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Entwicklungsländer - Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Uwe Andersen

/ 31 Minuten zu lesen

Ein Flüchtlingslager in Burundi. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt. (© EC/ECHO/Yves Horent )

Einleitung

Es gibt unterschiedliche Auffassungen, nach welchen Kriterien Länder als Entwicklungsländer anzusehen sind. In den internationalen Organisationen und in der Praxis der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit dominieren immer noch ökonomische Merkmale, da Daten dazu meistens leichter verfügbar sind und noch am ehesten konsensfähig scheinen. Es gibt aber einen deutlichen Trend, zusätzlich andere, vor allem soziale Indikatoren einzubeziehen.

Zuordnungsmaßstäbe von Weltbank und UNDP

Maßstab ähnliche Entwicklung

Die Weltbank gruppiert bisher noch alle Länder (einschließlich der früheren Ostblockstaaten) nach dem BNE pro Kopf und unterscheidet Staaten mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen, wobei die mittlere Einkommensgruppe noch in zwei Teilgruppen aufgespalten wird. Zu den Ländern mit hohem Einkommen zählen nicht nur die westlichen Industriestaaten, sondern auch Singapur, Hongkong und Israel sowie bevölkerungsarme Erdölexporteure wie Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate, während sich zum Beispiel mit Portugal und Griechenland zwei EU-Mitgliedsländer im obersten Teil der mittleren Einkommensgruppe befinden.

Eine differenziertere Bemessungsgrundlage stellt der "Index der menschlichen Entwicklung" (Human Development Index - HDI) dar, der von einer Arbeitsgruppe im Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) konstruiert worden ist. Er umfasst zurzeit drei Teilelemente:

  • die Lebensdauer - gemessen als Lebenserwartung bei der Geburt,

  • das Bildungsniveau - gemessen als eine Kombination aus der Analphabetisierungsrate von Erwachsenen (zwei Drittel) sowie der Gesamteinschulungsrate der Kinder und Jugendlichen, die sich auf die verschiedenen Schulstufen verteilen (ein Drittel) - und

  • den Lebensstandard - gemessen als Pro-Kopf-Einkommen in realer Kaufkraft, wobei das Einkommen oberhalb eines als angemessen betrachteten Grenzwertes in abnehmendem Maße berücksichtigt wird.

In den HDI gehen die drei Teilelemente jeweils zu einem Drittel ein. Er wird so berechnet dass er für alle Länder zwischen 0 und 1 liegt, und es werden die Teilgruppen mit hohem (größer als 0,8), mittlerem (0,5-0,8) und niedrigem (unter 0,5) HDI unterschieden.

Länderlisten der OECD

In der entwicklungspolitischen Praxis von großer Bedeutung ist der Entwicklungshilfe-Ausschuss (Development Assistance Committee - DAC) der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Der DAC unterscheidet eine Länderliste I - Leistungen an diese Länder werden als öffentliche Entwicklungshilfe anerkannt - und eine Liste II, für die dieses nicht gilt. Die Unterteilung der Liste I folgt im Wesentlichen den Einkommensgruppen der Weltbank. Bei der Liste II wird eine Teilgruppe der "mittel- und osteuropäischen Staaten" und eine Teilgruppe der "in der Entwicklung weiter fortgeschrittenen Entwicklungsländer und -gebiete" geführt, zu denen neben Singapur und den Bahamas auch einige Erdölexporteure zählen. Die fünf asiatischen und drei Kaukasus-Republiken der früheren Sowjetunion sind als Entwicklungsländer anerkannt und in die Liste I aufgenommen worden, während die übrigen selbstständig gewordenen Republiken der früheren Sowjetunion zu einer eigenen Gruppe der Liste II zusammengestellt worden sind. Die mittel- und osteuropäischen Staaten heben sich insbesondere hinsichtlich Industrialisierungsgrad und Bildungsniveau deutlich von "klassischen" Entwicklungsländern ab, während das bei anderen Merkmalen nicht der Fall ist. Die finanzstarken Ölexportländer wiederum sind durchaus in der Lage, Entwicklungsmaßnahmen selbst zu finanzieren, aber es handelt sich teilweise um "gekaufte" Entwicklung, die (noch) nicht durch eigene wirtschaftliche Anstrengungen gestützt wird.

Untergruppen der Entwicklungsländer

Am wenigsten entwickelte Länder

Armut in den Entwicklungsländern

Bei der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries - LDC) handelt es sich um die ärmsten Entwicklungsländer, die auch als "Vierte Welt" bezeichnet und damit begrifflich von der Dritten Welt unterschieden werden. Die Bildung dieser Gruppe geht auf einen Beschluss der Vollversammlung der Vereinten Nationen von 1971 zurück. Seit 1991 wird für die Einstufung ein mehrfach veränderter Katalog von Kriterien angewendet, um die Strukturelemente der Armut möglichst breit zu erfassen:

  • Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf (2003 unter 750 Euro im Drei-Jahres-Durchschnitt),

  • ergänzter Index für physische Lebensqualität berechnet aus Indikatoren für Ernährung, Gesundheit, schulische Erziehung sowie Alphabetisierungsrate der erwachsenen Bevölkerung,

  • wirtschaftlicher Verwundbarkeitsindex aus Indikatoren für die Instabilität der Agrarproduktion sowie des Exports von Gütern und Dienstleistungen, für den Anteil von Industrie und modernen Dienstleistungen am BIP, für die Konzentration auf wenige Exportgüter, für den Nachteil kleiner Märkte (Bevölkerungsgröße) sowie den Anteil der von Naturkatastrophen betroffenen Bevölkerung,

  • Einwohnerzahl von maximal 75 Millionen Einwohnern, womit Bevölkerungsriesen wie China oder Indien von vornherein ausgeschlossen werden.

Die Anerkennung als LDC berechtigt zu Vorzugsbedingungen bei der Entwicklungshilfe und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Nach mehrfachen Erweiterungen umfasst die LDC-Liste zur Zeit 50 Entwicklungsländer mit einer Bevölkerung von etwa 500 Millionen Menschen. Die Mehrheit der Länder sind afrikanische Staaten südlich der Sahara, aus Lateinamerika gehört nur Haiti der Gruppe an. Für die Gruppe der unabhängig von Ländergrenzen am stärksten Benachteiligten, denen es am existenziell Notwendigen mangelt, ist der Begriff der "absoluten Armut" geprägt worden. In einer berühmt gewordenen Rede hat der damalige Weltbankpräsident Robert McNamara 1973 diesen Begriff wie folgt umschrieben: "Absolute Armut [....] ist durch einen Zustand solch entwürdigender Lebensbedingungen wie Krankheit, Analphabetentum, Unterernährung und Verwahrlosung charakterisiert, dass die Opfer dieser Armut nicht einmal die grundlegendsten menschlichen Existenzbedürfnisse befriedigen können. [...]". Auf dem Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen ist die Zahl der Armen mit 1,3 Milliarden Menschen, das heißt fast einem Drittel der Bevölkerung, beziffert worden, wovon über die Hälfte in "extremer Armut" (Einkommen von weniger als einem US-Dollar pro Tag) leben musste.

Die ärmsten Länder der Welt

Auch wenn der größere Teil der in den LDC lebenden Menschen zu den extrem Armen zählt, dürfte allein Indien mindestens so viele extrem Arme haben wie die LDC-Gruppe insgesamt. Die Kritik an der "Privilegierung" der LDC-Länder im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit richtet sich vor allem gegen die Orientierung an Ländergrenzen, vor denen in der Tat Armut und Unterentwicklung nicht haltmachen, die aber in der Praxis der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit - meist auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen Länderregierungen - von großer Bedeutung sind.

Hoch verschuldete Länder

Die Weltbank betont den entwicklungspolitischen Stellenwert der Schuldenbelastung, indem sie die Länder mit besonders hoher Auslandsverschuldung zu eigenen Gruppen zusammenfasst. Sie unterscheidet hoch verschuldete Länder mit niedrigem Einkommen (Severely Indebted Low-Income Countries - SILIC) und hoch verschuldete Länder mit mittlerem Einkommen (Severely Indebted Middle-Income Countries - SIMIC). Bei beiden Gruppen liegen drei der folgenden vier Kriterien über den Grenzwerten: Verhältnis der Auslandsschulden zum BNE (Grenzwert: 50 Prozent); Verhältnis der Schulden zu den Exporterlösen (275 Prozent); Verhältnis des Schuldendienstes zu den Exporterlösen (30 Prozent) sowie Verhältnis der Zinszahlungen zu den Exporterlösen (20 Prozent).

Binnen- und kleine Inselländer

Die Gruppen der Binnenländer ohne eigenen Zugang zum Meer (wie Bolivien, Niger, Nepal) und kleine Inselländer (wie die Seyschellen, Mauritius, Madagaskar oder Fidji) verweisen auf lagebedingte ökonomische Nachteile, beispielsweise höhere Transportkosten, um zum Ausgleich ebenfalls Vergünstigungen einzufordern.

Schwellenländer

Handelt es sich bei den bisher genannten Gruppen um ökonomisch benachteiligte Staaten, so wird bei den Schwellenländern angenommen, dass sie - daher die deutsche Bezeichnung - an der Schwelle zum Industriestaat stehen und genügend Eigendynamik besitzen, um Merkmale eines Entwicklungslandes in absehbarer Zeit zu überwinden. Es gibt international keine verbindlich festgelegte Liste der Schwellenländer. Häufig genannte Beispiele sind die Türkei, die vier "kleinen Tiger" in Südostasien, Brasilien und Mexiko in Lateinamerika sowie die Republik Südafrika. Zu beachten ist aber, dass der wirtschaftliche Fortschritt dieser Länder keineswegs allen Teilen der Bevölkerung zugute kommt und dass darüber hinaus die politische und soziokulturelle Entwicklung nicht parallel zu den wirtschaftlichen Erfolgen verlaufen muss (siehe Länderbeispiele).

Regionalgruppen

Neben den genannten Gruppen, die primär anhand ökonomischer Merkmale gebildet wurden, darf die regionale Komponente nicht außer acht gelassen werden. Länder verstehen sich als Teil einer Region und verfolgen meist gemeinsam mit ihren Nachbarländern ihre Interessen. Ein gutes Beispiel ist Lateinamerika, das historische, sprachliche, religiöse und politische Gemeinsamkeiten sowie ein regionales Selbstbewusstsein besitzt. Selbst Haiti als einziges lateinamerikanisches LDC dürfte mehr Gemeinsamkeiten mit seinen Nachbarländern sehen als mit den afrikanischen LDC.

Notwendigkeit differenzierter Betrachtung

Soziale und ökonomische Kennzahlen

Im Folgenden soll anhand vier verschiedener Länderprofile deutlich werden, wie notwendig eine differenzierte Betrachtung der gemeinhin als Entwicklungsländer bezeichneten Staaten ist. Bei der Auswahl wurden sowohl Unterschiede im Entwicklungsstand als auch die regionale Zugehörigkeit berücksichtigt. Aus diesen Gründen werden hier Südafrika, Tansania, Südkorea und Brasilien vor- und gegenübergestellt. Erkennbare Potenziale in Hinblick auf Entwicklungsfortschritte stoßen bei jedem der vier vorgestellten Länder auf jeweils eigene Hemmnisse und Unwägbarkeiten. Die folgende Übersicht zeigt anhand wesentlicher sozialer und ökonomischer Kennzahlen die längerfristigen Entwicklungstendenzen der vier ausgewählten Länder auf, was einer ersten Orientierung dienen mag.

Südafrika

Jacqueline Jansen

Wenn im Jahre 2010 um den Weltmeistertitel im Fußball gekickt wird, dann geschieht dies erstmals auf afrikanischem Boden - und zwar in Südafrika, einem Land, das mit einer Fläche von 1 223 201 Quadratkilometern fast 3,4-mal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Die südafrikanische Republik besitzt eine äußerst heterogene Bevölkerungsstruktur, die sich aus zahlreichen Völkern mit jeweils eigener Geschichte, Kultur und Sprache zusammensetzt. Mit einem Anteil von 79 Prozent ist die schwarzafrikanische die am stärksten vertretene Gruppe; sie gliedert sich wiederum in verschiedene Volksgruppen auf. Von den im Jahr 2001 durch eine Volkszählung ermittelten 44,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern des Landes klassifizierten sich weiterhin 9,6 Prozent als "weiß", 8,9 Prozent als "farbig" und 2,5 Prozent als "indisch" bzw. "asiatisch".

Mittlerweile leben über 50 Prozent der Bevölkerung Südafrikas in Städten. Dabei zieht es die Menschen besonders in die im Nordosten des Landes gelegene Hauptstadt Pretoria und in das am westlichen Kap gelegene Cape Town (Kapstadt). Auch das Wirtschaftszentrum Johannesburg im Nordosten übt eine große Anziehungskraft aus. Mit Blick auf seine Bodenschätze kann Südafrika als "reiches Land" bezeichnet werden, verfügt es doch über erhebliche Vorkommen an Gold, Diamanten, Platin, Kohle, Kupfer und Eisenerz.

Weiße Besiedlung

Bereits vor der Landung der Europäer im Jahre 1652 wurde das Land von San ("Buschmänner"), Khoikoi (Nama) und verschiedenen Nguni-Völkern bewohnt. Im Zuge der steigenden Einwanderung von Hugenotten sowie deutschen wie niederländischen Siedlern bildete sich bald eine Gesellschaft von Buren (boeren,Bauern) heraus, die als Farmer und Händler tätig waren. Ihre Expansion ins Landesinnere führte zu gewaltsamen Konflikten um Landbesitz und -nutzung mit den afrikanischen Ureinwohnern. Nachdem die Briten 1814 die Verwaltung in der Kapkolonie übernommen hatten, entwickelten sich Spannungen zwischen der burischen Bevölkerung und den britischen Verwaltern, die 1899 im South African War ("Burenkrieg") gipfelten, den die Briten im Jahr 1902 für sich entscheiden konnten. Zu einer endgültigen Einigung zwischen Buren und Briten kam es aber erst 1910 in Form der Gründung der "Südafrikanischen Union"?. Erstmals entstand ein unabhängiger südafrikanischer Staat. Sein grundlegendes Kennzeichen war die Aussöhnung zwischen britischen und burischen Bevölkerungsteilen; gleichzeitig wahrten sie gemeinsame Interessen gegenüber der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Letztere wurde vom politischen und sozialen Leben vollkommen ausgeschlossen und zunehmend diskriminiert.

Apartheid

Mit dem Wahlsieg der von Buren dominierten National Party (NP) 1948 wurde die untergeordnete Stellung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit im Rahmen der so genannten Apartheidpolitik systematisch ausgebaut und auf alle Bereiche des sozialen und politischen Lebens übertragen. Von nun an bestimmte die staatliche Zuordnung der Bürger zur "Rasse" der "Weißen", "Schwarzen" oder "Farbigen" ihren gesellschaftlichen Wert, ihre Rechte und Pflichten. Ein politisches Mitspracherecht auf nationaler Ebene wurde den Schwarzen vorenthalten, ebenso wie andere grundlegende Bürgerrechte. Das Apartheidregime verbot Ehen und sexuelle Kontakte zwischen Weißen und Schwarzen ebenso wie die gemeinsame Nutzung sozialer Einrichtungen wie Schulen und Behörden. Im Vollzug der territorialen Apartheid wies es der schwarzen Bevölkerung in den 1970er und 1980er Jahren getrennte Siedlungsgebiete auf dem Land (so genannte Homelands) zu, während städtische Wohngebiete allein den Weißen vorbehalten waren.

Der anfänglich friedliche Protest der schwarzafrikanischen Bevölkerung gegen diese Diskriminierungen radikalisierte sich seit Ende der 1950er Jahre und führte zu gewaltsamen und blutigen Kämpfen gegen den Apartheidstaat. Der African National Congress (ANC) nahm in dieser Protestbewegung eine Schlüsselstellung ein. Er wurde 1960 verboten und operierte seitdem im Untergrund. Gegen Ende der 1980er Jahre bewegten der ungebrochene Widerstand der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, eine schwindende Legitimation der Apartheidpolitik innerhalb der weißen Bevölkerung sowie der steigende Protest der internationalen Staatengemeinschaft die Regierung zur Aufnahme von Gesprächen. Nach langen Verhandlungen einigten sich die NP-Regierung unter Präsident Frederik W. de Klerk und die schwarzen Widerstandsorganisationen unter Leitung des ANC-Führers Nelson Mandela 1993 auf die weitere Vorgehensweise für einen Übergang zu einer demokratischen Ordnung.

Demokratie

1994 fanden in Südafrika die ersten freien und demokratischen Wahlen statt, aus denen Nelson Mandela als erster Präsident hervorging. Der letzte formale Schritt hin zu einer demokratischen Ordnung wurde mit der endgültigen Verabschiedung einer demokratischen Verfassung im Jahre 1997 vollzogen.

Seitdem steht die Regierung des neuen Südafrika vor der Herausforderung, in einer Art Balanceakt einen Ausgleich zwischen den Forderungen und Hoffnungen der schwarzen und weißen Bevölkerung zu schaffen. Während die schwarzen Bevölkerungsteile verbesserte Lebensbedingungen und Chancengleichheit einfordern, fürchtet die einflussreiche weiße Minderheit, ihre privilegierte Stellung und ihren Wohlstand zu verlieren. Diese Ambivalenz ist charakteristisch für die Republik Südafrika, auch in Bezug auf ihren Status als Entwicklungsland. Denn die Strukturen in Südafrika sind für ein Entwicklungsland ungewöhnlich:

Auffallend ist das im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern hohe BNE pro Kopf von 2 600 US-Dollar im Jahr 2002, das bei Kaufkraftparität für das Untersuchungsjahr 9 870 US-Dollar betrug. Auch die geringe Bedeutung des Agrarsektors mit einem Anteil von lediglich vier Prozent am BIP im Jahr 2002 ist für ein Entwicklungsland eher untypisch. Dagegen leistete der industrielle Sektor, der als einer der entwickeltsten in ganz Afrika gilt, mit 32 Prozent im gleichen Jahr einen großen Beitrag zur inländischen Wertschöpfung, noch übertroffen vom Dienstleistungssektor mit 64 Prozent. Auch im technologischen Bereich ist die Entwicklung Südafrikas im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern weit vorangeschritten.

Aktuelle Herausforderungen

Von Südafrikas relativer wirtschaftlicher Stärke profitiert nur ein kleiner, vorwiegend weißer Anteil der Bevölkerung sowie die schwarze Oberschicht (elf Prozent). Die relative Verteilung des vorhandenen Wohlstandes zeigt, warum Südafrika nach wie vor zur Gruppe der Entwicklungsländer gehört: Fast die Hälfte der Bevölkerung muss von einem Einkommen unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben. Die Armen sind zu 90 Prozent schwarzer Hautfarbe. 2002 befanden sich 10,5 Prozent in extremer Armut, da sie mit weniger als einem US-Dollar täglich ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten. Die personelle Einkommenssituation der Republik ist durch starke Ungleichverteilung geprägt, für das Jahr 2002 konnte ein Gini-Koeffizient von 0,63 ermittelt werden - damit steht dem "Heer" von Armen eine zahlenmäßig kleine Gruppe äußerst Wohlhabender gegenüber.

Im innerafrikanischen Vergleich ist die südafrikanische Wirtschaft zwar leistungsfähig - so hat sie den weltweit modernsten Bergbausektor - entspricht aber nicht durchgehend den Bedingungen des Weltmarktes, denen sie sich aussetzen muss. Die Wirtschaftsstruktur des Landes kann als dual bezeichnet werden: Eine moderne, formal industrialisierte Wirtschaft und ein großer informeller Sektor, der durch Arbeitslosigkeit und Armut geprägt ist, existieren nebeneinander. Bei einer Arbeitslosenquote von 30,5 Prozent im Jahre 2002 sind 90 Prozent der Arbeitslosen schwarze Bürgerinnen und Bürger. Auch ein jährliches Wachstum des BIP von drei Prozent im Jahr 2002 reichte nicht aus, um Armut und Arbeitslosigkeit entscheidend zu verringern. Verschärft wird die Situation durch illegal Zugewanderte aus anderen afrikanischen Staaten.

Mit einer liberalen Wirtschaftspolitik versucht die südafrikanische Regierung, wirtschaftliches Wachstum und die Stärkung der außenwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu forcieren. Maßnahmen zur Konsolidierung des Staatshaushaltes verfolgt sie ebenso konsequent wie die Privatisierung einstiger Staatsbetriebe. Erste Erfolge zeigen sich: Die südafrikanische Wirtschaft wächst langsam, aber stetig.

Im sozialen Bereich hat die Regierung die Versorgung mit Strom, Wasser und Telefonanschlüssen in den Wohngebieten der ärmeren Bevölkerungsgruppen vorangetrieben, wobei die Behebung der akuten Wohnungsnot bislang langsamer voranschritt. Unter dem Stichwort der affirmative action (sinngemäß übersetzt: "positive Diskriminierung") wird die Beseitigung der sozialen Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung angestrebt, indem systematisch nach Quoten Arbeitsplätze und Aufstiegsmöglichkeiten für Menschen zur Verfügung gestellt werden, die in der Zeit der Apartheid benachteiligt wurden. Die Bildung einer schwarzen Mittelschicht ist ein gewünschter Effekt dieser politischen Maßnahmen. Eine nicht beabsichtigte Folge dieser Politik ist hingegen die steigende Auswanderung hoch qualifizierter weißer Arbeitskräfte, die für ihre berufliche Zukunft in Südafrika keine Perspektiven mehr sehen. Somit hat die südafrikanische Republik, wie viele andere Entwicklungsländer auch, mit dem Problem des brain drain zu kämpfen. Es herrscht ein Mangel an gut qualifizierten Arbeitskräften, während für gering qualifizierte Arbeit die Nachfrage höher ist als das Angebot. Ein weiteres schwerwiegendes Problem, das die Zukunft der südafrikanischen Bevölkerung bedroht, -ist die Aids-Epidemie. Bei einer Gesamtzahl von geschätzten 5,3 Millionen HIV-Infizierten zum Ende des Jahres 2003 sind circa 21,5 Prozent der erwachsenen Südafrikaner von der Immunschwächekrankheit betroffen. Es sterben vor allem junge Frauen und Männer unter 40, also die Leistungsträger der erwerbsfähigen Bevölkerung. Die Folgen auch für die Wirtschaftsleistung des Landes sind unabsehbar. Die Bekämpfung von Aids in Südafrika und in anderen afrikanischen Staaten wird nicht nur durch traditionelle Gesellschaftsstrukturen, sondern auch durch fehlende finanzielle Ressourcen erschwert. Wirksame Aids-Medikamente sind trotz landesspezifischer Preissenkungen der Pharmakonzerne für die Mehrheit der Betroffenen immer noch unerschwinglich.

Als eine weitere Herausforderung für die südafrikanische Regierung gestaltet sich die langsam voranschreitende Landreform: Die aus der Apartheid resultierende ungleiche Verteilung des wirtschaftlich nutzbaren Landes hat zur Folge, dass derzeit geschätzte 86 Prozent der gesamten Agrarflächen in den Händen von circa 60 000 weißen Farmern sind, während 14 Millionen schwarze Afrikaner auf den verbleibenden circa 14 Prozent des Landes ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Unmittelbar nach den ersten Wahlen 1994 wurde ein Bodenreformprogramm verabschiedet mit dem Ziel, 30 Prozent des verfügbaren Landes innerhalb von fünf Jahren umzuverteilen. Dieses Vorhaben ist vorerst gescheitert, nachdem im Jahre 2000 gerade einmal 0,5 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens an landlose Schwarze verteilt worden waren.

Eine positive Voraussetzung für die Lösung der vorgestellten Probleme ist in Südafrika gegeben: Das Land besitzt eine junge demokratische Ordnung, an deren Grundfesten bislang nicht gerüttelt wird. Dominiert wird die politische Szenerie von der ehemaligen Befreiungsbewegung und jetzigen Regierungspartei ANC, die ihre Machtposition im Frühjahr 2003 zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament ausbauen konnte und in den Wahlen des Jahres 2004 durch die Wählerinnen und Wähler bestätigt wurde. Hier bleibt abzuwarten, ob es gelingen wird, eine bislang fehlende starke und handlungsfähige Opposition zu entwickeln, die ein Gegengewicht zur Macht des ANC bilden könnte.

Tansania

Jacqueline Jansen

Die Vereinigte Republik Tansania, die aus dem Festland und der Inselrepublik Sansibar besteht, beherbergt sowohl den höchsten als auch den niedrigsten Punkt des afrikanischen Kontinents. Im Nordosten des 945 087 Quadratkilometer großen Landes liegt der 5 891 Meter hohe Kilimandscharo. Der Grund des im Westen gelegenen Tanganyika Sees ist mit 358 Metern unter der Meeresoberfläche der "tiefste" Punkt Afrikas.

Im Jahre 2000 lebten 28 Prozent der insgesamt circa 34 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Tansanias in Städten. Dabei ist Dar es Salaam mit circa drei Millionen Menschen als Regierungssitz und Wirtschaftsmetropole die größte Stadt. In der eigentlichen Hauptstadt Dodoma leben ungefähr 300 000 Menschen.

Ein charakteristisches Merkmal Tansanias ist seine äußerst heterogene Sozialstruktur. Seine Bevölkerung setzt sich aus insgesamt 120 verschiedenen Ethnien zusammen, die bis in die jüngste Vergangenheit ein erstaunlich friedliches - fast schon mustergültiges - Zusammenleben führten. Zwei Faktoren leisteten dazu einen entscheidenden Beitrag: Da keine der in Tansania lebenden Ethnien eine eindeutige zahlenmäßige Mehrheit bildet, gibt es keinen Dominanzanspruch einzelner Bevölkerungsgruppen. Zudem trägt die gemeinsame Landessprache Kishuaheli dazu bei, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen.

In den letzten Jahren nahmen allerdings vor allem auf Sansibar Auseinandersetzungen zwischen schwarzer und asiatischer Bevölkerung sowie zwischen Christen und Muslimen zu. Während auf dem Festland circa 35 Prozent der Bevölkerung den muslimischen Glaubensgemeinschaften angehören, dominieren sie auf Sansibar mit circa 97 Prozent.

Wirtschaftliche Kennzahlen

Mit einem BNE pro Kopf von 290 US-Dollar und einem HDI-Index-Wert von 0,407 im Jahr 2002 zählt Tansania zur Gruppe der LDC. Eine gravierende Belastung für die Wirtschaftsleistung des Landes ist seine hohe Verschuldung. Sie betrug im Jahr 2002 77,2 Prozent des BIP. Die immensen Tilgungszahlungen belasten den Staatshaushalt erheblich. Einhergehend mit der schlechten wirtschaftlichen Lage hat Tansania ein massives Armutsproblem: Im Jahr 2001 lebten 36 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze.

Die Wirtschaftsstruktur Tansanias weist die für Entwicklungsländer charakteristische Dominanz des Agrarsektors auf. Für circa 80 Prozent der Bevölkerung stellt die Landwirtschaft die hauptsächliche Lebensgrundlage dar. Im Jahr 2001 hielt sie einen Anteil von 44,8 Prozent am BIP, zwei Drittel des Exportwertes wurden durch landwirtschaftliche Produkte erzielt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass der Agrarsektor in besonderem Maße von klimatischen Gegebenheiten abhängig ist. Außerdem wird der zu erzielende Preis der Agrarprodukte auf dem Weltmarkt bestimmt, sodass Preiseinbrüche für Produkte wie Kaffee oder Cashewnüsse - neben Gold die wichtigsten Exportgüter - nicht beeinflussbare negative Folgen für die Wirtschaft haben. Ein Blick in die Geschichte Tansanias liefert Hinweise auf die Hintergründe der bestehenden Entwicklungsschwierigkeiten.

Historische Voraussetzungen

Das Festland des heutigen Tansania war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Händen der Portugiesen. Mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag übernahm es das Deutsche Reich 1891 als Kolonie ("Deutsch-Ostafrika"). Die Insel Sansibar, seit dem Zerfall der portugiesischen Herrschaft in den Händen der Sultane von Omar, kam unter britische Verwaltung, wurde aber weiterhin durch das arabische Sultanat regiert. Unter dieser Herrschaft wurde den Afrikanern auf Sansibar jede Möglichkeit zum sozialen Aufstieg verwehrt, während die Araber und Asiaten eine politisch und wirtschaftlich privilegierte Position inne hatten.

Nach dem Ersten Weltkrieg verlor das Deutsche Reich seine Kolonien und somit auch seine Herrschaft über Tansania. Das Gebiet kam 1920 unter das Mandat des Völkerbundes mit Großbritannien als verwaltender Macht und wurde mit der Gründung der Vereinten Nationen (UN) 1945 zu einem UN-Treuhandgebiet unter britischer Verwaltung. 1961 wurde Tansania unabhängig. Julius K. Nyerere, Gründer der Partei African National Union (TANU), wurde erster Premierminister des Landes. Auf Sansibar fand die Herrschaft des Sultans 1964 durch einen Putsch der Afro Shirazi Party (ASP), die die Interessen der Afrikaner vertrat, ein jähes Ende. Noch im selben Jahr (1964) wurde die "Volksrepublik Sansibar und Pemba" ausgerufen.

Unter der Bezeichnung "Vereinigte Republik Tansania" schlossen sich ebenfalls 1964 das Festland und die Inselrepublik Sansibar zusammen. Dabei wurde der Republik Sansibar, die aus der größten Insel Sansibar sowie einer Reihe kleinerer Inseln (darunter Pemba) besteht, ein Status weitgehender Autonomie vom Festland zugestanden. In dessen Rahmen besitzt die Inselgruppe einen eigenen Präsidenten, eine eigene Regierung, ein eigenes Parlament sowie eine eigene Justiz.

Mit Verabschiedung einer neuen Verfassung im Juli 1965 wurde die Republik Tansania offiziell zu einem Einparteienstaat. Im Jahre 1977 vereinigte sich die TANU mit der ASP zur Einheitspartei CCM (Chama Cha Mapinduzi - Partei der Revolution). Damit gab es sowohl für das Festland als auch für die Inseln nur noch eine einzige Partei. Für internationales Aufsehen sorgte die ostafrikanische Republik 1967 mit der Arusha-Erklärung: In ihr stellte der Präsident und CCM-Vorsitzende Nyerere seine Konzeption des spezifisch tansanischen "ujamaa-Sozialismus" vor, der die Politik der folgenden Jahre mitbestimmten sollte.

Mit der Verwirklichung dieses Konzepts sollte das Land einen eigenständigen "dritten Entwicklungsweg" beschreiten und weder dem kapitalistischen Westen noch dem sozialistischen Osten auf ihren Entwicklungspfaden folgen. Dabei setzten die Verfechter des ujamaa-Sozialismus gemäß dem Konzept der self-reliance auf die eigenen Kräfte ihres Landes und seiner Bevölkerung. Im wirtschaftlichen Bereich bedeutete dies, dass nicht die Industrialisierung, sondern die Landwirtschaft gefördert wurde. Agrarprodukte wurden fortan im Kollektiv erwirtschaftet, kommerzielle Banken und Industriebetriebe verstaatlicht. Doch die Realität zeigte schon bald die Schattenseiten des ujamaa-Sozialismus: Besonders gravierend wirkte sich die staatliche Überregulierung aus, die ein freies und dynamisches Wirtschaften verhinderte und durch ihre bürokratische Schwerfälligkeit eine Weiterentwicklung des Landes erschwerte. Die Erfolge der Entwicklungsstrategie in sozialen Bereichen wie der Gesundheitsversorgung und Schulbildung wurden durch Tansanias Wirtschaftskrise seit Ende der 1970er Jahre zunichte gemacht. Die große wirtschaftliche Not des ostafrikanischen Staates, die ihren Höhepunkt zu Beginn der 1980er Jahre erreichte, übte einen enormen Handlungsdruck auf die Regierung aus, ihren gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Kurs zu ändern. Mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der internationalen Gebergemeinschaft wurde ein schrittweiser Übergang zur Marktwirtschaft vereinbart.

Zwischen Stagnation und Fortschritt

Die Reformmaßnahmen der ostafrikanischen Republik konnten seitdem einige positive Entwicklungen erzielen. So verzeichnete das Land einen Zuwachs in den durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten des BIP. Lagen diese in der Periode 1990 bis 1995 noch bei 2,7 Prozent, so konnten sie in den Jahren 2001 bis 2002 auf 5,8 Prozent gesteigert werden. Die enorm hohe jährliche Inflationsrate von nahezu 30 Prozent in der Periode von 1990 bis 1995 konnte ab dem Jahr 1999 auf eine jährliche Rate von circa fünf Prozent verringert werden. Der IWF führt diese Erfolge darauf zurück, dass die tansanische Regierung gemäß den wirtschaftspolitischen Forderungen der internationalen Geldgeber eine weitere Liberalisierung der Wirtschaft (insbesondere der Agrarwirtschaft), eine strikte Ausgabenpolitik des Staates sowie Anstrengungen zur Verbesserung des Wirtschafts- und Geschäftsklimas verfolgt.

Weiterhin verfügt Tansania mit reichen Vorkommen an Bodenschätzen wie Gold, Uran, Nickel und Kupfer über ein großes ökonomisches Potenzial, von dem weitere positive Impulse für die Wirtschaft ausgehen können. Auch die Aussichten für den Export von landwirtschaftlichen Gütern sind grundsätzlich gut. Nach der erfolgten Liberalisierung des Handels können die einheimischen Erzeuger mit marktgerechten Gewinnen rechnen. Außerdem ist es gelungen, die Bandbreite der landwirtschaftlichen Exportprodukte zu vergrößern. Damit wird die Abhängigkeit von einigen wenigen Produkten verringert, und die Folgen starker Preisstürze für bestimmte Güter auf dem Weltmarkt können besser abgefangen werden.

Auch bei der Schuldenproblematik ist Erleichterung in Sicht: Im Rahmen der HIPC-Initiative erfüllte Tansania im November 2001 die Bedingungen für einen Schuldenerlass. Er wird schätzungsweise eine Höhe von insgesamt drei Milliarden US-Dollar erreichen. Die fälligen Tilgungszahlungen Tansanias - im Jahr 1998 noch 29 Prozent der Staatseinnahmen - verringerten sich bis 2001 auf neun Prozent und beliefen sich nach einem kurzen Anstieg wieder auf neun Prozent im Jahr 2003. Durch die Einsparungen bei den fälligen Tilgungszahlungen konnte das Land seine Investitionen in die Sozialsysteme von schätzungsweise sieben Prozent des BIP im Jahr 2001 auf elf Prozent im Jahr 2003 steigern.

Auch im Bildungsbereich erzielte Tansania Erfolge: Die Analphabetenquote unter den Erwachsenen sank von 37 (1990) auf 23 Prozent 2002. Bei den Jugendlichen verringerte sich diese Quote von 17 (1990) auf acht Prozent 2002. Doch diese Fortschritte reichen noch nicht aus: Noch immer zählt Tansania zu den ärmsten Ländern der Welt.

Der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der nationalen Armutsgrenze lebt, konnte in der Zeit von 1990/1991 bis 2001/2002 nur um drei Prozentpunkte verringert werden. Das jährliche Wachstum des BIP zeichnet zwar eine positive Tendenz, aber dieser Wert reicht bei einem Bevölkerungswachstum von circa zwei Prozent (2002) nicht aus, um die Armut merklich zu verringern.

Zudem darf die nach wie vor starke Abhängigkeit Tansanias von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit nicht vergessen werden. Bezogen auf die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) steht Tansania mit 1233 Millionen US-Dollar Entwicklungshilfe im Jahr 2002 an vierter Stelle der Top Ten der afrikanischen Empfängerländer.

Auch im Bereich der sozialen Entwicklung sind ernüchternde Fakten zu vermelden: Die Lebenserwartung bei Geburt in Tansania sank von 50 Jahren (1990) auf circa 43 Jahre (2002). Und auch die Kindersterblichkeit ist mit 104 pro Tausend (2002) relativ hoch. Mitverantwortlich dafür ist die starke Aids-Epidemie. Ende 2003 waren dort geschätzte 1,6 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert - darunter 140 000 Kinder im Alter bis 14 Jahren.

Entscheidend für die Zukunft des Landes ist auch, ob es gelingt, eine stabile demokratische Ordnung in Tansania zu errichten. Zu Beginn der 1990er Jahre vollzog die Vereinigte Republik Tansania einen kontrollierten Wandel hin zu einem demokratisch-pluralistischen Mehrparteiensystem. Während die dominante Position der CCM, die sich in freien und fairen Wahlen behaupten konnte, dem Festland zu weitgehender politischer Stabilität verhalf, etablierte sich auf der Inselrepublik Sansibar die Civic United Front (CUF). Sie tritt als Verfechterin einer autonomen Inselrepublik auf. Diese Position sichert der muslimisch dominierten Partei auf Sansibar den Status der wichtigsten Oppositionspartei, während sie auf dem Festland mehrheitlich als sezessionistische Regionalpartei wahrgenommen und damit äußerst negativ beurteilt wird.

Auf die neue Konkurrenz reagierte die CCM mit einem demokratisch unlauteren und repressiven Vorgehen: Sie versuchte nicht nur durch Gewalt und Einschüchterungen, das Oppositionslager zu schwächen, sondern auch durch die Manipulation der Wahlen im Jahr 2000. Im Januar 2001 eskalierten die Konflikte in blutigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Ob ein im Oktober 2001 unterzeichnetes Versöhnungsabkommen zwischen den beiden Parteien den reibungslosen und fairen Ablauf zukünftiger Wahlen auf der Inselrepublik Sansibar sicherstellen und damit die Grundlage für eine stabile politische Ordnung gewährleisten kann, wird die Zukunft zeigen.

Südkorea

Guido Jura

Noch im Jahre 1960 zählte Südkorea zu den ärmsten und wirtschaftlich rückständigsten Ländern der Erde. 2003 - keine zwei Generationen später - belegte das Land auf der internationalen Skala des BIP pro Kopf mit 12 628 USDollar schon Rang 13 und war im Bereich der hoch entwickelten Industrie und Konsumgüter ein gleichgewichtiger Wettbewerber der etablierten Industrieländer. Neben diesem "koreanischen Wirtschaftswunder", das dem deutschen im Hinblick auf die makroökonomischen Daten in nichts nachsteht, gibt es eine zweite, vielleicht noch markantere Parallele zwischen beiden Ländern: die Teilung der Nation als Folge des Zweiten Weltkrieges. Zweifellos ist die Grenze am 38. Breitengrad sowohl in ihrem Bestand als auch hinsichtlich ihrer möglichen Überwindung von so allgegenwärtiger Relevanz, dass jegliche Entwicklung im südlichen Teil der koreanischen Halbinsel stets vor diesem Hintergrund gesehen werden muss.

Die Republik Korea (Südkorea) ist mit einer Fläche von 99 392 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von rund 48 Millionen Menschen (jährliche Wachstumsrate 0,6 Prozent) 2003 eines der am dichtesten besiedelten Länder der Erde (482 Einwohner/Quadratkilometer). Gleichzeitig ist kaum eine zusammenhängende Region der Erde gebirgiger als Korea, was eine extrem ungleiche Bevölkerungsverteilung befördert: So leben derzeit im Großraum Seoul rund 22,5 Millionen Menschen. Die Bevölkerung ist dabei ethnisch recht homogen, in religiöser Hinsicht dagegen eher heterogen: Zwölf Millionen Buddhisten, neun Millionen Protestanten und drei Millionen Katholiken bilden die zahlenmäßig größten Glaubensgemeinschaften. Aufgrund des Landschaftsprofils des in der gemäßigten Klimazone gelegenen Landes, das vier ausgeprägte Jahreszeiten kennt, sind lediglich die westliche und die südliche Küstenebene landwirtschaftlich nutzbar. Insgesamt sind das nicht mehr als 20 Prozent der Landesfläche.

Wechselvolle Geschichte

Im östlichen Teil Asiens gelegen, war die koreanische Halbinsel sowohl regional wie auch geopolitisch über Jahrhunderte hinweg von besonderem strategischen Interesse. Nach wechselvoller Geschichte konnte sich die Region erst nach dem chinesischjapanischen Krieg von 1894/95 vom chinesischen Einfluss emanzipieren, geriet dann aber 1905 unter das Protektorat der neuen Regionalmacht Japan. Von 1910 bis 1945 stand Korea sogar unter japanischer Annexion und war japanische Kolonie. Die Japaner unterwarfen das Land mit dem Ziel, es zum wichtigsten Reisanbaugebiet für die Kolonialmacht auszubauen. In dieser Absicht zerschlugen sie die zu dieser Zeit noch immer in Korea herrschende agrarischfeudale Gesellschaftsordnung: Sie teilten den Landbesitz des Adels im Rahmen einer Landreform auf und schufen so eine völlig neue Sozial und Gesellschaftsstruktur, die zusammen mit dem Ausbau der Infra und Kommunikationsstruktur zur Grundlage des späteren wirtschaftlichen Aufstieges Koreas werden sollte. Dieser setzteab 1939 ein, als die chemische Industrie wie auch die Schwerindustrie durch die Kriegsproduktion einen enormen Wachstumsschub erhielten. Somit hatte das Land bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bereits den Weg vom Agrarland bis an die Schwelle zu einem Industrieland zurückgelegt.

Mit der totalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg endete die japanische Kolonialherrschaft. Korea verlor seine japanisch dominierte wirtschaftliche und wissenschaftliche Führungselite und zugleich den wichtigsten Kapitalgeber und Absatzmarkt. Die auf der Konferenz von Jalta beschlossene Teilung des koreanischen Gebietes (die nördlich des 38. Breitengrades gelegenen 55 Prozent der Landfläche sollten von sowjetischen, die südlich davon gelegenen 45 Prozent von amerikanischen Truppen kontrolliert werden) und die daraus resultierenden Staatsgründungen stellten einen weiteren schweren Schock für das Land dar. Die Vorteile einer gewachsenen, sich binnenwirtschaftlich ergänzenden Wirtschaftsstruktur (Metall, Chemie und Energieproduktion im Norden, Leicht und Textilindustrie im Süden), konnten nicht länger genutzt werden. Ohne die Chance auf eine kurzfristige Konsolidierung wurden die beiden jungen Staaten, die sich von Beginn an feindlich gegenüber standen, zwischen 1950 und 1953 zum Schauplatz des KoreaKrieges. Er begann zunächst als Bürgerkrieg, nahm aber mit dem Eingreifen der USA zugunsten Südkoreas internationale Dimensionen an. Nach Beendigung der Kriegshandlungen durch einen Waffenstillstand, der anstelle eines offiziellen Friedensvertrages noch heute in Kraft ist, profitierte Südkorea aufgrund seiner strategischen Bedeutung bis 1961 von enormen Kapitalzuflüssen in Form von Wiederaufbau und Wirtschaftshilfegeldern vor allem aus den USA. Die Vereinigten Staaten sind zumindest für die Republik Korea bis heute der (neuerdings aber nicht mehr unumstrittene) wichtigste Partner.

Das Ausbleiben von Reformen sowie die um sich greifende Korruption verstimmten im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg aber nicht nur mehrfach den einflussreichen Verbündeten jenseits des Pazifiks, sondern führten 1961 auch zum Putsch des Militärs. Die neuen Machthaber in Seoul unter General Park Chunghee richteten umgehend alle gesellschaftlichen Kräfte auf den wirtschaftlichen Ausbau und eine strikte Exportorientierung aus und machten Südkorea zu einem "autoritären Entwicklungsstaat". Das Regime schränkte politische und gesellschaftliche Freiheiten radikal ein und hielt mit staatlich verordnetem Lohn und Sozialdumping den Faktor Arbeit im internationalen Vergleich billig. Die Tätigkeit von Gewerkschaften galt zunehmend als verdächtig, Streiks waren verboten. Auf diese Weise kompensierte Südkorea den Mangel an modernen Produktionsmitteln sowie das weitgehende Fehlen einer leistungsstarken unternehmerischen Elite. Es legte so das Fundament zu einer beispiellos dynamischen Entwicklungseiner Volkswirtschaft, die bis heute fortwährt und selbst die schwere Finanzkrise von 1997 eindrucksvoll überstanden hat. Längst ersetzen die Produkte der modernen Stahl, Elektro, Schiffbau- und Automobilindustrie die traditionellen Exportgüter Textilien, Sperrholz, Perücken und Tabak. Das Land intensivierte auch die eigene Forschung und Produktentwicklung.

Allerdings zahlte die südkoreanische Bevölkerung einen erheblichen Preis für diesen strukturellen und außenwirtschaftlichen Quantensprung: Politische und ökonomische Freiheiten blieben den Bürgerinnen und Bürgern fast drei Jahrzehnte lang weitgehend vorenthalten.

Wandel der letzten Jahrzehnte

Erst 1987 hob die Staatsmacht das Kriegsrecht auf, auf dessen Grundlage sie nach politischen Unruhen seit 1980 regiert hatte. Gemäß der neuen Verfassung wurde das Land zu einer präsidialen Demokratie und garantierte die von zahlreichen Dissidenten und breiten Bevölkerungsschichten lange Zeit vermissten Menschen und Bürgerrechte. Die neue innenpolitische Kultur öffnete Südkorea die Türen zu Auftritten auf dem internationalen Parkett: 1988 richtete das Land die Olympischen Spiele aus, 1991 trat es gemeinsam mit Nordkorea den Vereinten Nationen bei, 1996 wurde es Mitglied der OECD. Spätestens mit der Präsidentschaft des prominentesten ehemaligen Regimekritikers und Friedensnobelpreisträgers, Kim DaeJung (1998-2003), bekräftigte das Land die Nachhaltigkeit seiner politischen Kehrtwende. Im Jahre 2002 zelebrierte Südkorea mit der erfolgreichen gemeinsamen Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft mit seiner ehemaligen Kolonialmacht Japan vor den Augen der Welt ein StückFriedensdividende der besonderen Art.

Die Wirtschaft prosperiert, 2002 wurden rund sechs Prozent Wachstum erzielt, und endlich partizipieren auch die breiten Bevölkerungsschichten an dieser Entwicklung. In den letzten Jahren ist das Lohnniveau deutlich gestiegen (es kommt inzwischen sogar schon zu Abwanderungen südkoreanischer Unternehmen in Billiglohnländer wie Malaysia und Indonesien), und so gewinnt auch der Binnenmarkt zunehmend an Bedeutung. Die Arbeitslosenquote lag im März 2003 bei 2,7 Prozent, was faktisch Vollbeschäftigung bedeutet. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass Südkorea zahlreiche Schatten der Vergangenheit verfolgen, die das in jüngster Zeit erfolgsverwöhnte Land vor enorme Herausforderungen stellen:

Ungewisse Zukunftsperspektiven

Nordkorea ist in mancherlei Hinsicht Dreh und Angelpunkt für die weiteren Entwicklungen in Südkorea, wobei sich neuerdings Spannungen vor allem zwischen den Generationen zeigen: Die Älteren scheinen in Erinnerung an das Engagement der USA im KoreaKrieg und an die umfangreichen Hilfen in den 1960er Jahren bereit zu sein, die harte Haltung Washingtons gegenüber Nordkorea, das dort seit Januar 2001 zur "Achse des Bösen" gerechnet wird, zu unterstützen. Dagegen fordern die Jüngeren - mehr als zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger sind jünger als 40 Jahre - verstärkt die Emanzipation von den USA. Sie wollen eine eigenständige Korea-Politik, die auf Wandel durch Annäherung setzt. Beide Positionen spiegeln sich in der Politik des Landes schon seit längerem wider, spielten im Präsidentschaftswahlkampf 2002/03 aber eine entscheidende Rolle: Roh Moohyun, der im Februar 2003 die Präsidentschaft übernahm, versprach im Wahlkampf Südkoreas Neutralität im Falle eines Krieges zwischen den USA und Nordkorea. Das brachte ihm im Land mehrheitlich Sympathien und den Wahlsieg ein. Bei allen Wünschen nach Wiedervereinigung wissen die Südkoreaner jedoch, dass sie im Falle eines plötzlichen Zusammenbruchs ihres nördlichen Nachbarn angesichts dessen gravierender Wirtschaftsschwäche eine ökonomisch und soziopolitisch enorme Last zu schultern hätten.

Die Perspektiven der südkoreanischen Politik gegenüber Nordkorea bleiben insgesamt ambivalent: Pjöngjang setzt offenkundig auf eine Strategie der Mischung aus Drohgebärden und Einlenkung, die USA erwarten von Seoul eine solidarische Haltung in ihrer vom "Krieg gegen den Terror" geprägten Politik gegenüber Nordkorea. In diesem Dilemma gefangen, bemüht sich die Regierung unter Präsident Roh Moohyun vor allem auch jenseits der ökonomischen Interessen um die Intensivierung des politischen Dialogs und des kulturellen Austausches mit Japan, den Ländern der Europäischen Union, Russland und China, um die in vielen Bereichen dominierende Ausrichtung auf die USA abzuschwächen. Andererseits hegt sie Hoffnungen, dass Peking und bedingt auch Moskau das nordkoreanische Regime im Sinne süd- bzw. gesamtkoreanischer Interessen beeinflussen. Im Mai 2004 trafen sich zum ersten Mal seit dem Ende des KoreaKrieges militärische Delegationen Nord- und Südkoreas auf Generalsebene, um jenseits des internationalen Konflikts über Pjöngjangs Atomprogramm Maßnahmen zur Entspannung an der innerkoreanischen See und Landesgrenze zu vereinbaren und um Vertrauen aufzubauen. Bei Wirtschaftsgesprächen wurde jüngst sogar die Öffnung der Demarkationslinie vereinbart: Im Herbst 2004 soll mit dem Bau von zwei Straßen und zwei Eisenbahnlinien begonnen werden, ein regulärer Verkehr soll demnach bereits 2005 beginnen. Dies würde zu der sich vorsichtig abzeichnenden partiellen Öffnungspolitik Nordkoreas passen und wäre gleichwohl ein Sprung in eine neue Ära der bilateralen Beziehungen zwischen beiden Koreas. Ob diese Politik nachhaltig sein wird, muss sich allerdings erst noch erweisen.

In der Innenpolitik kann die noch junge Demokratie einerseits auf Erfolge verweisen: Die Menschenrechtssituation wurde erkennbar verbessert, und die Demokratisierung des Landes schreitet genauso fort wie der Aufbau einer maßvollen staatlichen Sozialpolitik. Es fehlen aber noch wichtige Weichenstellungen, um strukturelle Defizite aus der Vergangenheit zu überwinden: Die schwere Finanz und Wirtschaftskrise, die in Südkorea im November 1997 sichtbar wurde, kann zwar gemäß der makroökonomischen Daten als erfolgreich bewältigt gelten (den vom IWF seinerzeit eingeräumten Kredit brauchte Südkorea nicht in voller Höhe abzurufen und konnte ihn überdies vorzeitig zurückzahlen; im Juli 2002 erreichte der Stand der Devisenreserven mit 115,5 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchststand, und das Wirtschaftswachstum erreichte nach 1998 mit 6,7 Prozent bereits im Folgejahr wieder 10,9 und 2000 9,3 Prozent); doch jene Krise förderte die Probleme einer über Jahrzehnte staatlich angeleiteten Wirtschaft und die damit verbundenen strukturellen und personellen Verflechtungen zu Tage: Korruption und Intransparenz von Entscheidungen. Die Entflechtung der Großkonzerne, die Entstaatlichung der Wirtschaft und die Emanzipation der Politik von nicht autorisierter Einflussnahme müssen gerade angesichts der Globalisierung, zu deren größten Profiteuren Südkorea sich bislang zählen kann, konsequent fortgeführt werden.

Die jüngsten Entwicklungen setzen positive Akzente: Südkorea darf 2004 mit einem Wachstum seiner inzwischen reifen Volkswirtschaft um rund fünf Prozent rechnen. Die Bevölkerung zeigt inzwischen demokratisches Bewusstsein: Nach der wahltaktisch motivierten Amtsenthebung von Präsident Roh Moohyun durch das Parlament kam es im März 2004 zu öffentlichen Massenprotesten; bei den Parlamentswahlen im April 2004 verloren die Gegenspieler Rohs massiv an Wählerzuspruch, während die Partei des Präsidenten gestärkt aus der Wahl hervorging. Mit dem so ökonomisch und partiell auch politisch konsolidierten Tiger (HDI im internationalen Ländervergleich: Rang 30, 2003) wird jedenfalls auch global weiterhin zu rechnen sein.

Brasilien

Guido Jura

Brasilien hat mit seinen 176,9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern (2003) sowie mit dem 8,5 Millionen Quadratkilometer großen Staatsgebiet, das sich damit über die Hälfte der südamerikanischen Landfläche erstreckt, die regionale Führungsrolle auf diesem Kontinent inne. Das präsidialdemokratisch verfasste Schwellenland ist ein wichtiger Akteur in der internationalen Politik und vor allem ein bedeutender Partner der EU und damit auch Deutschlands. So stellt etwa Sao Paulo mit mehr als 2000 dort angesiedelten deutschen Firmen den größten deutschen Industriestandort außerhalb der Bundesrepublik dar. Die engen bilateralen Beziehungen zu Deutschland zeigen sich insbesondere auch in der entwicklungspolitischen, kulturellen und auch wissenschaftlichtechnischen Zusammenarbeit auf Regierungsebene, wie vor allem aber auch im vielfältigen Engagement der NROs.

Die regionalen und besonders die sozialen Widersprüche Brasiliens sind nach wie vor groß: Laut UN leben 22 Prozent der Brasilianerinnen und Brasilianer von weniger als zwei US-Dollar am Tag, womit der Hunger auch heute noch ein weit verbreitetes Phänomen ist. Auf der anderen Seite verfügen zehn Prozent der Bevölkerung über nahezu die Hälfte des Volkseinkommens. Nur ein Prozent der Grundbesitzer nennt fast die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche sein Eigen, dagegen verteilen sich weniger als drei Prozent der Landfläche auf drei Millionen Kleinbauern, viele haben gar nichts. Hinsichtlich des HDI erreichte Brasilien 2003 mit diesen Daten im internationalen Vergleich nur Rang 65.

Armut und Reichtum liegen räumlich teilweise sehr dicht beieinander. Dies ist die Folge der enormen Landflucht, die Hunderttausende vor allem aus der Regenwaldzone des Nordens und Nordwestens in die am Atlantik gelegenen Städte, insbesondere im Südosten des Landes, aber auch in das erst 1960 künstlich als neue Hauptstadt angelegte Brasilia führt.

Heterogene Bevölkerung

Brasiliens Bevölkerung, die mit 1,3 Prozent pro Jahr wächst (2003), weist eine enorme ethnische Vielfalt auf; europäische Einflüsse, afrikanische Minoritäten und eine ursprünglich indianische Bevölkerung haben sich im Laufe von fünf Jahrhunderten allerdings stark vermischt. Die extrem heterogene brasilianische Gesellschaft ist insgesamt von kultureller und politischer Toleranz geprägt. Im sozioökonomischen Bereich zeigt sich aber dennoch eine deutliche Benachteiligung der schwarzen Brasilianer, denen ein Anteil von 45 Prozent an der Gesamtbevölkerung zukommt: Von 53 Millionen, die 2002 unter der Armutsgrenze lebten, hatten schätzungsweise 64 Prozent eine schwarze Hautfarbe.

Ringen um Konsolidierung und Demokratie

1500 nahm der Seefahrer Cabral das heutige brasilianische Gebiet für Portugal in Besitz. 1822 erlangte das Land als Kaiserreich seine Unabhängigkeit, 1888/89 wurde es nach der entschädigungslosen Abschaffung der Sklaverei in eine föderative Republik umgewandelt. Die großen Landeigner dominierten aber weiterhin die Politik. Infolge der Weltwirtschaftskrise wurde Brasilien 1930 zur Diktatur. Nach einer nur kurzen demokratischen Episode zwischen 1945 und 1954 erzwang das Militär den Rücktritt des inzwischen zivil gewählten Präsidenten und übernahm 1964 für 21 Jahre die Herrschaft. Diese brachte Brasilien zwar den Ausbau seiner Infrastruktur und eine massive Industrialisierung (das "brasilianische Wirtschaftswunder" ging zwischen 1968/69 und 1973 mit jährlichen realen Wachstumsraten des BNE von elf Prozent einher), gleichzeitig war diese Periode aber von Menschenrechtsverletzungen, einer Verschärfung der strukturellen sozialen Probleme sowie der weiteren Zerrüttung der Staatsfinanzen geprägt. 1988 konnte in Form eines friedlichen Übergangs eine neue demokratische Verfassung verabschiedet werden.

Zwiespalt zwischen Wirtschafts- und Sozialreform

Zwischen 1988 und 1994 mühten sich verschiedene Regierungen mittels einschneidender Wirtschafts- und Währungsreformen, umfangreicher Privatisierungen sowie der Liberalisierung des Außenhandels und der Öffnung des brasilianischen Marktes für ausländische Investoren, die volkswirtschaftlichen Daten zu verbessern. Brasilien war allerdings in eine strukturelle Abhängigkeit von internationalen Kapitalgebern geraten. Dies zeigte sich in der Amtszeit des in den internationalen Finanzorganisationen IWF und Weltbank sehr geachteten Präsident Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) gleich in mehreren Krisenszenarien: So bekam das wirtschaftlich bereits angeschlagene Brasilien die Auswirkungen der Asienkrise von 1997, die Folgen des 11. Septembers 2001 und die Argentinienkrise 2002 deutlicher zu spüren als viele andere Länder. Das relative Wohlverhalten der internationalen Finanzwelt erkaufte sich die Regierung durch die Vernachlässigung wichtiger innerer Reformprojekte: Bildungs, Renten und Landreform wurden ebenso wenig angegangen wie die Bekämpfung der Massenarmut. Auch der enormen Umweltverschmutzung und der radikalen Abholzung des Amazonas-Regenwaldes vermochte die Regierung des Landes, in dem bis zu 70 Prozent der Biodiversität der Erde vermutet werden, lange Zeit keinen Einhalt zu gebieten.

Im Sommer 2002 versicherte entgegen den Befürchtungen der internationalen Kapitalgeber sogar der Präsidentschaftskandidat der oppositionellen linksorientierten PT (Partido dos Trabalhadores), Luis Inácio Lula da Silva, im Falle seines Wahlsiegs die Verpflichtungen seines Landes gegenüber dem IWF einzuhalten, die Unabhängigkeit der Zentralbank zu schützen und nicht zur Inflationspolitik vergangener Jahre zurückzukehren. Er wurde im Oktober 2002 zum Präsidenten gewählt und sieht sich im In und Ausland mit hohen Erwartungen konfrontiert. Als Ziele seiner Regierung stellt er nach wie vor die Schaffung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung sowie die Bekämpfung der Armut in seinem eigenen Land heraus. Gleichzeitig hält er an der Fortführung der von seinem Vorgänger eingeleiteten Reformen fest.

Erfolge bei der Bekämpfung der Armut, die der Präsident "seinen Brasilianern" versprochen hat und für die er gewählt worden ist, sind bislang ausgeblieben: Immer noch lebt jeder dritte Brasilianer unter dem Existenzminimum, das Programm Fóme Zero (Null Hunger) und die Landreform sind nur in rudimentären Ansätzen verwirklicht, und die Arbeitslosigkeit lag Mitte 2004 bei rekordverdächtigen 19 Prozent. Wenn auch das Gespenst des Staatsbankrotts zunächst nicht mehr existiert, ist der Erfolg der Regierung Lula gefährdet: Selbst das für 2004 erwartete Wirtschaftswachstum von 3,8 Prozent reicht für die versprochenen Sozialprogramme bei weitem nicht aus. Die begonnene Pensions und Steuerreform sorgt zwar für Vertrauen bei internationalen Kapitalanlegern, der Durchschnittsbrasilianer aber bemerkt hiervon im Alltag zunächst wenig. Der innere Druck wird weiter wachsen.