Streit um Begriffe
Der Begriff "Entwicklungsländer" (developing countries) ist sprachlich in gewisser Weise problematisch. Kritische Stimmen wie der schwedische Ökonom Gunnar Myrdal haben darauf hingewiesen, er unterstelle in unangemessen optimistischer Weise, dass diese Länder sich tatsächlich entwickelten. Dabei sei doch gerade die Frage, ob und wie sie sich entwickelten, klärungsbedürftig. Für die ärmsten Entwicklungsländer hat sich der Begriff "am wenigsten entwickelte Länder" (Least Developed Countries - LDC) durchgesetzt. Die Bezeichnung "Dritte Welt" wird meist historisch auf die Einteilung in Erste Welt (westliche Industrieländer) und Zweite Welt (östliche Industrieländer) bezogen, sodass die Entwicklungsländer dann als jüngste Ländergruppierung als Dritte Welt erscheinen. Er ist nicht etwa im Sinne einer Rangordnung ("drittrangig") zu verstehen. Der Begriff Dritte Welt wurde auch verwendet, um die Einheit dieser Ländergruppe zu betonen. Andere Fachleute haben die ärmste Teilgruppe, die "am wenigsten entwickelten Länder", noch als "Vierte Welt" ausgegliedert. Mit dem Ende des Ostblocks und der Pluralisierung der Entwicklungsländer wird der Benennung zunehmend fragwürdig.
Aber auch die mögliche sprachliche Alternative, der "Süden", ist problematisch. Nicht nur die geografische Zuordnung ist ungenau, da sich beispielsweise die wohlhabenden Staaten Australien und Neuseeland auf der Südhalbkugel befinden. Vielmehr legt der Begriff "Süden" eine Einheitlichkeit von Interessen und Handlungen nahe, die faktisch nicht oder nicht mehr vorhanden ist.
Die diskutierten Begriffe werden trotz wachsender Kritik überwiegend weiter verwendet - wie auch hier -, weil sie in den Sprachgebrauch eingegangen sind und bessere Alternativen fehlen. Man sollte sich aber der mit ihnen verbundenen Problematik bewusst sein. Unter "Entwicklung" können sehr verschiedene Dinge verstanden werden. Die 1977 unter Vorsitz des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt eingesetzte internationale "Unabhängige Kommission für internationale Entwicklungsfragen" (Brandt-Kommission) hat den Begriff wie folgt umschrieben: "Entwicklung ist mehr als der Übergang von Arm zu Reich, von einer traditionellen Agrarwirtschaft zu einer komplexen Stadtgemeinschaft. Sie trägt in sich nicht nur die Idee des materiellen Wohlstands, sondern auch die von mehr menschlicher Würde, mehr Sicherheit, Gerechtigkeit und Gleichheit."
Die wachsende Gefährdung des Ökosystems Erde hat ebenso ihren Niederschlag in der Entwicklungspolitik gefunden. Mitte der 1980er Jahre wurde der Begriff "Entwicklung" um das präzisierende Adjektiv "dauerhaft" oder "nachhaltig" (sustainable) erweitert. Die "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" (Brundtland-Kommission) hat in ihrem 1987 vorgelegten, an Industrie- wie Entwicklungsländer gerichteten Bericht folgende Definition gewählt: "Unter dauerhafter Entwicklung verstehen wir eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen. Die Forderung, diese Entwicklung 'dauerhaft' zu gestalten, gilt für alle Länder und Menschen. Die Möglichkeit kommender Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ist durch Umweltzerstörung ebenso gefährdet wie durch Unterentwicklung in der Dritten Welt." In einem anderen Versuch ist Entwicklung betont als "menschliche Entwicklung" (human development) definiert worden.
Allgemein gilt es, die genannten Begriffe mit Vorsicht zu verwenden, weil dabei unbedacht Wertungen einfließen, die dem eigenen Kulturkreis entstammen und als Beurteilungsmaßstab zu Pauschalurteilen führen können.
Schwächen in der Binnenökonomie
Die folgende Zusammenstellung berücksichtigt Merkmale und spezielle Probleme der Entwicklungsländer im Bereich der Binnenökonomie.
Geringes Bruttonationaleinkommen pro Kopf: Als Maßstab für die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung wird meist das durchschnittliche Bruttonationaleinkommen (BNE, früher Bruttosozialprodukt BSP) pro Kopf herangezogen. Die Messung des BNE pro Kopf ist aber - und dies gilt für andere Merkmale teilweise in noch stärkerem Maße - mit methodischen Problemen verbunden, die die Aussagekraft einschränken und die bei der Verwendung berücksichtigt werden sollten. Eine Schwierigkeit ist bereits die Erfassung des BNE. Sie ist wenig zuverlässig und teilweise auf Schätzungen (zum Beispiel Produktion nur für den Eigenbedarf, also Subsistenzwirtschaft) angewiesen. Deshalb hat die Weltbank so genannte Kaufkraftparitäten entwickelt, bei denen für die Lebenshaltung der Bevölkerung repräsentative Warenbündel ermittelt und deren Preise miteinander verglichen werden. Die durchschnittliche Kaufkraft pro Kopf im Vergleich zum BNE pro Kopf lag in den Entwicklungsländern imJahr 2001 mehr als drei mal so hoch. Verantwortlich dafür sind die meist deutlich niedrigeren Preise des täglichen Bedarfs. Allerdings gibt es auch gegenüber Kaufkraftvergleichen methodische Vorbehalte, vor allem, wenn sie benutzt werden, um die Situation des ärmsten Bevölkerungsteils zu messen. Der Warenkorb der Armen ist anders zusammengesetzt als der durchschnittliche Warenkorb. Zudem sind die Preise auf dem Land und in der Stadt sowie zwischen den Regionen häufig sehr verschieden.
Extrem ungleiche Verteilung: Die durchschnittlichen Pro-Kopf-Werte sind vor allem dann irreführend, wenn der künstlichen statistischen Gleichheit der Durchschnittswerte in den betreffenden Staaten real eine ausgeprägte Ungleichheit der Verteilung gegenübersteht. Das Monatseinkommen eines Plantagenbesitzers von 5000 Geldeinheiten und von 100 Plantagenarbeitern in Höhe von jeweils 50 Geldeinheiten ergibt addiert und durch die Personenzahl geteilt zwar ein durchschnittliches Einkommen pro Person von rund 100 Geldeinheiten; aber diese Durchschnittsgröße verrät nichts über die krasse Ungleichheit der Verteilung zwischen den genannten Personengruppen. Sie ist in den Entwicklungsländern sowohl regional als auch nach Personen sehr viel ausgeprägter als in den Industriestaaten.
Niedrige Spar- und Investitionstätigkeit: Ausdruck der für den größten Teil der Bevölkerung extrem geringen Einkommen ist auch eine niedrige Sparrate. Die Investitionstätigkeit wird zudem durch Kapitalflucht weiter geschwächt. Der vermögende Teil der Bevölkerung investiert häufig nicht im eigenen Land, sondern bringt große Teile des eigenen Vermögens in das als sicherer eingeschätzte Ausland, zum Beispiel auf vertrauliche Nummernkonten Schweizer Banken.
Unzureichende Infrastruktur: Der Ausbau der Wirtschaft wird durch eine mangelhaft ausgebaute Infrastruktur, zum Beispiel ein unzulängliches Verkehrs- und Kommunikationsnetz, behindert.
Unzureichende Schul- und Ausbildung: Obwohl der Anteil der Analphabeten (Menschen ohne Lese- und Schreibfähigkeit) an den über 15-Jährigen deutlich zurückgegangen ist, machte er 2001 in den Entwicklungsländern durchschnittlich noch ein Viertel aus. In den ärmsten Entwicklungsländern, mit Schwerpunkten in Südasien und Subsahara-Afrika, betrug er sogar mehr als ein Drittel. In mindestens einem Dutzend Länder kann mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht lesen und schreiben, was nicht nur den wirtschaftlichen Aufbau beeinträchtigt, sondern diesen Menschen eine wichtige Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben vorenthält. Trotz teilweise großer Anstrengungen und auch Erfolgen im Schulbereich ist das von der UN-Erziehungskonferenz 1990 abgegebene Versprechen, bis 2000 weltweit eine Primarschulerziehung sicherzustellen, nicht erreicht worden. 2000 gab es noch 115 Millionen Kinder, die keine Schule besuchten, mit Schwerpunkt wiederum in Südasien und Subsahara-Afrika. Darüber hinaus gelingt es nur einem Viertel der Entwicklungsländer, alle Schulkinder auch über die gesamte Zeit der Primarstufe in der Schule zu halten.
Hohe, verdeckte Arbeitslosigkeit: Verdeckte Erwerbslosigkeit tritt vor allem im Zusammenhang mit dem informellen Sektor auf, der in vielen Entwicklungsländern ein Auffangbecken für Arbeitslose darstellt, die sich zum Beispiel mit Straßenhandel ihr Überleben sichern. Auch in der Landwirtschaft spielt verdeckte Arbeitslosigkeit eine Rolle, wenn beispielsweise ein Bauer für die Bewirtschaftung seiner kleinen Ackerfläche nur einen geringen Teil seiner verfügbaren Arbeitszeit benötigt. Von offener oder verdeckter Arbeitslosigkeit ist ein relativ hoher Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung in den Entwicklungsländern betroffen. Dabei ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit angesichts des großen Anteils der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung besonders bedrohlich. Neben der Arbeitslosigkeit spielen auch die Arbeitsbedingungen eine wichtige Rolle. In vielen Entwicklungsländern werden die von der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf propagierten Kernarbeitsnormen - insbesondere Verbot von Zwangsarbeit, Kampf gegen Kinderarbeit, Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer in Gewerkschaften - nicht eingehalten.
Dominanz des primären Sektors: Der größte Produktionsbereich ist meist weiterhin der primäre Sektor (Land-, Forstwirtschaft, Fischerei und Bergbau) und hier insbesondere die Landwirtschaft. Allerdings hat sich der Anteil der Dienstleistungen im Laufe der Zeit deutlich erhöht, während der Industrialisierungsgrad vergleichsweise gering blieb.
Unzureichende Ernährung: Ungeachtet der Dominanz des Agrarsektors sind Unter- und Mangelernährung verbreitet und Hungerkatastrophen für Hunderte von Millionen Menschen in der Dritten Welt gegenwärtig und auch in absehbarer Zukunft bittere Realität. Schätzungen bewegen sich zwischen 400 und 880 Millionen. Viele Entwicklungsländer sind bisher nicht in der Lage, ihre wachsende Bevölkerung aus eigener Kraft ausreichend zu versorgen. In der Getreideversorgung zum Beispiel sind sie immer abhängiger geworden von Importen aus dem Norden, vor allem aus Nordamerika. Andere Entwicklungsländer, hauptsächlich in Asien, haben dagegen mit Hilfe der "Grünen Revolution" (Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität durch neue Anbaumethoden, insbesondere neue Sortenzüchtungen, aber auch neue kontroverse Debatten um die Risiken genetisch veränderter Nahrungsmittel) ihre Nahrungsmittelproduktion weit über das Bevölkerungswachstum hinaus steigern können. Zur Lösung desErnährungsproblems müssten viele Entwicklungsländer nicht nur hinreichendend viel produzieren, ihre Agrarstruktur reformieren und ihre Preispolitik zu Gunsten der Erzeuger ändern. Darüber hinaus ist es notwendig, die Nahrungsmittel besser zu verteilen, um die Versorgung der ärmsten Teile der Bevölkerung zu sichern.
QuellentextZwischen Slum und High-Tech
[...] V. Papathi [...] kann nicht lesen, sie kann nicht schreiben. Mit ihren zwei Kindern lebt die Vierunddreißigjährige in Kuduremala, einem der gut 80 Slums vor den Toren der Provinzstadt Mysore, und ist die Sprecherin der Frauen hier. Sie gehören den Dalit an, den rund 160 Millionen Unberührbaren in der größten Demokratie der Erde. Treffen sie auf Angehörige einer höheren Kaste, wechseln sie stumm die Straßenseite. Sie leben davon, Toiletten zu putzen, Abfall der Mittelschicht wegzuräumen, Nachttöpfe zu leeren. Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) hat ihnen geholfen, in Kuduremala ein menschenwürdiges Zuhause zu bauen. Seine 800 Bewohner haben nun sauberes Wasser, einen Weg zwischen ihren Hütten, den auch der Monsun nicht wegspült, eine Mauer um ihr kleines Dorf. Und nun bestimmt der Computer ihr Denken, ihr Träumen. Was ist dein größter Wunsch Papathi? "Ich will, dass meine Kinder Computeringenieure werden können! Wie die Kinder der Reichen in Bangalore", sagt die Frau mit fester Stimme.
"Bangalore ist die Stadt, die dir zuwinkt" heißt der Werbespruch der Metropole. Bangalore, das Ziel jeder Hoffnung, ist nicht weit von hier entfernt: 140 Kilometer, fünf Stunden Fahrt über eine staubige Piste, die sich Landstraße nennt. [...]
Fünf Stunden oder ein Leben lang - die Strecke von Kuduremala an die Schreibtische in den Bürotürmen von Bangalore zieht sich. [...]
Die Dalit in Kuduremala haben auf ihre Weise von der Uni profitiert. So wie viele von Mysore. [...]
"Nothing is comparable to knowledge" prangt über der Pforte der sechstältesten Universität Indiens - "Nichts ist dem Wissen vergleichbar". Als "Maharaja's College" nahm Mysores Hochschule 1916 ihren Anfang - heute ist das im Jahr 2000 gegründete Centre for Information Science and Technology (Cist) ihr Herzstück und ihr ganzer Stolz. In Mysore geht es um Ausbildung, um die Eintrittskarte für den Weg zum Wohlstand. Von den 560 Unternehmen und Institutionen der Stadt, die sich mit Computern im weitesten Sinne beschäftigen, sind 80 Internetcafés und 110 Computerschulen. Mysore ist Durchlauferhitzer für die Massen, die nach Bangalore drängen. [...]
Bangalore, Millionenstadt und Metropole. [...] Auf dessen Straßen es kein Durchkommen gibt - außer in einer Kolonne schwarzer Karossen mit getönten Scheiben und Polizeischutz, mit der Neuinvestoren durch die Stadt jagen. [...]
Jawaid Akhtar, Direktor der Landesregierung für Informations- und Biotechnologie, will mit Zahlen glänzen: "Die Software-Ausfuhren aus Bangalore haben 2003 einen Wert von rund 2,5 Milliarden Dollar erreicht. Seit drei Jahren macht hier jede Woche ein neues Computerunternehmen auf, jeden Monat eine Firma aus der Biotechnologie. Jeder internationale Konzern der Branche hat bei uns eine Niederlassung. Dell hat sogar vier." [...]
Die Stadt weiß, was sie für ihre Umgebung, für das Bundesland Karnataka, für ganz Indien bedeutet. [...]
Ein Zehntel der Einwohner des Landes Karnataka leben in Bangalore. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt hier doppelt so hoch wie etwa in Mysore. Und deshalb sagt Akhtar nun: "Wir wollen die IT-Industrie nicht mehr an einem Ort konzentrieren, alle müssen davon profitieren." Die zweite Welle der Investoren soll Denkfabriken im ganzen Land sprießen lassen - so wie ein guter Monsunregen den Reis.
Die Kinder Mysores könnten davon profitieren. Doch auch die Kinder in Kuduremala, dem Slum? [...]
Christoph Hein, Bangalore ist das Ziel der Hoffnung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Februar 2004.
Nachteile in der Außenwirtschaft
Als wichtige Merkmale der außenwirtschaftlichen Beziehungen der Dritten Welt gelten:
Ausrichtung auf die Industrieländer: Die Produktionsstruktur der Entwicklungsländer ist - so die Sicht der Kritiker - immer noch stark an den Märkten der Industrieländer orientiert, und der Außenhandel wird vor allem mit den westlichen Industriestaaten abgewickelt. Dies führt nicht nur zu starker Abhängigkeit von der westlichen Wirtschaftsentwicklung, sondern auch zu einer dualen Wirtschaftsstruktur in der Dritten Welt. Häufig existiert ein kleiner, moderner, leistungsfähiger Exportsektor, der aber als Fremdkörper in der überwiegend traditionellen Wirtschaft wirkt. Zudem wird gerade der moderne Sektor in vielen Fällen von transnationalen Konzernen beherrscht und von deren Zentralen in den Industrieländern gesteuert.
Einseitiges Exportangebot: Die Exportpalette der meisten Entwicklungsländer ist einseitig zusammengesetzt mit einem hohen Anteil mineralischer und agrarischer Rohstoffe, aber nur wenigen Halb- und Fertigwaren, insbesondere wenigen Industrieerzeugnissen. Eine Reihe von Entwicklungsländern bezieht den überwiegenden Teil ihrer Exporterlöse sogar nur aus dem Verkauf eines einzigen Produktes, wie zum Beispiel Burundi (Kaffee) oder Libyen (Erdöl). Diese Länder werden dadurch sehr empfindlich gegenüber Nachfrageschwankungen bei einzelnen Produkten und ihrer Preisentwicklung auf dem Weltmarkt.
Verschlechterung der Terms of Trade: Die Terms of Trade sind das in gleichen Währungseinheiten ausgedrückte Austauschverhältnis von Exporten und Importen eines Landes. Eine preisbezogene Verschlechterung der Terms of Trade bedeutet, dass ein Land für die gleiche Menge seiner Exportgüter (zum Beispiel Rohstoffe) nur eine geringere Menge seiner Importgüter (zum Beispiel Fertigwaren) beziehen kann, etwa weil die Preise seiner Importgüter stärker als die seiner Exportgüter gestiegen sind. Die Terms of Trade haben sich entsprechend der Zusammensetzung der Ex- und Importe für die einzelnen Entwicklungsländer und der zu Grunde gelegten Zeiträume sehr unterschiedlich entwickelt. Sie haben sich zum Beispiel für die Ölexportländer langfristig stark verbessert, während sie sich für die Rohstoffexporteure allgemein eher verschlechtert haben.
Hohe Auslandsverschuldung: Auslandsverschuldung ist grundsätzlich ein Mittel, den Engpass einer zu geringen Kapitalbildung im Inland durch Rückgriffe auf Auslandskapital zu mildern. Auf diese Weise kann ein Land sich über eigene Exporterlöse hinaus Devisen, also Geld in fremden Währungen, verschaffen, um zum Beispiel ausländische Investitionsgüter wie Maschinen zu importieren. Werden die ausländischen Kredite so verwendet, dass die damit bewirkte Produktions- und Exportsteigerung die für den Schuldendienst (Zinsen und Tilgung) erforderlichen Mittel übersteigt, erscheint die Kreditaufnahme für das Schuldnerland sinnvoll. In der Dritten Welt ist die Auslandsverschuldung seit den siebziger Jahren jedoch dramatisch angewachsen. Zu Beginn der achtziger Jahre führte sie in Verbindung mit ungünstigen weltwirtschaftlichen Bedingungen zum offenen Ausbruch der "Schuldenkrise", die auch westliche Gläubigerbanken mit hohen Kreditanteilen in der Dritten Welt zu ruinieren drohte.
Die wichtigsten Ursachen waren:
die Ölpreissteigerung für die ölimportierenden Entwicklungsländer;
der Preisverfall für wichtige Rohstoffe der Dritten Welt und zunehmende Handelshemmnisse der Industrieländer gegenüber Fertigwarenexporten;
zeitweilig extremer Zinsanstieg;
die unwirtschaftliche Verwendung von Kreditmitteln zum Beispiel für Prestigeobjekte oder Waffenkäufe.
Die Schulden der Entwicklungsländer
Die Schulden der Entwicklungsländer
Betrug die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer im Jahre 1980 nach Angaben der Weltbank 647 Milliarden US-Dollar, so erreichte sie 2001 2332 Milliarden US-Dollar. Der Grad der Verschuldung ist in der Dritten Welt sehr unterschiedlich. Spitzenreiter sind Brasilien (2001: 226 Milliarden US-Dollar), China (170 Milliarden), Mexiko (158 Milliarden), Russland (153 Milliarden) und Argentinien (137 Milliarden). Die absolute Höhe der Verschuldung sagt noch wenig über die Fähigkeit aus, den Schuldendienst zu leisten und die damit verbundene Belastung zu tragen. Aussagefähiger ist in dieser Hinsicht die Schuldendienstquote, die den Prozentsatz der Exporterlöse angibt, der für den Schuldendienst aufgebracht werden muss. Sie war nach Angaben der Weltbank für die Schuldenspitzenreiter 2001 sehr unterschiedlich: Brasilien lag bei 28,6 Prozent, China bei 4,2 Prozent, Mexiko bei 14,1 Prozent, Russland bei 12 Prozent und das in einer akuten Krise befindliche Argentinien bei extremen 48,6 Prozent.
Die Schuldendienstquote zeigt aber auch an, dass Länder, deren absolute Verschuldung auf den ersten Blick nicht besonders hoch erscheint, von der Last dieser Schulden erdrückt werden. So erreichte zum Beispiel das zu den ärmsten Entwicklungsländern zählende Sierra Leone 2001 untragbare 74,3 Prozent. Im regionalen Vergleich entfällt die höchste Verschuldung auf die wirtschaftlich relativ besser gestellten Entwicklungsländer Lateinamerikas und der Karibik. Sie wiesen 2001 knapp ein Drittel der Gesamtverschuldung sowie eine Schuldendienstquote von 19,4 Prozent auf. Gezielte Maßnahmen wie die Initiative gegen die Verschuldung der am stärksten betroffenen Entwicklungsländer (Highly Indebted Poor Countries, HIPC - hoch verschuldete arme Länder) haben zur Stabilisierung der Gesamtsituation beigetragen, ohne dass das Verschuldungsproblem als gelöst angesehen werden kann.
Ökologische Probleme
Vielfach hat die Dritte Welt mit ähnlichen Umweltproblemen zu kämpfen, wie sie aus den Industrieländern bekannt sind, insbesondere mit den Folgeproblemen von Industrialisierung, Verstädterung und chemiegestützter Landwirtschaft. Das Tempo dieser Veränderungsprozesse und der armutsbedingte Verzicht auf ökologische Auflagen und Schutzmaßnahmen führen aber zu einer enormen Verschärfung der Umweltprobleme. Hinzu kommt, dass es sich in der Dritten Welt teilweise um besonders empfindliche, störanfällige Ökosysteme handelt. Obwohl die agrarisch genutzte Fläche unter dem Bevölkerungsdruck in der Dritten Welt noch ausgeweitet worden ist, wurde sie gleichzeitig entwertet, und zwar durch Überweidung und das Vorrücken der Wüste (Desertifikation), die Abtragung fruchtbarer Erde (Bodenerosion) und Versalzung des Bodens, Waldvernichtung zugunsten landwirtschaftlicher Nutzung und Waldschädigung, zum Beispiel durch übermäßige Entnahme von Feuerholz.
Die tropischen Regenwälder, die auf nur noch etwa sechs Prozent der Erdoberfläche circa 40 Prozent der biologischen Artenvielfalt beherbergen, gehen aufgrund von Edelholzeinschlag und Brandrodung dramatisch zurück. Allein zwischen 1975 und 1990 sind mehr als 220 Millionen Hektar tropischer Wälder vernichtet worden. 1990 bis 1995 wurden jährlich 12,5 Millionen Hektar zerstört. Bei konstanten Rodungsraten wäre nach Auskunft der Food and Agriculture Organization (FAO) 2050 mehr als die Hälfte aller Tropenwälder verschwunden.
QuellentextKettensägenmafia
Nein, das Paradies ist das natürlich nicht. Aber Joao Alves Pinheiro ist ganz zufrieden mit seinen vier Hektar, die er seit zwei Jahren bebaut. Mit einem gewissen Stolz zeigt er seinen Reis vor, der trocken noch am Halm hängt, und seine Zwiebeln, seine Bananen, seinen Maniok. In jeder Ecke der palmstrohgedeckten Hütte brütet eine Henne. [...] Zum ersten Mal in seinem 62 Jahre langen Leben hat Joao Alves Pinheiro eigenes Land, eine weite, bebaute Lichtung fruchtbaren Bodens, um die der Urwald wie eine grüne Wand steht. [...]
Der Bauer [...] ist erst in den letzten Jahren nach Anapu gekommen. [...] Vor vier Jahren wurden hier 9400 Bewohner gezählt, heute leben wohl 25 000 Menschen in der nicht gerade idyllischen Siedlung an der Transamazonica, einer bis heute nicht asphaltierten Piste, die vor rund 30 Jahren zur Erschließung des Amazonasbeckens durch den damals praktisch noch intakten Urwald geschlagen wurde.
Und warum so ein gottverlassenes Nest plötzlich so attraktiv ist, zeigt eine andere Zahl: Vor ein paar Jahren hatte Anapu fünf Sägewerke, heute sind es zwei Dutzend. [...] Anapu liegt im östlichen Amazonasbecken, im Bundesstaat Pará, und in dessen Süden gehen die Holzbestände langsam zur Neige. So nahm in jüngster Zeit der Druck auf die nördlicheren Gefilde Parás zu: Neben der boomenden Holzwirtschaft waren es die Viehzüchter und ihre Ausfuhrerfolge - Brasilien ist der größte Rindfleischexporteur der Welt - , die eine massive Zuwanderung auslösten.
"Die Kleinbauern werden von dieser Entwicklung überrollt", sagt der deutsche Professor Thomas Mitschein, der an der Universität von Pará lehrt. [...]
Die staatliche Agrarreform-Behörde Incra hat 600 Familien Land zur Bewirtschaftung zugewiesen, das in der Nähe von schützenswerten, intakten Waldstücken liegt. "Die Kleinbauern bilden einen cordon sanitaire" - eine Art Schutzwall - "für den Primärwald" fasst Mitschein die Idee des Projektes zusammen.
Schön ist es hier draußen. Der Wald zeigt sich, jedenfalls dem Auge des Laien, als tropisches, intaktes Idyll - ein ehrwürdiges, spektakuläres Stück Natur, auch wenn er von Wegen durchzogen, von Weiden unterbrochen, von minderwertigen, weil jüngst nachgewachsenen Waldstücken durchsetzt ist. [...]
Das Modellprojekt findet die politische Unterstützung der linken Regierung in Brasilia, die Landreform-Behörde steht ebenso dahinter wie die Naturschutz-Verwaltung Ibama, und auch akademische Beobachter wie Mitschein halten es für hochinteressant.
Vor Ort dagegen schlägt dem Projekt erbitterter Widerstand entgegen. Es sind nicht nur [...] Holz-Mafiosi und Grundbesitzer, die entweder mit manipulierten Besitztiteln oder eben einfach mit nackter Gewalt gegen die Siedler vorgehen. Auch die Kommunalpolitiker, die sich Wachstum nur so vorstellen können, wie es bisher immer war: den Wald vernichtend eben - auch denen ist das Projekt verhasst. [...]
"Zehntausend Reais - ich bin nicht viel wert, finden Sie nicht?", fragt Dorothy Stang wie im Scherz. Aber lachen mag man darüber nicht: Diese Summe, etwa 3000 Euro, war dem Mann versprochen worden, der sie ermorden sollte. [...]
Zur Zeit, sagt sie, sind etwa zehn illegale Abholzer-Trupps in den 130000 Hektar des Projektgebietes, und Drohungen sind ebenso an der Tagesordnung wie schlichter Holz-Raub. Geschützt durch ihr Alter und ihren Status als Nonne, prangert sie die Übergriffe an, und dabei geht sie ihren Gegnern gehörig auf die Nerven. Ein Flugblatt denunziert sie als "Ausländerin", die "internationale Interessen" vertrete, und der Stadtrat von Anapu erklärte sie letztes Jahr zur "persona non grata", worauf ihr die Regierung von Pará die Ehrenbürgerwürde ostentativ verlieh - und sie die brasilianische Staatsbürgerschaft annahm. [...]
(Dorothy Stang wurde am 12. Februar 2005 ermordet - Anm. d. Red.)
Wolfgang Kunath, "John Lennon wehrt sich" in Frankfurter Rundschau vom 4. Dezember 2004.
Die Tropenwälder binden als "globale Lungen" unter anderem Kohlendioxid (CO2), und die Abholzung des Waldes ("Kahlschlag") trägt nach Meinung vieler Fachleute zur langsamen Klimaerwärmung bei. Dadurch werden wiederum niedrig gelegene Länder mit Überflutungskatastrophen ganz neuen Ausmaßes bedroht. Die starke Zunahme künstlich bewässerter landwirtschaftlicher Nutzflächen und die wachsende Verunreinigung und Vergiftung von Wasser führen zu einer gefährlichen Verknappung nutzbaren Wassers. Der immer kostbarer werdende Rohstoff Wasser, der durch grenzüberschreitende Flüsse verteilt wird, droht bei Eingriffen in den Naturkreislauf (zum Beispiel Stauwerke) zu gewaltsamen Konflikten zwischen Staaten zu führen.
Zu den wachsenden Umweltproblemen der Dritten Welt tragen häufig auch die Industrieländer direkt oder indirekt bei. So exportieren sie unter Ausnutzung der Notlage und vielfach mit Hilfe der Korruption gefährliche Abfallstoffe in Entwicklungsländer, um sie dort zu lagern. Mit einem Energie- und Rohstoffverbrauch, der pro Kopf gerechnet in den Industrieländern um ein Vielfaches höher liegt als in den Entwicklungsländern, geben die Industriestaaten darüber hinaus ein schlechtes Vorbild ab. Wenn Entwicklungsländern im Zuge globaler Umweltpolitik ökonomische Nutzungsverzichte (zum Beispiel zum Schutz der tropischen Regenwälder) zugemutet werden, ist es notwendig, sie dafür zu entschädigen.
Risikotrends der Bevölkerungsentwicklung
Eines der Schlüsselprobleme der Dritten Welt, das ihre Entwicklungschancen mindert, ist das starke Wachstum ihrer Bevölkerung seit dem 20. Jahrhundert. Der medizinische Fortschritt, insbesondere bei der Seuchenbekämpfung, hat auch in den Entwicklungsländern zu einem Rückgang der Sterbeziffer (Zahl der Verstorbenen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner) geführt. Anders als in den Industrieländern ist die Geburtenziffer aber nicht im entsprechenden Maße abgesunken, auch wenn sie rückläufig ist. Daher wächst die Weltbevölkerung derzeit jährlich noch um 1,6 Prozent, und die UN erwarten, dass sie von 6,3 Milliarden 2003 bis 2050 auf knapp neun Milliarden steigen wird. Dabei wird die Bevölkerung in den westlichen Industriestaaten etwa bei 1,1 Milliarden stagnieren, in Europa sogar zurückgehen. Der Bevölkerungszuwachs konzentriert sich in Zukunft also auf die Entwicklungsländer. Mit dem stärksten prozentualen Bevölkerungswachstum, einer Verdoppelung von 0,9 auf 1,8 Milliarden Menschen, ist in Afrika zu rechnen. Der Anteil der Entwicklungsländer an der Weltbevölkerung von etwa fünf Sechstel 2003 wird bis auf etwa sieben Achtel 2050 weiter ansteigen. Die Chancen und Risiken des Bevölkerungszuwachses werden unterschiedlich bewertet, wobei auch die verschiedenen Ausgangsbedingungen wie Bevölkerungsdichte und Verfügbarkeit von landwirtschaftlich nutzbaren Flächen eine Rolle spielen. Positiv wird das mit wachsender Bevölkerung größer werdende Potenzial an menschlicher Kreativität hervorgehoben. Auf der Negativseite stehen die mit einer großen Kinderzahl verbundenen Belastungen: Nahrungssicherung, Bereitstellung von Wohnungen und Schulen, die enormen Investitionen für die erforderlichen Arbeitsplätze und die Gefahr einer Überlastung der natürlichen Ressourcen. Das bisherige, durchaus beachtliche wirtschaftliche Wachstum der Dritten Welt hat sich aufgrund des Bevölkerungswachstums pro Kopf etwa halbiert. Die meisten Entwicklungsländer versuchen daher, das Bevölkerungswachstum zu verringern. Mögliche Mittel dafür sind die Heraufsetzung des Heiratsalters und die Verringerung der Geburtenzahl mit Hilfe verstärkter Familienplanung (Empfängnisverhütung). Die staatliche Steuerung in diesem intimen Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen ist jedoch umstritten.
Bisherige Erfahrungen zeigen, dass es für die Verringerung der Geburtenzahl auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen ankommt. Eine allgemeine Erhöhung der Lebensqualität, breitere Bildung, eine Verbesserung der Situation von Frauen, verringerte Kindersterblichkeit, eine nicht mehr allein auf eine große Kinderzahl gestützte Altersversorgung sind wichtige Faktoren. Notwendig sind aber auch Mentalitätsveränderungen, zum Beispiel weg von der Fixierung auf männliche Nachkommen. Die Erfolge der Bevölkerungspolitik, insbesondere der Rückgang der Kinderzahl pro Frau, fallen in den einzelnen Entwicklungsländern und Weltregionen sehr unterschiedlich aus - am geringsten sind sie in den Ländern Afrikas südlich der Sahara. Der Altersaufbau der Bevölkerung in den Entwicklungsländern - etwa die Hälfte ist unter 20 Jahre - sorgt dafür, dass die Zahl der Frauen, die in das gebärfähige Alter kommen, noch lange zunehmen wird.
Schnelle Verstädterung
Zu den Merkmalen der Dritten Welt gehört nicht nur das explosive Bevölkerungswachstum, sondern auch dessen ungleiche Verteilung zwischen Stadt und Land. Obwohl die Geburtenrate in den Städten der Entwicklungsländer meist geringfügig unter der ländlicher Regionen liegt, ist der Bevölkerungszuwachs in den Städten sehr viel größer. Dazu trägt wesentlich die Landflucht (Migration) gerade jüngerer Menschen in die Städte bei, die nach Schätzungen der Weltbank etwa 25 bis 30 Prozent des Zuwachses ausmacht. Auch wenn die Verstädterung nicht nur Nachteile hat - als vorteilhaft erweist sich die Konzentration von Wirtschaftsfaktoren mit geringen Transport- und Kommunikationskosten -, werden vor allem die Verwaltungen der Großstädte überfordert, wenn sie die nötigen städtischen Infrastrukturleistungen bereitstellen sollen. So entstehen Slums, steigen die Kriminalität und die ökologische Belastung. Dennoch bleiben die urbanen Ballungsräume für die mobilen Teile der Landbevölkerung attraktiv, da sie bessere Einkommens- und Arbeitsmöglichkeiten sowie eine vorteilhaftere Versorgung mit öffentlichen Leistungen bieten.
QuellentextWohnen im Slum
Im Zentrum Kalkuttas schlafen sie schichtweise in Lehmhöhlen, nicht viel größer als ein Sarg. Meist kaum mehr als fünf, sechs Stunden, dann muss der Platz geräumt werden für den nächsten in der Familie, der sein Ohr niederbetten will. In Kairo sind sie in der "Stadt der Toten" zu Hause, wie ein Friedhof dort genannt wird, auf dem sich die Ärmsten der Armen in Ermangelung jeglicher anderer Bleibe angesiedelt haben. So wie ihre Schicksalsgenossen auf den "intra-murios" von Rabat.
Sie wohnen in den "villas miserias" von Buenos Aires oder den "colonias populares" von Mexiko-Stadt. Oftmals in Hütten, gefertigt aus Abfallmaterial, deren mit Steinen befestigte Dächer aus Wellblech und Plastikplanen immer wieder vom nächsten Regensturm weggerissen werden. Von fließend Wasser und Strom, gar sanitären Anlagen oder geregelter Müllabfuhr können die meisten nur träumen, genauso wie von einem festen Einkommen. Ihre Zukunft besteht aus dem nächsten Tag, über den sie mit dem Minimum kommen müssen. Und oftmals ist es weniger als das.
Doch ihre Zahl wächst. Knapp ein Drittel der städtischen Weltbevölkerung lebt heute laut einem Bericht von UN-Habitat, dem Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen, in Slums. Das sind gut eine Milliarde Menschen, die ein Leben unter entwürdigenden Bedingungen fristen. Nahe Abfallhalden, giftigen Industrieanlagen und anderen Gefahrenzonen.
In den urbanen Zentren der unterentwickelten Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika beläuft sich ihr Anteil auf 75 Prozent. [...]Die Urbanisierung ging aber ohne industrielles Wachstum einher. Statt Jobs fanden immer mehr Elendsflüchtlinge allenfalls Nischen für ein kärgliches Überleben. [...]
Auf diese Weise entstand ein informeller Arbeitsmarkt, auf den inzwischen weltweit fast eine Milliarde Menschen angewiesen sind. Ein Subhandel, bei dem auf der untersten Ebene jeder fast alles verkauft, was sich bietet, um sich und die Seinen durchzubringen: einzelne Zigaretten, gegartes Essen, Abfallmaterialien, gar den eigenen Körper. Not macht erfinderisch, heißt es. In den Slums von Kinshasa etwa pflanzen viele wieder auf noch so kleinen Flächen Gemüse an. [...]
Inge Günther, "Der Slum-Planet" in: Frankfurter Rundschau vom 5. Januar 2005.
Grenzüberschreitende Migration
Neben der Binnenmigration haben auch grenzüberschreitende Wanderungsbewegungen zugenommen, beschleunigt in den 1990er Jahren. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der Migrantinnen und Migranten, die außerhalb ihres Geburtslandes leben, 2000 auf 175 Millionen Menschen (1990: 154 Millionen). Ziel der Arbeitsmigration sind vergleichsweise attraktive Entwicklungsländer - zum Beispiel Südafrika für Menschen aus seinen Nachbarstaaten, die arabischen Golfstaaten für Arbeitssuchende aus Ägypten -, überwiegend aber die Industrieländer (2000: 62 Prozent).
Angesichts aktuell wachsender eigener Probleme wie Arbeitslosigkeit hält eine zunehmende Zahl der Zielländer den Zustrom von Zuwandernden für zu hoch und versucht, ihn zu steuern und zu begrenzen. Dies trifft auch die Flüchtlinge unter den Migranten, die 2000 16 Millionen (neun Prozent) ausmachten. Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen größtenteils in ihreunmittelbaren Nachbarstaaten und stellen für diese häufig eine kaum tragbare zusätzliche Bürde dar. Weil die meisten Kriege auf der Südhalbkugel geführt werden, entfiel der größte Teil der Flüchtlinge 2000 auf Asien (neun Millionen) und Afrika (vier Millionen).
Mängel in Gesundheit und medizinischer Versorgung
Gesundheit ist ein zentrales Element für die Lebensqualität jedes Menschen und ein wichtiger Faktor für die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung. Die in der Regel deutlich schlechtere gesundheitliche Verfassung der Bevölkerung in der Dritten Welt wird beeinflusst von der Ernährung, aber auch von den Wohnverhältnissen, von hygienischen Bedingungen und insbesondere dem fehlenden Zugang zu ausreichenden Mengen sauberen Trinkwassers, vor allem auf dem Land.
Welt-Aids-Bilanz 2004
Welt-Aids-Bilanz 2004
Obwohl gerade bei der Bekämpfung von Epidemien in der Vergangenheit beachtliche Erfolge zu verzeichnen waren, stellen bestimmte Seuchen eine grenzüberschreitende Bedrohung dar, die wiederum am stärksten Entwicklungsländer trifft. Im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit steht die Immunschwächekrankheit HIV/Aids; auch Tuberkulose und Malaria haben wieder an Bedeutung gewonnen und fordern in der Dritten Welt Millionen von Opfern. Angesichts von bisher 20 Millionen Aids-Toten und 38 Millionen HIV-Infizierten sowie der bisher höchsten Zahl von Neuinfektionen 2003 stellte die Welt-Aids-Konferenz 2004 in Bangkok das bisherige Versagen im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit fest.
Am stärksten ist derzeit das südliche Afrika mit extremen HIV-Raten von 20 bis über 30 Prozent betroffen. Die stärksten Steigerungsraten zeigen sich dagegen in Osteuropa und in den bevölkerungsreichen Ländern Asiens, denen ein Anstieg von sieben Millionen Infizierten 2003 auf 17 Millionen 2010 prognostiziert wird. Da Aids vor allem über ungeschützte Sexualkontakte und verschmutzte Drogenspritzen verbreitet wird, trifft das Virus vorrangig die jüngere Bevölkerung. Der im südlichen Afrika bereits beobachtbare Ausfall der besonders aktiven Jahrgänge führt zu katastrophalen sozialen, ökonomischen und politischen Folgen.
QuellentextBedrohtes Botswana
[...] Bei seiner Unabhängigkeit vor 38 Jahren gehörte der 1,7 Millionen Einwohner zählende Staat von der Größe Frankreichs zu den ärmsten Nationen der Welt: Heute ist Botswana auf der UN-Entwicklungsskala der Spitzenreiter Afrikas. Ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von jährlich neun Prozent [...] katapultierte den Halbwüstenstaat im Volkseinkommen in die Kategorie der obersten Mittelklasse: Botswana ist heute der größte Diamanten-Produzent der Welt und der größte Rindfleischlieferant der EU.
Das Büro des Präsidenten befindet sich in einem unscheinbaren Gebäude im Schatten des glasverspiegelten Zentralbankpalastes von Gaborone. [...] Ein leise sprechender, leicht ergrauter Herr in einem holzpanellierten Raum von eher bescheidenem Ausmaß. "Da können wir doch nichts dafür!", lacht Festus Mogae auf die Frage, warum es der Opposition in 38 Jahren nie gelungen ist, in die Amtsstube des Präsidenten einzudringen. Mogae ist erst der dritte Staatschef Botswanas, wie seine beiden Vorgänger gehört auch er der Demokratischen Partei an. [...]
Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Staaten sind Wahlkämpfe in Botswana nicht mit knisternder Spannung, Massenkundgebungen oder gar blutigen Zusammenstößen verbunden. "Dass die Opposition auf keinen grünen Zweig kommt, hat sie nur sich selbst und ihrer Zersplitterung zu verdanken", sagt Mogae. "Wir haben noch niemals jemanden wegen seiner politischen Überzeugung eingesperrt." [...]
Dafür gab es bislang auch keinen Grund. Dass es in dem Land so verblüffend wenig Zündstoff gibt, ist nicht nur dem Umstand zu verdanken, dass Botswana im Gegensatz zu allen anderen von den Kolonialmächten abgesteckten Staaten Afrikas fast nur von einem Volk, den Tswana, bevölkert wird, sondern auch der Tatsache, dass die Demokratische Partei wenig Angriffsfläche bot. Botswana gilt wegen seiner Haushaltspolitik als vorbildlich: Der Staat hat praktisch keine Schulden, ein Drittel des Budgets wurde bislang für die Bildung seiner Bürger ausgegeben, kürzlich kürte Transparency International den Hort afrikanischer Saubermänner zum wenig korruptesten Staat des Kontinents. [...]
Doch hinter den Spiegelglaspalästen türmen sich Gewitterwolken auf. Zunächst beunruhigte die Botswaner, dass ihr Reichtum fast ausschließlich einer Laune der Natur, den am Rand der Wüste Kalahari gefundenen Diamanten, zu verdanken ist: ein Drittel des gesamten Bruttosozialproduktes wird mit dem Export des zu glitzernden Kristallen erhitzten und gepressten Kohlenstoffes erwirtschaftet. Eine derartige Abhängigkeit von nur einem (noch dazu unverarbeitetem) Wirtschaftsgut ist immer problematisch, vor allem, wenn dieser Industriezweig nicht einmal Arbeitsplätze schafft. [...] Fast 20 Prozent der Botswaner sind arbeitslos.
Festus Mogae, einst selbst bei der Weltbank tätig, weiß um die Schwäche seines Musterstaats und hat deshalb ein Programm zur Diversifizierung der Wirtschaft ins Leben gerufen. [...] Botswana hat tatsächlich alles, was für eine moderne Dienstleistungsgesellschaft nötig ist: Beste technologische Infrastruktur (alle Städte des Landes sind bereits mit Glasfaserkabel verbunden), ein stabiles politisches Klima und hervorragend ausgebildete Arbeitskräfte (fast jeder zwölfte junge Botswaner schließt seine Ausbildung mit einem Universitätsdiplom ab).
So weit so gut. Und jetzt die Hiobsbotschaft, die alles zunichte zu machen droht. Mit 38 Prozent der erwachsenen Bevölkerung hat Botswana eine der höchsten HIV-Infektionsraten der Welt: Ausgerechnet jener Schatz bestens ausgebildeter Landeskinder, in die eine vorbildliche Regierung ihr ganzes Vermögen investierte, droht von dem Virus vernichtet zu werden. [...]
Zunächst schaute auch die botswanische Regierung der um sich greifenden Pandemie so tatenlos zu wie die Staatschefs und Minister in den Nachbarstaaten. [...] Doch wieder einmal rang sich die botswanische Regierung zu einem Schritt durch, zu dem kein anderer afrikanischer Staat in der Lage war. Als erster Präsident des Kontinents ließ sich Festus Mogae öffentlich testen, um seinen Landsleuten als gutes Beispiel voranzugehen, während seine Regierung gleichzeitig beschloss, allen in Frage kommenden Infizierten in Botswana antiretrovirale Medikamente zu finanzieren. Die flächendeckende Versorgung ist zwar noch lange nicht perfekt. Doch wo die Pillen wie im Krankenhaus der Provinzstadt Serowe bereits ausgegeben werden, kommt wieder Hoffnung auf. [...]
Mogae ist überzeugt davon, dass mit der Ausgabe antiretroviraler Medikamente die richtige Marschroute eingeschlagen wurde: "Am Ziel sind wir damit allerdings noch lange nicht." [...]
Johannes Dieterich, "Afrikanischer Edelstein", in: Frankfurter Rundschau vom 30. Oktober 2004.
Das Beispiel HIV/Aids veranschaulicht die unzureichende medizinische Versorgung der Entwicklungsländer. Auch wenn es bisher keine Heilung von Aids gibt, können Medikamente den Ausbruch der Krankheit verzögern und Lebensqualität wie Arbeitsfähigkeit erhalten. Solche Medikamente stehen aber trotz politisch durchgesetzter Niedrigpreise und preiswerterer Nachahmerprodukte nur einem Bruchteil der Betroffenen in den Entwicklungsländern zur Verfügung. Allgemein ist die ärztliche Versorgung in den Entwicklungsländern viel schlechter als in den Industriestaaten, wobei noch die sehr ungleiche Verteilung zwischen Stadt und Land zu berücksichtigen ist.
Geringere Lebenserwartung
Als direkte Folge der Gesundheitsdefizite, aber auch größerer Gewaltbereitschaft, die sich in Kriminalität und ethnischen Konflikten äußert, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in der Dritten Welt mit 64 Jahren (2001) um 14 Jahre hinter den Industrieländern zurück. Dabei ist der zentrale Indikator Lebenserwartung in den meisten Entwicklungsländern nach 1945 deutlich gestiegen, vor allem aufgrund geringerer Kindersterblichkeit. Sein jetziges Durchschnittsniveau erreichten die heutigen Industriestaaten erst nach 1930. Andererseits hat insbesondere HIV/Aids die durchschnittliche Lebenserwartung in einigen Ländern deutlich herabgesetzt. Sie liegt in acht afrikanischen Staaten (wie zum Beispiel Botswana) nur noch bei knapp 40 Jahren.
Soziokulturelle Hemmnisse
Hierzu zählen die
starke Orientierung an Primärgruppen: Im Vergleich zu Industriestaaten gibt es in den Entwicklungsländern eine sehr viel engere Bindung an "Nahgruppen", insbesondere an die Großfamilie, aber auch an die ethnische Gruppe oder die Dorfgemeinschaft. Zwar hat dies durchaus positive Aspekte wie Altersversorgung und soziale Abfederung, doch die Folge ist auch eine geminderte Loyalität gegenüber "abstrakteren" Sozialgebilden wie dem Staat. "Besitzer" eines privilegierten Arbeitsplatzes, beispielsweise in der Verwaltung, sehen sich unter Umständen verpflichtet, für den Lebensunterhalt oder das "Unterbringen" einer Vielzahl Verwandter zu sorgen;
geringere soziale Mobilität: Sie ist in traditionellen Wert- und Verhaltensmustern verankert und teils religiös untermauert, wie zum Beispiel beim indischen Kastenwesen. Geringere soziale Mobilität wird häufig als Hemmschuh für den Entwicklungsprozess angesehen, aber die Verbreitung dieses Faktors und die Stärke seiner kulturellen Verankerung in der Dritten Welt sind umstritten;
Benachteiligung von Frauen: Mängel bei der Gleichstellung der Geschlechter gibt es auch in den Industriestaaten, aber in der Regel sind Frauen in den Entwicklungsländern wirtschaftlich, sozial, rechtlich und politisch erheblich stärker benachteiligt. Sie stellen zum Beispiel einen deutlich höheren Anteil unter den Ärmsten sowie den Lese- und Schreibunkundigen, und die Einschulungsrate von Mädchen ist in der Dritten Welt niedriger als die von Jungen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen hat einen geschlechtsbezogenen Entwicklungsindex (Gender Development Index - GDI) entwickelt, der für die Entwicklungsländer zwar im Zeitverlauf deutlich verbesserte Werte anzeigt, aber gegenüber den Werten der Industrieländer deutlich abfällt. Wird die Möglichkeit der Frauen in den Industriestaaten zur aktiven Vertretung ihrer Interessen, zum Beispiel ihre Rolle in der Politik, einbezogen, ist die geschlechtsbezogene Ungleichheit noch größer. Dabei spielen Frauen eine Schlüsselrolle im Entwicklungsprozess, und zwar nicht nur für Familienplanung, Kindererziehung, Gesundheit und Hauswirtschaft, sondern auch bei der wirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, insbesondere in der Subsistenzwirtschaft, der Erzeugung von Produkten für den unmittelbaren Eigenverbrauch. Entwicklungschancen sind daher in hohem Maße mit einer Verbesserung der Situation von Frauen verknüpft. Vor allem gilt es, die gröbsten Diskriminierungen zu beseitigen und in mehr Chancengleichheit zu investieren.
QuellentextFrauen in Afrika
Sie säen, jäten, ernten. Sie gebären die Kinder und ziehen sie groß. Sie kochen und waschen. Sie pflegen die Alten und Aids-Kranken. Und nebenbei flicken sie das undichte Hüttendach und verdienen durch Perlenstickereien das Schulgeld für die Kinder.
Oft müssen die Frauen die Rolle der Alleinernährer ihrer Großfamilie übernehmen, weil die Männer im Krieg sind oder als Wanderarbeiter in den Städten und Industriezentren ihr Glück suchen und höchstens einmal im Jahr heimkommen. Weil sie vor der Verantwortung davongelaufen sind. Oder weil sie einfach in der nächsten Buschbar herumhängen und Palmwein saufen. Und da inzwischen die Mädchen und Frauen fast alles allein machen, wird die traditionelle Subsistenzwirtschaft manchmal auch »weibliche Landwirtschaft« genannt.[...]
Die Statistik lässt den zynischen Schluss zu, dass die Mehrzahl der Afrikaner längst verhungert wäre, wenn die Afrikanerinnen nicht Hand anlegten: Sie erzeugen rund 80 Prozent der Nahrungsmittel.
Aber die Internationale der Helfer entdeckte die Frauen Afrikas erst in den achtziger Jahren - als bessere Partner(innen) in der Entwicklungsarbeit.
Im Laufe der Zeit hat es sich sogar bis zur Weltbank herumgesprochen: Frauen haben das Gemeinwohl im Sinn, sie sind zuverlässiger, kooperativer und weniger bestechungsanfällig. Heute gilt ihre Förderung als Schlüssel zu nachhaltiger Entwicklungshilfe. Die Armut im Süden, heißt es unisono, lasse sich nur reduzieren, wenn die Frauen gestärkt werden. Ohne sie bleiben die schönsten Familienplanungen utopische Entwürfe. Der Kampf gegen Epidemien wäre schon verloren, ehe er begonnen hat. Und wer würde die Ressourcen zu schützen versuchen, wenn nicht die Frauen aus Fürsorge für die Kinder und Kindeskinder? [...]
In althergebrachten Institutionen wie dem Ältestenrat oder dem Dorfpalaver haben Frauen keine Stimme. Land besitzen sie in der Regel nicht, es wird von Vater zu Sohn vererbt. Vielerorts können sie nicht einmal mitreden, an wen und wann sie verehelicht werden. Alle Machtmittel, alle Ressourcen sind in der Hand der Männer. Und allerorten leiden die Frauen unter ihrer Brutalität. Südafrika verzeichnet die höchsten Vergewaltigungsraten der Welt. Im Sudan werden junge Frauen verschleppt und als Sexsklavinnen missbraucht, in Uganda rekrutieren Rebellen kleine Mädchen als Kindersoldaten. Mütter und Kinder sind die ersten Opfer bei Kriegen, Vertreibungen, Hungersnöten oder Naturkatastrophen. Auch die verheerende Aids-Pandemie trägt immer weiblichere Züge; mehr Frauen als Männer sind infiziert, mehr Frauen sterben an der Immunschwächekrankheit. Dennoch beharren die Männer auf ihren Sexualpraktiken, fast alle lehnen Kondome ab, manche erzwingen den Beischlaf mit Jungfrauen - imIrrglauben, das schütze vor dem Virus.
Aber es gibt immer mehr Frauen, die sich das nicht mehr gefallen lassen. Sie kämpfen an allen Fronten, für die Abschaffung der patriarchalischen Eigentumsrechte, für den Zugang zu Investitionskrediten, für eine bessere Schulbildung ihrer Kinder, für ein Gesundheitssystem, das den Namen verdient, für Mitspracherechte in der Politik. [...] In manchen Ländern haben die Afrikanerinnen inzwischen Fortschritte gemacht, um die sie die erlahmende Frauenbewegung des Nordens schon beneiden kann. In Südafrika ist die Hälfte des Kabinetts weiblich, vier von neun Regierungschefs der Bundesländer sind Regierungschefinnen; [...].
Mehr Führungsämter bedeuten allerdings keineswegs automatisch mehr Macht für die Frauen - oft ist ihre Ernennung ein politisch korrektes Mäntelchen für die alte Männerherrschaft. Überdies sollten sich naive Feministinnen in Europa davor hüten, ihre Schwestern in Afrika zu idealisieren. [...]
Afrikanische Frauen können so machtgierig, bestechlich und skrupellos sein wie afrikanische Männer. Man muss nur einmal gesehen haben, wie Madame Bedié, vormals First Lady in Côte d'Ivoire, an der Spitze ihres Hofstaats zu einer Modenschau in Abidjan segelte. Die unersättliche Grace Mugabe, Gespons des simbabwischen Despoten Robert Mugabe, ist eine typische Repräsentantin jener luxussüchtigen Matronen, die zum Shoppen nach London oder Paris jetten. [...] Gar nicht zu reden von der Präsidentengattin Agathe Habyarimana, der Lady MacBeth beim Genozid in Ruanda, und von den Mörderinnen aus dem einfachen Volk, den Hutu-Müttern, die Tutsi-Kinder wie junge Katzen ertränkten.
Auch solche Frauen finden sich zwischen Khartoum und Kapstadt. Aber ihr Anteil an den Grausamkeiten, der Habgier und Selbstzerstörung Afrikas ist so gering wie der Prozentsatz weiblicher Straftäter in den Kriminalstatistiken des Kontinents. Sind also die Probleme Afrikas männlich und die Lösungen weiblich? Man muss nicht so weit gehen wie radikale Entwicklungshelferinnen. Aber die Frauen tragen die Hoffnungen Afrikas. [...]
Bartholomäus Grill, "Die Stellvertreterin", in: Die Zeit Nr. 43 vom 14. Oktober 2004
Politische Strukturschwächen
Defizite in good governance
Good governance wird meist mit "gute Regierungsführung" oder "verantwortungsvolle Staatsführung" übersetzt und ist ein relativ weit gefasstes Konzept. Die Europäische Union hat es wie folgt umschrieben: "In diesem Sinne zeichnet sich eine verantwortungsvolle Staatsführung durch Transparenz, Verantwortungsbewusstsein, Partizipation, Gerechtigkeit und Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aus. Sie umfasst das gesamte staatliche Handeln gegenüber der Zivilgesellschaft, einschließlich der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und der gerechten Verteilung der Ressourcen." Seit Ende der 1980er Jahre spielt good governance als Voraussetzung für Entwicklung eine wachsende Rolle.
Teufelskreise der Armut
Teufelskreise der Armut
Der "Wind des Wandels" hat insbesondere in den 1990er Jahren dazu geführt, dass die Zahl der demokratischen Regime auch in der Dritten Welt deutlich zugenommen hat. 2001 galten von 191 Staaten 118 und damit die Mehrheit als demokratisch regiert. Die Durchführung von Wahlen und der formale Status als Demokratie bedeuten allerdings noch keineswegs, dass die anspruchsvollen Anforderungen von good governance erfüllt sind. Dies zeigt sich auch bei den folgenden beiden Konkretisierungen.
Verletzung der Menschenrechte: In der Abschlusserklärung der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 heißt es in Artikel 5: "Alle Menschenrechte- sind universell, unteilbar, bedingen einander und hängen miteinander zusammen." Gleichwohl gibt es bereits Streit über den Rang unterschiedlicher Rechte. Politische Freiheitsrechte spielen in der westlichen Tradition im Verhältnis zu wirtschaftlichen und sozialen Grundrechten oder gar zu Gruppenrechten auf Entwicklung eine herausgehobene Rolle. Asiatische Regierungen berufen sich dagegen auf einen angeblich in ihrer Tradition verankerten Vorrang von Staat und Gesellschaft gegenüber individuellen Freiheitsrechten. Aber selbst wenn über die Anerkennung von grundlegenden Menschenrechten theoretisch Einigkeit besteht und die Regierungen sich zu deren Einhaltung vertraglich verpflichtet haben, bedeutet dies für die Praxis noch wenig. Wie die Berichte der Nichtregierungsorganisation Amnesty International belegen, ist Folter in vielen Staaten der Erde verbreitet, wiederum mit Schwerpunkt in Entwicklungsländern.
Korruption: Bestechung ist auch in Industriestaaten nicht unbekannt. In der Dritten Welt ist sie eher der Regelfall. Korruption begünstigt diejenigen, die bestechen können, und damit in der Regel Reiche und Privilegierte. Dazu gehören nicht zuletzt auch Akteure aus Industriestaaten, zum Beispiel Unternehmen. Ein weiterer schwer wiegender Nachteil ist der Verlust von Vertrauen in die Verwaltung und allgemeiner der Verlust von Legitimität des Staates bei den benachteiligten Bevölkerungsteilen. Weiter gefasst ist der Staat in der Dritten Welt häufig zum ökonomischen Beuteobjekt einer politischen Elite geworden - zulasten der Entwicklungschancen.
Gewaltsame Konflikte und hohe Rüstungsausgaben: Gewaltsam ausgetragene Konflikte sind keineswegs ein "Monopol" der Entwicklungsländer, aber die Bevölkerung in der Dritten Welt hat unter zwischenstaatlichem und innerstaatlichem Gewalteinsatz sehr viel stärker zu leiden als die der Industrieländer. So sind zum Beispiel allein zwischen1990 und 2001 57 größere bewaffnete Konflikte in 45 Orten/Regionen gezählt worden. Der Schwerpunkt liegt in Subsahara-Afrika, aber keine Entwicklungsregion der Erde ist verschont geblieben. Schätzungsweise starben dabei rund 3,6 Millionen Menschen. Besonders schockierend ist, dass es sich bei vermutlich über 90 Prozent der Opfer um Zivilpersonen handelt und von diesen wiederum wenigstens die Hälfte Kinder sind. Eine wichtige Ursache ist sicher in der schon genannten politischen Struktur - autoritäre und zugleich schwache Staaten mit hohem Gewalteinsatz und mangelnder Stabilität bis hin zu nicht mehr existenten staatlichen Institutionen (failed states) - der Entwicklungsländer zu suchen. Häufig waren an den Konflikten direkt oder zumindest indirekt auch die Industriestaaten beteiligt. Eine indirekte Beteiligungsform ist der Rüstungsexport. In einer Reihe von Entwicklungsländern, zum Beispiel Brasilien, ist aber auch eine eigene Rüstungsindustrie aufgebaut worden. Diese Länder sind inzwischen selbst am Waffenexport in andere Staaten der Dritten Welt beteiligt, und einige Entwicklungsländer geben für ihre Bewaffnung einen höheren Haushaltsanteil aus als für Gesundheit und Erziehung zusammen.
Viele der genannten Merkmale beeinflussen sich gegenseitig so, dass sie sich ringförmig verstärken ("Teufelskreise").
Ursachendiskussion
Die benannten Probleme werfen die Frage nach den Ursachen der Entwicklungsdefizite auf. Die wichtigsten Erklärungsversuche werden im Folgenden kurz diskutiert, wobei zur besseren Orientierung eine grobe Dreiteilung verwendet wird.
Natürliche Gegebenheiten
Sie stellen Potenziale dar, die die Menschen bereits als vorgegebene Bedingungen vorfinden. Als mögliche Ursachen der Unterentwicklung werden in diesem Zusammenhang genannt:
Rohstoffmangel: Unbestreitbar beeinflusst das Vorhandensein von natürlichen Rohstoffen die Entwicklungsmöglichkeiten, wie das Beispiel der finanzstarken arabischen Ölexportländer zeigt. Doch schon die Tatsache, dass sich rohstoffarme (zum Beispiel Taiwan, Schweiz) wie -reiche Länder (Zaire, Kanada) sowohl unter den Entwicklungs- als auch unter den Industrieländern befinden, macht deutlich, dass mangelnde Rohstoffausstattung schwerlich als Hauptursache der Unterentwicklung angesehen werden kann.
Ungünstiges Klima: Auch das Klima ist ein entwicklungspolitischer Einflussfaktor, indem es zum Beispiel die landwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten mitbestimmt. Extrem "menschenfeindliches" Klima wie in Wüsten oder im "ewigen Eis" beeinträchtigt die Entwicklungschancen. Es kann sich entwicklungsfördernd - zum Beispiel in gemäßigten Breiten - oder entwicklungshemmend - zum Beispiel in den Tropen - auswirken. Dennoch zeigt sich im systematischen Vergleich, dass ähnliche klimatische Bedingungen keineswegs automatisch den gleichen Entwicklungsstand zur Folge haben.
QuellentextNigerianisches Paradoxon
Heute leben rund zwei Drittel der Nigerianer unter der Armutsgrenze; die Infrastruktur ist zerfallen, Korruption ist allgegenwärtig, immer wieder brechen gewaltsame Konflikte in verschiedenen Landesteilen auf. Sinnbilder des nigerianischen Paradoxons sind die häufigen Stromausfälle und Krisen in der Benzinversorgung beim größten Ölexporteur Afrikas.
Nigeria steht mit diesen Problemen nicht allein. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg in Angola, Staatszerfall in der Republik Kongo, Massenverarmung in eigentlich reichen Ländern: Warum leiden ausgerechnet diejenigen Staaten des Kontinents, die über große Vorkommen an natürlichen Ressourcen verfügen, besonders drastisch an Unterentwicklung, Korruption und Gewalt?
Der Grund dafür, so der inzwischen breite Konsenz unter Entwicklungsökonomen und Sozialwissenschaftlern, liegt im Charakter der Öleinnahmen. Lizenzgebühren, Steuern und andere Einnahmen, die Regierungen aus der Förderung von Rohstoffen beziehen, sind im ökonomischen Sinn "Renten": Einnahmen, die ein Staat aus Besitz oder Kontrolle von Gütern erzielt, ohne dass ihm Kosten für deren Bereitstellung entstehen. Die Erdölförderung in Afrika - kapitalintensiv durch internationale Konzerne betrieben und mit geringen inländischen Beschäftigungs- und Vernetzungseffekten - hat krasse Beispiele regelrechter "Rentenstaaten" hervorgebracht.
Das Vorhandensein von Rohstoffrenten stellt eine Einladung zur wirtschaftspolitischen Verantwortungslosigkeit dar. Statt eine nachhaltige Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zu verfolgen, die Preisschwankungen und Begrenztheit der Ressourcen berücksichtigt, investieren Regierungen in unrealistische Großprojekte. Sie bauen langfristig nicht zu unterhaltende Infrastrukturen auf und erweitern die Staatsapparate - und sei es nur zur Ruhigstellung der Bevölkerung. Politik im Rentenstaat rotiert um die Verteilung des neuen Reichtums.
Weil Regierungen einen bequemen zentralen Zugriff auf Rohstoffrenten besitzen, stärken Öleinnahmen autoritäre Regimes - ein Zusammenhang, den Ökonomen inzwischen empirisch nachgewiesen haben. Zugleich fördern Rohstoffrenten die Korruption innerhalb der Staatsapparate selbst, stellen sie doch die einzige Quelle von Wohlstand im Rentenstaat dar. Öleinnahmen in Afrika, so das Fazit, korrodieren staatliche Institutionen und gefährden die Demokratie.
Nigeria belegt seit Jahren Spitzenplätze in der von Transparency International erstellten Liste der korruptesten Länder der Welt, und dies trotz der erklärten Antikorruptionspolitik der Zivilregierung. Wie die Wahlen im Frühjahr 2003 erneut zeigten, bedeutet Politik in Nigeria vor allem Wettbewerb um die Aufteilung des zu 80 Prozent aus Öleinnahmen gespeisten "nationalen Kuchens". In diesem Verteilungskampf investieren "politische Unternehmer" hohe Einsätze; im Erfolgsfall refinanzieren sie sich und ihre Unterstützer aus Staatsgeldern. Korruption, obwohl vielfach beklagt, gilt als unvermeidbarer Bestandteil des Lebens - als "nigerianischer Faktor". Es fällt schwer, den korrupten kleinen Beamten zu kritisieren, wenn hohe Beamte und Politiker Millionenbeträge stehlen und allenfalls in Ausnahmefällen dafür bestraft werden. Das Herzstück des Rentenstaates, die mehrheitlich im Regierungsbesitz befindliche Nigerian National Petroleum Corporation, ist ein undurchdringlicher Dschungel aus Korruption und Ineffizienz. [...]
Immerhin haben lokale und internationale Akteure die Problematik erkannt. Inzwischen gibt es eine Reihe von Initiativen, sie auch anzugehen. Zwei Gruppen von Ansätzen lassen sich unterscheiden. Die erste will die Transparenz und Rechenschaftsbelegung von Öleinnahmen verbessern. [...]
Die zweite Gruppe von Konzepten zielt auf Veränderungen bei der Verwendung und Verteilung der Öleinnahmen selbst. [...]
Beide Ansätze zur Lösung des Ressourcen-Paradoxons - Verbesserung der Transparenz beziehungsweise Umverteilung - können nicht allein auf Regierungsebene realisiert werden. Die Erfahrungen des IWF in Angola zeigen, dass der Druck internationaler Finanzinstitutionen - so mächtig sie auch oft erscheinen - zwar eine begrenzte Offenlegung, aber keine wirkliche Verbesserung der Regierungspolitik erzwingen kann. Es bedarf der Zusammenarbeit von Regierungen, internationaler Firmen und afrikanischer zivilgesellschaftlicher Gruppen, um Fortschritte zu erzielen. [...]
Axel Harneit-Sievers, "Der Fluch des schwarzen Goldes", in: Das Parlament Nr. 10 vom 1. März 2004.
Innere Ursachen
Darunter werden Erklärungsansätze verstanden, die beim menschlichen Verhalten in Gesellschaften beginnen.
Sonst wächst die Weltbevölkerung
Sonst wächst die Weltbevölkerung
Bevölkerungswachstum: Starker Bevölkerungszuwachs belastet viele Entwicklungsländer, weil er unter anderem auch deren Wohlstandsgewinne aufzehrt. Eine Rückführung der Geburtenziffer setzt Verhaltensänderungen der Bevölkerung voraus. Da es in der Dritten Welt aber auch Staaten geschafft haben, einen hohen Bevölkerungszuwachs mit wirtschaftlichen Verbesserungen zu verbinden, ist festzuhalten: Der Bevölkerungsanstieg verhindert Entwicklung nicht, muss aber als eher belastender Faktor gewertet werden. Bei der Frage nach dem Zusammenhang von Bevölkerungszuwachs und Entwicklungsstand hat sich erwiesen, dass Fortschritte bei der wirtschaftlichen Entwicklung nach den bisherigen Erfahrungen die Geburtenrate verringert haben.
Kapitalmangel: Häufig sind in der Dritten Welt Kapitalmangel und damit verbundene unzureichende Sachinvestitionen anzutreffen und als zentrale Ursachen des wirtschaftlichen Entwicklungsrückstandes gegenüber den Industrieländern angegeben worden. Anreize für eine höhere Sparbereitschaft und die Kapitalanlage im Inland (Verhinderung von Kapitalflucht, Anlocken von Auslandskapital) können die Situation jedoch verbessern. Andererseits belegen die einkommensstarken Ölexportländer, dass Verfügung über Kapital nicht unbedingt eine breit angelegte gesellschaftliche Entwicklung garantiert.
Traditionsorientierte Kultur und Wertordnung: Für die wirtschaftlichen Entwicklungsdefizite, etwa das Fehlen einer schöpferischen, änderungswilligen Unternehmerschicht, werden häufig die traditionsorientierten gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die religiösen Traditionen, verantwortlich gemacht. Sie als entscheidendes Entwicklungshemmnis zu benennen, ist jedoch nicht haltbar. Vielmehr gilt es, die Anpassungsfähigkeit und das Entwicklungspotenzial der einzelnen Religionen im Zusammenhang mit den jeweils besonderen gesellschaftlichen Verhältnissen zu untersuchen und den Einfluss der jeweiligen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu berücksichtigen. Eine "positiv" gemeinte, gleichwohl höchst problematische Position macht für den Modernisierungrückstand der Entwicklungsländer pauschal andere Wertmaßstäbe der Bevölkerung in der Dritten Welt verantwortlich: Diese räume etwa der freien Verfügung über Zeit einen viel höheren Stellenwert ein als materiellen Gütern, sie sei "arm, aber glücklich". Für die meisten Menschen in Entwicklungsländern ist im Gegensatz dazu eine "Revolution der steigenden Erwartungen" zu beobachten: Bezugspunkte sind häufig Lebensstandards und Konsummuster der Industrieländer, zu deren Verbreitung der internationale Tourismus und der weltweite Einsatz von Massenmedien beigetragen haben.
Äußere Ursachen
Als dritter Erklärungsversuch für Unterentwicklung gelten äußere Ursachen. Gemeint sind Einflüsse, die vom Umfeld der Entwicklungsländer, die ja Teil des internationalen Systems sind, ausgehen. Dabei sollen drei besonders umstrittene Thesen diskutiert werden.
Kolonialismus: Von wenigen Ausnahmen - zum Beispiel Äthiopien und Liberia - abgesehen wurden die Länder der Dritten Welt im Zeitalter des Kolonialismus durch die Kolonialmächte ihrer politischen, ökonomischen und soziokulturellen Selbstständigkeit beraubt. Die "Mutterländer" richteten ihre Kolonien auf ihre Interessen aus und zwangen sie in eine ungleiche internationale Arbeitsteilung hinein. Dem standen zwar auf der Habenseite eine verbesserte Infrastruktur (Straßen- und Schienennetz) sowie medizinische und technische Neuerungen gegenüber, auch wenn sie ursprünglich dem Eigeninteresse der Kolonialmächte entsprungen waren. Dennoch vertreten einige Autoren die Ansicht, die Entwicklung der Industrieländer sei auf Kosten der Entwicklungsländer erfolgt, die Entwicklungsländer seien also "unterentwickelt worden". Fraglos wirken Strukturen der kolonialen Vergangenheit in vielen, längst unabhängig gewordenen Entwicklungsländern bis heute nach - zum Beispiel Monokulturen und willkürliche Grenzziehungen. Dennoch wird die Erblast des Kolonialismus heute zunehmend weniger als Hauptursache der Unterentwicklung angesehen. Ein Argument gegen diese Sichtweise ist unter anderem die sehr unterschiedliche Entwicklung sowohl der früheren Kolonien - zum Beispiel der ehemaligen britischen Kolonien Australien, Singapur, Indien und Uganda - als auch der früheren Kolonialmächte, zum Beispiel Portugals auf der einen, Großbritanniens auf der anderen Seite. Die Schuldzuweisung an den Kolonialismus wird aber häufig mit anderen Aspekten äußerer Verursachung verknüpft.
Außenwirtschaftliche Ausbeutung: Unabhängig von den schon bei den Merkmalen und Problemen der Dritten Welt genannten Terms of Trade wird die auf Rohstoffe konzentrierte Exportstruktur der Entwicklungsländer als nachteilig hervorgehoben, weil bei den überwiegend von den Industrieländern hergestellten und exportierten Fertigwaren die größeren Lerneffekte, technologischen Fortschritte und Verdienstspannen anfielen. Es handele sich also um ein ungleiches Warenaustauschverhältnis zu Lasten der Dritten Welt. Dagegen spricht zwar der Erfolg wichtiger Rohstoffexporteure wie Australien und Kanada, gleichwohl sind die außenwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern durchaus in mancher Hinsicht problematisch und änderungsbedürftig.
Strukturelle Abhängigkeit: Umfassender als die These der außenwirtschaftlichen Benachteiligung oder gar Ausbeutung ist die der strukturellen Abhängigkeit. Die Dependenztheorien (von span.: Dependencia, Abhängigkeit) sind ursprünglich in Südamerika entwickelt worden. Sie besagen, auch nach der formalen politischen Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien seien die Entwicklungsländer in ein internationales System eingebunden, dessen Struktur weiterhin durch eine "strukturelle Abhängigkeit" der Dritten Welt (auch als Peripherie bezeichnet) von den industriellen Zentren (auch Metropolen genannt) gekennzeichnet sei. Die Dritte Welt werde mit Hilfe dieser Strukturen weiter "unterentwickelt gehalten". Das gelte nicht nur für den ökonomischen, sondern auch für den kulturellen Bereich. So seien die politischen Eliten der Entwicklungsländer nach Ausbildung, Lebensführung und Interessenlage "Brückenköpfe" der Metropolen. Die teilweise spektakulären Erfolge von Entwicklungsländern mit starker Exportorientierung - das am intensivsten diskutierte Beispiel sind die vier "kleinen Tiger" in Südostasien - hat wichtige Verfechter dieser These allerdings zu einer veränderten Einschätzung veranlasst.
Diskussionsstand
Die behandelten Ursachenannahmen können zweifellos zur Analyse möglicher Entwicklungshemmnisse beitragen. Aber in der Regel wird eine Mischung verschiedener Ursachen anzunehmen sein, wobei die Bestimmung des Mischungsverhältnisses für jedes Entwicklungsland individuell ausfällt und schwerlich für die Dritte Welt als Ganzes gelten kann.