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Energiepolitik

Manuel Berkel

/ 16 Minuten zu lesen

Die Energieversorgung ist eine der materiellen Lebensadern einer Gesellschaft. Aus ihrer hohen Bedeutung und den voneinander abweichenden Interessen einer Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen ergeben sich ein starkes Konfliktpotenzial und damit ein besonderer politischer Steuerungsbedarf.

Einleitung

Energiewende 2011

Havarie mit weitreichenden Folgen: das Kernkraftwerk in Fukushima nach einer Explosion in Reaktor 3 im März 2011 (© picture alliance /dpa/ Foto: DigitalGlobe)

"Die Sicherstellung einer zuverlässigen, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts." Mit diesen Worten eröffnete die Koalition aus CDU/CSU und FDP ihr Strategiekonzept zur langfristigen Versorgung mit Energie vom 28. September 2010. Darin bekundete sie zwar die Absicht, beim Energiemix der Zukunft den erneuerbaren Energien den Hauptanteil zuzuweisen. Doch gleichzeitig warb sie um gesellschaftliche Akzeptanz für eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke als "Brückentechnologie" und revidierte damit den Atomausstiegsbeschluss der rot-grünen Regierungskoalition von 2001. Nur knapp ein Jahr später, am 6. Juni 2011, beschloss dieselbe Bundesregierung dagegen den endgültigen Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie bis 2022, der am 30. Juni 2011 in namentlicher Abstimmung des Bundestages mit der Mehrheit von 513 Stimmen als "13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes" bestätigt wurde. Auslöser für diese Kehrtwende war ein Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima am 11. März 2011, bei dem es zur Kernschmelze gekommen war. Mit der von ihr selbst so betitelten "Energiewende" stellte die schwarz-gelbe Bundesregierung den rot-grünen Atomausstiegsbeschluss von 2001 wieder her und verschärfte ihn sogar. Dieser wechselvolle Umgang mit der Kernenergie zeigt beispielhaft, wie stark die Energiepolitik von gegensätzlichen Interessen bestimmt wird.

Akteure

Ministerielle Zuständigkeiten auf Bundesebene

Die unterschiedlichen energiepolitischen Ziele spiegeln sich in der Verteilung der Zuständigkeiten auf verschiedene Ministerien der Bundesregierung wider. Eine sichere und preiswerte Energieversorgung für Unternehmen und Verbraucher ist traditionell Aufgabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Über das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) schafft es die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für die Wirtschaftssubjekte im Energiesektor. Dazu gehören insbesondere Regeln für den diskriminierungsfreien Zugang von Energielieferanten zu den Netzen für Strom und Gas, wodurch seit 1998 überhaupt erst Wettbewerb in der Energiewirtschaft entstehen konnte (siehe a. S. 54 ff.). Details der Regulierung legt die Bundesnetzagentur fest, eine Behörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums. Der möglichst störungsfreie Betrieb und der Ausbau der Energienetze fallen genauso in die Zuständigkeit des Wirtschaftsressorts, wie die anwendungsorientierte Energieforschung und das Gesetz über Energiedienstleistungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen.

Mit der wachsenden Bedeutung erneuerbarer Energien hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der Energiepolitik deutlich an Macht hinzugewonnen. Gegründet wurde es im Juni 1986 nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Damals übernahm es vom Innenministerium die Zuständigkeit für die Sicherheit von Kernkraftwerken und für die Lagerung von atomaren Abfällen auf der Grundlage des Atomgesetzes von 1959. Die Förderung der Energiewirtschaft und die Überwachung kerntechnischer Anlagen zu trennen und auf unterschiedliche Ministerien zu verteilen, ist seit Beginn der Nutzung der Atomenergie eines der wichtigsten Prinzipien der Energiepolitik.
Seit dem Jahr 2000 regelt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Anschluss von Windrädern, Solaranlagen, Biomassekraftwerken und anderen Ökostrom-Anlagen an das Netz, es regelt die Abnahme und Vergütung der Elektrizität sowie den Mechanismus zur Finanzierung der Einspeisung, die EEG-Umlage. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz schreibt seit 2009 einen Mindestanteil erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung neuer Gebäude vor. Über das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die dazugehörigen Verordnungen setzt das Umweltressort Grenzwerte für den Schadstoffausstoß von fossilen Kraftwerken und Heizungsanlagen sowie für die elektromagnetischen Belastungen durch Stromleitungen fest und regelt die Genehmigung größerer Erneuerbare-Energie-Anlagen, besonders die von Windrädern.

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung legt in der Energieeinsparverordnung (EnEV) zulässige Höchstwerte für den Energieverbrauch von Gebäuden fest, die Hausbesitzer zum Einbau von Dämmsystemen oder effizienten Heizungsanlagen verpflichten. Neben diesen drei wichtigsten Ministerien beschäftigen sich weitere Ressorts mit Energiefragen. Die Energie- und die Stromsteuer werden vom Bundesfinanzministerium geregelt, die Grundlagenforschung verantwortet das Bundesministerium für Bildung und Forschung und bei Gesetzen, die Biogas und Biokraftstoffe betreffen, hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ein Mitspracherecht.
Jedes Ministerium verantwortet die Gesetze und Verordnungen in seinem Geschäftsbereich zwar federführend, in der Regel sind aber zumindest das Wirtschafts- und meistens auch das Umweltministerium an der Formulierung von Gesetzentwürfen mit Energiebezug beteiligt. Auch Änderungen des Erneuerbare-Energien-Rechts sind nur im Konsens mit dem Wirtschaftsressort möglich. Differenzen zwischen Wirtschafts- und Umweltpolitikern zeigen sich regelmäßig bei den Themen Klimaschutz, Erneuerbare-Energien-Förderung und Energieeffizienz.

Einfluss von Ländern und Kommunen



Energierecht ist weitgehend Bundesrecht, vor allem was die ordnungspolitischen und fiskalischen Aspekte betrifft. Durch ihre Kompetenzen im Planungsrecht können Länder und Kommunen das Tempo beim Bau von Infrastruktur allerdings stark beeinflussen. Mit Erlassen zur maximalen Höhe von Windrädern oder Mindestabständen zu Wohngebieten lässt sich der Ausbau der Windenergie blockieren. Umgekehrt können Länder und Kommunen den Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen stark beschleunigen, indem für solche Bauwerke seitens der Länder in der Regionalplanung und seitens der Kommunen in den Flächennutzungsplänen Vorrangflächen ausgewiesen werden.
Bei ihren Planungen haben sich viele Bundesländer analog zur Bundesregierung eigene Ziele für den Anteil erneuerbarer Energien gesetzt. In vielen Regionen und Kommunen gibt es lokale Energiekonzepte, die eine wichtige Rolle für die Information und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger spielen. Leitmotiv ist neben dem Klimaschutz häufig der Wunsch nach einer Autarkie in der Energieversorgung, nach Unabhängigkeit von großen Energieunternehmen und von Preissteigerungen.

Dieser Wunsch nach Unabhängigkeit droht allerdings, die Gesellschaft zu entsolidarisieren. Bürgerinnen und Bürger protestieren wegen lokaler Beeinträchtigungen gegen Stromleitungen, Speicherseen oder neue fossile Kraftwerke, weil sich deren Nutzen kaum vor Ort, sondern nur gesamtgesellschaftlich zeigt. Häufig wird in lokalen Energiekonzepten ausgeblendet, dass eine vollständige Autarkie einzelner Regionen nur zu unverhältnismäßig hohen volkswirtschaftlichen Kosten, zum Beispiel für Energiespeicher oder fossile Reservekraftwerke, zu realisieren wäre.

Bürgerinteressen ...



Auf der lokalen Ebene werden viele Konflikte um die Energieversorgung besonders deutlich. Während Grundstückseigentümer von Pachtzinsen für Windräder profitieren oder Landwirte von der Vergütung für Biomassekraftwerke, müssen Nachbarn den Anblick der Türme oder Geruchsbelästigungen durch Gärtanks ertragen. Die Lokalpolitik hat deshalb eine wichtige Funktion für den Ausgleich unterschiedlicher Interessen im Zusammenhang mit der Energiewende.
Die Proteste gegen Energieinfrastruktur haben oft finanzielle Gründe. Der Bau eines Windparks oder einer Höchstspannungsleitung kann den Wert einer nahe gelegenen Immobilie stark vermindern. Spätestens seit der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er-Jahre interessieren sich Bürgerinnen und Bürger außerdem sehr stark für die Auswirkungen von Großprojekten auf die Natur und die menschliche Gesundheit. Der Protest gegen Infrastrukturbauten ist deshalb häufig eine Reaktion auf die mangelhafte Berücksichtigung schutzwürdiger Belange durch die ausführenden Unternehmen. Beispielsweise konnte der 1,2 Milliarden Euro teure Neubau des Steinkohlekraftwerks Datteln IV nicht wie geplant 2011 ans Netz gehen, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster 2009 auf den Normenkontrollantrag eines Anwohners hin den Bebauungsplan der Gemeinde Datteln geprüft und für nichtig erklärt hatte. Nach Ansicht des Gerichts waren die Auswirkungen des Kraftwerks auf Mensch und Natur unzureichend ermittelt worden.

Klagen gegen Bauprojekte sind in den vergangenen Jahren auch deshalb sachkundiger und damit erfolgreicher geworden, weil die rechtlichen Möglichkeiten von Umweltverbänden und Vereinen erweitert wurden. 2002 wurde die Verbandsklage in das Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen, wodurch Umweltorganisationen gewissermaßen stellvertretend für Anwohner klagen können. Durch ein Verfahren gegen ein neues Steinkohlekraftwerk in Lünen hat der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) 2011 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erstmals die Möglichkeit einer Popularklage für Verbände erstritten. Umweltschützer können seitdem die Einhaltung europäischer Naturschutzvorschriften – beispielsweise der Richtlinien zum Vogelschutz und zu Flora-Fauna-Habitaten – auch dann gerichtlich prüfen lassen, wenn Anwohner nicht unmittelbar in ihren Interessen berührt sind.

QuellentextGrenzen der Bürgerbeteiligung

[...] Nirgendwo in Europa, nirgendwo auf der Welt ist die Atomkraft schlechter beleumundet als in Deutschland, nirgendwo ist nach Fukushima der Notknopf schneller gedrückt worden. Abschalten jetzt! Das Land taumelte freudetrunken in die Energiewende, ein jahrzehntelanger Kampf ging zu Ende. Bald würde grüner Strom dieses Deutschland surren lassen wie einen Elektromotor. Solarfelder, Windparks. Herrlich.
Zwei Jahre nach Fukushima klingt "Energiewende" in den Ohren vieler Bürger wie Kernschmelze. Kernschmelzen fanden in der Ukraine oder Japan statt, die Energiewende aber gibt es in Deutschland. Stromkabel sollen in der Nachbarschaft gezogen werden, die Pferde auf der Koppel galoppieren durch den Schatten riesiger Windräder, im See am Wald entsteht ein Pumpspeicherwerk. Der Strom wird sichtbar, auf den Hügel[n], auf den Feldern.
In der Eifel sitzen an einem Freitagnachmittag drei Männer zusammen, sie gehören einer Vereinigung an, die "Rettet den Rursee" heißt. [...] Es [gab] Überlegungen, dort ein Pumpspeicherwerk zu bauen. "Wir wollen unbedingt Energiewendeland Nummer eins werden“, sagt Christoph Pranter, Mitbegründer der Bürgerinitiative gegen das Pumpspeicherwerk: „Und dafür opfern wir den Verstand."

So sehen das die Bürger an vielen Orten. Ob es der Thüringer Rennsteig ist, ein Weinberg in der Pfalz, ein See in Bayern, ob in der Uckermark, in Bayreuth oder Nürtingen: Es regt sich Widerstand gegen die Strippenzieher der Energiewende, die ihre Kabel verlegen wollen, hoch über den Köpfen der Menschen, oder sonst etwas bauen wollen im Namen der Energiewende. Und überall versuchen Politiker und Unternehmen, diesen Widerstand zu brechen, in dem sie mit den Bürgern zusammenarbeiten. Bürgerbeteiligung. Nur funktioniert die irgendwie nicht. [...]
"Rettet den Rursee" erwartet schwerste Schäden für den Rursee, in den das bei der Stromerzeugung zu Tale schießende Wasser eingeleitet würde. Ufer würden verschlammen, segeln würde unmöglich, baden sowieso. Der Tourismus, einzige nennenswerte Erwerbsquelle, sei in Gefahr. [...]

Die Energiewende ist für die Menschen also nur im Prinzip eine gute Sache. Die Unternehmen, die sie vorantreiben, werden inzwischen verachtet wie zuvor die Atomkonzerne. [...] Sie müssen sich etwas einfallen lassen, und ihnen fällt ein, was der Atomindustrie schon eingefallen ist: Sie malen die Welt mit der Kraft der Werbung schöner, als sie ist. Sie schaffen Fakten, die überzeugen sollen. [...]
Hilft alles nichts.

Stuttgart 21, sagt der Eifeler Aktivist Christoph Pranter, habe das Bewusstsein der Leute verändert. Dort hat der Bürger zu hören bekommen, er habe sich ja nicht eingemischt vor zehn, 15 Jahren, als der Tiefbahnhof in den Gremien besprochen wurde. Jetzt habe der Bürger halt gelernt. Das Pumpspeicherwerk am Rursee in der Eifel zum Beispiel [...] könnte nur an dieser Stelle entstehen – oder an zwei anderen irgendwo in Deutschland. Dennoch ist der Widerstand jetzt schon derart organisiert, dass, wenn morgen die Bulldozer anrollen würden, sich die ersten Menschen schon im Uferschlamm eingegraben hätten. Ein Dialog zwischen Bauherr und Gegnern findet nicht statt. "Rettet den Rursee" will kein Pumpwerk. Kein großes, kein kleines. Gar keins. Wozu also reden?
Einer sagt: "Wenn in Ihrem Garten jemand was bauen will, was Sie nicht wollen – reden Sie mit dem?"
Das sind die Grenzen der Bürgerbeteiligung. [...] (Am 21. Juni 2013 informierte der Netzbetreiber Trianel die Öffentlichkeit, dass er das Projekt PSW Rur nicht weiter verfolge – Anm. d. Red.)

Ralf Wiegand, "Öko? Nein, danke", in: Süddeutsche Zeitung vom 25. März 2013

... und ihre Berücksichtigung durch die Politik

Auf das gestiegene Bedürfnis nach Beteiligung und die erweiterten Klagemöglichkeiten hat der Bund einerseits mit neuen Einschränkungen reagiert. Gegen neue Stromhöchstspannungsleitungen sind durch das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) von 2009 und das Bundesbedarfsplangesetz von 2013 nur noch Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz möglich. Der Gesetzgeber verspricht sich dadurch eine Beschleunigung besonders wichtiger Infrastrukturprojekte. Andererseits haben Bürgerproteste, wie etwa gegen das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21", dazu geführt, dass Entscheidungsträger in der Politik und in der Wirtschaft der Bevölkerung früher und ernsthafter Gelegenheit geben, ihre Bedenken gegen Bauprojekte zu äußern.
So hat die schwarz-gelbe Bundesregierung im Rahmen des Gesetzespakets zur Energiewende vom 6. Juni 2011 mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) neue und umfassendere Möglichkeiten geschaffen, um die Öffentlichkeit bei der Erstellung des jährlichen Netzentwicklungsplans, einer Art Masterplan für die Energiewende, zu beteiligen.

QuellentextRingen um öffentliche Mitsprache

[...] Der [...] "Netzentwicklungsplan" der Netzbetreiber ist [...] [wie der jährliche "Szenariorahmen", der von den Netzbetreibern zum ersten Mal im Juni 2011 vorgelegt wurde] mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung verbunden. [...]
[D]urch Parlamentsbeschluss [wurde] der Netzentwicklungsplan per Gesetz zum "Bundesbedarfsplan" [...] (beschlossen vom Bundestag am 25. April 2013 und vom Bundesrat am 7. Juni 2013 – Anm. d. Red.) [...]
[E]rst dann wird die Trassenführung auf wenige hundert Meter genau festgelegt. Das geschieht erstmals – manche halten das für verfassungswidrig – nicht mehr in Form von Raumordnungsverfahren der jeweiligen Länder, sondern als "Bundesfachplanung" – weil und soweit es sich um grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen handelt.

Die Bundesnetzagentur lädt dafür zu einer "Antragskonferenz" nicht nur die Behörden der Länder ein, sondern auch – über Tageszeitungen und das Internet – die Öffentlichkeit. Die Einladung dient in deren Fall aber nur der Information, nicht der Mitbestimmung.
Die soll erst nach Ende der Antragskonferenz – aber vor dem Planfeststellungsverfahren – einsetzen. "Jede Person, einschließlich Vereinigung", kann sich laut dem Gesetz über die Beschleunigung des Netzausbaus zu den Ergebnissen der Antragskonferenz schriftlich äußern. Anschließend findet eine mündliche Erörterung statt, die in die Entscheidung der Bundesnetzagentur über die "Bundesfachplanung" eingeht (voraussichtlich bis Ende 2013). Erst dann beginnt das Planfeststellungsverfahren – und das Verfahren der Bundesfachplanung wiederholt sich auf der Grundlage einer genauen Trassenführung: Antragskonferenz, schriftliche Einwendungen, mündliche Anhörung, Rechtsmittel.

Neu an diesem Verfahren ist, dass eine Bürgerbeteiligung nicht erst stattfinden soll, wenn die Planung schon beschlossene Sache ist und deshalb leicht als "Alibiveranstaltung" hingestellt werden kann. Auch die Einrichtung eines "Projektmanagers" ist neu. Er dient nicht als Mediator [...] sondern als [...] Moderator. [...]
Damit wird zwar der "Grundrechtsschutz durch Verfahren" weiterentwickelt, wie ihn das Bundesverfassungsgericht in den siebziger Jahren zu Hochzeiten der Anti-Atom-Bewegung anmahnte.
Doch Anhängern einer Legitimation nicht durch Verfahren, sondern durch Beratung ("deliberative Demokratie") ist das zu wenig. Eine bloße Information der Öffentlichkeit im Frühstadium der Planung reicht ihnen nicht aus; sie wollen eine Mitwirkung von Beginn an, eine kontinuierliche Beteiligung, den Konsens durch Kommunikation.
Das aber wirft neue Fragen über Rechtsstaatlichkeit, über Pflichten und Rechte der Exekutive auf – was nutzt der beste Konsens nach intensiver Beteiligung der Öffentlichkeit, wenn der Verwaltung vor Gericht gravierende Versäumnisse nachgewiesen werden können, die auf ebenjenem zwanghaften Konsens beruhen? Und wie verbindlich sind früh erzielte Einigungen in späteren Planungsphasen? Wo endet das berechtigte Interesse der breiten Öffentlichkeit, wo beginnt der Rechtsschutz unmittelbar betroffener Bürger – der sich dann auch gegen anderweitig geäußerte Interessen der Öffentlichkeit richten kann?

Solche Fragen begleiten auch den Versuch, das Verwaltungsverfahrensgesetz wieder zur Klammer der Fachgesetze zu formen und damit eine einheitliche Regelung für Bürgerbeteiligung und Planfeststellung zu erreichen. Das soll das "Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren" bewerkstelligen, das in erster Lesung im Mai [2012] im Bundestag behandelt wurde. (Verkündet am 31. Mai 2013. In kraft seit dem 7. Juni 2013 – Anm. d. Red.) [...]

Jasper von Altenbockum, "Energiewende-Demokratie", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Juni 2012

Folgewirkungen des EEG

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich 2010 das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 rund 60 Prozent des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu decken und 80 bis 95 Prozent der Treibhausgasemissionen einzusparen. Der für das Jahr 2022 angepeilte Atomausstieg setzt die Politik unter Druck, die wegfallenden Stromerzeugungskapazitäten zu ersetzen.
Zwischen den Bundesländern kam es nach dem Energiewendebeschluss von 2011 zu einem politischen Wettbewerb um einen möglichst schnellen Ausbau erneuerbarer Energien. Es zeichnete sich ab, dass die Länder das Ziel der Bundesregierung aus dem Energiekonzept von 2010, bis zum Jahr 2020 den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von 17 auf 35 Prozent zu erhöhen, in der Summe voraussichtlich weit übertreffen würden. Ein drastischer Verfall des Preises für Solaranlagen und die Furcht von Investoren vor immer neuen Einschnitten in die staatliche Förderung lösten zudem einen Boom der Photovoltaik aus. Die Debatte um die Kosten der Energiewende verschärfte sich.
Der Bund versucht auf die steigenden Ausgaben für erneuerbare Energien mit Einschnitten in die Vergütung nach dem EEG zu reagieren. Dabei trifft er allerdings oft auf den Widerstand der Bundesländer.

In strukturschwachen ländlichen Regionen ist das Gewerbesteueraufkommen aus dem Betrieb der Kraftwerke eine wichtige Einnahmequelle für die Kommunen. Das örtliche Handwerk profitiert vor allem von Aufträgen zur Installation von Solarmodulen. In größerem Maßstab bewirkt die EEG-Vergütung für Photovoltaikanlagen eine Umverteilung von Kapital in die südlichen Bundesländer und steigert das Einkommen dort lebender Hausbesitzer und Landwirte. In Nord- und Ostdeutschland hängen von Windparks und der dazugehörenden Industrie zehntausende Arbeitsplätze ab. Andererseits fühlen sich Teile des Mittelstands in den industriellen Zentren Nordrhein-Westfalens, Bayerns und Baden-Württembergs von Netzentgelten und der EEG-Umlage zunehmend belastet.

Vorgängerförderungen: Kohlepfennig und Atomenergie

Energiepolitik muss also viele einander entgegengesetzte Interessen berücksichtigen. Dabei waren die politischen Eingriffe des Bundes in den Energiesektor gerade wegen des fehlenden Wettbewerbs schon in den vergangenen Jahrzehnten von erheblicher Tragweite. Im Wirtschaftsaufschwung der 1950er- und 1960er-Jahre war das vorrangige Ziel der Energiepolitik, den wachsenden Strom- und Wärmebedarf von Unternehmen und Haushalten mit den wichtigsten Energieträgern Stein- und Braunkohle zu decken. Durch Zwangsanleihen musste die Industrie Kohleunternehmen mit Kapital für den Ausbau der Förderkapazitäten ausstatten.
Mit umfangreichen Subventionen wurde die heimische Steinkohleförderung ausgebaut und gegenüber ausländischer Konkurrenz geschützt. Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen gipfelten ab 1965 in Verstromungsgesetzen, mit denen der Bund für Betreiber von Steinkohlekraftwerken Steuervorteile einführte und die Differenz zwischen dem Preis für einheimische Steinkohle und dem niedrigeren Ölpreis auf dem Weltmarkt zahlte.
Ab 1975 trugen Stromverbraucher die Mehrkosten durch eine Umlage, den sogenannten Kohlepfennig. Im Jahr 1989 erreichte er die Höhe von 8,5 Prozent des Strompreises, das Geld wurde in einen staatlichen Fonds eingezahlt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Form der Finanzierung 1994 für verfassungswidrig, weil sie das Haushaltsrecht des Bundestages verletze und Gemeinlasten aus Steuern finanziert werden müssten.

Die 1970er- und 1980er-Jahre standen im Zeichen der Ölknappheit und der einsetzenden Stromerzeugung durch Kernenergie im industriellen Maßstab. Die Ölkrisen von 1973 und 1979 verteuerten Ölimporte, führten zu Konjunktureinbrüchen und verdeutlichten die Abhängigkeit des Wohlstands von fossilen Energien. Ohne dass die Politik eingreifen musste, bestärkten die Preissteigerungen Unternehmen und Verbraucher darin, Energie zu sparen und effizienter zu wirtschaften, die Automobilwirtschaft senkte den Kraftstoffverbrauch ihrer Fahrzeugmodelle. Diese effizienzfördernde Wirkung hoher Energiepreise nutzte die Politik, als sie 1999 bei der ökologischen Steuerreform Treibstoffe, Strom und Brennstoffe in Deutschland mit höheren Steuern belegte und als sie 2005 den EU-weiten Emissionshandel einführte.
Die sozial- und christlich-liberalen Bundesregierungen reagierten auf die Ölkrisen unter anderem, indem sie mit Russland eine Ausweitung seiner Gaslieferungen aushandelten, was in den folgenden Jahrzehnten allerdings eine neue Abhängigkeit schuf. In sein Energieforschungsprogramm von 1974 nahm der Bund erstmals erneuerbare Energien auf, und ab 1978 wurden staatliche Zuschüsse gezahlt, wenn Gebäude statt mit Ölheizungen mit Sonnenkollektoren oder Wärmepumpen ausgestattet wurden. 1977 trat die erste Wärmeschutzverordnung für Gebäude in Kraft.

Seit Mitte der 1950er-Jahre hatten Bund und Länder den Aufbau der Atomwirtschaft durch Milliardenbeträge für Forschung und den Bau von Reaktoren unterstützt. In den 1970er-Jahren ging dann der Großteil der deutschen Atomkraftwerke in Betrieb. Für die Endlagerung des Atommülls aber bestand noch kein Konzept. Um jedoch keine Zweifel an der Endlagerbarkeit aufkommen zu lassen und Erfahrungswerte zu gewinnen, erwarb die Gesellschaft für Strahlenforschung im Auftrag des Bundes das stillgelegte Salzbergwerk Asse und lagerte dort von 1967 bis 1978 Atommüll ein. Erst 1974 legte die Bundesregierung ein Entsorgungskonzept vor. Die Wirtschaft wurde verpflichtet, Anlagen zur Wiederaufarbeitung und Zwischenlagerung zu betreiben, der Bund übernahm die Verantwortung für die Endlagerung. Von zunächst acht potenziellen Standorten für ein Endlager blieb 1977 das ehemalige Salzbergwerk Gorleben übrig, und 1979 begann dessen – zunächst oberirdische – Erkundung. Die Eignung von Gorleben als Endlager ist allerdings höchst umstritten. Im Sommer 2013 schufen Bundestag und Bundesrat mit dem Standortauswahlgesetz die rechtliche Grundlage für eine erneute, ergebnisoffene Endlagersuche. Eine Kommission aus Politikern, Vertretern der Gesellschaft und Experten soll bis 2015 die Kriterien für ein Endlager erarbeiten. Die Suche wird dann von dem neuen Bundesamt für kerntechnische Entsorgung geleitet, bis 2031 soll sie abgeschlossen sein. Der Bau des Endlagers und die Einlagerung des hochradioaktiven Mülls müssten nach derzeitigem Stand bis 2040 erfolgt sein, weil dann die Genehmigungen für die oberirdischen Zwischenlager enden.

QuellentextSuche nach Endlagerstätten

Kernkraftwerke und die Lagerung ihrer Abfälle (© SZ-Grafik: Hanna Eiden, Recherche: Martin Mühlfenzl; Quelle BGR, Bundesamt für Strahlenschutz (Stand 31.12.2011))

Ein Lager für den deutschen Atommüll – nur wo? Das Verfahren, auf das sich Bund und Länder am 9. April 2013 geeinigt haben, sieht für die Suche eine "Weiße Landkarte" vor. Überall im Land könnte ein Endlager entstehen, aber viele Regionen scheiden rasch aus. Ballungsräume etwa, Wasserschutzgebiete, Gegenden mit Erdbebenrisiko. Bleiben am Ende nur jene Gesteinsformationen, die für die Aufbewahrung von Atommüll taugen – wenn sich das für Zeiträume von Hunderttausenden von Jahren überhaupt sagen lässt.

Im Zentrum der Suche dürften damit abermals Salzstöcke in Norddeutschland stehen, dazu der sogenannte Opalinuston, ein festes Tongestein, das sich vor allem im Südwesten Deutschlands findet. Theoretisch denkbar wäre auch ein Endlager in Granit, hierzulande vertreten in Teilen Bayerns und Sachsens. Doch die Suche nach einem Atommülllager ist heikel. Damit sich die Situation nicht überall so aufschaukelt wie in Gorleben, soll das Verfahren diesmal ganz transparent ablaufen. Erst soll eine Enquete-Kommission in öffentlicher Debatte an Kriterien für ein Endlager arbeiten, die dann aber noch in das Gesetz aufgenommen werden müssten. Später sollen eigene Bürgerbüros in den jeweiligen Regionen dafür sorgen, dass Anwohner sich nicht übergangen fühlen. Ehrgeizig ist die Suche, Zieldatum 2031, ohnehin. So blieben nur acht Jahre Zeit, um an den favorisierten Standorten Erkundungsbergwerke zu errichten und die Erkenntnisse auszuwerten. […]

MIBA, "Ton, Steine, Endlager", in: Süddeutsche Zeitung vom 10. April 2013

Förderung der erneuerbaren Energien ab 1997

Das rasche Anwachsen der Anti-Atomkraftbewegung hatte zur Folge, dass der Deutsche Bundestag 1979 die Enquete-Kommission "Zukünftige Kernenergiepolitik" aus Abgeordneten und Wissenschaftlern einsetzte. Ein Jahr später kam diese Kommission in einem Zwischenbericht mehrheitlich zu der Überzeugung, dass ein Ausstieg aus der Atomenergie möglich sei, wenn der Energiebedarf gesenkt und erneuerbare Energien ausgebaut würden. Ebenfalls 1979 schlossen der Energieverband VDEW und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Vereinbarung, Strom aus erneuerbaren Energien freiwillig in die Netze aufzunehmen und zu den vermiedenen Brennstoffkosten zu vergüten. Die meisten Versorger verweigerten allerdings die Abnahme, und die freiwillig gezahlte Vergütung lag mit weniger als zehn Pfennigen pro Kilowattstunde weit unter den Erzeugungskosten von Windrädern oder gar Solaranlagen. In dieser Umbruchzeit tauchte 1980 erstmals das Wort "Energiewende" im Titel einer Publikation des Freiburger Öko-Instituts auf. Der Name des programmatischen Buches lautete: "Energiewende – Wachstum ohne Erdöl und Uran".

In den 1980er-Jahren verstärkten die aufkommende Klimaschutzdebatte und Ökostrom-Förderprogramme einzelner Länder und Kommunen den Druck für eine wirksame und verbindliche gesetzliche Förderung erneuerbarer Energien. Gegen den Widerstand des damals noch zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums verabschiedete die CDU/FDP-Mehrheit im Bundestag am 5. Oktober 1990 das von ihren Fraktionen erarbeitete Stromeinspeisungsgesetz. Es verpflichtete die Energieversorger ab 1991 zur vorrangigen Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energien (Einspeisevorrang). Die Vergütung wurde je nach Technologie auf 75 bis 90 Prozent des Strompreises für Endkunden festgelegt. Am höchsten wurden Wind- und Solarenergie gefördert – mit 16,6 Pfennigen pro Kilowattstunde. Neben den klima- und atompolitischen Zielen verfolgte das Stromeinspeisungsgesetz vor allem einen industriepolitischen Zweck: Mit Hilfe staatlich veranlasster Förderung sollte eine Nachfrage nach neuen Energieerzeugungstechnologien entstehen, und deutsche Industriebetriebe sollten in die Lage versetzt werden, nach und nach marktfähige, also zuverlässige und preiswerte Produkte für den Weltmarkt zu entwickeln.
Die Kosten der Förderung durften die Energieversorger auf die Kunden umlegen, ohne die Ökostrom-Vergütung gesondert ausweisen zu müssen. Die Fördersätze waren zusammen mit zusätzlichen staatlichen Anreizen für Windenergieanlagen, Biomasse- und Wasserkraftwerke so auskömmlich, dass der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch zwischen 1990 und 1999 von drei auf 5,4 Prozent zunahm. Nach dem Kohlepfennig-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 klagten mehrere Energieversorger gegen das Stromeinspeisungsgesetz. Der Bundesgerichtshof verwarf die Klagen jedoch wegen der monopolartigen Stellung der Unternehmen.

Dynamik durch das EEG ab 2000

Für jeden Netzbetreiber war die Höchstmenge des nach dem Stromeinspeisungsgesetz zu vergütenden Ökostroms auf fünf Prozent gedeckelt. Weil diese Grenze um das Jahr 2000 in einigen Regionen ausgereizt zu werden drohte und die neue rot-grüne Bundesregierung den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen wollte, verabschiedeten die Abgeordneten der neuen Regierungskoalition das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Mit seinem Inkrafttreten am 1. April 2000 entfiel die Deckelung der erneuerbaren Energien auf fünf Prozent des Stromaufkommens. Da die Strompreise aufgrund der Liberalisierung der Energiemärkte gefallen waren (siehe a. S. 54 ff.), wurden außerdem feste Vergütungssätze für einen Zeitraum von 20 Jahren eingeführt, um Investoren Planungssicherheit zu geben.
Die Vergütungssätze sollten künftig sämtliche Kosten der Ökostrom-Erzeugung decken und zusätzliche regionale Förderprogramme überflüssig machen. Deshalb hob die rot-grüne Regierung auf Grundlage wissenschaftlicher Studien die Sätze für alle erneuerbaren Energien an. Die Förderung für Solarstrom wurde auf Drängen der Solarverbände auf 99 Pfennig pro Kilowattstunde angehoben, wobei die Gutachter des Bundesumweltministeriums für eine Kostendeckung eigentlich schon einen Vergütungssatz von 85 Pfennigen als ausreichend angesehen hatten.

Die Kosten der Förderung wurden ab dem Jahr 2000 erstmals in der EEG-Umlage gesondert ausgewiesen. Seit 2010 ist die Umlage nicht mehr in jedem Netzgebiet unterschiedlich hoch, sondern bundesweit einheitlich. Die Erhebung der Umlage und die Auszahlung der Fördergelder übertrug die Bundesregierung den Netzbetreibern. Indem auf eine Finanzierung aus Steuern oder aus einem staatlichen Fonds wie beim Kohlepfennig verzichtet wurde, sollte das Fördersystem gleichzeitig in Einklang mit dem deutschen Haushaltsrecht und dem europäischen Beihilferecht gebracht werden, nach dem Zahlungen aus staatlichen Mitteln für einzelne Branchen von der europäischen Kommission genehmigt werden müssten.
Das EEG führte zu einer Industrialisierung der Erneuerbare-Energien-Branche. Der Ökostrom-Anteil wuchs von 6,8 Prozent im Jahr 2000 auf 23 Prozent 2012, und die von den Stromkunden zu zahlende jährliche Vergütung aus der EEG-Umlage verneunfachte sich von 1,7 auf 15,4 Milliarden Euro.

Die staatliche Festsetzung der EEG-Tarife hat zwiespältige Folgewirkungen: Weil der Ausbau der erneuerbaren Energien von einer Vielzahl dezentraler Akteure abhängt, haben wissenschaftliche Gutachter das Tempo des Zubaus wiederholt unterschätzt. Die Bundesregierungen hatten seit dem Jahr 2000 lange von Einschnitten bei der Förderung abgesehen, die über die im EEG festgeschriebene jährliche Verringerung (Degression) der Vergütungssätze hinausgegangen wären. Da die Gesellschaft den erneuerbaren Energien und besonders der Photovoltaik sehr wohlwollend gegenüberstand, wollte die Politik nicht als Bremser der Energiewende gelten. Interessengruppen wie die Solarindustrie oder Bioenergie und Windstrom produzierende Landwirte konnten wiederholt die Willensbildung der Parteien beeinflussen. Als die schwarz-gelbe Bundesregierung schließlich 2010 und 2012 doch außerplanmäßig die Vergütung für Photovoltaik herabsetzte, führte dies im Vorfeld zu neuen Rekorden bei der Installation von Solaranlagen, weil Hauseigentümer, Landwirte und institutionelle Investoren sich noch die alte, höhere Vergütung für 20 Jahre sichern wollten. Die durch das EEG bereits entstandenen Rechtsansprüche werden für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre der Hauptfaktor für hohe Ökostrom-Ausgaben bleiben.

Weitere Potenziale für eine erfolgreiche Energiewende

Ganz im Gegensatz zu ihrer Bedeutung für den Klimaschutz und die finanzielle Belastung der Verbraucher nehmen die Bereiche Wärmeversorgung und Verkehr in der energiepolitischen Diskussion eine weit weniger prominente Stellung ein als die Stromversorgung. Besonders bei der Beheizung von Gebäuden gibt es noch große Energiesparpotenziale, die für eine erfolgreiche Energiewende umgesetzt werden könnten. Politische Eingriffe in den Gebäudesektor wirken sich allerdings noch direkter auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger aus als solche in die Stromversorgung. Vermieter nutzen den Einbau von Dämmsystemen oder neuer Heiztechnik häufig für anschließende Mietsteigerungen. Bei unsachgemäßer Planung oder fehlerhaftem Einbau können teilweise gesundheitsbedrohliche Schäden (Schimmelbildung, höhere Brandgefahr) an Gebäuden entstehen. Die Nutzung von Biomasse als Brenn- oder Treibstoff ist umstritten, weil sie vor allem in Entwicklungsländern ökologischen Raubbau fördern kann und in Konkurrenz zur Nutzung von Pflanzen als Lebensmitteln steht.

Eine Energiewende im Verkehrssektor setzt nicht nur neue technologische Entwicklungen wie sparsamere Motoren, preiswertere Elektrofahrzeuge oder den Aufbau eines Tanknetzes für Wasserstoffautos voraus. Bürgerinnen und Bürger müssten auch bereit sein, alternative Mobilitätskonzepte wie Carsharing oder den Bus- und Bahnverkehr stärker zu nutzen. Der Güterverkehr fließt immer noch zu drei Vierteln über Straßen. Mit Eingriffen in den Verkehrssektor ist die Politik jedoch zudem wegen der Spezialisierung der deutschen Automobilindustrie auf schwere und hoch motorisierte Fahrzeugklassen zurückhaltend.
Ein weiterer Hemmschuh für die Energiewende ist die mangelhafte Einbindung der nationalen Energiepolitik in den europäischen Rahmen. Die Förderung verschiedener Energieträger und die Entscheidung für oder gegen bestimmte Technologien liegen zwar immer noch in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Die EU-Mitglieder haben sich jedoch im Maastricht-Vertrag 1993 dazu verpflichtet, einen länderübergreifenden Binnenmarkt zu schaffen, der auch die Handelsgüter Strom und Gas einschließt. Zudem koordinieren sie seit 2005 über den Emissionszertifikatehandel ihre Verpflichtungen aus der internationalen Klimaschutzpolitik und haben sich das Ziel gesetzt, den Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. An diesen Rahmenbedingungen richten Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen aus, weil Anlagen in der Energiewirtschaft mehrere Jahrzehnte genutzt werden. Ohne einen funktionierenden Emissionshandel werden Unternehmen weniger in effiziente Technologien oder erneuerbare Energien investieren.

In der EU-internen Diskussion um neue CO2-Reduktionsziele für das Jahrzehnt nach 2020 blieb die Bundesregierung genau wie die polnische Regierung bislang zurückhaltend. Dahinter stand die Absicht, abzuwarten, bis die Vereinten Nationen voraussichtlich 2015 ein internationales Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz abschließen, um mögliche Wettbewerbsnachteile für die heimische Industrie zu verhindern und die nationale Energiepolitik nicht unter erhöhten Anpassungsdruck zu setzen. Denn dann müssten die Anstrengungen zum Energiesparen weiter verstärkt werden und auch in Bereichen, die bisher nicht am Emissionshandel teilnehmen, wie etwa dem Verkehrs- und der Immobiliensektor, eine stärkere Energieeffizienz durchgesetzt werden.
Aber schon wegen des weit vorangeschrittenen EU-Binnenmarkts gerät die deutsche Energiewende in Konflikt mit der europäischen Ebene. Der hohe Anteil der erneuerbaren Energien an der Elektrizitätserzeugung in Deutschland senkt wegen des Merit-Order-Effektes den Börsenstrompreis in den Nachbarländern, und verschlechtert damit die Wirtschaftlichkeit dortiger Kraftwerke und Speicher. Polen und Tschechien klagen über die Belastung ihres Stromnetzes durch deutschen Ökostrom. Die EU-Kommission hat die Sorge geäußert, dass der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland künftig dazu führen könnte, dass andere EU-Mitgliedstaaten weniger Ökostrom-Anlagen errichten und die Befreiungen deutscher Unternehmen von energiebezogenen Abgaben die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Union verzerren. Durch die gemeinsame Klimaschutzpolitik gibt es für die gesamte EU bereits eine Höchstgrenze (Cap) für die Menge an zulässigen Emissionen. Senkt Deutschland seinen CO2-Ausstoß durch erneuerbare Energien besonders stark, dürfen andere Mitgliedstaaten automatisch mehr Treibhausgase produzieren. Für den Klimaschutz wäre also ohne eine stärkere europäische Abstimmung in der Energie- und Klimapolitik nichts gewonnen.

Eine stärkere europäische Zusammenarbeit könnte außerdem die Kosten für den klimaschonenden Umbau der Energiewirtschaft reduzieren. Solarenergie lässt sich günstig in Südeuropa erzeugen, Windenergie an den nordeuropäischen Küsten. Um den Austausch von Energie zu verbessern, die Kosten der Erzeugung zu senken und die Versorgungssicherheit zu erhöhen, müssen die europäischen Übertragungsnetzbetreiber seit 2010 Pläne für den gemeinsamen Netzausbau der kommenden zehn Jahre vorlegen. Ab 2014 will die EU-Kommission den Mitgliedstaaten Vorgaben für kürzere Genehmigungsfristen grenzüberschreitender Strom- und Gasleitungen machen.

Um die Kosten für eine gesamteuropäische Energiewende zu senken, müsste jeder EU-Mitgliedstaat vor allem entscheiden, wie viel der Strom- und Gasaustausch mit anderen Ländern zur Versorgungssicherheit beitragen soll. Wollte sich jeder Staat autark versorgen, müssten beispielsweise mehr konventionelle Kraftwerke und Speicher für jene Zeiten vorrätig gehalten werden, in denen Wind- und Solarenergie den Verbrauch nicht decken können. Eine nur auf Deutschland ausgerichtete Energiewende wäre wegen der vielfältigen europäischen Verknüpfungen eine teure Fiktion.

Manuel Berkel hat bei einer Tageszeitung volontiert und als Redakteur gearbeitet. Seit 2009 ist er freier Journalist und berichtet aus Berlin über wirtschaftliche und politische Aspekte der Energiewende. Herr Berkel hat die Konzeption dieser Heftausgabe erarbeitet und die Koordination übernommen.
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