Vom Monopol zum Wettbewerb
1885 floss in Berlin, erstmals deutschlandweit, Elektrizität aus einem öffentlichen Kraftwerk. Doch erst ab 1998, mehr als 100 Jahre später, entstand ein Markt für Strom mit Preisbildung nach Angebot und Nachfrage. Ein Markt für Gas entwickelte sich ab 2003. Bis dahin hatte die Politik die Energiewirtschaft vom Wettbewerb ausgenommen. Denn die Versorgung der Wirtschaftsbetriebe und der Bevölkerung mit Strom und Wärme galt als Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Daher befanden sich viele Energieunternehmen im Besitz von Bund, Ländern und Kommunen. Namen wie PreußenElektra und Bayernwerk, Vorgänger des E.On-Konzerns, zeugen von ihrer Vergangenheit als Staatsbetriebe. An RWE sind immer noch Kommunen beteiligt, und bei der Belieferung der Endkunden haben Städte und Gemeinden mit ihren Stadtwerken seit jeher eine starke Stellung. Der Energiekonzern Vattenfall, der vor allem in Hamburg und in den ostdeutschen Bundesländern aktiv ist, befindet sich im Besitz des schwedischen Staates.
Das Fehlen von Wettbewerb hatte neben dem politischen auch einen technischen Grund: Strom- und Gasleitungen ermöglichen ihren Eigentümern ein natürliches Monopol im Energietransport. Volkswirtschaftlich wäre es unökonomisch und bei weitem zu kostspielig, wenn jeder Wettbewerber für seine Energielieferungen ein eigenes Strom- oder Gasnetz aufbaute. Aber nicht nur beim Betrieb der Netze, sondern auch bei der Belieferung der Verbraucher verfügten Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke über Gebietsmonopole. Jeder Endkunde konnte Strom und Gas nur von einem einzigen Versorger kaufen. Gleichzeitig mussten kleinere Lieferanten wie Stadtwerke mangels eigener Erzeugungsanlagen Strom von dem Kraftwerksbetreiber beziehen, dem auch das Übertragungsnetz in ihrem Versorgungsgebiet gehörte. Etwa 85 Prozent der Stromerzeugungskapazität befanden sich jahrzehntelang in der Hand der Unternehmen, die um das Jahr 2000 zu den vier Energiekonzernen E.On, RWE, Vattenfall und EnBW fusionierten.
Die Gebietsmonopole wurden 1998 mit Inkrafttreten des novellierten Energiewirtschaftsgesetzes abgeschafft, nachdem sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zuvor auf die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte geeinigt hatten. Neue Energielieferanten traten auf den Plan, und Stadtwerke beendeten mit Klagen gegen die Kraftwerksbetreiber ihre Strombezugsverträge, die sie häufig für eine Laufzeit von 20 Jahren gebunden hatten. Lieferanten konnten für ihren Einkauf nun zumindest zwischen den vier großen Stromerzeugern wählen. Eine weitere Voraussetzung für günstige Beschaffungskosten, nämlich Transparenz über die am Markt erzielten Preise, schufen die im Jahr 2000 in Frankfurt/M. und Leipzig gegründeten Strombörsen, die 2002 zur European Energy Exchange (EEX) in Leipzig fusionierten.
Großhandel über Spot- und Terminmärkte
Der kurzfristige Großhandel mit Energie für Deutschland wird seit 2008 über die Börse European Power Exchange (Epex Spot) mit Sitz in Paris abgewickelt, einem Gemeinschaftsunternehmen der EEX und der französischen Powernext, sowie an der Energy Exchange Austria (EXAA) in Wien. An den Spotmärkten geben die Lieferanten dem Börsenbetreiber einen Tag im Voraus (engl.: day ahead) bekannt, wie viel Strom sie laut ihren Prognosen für ihre Kunden in den unterschiedlichen Stunden des Folgetages benötigen werden und welchen Preis sie zu zahlen bereit sind. Am höchsten ist die Nachfrage werktags zwischen acht und 20 Uhr und besonders in den Mittagsstunden. Diese Spitzenlast-Nachfrage wird über die Börse mit teuren Peakload-Produkten (peakload = engl. für Spitzenlast) gedeckt. Der Teil der Stromnachfrage, der rund um die Uhr und an jedem Tag gesichert werden muss, wird als Grundlast bezeichnet. Im Großhandel gibt es dafür günstige Stromprodukte mit konstanter elektrischer Leistung, sogenannte Baseload.
Auf der Angebotsseite melden die Betreiber von Kraftwerken ebenfalls einen Tag im Voraus, zu welchen Preisen sie prognosegemäß wie viel Strom anbieten werden. In einem funktionierenden Markt bietet jeder Kraftwerksbetreiber dann Strom an, wenn er die Kosten für Brennstoff und CO2-Verschmutzungsrechte sowie einen Deckungsbetrag für Bau und Betrieb des Kraftwerks erwirtschaften kann. Nach diesem Mechanismus weisen Kern- und Braunkohlekraftwerke die niedrigsten Erzeugungskosten auf, während diese bei Steinkohle- und Gaskraftwerken höher liegen. Die Reihenfolge der Kraftwerkstechnologien nach ihren Erzeugungskosten wird als Merit Order (engl. für "Reihenfolge der Grenzkosten") bezeichnet.
Aus dem Schnittpunkt der Angebots- und der Nachfragekurve ermittelt der Börsenbetreiber am Day-Ahead-Markt für jede Stunde des Folgetages einen einheitlichen Strompreis. Dessen Höhe bestimmt das teuerste Kraftwerk, das noch nötig ist, um die Nachfrage in der jeweiligen Stunde zu decken. Meist entspricht dies in der Merit Order den Erzeugungskosten eines Steinkohle-, seltener denen eines Gaskraftwerks.
Weil der Börsenpreis am Spotmarkt stark schwankt und Stromlieferanten ihre Endkundenpreise in der Regel für längere Zeiträume kalkulieren, beziehen sie den Großteil ihres Stroms nicht am Spot-, sondern am Terminmarkt – der Börse EEX Power Derivatives – oder direkt von den Kraftwerksbetreibern (engl. over the counter, außerhalb der Börse, kurz: OTC). Über sogenannte Future- oder Forward-Produkte kaufen Lieferanten Strom meist sechs Monate bis drei Jahre im Voraus ein. Weil der Großhandel sehr aufwendig ist, haben nur größere Energieversorger eigene Handelsabteilungen. Stadtwerke haben den Einkauf häufig an Dienstleister wie Trianel oder Südweststrom ausgelagert.
Mit steigenden Kosten für Kohle und Gas nahm der Börsenpreis vor allem zwischen 2003 und 2008 zunächst stark zu. Im Jahr 2012 machte die Beschaffung auf dem Großhandelsmarkt nach Angaben der Bundesnetzagentur ein Viertel des Strompreises für Haushaltskunden aus. Wie sich der Großhandelspreis für Strom in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt von mehreren Faktoren ab: vom Wachstum bzw. von der Nachfrage in den Schwellenländern, von Fortschritten bei der Energieeffizienz, vom Preis für CO2-Zertifikate und von der Erschließung neuer Gasvorkommen in Schiefergestein und in der Tiefsee. Die Förderung aus unkonventionellen Lagerstätten und die schwache Konjunktur nach der Finanzkrise haben den Gas- und den Strompreis für die Industrie in den USA zwischen 2008 und 2012 um 60 Prozent fallen lassen. Weil deshalb auf dem Weltmarkt auch die Nachfrage nach konkurrierenden Brennstoffen zurückging, sank 2012 der Steinkohlepreis gegenüber dem Vorjahr um sieben Prozent. Dieser Verfall des Kohlepreises war neben der hohen Einspeisung von erneuerbaren Energien und dem gefallenen Preis für Treibhausgaszertifikate ein weiterer Grund, warum der Strompreis an der EEX 2012 stark zurückging.
QuellentextWettbewerb vor Entscheidungsfreiheit
Die Leitzentrale in der Nähe des Potsdamer Platzes wird von einem elektronischen Schaltbild beherrscht. Bunte Linien und Lämpchen zeigen die Elektroleitungen jedes Berliner Kiezes an. Hier wird Deutschlands größtes Stromnetz überwacht. Es ist das zentrale Nervensystem der Hauptstadt. Seine Synapsen aktivieren Kühlschränke, Heizungen, Telefone, die S-Bahnen ebenso wie die Konzert- und Operationssäle der 3,5-Millionen-Metropole.
In diesen Wochen setzen sie auch die Berliner Politik unter Spannung. Denn das lokale Stromnetz mit seinen mehr als 35 000 Kilometer Leitungen und 80 Umspannwerken steht zum Verkauf. [...] Wie in Hunderten von Städten und Gemeinden, so läuft auch in der Hauptstadt der Konzessionsvertrag mit dem derzeitigen Inhaber und Betreiber des Netzes aus. An der Spree ist die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin bis zum Jahr 2014 die Herrin über alle Leitungen. Nun muss der Senat dieses Eigentums- und Nutzungsrecht neu vergeben. Für die nächsten 20 Jahre legen die Politiker fest, wem das Netz gehören soll: einem privaten Unternehmen? Einem kommunal betriebenen Stadtwerk? Oder einer Genossenschaft? Hinzu kommt die Frage: Wie frei ist die Kommune bei dieser Entscheidung? [...]
Wer auch immer das Stromnetz betreibt: Ihm winken verlässliche Einkünfte aus den Durchleitungsentgelten anderer Stromversorger. Die Bundesnetzagentur genehmigt eine Rendite von sieben bis neun Prozent, die können Kommunen gut gebrauchen. Seit 2007 gründeten sie auch deshalb bundesweit 71 neue Stadtwerke und übernahmen 170 Netzkonzessionen.
Dieses Ziel haben die Bürger auch in Berlin formal erreicht. Um die Jahreswende beschloss die große Koalition, ein Stadtwerk zu gründen. Ein zweites Unternehmen, die Berlin Energie, soll sich die Netzkonzession holen. [...]
Die Lage ist vertrackt: Selbst wenn Berlins Politiker durch das Votum der Bürger auf eine Rekommunalisierung verpflichtet würden, könnten sie nicht einfach dem landeseigenen Unternehmen das Netz übertragen. Der freie Wettbewerb hat nämlich Vorfahrt. Er bremst die Entscheidungsfreiheit aus, weil das Energiewirtschaftsgesetz ein "transparentes und diskriminierungsfreies" Vergabeverfahren fordert. Nach strengen Leitlinien des Bundeskartellamtes und der Bundesnetzagentur muss Finanzsenator Ulrich Nussbaum andere Interessenten also gleichbehandeln wie die stadteigene Berlin Energie. [...]
Im Rennen sind neben ihr und der Vattenfall-Tochter fünf weitere Bewerber [...], wer die Stadt von seiner Eignung überzeugt hat, der muss dem vormaligen Inhaber das Stromnetz abkaufen. Die Manager der Vattenfall-Tochter nennen noch keinen offiziellen Preis, geben den Wert des Netzes aber mit zwei bis drei Milliarden Euro an. [...]
Wer bei der Entscheidung 2014 gewinnen wird, das hängt von den Kriterien ab, nach denen der Finanzsenator seine Bewertungspunkte vergibt. Dabei ist er an Leitlinien des Bundeskartellamtes gebunden – und die lassen nur Vorgaben aus dem Energiewirtschaftsgesetz zu. Sicher, preisgünstig und verbraucherfreundlich muss der Konzessionär demnach wirtschaften; effizient und umweltverträglich. Das klingt gut – lässt einer Kommune aber für andere Überlegungen wenig Spielraum. Eine Beteiligung der Bürger beim Netzbetrieb zum Beispiel sieht das Gesetz nicht vor. Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, hielte das Kriterium für bedenklich, weil es eine "ungerechtfertigte Bevorzugung kommunaler Unternehmen" ermögliche. Der Wettbewerb sei notwendig, "damit die Verbraucher bestmöglich profitieren". Auch Vorgaben, dass der Konzessionär möglichst viel in die regionale Wirtschaft investieren möge, vertragen sich laut Mundt nicht mit den gesetzlichen Anforderungen. Mehrmals schon hat seine Behörde beanstandet, wenn Kommunen aus ähnlichen Gründen ihren Eigenbetrieben den Zuschlag gaben.
[...] Kommunale Spitzenverbände protestieren gegen die strengen Vorgaben der Marktaufseher. Der Berliner Energierechtler Philipp Boos meint, dass sie gegen die vom Grundgesetz garantierte Selbstverwaltungshoheit der Gemeinden verstießen. Wettbewerbsfreiheit vor Entscheidungsfreiheit: Der Konflikt macht auch die Politiker im Berliner Senat nervös. […]
Christiane Grefe, "Berlins Stromrebellen", in: DIE ZEIT Nr. 23 vom 29. Mai 2013
Marktmacht und Machtkontrolle
In der Energiewirtschaft besteht das Risiko, dass sich der Preis auf den Großhandelsmärkten nicht allein nach marktwirtschaftlichen Prinzipien bildet. Befindet sich ein großer Teil der Kraftwerke in der Hand weniger Erzeuger, können diese ihre Marktmacht ausnutzen und den Strompreis in die Höhe treiben. Nach der Öffnung des Strommarkts war der Großhandelspreis bis zum Jahr 2000 zunächst um ein Drittel gegenüber 1998 gefallen. Doch danach stiegen die Preise wieder an. Als 2006 der Börsenpreis in Deutschland deutlich über den Erzeugungskosten der preisbestimmenden Kraftwerke lag, leitete die EU-Kommission Beschwerdeverfahren gegen E.On ein und ließ Büros des Konzerns durchsuchen. Die Generaldirektion Wettbewerb hatte den Verdacht, dass der Konzern günstigen Strom aus Braunkohle-, Wasser- oder Kernkraftwerken zurückgehalten haben könnte, damit der Börsenpreis durch ein teureres Kraftwerk bestimmt wurde als nötig war.
Die Ermittlungen endeten mit einem Vergleich: Die Kommission stellte das Verfahren 2008 ein, und im Gegenzug verpflichtete sich E.On, sein Stromübertragungsnetz und mehrere große Kraftwerke zu verkaufen. In ihrer vorläufigen Beurteilung schrieb die Kommission allerdings, dass "der deutsche Stromgroßhandelsmarkt von den drei Betreibern E.On, RWE und Vattenfall gemeinsam beherrscht wird. […] E.On, RWE und Vattenfall [könnten] des Weiteren eine gemeinsame Preiserhöhungsstrategie vereinbart haben."
Absprachen der Konzerne seien aber für den Missbrauch von Marktmacht gar nicht nötig, folgerte das Bundeskartellamt in Bonn aus einer Sektoruntersuchung in den Jahren 2007 und 2008. "Die Analyse der Kräfteverhältnisse auf dem Stromgroßhandelsmarkt [...] leg[t] das Ergebnis nahe, dass in Deutschland mehrere Anbieter (RWE, E.On, Vattenfall und gegebenenfalls auch EnBW) individuell über eine marktbeherrschende Stellung verfügen", schrieb die Behörde in einem zusammenfassenden Bericht im Januar 2011. Der Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung war allerdings schwierig, weil ein Viertel aller deutschen Kraftwerke nach Angaben der Betreiber im Untersuchungszeitraum wegen "technischer Restriktionen" nicht am Netz war. Die Wettbewerbsbehörde sah sich deshalb nicht imstande, missbräuchliche Kapazitätszurückhaltungen nachträglich von technisch unvermeidbaren Stillständen zu unterscheiden.
Durch die 2013 eingerichtete Markttransparenzstelle bei der Bundesnetzagentur in Bonn und die 2011 gestartete europäische Regulierungsbehörde ACER (European Agency for the Cooperation of Energy Regulators) in Ljubljana werden die Wettbewerbshüter in den kommenden Jahren genauere Daten zum Energiegroßhandel erheben und grenzüberschreitende Stromgeschäfte innerhalb der EU besser kontrollieren können. Nach dem Verkauf von Kraftwerken und der Stilllegung von acht Atomreaktoren im Jahr 2011 verfügen die vier deutschen Energiekonzerne noch über 73 Prozent der inländischen konventionellen Stromerzeugungskapazitäten. Für einen stärkeren Wettbewerb auf dem Großhandelsmarkt müssten zum einen mehr Energieversorger eigene Kraftwerke bauen. Bisher haben kommunale Unternehmen einen Anteil von 18 Prozent am Kraftwerkspark, neun Prozent entfallen auf Erzeugungsanlagen von Industrie- und Gewerbebetrieben sowie auf ausländische Energieversorger. Für mehr Wettbewerb würde zum anderen der Bau zusätzlicher grenzüberschreitender Leitungen sorgen, sodass Strom und Gas ohne Engpässe über Landesgrenzen fließen könnten. Die Marktmacht national ausgerichteter Versorger würde in einem europäischen Energiebinnenmarkt schrumpfen.
Preisbeeinflussung durch erneuerbare Energien
Die größte Herausforderung für den Erzeugungsmarkt wird in den kommenden Jahren aber die Einbeziehung der erneuerbaren Energien sein. Bisher ist die Preisbildung auf konventionelle Kraftwerke zugeschnitten. Die hohen Preise zur Mittagszeit etwa waren für die Betreiber konventioneller Kraftwerke ein wichtiger Baustein, um den Deckungsbetrag für ihre Kraftwerksinvestitionen und ihre Gewinne zu erwirtschaften. Die Preisbildung wird aber zunehmend durch erneuerbare Energien beeinflusst.
Übertragungsnetzbetreiber verkaufen Ökostrom, der durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert wird, seit 2010 an den Spotmärkten. Die Differenz zu der höheren, im EEG garantierten Vergütung tragen die Stromverbraucher seit dem Jahr 2000 über die EEG-Umlage. Mit 3,6 Cent pro Kilowattstunde machte sie 2012 genau 13,8 Prozent des Strompreises von 26 Cent aus.
Weil erneuerbare Energien keine Brennstoffe verbrauchen, liegen ihre laufenden Kosten bei null und sind damit nach dem derzeitigen Marktmodell so niedrig wie bei keiner anderen Erzeugungstechnologie. Erneuerbare Energien verdrängen deshalb Anlagen mit höheren Grenzkosten vom Markt, sodass der Preis von einem günstigeren Kraftwerk bestimmt wird – zum Beispiel von einem abgeschriebenen Steinkohlekraftwerk anstelle eines neuen Gaskraftwerks. Durch diesen Merit-Order-Effekt (siehe. a. S. 55/56) senken erneuerbare Energien den Strompreis an der Börse.
Die Folge ist paradoxerweise eine steigende EEG-Umlage. Denn wenn der Börsenpreis sinkt, erhöht sich automatisch die Differenz zur garantierten Vergütung. Der Merit-Order-Effekt war ein Grund dafür, dass sich die EEG-Umlage 2013 von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde erhöhte und ihr Anteil an den Stromkosten von 13,8 auf 18,3 Prozent stieg. Allein die kurz zuvor drastisch ausgebaute Solarenergie deckt an sonnigen Mittagen bereits bis zu einem Drittel des deutschen Stromverbrauchs, wodurch der früher zur Mittagszeit besonders hohe Strompreis sinkt. Dadurch wird es besonders für teure Gaskraftwerke – die früher zur Bedarfsdeckung in Zeiten hoher Nachfrage eingesetzt wurden – schwerer, Gewinne zu erwirtschaften. Solange preisgünstige Speicher für große Elektrizitätsmengen fehlen, bleiben aber fossile Kraftwerke nötig, um die Stromerzeugung aus wetterabhängigen erneuerbaren Energien abzusichern und Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Neue Regeln für den Strommarkt müssten also gewährleisten, dass einerseits erneuerbare Energien vermarktet werden können, ohne einen öffentlichkeitswirksamen Bestandteil ihrer Förderung selbst in die Höhe zu treiben, und sich andererseits auch fossile Kraftwerke noch rentieren.
Entgelte für den Energietransport
Netzbetreiber
Netzbetreiber
Die zweite Wertschöpfungsstufe in der Energiewirtschaft nach Erzeugung und Handel ist der Transport. Die Stromhöchstspannungsleitungen gehören den vier Übertragungsnetzbetreibern Tennet TSO, Amprion, 50Hertz Transmission und TransnetBW. Bis vor wenigen Jahren waren sie im Besitz der vier großen Energieerzeuger, derzeit ist noch RWE mit 25 Prozent an Amprion beteiligt, EnBW mit 87 Prozent an TransnetBW. Die niedrigeren Spannungsebenen sind im Eigentum der 735 regionalen Verteilnetzbetreiber, also Stadtwerken oder Regionalversorgern, von denen einige den vier Energiekonzernen gehören.
Seit Beginn der Energiemarktliberalisierung 1998 hat die Politik immer aufwendigere Methoden entwickelt, das natürliche Monopol der Netzbetreiber zu regulieren und Energielieferanten einen diskriminierungsfreien Zugang zu Strom- und Gasleitungen zu verschaffen. Die Eigentümer der Netze hatten den neuen Rechtsanspruch der Lieferanten auf Netzzugang zunächst durch überhöhte Entgelte für die Durchleitung von Strom und Gas behindert. Konkurrierenden Versorgern war es dadurch nur schwer möglich, diese Energieträger gewinnbringend anzubieten.
Seit 2006 genehmigen deshalb die Bundesnetzagentur und die Regulierungsbehörden der Länder die Höhe der Netzentgelte. Sie sind abhängig von der Größe und Struktur des Netzgebietes, vom Erneuerungsbedarf alter Leitungen und von der Zahl neu anzuschließender Kraftwerke – vor allem Ökostrom-Anlagen. Die Netzentgelte sind deshalb bei jedem der 735 regionalen Netzbetreiber unterschiedlich hoch. Zusammen mit den Entgelten für Zählerbetrieb, Messung und Abrechnung machten sie 2012 durchschnittlich 23 Prozent des Strompreises aus.
Die Netzentgelte inklusive der Messkosten sind durch Eingriffe der Regulierungsbehörden von 7,3 Cent im Jahr 2006 auf sechs Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2012 gesunken. Durch ihr Eigentum an der Infrastruktur haben die Netzbetreiber aber ein gewisses Druckpotenzial gegenüber den Regulierungsbehörden und dem Gesetzgeber. Nach Protesten der Netzfirmen hat die Bundesnetzagentur die regulierten Renditen der Unternehmen für den Zeitraum 2014 bis 2018 nicht so stark gesenkt wie zunächst beabsichtigt. Die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstehende Behörde wollte damit einen schnellen Ausbau des Stromnetzes für die erneuerbaren Energien ermöglichen.
Vertrieb durch die Lieferanten
Die dritte Stufe der Wertschöpfung in der Energiewirtschaft ist schließlich der Vertrieb durch die Lieferanten. Wie viel der Lieferant auf den Großhandelspreis aufschlägt, hängt stark vom Wettbewerbsdruck ab, also von der Zahl der Anbieter und der Bereitschaft der Kunden zu einem Versorgerwechsel. In Deutschland gibt es etwa 1000 Stromversorger, bei dem größten Teil handelt es sich allerdings um Stadtwerke oder Regionalversorger, die nur in ihren Stammgebieten Energie vertreiben. Hinzu kommen rund 50 private Energiehändler, die meist weder über eigene Kraftwerke noch Netze verfügen. Pro Netzgebiet kann ein Haushalt durchschnittlich zwischen 80 Lieferanten wählen. Die höchsten Marktanteile halten immer noch E.On, RWE, Vattenfall und EnBW. Zusammen haben sie Stromlieferverträge mit 42 Prozent aller Haushalte. Dabei treten die vier Konzerne auch unter den Markennamen eigener Discounttöchter oder von Stadtwerken auf, an denen sie Mehrheitsbeteiligungen halten.
Der Lieferant, der in einem Netzgebiet die meisten Kunden versorgt, wird als Grundversorger bezeichnet. Er ist gesetzlich verpflichtet, jeden Kunden im Netzgebiet mit Strom oder Gas zu beliefern. Sollte der Vertragspartner eines Kunden die Belieferung einstellen, übernimmt automatisch der Grundversorger. Mit dieser Pflicht begründen die Lieferanten, dass Grundversorgungstarife besonders teuer sind. Grundversorger sind in der Regel Stadtwerke oder Vertriebstöchter der vier großen Stromerzeuger.
Obwohl es eine große Zahl an Wettbewerbern auf dem Endkundenmarkt gibt, ist die Wechselbereitschaft von Haushaltskunden immer noch eher schwach ausgeprägt. Nur 17 Prozent der Haushalte hatten bis 2011 ihren Energielieferanten gewechselt. Etwa 43 Prozent hatten neue Verträge mit ihrem Grundversorger abgeschlossen, die im Durchschnitt 1,5 Prozent teurer sind als die Belieferung durch einen Konkurrenten. Rund 40 Prozent der Haushalte waren 2011 sogar immer noch in einem der Grundversorgungstarife, die im Mittel 4,7 Prozent teurer sind als Angebote von Wettbewerbern. Wegen der eher schwachen Wechselbereitschaft der Kunden konnten die Stromlieferanten den Vertriebsanteil am Durchschnitt aller Stromtarife von drei Prozent im Jahr 2007 auf acht Prozent 2012 erhöhen, ohne hohe Kundenverluste befürchten zu müssen.
Steuern, Abgaben und Umlagen
Staatlicher Anteil am Strompreis 2013
Staatlicher Anteil am Strompreis 2013
Zusammengenommen fließen fast 70 Prozent des Strompreises in die Wirtschaft, mit 30 Prozent ist der staatliche Anteil an den Stromkosten allerdings, verglichen mit anderen Ländern, hoch. Die Mehrwertsteuer wird auf alle Verbrauchsgüter erhoben und macht 16 Prozent des Strompreises aus. Spezifisch für den Energiesektor ist zum einen die Konzessionsabgabe. Kommunen erheben sie seit Beginn der Elektrifizierung dafür, dass die Stromleitungen über öffentliche Wege führen. Die zulässige Höhe der Abgabe ist nach der Einwohnerzahl der Kommune gestaffelt, durchschnittlich liegt sie bei 1,7 Cent pro Kilowattstunde (2012: 6,4 Prozent des Strompreises).
Hinzu kommt die Stromsteuer in Höhe von zwei Cent pro Kilowattstunde (2012: 7,9 Prozent des Preises). Sie wurde 1999 schrittweise mit der ökologischen Steuerreform eingeführt und wird genutzt, um die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zur Rentenversicherung zu begrenzen. Die Ökosteuer soll einen Anreiz zum Energiesparen setzen, und sie macht deutlich, dass es auch politische Gründe dafür gibt, Energie zu verteuern. Die Pflicht zum Kauf von Emissionszertifikaten ist ebenfalls ein Mittel, gesamtwirtschaftliche Kosten des Energieverbrauchs in den Preisen abzubilden und so den Umbau hin zu einem umwelt- und ressourcenschonenden Wirtschaftssystem voranzubringen.
QuellentextDie Energieschuldenfalle
Die Energiewende gibt es nicht umsonst, und mit jeder neu installierten Solaranlage und jedem zusätzlichen Windrad wird sie teurer. Zwar kursieren bislang nur vage Kalkulationen, doch schon jetzt ist klar: Die Umlage für die Subventionierung von Ökostrom wird im kommenden Jahr noch teurer. Von derzeit 5,27 Cent je Kilowattstunde könnte sie auf deutlich mehr als 6 Cent klettern.
Auf der Stromrechnung addieren sich die Centbeträge zu einem saftigen Plus, das für die einen ärgerlich, aber zu verschmerzen ist – für diejenigen jedoch, die mit ihrem Geld schon jetzt kaum über die Runden kommen, zum ernsthaften Problem werden kann. Allein im vergangenen Jahr, als Strom noch deutlich günstiger war, drehten die Versorger mehr als 300000 säumigen Zahlern den Saft ab. Jeder vierte Berliner, der 2012 die Schuldnerberatung aufsuchte, hatte "Energieschulden", 2006 war es noch jeder zehnte. [...] Umso erstaunlicher ist die große Unwissenheit, die in Deutschland über den Zusammenhang von hohen Energiekosten und Armut herrscht. [...]
Um Licht ins Dunkel zu bringen, müssen erst einmal diejenigen identifiziert werden, denen steigende Energiekosten besonders weh tun. Das sind, anders als oft angenommen, nicht zwangsläufig die Empfänger von Arbeitslosengeld II.
Wer mit Schulden- und Energieberatern spricht, erfährt: Ein erheblicher Teil ihrer Klientel sind Geringverdiener und Rentner. Gerade Menschen, die knapp über der Schwelle für den Bezug von Sozialtransfers liegen, hätten häufig damit zu kämpfen, jeden Monat ihre Energierechnung zu bezahlen.
Hartz-IV-Empfänger dagegen bekommen ihre Heizkosten, solange sie "angemessen" sind, von den Behörden überwiesen. Die Kosten für die Stromrechnung ist im Regelsatz enthalten. Auch wenn diese Rechnung in der Realität aus unterschiedlichen Gründen oft nicht aufgeht – zumindest auf dem Papier schützt die Grundsicherung davor, unverhofft im Dunkeln oder Kalten zu sitzen. Die Pauschalforderung von Verbraucherschützern, mit höheren Transfers gegen Zahlungsengpässe anzukämpfen, greift damit zu kurz.
[...] [Die] Briten [...] haben eine Formel für Energiearmut entworfen und ermitteln jährlich, wer betroffen ist. [...]. Wer mehr als 10 Prozent eines geringen Einkommens für Energie ausgeben muss, gilt als "energiearm".
Diese Methode lässt sich wegen des hiesigen Sozialsystems zwar nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Sie lenkt jedoch den Blick darauf, dass Energiearmut nicht allein mit Einkommen, sondern entscheidend mit Energieeffizienz zu tun hat. Leben Ärmere in energetisch unzureichend sanierten Häusern, erhöht das ihren Energiebedarf und verschärft die Problematik.
Ist das in Deutschland häufig der Fall? Um diese Frage fundiert zu beantworten, fehlen schlicht die Daten. Genauso fehlt Vermietern, in deren Wohnungen Transferbezieher oder Geringverdiener leben, der Anreiz, in neue Fenster oder besser gedämmte Wände zu investieren. Denn um solche Kosten wieder herein zu bekommen, müssten sie anschließend die Mieten erhöhen – und das ist wegen der finanziellen Misere ihrer Mieter oft nicht möglich. [...]
Johannes Pennekamp, "Energie und Armut", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juli 2013
Die Stromrechnung
Die Stromrechnung
Belastungen von Verbrauchern und Wirtschaft
Gleichzeitig belasten steigende Energiepreise Bürgerinnen und Bürger sowie Teile der Wirtschaft immer stärker. Ein Durchschnittshaushalt gibt für Heizung, Benzin und Strom inzwischen fast genauso viel aus wie für Lebensmittel, wobei die Ausgaben für Strom den geringsten Anteil an den Energiekosten haben. Zwischen 2000 und 2012 nahmen die allgemeinen Verbraucherpreise laut Statistischem Bundesamt aufgrund der Inflation um 22 Prozent zu. Benzin ist dagegen für Haushalte um 61 Prozent teurer geworden, Strom und Erdgas um 77 Prozent, Heizöl sogar um 115 Prozent.
Innerhalb der Wirtschaft gibt es große Unterschiede beim Verbrauch einzelner Energieträger und bei der Kostenbelastung. Während für das Transportgewerbe die Treibstoffpreise entscheidend sind, verbrauchen zum Beispiel Kühlhäuser oder IT-Unternehmen vor allem Strom. In der Industrie ist neben Elektrizität auch Wärme und damit Erdgas ein wichtiger Produktionsfaktor. Die Spannbreite der Energiekostenbelastung reicht vom Ladeninhaber, der nur Beleuchtung und Heizung bezahlen muss, bis zum Aluminiumproduzenten, der für ein Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs verantwortlich ist.
Für Gewerbebetriebe betrug der Strompreis inklusive Umsatzsteuer 2012 mit knapp 24 Cent etwa so viel wie für Haushaltskunden mit 26 Cent pro Kilowattstunde. Zieht man aber die Mehrwertsteuer ab, die die Unternehmen ja zurückbekommen, zeigt sich vor allem bei Industrieunternehmen eine hohe Differenz zum Haushaltskundenpreis. Sie zahlen netto mit 13 Cent pro Kilowattstunde nahezu halb so viel. Industriebetriebe profitieren vor allem davon, dass sie an höhere Spannungsebenen angeschlossen sind. Weil sie nur einen Teil des Stromnetzes nutzen, zahlen sie durchschnittlich ein Netzentgelt von 1,7 Cent pro Kilowattstunde. Bei Haushalten sind es 5,4 Cent. Die Konzessionsabgabe ist für Großkunden wie Industriebetriebe ebenfalls geringer.
Die Kosten für Beschaffung und Vertrieb liegen mit 5,7 Cent ebenfalls deutlich unter den Konditionen für Haushaltskunden, denen durchschnittlich 8,4 Cent pro Kilowattstunde berechnet werden. Industriebetrieben kommt dabei ihr gleichmäßigerer Verbrauch zu Gute. Sie brauchen seltener teuren Spitzenlast-Strom als Haushalte. Sehr große Betriebe können mit Energielieferanten zusätzlich Rabatte auf die Vertriebsmarge aushandeln, außerdem profitieren Industriekunden stärker vom preissenkenden Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien als Verbraucherinnen und Verbraucher.
Industriestrompreise nach Ländern weltweit 2012
Industriestrompreise nach Ländern weltweit 2012
Innerhalb der EU lagen die deutschen Industriestrompreise 2012 um 20 Prozent über dem Durchschnitt, wenn man die aufwendig zu versorgenden Inselstaaten Malta und Zypern herausrechnet. Grund waren vor allem die hohen Steuern, Abgaben und Umlagen. In den USA kostet Strom nur etwa halb so viel wie in Deutschland. Die Politik ist deshalb bestrebt, die Strompreise für solche Industriebranchen niedrig zu halten, die besonders energieintensiv sind und die in intensivem internationalem Wettbewerb stehen. Hoher Wettbewerbsdruck gegenüber anderen Ländern verhindert, dass die Unternehmen Preissteigerungen an ihre Kunden auf den internationalen Märkten weitergeben können.
Für energieintensive Unternehmen gibt es allerdings keine einheitliche Definition. In einigen Gesetzestexten werden darunter Großverbraucher verstanden, deren Stromkosten vier Prozent des Umsatzes übersteigen. Andere Beihilfen beziehen sich auf die Bruttowertschöpfung, die dem Umsatz abzüglich der Vorleistungen entspricht. Dadurch sollen auch solche energieintensive Unternehmen in den Genuss von Strompreis- ermäßigungen kommen, die weitgehend fertige Komponenten veredeln und deren eigener Beitrag zur Wertschöpfung des Endprodukts relativ gering ist.
Besonders energieintensive Prozesse finden sich vor allem in der Grundstoffindustrie, bei der Produktion von Baustoffen, Papier, Glas, Metallen und Chemikalien. In der Grundstoffindustrie arbeiten 820 000 Menschen und damit 2,3 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Die Produkte dieser Betriebe werden in vielen anderen Branchen weiterverarbeitet. In der Politik gibt es deshalb die Sorge, dass bei einer zu hohen Belastung mit Energiekosten die Grundstoffindustrie und mit ihr viele weitere Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden könnten. Für besonders energieintensive Industriebranchen gibt es darum zahlreiche staatliche Beihilfen auf die Energiepreise, besonders für Strom.
Die Grundstoffindustrie zahlt weder Stromsteuer noch Netzentgelte und kann auch von der Konzessionsabgabe befreit werden. Die ermäßigten Sätze der EEG-Umlage von 0,05 Cent und der KWK-Umlage von 0,025 Cent pro Kilowattstunde (zur Förderung von Anlagen, die in Kraft-Wärme-Kopplung gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen) sind so niedrig, dass dies einer Befreiung nahekommt. Die Grundstoffindustrie zahlt deshalb im Wesentlichen nur den Börsenpreis und einen Aufschlag für den Lieferanten.
EEG-Umlage
Energieintensive Produktionsunternehmen außerhalb der Grundstoffindustrien sind zwar nicht komplett von Steuern, Abgaben und Umlagen befreit, für sie gibt es aber zumindest Ermäßigungen. In den vergangenen Jahren wurde der Kreis der privilegierten Unternehmen immer größer. Allein Nachlässe bei der Energie- und Stromsteuer und der EEG-Umlage betragen jährlich mehrere Milliarden Euro. Seit 2004 brauchen Industrieunternehmen nicht mehr detailliert nachzuweisen, wie stark die Zahlung der EEG-Umlage ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen würde. Verschiedene Bundesregierungen rechtfertigten die Ausnahmen damit, dass die EEG-Umlage und die Stromsteuer nationale Besonderheiten seien und deutsche Industrieunternehmen international wettbewerbsfähig sein müssten.
Wer die Kosten für das EEG trägt
Wer die Kosten für das EEG trägt
Durch immer weitere Ausnahmen für Teile der Industrie müssen private Haushalte sowie nicht-begünstigte Gewerbetreibende und Industrieunternehmen allerdings immer höhere Belastungen zur Finanzierung der EEG-Umlage tragen. Kurzzeitig waren die Mehrbelastungen durch Industriebeihilfen auf zehn Prozent der Umlage begrenzt, Ende 2006 strich der Gesetzgeber diese Deckelung aber. Ohne Industrierabatte hätte die EEG-Umlage nach Angaben der Bundesnetzagentur 2012 nur bei knapp drei statt 3,6 Cent pro Kilowattstunde gelegen. Dieser Trend kann sich in Zukunft noch verstärken, weil immer mehr Unternehmen eigene Kraftwerke und Privatleute Solaranlagen betreiben. Auf den selbst erzeugten und verbrauchten Strom wird bisher ebenfalls keine EEG-Umlage fällig. Steigende Vergütungen müssten bei dieser Entwicklung von immer weniger Verbrauchern finanziert werden.
QuellentextWie gerecht ist die EEG-Umlage?
[…] [B]ei der Firma Aurubis [laufen] die Fäden der Energiewende zusammen. Europas größte Kupferhütte liefert dem Umbau den nötigen Rohstoff: Kupfer für Hightech-Kabel und Windräder. "Einerseits bedeutet die Wende für uns als energieintensive Industrie ein gewaltiges Risiko. Wir sind auf bezahlbaren Strom angewiesen", sagt Ulf Gehrckens, Energie-Manager bei Aurubis. "Auf der anderen Seite profitieren wir davon, denn die erneuerbaren Energien erfordern den vermehrten Einsatz von Kupfer. Allein in einem Windrad sind es rund acht Tonnen."
Das Werk in Hamburg gilt in der Industrie weltweit als führend beim Stromsparen. Wegen des gewaltigen Verbrauchs ist der Konzern von der Ökostrom-Umlage ausgenommen. Trotzdem zahlt er noch immer doppelt so viel für Energie wie seine Konkurrenten in China. "Mehr geht nicht", sagt Gehrckens. "Die Konsequenz wäre, dass das Kupfer für die deutsche Wende künftig von anderen Unternehmen aus Asien kommt. Dort wird bei der Herstellung doppelt so viel Energie verbraucht und mit weniger Umweltschutz gearbeitet. Ein Drittel unseres Stromverbrauchs fließt gerade in Umweltschutzmaßnahmen wie Luftfilter." [...]
Doch auch in der Wirtschaft wachsen die Zweifel, ob es so weitergehen kann. Denn die Ausnahmen von der Ökostrom-Finanzierung sind in Deutschland längst zur Regel geworden. Die Liste der Begünstigten für 2012 umfasst gut 700 Unternehmen und ist mehr als 20 Seiten lang. [...] [F]ür [...] [2013] haben bereits 2000 Betriebe einen Antrag für den Sonderstatus gestellt.
[Bernd Drechsel] [...] führt seit einigen Jahren das Unternehmen seiner Familie, die Textilveredelung Drechsel in Selb. 140 Mitarbeiter hat er heute und bearbeitet Stoffe für Kunden aus der Region. Weil der Strompreis seit Jahren steigt, investierte die Firma Millionen in einen geringeren Verbrauch. Durch neue Maschinen und Lichtsysteme konnte dieser um 25 Prozent reduziert werden. Ein Erfolg, der Drechsel jetzt teuer zu stehen kommt. Denn sein Unternehmen nimmt zu wenig Strom ab, um von der EEG-Umlage befreit zu werden. Damit steigt die Stromrechnung für den Betrieb rapide. Die Ökostromkosten fressen die Ersparnis wieder auf. [...]
Am meisten ärgert Drechsel, dass Firmen in der Nachbarschaft mit einem üblen Trick durchkommen. Ende des Jahres, erzählt Drechsel, würden die rund um die Uhr ihre Maschinen laufen und die Lichter brennen lassen, um den Stromverbrauch künstlich über die Grenzwerte zu treiben. Für solche Firmen ein Gewinn: Der zusätzliche Verbrauch koste einen niedrigen fünfstelligen Betrag, die Ersparnis durch die Befreiung von der Ökostrom-Umlage hingegen liege "im hohen sechsstelligen Bereich", sagt Drechsel. [...]
Markus Balser, Marlene Weiss, "Stromschlag", in: Süddeutsche Zeitung vom 20./21. Oktober 2012
Kontroverse um die Förderung der erneuerbaren Energien
Im Interesse der Verbraucher wie auch kleiner und mittlerer Unternehmen wird vielfach gefordert, die Förderung erneuerbarer Energien zu reformieren. Gleichzeitig ist umstritten, ob die positiven Beschäftigungseffekte der erneuerbaren Energien die hohe Förderung rechtfertigen. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums arbeiteten 2011 etwa 382 000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien. Die Arbeitsplätze finden sich in der Metall-, Elektro- und Chemieindustrie sowie im Maschinenbau bei der Produktion der Ökostrom-Anlagen, im Handwerk bei der Installation und Wartung sowie im Dienstleistungsgewerbe beim Betrieb von zum Beispiel Windparks.
Neuen Arbeitsplätzen stehen die Kosten für die Förderung nach dem EEG gegenüber, 2012 betrug die Vergütung 15,4 Milliarden Euro. Diese Summe wurde den Verbrauchern an Kaufkraft entzogen oder sie fehlte Unternehmen für Investitionen. In der konventionellen Energiewirtschaft gehen außerdem immer mehr Arbeitsplätze verloren.
Zu ersten nachhaltigen Arbeitsplatzverlusten kam es auch bereits in der Erneuerbaren-Branche, als 2011 und 2012 eine Reihe von Solaranlagenherstellern trotz milliardenhoher Zuschüsse Insolvenz anmeldeten. Wie in anderen Bereichen der Elektroindustrie hatten asiatische Hersteller die Marktführerschaft erobert. Die hohe Förderung der Solarbranche wird von vielen inzwischen als kritisch gesehen. Es gibt aber kaum Zweifel, dass erneuerbare Energien und Technologien für den effizienten Verbrauch von Energie in den kommenden Jahrzehnten wichtige Wachstumsmärkte bleiben werden. Der Klimawandel und der wachsende Energiebedarf der Weltbevölkerung lassen wenig Alternativen.
QuellentextBeschäftigung im Sektor erneuerbare Energien
Wenn es den typischen Beruf der Energiewende gibt, dann ist es dieser: Servicemonteur für Windräder. Fast wie ein Actionheld im Film hängt er – durch ein Seil gesichert – in schwindelerregender Höhe und montiert und wartet einen geflügelten Giganten. Voraussetzung für den Job sind eine abgeschlossene Berufsausbildung in Elektrotechnik, Maschinenbau oder Mechatronik sowie eine entsprechende Weiterbildung.
Aber es muss nicht so spektakulär sein, auch für die Mitarbeiter von Logistik oder Werften für die Offshore-Windkraft bringen Windräder Jobs. Den aktuellsten Zahlen der Bundesregierung zufolge beschäftigte die Windenergie 2012 direkt oder indirekt fast 118 000 Menschen.
[...] Fast 377 800 Menschen hat die Branche der erneuerbaren Energien im vergangenen Jahr in Deutschland nach offiziellen Angaben beschäftigt. Allerdings: Zum ersten Mal ist die Zahl rückläufig, 2011 waren es noch 381 600 Beschäftigte gewesen. Beginnt der Jobmotor Energiewende etwa zu stottern?
Bei der Windenergie zumindest läuft er noch einwandfrei. Laut einer vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebenen Studie zur Bruttobeschäftigung durch erneuerbare Energien vom März 2013 könnte der deutsche Windmarkt im laufenden Jahr sogar „alle bisher dagewesenen Rekorde brechen“. Bis zu 3500 Megawatt Stromleistung durch neue Windradanlagen könnten demnach entstehen. Gleichwohl, so die Macher der Studie, könnte mit dem Wachstum bald Schluss sein. [...] Denn bereits jetzt seien auf dem globalen Markt Überkapazitäten auszumachen. Die langfristige Folge: Die Nachfrage sinkt, die Preise für Windtechnologie fallen, Tausende Arbeitsplätze sind gefährdet.
In der Solarbranche kennt man das schon. Hier ist die Energiewende-Party spätestens seit dem vergangenen Jahr vorbei. Dabei schien sich das Jobversprechen zunächst auch hier zu bewahrheiten: Laut der Regierungsstudie vom März 2013 verfünffachte sich die Zahl der Beschäftigten von gut 25 000 im Jahr 2004 innerhalb von sieben Jahren auf 125 000. Dann brach sie im vergangenen Jahr auf nur noch 100 500 Arbeitnehmer ein. [...] Ein Hauptgrund: In Asien lassen sich Solarzellen deutlich billiger herstellen.
[...] Wurden 2011 in Deutschland noch 400 Biogasanlagen errichtet, waren es 2012 nur noch 300. Auch die Beschäftigung sank demnach. Im Biogasbereich arbeiten vor allem Anlagenbauer, Zulieferer, Landwirte und Servicekräfte. 2011 waren es noch rund 60 000, im vergangenen Jahr dann schon 20 000 Beschäftigte weniger [...]. Mit dem Wegbrechen des inländischen Markts setzen die Unternehmen aufs Ausland: Die Exportrate der Branche stieg in dem Zeitraum von 10 auf 40 Prozent. [...]
Kann die Energiewende also auch in den kommenden Jahren neue Arbeitsplätze schaffen? [...] Der Trend scheint weg vom innerdeutschen Markt hin zu mehr Engagement im Ausland zu gehen.
Doch was ist mit den Arbeitsplätzen in Deutschland? Hier sehen Experten großes Potential beim Netzausbau. Laut einem Sprecher der Deutschen Energie-Agentur (Dena) müssen bis 2022 rund 4000 Trassenkilometer entstehen, um den durch Wind erzeugten Strom aus dem Norden und Osten der Republik in den Süden und Westen zu transportieren. Das Problem: Es gibt noch keine Zahlen, wie viele Arbeitsplätze der Netzausbau konkret schaffen kann. [...]
Markus Huth, "Der Aufwind flaut ab", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Juni 2013