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Wirtschaft in beiden deutschen Staaten (Teil 2) | Deutschland in den 50er Jahren | bpb.de

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Wirtschaft in beiden deutschen Staaten (Teil 2) Wirtschaftliche Entwicklung und Lebenslage in der DDR

Burghard Ciesla

/ 17 Minuten zu lesen

Der Ost-Berliner Alexanderplatz 1959 - Geschäftszentrum, bevor Berlin geteilt wurde. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

In den Fünfzigern wurde auch in der DDR ein sehr hohes Wirtschaftswachstum erzielt. Der Umfang des produzierten Nationaleinkommens wuchs von 1950 bis 1960 auf das 2,5fache, dabei waren besonders zu Beginn der fünfziger Jahre die Zuwachsraten beachtlich. Eine vergleichbare Wachstumsdynamik vermochte die DDR in den darauffolgenden Jahrzehnten ihrer Existenz nicht mehr zu erreichen. Ähnlich wie im Westen Deutschlands war das hohe Wirtschaftswachstum nach Kriegsende maßgeblich eine Folge der gründlichen Ausschöpfung der vorhandenen industriellen Substanz (Rekonstruktionspotential), aber bei einer verhältnismäßig geringen Investitionsfähigkeit. Die von der Industrie in der Zeit vor 1945 erbrachten Modernisierungsleistungen wurden zur Behebung von Kapazitätsengpässen und zur Ausbeutung der wirtschaftlichen Reserven genutzt. Der Wirkungsgrad von Techniken und Technologien aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen konnte vielfach noch einmal erheblich gesteigert werden. Größere Neuerungsprozesse (Innovationen) blieben in der Wiederaufbauphase weitgehend aus. Etwa ab Mitte der fünfziger Jahre zeigte sich, daß die Möglichkeiten der verstärkten Auslastung der vorhandenen Industriekapazitäten ausgereizt waren. Das Wachstumstempo begann nachzulassen.

Hinter dem hohen Wirtschaftswachstum steckte zugleich der Versuch der SED-Führung, eine schnelle Industrialisierung nach sowjetischem Vorbild umzusetzen. Damit war eine Umstrukturierung der Wirtschaft zugunsten der Metallurgie und des Schwermaschinenbaus verbunden. Die ohnehin knappen Investitionen und Ressourcen flossen damit primär in den Neuaufbau nicht vorhandener oder nicht ausreichend entwickelter Zweige der Grundstoffindustrie.

Diese Bevorzugung verschärfte die bestehenden wirtschaftlichen Probleme, die durch Kriegszerstörungen, Demontageverluste und Reparationslieferungen aus der laufenden Produktion entstanden waren. Zusätzlich bewirkte der Kalte Krieg eine Abschottung gegenüber dem westlichen Markt, die Einbindung in den vergleichsweise industriell rückständigen osteuropäischen Wirtschaftsraum und Arbeitskräfteverluste durch die Westabwanderungen. Die Zerstörung eines organisch gewachsenen Systems der wirtschaftlichen Arbeitsteilung durch die deutsche Teilung und durch Gebietsabtrennungen spitzte die Lage noch weiter zu. Insofern muß die wirtschaftliche Rückständigkeit der DDR gegenüber der Bundesrepublik aus einer ganzen Kette sich gegenseitig verstärkender Faktoren interpretiert werden.

Generell stand die DDR-Wirtschaft in den fünfziger Jahren vor der schwierigen Situation, gleichzeitig drei Aufgaben von gleicher Dringlichkeit lösen zu müssen:

  • die Erhöhung des privaten Verbrauchs;

  • den Ausbau und die Modernisierung der Infrastrukturen;

  • die Absicherung der Investitionen in allen Industriebranchen.

    Jede Bevorzugung mußte angesichts der geringen Spielräume zur Vernachlässigung anderer Ziele führen und in angespannter Lage krisenhafte Wirkungen hervorrufen. Die Überforderung war damit programmiert und ernsthafte Wachstumseinbrüche erschütterten die DDR-Wirtschaft 1952/53, 1956 und 1960/61. Die unmittelbaren Ursachen für die Einbrüche 1952/53 und 1960/61 hingen wesentlich mit den Versuchen der SED-Führung zusammen, die Errichtung der neuen sozialistischen Eigentumsordnung zu beschleunigen. So wurde im Juli 1952 unter anderem die Kollektivierung der Landwirtschaft verkündet und 1958 die Überführung der letzten Einzelbauern in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) beschlossen. Der Wachstumseinbruch des Jahres 1956 hatte dagegen vor allem außenwirtschaftliche Gründe, da wichtige Rohstoff- und Warenlieferungen aus Polen und Ungarn aufgrund der Aufstände dort ausgeblieben waren. In der DDR führte die Einstellung der Lieferungen zu empfindlichen Störungen im Wirtschaftsleben.

    Demontagen und Reparationsleistungen



    Eine der tieferen Ursachen für die wirtschaftlichen Probleme muß in den Reparationsleistungen an die Sowjetunion (1945-1953) gesucht werden. Die SBZ/DDR erbrachte die höchsten im 20. Jahrhundert bekannt gewordenen Reparationsleistungen, nach neueren Berechnungen mindestens 14 Milliarden Dollar (in Preisen von 1938) inklusive Besatzungskosten. Im Vergleich zum Westen Deutschlands hatte der Osten zwar geringere Substanzverluste durch Kriegsschäden, doch die Verluste durch die sowjetischen Beuteaktionen, Demontagen und Reparationsleistungen lagen deutlich über denen der Bundesrepublik. Zwischen 1945 und 1948 entstanden infolge der sowjetischen Demontagen industrielle Strukturschäden, die besonders die spätere Wettbewerbsfähigkeit der DDR negativ beeinflußten. In der SBZ und in Ost-Berlin demontierte die sowjetische Besatzungsmacht mindestens 2000 bis 4000 Betriebe, mehr als die Hälfte davon vollständig. Als die Demontagen 1948 endeten, betrug die Gesamtkapazität der Industrie der SBZ nur noch schätzungsweise 50 bis 70 Prozent des Standes von 1936. Letztlich haben die Demontagen die industrielle Substanz stärker geschädigt als die eigentlichen Kriegszerstörungen.

    Einzelne Wirtschaftsbereiche vermochten sich von den Demontagefolgen nicht vollständig zu erholen. Beispielsweise lag Mitte der fünfziger Jahre die Personenkraftwagen-Produktion bei nur etwa einem Drittel des Produktionsstandes von 1936. Spätere wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen der SED-Führung ruinierten die einstmals führende Automobilindustrie schließlich auf Dauer. Noch gravierender waren die Folgen für das Transportwesen der SBZ/DDR. Die Transportleistungen erreichten aufgrund der umfangreichen Demontage von Gleisanlagen (Abbau des zweiten Gleises), der Mitnahme von Lokomotiven und Waggons sowie dem Abbau moderner Bahneinrichtungen 1950 nur noch etwas mehr als die Hälfte der Transportleistungen des Jahres 1936.

    Neben den Demontagen führten die Reparationsleistungen, die als laufende Abschöpfungen eines Teils der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion durch die Besatzungsmacht verstanden werden müssen, zu Verschiebungen des industriellen Strukturgefüges und zum Entzug von Investitionsgütern. Immerhin kamen 1949 drei Viertel aller Reparationslieferungen aus Betrieben des Maschinen- und Schwermaschinenbaus und des Schiffbaus, also aus Zweigen, die es im einstigen mitteldeutschen Raum nicht oder nur in geringem Umfang gegeben hatte.

    Sowjetische Aktiengesellschaften



    Eine zentrale Rolle in der Reparationsproduktion spielten die Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG). Formal lehnten sich diese an die aus dem deutschen Recht stammende Form der Aktiengesellschaften an, das heißt, es gab einen Vorstand, einen Aufsichtsrat, eine überwiegend nach deutschen Vorschriften arbeitende Buchhaltung und das Gesellschaftskapital wurde in Aktien aufgeteilt. Damit endete aber auch schon die Anlehnung an das deutsche Aktienrecht. Die SAG waren weder publikationspflichtig noch durfte ein Handel mit Aktien stattfinden. Sie waren fest in sowjetischer Hand und in die sowjetische Volkswirtschaft eingebunden. Zugleich kontrollierte die Sowjetunion mit den SAG die Schlüsselbereiche der SBZ/DDR-Wirtschaft. Durch die Überführung in sowjetisches Eigentum hatten die deutschen Finanz- und Wirtschaftsbehörden kaum Zugriffsmöglichkeiten. In der SBZ/DDR wurden diese Unternehmen in jeder Hinsicht begünstigt, sie hatten mehr Ressourcen zur Verfügung, konnten über lukrative Löhne Arbeitskräfte abwerben, erhielten finanzielle Stützungen aus dem Haushalt der SBZ/DDR und verfügten aufgrund der Reparationsforderungen über einen gesicherten Absatz.

    Gegen Mitte 1947 gab es mehr als 200 SAG-Betriebe, deren Anteil an der industriellen Gesamtproduktion der SBZ/DDR zwischen 1947 und 1950 mehr als 30 Prozent betrug. Ihr Produktionsanteil an den Reparationsleistungen lag 1947 bei 40 Prozent und erhöhte sich bis 1952 vorübergehend auf 78 Prozent. Mit dem 1. Januar 1954 galten die Reparationsleistungen offiziell als beendet. Damit waren, bis auf eine Ausnahme, auch alle ostdeutschen SAG-Betriebe wieder in DDR-Besitz.

    Bei der Ausnahme handelte es sich um den Uranbergbau der Wismut AG in Sachsen und Thüringen, deren Produktion für die Sowjetunion bei der Absicherung ihrer Atomrüstung höchste strategische Priorität besaß. Zwischen 1946 und 1956 wurde die Wismut AG personell und materiell zu einem monopolartigen Unternehmen ausgebaut und nahm eine Sonderstellung in der SBZ/DDR ein. Bis 1956 unterstand die Wismut AG direkt dem sowjetischen Verteidigungsministerium. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 100000 Menschen im Uranbergbau tätig. Der sowjetische Einfluß blieb bis zum Ende der DDR bestimmend und die Wismut entwickelte sich zu einem der größten Uranproduzenten der Welt. Am Beispiel der Wismut wird deutlich, daß es nach der offiziellen Beendigung der Reparationen (1954) zu indirekten Reparationsleistungen kam. Von 1954 bis 1957 stellte beispielsweise die DDR in Form direkter und indirekter Ausgaben für den sowjetisch kontrollierten Uranbergbau der Wismut eine Summe von mehr als 1,5 Millionen Ost-Mark bereit, die der Volkswirtschaft verlorenging.

    Industrielle Entwicklungsschwerpunkte ab 1955



    Der industrielle Strukturwandel in Ost-Deutschland nach 1945 bewirkte eine Verschiebung der traditionellen, von Leichtmaschinenbau und Elektroindustrie geprägten Industriestruktur hin zur Metallurgie und zur Schwerindustrie. Bis 1955 galten Objekte der Schwerindustrie wie der Aufbau des Eisenhüttenkombinates Ost und des metallurgischen Produktionszentrums Calbe sowie der Ausbau der Stahlwerke Brandenburg, Hennigsdorf, Riesa, Gröditz und Freital als bevorzugte Investitionsprojekte der SED-Führung. Zugleich wurden 24 Betriebe des Schwermaschinenbaus ausgebaut.

    Die anderen osteuropäischen Länder signalisierten aufgrund der dort parallel vorangetriebenen Industrialisierung nach sowjetischem Vorbild einen großen Bedarf an schwerindustriellen Ausrüstungen, die vor allem robust und technisch leicht zu handhaben sein sollten, so daß darüber hinaus kein Anreiz zu moderneren und auf dem westeuropäischen Markt absatzfähigeren Erzeugnissen gegeben war. Die großen Verlierer des Strukturwandels waren der Energiesektor, der Bergbau, die Textilbranche, verschiedene Bereiche der Konsumgüterindustrie, die polygraphische Industrie sowie die Sektoren Holz, Glas, Keramik, Zellstoff und Papier.

    Die staatliche Investitionspolitik verschob ab Mitte der fünfziger Jahre diese Prioritäten, da der SED-Führung nicht verborgen geblieben war, daß die Konzentration der Ressourcen auf die Schwerindustrie die Leistungsfähigkeit anderer wichtiger Industriezweige beeinträchtigte und damit das Wirtschaftswachstum insgesamt gefährdete. Durch den Strukturwandel waren besonders bei der Elektroenergieerzeugung Schwierigkeiten aufgetreten, die im Rahmen der sogenannten "Kohle- und Energieprogramme" (1954-57 und 1957-60) behoben werden sollten. Gefördert wurden nunmehr auch Industriezweige wie der zivile Flugzeugbau (1954), der Leichtmaschinenbau und die chemische Industrie. Zugleich sollte die Nutzung der Kernenergie und die Automatisierung in der metallverarbeitenden Industrie vorangetrieben werden.

    Von nicht unerheblichem Einfluß war hierbei, daß in den fünfziger Jahren in mehreren Wellen rund 3000 hochqualifizierte Fachleute auf den Gebieten der Kernphysik, Chemie, Optik, Elektrotechnik, Flugzeug- und Raketenentwicklung aus der Sowjetunion nach Deutschland zurückkehrten. Sie waren nach Kriegsende in die Sowjetunion verbracht worden, um dort vor allem an der Entwicklung militärischer Hochtechnologien zu arbeiten. Von ihnen versprach sich die SED-Führung die notwendigen innovationsfördernden Impulse bei der Errichtung einer modernen Industriestruktur. Zugleich sollte die Westabwanderung der wertvollen Rückkehrer verhindert werden, indem man versuchte, ihnen ein möglichst attraktives berufliches Betätigungsfeld anzubieten. Doch diese Rechnung ging vielfach nicht auf. Die Flugzeugindustrie wurde beispielsweise nach kaum siebenjähriger Existenz im Frühjahr 1961 wieder aufgelöst.

    Da in der Kernenergie, der Flugzeugproduktion und der Automatisierung keine schnellen Erfolge zu erreichen waren, rückte die chemische Industrie in das Zentrum des staatlichen Interesses. 1958 wurde ein gewaltiges Chemieprogramm beschlossen, das der Bevölkerung "Brot, Wohlstand und Schönheit" versprach. Dieses Programm war zugleich Kernstück des Siebenjahrplanes (1959-1965), mit dem der westdeutsche Lebensstandard in die Wohnungen und vor die Haustüren der DDR-Bürger gebracht werden sollte.

    Bruttorechnung und administrative Preisbildung



    Die SED-Führung verstand in den fünfziger Jahren das Wirtschaftswachstum als Wirtschaftsexpansion. Ende der vierziger Jahre wurde die in ihrer Tradition bis in das 19. Jahrhundert zurückreichende Nettorechnung der amtlichen deutschen Produktionsstatistik, die nur die tatsächlich von einem Betrieb erbrachten Leistungen (Wertschöpfung) erfaßte, durch die sowjetische Bruttorechnung ersetzt. Bei dieser Erfassungsmethode konnte der Wert der Rohstoffe, Zwischenprodukte und des Zubehörs mehrmals gezählt werden, indem "Produkte" in der Stufenfolge der Verarbeitung, Weitergabe und Verteilung so oft zur Verrechnung kamen, wie sie den Produktionsprozeß durchliefen. Die unvollendete Produktion der einzelnen Betriebe wurde damit miteinbezogen und die Planerfüllung konnte verhältnismäßig einfach "gehandhabt" werden. Hatte beispielsweise ein Betrieb die Auflage bekommen, Drehbänke im Umfang von 40000 Tonnen zu produzieren, so konnte der Betrieb diese Auflage durch die Produktion weniger, aber sehr schwerer Drehbänke erfüllen. Dagegen hätte eine Auflage in Stückzahlen dazu führen können, daß der Betrieb viele und möglichst leichte Drehbänke produzierte.

    Die "Tonnenideologie" brachte damit eine Unterbewertung der Qualität, Produktivität und Rentabilität mit sich. Real wurden so die Bruttosteigerungssätze in den fünfziger Jahren um etwa ein Drittel überhöht angezeigt, und die gesamtwirtschaftliche Rechnung beruhte auf einer unsicheren Grundlage, die sich deutlich in einer Scherenbildung zwischen Brutto- und Nettogröße offenbarte. Zusätzlich wurde das System durch die administrative Preisbildung meist willkürlichen Charakters negativ beeinflußt. Eine freie Preisbildung als ein zuverlässiger Knappheitsindikator und Vergleichsmaßstab blieb in der DDR ausgeschaltet. Es konnten sich dadurch nur schwer sinnvolle Orientierungsmarken für ökonomisch rationales Verhalten und intensives, ressourcensparendes Wachstum herausbilden.

    In der Gesamtsicht erwies sich zwar das planwirtschaftliche System der fünfziger Jahre bei der Stimulierung des expansiven Wirtschaftswachstums recht erfolgreich; doch bei einem Umschalten auf intensives, das heißt ressourcensparendes Wachstum versagte es häufig. Die Betriebe und Ministerien schenkten dieser Seite des ökonomischen Handelns in den fünfziger Jahren wenig Beachtung, weil sie sich bei ihrer Berichterstattung auf die Planerfüllung in Form der Volumenabrechnung konzentrierten. Ein weiteres Dilemma zeigte sich darin, daß der Hauptteil des Gewinns an den Staatshaushalt abgeführt und der gesamte Bedarf wieder aus dem Staatshaushalt zugeteilt wurde. Dadurch fehlte die unmittelbare Abhängigkeit zwischen dem hergestellten Betriebsergebnis und den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Wirksame Anreize zur Gewinnerwirtschaftung und Kostensenkung konnten sich deshalb nicht herausbilden. Insofern darf die Tendenz zur Produktion materialaufwendiger und qualitätsminderer Erzeugnisse nicht verwundern, da sich bei der Bruttorechnung die Zunahme der Materialkosten in einem höheren Gesamtpreis des Erzeugnisses niederschlagen konnte, der wiederum eine bequemere Planerfüllung ermöglichte.

    Die Bruttoerfüllung bewirkte immer wieder, daß in den Betrieben kein echtes Interesse bestand, eine höhere Veredlung des Einsatzmaterials oder eine Verbesserung des Produktionsablaufes herbeizuführen. Mit anderen Worten, die Form der Abrechnung bedeutete eine Barriere, die den Betrieb davon abhielt, in der laufenden Produktion Verbesserungen vorzunehmen.

    Neue Eigentumsordnung



    In der DDR wurden in den fünfziger Jahren die grundlegenden Strukturen eines neuen politischen Ordnungssystems errichtet. Die SED erhob den Anspruch, die kommunistische Utopie sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit zu verwirklichen. Damit war das Ziel verbunden, ein gesellschaftliches System zu planen und die darin ablaufenden Entwicklungsprozesse zu beherrschen. Wichtiger Bestandteil der Utopie war, eine Wirtschaftsentwicklung ohne Krisen und Arbeitslosigkeit zu ermöglichen. Grundlage hierfür war die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und, damit verbunden, die Beseitigung der Trennung zwischen Politik und Ökonomie. Gemäß dieser Vorstellung dominierte in der Eigentumsordnung der DDR schon zu Beginn der fünfziger Jahre die staatliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel. Der Anteil der staatlichen Wirtschaft am Nationaleinkommen (Nettoprodukt) lag 1950 bei mehr als 50 Prozent. Bis zum Ende der fünfziger Jahre wurde die staatliche Verfügungsgewalt weiter ausgedehnt, so daß 1960 der Anteil fast 90 Prozent betrug. Die private Eigentumsform war damit im ersten Jahrzehnt der DDR zu einer Randerscheinung geworden.

    Die Veränderung der Eigentumsordnung bedingte zugleich große Wandlungsprozesse in der Sozialstruktur der ostdeutschen Bevölkerung. Der selbständige Bauer oder Handwerker wurde zum Genossenschaftsmitglied, der Arbeiter zum Angehörigen einer Arbeitsbrigade, der Privateigentümer verlor seinen Besitz. Die damit verbundenen sozialen Verdrängungen und Abstiege wurden vielfach mit der Abwanderung in den Westen beantwortet. Gerade die Bevölkerungsverluste durch die Westabwanderung verstärkten in der DDR-Gesellschaft die durch den Krieg und die Nachkriegszeit schon bestehenden Verwerfungen in der Bevölkerungs- und Sozialstruktur noch weiter. Insgesamt verließen zwischen 1950 und dem Mauerbau 1961 rund 3,1 Millionen Menschen die DDR.

    Versorgungsmängel



    Eines der Wohlstandsversprechen der SED-Führung lautete in den fünfziger Jahren: "So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben". Von der Bevölkerung wurde auf diese Weise ein Konsumverzicht verlangt, der angesichts des seit 1948 einsetzenden westdeutschen "Wirtschaftswunders" zu einem tiefen Interessenkonflikt im Osten Deutschlands führte. Zudem konnten die DDR-Verbraucher bis zum Mauerbau den West-Ost-Vergleich durch einen Besuch in Westdeutschland oder eine S-Bahnfahrt in Berlin noch selbst durchführen. Das Ergebnis solcher Konsumvergleiche "vor Ort" ließ berechtigte Zweifel an den Fähigkeiten des planwirtschaftlichen Systems der DDR aufkommen.

    Es gab frühzeitig von seiten der SED den Versuch, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Einmal wurden die schon im 19. Jahrhundert entstandenen Interessengemeinschaften der Verbraucher, die Konsumgenossenschaften (KG), wieder zum Leben erweckt, nachdem sie während des Krieges aufgelöst worden waren. Sie sollten hauptsächlich die Versorgung der Bevölkerung auf dem Land mit Konsumgütern absichern helfen. Eine besondere Rolle spielten die Läden der 1948 gegründeten staatlichen Handelsorganisation (HO). Die HO-Läden sahen für östliche Verhältnisse sehr westlich aus und galten als der "kleine Westen im Osten". In ihnen wurden rationierte Waren frei verkauft und für damalige Verhältnisse im "Überfluß" angeboten. Jedoch waren die angebotenen Erzeugnisse anfangs stark überteuert. Mit der HO schuf die SED neben der Rationierungswirtschaft ein zweites Verkaufssystem, auf dessen Basis die Kaufkraft der besserverdienenden Schichten abgeschöpft werden sollte. Von Anfang an zeigte sich hier ein gravierender Widerspruch in der Konsumpolitik der DDR, die auf der einen Seite die gleichmäßige Verteilung des Wohlstandes unter alle Mitglieder der Gesellschaft propagierte, und im Gegenzug mit den HO-Läden ein staatlich verordnetes Zweiklassensystem von Käufern schuf.

    Anfang der fünfziger Jahre war der Westen jedoch noch nicht der alles bestimmende Vergleichsmaßstab in der Bevölkerung. Vielmehr wurde das Denken zu diesem Zeitpunkt durch Vorstellungen über den Lebensstandard der Vorkriegszeit beeinflußt. Der Blick nach Westen kam erst in zweiter Linie zum Tragen. Immerhin hatten die Rationierungen, Ernährungs- und Versorgungskrisen, die Wohnraumknappheit, der Zusammenbruch eines sozialen Wertesystems und das Empfinden eines sozialen Abstieges während des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit tiefe Spuren im Gedächtnis der Bevölkerung hinterlassen. Die Erwartungshaltungen waren weit nach unten geschraubt. Jede Verbesserung der Lebenslage wurde dankbar als Rückkehr in die "friedensmäßige" Versorgung der Vorkriegszeit angesehen. Je deutlicher sich jedoch die Versorgungssituation der Bevölkerung im Westen zu verbessern begann und eine jüngere Generation mit anderen Wertvorstellungen heranwuchs, um so mehr verschob sich der Vergleichsmaßstab im Verlauf der fünfziger Jahre in Richtung Westen. Das Wohlstandsniveau Westdeutschlands wurde zum eigentlichen Gradmesser, zum "Maß für die eigene Unzufriedenheit".

    Langer Abschied von der Lebensmittelkarte



    Mit Blick auf die Entwicklung in Westdeutschland hatte die SED-Führung noch 1951 - ungeachtet der schwierigen Wirtschaftslage - im Gesetz des 1. Fünfjahrplanes (1951-55) die Aufhebung der Lebensmittelrationierung für das Jahr 1953 vorgesehen. Doch mit der Verkündung des Aufbaus des Sozialismus im Sommer 1952 vollzog die SED-Spitze einen radikalen wirtschaftspolitischen Kurswechsel, der eine Aufhebung der Lebensmittelrationierungen in weite Ferne rücken ließ. Als Folge der Aufbau-Entscheidung sank 1952/53 der Lebensstandard der Bevölkerung unter das Niveau des Jahres 1947. Die Lücken im Warenangebot wurden noch größer, Stromabschaltungen häuften sich wieder, die Situation des Transportwesens erreichte einen kritischen Punkt. Hinzu kamen Lohneinbußen, Normerhöhungen und Preissteigerungen. Eine große Unzufriedenheit machte sich in der Bevölkerung breit, die zum Aufstand am 17. Juni 1953 führte. Danach vermied es die Parteiführung tunlichst, eine soziale Unzufriedenheit unter der Bevölkerung über das noch beherrschbare Maß hinaus aufkommen zu lassen. Um die Lage zu stabilisieren kam es 1953/54 kurzfristig zu weitreichenden Mittelumverteilungen in den konsumtiven Bereich und zu beachtlichen Preissenkungen. Seit dieser Zeit galt für die SED-Führung bis zum Ende der DDR die Regel, weder in den Preisen noch in den Arbeitsnormen noch in der Lohnstruktur abrupte Veränderungen vorzunehmen.

    Das Rationierungssystem mußte allein schon aus politischen Gründen aufrechterhalten werden, um weiterhin über ein direktes und wirksames Regulierungsinstrument für den privaten Konsum der Bevölkerung zu verfügen. Zugleich sicherte die Rationierung der Bevölkerung ein Mindestmaß an Zuteilung bestimmter knapper Güter und ermöglichte, daß die weiterhin bestehenden Versorgungsengpässe beherrschbar blieben. Insgesamt funktionierte das Rationierungssystem jedoch nicht mehr als ein System der gerechten Verteilung von Mangelwaren, sondern als Teil eines Preisregulierungssystems. Durch mehrfache Preissenkungen bei den bewußt überteuerten HO-Waren wurde eine Annäherung und letztlich eine Verschmelzung der beiden staatlich gesteuerten Preisebenen (Karten- und HO-Preise) angestrebt. Das Instrument der Preissenkung zur Beeinflussung des privaten Konsums wurde aber - noch dazu bei offener Grenze und starker Westmark - gegen Mitte der fünfziger Jahre zusehends unbrauchbarer.

    Zu diesem Zeitpunkt war der Westen Deutschlands der eigentliche Gradmesser für die Lebenslage der DDR-Bevölkerung geworden. Das erkannte schließlich auch die SED-Führung und verkündete im Juli 1958 die "ökonomische Hauptaufgabe", Westdeutschland bis 1961 im Pro-Kopf-Verbrauch aller wichtigen Lebensmittel und Konsumgüter zu überholen. Schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit war es deshalb im Vorfeld notwendig geworden, die letzten Relikte des Rationierungssystems abzuschaffen. Damit endete am 29. Mai 1958 eine seit dem 27. August 1939 andauernde ununterbrochene Periode der Lebensmittelrationierung. Die endgültige Aufhebung der Rationierung traf jedoch nicht auf die uneingeschränkte Zustimmung der Bevölkerung, da die neuen Preise etwas über den Kartenpreisen lagen. Die Wogen der Unzufriedenheit in der Bevölkerung glätteten sich aber, als den schlechter Verdienenden die entstandenen Mehrbelastungen finanziell ausgeglichen wurden.

    Lebenslage



    Gemessen am Nahrungsmittel- und Güterverbrauch hatte sich die Lebenslage der Bevölkerung seit der Gründung der DDR deutlich verbessert. Im Bereich der Grundnahrungsmittel konnte das Verbraucherniveau der Vorkriegszeit (1936) wieder erreicht bzw. überschritten werden.

    Am Ende der fünfziger Jahre zeigte sich - wenn auch in viel geringerem Umfang - eine ähnliche Veränderung im Verbraucherverhalten der Bevölkerung wie im Westen

    Deutschlands. Die Anschaffung langlebiger technischer Konsumgüter wie Waschmaschinen, Kühlschränke, Fernsehempfänger, Personenkraftwagen und Motorräder spielte eine zunehmende Rolle. Die Motive für die Arbeitsleistungen der Menschen in Ost und West stimmten zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend überein.

    In der Regierung wurde, mit besorgtem Blick auf die Bedarfsdeckung, der größer werdende Kaufkraftüberhang und das Zwecksparen auf hochwertige Konsumgüter aufgrund der inflationären Tendenzen mißtrauisch beobachtet. Immerhin waren die Spareinlagen bei den Kreditinstituten der DDR zwischen 1950 und 1961 auf das über 15fache angewachsen. Auch die Nettogeldeinnahmen eines durchschnittlichen Arbeiter- und Bauernhaushaltes verdoppelten sich von 1949 bis 1960. Doch sowohl bei Nahrungsmitteln als auch bei Konsumgütern bedeutete die rasch wachsende Kaufkraft der DDR-Bevölkerung im Verlauf der fünfziger Jahre, daß die Möglichkeiten der staatlichen Bedarfsdeckung trotz eines zunehmenden Handelsvolumens oftmals überschritten wurden. Zusätzlich hatte die Kollektivierung zu Engpässen in der Lebensmittelversorgung geführt.

    Schwer lastete die ungenügende Ausstattung mit Wohnraum auf der Bevölkerung. Wohnungen waren Mangelware erster Ordnung. Zwar wuchs die Zahl der Wohnungen von 1950 bis 1961 absolut um etwa 500000 an, doch eine Entlastung bedeutete dieser Zuwachs keinesfalls, da die Zahl der wegen Baufälligkeit gesperrten Wohnungen etwa der Zahl der neugebauten und instandgesetzten Wohnungen entsprach. Erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre begann die Zahl der neugebauten Wohnungen erkennbar zuzunehmen. Am Ende der fünfziger Jahre resultierte außerdem die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu etwa 50 Prozent aus der Westabwanderung. In der Gesamtsicht blieb der Wohnungsneubau jedoch auf einige größere Städte wie OstBerlin und den Werkswohnungsbau der neuerrichteten Industriestandorte (Eisenhüttenstadt oder Neu-Hoyerswerda) beschränkt. Die Vernachlässigung des Wohnungsbaus in der DDR wird noch deutlicher, wenn die Entwicklung in der Bundesrepublik zum Vergleich herangezogen wird. Dort hatte die Bundesregierung 1950 den Bau von 1,8 Millionen Wohnungen bis 1965 vorgesehen, gebaut wurden 3,1 Millionen.

    Während im Bereich des Konsums - abgesehen von den deutlichen Niveauunterschieden - im wesentlichen die westdeutsche Entwicklung nachempfunden wurde, gelang es der SED-Führung bei der medizinischen Versorgung und Kinderbetreuung schon in den fünfziger Jahren eigene Wege gegenüber Westdeutschland zu gehen. Die durch den Krieg und die Nachkriegszeit entstandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen begannen sich vielfach bereits in den fünfziger Jahren ernsthaft auszuwirken. Die jahrelange Mangel- und Fehlernährung erhöhte die Infektionsanfälligkeit der Bevölkerung. Krankheiten wie die Tuberkulose breiteten sich aus. Andererseits blieben schleichende Krankheiten wie die Zuckerkrankheit oder Bluthochdruck oftmals über Jahre unerkannt.

    Die Zusicherung einer unentgeltlichen, allgemein zugänglichen medizinischen und sozialen Betreuung fand deshalb bei der Bevölkerung Anerkennung und wurde hoch bewertet. Den Ausbau der medizinischen Betreuung in bis dahin unterversorgten ländlichen Gebieten durch Landambulatorien und Gemeindeschwesternstationen, die zahnmedizinische Versorgung, den Aufbau des Impfwesens, den prophylaktischen Gesundheitsdienst und die Kinderbetreuung empfanden breite Kreise der Bevölkerung als eine Verbesserung ihrer Lebenslage.

    Neue Städte



    Wenige Monate nach der Gründung der DDR erließ die Regierung ein "Aufbaugesetz" (1950). Wie und nach welchem städtebaulichen Leitbild gebaut werden sollte, wurde in den "Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus" festgeschrieben. Die Maxime lautete: "National, schön und großzügig". Zu den markantesten Beispielen und zugleich wichtigsten Bauvorhaben der ersten Aufbauphase bis 1955 zählte die Stalinallee in Ost-Berlin (später Karl-Marx-Allee) und der Aufbau der Wohnstadt "Stalinstadt" (später Eisenhüttenstadt) des Eisenhüttenkombinates/Ost.

    Im Vergleich dazu wurde in der Bundesrepublik seit 1950 mit einer "Politik des konzentrierten Mitteleinsatzes" ein umfangreicher Wohnungsbau praktiziert, der die hohe Erwartungshaltung der Bevölkerung erfüllte und maßgeblich zum Mythos des sogenannten "Aufbauwunders" beitrug. Die DDR schwenkte nach 1955 in eine ähnliche baupolitische Richtung. Ohne öffentliche Auseinandersetzung wurden die "Sechzehn Grundsätze" stillschweigend aufgegeben und durch das Motto "Besser, billiger und schneller bauen" ersetzt. Die westdeutschen Erfolge im Wohnungsbau, eine unbefriedigte Erwartungshaltung in der eigenen Bevölkerung und das sowjetische Bekenntnis zu einem modernen industrialisierten Wohnungsbau ohne "Zuckerbäckerei und Fassadenkosmetik" (1954) sorgten im wesentlichen bei der SED-Führung für die Revision ihres städtebaulichen Leitbildes.

    Auf der "1. Baukonferenz" im April 1955 wurde die "Industrialisierung und Typisierung" des Bauwesens beschlossen. Das Zauberwort hieß nun Großplattenbauweise (Fertigbauweise). Ab 1957 begann mit dem Aufbau der Wohnstadt Neu-Hoyerswerda für das Braunkohleverarbeitungswerk "Schwarze Pumpe" der erste Großversuch, eine ganze Stadt in Plattenbauweise zu errichten. Wie im Westen entstanden nun Stadtentwicklungspläne, in denen der Wohnungsbau in Form neuer Trabantensiedlungen verwirklicht werden sollte. Der Siebenjahrplan von 1959 versprach, daß auf der Grundlage der Fertigbauweise bis 1965 jeder eine Wohnung haben würde. Dieses Versprechen konnte nicht eingelöst werden und Anfang der Siebziger kündigte die SED-Führung noch einmal die Lösung der Wohnungsfrage an, diesmal für das Jahr 1990.

    Die Kehrseite dieser Entwicklung war eine Vernachlässigung der Innenstädte und die Festlegung einer Hierarchie der Städte. Letztere orientierte den Städtebau nicht auf den Zerstörungsgrad, sondern auf die Bedeutung der jeweiligen Stadt im Rahmen des wirtschaftlichen Aufbaus. Von Anfang an wurde hierbei Ost-Berlin aufgrund seiner "Schaufensterfunktion" zu West-Berlin und der Rolle als Hauptstadt der DDR zum Dreh- und Angelpunkt der Städtebaupolitik. Nicht zuletzt deshalb blieb auch der Versuch, Ende der fünfziger Jahre die letzten Kriegsschäden in den Zentren der Bezirksstädte zu tilgen, halbherzig, und die Spuren des Zweiten Weltkriegs prägten bis zum Ende der DDR die Stadtbilder.