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Entwicklungspolitik unter veränderten Rahmenbedingungen

Uwe Andersen

/ 6 Minuten zu lesen

Das Ende des Zweiten Weltkrieges war ein wichtiger Einschnitt für das internationale System. Mit ihm verbanden sich neue Hoffnungen auf eine freiheitliche, friedliche Zukunft der Menschheit, auf Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung. Die überhöhten Erwartungen wurden schnell enttäuscht. Das internationale System sollte für fast 50 Jahre von zwei grundlegenden internationalen Konflikten beherrscht werden: Im "Ost-West-Konflikt" standen den marktwirtschaftlich organisierten, pluralistischen Demokratien des Westens die planwirtschaftlich organisierten, kommunistischen Volksdemokratien des Ostens gegenüber. Der "Nord-Süd-Konflikt" entzündete sich am Gegensatz zwischen den ökonomisch weiterentwickelten marktwirtschaftlichen oder planwirtschaftlichen Industrieländern, die sich überwiegend auf der nördlichen Erdhälfte befinden, und den meist im Süden gelegenen Entwicklungsländern.

Beim Ost-West-Konflikt handelte es sich primär um einen Wertekonflikt zwischen den kommunistischen Vorstellungen und den westlichen, stark auf individuellen Freiheitsrechten und Wettbewerb basierenden Überzeugungen. Im Nord-Süd-Konflikt ging es dagegen vor allem um die grundlegende Verteilung von materiellen Ressourcen und Lebenschancen.

Ost-West- und Nord-Süd-Konflikt hingen schon deshalb zusammen, weil der aus dem Ost-West-Konflikt resultierende "Wettkampf der Systeme" nicht zuletzt im Süden ausgetragen wurde. Die konkurrierenden Blöcke suchten unter den Entwicklungsländern Verbündete. Sie nutzten Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe auch als Instrument der jeweiligen Blockinteressen.

Die Entwicklungsländer, die mit der fortschreitenden Entkolonialisierung an Gewicht gewannen und bald die große Mehrheit der Mitglieder in den Vereinten Nationen (United Nations, UN) stellten, arbeiteten teilweise eng mit einem der beiden Blöcke zusammen. Ein anderer Teil versuchte, mit einem "Schaukelkurs" die Rivalität der Blöcke auszunutzen. So unterstützte zum Beipiel der Westen nach dem Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund" strategisch wichtige Entwicklungsländer des eigenen Blocks auch dann, wenn es sich um blutige und korrupte Diktaturen handelte, die die Entwicklungschancen des jeweiligen Landes behinderten.

Eine dritte Teilgruppe strebte nach "Blockfreiheit" zwischen Ost und West und bemühte sich, die Entwicklungsinteressen des Südens als Thema auf die internationale Tagesordnung zu setzen. Schon während der Vorherrschaft des Ost-West-Konflikts gab es allerdings Stimmen, die längerfristig den Nord-Süd-Konflikt für die bedeutendere, grundlegendere Konfliktlinie des internationalen Systems hielten.

Zeitenwende 1989

Karikatur: Entwicklungshilfe

Der klassische Ost-West-Konflikt endete 1989 bis 1991 mit dem politischen und ökonomischen Bankrott der meisten kommunistischen Regime. Der Ostblock und seine Führungsmacht Sowjetunion brachen auseinander. Diese Vorgänge veränderten das internationale System: Wieder waren mit einer Zeitenwende euphorische Hoffnungen verbunden,die sich schnell als zu optimistisch und illusionär erwiesen.

Der Wegfall des Ost-West-Konflikts hatte- auf den Nord-Süd-Konflikt folgende - positive wie negative - Auswirkungen:

  • Vom Ost-West-Konflikt abgeleitete "Stellvertreterkriege" zwischen und innerhalb von Entwicklungsländern wurden ebenso überflüssig wie die mit "Blockrücksichten" entschuldigte Unterstützung menschenverachtender Diktaturregime. Umgekehrt verbesserten sich die Chancen, gegenüber den Regierungen von Entwicklungsländern Mindestbedingungen wie Einhaltung der Menschenrechte, Kampf gegen Korruption sowie Entwicklungsengagement zu fordern und die Einhaltung dieser Standards an die Weiterleistung von Entwicklungshilfe zu knüpfen. Andererseits hatte die "Blockdisziplin" auch zur Unterdrückung und Eingrenzung inner- und zwischenstaatlicher Konflikte beigetragen, die sich nunmehr verschärften und teilweise gewaltsam ausgetragen wurden.

  • Die "Schaukeldividende" des Kalten Krieges entfiel, das heißt strategisch interessante Entwicklungsländer konnten Ost und West nicht länger zum eigenen Vorteil gegeneinander ausspielen. Zudem brach die Entwicklungshilfe der Ostblockstaaten ein, die allerdings von bescheidener Größenordnung und zudem auf "sozialistische", blockangehörige Entwicklungsländer wie Kuba und Nordkorea konzentriert gewesen war. Die erhoffte "Friedensdividende" - Umschichtung von Verteidigungsausgaben zur Entwicklungshilfe - kam dem Süden dagegen angesichts wachsender Probleme auch im Norden nicht zugute. Hinzu kam, dass nun ein Teil der früheren Ostblockländer um die Mittel des Westens konkurrierte. Die aus guten Gründen geleistete "Ost-Hilfe" ging real zu Lasten der "Süd-Hilfe".

  • Mit dem Kommunismus scheiterte auch das zentralistisch-planwirtschaftliche Entwicklungsmodell der Ostblockstaaten, das mit starkem staatlichem Zwang gearbeitet hatte. Dies führte zu grundlegenden Veränderungen sowohl in der entwicklungspolitischen Strategie vieler Entwicklungsländer und ihrer Träger als auch in der wissenschaftlichen Diskussion der Entwicklungstheorie.

Globalisierung

Verflechtung des Welthandels

Mit dem Wegfall der ideologischen Trennungslinien und revolutionären Fortschritten in der Kommunikationstechnologie gewann als weitere Veränderung der internationalen Rahmenbedingungen die "Globalisierung" Raum. Als zunehmende Verflechtung von Warenströmen,- Kommunikation und Dienstleistungen rund um den Globus bezieht sie sich vorrangig auf das Wirtschaftssystem, erfasst aber in Abstufungen alle Bereiche bis hin zur kulturellen Prägung. Sie hat den weltweiten Wettbewerb verschärft und zugleich die Wirksamkeit nationaler politischer Steuerungsinstrumente eingeschränkt. Die wechselseitige Abhängigkeit der Staaten hat weltweit zugenommen, ist jedoch asymmetrisch: Die Großregionen Europa, Nordamerika und Asien-Pazifik dominieren als "Triade" den Welthandel. Afrika, Lateinamerika und das übrige Asien fallen weit zurück, und speziell Afrika droht bei dieser Entwicklung an den Rand gedrängt zu werden.

Die Globalisierung hat damit den Trend zu wachsenden Unterschieden zwischen den Entwicklungsländern verstärkt, der sich seit den 1970er Jahren deutlicher zeigt. So haben in den letzten Jahren die asiatischen Schwergewichte Indien und China, die allein ein Drittel der Erdbevölkerung umfassen, ökonomisch an Bedeutung gewonnen. Höchst erfolgreich waren außerdem die "vier kleinen Tiger" in Südostasien: Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong, das staatsrechtlich zu China gehört, aber einen Sonderstatus hat. Dagegen konnte Afrika nicht von der Globalisierung profitieren. Die meisten der "am wenigsten entwickelten Länder" wie die Demokratische Republik Kongo, Tansania und Liberia liegen südlich der Sahara (Schwarzafrika).

QuellentextChancen und Risiken der Globalisierung

Globalisierung wirkt sich sehr unterschiedlich auf die Länder aus, die zur Dritten Welt gerechnet werden oder die sich selber dieser Gruppe zugehörig fühlen. Generell sind die Folgen positiv zu bewerten, aber es gibt nicht nur Gewinner. Dabei wird der Abstand zwischen denen, die von der Globalisierung profitieren, und denen, die in ihrer Entwicklung zurückgeworfen werden, immer größer. 1965 war das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in den sieben reichsten Ländern 20mal so hoch wie das in den ärmsten Ländern; Ende des letzten Jahrhunderts war es ungefähr 40mal so hoch. Die 49 am wenigsten entwickelten Länder beherbergen zwölf Prozent der Weltbevölkerung, haben aber lediglich einen Anteil von einem Prozent am Welthandel. Im Zuge der Globalisierung sind die Einkommensungleichheiten zwischen den Entwicklungsländern gewachsen. [...]
Gewinner der Globalisierung waren und sind jene Entwicklungsländer, die an ihr teilnehmen konnten, was sich u. a. in steigenden Export-BSP-Relationen und steigenden Quotienten der Direktinvestitionszuflüsse zu den Exporten ausdrückt (Beispiel: Ostasien). Dies stützt die Vermutung eines positiven Zusammenhangs von Globalisierung und wirtschaftlichen Aufholprozessen. Gefährdungen dieser entwicklungsökonomisch vorteilhaften Globalisierungseffekte und einer unterstützenden Entwicklungszusammenarbeit resultieren aus immer wiederkehrenden Protektionsforderungen in den Industrieländern, die durch den Druck auf die Arbeitsmärkte und die steigenden Lohndisparitäten zwischen qualifizierter und unqualifizierter Arbeit hervorgerufen werden.
[...] Verlierer der Globalisierung bleiben jene Entwicklungsländer, in denen soziale Unterschiede vertieft und politische Beteiligung vorenthalten werden, oder die aufgrund ihrer politischen und wirtschaftlichen Verfassung keinen Anschluss an den Globalisierungsprozess gefunden haben.
Dies kommt u. a. in stagnierenden oder rückläufigen Exportquoten und auf Exporte bezogenen Direktinvestitionszuflüssen zum Ausdruck (Beispiel: Länder in Sub-Sahara-Afrika). Jener Befund stützt die Vermutung, dass ein Zusammenhang zwischen ausbleibender Marktöffnung und wirtschaftlicher Armut besteht, bzw. dass beides mit den gleichen Ursachen (d. h. zu geringe Investitionen in Humankapital, Infrastrukturmängel, institutionelle Defizite) zusammenhängt.
Negative, den relativen Rückstand verstärkende Rückwirkungen der Globalisierung treten auf, wenn die international zunehmend mobilen Faktoren (Finanzkapital, Realkapital, Humankapital) aus diesen Gründen abwandern.

Externer Link: http://www.bmz.de/de/service/infothek/fach/

Für die Gruppenbildung und gemeinsame Interessenvertretung auf der internationalen Ebene ist es entscheidend, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. Dass der Nord-Süd-Gegensatz nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht zur beherrschenden Konfliktlinie geworden ist, liegt auch daran, dass die wachsenden Interessenunterschiede eine effektive Organisierung der Entwicklungsländer als Gruppe verhinderten. Die Entwicklungsländer verfügen zwar weiterhin über die "Macht der großen Zahl", zum Beispiel in der UN-Vollversammlung, aber bei der Umsetzung dieses Machtfaktors sind sie bislang wenig erfolgreich gewesen.

Internationaler Terrorismus

Am 11. September 2001 zerstörte die islamische Terrororganisation Al Quaida mit gekaperten Flugzeugen die Doppeltürme des World Trade Centers in New York und beschädigte das US-Verteidigungsministerium, das Pentagon, in Washington. Mit diesem Anschlag erreichte der internationale Terrorismus eine neue Qualität und provozierte massive Reaktionen: Die führende Weltmacht USA fühlte sich erstmals im eigenen Land bedroht. Sie baute daraufhin nicht nur ihren Sicherheitsapparat im Inneren aus, sondern reagierte auch militärisch. Die USA setzten ihre Truppen in Afghanistan ein, dessen Regime mit Al Quaida sympathisiert hatte. Mit sicherheitspolitischen Gründen legitimierte die US-Regierung 2003 auch den Krieg gegen das Diktaturregime Saddam Husseins im Irak. Seit dem 11. September 2001 bestimmt wieder die mit dem Staat traditionell eng verknüpfte Kernaufgabe, Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger nach innen wie außen zu gewährleisten, die internationale Politik.

Dabei hat sich gezeigt, dass einseitige Aktionen kleiner Führungsgruppen von Staaten kaum dauerhafte Erfolgschancen haben, selbst wenn die Weltmacht USA sie ausführt. Für eine wachsende Zahl sich verschärfender globaler Probleme - Verbreitung von Terrorismus und Massenvernichtungsmitteln, Gefährdung des Ökosystems Erde, Ausbreitung von neuen und alten Epidemien wie Aids und Malaria sowie Drogenhandel und Migrationsströme - sind wirksame Lösungen nur durch umfassende, enge internationale Zusammenarbeit denkbar. Dabei ist die Mitarbeit der Entwicklungsländer unerlässlich.

Die Sicherheitspolitik der westlichen Industrieländer setzt neben politischen und militärischen Druckmitteln auch auf entwicklungspolitische Unterstützungsmaßnahmen, um die Entwicklungsänder zur Mitarbeit zu bewegen. Ziel einer so verstandenen Entwicklungspolitik ist es, ungerechte Strukturen abzubauen, gegen die sich die terroristische Propaganda teilweise wendet. Durch diese Bemühungen könnte - so die Hoffnung - diese Sympathisantenszene ausgetrocknet und dadurch dem Terrorismus der Boden entzogen werden.