Einleitung
Die grundlegenden politischen Weichenstellungen waren bereits Ende der vierziger Jahre, vor und mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, vorgenommen worden. Im Grundgesetz, das am 23. Mai 1949 nach Genehmigung durch die Westalliierten in Kraft trat, finden sich die Prinzipien der neuen bundesstaatlichen parlamentarisch-demokratischen Republik. Schon zuvor, mit der Währungsreform in den Westzonen und West-Berlin am 20. Juni 1948, war die Entscheidung für ein marktwirtschaftliches System gefallen, und mit dem Marshall-Plan hatte die Einbeziehung in die westliche Weltwirtschaft begonnen.
Die Bundesrepublik war ein Ergebnis der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Blockkonfrontation zwischen Ost und West und besaß zunächst keine volle staatsrechtliche Souveränität. Alliierte Vorbehaltsrechte wurden im sogenannten Besatzungsstatut festgehalten. Nach dessen Bestimmungen konnten die Besatzungsmächte die Regierungsgewalt wieder an sich ziehen, wenn ihnen dies zur Aufrechterhaltung der demokratischen Staatsform oder aus Sicherheitsgründen erforderlich erschien. Grundgesetzänderungen bedurften ihrer Zustimmung; für die auswärtigen Angelegenheiten waren die Besatzungsmächte allein zuständig. Dieses Statut blieb bis 1955 gültig.
Der neue westliche Teilstaat beanspruchte, alleiniger Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches zu sein. In der Präambel der als provisorisch bezeichneten Verfassung hieß es, man habe "auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden".
Die Bundesrepublik bildete im Laufe der fünfziger Jahre ein stabiles demokratisches System heraus, in dem die wichtigsten Parteien untereinander grundsätzlich koalitionsfähig waren und parlamentarisch kooperierten. Auch alle Interessenverbände stellten sich - anders als in der Weimarer Republik - uneingeschränkt auf den Boden der parlamentarischen Demokratie. Auf Bundesebene bildete sich ein stabiles Regierungslager um die neu gegründeten überkonfessionellen Parteien CDU und CSU und eine von der Sozialdemokratie geführte Opposition. Nicht zu Unrecht wird von der Ära Adenauer gesprochen. Die Regierungszeit des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Konrad Adenauer (1949-1963) war der politische Ausdruck der Wiederaufbauperiode, in der eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung unter konservativen Vorzeichen stattfand. Währenddessen sorgten unterschiedliche Parteienkonstellationen in den Ländern und Kommunen für einigen Ausgleich und eine erheblich breitere Beteiligung und Verantwortung politischer Kräfte.
Das Ziel der Wiedervereinigung - dem Anspruch nach in den Grenzen von 1937 - und die umfassende Integration in die Gemeinschaft westlicher Staaten standen im Zentrum der parlamentarischen Auseinandersetzungen. Vor allem die Frage der Wiederbewaffnung wurde in diesem Spannungsfeld diskutiert. Am Ende des Jahrzehnts stellte die Westintegration keinen Streitpunkt mehr dar. Die Grundlagen der Wirtschafts- und Sozialpolitik waren ohnehin - abgesehen von den harten Auseinandersetzungen um Mitbestimmung und Betriebsverfassung in der ersten Legislaturperiode - einvernehmlich zwischen Regierungslager und Opposition gesetzlich geregelt worden.
Institutionelle Grundlagen
Am Anfang der fünfziger Jahre waren die politischen Kenntnisse der Bevölkerung noch gering und autoritäre Einstellungen weit verbreitet. Der Umgang mit der Vergangenheit des Dritten Reiches wies schwere Defizite auf. Wenn Bonn dennoch nicht Weimar wurde, wie der Schweizer Publizist Fritz René Allemann 1956 erleichtert feststellte, lag dies zunächst vor allem an der wirtschaftlichen Wohlstandsentwicklung, die mit der parlamentarischen Demokratie in Zusammenhang gebracht wurde.
Das Grundgesetz übernahm zwar viele Bestimmungen der Weimarer Verfassung, aber die Erfahrung, daß sich die Nationalsozialisten anfangs im Rahmen dieser Ordnung hatten durchsetzen können, führte zu einigen wichtigen Veränderungen. Neu war, daß die Grundrechte nun als unveräußerlich an die erste Stelle rückten, den Parteien ausdrücklich ein Mitwirkungsrecht bei der politischen Willensbildung des Volkes zugesprochen und sie gleichzeitig auf die demokratische Verfassung festgelegt wurden. Auf Weimarer Erfahrungen war die Einführung des Konstruktiven Mißtrauensvotums als einzigem Weg zum Wechsel der Regierung während der Legislaturperiode zurückzuführen. Auch der geringere Handlungsspielraum, der dem Bundespräsidenten zuerkannt wurde, ergab sich aus der Erkenntnis, daß der vom Volk gewählte Reichspräsident mit der Ausschöpfung seiner umfassenden Machtbefugnisse zum Scheitern der Weimarer Republik beigetragen hatte. Schließlich war dies auch der Hintergrund für den weitgehenden Verzicht auf plebiszitäre Bestimmungen im Grundgesetz. Die Möglichkeit der demagogischen Ausnutzung von Volksentscheiden sollte ausgeschlossen sein.
Die Einhaltung des Grundgesetzes - vor allem der Normen der Rechts- und Sozialstaatlichkeit - wird durch das Bundesverfassungsgericht als oberstem Gericht überwacht, das seine Tätigkeit in Karlsruhe 1951 aufnahm. Es besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern, die von Bundesrat und Bundestag gewählt werden. Insbesondere die Verfassungsbeschwerde entwickelte sich zu einem wirksamen Mittel der Sicherung von Grundrechten.
Parteien und Wahlen
Während die Sozialdemokraten und zum Teil auch die Kommunisten hinsichtlich ihrer Parteien und der Verankerung in sozialmoralischen Milieus vielfach dort anknüpfen konnten, wo ihre legale Entwicklung 1933 unterbrochen worden war, und sich die in der Weimarer Republik in verschiedenen Parteien organisierten Liberalen nun zu einem großen Teil unter dem gemeinsamen Dach der FDP befanden, können CDU und CSU als die eigentlichen Neuerungen des westdeutschen Parteiensystems angesehen werden.
CDU
Die Union, vor allem die CDU, trat von Anfang an mit einem interkonfessionellen Anspruch auf, gutgeheißen auch von der Mehrheit der katholischen Bischöfe, die sich gegen eine Wiederbelebung der alten Zentrumspartei aussprachen. Schon früh vermochte die CDU, besonders in Norddeutschland, evangelische Bevölkerungsteile zu integrieren. Allerdings bestanden Anfang der fünfziger Jahre in protestantisch-konservativen Kreisen noch erhebliche Vorbehalte gegenüber der Unionspartei, die ihnen als zu katholisch-sozial und rheinisch-westdeutsch erschien. Die Mitgliederzahl betrug Mitte und Ende des Jahrzehnts etwa 250.000 mit starkem Übergewicht der katholischen Konfession. Volksparteilichen Charakter besaß die CDU lediglich in katholisch geprägten Regionen, vor allem an Rhein und Ruhr. Erst im Oktober 1950, auf dem ersten Bundesparteitag der CDU in Goslar, schlossen sich die einzelnen Landesverbände zu einer Bundespartei zusammen.
Programmatisch wurden auf der Basis eines christlichen Menschenbildes die Soziale Marktwirtschaft, die parlamentarische Demokratie und die außenpolitische Westbindung hervorgehoben. Aber wichtiger als alle Programmformulierungen (auf Bundesebene: Düsseldorfer Leitsätze 1949, Hamburger Programm 1953) war die glaubwürdige Personalisierung des eingeschlagenen Kurses durch den früheren Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Dieser übernahm, bald unangefochten, die inhaltliche Bestimmung der Unionspolitik. Die Partei, die bei der ersten Bundestagswahl 1949 mit der bayerischen CSU zusammen 31 Prozent der Stimmen erhalten hatte, wurde deswegen schon bald als Kanzlerpartei angesehen.
CSU
Auch die CSU, noch deutlicher als die CDU im katholischen Milieu wurzelnd, hatte sich von vornherein auf den Boden der Marktwirtschaft gestellt. Allerdings befand sich die bayerische Schwesterpartei um 1950, nach einer Phase innerparteilicher Auseinandersetzungen zwischen einem altbayerisch-bäuerlichen und radikal-regionalistischen Flügel - der sich dann zum Teil in der 1948 gegründeten Bayernpartei (BP) wiederfand - und der eher gemäßigt föderalistischen Mehrheit unter dem Parteivorsitzenden Josef Müller, auf einem Tiefpunkt ihres Einflusses. Bei der Bundestagswahl 1949 erreichte sie 29,2 Prozent, bei der Landtagswahl 1950 27,4 Prozent. Ihre Konkurrentin, die BP, erreichte bei der Bundestagswahl (in Bayern) 20,9 Prozent und bei der Landtagswahl ein Jahr später 17,9 Prozent.
1954 geriet die CSU in Bayern zum ersten und einzigen Mal in ihrer Geschichte in die Opposition, obwohl ihr Stimmenanteil mittlerweile auf 38 Prozent angewachsen war. 1956 hatte die CSU mit 43.500 Mitgliedern nur halb so viele wie 1947. Seit der zweiten Hälfte des Jahrzehnts allerdings wurde die Partei zunehmend effektiver und straffer organisiert und steigerte die Mitgliederzahlen erheblich rascher als die CDU. Die CSU präsentierte sich erfolgreich zugleich als Landes- und Bundespartei, die zum einen die forcierte Industrialisierung und Modernisierung Bayerns förderte, zum anderen den Einfluß des Freistaates in Bonn geltend machte. Das Finanzministerium, aus föderalistischer Sicht ein Schlüsselministerium, wurde von 1949 bis 1957 von Fritz Schäffer (CSU), das Postministerium sogar über zwei Jahrzehnte (1949-1969) von Ministern der CSU geführt. Als Bundesminister für Atomfragen und dann als Verteidigungsminister in der Frühzeit der Bundeswehr profilierte sich unter den jüngeren Parlamentariern der Partei vor allem der spätere langjährige Parteivorsitzende (1961-1988) Franz Josef Strauß.
CDU und CSU profitierten gleichermaßen von der am Ende der ersten Legislaturperiode deutlich werdenden Popularität der Vaterfigur Konrad Adenauer. Daneben warb die Union vor allem mit dem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der als "Vater der Sozialen Marktwirtschaft" und Begründer des "Wirtschaftswunders" herausgestellt wurde.
Integration von kleineren Parteien
Im Laufe des Jahrzehnts gelang es der Union zunehmend, konkurrierende Parteien im katholischen Raum wie das wiedergegründete Zentrum oder die Bayernpartei zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen und bürgerlich-konservative Milieus in protestantischen Regionen Norddeutschlands sowie die Wählerschaft der Vertriebenen und Flüchtlinge zu einem großen Teil zu integrieren. Bei der Bundestagswahl 1953 steigerten CDU und CSU ihren Stimmenanteil auf 45,2 Prozent, und 1957 erreichten sie erstmals (und bisher einmalig) die absolute Mehrheit mit 50,2 Prozent; die Wahl 1961 stellte mit 45,3 Prozent in etwa das Ergebnis von 1953 wieder her.
In den Integrationssog der Union geriet die national-konservative Deutsche Partei (DP), die bei der ersten Bundestagswahl nur in den vier nördlichen Bundesländern, dort aber mit guten Ergebnissen, kandidiert hatte (in Bremen erhielt sie 18 Prozent, in Niedersachsen 17,8 Prozent). In Niedersachsen stellte die DP in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre mit Heinrich Hellwege sogar den Ministerpräsidenten. Die DP war auch in den von Adenauer geführten Kabinetten vertreten und unterstützte von Anfang an vor allem die Außenpolitik des Kanzlers vorbehaltlos. Nachdem sie 1953 und 1957 nur noch in den Bundestag zurückkehren konnte, weil die CDU ihr einige sichere Wahlkreise überlassen hatte, traten ihre Spitzenfunktionäre Anfang der sechziger Jahre der Union bei; die Partei löste sich auf.
Auch der in den fünfziger Jahren regional wählerstarke Gesamtdeutsche Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE), der in zahlreichen Landeskoalitionen und nach seinem Einzug in den Bundestag 1953 (5,9 Prozent) im Bundeskabinett mit zwei Ministern vertreten war, wurde vor allem von der Union beerbt. Seine beiden Minister, Theodor Oberländer und Waldemar Kraft, traten 1955 zur Partei des Kanzlers über.
FDP
Allein die liberale FDP, die mit Theodor Heuss als erstem Bundespräsidenten einen hervorragenden Repräsentanten der jungen Bundesrepublik stellte, behauptete ihre Rolle als eigenständige Koalitionspartnerin der Union. In wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen bestand zwar häufig eine Gemeinschaft mit mittelständischen Vertretern der CDU/CSU, aber in Fragen der Kultur-, Rechts- und Bildungspolitik setzten sich die Liberalen bisweilen von den von ihnen als klerikal empfundenen Positionen der Kanzlerpartei ab. Während die FDP zu Beginn der fünfziger Jahre teilweise nationalistische Töne anschlug, verschoben sich die Gewichte in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts vorübergehend zugunsten linksliberaler Strömungen. Die Flexibilität der Partei zeigte sich in unterschiedlichen Koalitionen in den Ländern, darunter mit der SPD in Nordrhein-Westfalen (1956 bis 1958). Nach dem Austritt von vier FDP-Bundesministern des rechten Flügels 1956 und Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl ein Jahr später, als die Partei durch die absolute Mehrheit der Union in die Opposition verwiesen wurde, boten sich die Liberalen unter ihrem neuen Vorsitzenden Erich Mende (seit 1960) als bürgerliches Korrektiv zu CDU und CSU dar; dabei nutzten sie den Verfall der Autorität Adenauers Ende der fünfziger Jahre zur Profilierung. Sie warben als "Partei der zweiten Wahl" (Jürgen Dittberner) offensiv um die (für die parlamentarische Stärke) entscheidende Zweitstimme - diese Strategie wurde bei der Bundestagswahl 1961 mit einem Zugewinn von über fünf Prozentpunkten auf 12,8 Prozent belohnt.
SPD
Nachdem 1949 - eine auf das gesamte Bundesgebiet bezogene Fünfprozentklausel galt erstmals 1953 - neben den Sozialdemokraten noch eine ganze Reihe kleinerer Parteien in den Bundestag gelangt war, die gegen die Politik der Regierung auftraten, wurde die SPD im Laufe der fünfziger Jahre zur alleinigen parlamentarischen Opposition. Ihr erster Nachkriegsvorsitzender, Kurt Schumacher, stand einer Partei vor, deren Gründungsmitglieder zu neun Zehnteln bereits vor 1933 der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung angehört hatten. Die SPD versuchte, neben der Industriearbeiterschaft verstärkt die Mittelschichten anzusprechen und sich als "Partei aller Schichten des arbeitenden Volkes" (Helga Grebing) darzustellen. Propagiert wurde von ihr ein patriotisch-national gefärbter demokratischer Sozialismus. Nationale Einheit, parlamentarische Demokratie, Sozialisierung und Planwirtschaft waren Eckpunkte sozialdemokratischer Programmatik, wobei jegliche Verbindung zu den Kommunisten, nicht zuletzt wegen der brutalen Unterdrückung oppositioneller Sozialdemokraten in der DDR, strikt abgelehnt wurde.
Es gelang der SPD zunächst nicht, über die traditionelle Stammwählerschaft hinaus neue Schichten zu integrieren. Weder erreichte sie den erhofften Einbruch in die Mittelschichten, noch gewann sie kirchentreue katholische Arbeiter. Sie erhielt bei den ersten drei Bundestagswahlen jeweils lediglich um die 30 Prozent (1949: 29,2 Prozent; 1953: 28,8 Prozent; 1957: 31,8 Prozent); die Mitgliederzahl sank zunächst von 845.000 (1948) auf 589.000 (1955), dann stieg sie allmählich an auf 650.000 (1960) - immerhin hatte die SPD damit doppelt so viele Mitglieder wie die Unionsparteien.
Auch nach Schumachers Tod (1952) blieben die Sozialdemokraten mit ihrem neuen Vorsitzenden Erich Ollenhauer bei ihrem Oppositionskurs gegen die Politik der Adenauer-Regierung in den Fragen der Deutschlandpolitik, der Wiederbewaffnung und der Westintegration. Nach dem Scheitern der vom späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann gegründeten neutralistischen Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) bei der Bundestagswahl 1953 schlossen sich führende Mitglieder dieser Partei der SPD an.
Durch die spektakuläre Opposition gegen die Westintegration wurde überdeckt, daß der weitaus größte Teil der Gesetze im Bundestag, besonders seit der zweiten Legislaturperiode, einvernehmlich von Regierung und Opposition verabschiedet wurde. Die zur Schau gestellte prinzipielle Opposition stach außerdem deutlich ab von der pragmatischen Politik und Verwaltung in sozialdemokratisch geführten Bundesländern, personifiziert in den "Landesvätern" Georg August Zinn (1950-1969) in Hessen, Wilhelm Kaisen (1945-1965) in Bremen und Max Brauer (1946-1953; 1957-1960) in Hamburg. Auch als Oberbürgermeister amtierten in den fünfziger Jahren zahlreiche populäre Sozialdemokraten.
Erst mit ihrem Godesberger Programm (1959) löste sich die SPD - nach langwierigen Debatten - endgültig von marxistischen Vorstellungen und beschrieb sich als moderne Volkspartei ohne weltanschauliche Ausschließlichkeitsansprüche. Christliche Ethik, Humanismus und klassische Philosophie wurden - in dieser Reihenfolge - als Wurzeln des "demokratischen Sozialismus" genannt. Die Partei suchte verstärkt das Gespräch mit den Kirchen und schloß ihren Frieden mit der Bonner Außenpolitik. Am Ausgang der Ära Adenauer erschien sie als moderne Alternative zur CDU, personifiziert in ihrem jugendlich wirkenden Kanzlerkandidaten, dem Berliner Regierenden Bürgermeister Willy Brandt (1957-1966), der die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 1961 zu einem Stimmenanteil von 36,2 Prozent (+4,4 Prozent) führte.
Verbot von KPD und SRP
Alle anderen Oppositionsparteien wurden in den fünfziger Jahren marginalisiert oder verschwanden gänzlich. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hatte sich in den ersten Nachkriegsjahren als antifaschistisch-demokratische Kraft präsentiert und beträchtlichen Einfluß gewonnen. Sie war bis 1948 mit Ministern in den Koalitionsregierungen vieler Länder vertreten, wandte sich dann aber im Parlamentarischen Rat gegen das Grundgesetz und gegen die Bildung eines westdeutschen Teilstaats. Nachdem sie bei der ersten Bundestagswahl nur 5,7 Prozent erhalten hatte, verfolgte sie verstärkt einen von der stalinistischen SED-Führung aus der DDR vorgegebenen Kurs, in dem sich klassenkämpferisches Vokabular mit nationalistischer Agitation gegen die Westintegration mischte. Die Bundesregierung beantragte 1951 das Verbot der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht. Bei der nächsten Bundestagswahl 1953 erhielt die KPD nur noch 2,2 Prozent der Stimmen. Ihre Mitgliederzahl sank - nach allerdings unsicheren Angaben - von etwa 300.000 Mitte 1948 auf 78.000 im August 1956, dem Monat ihres Verbots. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kommunisten auch in der Arbeiterschaft und in den Gewerkschaften politisch nahezu gänzlich isoliert.
Rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen erhielten lediglich um 1950 einen gewissen Zulauf, darunter in Bayern die Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (WAV) und in Norddeutschland die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP), die bei der niedersächsischen Landtagswahl 1951 immerhin 11 Prozent der Stimmen erhielt. Die SRP wurde noch im gleichen Jahr vom Bundesverfassungsgericht verboten.
Die Entwicklung des Parteiensystems hatte innerhalb von drei Legislaturperioden zu einer Konzentration auf lediglich noch drei Fraktionen im Bundestag geführt. Alle kleineren regionalen und Weltanschauungsparteien hatten in diesem Zeitraum ihre einstmalige Bedeutung eingebüßt oder waren - besonders von der Union - integriert worden.
Verbände
In den fünfziger Jahren stellte sich immer stärker heraus, daß die Stabilität der parlamentarischen Demokratie in beträchtlichem Maße von funktionsfähigen Vereinigungen und Verbänden im gesamten Gesellschaftssystem abhängt (siehe "Informationen zur politischen Bildung" 253 zum Thema "Interessenverbände").
Zentrale Bedeutung hatten dabei die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände, die durch ihre autonomen Tarifabschlüsse wichtige Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau schufen.
Arbeitnehmervertretung
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) war 1949 als Dachverband von (zunächst) 17 Einzelgewerkschaften und - in bewußter Absage an die Zersplitterung politischer Richtungsgewerkschaften vor 1933 - als überparteiliche und überkonfessionelle Einheitsgewerkschaft gegründet worden. Allerdings organisierte sich ein großer Teil der Angestellten in der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), und im öffentlichen Dienst gab es mit dem Deutschen Beamtenbund (DBB) eine weitere starke Konkurrenz.
Der DGB forderte in seinem Grundsatzprogramm die Sozialisierung wichtiger Schlüsselindustrien und eine Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft. Unter dem Eindruck gewerkschaftlicher Drohungen und nach dramatischen Verhandlungen zwischen Konrad Adenauer und dem DGB-Vorsitzenden Hans Böckler wurde 1951 im Montan-Mitbestimmungsgesetz eine Parität in den Aufsichtsräten festgelegt (je fünf Vertreter der Unternehmer- und Arbeitnehmerseite, ein weiteres neutrales Mitglied zur Vermeidung von Pattsituationen). Dies war lediglich die Verteidigung des bereits durch alliierte Bestimmungen geschaffenen Rechtszustandes, ein "halber Sieg der Gewerkschaften" (Klaus Schönhoven). Bis zur Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 hatten sich die politischen Verhältnisse weiter zu ihren Ungunsten verschoben. In den Aufsichtsräten außerhalb des Montanbereichs erhielten die Vertreter der Arbeitnehmer nur noch ein Drittel der Sitze, und die Mitbestimmung des Betriebsrats wurde im wesentlichen auf soziale und personelle Angelegenheiten beschränkt. Die Belange der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wurden 1955 im Personalvertretungsgesetz geregelt.
Nachdem die Positionen der Gewerkschaften zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betriebsverfassungsgesetz 1952 kaum berücksichtigt worden waren, und nachdem die offene gewerkschaftliche Werbung für die Sozialdemokratie zur Bundestagswahl 1953 sich als Fehlschlag erwies, verlegte sich der DGB zunehmend auf die Verbesserung der sozialen Situation der Arbeitnehmer. In einer Art "Wachstumspakt" mit den Unternehmerverbänden erreichten die Gewerkschaften in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts durch Tarifverhandlungen, vereinzelt aber auch durch Streiks erhebliche Arbeitszeitverkürzungen und Einkommens- sowie soziale Verbesserungen. Vor allem die IG Metall, die mitgliederstärkste Einzelgewerkschaft, übernahm die "Rolle eines tarifpolitischen Eisbrechers" (Klaus Schönhoven). In ihrem Bereich, und zwar in Schleswig-Holstein, kam es auch zum längsten Streik (von Oktober 1956 bis Februar 1957); er wurde für die Verbesserung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geführt.
Die Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften erhöhte sich in den fünfziger Jahren nur geringfügig, und angesichts der Ausweitung der Beschäftigung sank der Organisationsgrad sogar von 39 Prozent (1951) bis zur Mitte der sechziger Jahre auf unter 30 Prozent. Vor allem Angestellte, Frauen und Jugendliche ließen sich nur schwer organisieren.
QuellentextGrundsätze des DGB
(München 1949)
Der Deutsche Gewerkschaftsbund setzt sich in seinen wirtschaftspolitischen Grundsätzen von 1949 dafür ein, daß "soziale Ungerechtigkeit und wirtschaftliche Not beseitigt und jedem Arbeitswilligen Arbeit und Existenz gesichert" werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden folgende "Grundsatzforderungen" erhoben:
"I. Eine Wirtschaftspolitik, die unter Wahrung der Würde freier Menschen die volle Beschäftigung aller Arbeitswilligen, den zweckmäßigsten Einsatz aller volkswirtschaftlichen Produktivkräfte und die Deckung des volkswirtschaftlich wichtigen Bedarfs sichert.
II. Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung.
III. Die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum, insbesondere des Bergbaues, der Eisen- und Stahlindustrie, der Großchemie, der Energiewirtschaft, der wichtigen Verkehrseinrichtungen und der Kreditinstitute.
IV. Soziale Gerechtigkeit durch angemessene Beteiligung aller Werktätigen am volkswirtschaftlichen Gesamtertrag und Gewährung eines ausreichenden Lebensunterhaltes für die infolge Alter, Invalidität oder Krankheit nicht Arbeitsfähigen."
Um sicherzustellen, daß die Notwendigkeiten der Gesamtwirtschaft in die wirtschaftspolitische Willensbildung eingehen und die Wirtschaftsführung prägen, wird eine "zentrale volkswirtschaftliche Planung" gefordert. [ ]
Da Lenkungsmaßnahmen allein als unzureichend zur Sicherung einer einheitlichen Wirtschaftspolitik angesehen werden, fordern die Gewerkschaften, gestützt auf die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes, die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum.
Geprägt von den Erfahrungen der Weimarer Zeit unterstreichen die Gewerkschaften, "daß die formale politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des politischen Lebens muß deshalb durch die Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden".
Um eine demokratische Wirtschaftsführung zu gewährleisten, soll eine staatliche Monopol- und Kartellkontrolle unter Beteiligung der Gewerkschaften verwirklicht werden. Eine verbesserte Publizität soll der Sicherung der demokratischen Wirtschaftsverfassung dienen. [ ]
Gerhard Leminsky/Bernd Otto, Politik und Programmatik des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Köln 1974, S. 248.
Wirtschaftsverbände
Die Unternehmerverbände, vor allem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) als Zusammenschluß der Industrie- und Handelskammern, fühlten sich der Bundesregierung in den fünfziger Jahren besonders verbunden; zwischen Fritz Berg, dem Präsidenten des BDI (1951-1971), und dem Bundeskanzler bestand ein enges Vertrauensverhältnis. Publizistisch mühten sich die Unternehmerverbände unter anderem um den Nachweis, daß demokratische Prinzipien nicht auf die betriebliche Ebene übertragbar seien. Zunehmend sahen sie allerdings die Vorteile einer pragmatischen Kooperation mit den Gewerkschaften bei der Verteilung des wachsenden Wohlstandes; Westdeutschland wurde in den fünfziger Jahren zu einem der streikärmsten Länder der westlichen Welt.
Trotz des rasanten Schrumpfungsprozesses der Landwirtschaft - der Halbierung ihres Anteils an der erwerbstätigen Bevölkerung in der Ära Adenauer - kam der bäuerlichen Interessenvertretung eine hohe Bedeutung zu. Der Deutsche Bauernverband (DBV) betonte die staatspolitisch wichtige Rolle des bäuerlichen Familienbetriebs, wobei traditionelle Argumente angesichts der Zwangskollektivierung in der DDR zusätzliche Verstärkung erfuhren. Der mitgliederstarke Bauernverband verfügte über eine starke Lobby in den Fraktionen des Bundestages, vor allem in der Union. Zwar konnte es dem Bauernverband nicht gelingen, überall die kleinbäuerlichen Strukturen zu bewahren, und auch das Zurückbleiben der Einkommen in der Landwirtschaft gegenüber anderen Wirtschaftszweigen war nicht zu verhindern. Die unter dem Druck der Agrarlobby durchgesetzten staatlichen Subventionen (Anpassungshilfen) halfen aber, soziale Probleme für die landwirtschaftlichen Betriebe abzumildern und eine Radikalisierung bäuerlicher Proteste zu verhindern.
Vertriebenenverbände
Eine starke Verbandsposition besaßen in den fünfziger Jahren auch die Vertriebenen. 1950 war der Zentralverband Vertriebener Deutscher gegründet worden, daneben gab es seit 1952 den Verband der Landsmannschaften, der Mitte der fünfziger Jahre etwa eine Million Mitglieder zählte; 1957 erfolgte der Zusammenschluß zum Bund der Vertriebenen - Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände (BdV). Bis zu einem Sechstel der Bundestagsabgeordneten gehörte in den fünfziger Jahren den Vertriebenenorganisationen an. In der zweiten Legislaturperiode des Bundestages und in zahlreichen Landtagen war außerdem die Vertriebenenpartei GB/BHE vertreten.
Die Vertriebenenverbände hatten in ihrer Charta von 1950 feierlich auf Rache und Vergeltung verzichtet und gleichzeitig das Recht auf Heimat verteidigt. In der Nichtanerkennung der Nachkriegsgrenzen wußten sie sich im übrigen einig mit dem größten Teil der Bevölkerung und der offiziellen Bonner Politik. Jenseits aller sonntäglichen Rhetorik sorgten die Vertriebenenverbände durch die Vertretung der sozialen Belange ihrer Mitglieder mit für deren Integration in ihre neue Heimat.
Zu den Interessenverbänden im weiteren Sinne werden auch die im Grundgesetz eigens erwähnten Kirchen gerechnet. Die Kirchen beider großer Konfessionen kümmerten sich nicht nur um religiöse Belange, sondern verstanden sich als Element politischer Öffentlichkeit. Die vor allem von katholischer Seite vehement und insgesamt erfolgreich geführte Kampagne um das Elternrecht zur Erhaltung konfessionell homogener Schulen, der Einfluß auf die Militärseelsorge der neuen Bundeswehr und die starke Position der Kirchen in allen Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft zeigten ihre Bedeutung.
Außen- und Deutschlandpolitik
Die grundsätzlichen außen- und innenpolitischen Entscheidungen waren zwar mit der Gründung der Bundesrepublik gefallen, aber deren politische Akzeptanz und parlamentarische Absicherung waren in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre noch umkämpft.
Die Bundesrepublik stand in den ersten Jahren angesichts ihrer eingeschränkten Souveränität - außenpolitische Entscheidungen hatten sich die westalliierten Mächte noch vorbehalten - vor einem Problemdreieck:
Die außenpolitische Handlungsfreiheit sollte wiederhergestellt werden;
Frieden und Sicherheit sollten durch die Teilnahme der Bundesrepublik an der wirtschaftlichen und politischen Integration Westeuropas und an der atlantischen Partnerschaft mit den USA gewährleistet werden.
Die deutsche Teilung sollte - so wie im Grundgesetz ausdrücklich gefordert - überwunden werden. Zwei dieser Ziele ließen sich unschwer aufeinander beziehen: Die Herstellung der - abgesehen von einigen alliierten Vorbehaltsrechten - vollen Souveränität der Bundesrepublik erfolgte im Einklang mit den ersten Schritten zur Integration in die westliche Staatengemeinschaft. Aber zwischen Westoption und rascher Wiedervereinigung bestand ein Spannungsverhältnis, das von vielen Menschen als Alternative empfunden wurde. Daß man als Teil eines wirtschaftlich und militärisch starken Westens die Wiedervereinigung erringen könne, wurde von ihnen angesichts der sowjetischen Sicherheitsinteressen bezweifelt. Aber einer Wiedervereinigung unter neutralem Vorzeichen, also unter Verzicht auf die Bindung an den Westen, standen erst recht die tatsächlichen Machtverhältnisse entgegen. Zum einen hätten dies wiederum die Westalliierten im Kalten Krieg kaum zugelassen, zum anderen fühlte sich auch die westdeutsche Bevölkerung mehrheitlich eher dem Westen, der Demokratie und der inzwischen etablierten westlichen marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung zugehörig und mißtraute verständlicherweise sowjetischen Vorschlägen angesichts der Entwicklung in der SBZ/DDR.
Unter diesen Voraussetzungen formulierte die Bundesregierung eine politische Linie, bei der die schrittweise Integration in das westliche System Vorrang hatte, aber zugleich der Anspruch auf eine Wiedervereinigung "in Frieden und Freiheit" aufrechterhalten wurde. Von einer "Politik der Stärke" (Konrad Adenauer) war die Rede, mit der die Sowjetunion schließlich zu Zugeständnissen gezwungen werden sollte. Die sozialdemokratische Opposition hingegen wandte sich gegen diejenigen Maßnahmen der Westintegration, die das Ziel der deutschen Einheit aus ihrer Sicht gefährden mußten, und gegen das dabei vorgelegte rasche Tempo.
Europarat und Montanunion
Als Teilnehmerin am Marshallplan war die Bundesrepublik am 31. Oktober 1949 Mitglied der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC: Organization for European Economic Cooperation) geworden.
Während diese institutionelle Verankerung im Bundestag kaum umstritten war, gab es über den Beitritt zum Europarat, den zehn westeuropäische Staaten zum Zwecke politischer Kooperation gegründet hatten, 1950 heftige Diskussionen. Sie bezogen sich vor allem darauf, daß die Bundesrepublik nur assoziiertes Mitglied und nicht stimmberechtigt sein sollte. Außerdem wollte Frankreich auch das Saargebiet aufgenommen wissen, womit die Abtrennung dieses Gebiets von Deutschland indirekt anerkannt worden wäre. Gelöst wurde der Konflikt ein Jahr später dadurch, daß die Bundesrepublik vollberechtigtes, das Saarland hingegen nur assoziiertes Mitglied wurde.
Die Herstellung eines freundschaftlichen Verhältnisses zum früheren "Erbfeind" Frankreich besaß in Adenauers Politik oberste Priorität. Einen weiteren Grundstein dazu bildete der auf französische Initiative (Außenminister Robert Schuman) hin abgeschlossene Vertrag über die Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), der am 25. Juli 1952 in Kraft trat. Damit übertrugen sechs europäische Staaten (Frankreich, die Bundesrepublik, Italien und die Benelux-Länder) nationale Hoheitsrechte auf eine gemeinsame supranationale Gemeinschaft. Dieser Vertrag bildete den Ausgangspunkt für die weiteren Schritte zur wirtschaftlichen Integration, die in den Römischen Verträgen zur Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) zur Kooperation auf dem Gebiet der Kernforschung und der friedlichen Nutzung der Kernenergie am 1. Januar 1958 (Tag des Inkrafttretens der Verträge) ihren vorläufigen Abschluß fand.
Deutschlandvertrag und Europäische Verteidigungsgemeinschaft
Die globale Entwicklung des Kalten Krieges beschleunigte das am meisten umstrittene Element der Westintegration, die Aufstellung einer eigenen Armee im Rahmen eines westlichen Bündnisses. Im Juni 1950 hatte der Krieg in Korea begonnen, der wegen der Parallelen - auch Korea war ein geteiltes Land - die Diskussion um die Verteidigung Westeuropas neu entfachte. In einem Sicherheitsmemorandum bat Konrad Adenauer im August 1950 um eine Verstärkung der militärischen Präsenz der Westalliierten in der Bundesrepublik und sagte ein deutsches Truppenkontingent für den Fall zu, daß es zur Bildung einer europäischen Armee kommen sollte. Als Diskussionsbasis diente ein französischer Vorschlag für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), der sogenannte Pleven-Plan (benannt nach dem damaligen französischen Verteidigungsminister René Pleven). Mit dem Beitritt zur EVG sollte die Beendigung des Besatzungsstatuts und die Herstellung der inneren und äußeren Souveränität der Bundesrepublik verbunden sein. Der Deutschlandvertrag, der am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichnet wurde, beinhaltete diese Punkte. Einen Tag später wurde der daran gekoppelte EVG-Vertrag in Paris unterzeichnet, aber im Frühjahr 1953 vertagte das französische Parlament zunächst die Ratifizierung und lehnte am 30. August 1954 das Vertragswerk ab, vor allem wegen der darin enthaltenen Einschränkung der Verfügungsgewalt über die nationalen Streitkräfte. Immerhin aber war durch die ausgedehnten Verhandlungen die Bundesrepublik als Partner der Westmächte aufgewertet worden.
Streit um die Stalin-Noten
Die offizielle und von den Westalliierten unterstützte Position der Bundesrepublik hinsichtlich der Wiedervereinigung war die Forderung nach freien gesamtdeutschen Wahlen. Die Prüfung der Voraussetzungen dafür in beiden deutschen Staaten durch die Vereinten Nationen (UNO) scheiterte im Herbst 1951 an der Weigerung der DDR, die UN-Kommission einreisen zu lassen. Die ostdeutsche Regierung argumentierte vordergründig damit, daß eine deutsche Angelegenheit nur von einer paritätisch zusammengesetzten gesamtdeutschen Kommission, nicht aber von einem internationalen Gremium beraten werden könne.
Insofern waren die Westmächte sehr überrascht, als sie am 10. März 1952 eine sowjetische Note mit dem Vorschlag erhielten, "unverzüglich die Frage eines Friedensvertrages mit Deutschland zu erwägen", der "unter unmittelbarer Beteiligung Deutschlands, vertreten durch eine gesamtdeutsche Regierung", ausgearbeitet werden solle. Die Alliierten sollten gemeinsam prüfen, wie eine solche gesamtdeutsche Regierung rasch geschaffen werden könne. Als Rahmen für diesen Friedensvertrag war die Wiederherstellung eines neutralen Deutschlands in den von der Potsdamer Konferenz festgelegten Grenzen mit einer eigenen Armee und entsprechender Rüstungsindustrie vorgesehen, der Abzug aller Besatzungstruppen innerhalb eines Jahres und die Gewährleistung aller demokratischen Rechte und der freien politischen Betätigung mit Ausnahme von Vereinigungen, "die der Demokratie und der Sache der Erhaltung des Friedens feindlich sind".
Die Westmächte lehnten in ihrer Beantwortung der ersten Note am 25. März 1952 - mit Zustimmung von Adenauer - jegliche Verhandlung über einen Friedensvertrag vor gesamtdeutschen Wahlen ab. Diese brüske Ablehnung rief in der Bundesrepublik Kontroversen hervor. Politiker der SPD und vereinzelt aus der FDP, aber auch der damalige Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, votierten dafür, die Ernsthaftigkeit des sowjetischen Vorschlags zumindest zu prüfen, während der Bundeskanzler die Note lediglich als Versuch Stalins wertete, den westeuropäischen Integrationsprozeß, die Bildung der EVG, zu behindern. Hinzu kamen Ängste Adenauers vor einer Einigung der früheren Verbündeten über Deutschland hinweg und zu dessen Ungunsten. Deshalb betonte er immer wieder, daß ein neutrales Deutschland und das dadurch entstehende Machtvakuum in Mitteleuropa lediglich ein strategisches Zwischenziel sowjetischer Expansionspolitik sein würde.
Zwar signalisierte die Sowjetunion in einer zweiten Note am 9. April ihre Zustimmung zu freien Wahlen, und parallel zu den Beratungen über den Deutschlandvertrag und die EVG wurden bis zum 23. September 1952 noch zweimal Noten zwischen den ehemaligen Verbündeten des Zweiten Weltkriegs gewechselt, aber eine ernsthafte Prüfung der sowjetischen Vorschläge unterblieb.
Pariser Verträge: Fortsetzung der Westintegration
Die gleiche Konstellation ergab sich, als die Nachfolger Stalins erstmals das Interesse der Sowjetunion an einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem bekundeten und das schon in der Note vom 9. April 1952 enthaltene Zugeständnis wiederholten, die westliche Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen prüfen zu wollen (Noten vom 23. Oktober 1954 und 14. Januar 1955). Wieder erklärte Adenauer, gegen den Protest der SPD und einer breiten öffentlichen Opposition ("Deutsches Manifest" der "Paulskirchenbewegung" am 29. Januar 1955), dies diene nur der Propaganda gegen die Integration in den Westen. Erst wenn diese abgeschlossen sei, könnten von einer dann starken Position aus erfolgreiche Verhandlungen geführt werden.
Die Festlegung der Westintegration wurde im Oktober 1954 erreicht, als in Paris gleichzeitig folgende Komplexe vertraglich geregelt wurden:Die Neufassung des Deutschlandvertrags zwischen der Bundesrepublik und den drei westalliierten Mächten zur Ablösung des Besatzungsstatuts mit Zusatzverträgen über die Stationierung ausländischer Streitkräfte in Westdeutschland;
der Beitritt der Bundesrepublik zur Westeuropäischen Union (WEU);
die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO;
die Einigung zwischen der Bundesrepublik und Frankreich über ein Statut für das Saargebiet, über das die Bevölkerung innerhalb von drei Monaten in einer Abstimmung entscheiden sollte. Das Ergebnis - 67,7 Prozent der Saarländer stimmten am 23. Oktober 1955 gegen das Statut - kam für Frankreich völlig überraschend und führte zur politischen Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik 1957 und zu seiner wirtschaftlichen Eingliederung 1959. Großbritannien, Frankreich und die USA anerkannten in einer Erklärung, der sich die anderen NATO-Länder anschlossen, die Bundesrepublik als einzigen deutschen Staat und garantierten dessen Sicherheit ebenso wie die West-Berlins. Gefordert wurde von ihnen ferner eine friedensvertragliche Regelung für Gesamtdeutschland.
Mit dem Tag des Inkrafttretens der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 wurde die Bundesrepublik ein souveräner Staat bis auf einige, Deutschland als Ganzes betreffende, alliierte Vorbehalte. Am 9. Mai erfolgte der Beitritt zur NATO. Vorgesehen war ein militärisches Kontingent von maximal 500000 Mann.
Bereits zwei Monate später trafen sich die Regierungschefs der westlichen Mächte und der Sowjetunion zu einer Gipfelkonferenz in Genf (17. bis 23. Juli 1955) und einigten sich auf die Formel, daß die deutsche Wiedervereinigung durch freie Wahlen im Einklang mit den Sicherheitsinteressen in Europa und im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes erreicht werden müsse. Diese Konferenz, an der Beobachterdelegationen der Bundesrepublik und der DDR teilnahmen, schien die Auffassung zu bestätigen, daß die westliche Integration die deutsche Einigung nicht behindere. Das nachfolgende Außenministertreffen am gleichen Ort (27. Oktober bis 15. November 1955) verlief allerdings ergebnislos, weil die Sowjetunion darauf bestand, vor der deutschen Wiedervereinigung ein europäisches Sicherheitssystem zu schaffen.
Zwischen diesen beiden Konferenzen reiste der Bundeskanzler (auf Einladung der Sowjetunion) nach Moskau (8. bis 14. September 1955). Dort wurde die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbart, und die Sowjetunion erklärte sich bereit, die letzten etwa 10000 deutschen Kriegsgefangenen freizulassen.
Hallstein-Doktrin
Ausgehend vom Anspruch der Bundesrepublik, Deutschland als einziger Staat zu vertreten, wertete es die Bundesregierung als einen unfreundlichen Akt, wenn ein Staat, der mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhielt, auch die DDR als selbständigen Staat anerkannte. Eine Ausnahme sollte allein die Sowjetunion bilden, die in beide deutsche Hauptstädte Botschafter entsandte.
Der außenpolitische Grundsatz, keine Beziehungen zu Staaten aufzunehmen bzw. diese abzubrechen, wenn diese die DDR diplomatisch anerkannten, wurde nach dem damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, als Hallstein-Doktrin bezeichnet. Damit konnte zwar für etwa ein Jahrzehnt die internationale Anerkennung der DDR verzögert werden, aber die Bundesrepublik verzichtete dadurch auch selbst auf diplomatische Beziehungen zu ihren östlichen Nachbarn sowie zu einigen Ländern der Dritten Welt. Nachdem diese Doktrin in den sechziger Jahren weitgehend ausgehöhlt worden war, wurde sie stillschweigend aufgegeben.
Diplomatische Initiativen von östlicher Seite 1957/58, darunter der Vorschlag des SED-Chefs Walter Ulbricht für eine Konföderation der beiden deutschen Staaten und einen paritätisch zusammengesetzten gesamtdeutschen Rat als Vorstufe für eine spätere Wiedervereinigung, wurden vom Westen nicht aufgegriffen. Umgekehrt ignorierte die Sowjetunion den im März 1958 von der Bundesregierung übermittelten "Globke-Plan" (benannt nach dem damaligen Staatssekretär Hans Globke). Dieser sah vor, daß der status quo für fünf Jahre aufrechterhalten werden sollte, bevor in beiden deutschen Staaten eine bindende Abstimmung über die Wiedervereinigung stattfinden würde. Die gesamtdeutsche Volksvertretung sollte dann frei entscheiden können, sich der NATO oder dem Warschauer Pakt anzuschließen.
Letztlich handelte es sich auf beiden Seiten um leicht veränderte Wiederholungen der bekannten Standpunkte. Ende der fünfziger Jahre wurde immer deutlicher, daß mit dem Erfolg der Westintegration die Aussicht auf die Wiedervereinigung nicht wuchs.
Aufbau der Bundeswehr
Seit 1950 war der Aufbau einer westdeutschen Armee heftig umstritten, vor allem im Zusammenhang mit den sich daraus ergebenden Folgen für die Wiedervereinigung. Nach dem Beitritt zur NATO und dem Dienstantritt der ersten 1000 Freiwilligen am 2. Januar 1956 sowie der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zwei Monate später wurde es dann zunächst ruhiger um die Bundeswehr. Viele Offiziere hatten zwar bereits in der Wehrmacht gedient und lebten noch in traditioneller militärischer Vorstellungswelt. Aber mit dem maßgeblich von General Wolf Graf von Baudissin entworfenen Konzept der "Inneren Führung" wurde ein Neuanfang gewagt, mit dem man zum einen die Integration der Armee in den demokratischen Staat und dessen gesellschaftliche Ordnung anstrebte und zum anderen dem Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" die Menschen- und Bürgerrechte garantierte, soweit dies unter militärischen Erfordernissen überhaupt nur möglich ist.
Die öffentliche Diskussion um die Bundeswehr wurde aber schon bald wieder belebt, als die amerikanische Strategie seit dem Herbst 1956 vorsah, die konventionellen Streitkräfte in Europa zugunsten einer Ausrüstung mit Atomwaffen zu reduzieren. Nachdem Bundeskanzler Adenauer, der die ungeminderte amerikanische Präsenz erhalten wissen wollte, dies nicht hatte verhindern können, vertraten er und Franz Josef Strauß, Nachfolger von Theodor Blank als Verteidigungsminister, seit April 1957 öffentlich die Auffassung, daß auch die Bundeswehr zumindest begrenzte Verfügungsgewalt über diese Waffen erhalten müsse.
In der Bevölkerung entwickelte sich in den folgenden Monaten eine breite Protestbewegung unter dem Motto "Kampf dem Atomtod". Sie erhielt auch die Unterstützung von führenden deutschen Atomwissenschaftlern, die im "Göttinger Manifest" vom 12. April 1957 für einen deutschen Verzicht auf Atomwaffen eintraten. Weder die Protestbewegung noch verschiedene diplomatische Vorstöße, darunter der Plan des polnischen Außenministers Adam Rapacki zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa (Bundesrepublik, DDR, Polen und Tschechoslowakei), verhinderten die Stationierung von Atomwaffen auf westdeutschem Boden. Allerdings erhielt die Bundesrepublik keine Mitverfügungsgewalt über diese Waffen.
Berlin-Frage
Die Entscheidung zur Stationierung von Atomwaffen in der Bundesrepublik rückte die besondere Rolle Berlins erneut ins Zentrum der Blockkonfrontation. Denn wie 1948 bediente sich die Sowjetunion erneut des Druckmittels der Blockade von West-Berlin (siehe detaillierte Darlegung in "Informationen zur politischen Bildung" 240 zum Thema: "Hauptstadt Berlin"). Im Ergebnis bemühte sich die Bundesrepublik um eine möglichst weitgehende Eingliederung des westlichen Teils der Stadt und zeigte dort demonstrative Präsenz, während die Westmächte an der gemeinsamen alliierten Verantwortung für ganz Berlin festhielten.
Die DDR wiederum bezeichnete Berlin als ihre Hauptstadt, zu der rechtens auch der westliche Teil gehöre. Ende 1958 kam es zu einer Zuspitzung des Streits um Berlin, als die Sowjetunion ultimativ Verhandlungen über das Ende der westlichen Präsenz in West-Berlin innerhalb von sechs Monaten forderte. Schließlich erfolgte mit dem Bau der Mauer durch Berlin am 13. August 1961 die hermetische Teilung der Stadt und eine Verfestigung der deutschen Zweistaatlichkeit.Soziale Ordnung
Während die Deutschlandpolitik, vor allem aber die unpopuläre Wiederbewaffnung, auch in der Bundesrepublik selbst erhebliche Kontroversen ausgelöst hatten, wurden die wichtigsten Gesetzeswerke zur sozialen Ausgestaltung des westlichen Staates größtenteils einvernehmlich oder zumindest weitgehend ohne dramatische Auseinandersetzungen beschlossen, wenn man von der Auseinandersetzung um die Mitbestimmung absieht:Das Erste Wohnungsbaugesetz, im April 1950 vom Bundestag einmütig beschlossen, bildete die Grundlage des Wiederaufbaus. Mit fünf Millionen Wohnungen, die in den fünfziger Jahren gebaut wurden (davon 60 Prozent als staatlich besonders geförderte Sozialwohnungen) wurden alle Zielvorstellungen weit übertroffen.
Schon 1950 waren mit dem Bundesversorgungsgesetz die Versorgung der Kriegsopfer und im gleichen Jahr mit dem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer Entschädigungen für ehemalige Kriegsgefangene beschlossen worden. Das Lastenausgleichsgesetz vom Mai 1952 schließlich sah Entschädigungen für Vermögensverluste aus Vertreibung, Flucht und Kriegszerstörungen vor. Es wurde freilich von SPD und KPD als ungenügend abgelehnt. Finanziert werden sollte der Lastenausgleich aus einer fünfzigprozentigen Abgabe von allen Vermögen, die bei der Währungsreform 5000 DM überschritten hatten. Für die Berechnung dieser in 30 Jahresraten zu leistenden Abgabe wurden aber die bei Immobilien steuerlich niedrigen Einheitswerte zugrundegelegt und zahlreiche Ausnahmen zugelassen, so daß sie für die davon Betroffenen keine große Belastung darstellte.
Den Höhepunkt der sozialen Ausgestaltung der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren bildete zweifellos die Rentenreform, mit der 1957 die Dynamisierung der Altersrenten und damit deren Ankoppelung an die Lohnentwicklung vorgenommen wurde. Auch in diesem Fall stimmte die SPD mit der Union für das Gesetz, während die FDP und die Mehrheit der DP-Fraktion es ablehnten.
Am Ende der fünfziger Jahre war aus der Bundesrepublik ein politisch souveräner und sozial stabiler Staat geworden, der fest in das westliche Bündnis integriert war. Der Preis dieser Entwicklung war allerdings die Zementierung der deutschen Teilung.Volksmeinung
Die düsteren Schatten des Krieges und der Kriegsfolgen lasteten um 1950 nach wie vor auf den Menschen. Ängste, Sorgen und eine tiefsitzende Unsicherheit gehörten zum Lebensgefühl der frühen fünfziger Jahre. Man traute dem Frieden noch nicht, eine relative Mehrheit der Bevölkerung war der Auffassung, daß die Nachkriegszeit in Wirklichkeit nur eine kurze Atempause zwischen Zweitem und Drittem Weltkrieg sei. Durch den Korea-Konflikt 1950/51 war diese Befürchtung noch erheblich angewachsen. Zwei Drittel der Bevölkerung fühlten sich Meinungsumfragen zufolge durch die Sowjetunion bedroht. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ging die unmittelbare Kriegsangst allmählich zurück.
Neben der Unsicherheit über die Stabilität des Friedens im Kalten Krieg konnten die Menschen um 1950 noch nicht davon ausgehen, daß der wirtschaftliche Aufschwung - er setzte dynamisch erst mit dem Korea-Krieg ein - langfristiger Natur sein würde. Dies widersprach ihren Lebenserfahrungen mit den ständig wechselnden Konjunkturlagen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Sicherheitsbedürfnis
Insofern beherrschte ein besonders hohes Sicherheitsbedürfnis die Bevölkerung, die sich an der Politik im übrigen mehrheitlich wenig interessiert zeigte. Dem geringen Interesse entsprach der niedrige Informationsgrad über das neue demokratische System. Neun Zehnteln der Bevölkerung, so ermittelte das Allensbacher Institut für Demoskopie in Umfragen Anfang der fünfziger Jahre, war die Arbeitsweise des Bundestages und die Funktion des Bundesrates unbekannt.
Geradezu ideal erschien in dieser Situation die respektable Vaterfigur Konrad Adenauer, dem man die Geschicke des Staates anvertrauen konnte, während man sich selbst seinen privaten Geschäften widmete. Die Bonner Koalition verstand es, die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen - Sicherheit vor der äußeren Bedrohung aus dem Osten durch die Integration in die westliche Gemeinschaft und Sicherheit vor neuer materieller Not.
Die Wiederbewaffnung war zwar Anfang der fünfziger Jahre in der Bevölkerung nicht populär, aber infolge der weltpolitischen Spannungssituation und der empfundenen Bedrohung durch die Sowjetunion wuchs das Einverständnis mit der Aufstellung einer in das westliche Bündnis integrierten Armee auf etwa die Hälfte der Bevölkerung. Nach ihrer Gründung wurde die Bundeswehr in ihrer Existenz immer weniger in Frage gestellt. Auf der anderen Seite rief sie auch keine nationalistische Hochstimmung hervor, sondern wurde nüchtern als politische Notwendigkeit betrachtet.
Die tatsächliche gesellschaftliche und politische Entwicklung war die beste Werbung für die Regierung und besonders für die Kanzlerpartei, während die Kritiker der Sozialen Marktwirtschaft ebenso wie diejenigen, die durch die Westintegration die deutsche Wiedervereinigung gefährdet sahen, zunehmend als Störenfriede einer erfolgreichen Politik erschienen, denen es an realistischen Gegenkonzepten ermangelte. Während die Regierungsparteien zur zweiten Bundestagswahl noch mit polemischen Plakattexten aufwarteten, die davor warnten, daß alle Wege des Marxismus nach Moskau führten, reichte 1957 die CDU-Losung "Keine Experimente!" Sie entsprach wohl wie keine zweite der mehrheitlichen Einstellung in der Bevölkerung, die wiederum zum Teil die bereits geschilderte Wahlentwicklung erklärt.
Aber auch die politisch-kulturellen Traditionen müssen als wichtiger Faktor für das Wahlverhalten der fünfziger Jahre in Rechnung gestellt werden. Immer noch überwogen staatsgläubige Einstellungen, die grundsätzlich die Regierung über die Parteien stellten. Und nach wie vor dominierten autoritäre Denkmuster und ein konfliktscheues Mißtrauen gegenüber demokratischer Diskussion. Dies spiegelte sich zum Teil in den immer wieder durchgeführten Umfragen über die gewünschte Staatsform, bei denen Anfang der fünfziger Jahre noch starke Minderheiten gegen ein Mehrparteiensystem und für ein autoritäres Regime votierten. Erst am Ende des Jahrzehnts gab es einen überzeugenden Anteil von drei Vierteln der Befragten, die sich für die Demokratie aussprachen.
Anfang der fünfziger Jahre waren es weniger die Demokratie und westliche liberale Werte, die der stalinistischen Diktatur politisch entgegengehalten wurden. Im Zentrum stand vielmehr die Abwehr des Bolschewismus oder Kollektivismus, der das christliche Abendland bedrohe. Damit ließ sich an die Einstellung eines großen Teils der Bevölkerung anknüpfen, die nun die Überzeugung pflegen konnte, wenigstens in dieser Frage bis 1945 auf der richtigen Seite gestanden zu haben; die mit dem Vordringen der Roten Armee verbundenen Erfahrungen sowie der Anschauungsunterricht, den die Sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR bot, bekräftigten diesen Standpunkt. Erst mit dem Abflauen des Kalten Krieges verloren damit verbundene Feindbilder allmählich ihre Eindrücklichkeit.Umgang mit der NS-Vergangenheit
Selbst nach dem Kriegsende und der Aufdeckung der nationalsozialistischen Verbrechen gab etlichen repräsentativen Erhebungen im Auftrag der US-Besatzungsmacht von 1945 bis 1949 zufolge jeweils mehr als die Hälfte der Befragten an, daß der Nationalsozialismus eine gute Idee gewesen sei, die nur schlecht ausgeführt worden wäre.
In der Zeit der Besatzung hatte es seitens der Alliierten eine sehr weit ausgreifende Entnazifizierung gegeben. In den drei westlichen Zonen waren mehr als sechs Millionen Verfahren anhängig, in denen etwa eine Million Personen mit unterschiedlichen Sanktionen belegt worden war. Nationalsozialistische Funktionsträger waren vor allem in der Politik, in der Kultur und im Bereich der Medien ausgeschaltet worden. Nachdem aber die Entnazifizierung in deutsche Hände übergegangen war, verlief sie bald im Sande und endete schließlich Anfang der fünfziger Jahre mit allgemeinen Amnestien. Dadurch ergab sich eine ungleiche Behandlung. Gerade weniger schwere Fälle waren anfangs mit drakonischen Strafen abgeschlossen worden, während etliche prominente Parteigänger des Regimes wenige Jahre später, als sich der rechtliche Rahmen und das politische Klima verändert hatten, nicht mehr behelligt wurden. Auch aus diesem Grund war die Entnazifizierung in der Bevölkerung nicht populär.
Nach einer bisweilen verordneten Zwangspause (Internierung, Haft, Entlassung, Suspendierung usw.) kam es Anfang der fünfziger Jahre zu einer weitreichenden personellen Integration selbst belasteter ehemaliger Funktionäre in die private Wirtschaft, aber auch in den öffentlichen Dienst. Während im privaten Erwerbsleben häufig persönliche Netzwerke bestanden, die eine Integration erleichterten, wurde dies bei den Staatsdienern durch gesetzliche Regelungen befördert.
In Artikel 131 des Grundgesetzes war eine Regelung für jene öffentlichen Bediensteten angekündigt worden, die 1945 aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen hatten ausscheiden müssen. In Ausführung dieses Auftrages beschloß der Bundestag im Mai 1951 - mit den Stimmen der SPD - ein Gesetz, das die öffentlichen Arbeitgeber verpflichtete, 20 Prozent ihrer Planstellen für die Einstellung dieses Personenkreises zu verwenden. Neben jenen, die vor allem aus den ehemaligen Ostgebieten vertrieben worden waren, erhielten auch etwa 150.000 Personen ihre Versorgungsansprüche und Arbeitsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst zurück, die im Zuge der Entnazifizierung ihr Amt verloren hatten.
Bei der Beantwortung der häufiger aufgeworfenen Frage, wie sich die politische Demokratie trotz personeller Kontinuitäten in wichtigen Bereichen von Staat und Gesellschaft stabilisieren konnte, wird man auf folgenden wichtigen Umstand hinweisen müssen: Zwar gab es eine weitgehende soziale Integration eines Teils der alten Funktionseliten, der Experten auf vielen Feldern der staatlichen Verwaltung, der Wirtschaft und der Kultur; aber diese hatten zum großen Teil ihre Karriere bereits während der Weimarer Republik begonnen. Sie paßten sich zudem den Regeln des neuen demokratischen Systems an; zunächst vielleicht nur äußerlich, aber vielfach allmählich auch aus innerer Überzeugung. Ohne die Mitwirkung jener qualifizierten Eliten wäre der Wiederaufbau wohl kaum so reibungslos verlaufen.
Diskussion um die "Wiedergutmachung"
Auf der anderen Seite bekannte sich Adenauer in einer Regierungserklärung im Bundestag am 27. September 1951 unmißverständlich zur Pflicht moralischer und materieller Wiedergutmachung gegenüber den Vertretern des Judentums und dem Staat Israel. Nach komplizierten Verhandlungen wurde ein Jahr später ein Wiedergutmachungsabkommen mit Israel unterzeichnet. Dieses Abkommen bildete im übrigen eine Voraussetzung für die gleichzeitigen Londoner Verhandlungen über die Anerkennung der deutschen Vorkriegsschulden sowie der Schulden, die aus der Wiederaufbauhilfe für die Westzonen nach dem Zweiten Weltkrieg resultierten. Insofern erleichterte die Verständigung mit Israel die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Weltwirtschaft. Dennoch löste das Abkommen mit Israel im Bundestag heftige Debatten aus, vor allem wegen der Höhe der vereinbarten Zahlungen (etwa 3,5 Milliarden DM für eine Laufzeit von 12 Jahren). Bundeskanzler Adenauer konnte sich im Bundestag nur mit den Stimmen der SPD durchsetzen, weil sich ein Teil der Koalitionsabgeordneten der Stimme enthielt oder das Abkommen sogar ablehnte. Damit, so wurde in repräsentativen Umfragen ermittelt, drückten sie "Volkes Stimme" aus.
Kurz vor Ende der ersten Legislaturperiode, am 18. September 1953, verabschiedete der Bundestag auch ein Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, das allerdings - im Unterschied zu den vorherigen zonalen Regelungen - nun diejenigen ehemaligen Verfolgten ausschloß, die sich nach Inkrafttreten des Grundgesetzes weiterhin als Kommunisten betätigten; nicht entschädigungsberechtigt waren ferner Homosexuelle sowie Sinti und Roma und die meisten der im Dritten Reich als "asozial" Verfolgten.
Diese Politik ging einher mit einer strikten Abgrenzung gegenüber neonazistischen und rechtsextremen Parteien und Verbänden, wie etwa das Verbot der Sozialistischen Reichspartei zeigt. Im übrigen wachten auch die Alliierten sehr aufmerksam über solche Ansätze. Anfang 1953 verhaftete die britische Militärpolizei einstige NS-Größen, die begonnen hatten, die Landesverbände der FDP in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu unterwandern.
Die Doppelstrategie der westdeutschen "Vergangenheitspolitik" (Norbert Frei), die weitgehende soziale Integration der NS-belasteten Eliten mit strikter Abwehr neonazistischer Wiederbelebungsversuche zu verbinden, belastete die Gesellschaft, denn damit einher ging der Verzicht auf eine konkrete Analyse der noch nicht weit zurückliegenden Vergangenheit zugunsten von Funktionstüchtigkeit und gesellschaftlicher Harmonie.
Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen kam nahezu zum Erliegen; im besonderen Maße setzten sich die Kirchen für die Amnestie der noch in alliierten Gefängnissen auf dem Boden der Bundesrepublik einsitzenden Häftlinge ein.
Allerdings begann sich im letzten Drittel der fünfziger Jahre das Klima für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zusehends zu wandeln. Einen wichtigen Beitrag hierzu leisteten Informationen durch dokumentarische Bücher, Zeitschriftenserien und erstmals auch durch das Fernsehen. Die 16 Folgen der TV-Serie "Das Dritte Reich" im noch einzigen bundesdeutschen Fernsehprogramm erreichten 1960/61 eine Sehbeteiligung von etwa 60 Prozent (angesichts der damaligen Verbreitung des Fernsehens entsprach dies etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung).
Unmittelbaren Anlaß zu einer publizistischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bildeten einige Justizskandale um Verfahren, in denen antisemitische Straftäter offensichtlich begünstigt wurden (Fälle Hanns Eisele, Ludwig Zind, Friedrich Heinrich Nieland). Vor allem aber der Ulmer "Einsatzgruppenprozeß" (1958) gegen Verantwortliche der an der Ermordung einer sehr großen Zahl von Juden beteiligten Kommandos führte zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Er rückte eindrücklich die Dimension der Verbrechen im Osten und bisherige Versäumnisse der Strafverfolgung in das Bewußtsein der Bevölkerung.
Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Diskussion über die nationalsozialistische Vergangenheit nach einer antisemitischen Schmierwelle, die Ende 1959 mit der Schändung der Kölner Synagoge begonnen hatte. In den folgenden Jahren, mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zum Dritten Reich und der Artikulation einer neuen Generation, gewann die Debatte an Intensität, begleitet von periodischen - erfolglosen - Versuchen, nun doch endlich einen "Schlußstrich" unter die Vergangenheit zu ziehen.