Realität" von Entwicklungsländern in vielfältiger Weise im Alltag begegnen. In aller Regel taucht das Thema wie hier nicht in abstrakter, theoretischer, sondern in Form konkreter Beispiele auf und erzeugt emotionale Betroffenheit.

Nicht nur aufgrund der spektakulären Flutwelle Weihnachten 2004, sondern auch zu anderen Anlässen präsentieren Fernsehkanäle Galas und Spendenshows, stellen Prominente ihre Person in den Dienst einer guten Sache, finden sich Plakate mit Spendenaufrufen zu Spenden von Misereor, Brot für die Welt und anderen NROs.

In vielen Klassen sitzen zudem Mitschülerinnen und Mitschüler mit Migrationshintergrund, während die Medien die Jugendlichen mit den Folgen von Migration für die deutsche Gesellschaft konfrontieren und von einer vermeintlichen Bedrohung der "Leitkultur" bis hin zur Rettung vor der Vergreisung der Gesellschaft alle Facetten der aus Migration resultierenden Folgen diskutieren.

In den letzten Jahren hat zudem der Begriff der Globalisierung einen Siegeszug durch die Medien angetreten und Einzug in die Alltagssprache gehalten. Für die Jugendlichen kann sich der Terminus in kritischer Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten konkretisieren, etwa beim Kauf von Markenturnschuhen, bei der Konfrontation mit deren Produktionsbedingungen oder dem Verzehr fair gehandelter Orangen oder Kaffees. Schließlich dürften auch die medienwirksamen Aktionen der Globalisierungsgegner etwa der Organisation Attac bei den Jugendlichen Eindruck hinterlassen haben.

Voraussetzungen in Lerngruppen

Für Klassen aus dem Primarbereich bzw. der Sekundarstufe I sind nur wenige Kenntnisse über das Thema Entwicklungsländer vorauszusetzen. In der Sekundarstufe II dürfte vor allem der Terminus der Globalisierung bekannt, wenn auch in seinen verschiedenen Dimensionen nicht unbedingt verstanden sein. Gleichzeitig ist fraglich, ob der weitgehende Pragmatismus von Fachleuten, die eher nationale Eigeninteressen als menschenfreundliche Motive als Hintergrund für Entwicklungszusammenarbeit angeben, auch bei Jugendlichen verbreitet ist.

Vielmehr präsentieren sie sich in der Shell-Jugendstudie 2002 - Mädchen stärker als Jungen und abhängig vom Bildungsniveau - in ihrem persönlichen Umfeld als gesellschaftlich engagiert und empathiefähig. Allerdings finden die etablierten Organisationen, zu denen auch die Menschenrechtsgruppen und Hilfsorganisationen gehören, weniger Zuspruch. Die Ergebnisse der Studie machen außerdem deutlich, dass Jugendliche der Globalisierung offen, ohne Angst und ideologiefrei gegenüberstehen und ihre Chancen erkennen. Insbesondere Kampagnen zur Armutsbekämpfung sind geeignet, bei Jugendlichen "Mit-Leiden", Empathie und Motivation zur Auseinandersetzung mit betroffenen Ländern und mit Maßnahmen zur Verminderung menschlichen Leides zu erzeugen. Der Unterricht über Entwicklungsländer sollte zur rationalen Urteilsbildung und der Kenntnis von Zusammenhängen, etwa von Ökonomie und Ökologie, Industrie- und Entwicklungsländern, Ost-West-Konflikt und Nord-Süd-Konflikt, beitragen. Die Breite und der Querschnittscharakter des Themas ermöglichen eine Behandlung unterschiedlicher Aspekte in verschiedenen Altersgruppen und Fächern. Beispielsweise kann kann ein Roman im Deutschunterricht das Problem der Kinderarbeit erörtern und eine Unterrichtsreihe in Geografie die Desertifikation behandeln. Die folgenden Überlegungen beziehen sich allerdings auf den Politik-/Sozialwissenschafts- bzw. Sozialkunde-Unterricht in der Sekundarstufe II, da sich hierfür die Verwendung der "Informationen zur politischen Bildung" anbietet und die Rahmenlehrpläne der Länder die Behandlung der Thematik in diesen Jahrgangsstufen vorsehen.

Lernziele

In einem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) von 1997 wurden Empfehlungen für das Thema "Eine Welt/Dritte Welt in Unterricht und Schule" formuliert. Sie versuchen, der Komplexität des Themas gerecht zu werden und fassen gleichzeitig die bereits bestehenden Erfahrungen aus den Ländern zu einer Gesamtkonzeption zusammen. Als Prämisse geht die KMK von der großen Bedeutsamkeit der Erziehung zur gemeinsamen Verantwortung für die "Eine Welt" aus, die Teil der Allgemeinbildung und der beruflichen Ausbildung sein müsse. Exemplarisch werden Lernzielbereiche und Inhalte benannt, die Schülerinnen und Schüler zu einem geschärften "Problembewusstsein im Sinne sozialer Verantwortung" sowie zu eigener "Handlungsfähigkeit" verhelfen sollen.

Zu den empfohlenen Inhalten gehören die Genese von Gesellschaften und Staaten unter Kolonisierungsbedingungen und "die aktuellen geografischen, gesellschaftlichen, kulturellen sowie ökonomischen und ökologischen Verhältnisse in der Dritten Welt". Als Lernziele formuliert die KMK die kritische Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit "grundlegenden Theorien zu den Ursachen der Entwicklungsprobleme" sowie mit den Folgen "globaler Herausforderungen" wie Bevölkerungswachstum und Armut. Die Empfehlungen verweisen außerdem auf die besondere Bedeutung des Bewusstwerdens einer eigenen kulturellen Identität und der Reflexion der Werte, die die eigene Lebensweise prägen und die gleichzeitig Voraussetzung für eine konstruktive Beschäftigung mit "fremden" kulturellen Inhalten und Normen seien. Die "Befähigung zum interkulturellen Dialog" wird mit dem Ziel der Übernahme globaler Mitverantwortung im persönlichen wie im beruflichen Bereich als Lernziel für den Unterricht über die "Eine Welt" ausdrücklich angestrebt.

Der Unterricht über die "Eine Welt" soll - so die Empfehlung - explizit wertorientiert und normativ sein und über die "kognitive Wissensvermittlung" hinausreichen. Persönliches Engagement soll vorgelebt und gefördert, bei offener Darstellung der Probleme dennoch "Hoffnung und Zuversicht" im Unterricht vermittelt werden. Methodisch schlägt die KMK für den Themenbereich "Eine Welt" daher vor, den Unterricht nach Möglichkeit fächerverbindend, schülerorientiert und handlungsorientiert zu gestalten. Dabei sollen "fremde Lebenswelten" durch "Methodenvielfalt und Medieneinsatz" anschaulich und realitätsnah dargestellt werden.

Ein exemplarischer Vergleich der Richtlinien zeigt, dass die Empfehlungen und Diskurse zum Thema "Entwicklungspolitik/Eine Welt" in den verschiedenen Bundesländern durchaus unterschiedlichen Niederschlag gefunden haben. Allerdings unterscheiden sich die Schwerpunkte, unter denen der Problemkreis behandelt wird, erheblich. Großen Raum - sowohl inhaltlich als auch zeitlich - erhält zum Beispiel in den neuen bayerischen Lehrplanentwürfen die Behandlung der "Chancen und Probleme der Globalisierung". Hier zeigt sich deutlich, dass der Fokus der Unterrichtsinhalte entsprechend der Wahrnehmung von internationaler Politik im öffentlichen Diskurs deutlich verschoben wurde. Ökonomie und Sicherheit gewinnen im Vergleich zu Themen wie Gerechtigkeit, Solidarität oder ökologischer Nachhaltigkeit an Gewicht, die von der KMK geforderte Wertorientierung und Empathie tritt als Lernziel hinter das Lernziel der Analyse und Vermittlung von Fachkenntnis zurück.

Anders als die "älteren" Lehrpläne in Nordrhein-Westfalen und Thüringen, die "klassische" entwicklungspolitische Themen wie Gerechtigkeit, Solidarität oder ökologische Nachhaltigkeit stärker berücksichtigen, sind die neueren Lehrpläne Hessens und Bayerns also eher ökonomisch ausgerichtet. Auffallend ist hingegen die Gemeinsamkeit, internationale Politik jenseits der europäischen Gemeinschaft in der Sekundarstufe II zu behandeln. Die unterschiedliche Auswahl einzelner Aspekte lässt sich im föderalistischen Bildungssystem einerseits mit der Tradition des Unterrichtsfaches erklären, in dessen Rahmen Entwicklungsländer behandelt werden (Politik und Wirtschaft in Hessen, Sozialwissenschaften in Nordrhein-Westfalen, Sozialkunde in Bayern und Thüringen, ergänzt durch Wirtschaft als eigenes Fach). Bemerkenswert ist andererseits, dass der öffentliche Diskurs und die "Moden", denen auch Themen und Probleme in der öffentlichen Wahrnehmung unterworfen sind, sich in der Umsetzung in den Lehrplänen und somit in den Unterrichtsinhalten widerspiegeln. Insofern entfernen sich die jüngsten Entwürfe bzw. eingeführten Lehrpläne von den stark normativen und auf den interkulturellen Dialog setzenden Empfehlungen der KMK. Entwicklungspolitik als moralische Aufgabe tritt in den Hintergrund zugunsten einer stärker die ökonomischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge reflektierenden Sichtweise, in der auch der eigene Nutzen für die Industrieländer in die Begründung für die Notwendigkeit von Entwicklungspolitik integriert wird.

Didaktische Überlegungen

Planungsbeispiel zum Thema Entwicklungspolitik

Kaum ein Thema verlangt so stark nach didaktischer Reduktion wie das Querschnittsthema Entwicklungspolitik. Selbst bei der Behandlung als Halbjahresthema mit verschiedenen Unterrichtssequenzen zu den Aspekten von Entwicklungspolitik muss eine Auswahl aus der Vielfalt der Möglichkeiten getroffen werden. Die "Informationen zur politischen Bildung" bieten verschiedene Möglichkeiten, das Thema für den Unterricht zu strukturieren. Ausgehend von einer Begriffsklärung können zum Beispiel die wichtigsten Probleme von Entwicklungsländern, die Ursachen von Unterentwicklung oder verschiedene Länderbeispiele behandelt werden. Eine Herangehensweise bietet die von Wolfgang Sander und anderen entwickelte Methode der Förderung politischer Urteilsbildung. Sie regt ausgehend von einem Entscheidungs- bzw. Konfliktfall zunächst die Bildung von Spontanurteilen an, um dann anhand differenzierter Kriterien zu einem fundierten Gesamturteil zu führen.

Natürlich sind auch andere Konflikt- oder Entscheidungsfragen denkbar, etwa: Globalisierung - Chance oder Gefahr für die Entwicklungsländer? In diesem Fall würden die von den Schülerinnen und Schülern im Anschluss an ein Spontanurteil zu entwickelnden Kriterien zur Beurteilung dieser Frage sich um das Problemfeld "Globalisierung" gruppieren und daher vermutlich andere Aspekte berücksichtigen - beispielsweise die Exportbedingungen auf dem Weltmarkt, die Rolle der WTO, die Subventionspolitik der Industrieländer. Die Auswahl des Ausgangskonfliktes grenzt insofern die Unterrichtsreihe ein, ist dabei aber gleichzeitig flexibel genug, aktuelle Ereignisse sowie die Interessen der Lerngruppe in der Planung berücksichtigen zu können.