Die Ära Adenauer: Souveränitätsgewinn durch Souveränitätsverzicht
Am Anfang stand nicht Konrad Adenauer, die zentrale Figur bundesdeutscher Politik der 1950er und beginnenden 1960er Jahre, am Anfang standen die Alliierten. 1949, im Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland, konnte von souveräner deutscher Außenpolitik nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Souverän waren ausschließlich die Besatzungsmächte, die 1945 nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht Deutschland unter sich aufgeteilt und, wie sie in der "Berliner Deklaration" vom 5. Juni 1945 verlautbaren ließen, die Regierungsgewalt übernommen hatten. Zur Regelung der Deutschlandpolitik wurde ein Alliierter Kontrollrat eingerichtet, in dem die Oberbefehlshaber der vier Besatzungszonen "für eine angemessene Einheitlichkeit" ihres Vorgehens Sorge tragen und zugleich "im gegenseitigen Einvernehmen Entscheidungen über alle Deutschland als Ganzes betreffenden wesentlichen Fragen" treffen wollten. Auf der Potsdamer Konferenz der "Großen Drei", der USA, der Sowjetunion sowie Großbritanniens, die am 2. August 1945 zu Ende ging, wurden vier fundamentale Beschlüsse zur Behandlung des Kriegsverlierers Deutschland - die berühmten "vier D" aus Demilitarisierung, Denazifizierung, Demokratisierung und Demontage - gefasst. Deren politische Umsetzung mündete schließlich nach der sowjetischen Zurückweisung des amerikanischen "Marshall-Plans", einer wirtschaftlichen Hilfe für Deutschland und die osteuropäischen Staaten, sowie nach der dramatischen Berlin-Krise 1948 mit Berlin-Blockade und Luftbrücke in die "doppelte Staatsgründung" 1949.
Kalter Krieg und "Eiserner Vorhang"
Die alliierten Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich gründeten vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus ihren drei fusionierten Besatzungszonen einen freiheitlichen demokratischen und marktwirtschaftlich orientierten deutschen "Weststaat", die Bundesrepublik Deutschland, dem die Sowjetunion die DDR, die Deutsche Demokratische Republik, als deutschen Vorposten ihres kommunistischen Machtbereichs entgegensetzte. Ab 1949 existierten damit zwei deutsche Teilstaaten unter alliiertem Vorbehalt, die, beide mit eindeutigem Provisoriumscharakter, nur sehr eingeschränkt zu einer eigenen Außenpolitik in der Lage waren.
Für die DDR galt dies im Grunde bis zu ihrer Auflösung 1990, denn im Rahmen des "sozialistischen Internationalismus" blieb ihr wenig Handlungsspielraum für eigene außenpolitische Initiativen, die in keinem Fall den Interessen und Positionen der sowjetischen "Brudermacht" entgegenstehen durften.
Auch um den Handlungsspielraum der - nach ihrer Gründung militärisch weiterhin besetzten - Bundesrepublik war es zunächst nicht viel besser bestellt: Die Außenvertretung Westdeutschlands lag, gemäß des im September 1949 in Kraft gesetzten Besatzungsstatuts, im Hoheitsbereich der drei alliierten Kommissare. Unter diesen Bedingungen musste es das Ziel einer jeden Bundesregierung sein, gegenüber den Alliierten eine eigene außenpolitische Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Dazu konkurrierten in der Gründungsphase der Bundesrepublik auf deutscher Seite drei Konzeptionen, die von namhaften Vertretern der neu gegründeten bzw. wieder aufgebauten Parteien Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) und Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) repräsentiert wurden: Konrad Adenauers Konzept der "Westbindung" und Jakob Kaisers "Brückenkonzeption" (beide CDU) sowie der Entwurf eines "demokratischen Sozialismus" des SPD-Politikers Kurt Schumacher.
QuellentextAdenauer und der Teppich
[...] Am 20. September [1949] tagte das Kabinett zum ersten Male. Am nächsten Morgen fuhr Adenauer - begleitet von [seinem Intimus] Herbert Blankenhorn, gefolgt von fünf der dreizehn neuen Bundesminister - zum Hotel Petersberg oberhalb von Königswinter. Er war einbestellt worden, weil die Hohen Kommissare André François-Poncet (Frankreich), John J. McCloy (Vereinigte Staaten von Amerika) und Brian H. Robertson (Großbritannien) das Besatzungsstatut in einer feierlichen Zeremonie überreichen wollten. "Dieses Vorhaben gefiel mir nicht", schrieb Adenauer in den "Erinnerungen", und so bat er darum, das Inkrafttreten "lediglich durch eine Ansprache" bekanntzugeben. Als protokollarischer Rahmen war vereinbart worden, dass die Hohen Kommissare "auf einem Teppich stünden, während ich vor diesem stehen sollte. Ihr Vorsitzender sollte [...] das Inkrafttreten des Besatzungsstatuts verkünden. Alsdann sollte ich den Teppich betreten."
Um 11 Uhr trat die Delegation in den Gesellschaftssaal, wo - so Adenauer 1965 - "uns die drei Hohen Kommissare auf einem Teppich stehend empfingen. François-Poncet [...] trat, während ich vor dem Teppich haltmachte, einen Schritt nach vorn, um mich zu begrüßen. Ich machte mir diese Gelegenheit zunutze, ging ihm entgegen und stand somit gleichfalls auf dem Teppich. Keiner der Hohen Kommissare wendete sich dagegen. François-Poncet hielt seine Ansprache."
Diesen Teppich-Auftritt schilderte erstmals Paul Weymar in der "autorisierten Biographie" Adenauers im Jahr 1955. Eigentlich sei verabredet gewesen, dass die deutsche Delegation "in gemessenem Abstand von dem Teppich haltmachen" sollte, aber die Hohen Kommissare hätten "sogleich den ersten Verstoß gegen ihre eigene Anordnung" begangen: François-Poncet "kommt Adenauer mit einer Geste spontaner Herzlichkeit entgegen, und ehe man sich versieht, ist der Teppich-Abstand aufgehoben". [...] Als sich Adenauer im Auswärtigen Ausschuss Anfang November 1949 zum Besatzungsstatut äußerte, meinte er, durch langwierige Verhandlungen habe er erreicht, "dass dieser Staatsakt keinen demütigenden Charakter für die Deutsche Bundesregierung erhalte". Die Westalliierten hatten daraufhin von der feierlichen Übergabe abgesehen und auf die Anwesenheit der gesamten Bundesregierung verzichtet, was "wie ein Befehlsempfang ausgesehen" hätte. Der Kanzler erwähnte das "besondere Entgegenkommen" des Vorsitzenden François-Poncet. Der sei "anders als vorgesehen gleich beim Empfang" auf ihn zugetreten, "so dass sich gleich von vornherein eine freundlichere Atmosphäre ergeben hätte". [...] Auf die Ansprache von François-Poncet am 21. September 1949 antwortete Adenauer. Er dankte den Westmächten für die Nahrungsmittelhilfe. Durch den Aufbau der staatlichen Organe gehe ein großer Teil der Entscheidungsbefugnis in deutsche Hände über: "Noch sind wir allerdings nicht völlig frei, denn das Besatzungsstatut enthält wesentliche Beschränkungen." Er hoffe, dass die Alliierten durch die Revisionsklausel im Statut "die weitere staatliche Entwicklung unseres Landes beschleunigen helfen". Darauf erwiderte François-Poncet, das Besatzungsstatut sei nun in Kraft. Eine Revision werde später möglich sein.
Mit dem Besatzungsstatut behielten sich die Westmächte die Kontrolle der Außenpolitik, des Außenhandels, der Entmilitarisierung und anderes vor. Und die Hohen Kommissare besaßen das Recht, "auf Anweisung ihrer Regierungen die Ausübung der gesamten Gewalt ganz oder teilweise wieder zu übernehmen, wenn sie dies im Interesse der Sicherheit, zur Aufrechterhaltung einer demokratischen Regierungsform oder in Wahrnehmung der internationalen Verpflichtungen dieser Regierungen für notwendig halten". Das Besatzungsstatut galt mit Modifikationen vom November 1949 und der Revision vom März 1951 bis zum 5. Mai 1955.
Das Inkrafttreten spielte Adenauer stets als bloßen "Besuch" herunter. Dabei hatten die Alliierten einen großen Staatsakt angestrebt, was auch daraus hervorgeht, dass vom Statut - dessen Inhalt die deutschen Politiker seit Monaten kannten - ein kunstvolles Exemplar angefertigt worden war. [...] Schließlich gelangte das handvergoldete Unikat ins Haus der Geschichte der Bundesrepublik, das es am 21. September 1999 auf dem Petersberg der Öffentlichkeit vorstellte und für seine Dauerausstellung in Bonn vereinnahmen durfte. Vom berühmten Teppich fehlt allerdings jede Spur.
Rainer Blasius, "Der alliierte Teppich und das Besatzungspaket", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. September 2009
Außenpolitische Konzeptionen
Für Konrad Adenauer, Vorsitzender der CDU im Rheinland und in der britischen Zone, war die durch den Expansionsdrang der Sowjetunion hervorgerufene Trennung Europas eine "Tatsache". Vordringliches Ziel der europäischen Staaten müsse es folglich sein, durch einen Zusammenschluss aller Demokratien - unter Einbeziehung Deutschlands - dem drohenden politischen Bedeutungsverlust gegenüber den neuen Supermächten USA und Sowjetunion entgegenzuwirken und die Sicherheit vor dem stalinistischen Expansionsdrang zu gewährleisten. Als wichtigste Grundvoraussetzung für eine derartige Selbstbehauptung Europas erkannte Adenauer, ähnlich wie der britische Premierminister Winston Churchill, eine Annäherung und Aussöhnung von Frankreich und Deutschland. Aus Feindschaft sollte Partnerschaft werden, ganz in der Tradition der Aussöhnungspolitik Gustav Stresemanns und Aristide Briands zwischen den Weltkriegen. Im Gegensatz zu dieser Konzeption baute der Vorsitzende der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), Jakob Kaiser, darauf, dass ein blockfreies, vereintes Deutschland eine politische und weltanschauliche "Brücke" zwischen Ost und West bilden und damit einen Beitrag zur Überwindung des Kalten Krieges leisten könne. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher wiederum zielte auf den Aufbau eines demokratischen und sozialistischen Deutschlands in einem sozialistischen Europa bei entschiedener Abgrenzung gegen den Kommunismus sowjetischer Prägung. Da für Schumacher die Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Unabhängigkeit des deutschen Volkes die zentralen politischen Ziele waren, stimmte er Adenauers Konzeption einer "Westbindung" insofern zu, als diese es dem freien Teil Deutschlands ermöglichen sollte, das Herrschaftssystem in der SBZ zu überwinden.
Tatsächlich war es Adenauers Konzeption der Außenpolitik entlang seiner auf bundesrepublikanische Souveränität ausgerichteten Zieltrias "Freiheit, Frieden, Einheit", die 1949 ihre Chance auf politische Bewährung erhalten sollte. Bereits Ende 1947 musste die "Brückenkonzeption" infolge der Absetzung Kaisers durch die Sowjetische Militäradministration und angesichts des verschärften Ost-West-Gegensatzes als hinfällig gelten, während Schumachers SPD bei den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag der CDU Adenauers knapp unterlag. Die Bundesrepublik Deutschland sollte, daran ließ Adenauer zeit seiner 14-jährigen Kanzlerschaft keinen Zweifel, in geistiger und kultureller Hinsicht unauflösbar mit dem Westen verbunden werden. Dadurch sollte jeder Versuch eines Bonner Alleingangs, beispielsweise eine "Schaukelpolitik" zwischen Ost und West, ebenso ausgeschlossen werden wie die Schaffung eines wiedervereinigten, aber neutralisierten und von der Sowjetunion beeinflussten Deutschlands. Eine kontrollierte, vertraglich fixierte "Westbindung" der Bundesrepublik sollte vor allem auch dazu beitragen, den historisch überkommenen und nach wie vor bestehenden deutsch-französischen Gegensatz zu überwinden und eine Lösung für die drängende Saarfrage (das Saarland stand seit dem Ende des Krieges unter französischer Verwaltung und wurde zunächst nicht in die neu geschaffene Bundesrepublik integriert) zu finden. Eine atlantisch-europäische Verankerung sollte der Bonner Politik Stetigkeit und Berechenbarkeit verschaffen, ihr eine "Politik der Stärke" ermöglichen und zugleich der Gefahr eines neuerlichen deutschen Sonderwegs entgegenwirken. Das Ziel staatlicher Souveränität für Deutschland suchte Adenauer durch eigene Konzessionen zu erlangen, indem er seinen Forderungen nach Gleichberechtigung Vorleistungen der Bundesrepublik an die westlichen Partner vorausschickte. Diese Politik lässt sich mit der Formel "Souveränitätsgewinn durch Souveränitätsverzicht" ausdrücken.
Für die Adenauer-Regierung, aber auch für den Großteil der Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen Westzone, bildete die durch freie Wahlen legitimierte, ökonomisch attraktive und verfassungsmäßig als provisorisch deklarierte Bundesrepublik mit 47 Millionen Einwohnern den deutschen "Kernstaat". Er sollte auf die 17 Millionen Deutschen im sowjetischen Herrschaftsbereich eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben und so mittels einer "Magnetwirkung" die Wiedervereinigung "in Frieden und Freiheit" zustande bringen ("Magnettheorie"). Ein erster Schritt hin zur wirtschaftlichen Stärkung des deutschen Weststaates war dabei der Beitritt der Bundesrepublik zur Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) am 31. Oktober 1949, die für die Verteilung und Verwendung der Gelder des Marshall-Plans zuständig war. Die ehemaligen deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie blieben in der Diskussion um die Magnettheorie zumeist ausgenommen, ohne dass die Bundesregierung oder der Bundestag explizit eine Verzichtserklärung aussprachen. Eine Wiedervereinigung hielt Adenauer nur im europäischen Rahmen für möglich und erstrebenswert und in einer veränderten internationalen Konstellation, in der es der Sowjetunion zweckmäßig erscheinen musste, den Deutschen in der DDR politische Selbstbestimmung einzuräumen. Gerade deshalb musste nach seiner Erwägung das westdeutsche Provisorium so definitiv wie möglich ausgestaltet und fest an die Seite der Schutzmacht USA gestellt werden.
Sicherheit und Souveränität
Der außenpolitische Grundgedanke Adenauers, deutsche Anliegen und europäische Interessen unter dem Schutzschild der USA zu verknüpfen, traf sich mit der französischen Zielsetzung, das besiegte Deutschland militärisch zu kontrollieren. Doch dies war auf Dauer - und dessen war sich Paris bewusst - nicht durch Herrschaft, sondern nur durch Partnerschaft möglich. Und weil zudem die europäischen Fragen der Zeit, die durch den enormen Druck der weltpolitischen Verhältnisse aufgeworfen wurden, ohne sie nicht zu lösen waren, wurde die junge Bundesrepublik Deutschland als Brückenkopf der amerikanischen Eindämmungspolitik gegenüber der Sowjetunion schon bald zu einer Akteurin westeuropäischer Politik.
Noch im Frühjahr 1948, bei der Unterzeichnung des Brüsseler Vertrages, dem Vorläufer der gut ein Jahr später gegründeten NATO, hatte die Angst vor der "deutschen Gefahr" im Vordergrund gestanden. Doch mit dem Korea-Krieg, der im Juli 1950 ausbrach, änderte sich diese Wahrnehmung grundlegend: Nach dem Einmarsch Nordkoreas in den Süden fürchtete man auch in Westeuropa Expansionsbestrebungen der kommunistischen Staaten. Aus diesen Erwägungen schien die Einbindung der Bundesrepublik in ein westliches Sicherheitssystem unerlässlich, auch wenn insbesondere die Franzosen den deutschen Militarismus nach wie vor fürchteten.
Die Bereitschaft zu einem deutschen Wehrbeitrag, innenpolitisch an sich bereits hoch kontrovers diskutiert und auch innerhalb der Regierungskoalition keineswegs unumstritten, verknüpfte Adenauer mit der Forderung, das Besatzungsstatut aufzuheben und der deutschen Bevölkerung "Handlungsfreiheit und Verantwortlichkeit" zurückzugeben, um "die Erfüllung dieser Pflichten sinnvoll erscheinen" zu lassen. Der Bundesrepublik müsse, so erklärte der Kanzler, "wie allen anderen westeuropäischen Völkern der Weg zur Freiheit offen sein". Wieder verwandelte Adenauer Souveränitätsverzicht in Souveränitätsgewinn, um Ergebnisse zu erzielen, die er für günstig hielt: So erfolgte im Mai 1952, ein Jahr, nachdem der Bundesrepublik im Zuge einer "kleinen Revision des Besatzungsstatuts" die Wiedereinrichtung eines Auswärtigen Amtes sowie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu ausländischen Staaten gestattet worden waren, die Unterzeichnung des "Deutschlandvertrages", auch "Generalvertrag" genannt. Er beendete das Besatzungsregime und versetzte die Bundesrepublik in die Lage, weitgehend souverän über ihre äußeren und inneren Angelegenheiten zu bestimmen, auch wenn sich die Alliierten ihrerseits wichtige Vorbehaltsrechte reservierten: "In Bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes" einschließlich der Wiedervereinigungs- und Friedensvertragsfragen sowie hinsichtlich der Stationierung von Truppen und für den Fall eines inneren oder äußeren Notstands lag die Entscheidungsgewalt nicht in Bonn, sondern in Washington, London und Paris. Bis zur Ratifizierung des "Deutschlandvertrages" vergingen allerdings noch mehrere, von innenpolitischen Auseinandersetzungen geprägte Jahre. Die größte Oppositionspartei im Bundestag, die SPD, und der eher national und anti-westlich gesinnte Teil der Bevölkerung wollten Adenauer auf dem Weg der kalkulierten Konzessionen zunächst nicht folgen. Es gab drei national gefärbte Vorbehalte gegen seine Integrationspolitik: zum einen die Angst vor einer staatlichen Selbstaufgabe angesichts der "Vorleistungen" Adenauers, verbunden mit dem Widerwillen gegen eine deutsche Wehrpflicht bei europäischer Wehrhoheit; sodann die Sorge, die Westbindung mache die Wiedervereinigung auf lange Sicht unmöglich, die 1952 von der "Stalin-Note", dem Angebot einer Wiedervereinigung Deutschlands zum Preis der Neutralität, angestachelt wurde; schließlich die Befürchtung, dass Deutschland auf beiden Seiten des "Eisernen Vorhangs" zum ersten Opfer einer durch die Wiederbewaffnung provozierten militärischen Konfrontation werden könnte. Derartige Einwände verloren angesichts des eindrucksvollen Ergebnisses der CDU / CSU bei der Bundestagswahl im September 1953 allerdings rasch an Bedeutung.
Das Inkrafttreten des Deutschlandvertrages war von Anfang an mit einer militärischen und sicherheitspolitischen Westeinbindung der Bundesrepublik verknüpft. Ein erster Versuch, ein solches Bündnis zu schaffen, war die Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Das Abkommen wurde im Mai 1952 von den Außenministern der Staaten Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg unterzeichnet und stellte ein in der Theorie supranationales, in der Praxis jedoch französisch dominiertes Verteidigungsbündnis dar. Die Ratifizierung - und damit das Inkrafttreten des Deutschlandvertrages - scheiterte jedoch 1954 an der französischen Nationalversammlung. Sie war unter dem Eindruck des militärischen Debakels in den Kolonialgebieten Frankreichs in Indochina und einer sich abzeichnenden außenpolitischen Wende in Moskau nach dem Tode Stalins 1953 nicht mehr gewillt, die militärische Souveränität der "Grande Nation" preiszugeben. Von Briten und Amerikanern wurde daraufhin zügig eine Alternativlösung auf den Weg gebracht, welche die Einbindung der Bundesrepublik in die NATO vorsah. Dem Bündnis wurden alle Einheiten der künftigen Bundeswehr unterstellt. Diese alternative sicherheitspolitische Integration bei gleichzeitiger politischer Aufwertung der Bundesrepublik war das Ergebnis einer Neun-Mächte-Konferenz der sechs EVG-Staaten, Großbritanniens, der USA und Kanadas in London vom 28. September bis 3. Oktober 1954, mit dem sich das Ende der Besatzungsherrschaft der drei Westmächte nun definitiv abzeichnete. Auch Frankreich stimmte einer Bonner NATO-Mitgliedschaft zu, nachdem es erreicht hatte, dass die Bundesrepublik, neben Italien, ebenfalls Mitglied der Westeuropäischen Union (WEU) wurde. Bei der WEU handelte es sich um eine Umbildung des 1948 von Frankreich, Großbritannien sowie den Benelux-Staaten geschlossenen "Brüsseler Paktes", der ursprünglich gegen die Gefahr einer deutschen Aggression gegründet worden war und eine noch weitergehende Beistandsklausel im Verteidigungsfall besaß als der NATO-Vertrag. Die Bundesrepublik war, mit Beitritt zur WEU am 7. Mai 1955 und zur NATO zwei Tage später, nun definitiv und in doppelter, europäischer wie atlantischer Hinsicht im westlichen Sicherheitsbündnis verankert. Da gleichzeitig das Besatzungsstatut aufgehoben, das Bundesministerium der Verteidigung und - damit verbunden - die Bundeswehr gegründet wurden, war die nahezu vollständige Souveränität der Bonner Republik erreicht - wobei die Bundesrepublik in den "Pariser Verträgen" zur NATO-Mitgliedschaft auf Herstellung und Besitz von ABC-Waffen verzichtete.
Beginn der europäischen Integration
Auch wenn mit NATO und WEU die nationalstaatliche Kooperation der erstrebten westeuropäisch-bundesstaatlichen Integration in Gestalt der EVG vorgezogen wurde, verlor Konrad Adenauer das Fernziel eines geeinten Europas nicht aus den Augen. Dieses wurde, nachdem auch die zeitweilig diskutierte Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) auf unbestimmte Zeit verschoben worden war, nun auf dem "Umweg" der Wirtschaft zu erreichen versucht. Anknüpfungspunkt war der "Schuman-Plan" bzw. die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS).
Denn entsprechende Bemühungen gab es auch auf französischer Seite. Bereits im Frühjahr 1950 hatte der französische Außenminister Robert Schuman den Vorschlag unterbreitet, zwischen Frankreich, der Bundesrepublik, den Benelux-Staaten und Italien einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, eine "Montanunion", zu bilden. Auf 50 Jahre angelegt, sollte dieser wirtschaftliche Verbund der westeuropäischen Schwerindustrie mit Hilfe einer supranationalen Lenkungsbehörde den wirtschaftlichen Wiederaufbau beschleunigen und die politische Einigung Westeuropas vorantreiben. Robert Schumans Offerte, nicht zuletzt aus französischen Sicherheitsinteressen heraus formuliert, traf in Westdeutschland auf eine zunehmend verbreitete Europa-Begeisterung. Der Vorschlag kam auch Vorstellungen Adenauers entgegen, der bereits im März 1950 für eine "vollständige Union Frankreichs und Deutschlands" eingetreten war. Der Bundeskanzler sah in der Montanunion eine Chance, der Bundesrepublik eine gleichberechtigte Stellung in Europa zu verschaffen und den Westen insgesamt zu stärken, einen Ausgleich mit Frankreich auch über das Saar-Problem zu erreichen und gleichzeitig Auflagen der Alliierten über Beschränkungen der westdeutschen Wirtschaftskapazität überflüssig werden zu lassen. Von der SPD wurde die Montanunion wegen vermuteter wirtschaftlicher Nachteile für die Bundesrepublik leidenschaftlich, aber schlussendlich doch erfolglos bekämpft. Am 18. April 1951 wurde der EGKS-Vertrag unterzeichnet, er trat am 23. Juli 1952 in Kraft. Mit der EGKS erloschen das für Bonn so nachteilige Ruhrstatut und entsprechende Produktionsbeschränkungen. Erster Präsident der "Hohen Behörde", des neu errichteten Exekutivorgans der EGKS, war bis 1955 der Franzose Jean Monnet, der konzeptionelle Vater des Schuman-Plans.
Kontrolle durch Partnerschaft
Der Schuman-Plan löste das Dilemma der westeuropäischen Nachbarn, hauptsächlich Frankreichs: Paris konnte auf die bundesdeutsche Kohle- und Stahlproduktion für den europäischen Wiederaufbau nicht verzichten, wollte sie aufgrund des eigenen Sicherheitsbedürfnisses jedoch kontrollieren, was wiederum in der Bundesrepublik als Diskriminierung empfunden wurde. Durch eine Kontrolle der Produktion aller beteiligten Staaten, wie in der "Montanunion" festgeschrieben, ließ sich dieser Vorwurf entkräften. Darüber hinaus sollte die gemeinsame oberste Aufsichtsbehörde völlig unabhängig von den beteiligten Staaten gebildet werden. Eine supranationale Organisationsform dieser Art war einzigartig, nur wenige Jahre nach Kriegsende äußerst ungewöhnlich und daher innenpolitisch heftig diskutiert. Ähnlich umstritten war der von Adenauer gegen vehemente Widerstände der Opposition durchgesetzte Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat als zunächst assoziiertes Mitglied ohne Sitz im Ministerkomitee, obwohl gleichzeitig das Saarland aufgenommen werden sollte. Mit diesem hatte die französische Regierung noch Anfang März 1950 eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbart und damit einen Dauerkonflikt mit Bonn geschaffen. Doch Adenauer war sich, im Widerspruch zur Oppositionskritik am Ausverkauf nationaler Interessen, sicher, dass die Integration der Bundesrepublik Deutschland in europäische (EGKS) bzw. atlantische (NATO) Strukturen und ein damit verbundener nationaler Souveränitätsverzicht der beste Weg seien, deutsche Interessen - Freiheit, Frieden und Wiedervereinigung - durchzusetzen. Es waren nicht zuletzt diese Überlegungen, die auch bei der kompromisslosen Ablehnung der Stalin-Note von 1952 durch die Bundesregierung eine wichtige Rolle spielten.
Im Sinne eines Ausgleichs mit Frankreich und mit dem Ziel eines "spill-over"-Effekts, eines Überspringens von der ökonomischen auf die politische Integration, zielte Konrad Adenauer in Abstimmung mit anderen führenden europäischen Politikern wie dem Belgier Paul-Henri Spaak, dem Niederländer Johan W. Beyen, Alcide De Gasperi aus Italien sowie Jean Monnet bereits vor der 1955 erfolgten Lösung der heiklen Saarfrage (Volksabstimmung im Saarland über die Zugehörigkeit zur Bundesrepublik) darauf, die Sechsergemeinschaft über die Montanunion hinaus wirtschaftlich stärker zu integrieren. Im Juni 1955 unterbreiteten die sechs Außenminister auf einer Konferenz im sizilianischen Messina einen Plan, die nationalen Volkswirtschaften schrittweise zu einem Gemeinsamen Markt zu verschmelzen und die Atomenergie zu friedlichen Zwecken gemeinsam zu nutzen. Am 25. März 1957 erfolgte die feierliche Unterzeichnung der zeitlich unbefristeten "Römischen Verträge". Neben der Verpflichtung zu engeren politischen Beziehungen und der Einrichtung eines Europäischen Entwicklungsfonds wurden zwei supranationale Institutionen geschaffen: die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die durch den schrittweisen Abbau der bestehenden Zoll- und Handelsbeschränkungen sowie durch die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der EWG-Mitgliedstaaten einen Gemeinsamen Markt erreichen sollte. Der "Interzonenhandel" zwischen der Bundesrepublik und der DDR blieb im Zeichen des EWG-Vertrages bestehen, so dass fortan auch Ost-Berlin von den Vorteilen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft profitierte. Mit Inkrafttreten der EWG zum 1. Januar 1958 war die vertragliche Eingliederung der Bundesrepublik in den Westen zunächst abgeschlossen.
Adenauers Deutschland- und Ostpolitik
Wie aber verhielt es sich zu diesem Zeitpunkt mit dem verfassungsrechtlich geforderten Ziel, nicht nur Freiheit und Frieden - und wirtschaftlichen Wohlstand - für die Bundesrepublik dauerhaft zu sichern, sondern die nationalstaatliche Einheit zu erreichen? Tatsache war: 1956, ein Jahr nach der Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO, war die DDR in den 1955 gegründeten "Warschauer Pakt", das sowjetisch dominierte Militärbündnis der acht mittel- und osteuropäischen "Bruderstaaten" aufgenommen worden. Außerdem gehörte sie dem Council for Mutual Economic Assistance (COMECON oder auch Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, RGW, genannt) an, der als wirtschaftlicher Zusammenschluss der Ostblockstaaten 1949 auch in Reaktion auf den Marshall-Plan gegründet worden war. Damit war die DDR militärisch wie ökonomisch fest in den Ostblock integriert. Dies stellte die bis dahin gültige Maxime der Adenauer-Regierung in Frage, durch westliche Integration zugleich staatliche Souveränität und nationale Einheit zu finden. Die ab der Mitte der 1950er Jahre eingeleitete aktivere Ostpolitik brachte zunächst nicht die gewünschten Resultate. Zwar gelang es dem Bundeskanzler bei seinem Besuch in Moskau 1955, die letzten 10 000 deutschen Kriegsgefangenen und 20 000 Zivilverschleppte nach Hause zu holen und diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion aufzunehmen. Doch daraus erwuchs gerade angesichts einer Mitte der 1950er Jahre zunehmend selbstbewusster und abgrenzender auftretenden DDR keinerlei Perspektive in Sachen Wiedervereinigung. Zum Umgang mit der DDR wurde im Auswärtigen Amt unmittelbar nach dem Botschafteraustausch mit Moskau von Wilhelm Grewe und Walter Hallstein die "Hallstein-Doktrin" entwickelt: Um den Anspruch der Bundesrepublik auf exklusive Vertretung des deutschen Volkes zu wahren, drohte sie jenen Staaten mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen, die ihrerseits die DDR diplomatisch anerkannten. Diese Maxime sollte ein gutes Jahrzehnt eine zentrale Leitlinie bundesdeutscher Außenpolitik bleiben.
Denn spätestens mit der 1955 in Genf gescheiterten Gipfelkonferenz der vier alliierten Staats- und Regierungschefs, bei der die Lösung des Wiedervereinigungsproblems immer stärker mit Verhandlungen über Sicherheitsfragen verknüpft und die deutsche Teilung als Bestandteil des sowjetischen Sicherheitsinteresses erkennbar geworden war, wuchs die Bereitschaft des Westens, die infolge des Zweiten Weltkriegs geschaffenen Machtverhältnisse in Mitteleuropa hinzunehmen. Im Bewusstsein der Zerstörungen, die der Einsatz von Atomwaffen mit sich brächte, waren die beiden Nuklearmächte USA und UdSSR darauf bedacht, in Europa kein neues Konfliktpotenzial entstehen und das latente Deutschlandproblem in den Hintergrund treten zu lassen. Damit geriet die Außenpolitik der Bundesrepublik - zumal gegenüber der Sowjetunion - unter Zugzwang.
Versuche, das Verhältnis gegenüber Moskau zu normalisieren und Fortschritte auf dem "toten Gelände" der Deutschlandpolitik zu erzielen, mussten durch das konsequente Beharren Adenauers auf Minimalstandards westlich-demokratischer Prägung, so unter anderem die Forderung freier Wahlen, am Widerstand der Sowjetunion und den Bedingungen der internationalen Gemengelage scheitern. Wenn nicht bereits während der zweiten Berlin-Krise 1958, so zerstoben spätestens mit der Errichtung der Berliner Mauer ab August 1961 auf Seiten Bonns alle Illusionen, im deutschen Sonderkonflikt mit der Sowjetunion auf den Westen, vor allem auf die USA, zugunsten einer Lösung der nationalen Frage zählen zu können.
Mit der Zuspitzung der Kuba-Krise zwischen Washington und Moskau im Oktober 1962 war allen politisch Handelnden in Bonn vollends klar, dass die Zeit einer "Politik der Stärke" vorüber und die Magnettheorie letztendlich gescheitert war. Die Bundesregierung befand sich außen-, vor allem deutschland- und ostpolitisch in einer heiklen Situation und war sich bewusst, dass die Westalliierten eine eigenständige Politik in Richtung Osten nicht dulden würden. Die Westintegration brachte der Bundesrepublik die Souveränität und Sicherheit, sie trieb auch die wirtschaftliche Entwicklung voran und unterband ein Wiederaufflammen des Nationalismus. Doch eine Aussöhnung mit dem Osten ließen die Machtverhältnisse noch lange nicht zu. Sie sollte einer späteren Generation vorbehalten bleiben.
Deutsch-französische Zusammenarbeit
Es bleibt Konrad Adenauers großes Verdienst, die Politik der Westbindung konsequent und gegen alle Widerstände praktiziert zu haben. Ein weiteres Verdienst ist seine Aussöhnungspolitik mit Frankreich. Sie gipfelte im Januar 1963, kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, in der Unterzeichnung des "Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit", des so genannten Elysée-Vertrags. In diesem bekräftigten beide Seiten die Absicht, in wichtigen Fragen der Außenpolitik gemeinsame Konsultationen durchzuführen. Zusätzlich sollten sich die Außen- und Verteidigungsminister der beiden Staaten viermal jährlich treffen, eine Annäherung in strategischen Fragen der Verteidigungspolitik erreicht und die Zusammenarbeit in Jugend- und Kulturfragen intensiviert werden. Die Bedeutung der NATO für die westeuropäische Verteidigungspolitik wurde im Vertragstext mit keinem Wort erwähnt. Dieser Vertrag, "Herzstück und Endpunkt der Europapolitik des ersten Bundeskanzlers" (Rudolf Morsey), löste in den Bevölkerungen Frankreichs und Deutschlands ein starkes positives Echo aus. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten weckte er dagegen Misstrauen hinsichtlich eines exklusiven französisch-deutschen Verhältnisses auf Kosten der atlantisch-westeuropäischen Partner. Deshalb wurde dem Vertrag im Zuge des Ratifizierungsverfahrens im Deutschen Bundestag eine einschränkende, pro-atlantische Präambel vorangestellt.
Außenminister Gerhard Schröder sowie Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (beide CDU) waren nicht bereit, den atlantischen Pfeiler deutscher Westbindung zugunsten einer exklusiven Allianz Paris-Bonn ins Wanken zu bringen; zumal der französische Präsident Charles de Gaulle seinerseits, wiederholt politische Signale nach Moskau sendend, weder die Wiedervereinigung Deutschlands politisch aktiv unterstützte noch die Oder-Neiße-Grenze in Frage gestellt wissen wollte. Die innenpolitische Auseinandersetzung zwischen "Atlantikern" und "Gaullisten" brach 1963 im Zuge der Ratifizierung des Elysée-Vertrags endgültig auf. Erstere sahen durchaus die Notwendigkeit guter und intensiver französisch-deutscher Beziehungen, widersetzten sich aber den durch de Gaulle vorangetriebenen Bestrebungen, diese auf Kosten der deutsch-amerikanischen Beziehungen auszubauen. Letztere favorisierten eine enge deutsch-französische Verbindung als Grundlage für eine unabhängigere Politik gegenüber den USA im Rahmen einer dritten Position Europas. Die Auseinandersetzung weitete sich in der Regierungszeit Erhards zu einem manifesten Streit um die außenpolitischen Koordinaten der Bundesrepublik aus. Nicht als Konflikt zwischen Regierung und Opposition, sondern als lähmende Auseinandersetzung innerhalb der Reihen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Ludwig Erhard am 16. Oktober 1963 gemeinsam mit den Stimmen des Koalitionspartners FDP zum Nachfolger Adenauers - und gegen dessen kaum verhohlenen Widerstand - in das Amt des Bundeskanzlers wählte.
Nachspiel der Ära Adenauer: Kanzler Ludwig Erhard
Mit dem Amtsantritt Erhards im Oktober 1963 verschlechterten sich die deutsch-französischen Beziehungen zusehends. Die unterschiedlichen Haltungen der beiden Staaten in der Verteidigungspolitik, insbesondere in ihrem Verhältnis zur NATO, führten Mitte der 1960er Jahre zu einer Reihe von Verstimmungen. Der wohlwollenden Haltung der deutschen Regierung zum Beispiel zum Projekt einer Multilateralen Atomstreitmacht (MLF) im Rahmen der NATO stand die Absicht de Gaulles entgegen, sich langsam aus der NATO-Integration zurückzuziehen. Die Bundesrepublik hatte jedoch - und dessen war sich Erhard stets bewusst - keinerlei Alternative zur sicherheitspolitischen Anbindung an die USA. Denn nur die Amerikaner konnten den Deutschen im Gegensatz zu Frankreich als einzige westliche Supermacht den benötigten Schutz vor einer eventuellen sowjetischen Aggression garantieren. Die damaligen Bedingungen ließen eine Übereinstimmung zwischen Bonn und Paris in der Außen- und Sicherheitspolitik also nicht zu. Auch die zunehmenden Spitzen de Gaulles gegenüber der EWG-Kommission, wie sie bereits in den 1961/62 vorgelegten "Fouchet-Plänen" zur Schaffung einer Politischen Union in einem zwischenstaatlich organisierten Europa der Staaten spürbar geworden waren, belasteten das deutsch-französische Verhältnis. Der Höhepunkt der Dissonanzen auf dem Feld der Europapolitik war mit de Gaulles "Politik des leeren Stuhls" im Jahr 1965 erreicht, mit welcher der französische Präsident das Mehrheitsprinzip für Entscheidungen des Ministerrates in Frage stellte. Die Rückkehr Frankreichs in die supranationalen Prozesse der EWG konnte nur durch den Luxemburger Kompromiss vom Januar 1966 mühsam erreicht werden. Er sah vor, dass Mitglieder in Fragen von vitalem nationalen Interesse nicht überstimmt werden sollten.
Auch in der Ost- und Deutschlandpolitik kam es zu Zerwürfnissen, die mit den verstärkten Konsultationen zwischen Frankreich und der Sowjetunion bzw. Polen zusammenhingen. Selbst die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze durch de Gaulle erschien möglich. Mit Frankreichs Rückzug aus den Verteidigungsstrukturen der NATO im Laufe des Jahres 1966 erreichte schließlich auch der innenpolitische Konflikt in der Bundesrepublik zwischen Atlantikern und Gaullisten seinen Höhepunkt. Die bedeutsamste außenpolitische Leistung der Regierung Erhard liegt in der langsamen Öffnung der Bundesrepublik nach Osten. Sie unternahm hier den Versuch, die Entspannungsinitiativen des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson und die deutschen Interessen im Osten miteinander zu verbinden. Vor allem in der Abschwächung des kompromisslosen Alleinvertretungsanspruchs der "Hallstein-Doktrin" machte die Außenpolitik unter Kanzler Erhard und seinem Außenminister Gerhard Schröder Fortschritte. Damit war keine Änderung der Politik gegenüber der DDR beabsichtigt, es sollten vielmehr im Rahmen der rechtlichen Grundpositionen Westdeutschlands die Beziehungen zu den übrigen Staaten Osteuropas vertieft und verbessert werden.
Entspannungssignale an Osteuropa
Um die Hallstein-Doktrin geschickt zu umgehen, setzte sich Außenminister Gerhard Schröder für die Einrichtung von deutschen Handelsvertretungen in den osteuropäischen Staaten ein. Dies führte zum Abschluss von Handelsverträgen mit Polen, Rumänien und Ungarn in den Jahren 1963/64. Die Bundesregierung erhoffte, durch die verstärkten Kontakte zu den sozialistischen "Bruderstaaten" der DDR immer auch eine gewisse Isolierung des SED-Regimes im eigenen Lager zu erreichen - allerdings erfolglos, da Moskau dies nicht zuließ.
Die "Note zur Abrüstung und Sicherung des Friedens", die so genannte Friedensnote der Regierung Erhard vom 25. März 1966, richtete sich vor allem an die östlichen Nachbarn der Bundesrepublik und schlug gegenseitige Gewaltverzichtserklärungen vor. So sollte dem Sicherheitsbedürfnis der mittel- und osteuropäischen Staaten Rechnung getragen werden. Der entscheidende Wandel in der deutschen Ostpolitik in den Jahren von 1963 bis 1966 ist somit darin zu sehen, dass die Entspannungspolitik nicht mehr von konkreten Fortschritten auf dem Gebiet der deutschen Frage abhängig gemacht wurde. Eine Deutschlandpolitik, die sich konkret der DDR widmete, gab es jedoch auch unter der Regierung Erhard noch nicht.
Auf der europapolitischen Bühne konnten keine weiteren Integrationsschritte erzielt werden, da sich die europapolitischen Konzepte Frankreichs und Deutschlands in den drei Jahren der Regierung Erhard viel zu stark unterschieden. Im transatlantischen Verhältnis wiederum hatte es Bonn mit einer Regierung Johnson zu tun, deren außenpolitische Aufmerksamkeit infolge der Kuba-Krise und des Krieges in Vietnam weniger auf europäische oder gar deutsche Belange gerichtet war, als vielmehr auf eine Verständigung mit der Sowjetunion.
Öffnung nach Osten, Kontinuität im Westen: Kiesinger, Brandt und Schmidt
Die Außenpolitik der ersten Großen Koalition
Die erste Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik (1966-1969) nahm eine stärkere Neujustierung der außenpolitischen Prioritäten Westdeutschlands vor, ohne allerdings die außenpolitische Staatsräson, die atlantisch-europäische Verankerung der Bundesrepublik im Westen, in Frage zu stellen. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung erhob der neue Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger die Erhaltung des Friedens anstelle der Wiedervereinigung zum obersten Ziel bundesdeutscher Außenpolitik. Die klassische Leitmaxime "Entspannung durch Wiedervereinigung" wurde somit in ihr exaktes Gegenteil "Wiedervereinigung durch Entspannung" verkehrt.
Diese Prioritätenverschiebung der Bundesregierung im Zeichen von Entspannung und Friedenssicherung zeigte vor allem in der Ost- und Deutschlandpolitik Konsequenzen. In Bezug auf die Anwendung der Hallstein-Doktrin ging die Bonner Außenpolitik zu einem bis dato nicht gekannten Pragmatismus über. Die anvisierte aktivere Ostpolitik gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes setzte notwendig eine Aufweichung des Alleinvertretungsanspruchs voraus, der die Handlungsspielräume Bonns in Richtung Osten immer mehr einschränkte. Im Auswärtigen Amt, das ab Dezember 1966 unter Leitung des neuen Außenministers und Vizekanzlers Willy Brandt stand, war daher bereits im August 1965 die so genannte Geburtsfehlertheorie entwickelt worden: Ihr zufolge haftete Staaten, die unter dem Druck der UdSSR diplomatische Beziehungen zur DDR aufrecht erhalten mussten, ein "Geburtsfehler" an, den sie nicht selbst zu verantworten hätten. So ließen sich engere Kontakte zu Budapest, Bukarest und Sofia legitimieren, ohne dass die Hallstein-Doktrin offiziell aufgegeben werden musste. Die so gerechtfertigte Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Rumänien im Januar 1967 sollte sich allerdings als Scheinerfolg erweisen, da Bukarest im sowjetischen Einflussbereich am meisten isoliert war und Moskau die neuen Signale aus Bonn nicht als Öffnung, sondern als Verschärfung der bundesdeutschen Ostpolitik interpretierte. In direkter Reaktion einigten sich die Warschauer Pakt-Staaten im Februar 1967 auf die später als "Ulbricht-Doktrin" bezeichnete Generallinie. Danach durfte kein sozialistischer Staat Botschafter mit der Bundesrepublik austauschen, so lange Bonn die DDR völkerrechtlich nicht anerkannte. Auch die Wiederaufnahme der seit 1957 abgebrochenen Beziehungen zu Jugoslawien Anfang 1968 konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit Moskau vorerst kein Einvernehmen zu erzielen war. Die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 proklamierte "Breschnew-Doktrin" von der begrenzten Souveränität der sozialistischen Satellitenstaaten und einem daraus abgeleiteten Interventionsrecht der UdSSR stellte hier vorerst eine unüberwindbare Hürde dar. Erst als Moskau 1969 nach Scharmützeln an der sowjetisch-chinesischen Grenze auf Entspannung im Westen angewiesen war, eröffneten sich neue Perspektiven - wenn auch Moskau die Breschnew-Doktrin nicht aufgab.
In Bezug auf die transatlantischen Beziehungen sollten die Verhandlungen über die nukleare Abrüstung zur größten außenpolitischen Herausforderung der Großen Koalition werden. Die USA forderten die Bundesrepublik auf, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. Auch wenn in Bonn niemand ernsthafte Ambitionen hegte, die Bundesrepublik atomar aufzurüsten, so war es doch das forcierte, fast hegemoniale Gebaren, mit dem die USA die Bundesrepublik zur Unterzeichnung drängten, das für Misstöne in den diplomatischen Beziehungen sorgte. Hinzu kam die Befürchtung, die USA könnten zu Gunsten des Atomwaffensperrvertrages auch eine Erosion der NATO in Kauf nehmen. Damit hätten elementare deutsche Sicherheitsinteressen zur Disposition gestanden.
Der "ehrliche Makler"
Im Gegensatz zur Vorgängerregierung konnte die Große Koalition den alten Konflikt zwischen Atlantikern und Gaullisten vermeiden. Kiesinger ließ sich nicht auf die von de Gaulle immer wieder lancierten anti-amerikanischen Initiativen ein und balancierte taktisch geschickt europapolitische Differenzen innerhalb der Unionsparteien aus. Die Bundesregierung war ohnehin davon überzeugt, dass der europäische Integrationsprozess erst nach de Gaulle weiter vorankommen könne. So spielte Außenminister Brandt in der Bewährungsprobe des britischen Beitrittsgesuchs zur EWG im Mai 1967 die Rolle des "ehrlichen Maklers". Es gelang ihm tatsächlich, weder die Briten noch die Franzosen vor den Kopf zu stoßen, auch wenn ein Beitritt Großbritanniens erneut an de Gaulle scheiterte, der die Briten als eine Art "trojanisches Pferd" der USA in Europa fürchtete. Zu einem wirklichen europapolitischen Fortschritt konnte es in der Spätphase der Ära de Gaulle nicht kommen, auch wenn es immerhin gelang, 1967 durch Zusammenlegung der drei Teilgemeinschaften EGKS, EWG und EURATOM die Europäische Gemeinschaft, EG, zu bilden und im Juli 1968 die Zollunion in der EWG zu vollenden.
Obwohl die Große Koalition bereits erste wichtige Weichenstellungen für eine neue Ost- und Deutschlandpolitik vornahm, wurde schnell deutlich, dass sich weite Teile der Unionsparteien mit einem so grundlegenden Wandel der tradierten außenpolitischen Grundmaximen aus der Adenauerzeit nicht abfinden wollten. Selbst Bundeskanzler Kiesinger war deutschlandpolitisch zu keinem grundsätzlichen Politikwechsel bereit. Statt die DDR beim Namen zu nennen, sprach er von einem "Phänomen" im Osten. Die eigentlichen ostpolitischen Vordenker fanden sich mit Willy Brandt, Egon Bahr und anderen in den Reihen der SPD. Auch die FDP vollzog einen ost- und deutschlandpolitischen Positionswandel, indem sie nun eine Liberalisierung der Verhältnisse innerhalb der DDR anstrebte. Das Feld der Ost- und Deutschlandpolitik wurde so zum entscheidenden Katalysator für den Machtwechsel hin zur sozial-liberalen Koalition. Indem Willy Brandt und sein Außenminister, der FDP-Vorsitzende Walter Scheel, pragmatische Entspannungsschritte gen Osten als Wegbereiter für eine Wiedervereinigung in ferner Zukunft betrachteten und damit die überkommene Adenauer-Politik "vom Kopf auf die Füße stellten", beseitigte die sozial-liberale Koalition ab 1969 jenen "entspannungspolitischen Bremsklotz", für den die westlichen Alliierten, voran die Amerikaner, immer weniger Verständnis hatten aufbringen können.
QuellentextNeue Ostpolitik
Egon Bahr, damals Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, hielt am 15. Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See eine Rede, die als erste programmatische Fixierung der neuen Ostpolitik der SPD angesehen wird.
"Es ist in den letzten Tagen schon eine ganze Menge über das Thema Wiedervereinigung gesagt worden. Ich möchte dazu [...] einige Bemerkungen machen. Sie sind zur Anregung gedacht und entspringen dem Zweifel, ob wir mit der Fortsetzung unserer bisherigen Haltung das absolut negative Ergebnis der Wiedervereinigungspolitik ändern können, und der Überzeugung, daß es an der Zeit ist und daß es unsere Pflicht ist, sie möglichst unvoreingenommen neu zu durchdenken.
[...] Die erste Folgerung, die sich aus einer Übertragung der Strategie des Friedens auf Deutschland ergibt, ist, daß die Politik des Alles oder Nichts ausscheidet. Entweder freie Wahlen oder gar nicht, entweder gesamtdeutsche Entscheidungsfreiheit oder ein hartes Nein, entweder Wahlen als erster Schritt oder Ablehnung, das alles ist nicht nur hoffnungslos antiquiert und unwirklich, sondern in einer Strategie des Friedens auch sinnlos. [...]
Wenn es richtig ist, und ich glaube, es ist richtig, daß die Zone dem sowjetischen Einflußbereich nicht entrissen werden kann, dann ergibt sich daraus, daß jede Politik zum direkten Sturz des Regimes drüben aussichtslos ist. Diese Folgerung ist rasend unbequem und geht gegen unser Gefühl, aber sie ist logisch. Sie bedeutet, daß Änderungen und Veränderungen nur ausgehend von dem zur Zeit dort herrschenden verhaßten Regime erreichbar sind. [...]
Die Bundesregierung hat in ihrer letzten Regierungserklärung gesagt, sie sei bereit, "über vieles mit sich reden zu lassen, wenn unsere Brüder in der Zone sich einrichten können, wie sie wollen.
Überlegungen der Menschlichkeit spielen hier für uns eine größere Rolle als nationale Überlegungen." Als einen Diskussionsbeitrag in diesem Rahmen möchte ich meine Ausführungen verstanden wissen. Wir haben gesagt, daß die Mauer ein Zeichen der Schwäche ist. Man könnte auch sagen, sie war ein Zeichen der Angst und des Selbsterhaltungstriebes des kommunistischen Regimes. Die Frage ist, ob es nicht Möglichkeiten gibt, diese durchaus berechtigten Sorgen dem Regime graduell so weit zu nehmen, daß auch die Auflockerung der Grenzen und der Mauer praktikabel wird, weil das Risiko erträglich ist. Das ist eine Politik, die man auf die Formel bringen könnte: Wandel durch Annäherung. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir Selbstbewußtsein genug haben können, um eine solche Politik ohne Illusionen zu verfolgen, die sich außerdem nahtlos in das westliche Konzept der Strategie des Friedens einpaßt, denn sonst müßten wir auf Wunder warten, und das ist keine Politik."
Deutschland Archiv, Heft 8 (1973), S. 862-865
"Zwei Staaten in Deutschland" - Die Kanzlerschaft Brandts
Schon Willy Brandts Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 setzte einen entsprechenden Akzent: Er sprach als erster deutscher Regierungschef von "zwei Staaten in Deutschland", die füreinander nicht Ausland sein könnten, sondern deren Beziehungen zueinander von besonderer Natur sein müssten - eine deutschlandpolitische Ouvertüre der neuen Regierung, der die Opposition mit allergrößter Skepsis und Ablehnung, ein Großteil der Bevölkerung sowie der öffentlichen Meinung wiederum mit Sympathie und Unterstützung begegneten. Grundlage dieser neuausgerichteten Ostpolitik bildete die vom Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt und späteren Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Egon Bahr, geprägte Formel "Wandel durch Annäherung". Doch die zügig eingeleiteten Verhandlungen der sozial-liberalen Regierung mit den Machthabern in Ost-Berlin, vor allem mit dem erklärten Ziel, die Folgen der Teilung für die DDR-Bevölkerung zu lindern, gerieten bald ins Stocken. Die sowjetische Regierung betrieb ein geschicktes Doppelspiel, indem sie sich selbst als durchaus konzessionsbereit gegenüber der Bundesrepublik präsentierte, von der DDR aber nach wie vor einen rigiden Abgrenzungskurs einforderte.
Das mit hohen Erwartungen verbundene Treffen Brandts mit dem DDR-Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph in Erfurt am 19. März 1970 endete ohne konkrete Ergebnisse. Angesichts der Brandt zujubelnden Menschenmengen sahen sich die Verantwortlichen im Kreml in ihrer Ansicht bestätigt, Ost-Berlin keinesfalls ungestört den innerdeutschen Ausgleich überlassen zu können. Den Unterhändlern um Bahr auf der bundesdeutschen Seite wurde sehr schnell klar, dass der Weg nach Ost-Berlin nur über Moskau führen konnte.
Nach schleppend verlaufendem Beginn und hitzigen innenpolitischen Diskussionen konnte der "Moskauer Vertrag" am 12. August 1970 unterzeichnet werden. Ihm wurde von Anfang an ein Modellcharakter für entsprechende Vereinbarungen der Bundesrepublik mit anderen osteuropäischen Staaten und der DDR zuerkannt. Er sah den Ausbau der bilateralen Beziehungen, einen gegenseitigen Gewaltverzicht sowie die Anerkennung der Unverletzlichkeit - mithin nicht der Unverrückbarkeit - der bestehenden Grenzen vor. Ergänzt wurde der "Moskauer Vertrag" durch den mit Polen am 7. Dezember 1970 abgeschlossenen "Warschauer Vertrag", der die Westgrenze Polens als unverletzlich anerkannte und einen gegenseitigen Gewaltverzicht sowie die Normalisierung der wechselseitigen Beziehungen vorsah. Am Tag der Unterzeichnung legte Brandt vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos einen Kranz nieder. Er fiel dabei, symbolpolitisch höchst bedeutsam, einige Sekunden auf die Knie nieder und verharrte in stiller Trauer.
Der Abschluss der beiden Ostverträge wirkte sich auch positiv auf die Verhandlungen in der Berlin-Frage aus. Die vier Mächte konnten am 3. September 1971 erstmals seit Beginn des Kalten Krieges zu einer rechtlichen Einigung gelangen. Die Ausführung der Bestimmungen wurde in den innerdeutschen Verhandlungen mit dem Transitabkommen vom 17. Dezember 1971 umgesetzt, das den Straßen- und Eisenbahnverkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin regelte. Für die Bundesregierung, die den erfolgreichen Abschluss der Berlin-Verhandlungen zur Vorbedingung der Ratifizierung des Moskauer bzw. Warschauer Vertrages gemacht hatte, stellte das Viermächte-Abkommen eine wichtige rechtliche Voraussetzung dar, um die Bindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin in den Grenzen des fortbestehenden besatzungsrechtlichen Status aufrechterhalten, weiterentwickeln und damit die Überlebensfähigkeit der Stadt durch praktische Maßnahmen sichern zu können. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Berlin-Verhandlungen stand einer Ratifizierung der Ostverträge im Bundestag nichts mehr im Wege.
Doch gegen die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition, für die Bundeskanzler Brandt 1971 den Friedensnobelpreis in Würdigung seiner "Versöhnungspolitik zwischen alten Feindländern" erhielt, regte sich erbitterter innenpolitischer Widerstand, vor allem auf Seiten der CDU/CSU sowie der Vertriebenenverbände, doch auch innerhalb von SPD und FDP. Er führte im Frühjahr 1972 zum Versuch, den Kanzler im Bundestag über den Weg eines konstruktiven Misstrauensvotums zu stürzen. Dieser Versuch misslang, Willy Brandt konnte seinen außen- bzw. deutschlandpolitischen Kurs fortsetzen. Bei der Ratifizierung der Ostverträge im Bundestag am 17. Mai 1972 enthielt sich die Mehrheit der Unions-Abgeordneten der Stimme und trug so indirekt dazu bei, dass trotz fehlender parlamentarischer Mehrheit von SPD und FDP das Vertragswerk am 3. Juni in Kraft treten konnte.
QuellentextVertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972 (Auszüge)
Artikel 1
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik entwickeln normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung. [...]
Artikel 3
Entsprechend der Charta der Vereinten Nationen werden die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen und sich der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt enthalten. Sie bekräftigen die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität. [...]
Artikel 6
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gehen von dem Grundsatz aus, daß die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt. Sie respektieren die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten.
Artikel 7
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erklären ihre Bereitschaft, im Zuge der Normalisierung ihrer Beziehungen praktische und humanitäre Fragen zu regeln. Sie werden Abkommen schließen, um auf der Grundlage dieses Vertrages und zum beiderseitigen Vorteil die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, des Verkehrs, des Rechtsverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, des Gesundheitswesens, der Kultur, des Sports, des Umweltschutzes und auf anderen Gebieten zu entwickeln und zu fördern. Einzelheiten sind in dem Zusatzprotokoll geregelt.
Artikel 8
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden ständige Vertretungen austauschen. Sie werden am Sitz der jeweiligen Regierung errichtet. Die praktischen Fragen, die mit der Einrichtung der Vertretungen zusammenhängen, werden zusätzlich geregelt. [...]
Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 8. November 1972, Nr. 155, S. 1842-1844.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR
[...] Zum Wiedervereinigungsgebot und Selbstbestimmungsrecht, das im Grundgesetz enthalten ist, hat das Bundesverfassungsgericht bisher erkannt und daran hält der Senat fest: Dem Vorspruch des Grundgesetzes kommt nicht nur politische Bedeutung zu, er hat auch rechtlichen Gehalt. Die Wiedervereinigung ist ein verfassungsrechtliches Gebot. Es muß jedoch den zu politischem Handeln berufenen Organen der Bundesrepublik überlassen bleiben zu entscheiden, welche Wege sie zur Herbeiführung der Wiedervereinigung als politisch richtig und zweckmäßig ansehen. [...]
Der Vertrag kann so interpretiert werden, daß er mit keiner der dargelegten Aussagen des Grundgesetzes in Widerspruch gerät. Keine amtliche Äußerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland kann dahin verstanden werden, daß sie bei der Interpretation des Vertrags diesen verfassungsrechtlichen Boden verlassen hat oder verläßt. [...]
Der Vertrag kann rechtlich nur gewürdigt werden, wenn man ihn in einen größeren Zusammenhang stellt. Er ist ein Stück einer umfassenderen Politik, näherhin der von der Bundesregierung auf Entspannung angelegten Ostpolitik, innerhalb derer vor allem die Verträge von Moskau und Warschau herausragende Meilensteine sind; diese Verträge waren ebenso Voraussetzung für den Abschluß des Grundlagenvertrags, wie der Grundlagenvertrag seinerseits für die Bundesregierung ein Ziel war, das sie durch Abschluß jener beiden Ostverträge zu erreichen hoffte. [...] Er stellt eine historische Weiche, von der aus das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik neu gestaltet werden soll. [...]
BVerfGE 36,1
Aktenzeichen: 2 BvF 1/73
Deutsch-deutsche Verständigung - der "Grundlagenvertrag"
Im Sommer 1972 wurden die innerdeutschen Verhandlungen erneut aufgenommen und am 21. Dezember 1972 mit dem "Grundlagenvertrag" erfolgreich abgeschlossen. Man einigte sich auf gute nachbarschaftliche Beziehungen, die Unverletzlichkeit der Grenzen sowie auf die Respektierung der "Unabhängigkeit und Selbstständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten". Ferner wurde der Austausch "Ständiger Vertreter" unter bewusster Vermeidung des Wortes "Botschafter" vereinbart. All dies bedeutete zwar erhebliche Zugeständnisse an den zweiten deutschen Staat, allerdings keine Anerkennung im völkerrechtlichen Sinne. Bereits ein parallel zur Unterzeichnung des "Moskauer Vertrages" übergebener "Brief zur deutschen Einheit", der vor allem auf Drängen der Unions-Opposition im Bundestag zustande gekommen war, hatte aus Sicht der Bundesrepublik unmissverständlich klargestellt, dass der Vertrag nicht im Widerspruch zum weiter geltenden Ziel der deutschen Einheit stehe. Das Bundesverfassungsgericht lehnte dementsprechend 1973 eine Verfassungsklage der CSU ab, die den "Grundlagenvertrag" für unvereinbar mit dem in der Präambel des Grundgesetzes (GG) formulierten Wiedervereinigungsgebot hielt.
UNO-Beitritt und KSZE
Im Gefolge der Ostverträge und des "Grundlagenvertrages" wurden die beiden deutschen Staaten am 18. September 1973 als Vollmitglieder in die UNO aufgenommen. Nach dem am 11. Dezember 1973 mit der Tschechoslowakei abgeschlossenen "Prager Vertrag" unterhielt die Bundesrepublik nun zu den allermeisten Staaten des Warschauer Paktes diplomatische Kontakte, was zehn Jahre zuvor noch kaum vorstellbar erschienen war. Doch nicht nur in ost- und deutschlandpolitischer Hinsicht war manches bewegt worden, auch europapolitisch hatten sich, nach dem Rücktritt de Gaulles 1969 und dem Amtsantritt seines Nachfolgers Georges Pompidou, neue Handlungsspielräume ergeben. Auf dem Gipfel von Den Haag im Dezember 1969 wurde eine Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) vereinbart, mit der die Außenpolitik der Mitgliedstaaten (im intergouvernementalen Rahmen) koordiniert werden sollte. Im März 1971 wurde die stufenweise Umsetzung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) beschlossen. Nachdem die USA 1973 das Weltwährungssystem von Bretton Woods außer Kraft gesetzt hatten, das auf festen Wechselkursen und auf der Konvertibilität der Leitwährung Dollar in Gold beruht hatte, entschlossen sich die EG-Mitgliedstaaten gemeinsam mit Großbritannien und Irland zur Einrichtung der "Währungsschlange", einem europäischen Verbund von Wechselkursen. Mit dem tatkräftigen diplomatischen Engagement der Bundesrepublik konnte die EG 1973 auch um Dänemark, Irland und Großbritannien erweitert werden.
Ab Herbst 1973 nahm die Bundesrepublik als eines von zwölf NATO-Mitgliedern an den Verhandlungen mit den Staaten des Warschauer Pakts über Truppenreduzierungen in Mitteleuropa (Mutual Balanced Force Reductions, MBFR) teil. Bereits seit Juli 1973 beteiligte sie sich neben allen europäischen Staaten (außer Albanien) und gemeinsam mit den Bündnispartnern USA und Kanada an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), an deren Zustandekommen die Sowjetunion besonderes Interesse hatte. Zwar zielte die Konferenz, die am 1. August 1975 mit der feierlichen Unterzeichnung der "Schlussakte von Helsinki" durch alle Teilnehmerstaaten zu Ende ging, eindeutig auf die Festschreibung des politischen - und aus östlicher Sicht auch des territorialen - Status quo in Europa. Allerdings war in der bundesdeutschen Perspektive die Formel "peaceful change" durchaus mit der (für das deutsche Interesse so zentralen) Offenhaltung der deutschen Frage vereinbar. Die humanitären Prinzipien des so genannten Korbes 3 der Schlussakte, die auch die DDR und die anderen mittel- und osteuropäischen Teilnehmerstaaten auf Druck der Sowjetunion unterzeichnen mussten, wurden in den späten 1980er Jahren zu symbolpolitisch hoch bedeutsamen Rückversicherungen für Bürgerrechtsbewegungen in verschiedenen Staaten Osteuropas. Von nun an konnte man sich gegenüber den repressiven Regierungen auf deren eigene Unterschriften unter die "Schlussakte von Helsinki", ja ganz grundsätzlich auf die Teilnahme an der KSZE und deren Folgekonferenzen berufen.
1974 wählte der Bundestag mit der Stimmenmehrheit von SPD und FDP Helmut Schmidt, den früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden sowie Verteidigungs-, Wirtschafts- und Finanzminister in der sozial-liberalen Koalition, zum Nachfolger des zurückgetretenen Willy Brandt. Doch anders als 1969 ließ die weltweite Krisenstimmung mit stark ansteigenden Ölpreisen, zunehmender Arbeitslosigkeit und Inflation nicht mehr hoffen, als das Erreichte konsolidieren und allenfalls vorsichtig ausbauen zu können.
Krisenmanagement als Kern deutscher Außenpolitik
In seiner Regierungserklärung vom Mai 1974 sprach Helmut Schmidt das aus, was seine Kanzlerschaft bis 1982 charakterisieren sollte: "In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen anderes beiseite." Auch unter diesen pragmatischen Vorzeichen blieb die Bundesrepublik während seiner Regierungszeit grundsätzlich europafreundlich und stellte das europäische oftmals über das dezidiert bundesrepublikanische Interesse. Schmidt orientierte sich auf der Grundlage der erfolgreichen Ostpolitik seines Vorgängers an den militärischen und strategischen Notwendigkeiten, die sich für die Bundesrepublik ergaben. Die Bundesregierung wollte die militärische Balance zwischen Warschauer Pakt und NATO vertraglich fixieren und eine herausgehobene Rolle für die ökonomisch starke Bundesrepublik finden. Für weit reichende visionäre Weichenstellungen auf dem Gebiet der Europa- oder auch Deutschland- und Ostpolitik war in einer von Weltwirtschafts-, Währungs- und Ölkrisen gebeutelten Zeit kaum Raum. In Reaktion auf die Ölkrise von 1973, die durch die starke Drosselung der Öl-Fördermenge seitens der OPEC-Staaten nach dem Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel, Syrien und Ägypten im Oktober 1973 entstanden war, vereinbarte Schmidt, gemeinsam mit dem ebenfalls seit 1974 amtierenden französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing, eine neue Plattform der wirtschaftlichen Zusammenkunft zu schaffen, aus der sich später die G7- bzw. G8-Gipfel entwickelten.
Unter europapolitischem Gesichtspunkt fiel in die Regierungszeit Schmidts 1974 die Schaffung eines neuen Gremiums, des Europäischen Rates, zu dem sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer seither regelmäßig einfinden, sowie die Einführung der Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979. Ein wichtiger Impuls im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik erfolgte 1978 mit der Errichtung des EWS, des Europäischen Währungssystems. Die wirtschaftliche Zersplitterung der Gemeinschaft als spürbares Wachstumshindernis sollte überwunden werden. Konkret sollte das EWS die europäischen Währungen durch die Einführung eines so genannten Wechselkursmechanismus, der die Schwankungen der Wechselkurse in bestimmten, festgelegten Bandbreiten halten sollte, besser stabilisieren. Gerade durch die Initiative des EWS und durch die stets enge Abstimmung mit dem französischen Präsidenten Giscard d'Estaing gelang es Helmut Schmidt, zusammen mit Frankreich die Führungsrolle in der EG zu übernehmen und darauf hinzuwirken, die Position der EG international und nicht zuletzt auch gegenüber den unter Präsident Jimmy Carter geschwächten USA zu stärken. Doch die punktuellen Erfolge unter dem Druck der ökonomischen Verhältnisse konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der europäische Integrationsprozess Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre stagnierte.
In der Deutschlandpolitik der Regierungszeit Schmidts zeigte sich, dass die von Brandt initiierte neue Politik gegenüber OstBerlin nicht zu jenem nachhaltigen Erfolg geführt hatte, den sie zu erreichen suchte - besonders mit Blick auf humanitäre Erleichterungen in der DDR selbst. Dennoch war der neue, anfangs parlamentarisch hoch umstrittene Kurs in der Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland seit Ende der 1960er Jahre ebenso notwendig wie die Westintegrationspolitik in den 1950er Jahren. Der Aussöhnung mit dem Westen folgte die Normalisierung oder doch zumindest die Verbesserung der Beziehungen mit dem Osten. Mit dieser Politik der "Westbindung + Ostverbindungen" (Werner Link) erhielt die Bundesrepublik Deutschland mehr außenpolitische Handlungsfreiheit und vermied so die drohende Gefahr einer Isolierung in der Welt - auch in der westlichen Welt. Die neue Ostpolitik brachte keine Abkehr vom Westen mit sich. Die feste Integration im westlichen Bündnis hatte die sozial-liberale Politik gegenüber Mittel- und Osteuropa schließlich erst ermöglicht.
Der NATO-Doppelbeschluss
Die deutschland- und auch europapolitischen Belange der Bundesregierung wurden seit dem Ende der 1970er Jahre von einer erneuten Verschärfung des Ost-West-Konfliktes überlagert. Nachdem die Sowjetunion nicht einmal ein Jahr nach Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte mit der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 begonnen hatte, forderte der deutsche Bundeskanzler als einer der ersten eine Nachrüstung des westlichen Verteidigungsbündnisses, sollten die Verhandlungen über Rüstungsbeschränkungen zu keinem tragfähigen Ergebnis gelangen. Immerhin war das geteilte Deutschland trotz aller Entspannungsbemühungen in der Wahrnehmung der Zeit noch immer potenzielles Schlachtfeld für einen atomaren Dritten Weltkrieg. Da US-Präsident Jimmy Carter nicht angemessen auf die neuen Drohgebärden der Sowjets reagierte, kam es zu Verstimmungen innerhalb der NATO. Die wichtigsten Staats- und Regierungschefs des transatlantischen Bündnisses trafen sich im Januar 1979 auf Guadeloupe und schufen die Grundlagen für den so genannten NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979: Dieser signalisierte den Warschauer Pakt-Staaten erstens den Verhandlungswillen zur wechselseitigen Abrüstung und sah für den Fall des Scheiterns dieser Gespräche zweitens die Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen, den Pershing II, und Marschflugkörpern (Cruise Missiles) in Westeuropa vor. Bundeskanzler Schmidt, der von Anfang an entschieden für ein solches Vorgehen plädiert hatte, hielt an dieser Position trotz massiver innenpolitischer und innerparteilicher Proteste fest. Im Dezember 1979 erfolgte der Einmarsch der sowjetischen Armee in Afghanistan, der allerdings in einem Desaster für die östliche Hegemonialmacht endete. Es blieb das letzte Muskelspiel des sowjetischen Imperiums; bereits ein Jahr später entschied man sich bewusst gegen einen sowjetischen Militäreinsatz in Polen, wo sich die kommunistische Führung mit einer immer stärker werdenden Gewerkschaftsbewegung, der Solidarno´s´c, konfrontiert sah.
Im Herbst 1982, auf dem Höhepunkt der innenpolitischen Debatte um den NATO-Doppelbeschluss, verließ die FDP aus Protest gegen die Wirtschafts- und Finanzpolitik der SPD die Regierungskoalition, und der Kanzler selbst scheiterte am schwindenden Rückhalt seiner eigenen Partei. Letzteres vor allem aus einem zentralen außenpolitischen Grund: Schmidts Insistieren auf der Notwendigkeit des NATO-Doppelbeschlusses, den die große Mehrheit der Sozialdemokraten ebenso ablehnte wie die gesamte Friedensbewegung und große Teile der deutschen Medienöffentlichkeit.
Verlässlich und berechenbar: die Regierung Kohl und die unerwartete Zeitenwende
Mittels eines konstruktiven Misstrauensvotums und mit der Unterstützung der FDP-Bundestagsfraktion wurde der CDU/CSU-Oppositionsführer Helmut Kohl im Oktober 1982 zum Bundeskanzler einer christlich-liberalen Koalition gewählt. Dass der FDP-Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher, der bereits seit 1974 das Amt innegehabt hatte, erneut zum Außenminister ernannt wurde, signalisierte einen außenpolitischen Kontinuitätswillen. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler bekannte sich Helmut Kohl unmissverständlich zu beiden Teilen des NATO-Doppelbeschlusses, mithin auch zu der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen (Pershing-Raketen) auf deutschem Boden, und erklärte die atlantische Sicherheitsallianz zum "Kernpunkt deutscher Staatsräson". Er bekräftigte außerdem den Willen seiner Regierung, eine "aktive Friedenspolitik" gegenüber Mittel- und Osteuropa zu betreiben und nicht zuletzt die Einigung Europas zu dynamisieren. Am 22. November 1983 wurde der Stationierungsbeschluss ungeachtet der bislang größten Massenproteste in der Geschichte der Bundesrepublik durchgesetzt. Diese Durchsetzung, Symbol von Verlässlichkeit und Berechenbarkeit gegenüber der NATO, war ein politischer Kraftakt, den Kohl und Genscher als "Beweis ihrer Bündnistreue" (Wolfram F. Hanrieder) wagten - und auf den sie sich in den folgenden Jahren, zumal im Zuge der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands 1990, immer wieder berufen konnten.
Scheinbar unbeeindruckt von dieser Bonner Außen- bzw. Bündnispolitik betrieb die US-Administration unter Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren eine unilaterale Interessenpolitik. Washington hatte die Genfer Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion ohne Konsultation der Bundesregierung scheitern lassen und forcierte die stramm antikommunistische Konfrontationspolitik gegenüber der UdSSR in der ersten Amtszeit Reagans ohne Einbeziehung der Bonner Positionen. Zu dieser Politik gehörte auch das Projekt eines amerikanischen Raketenabwehrsystems im Weltraum (SDI), das vermeintliche militärische Unverwundbarkeit der USA verhieß und damit eine sicherheitspolitische Abkoppelung der Vereinigten Staaten von Europa zur Folge gehabt hätte. Ihm stand die Bundesregierung ebenso skeptisch gegenüber wie der reaganschen Konfrontationspolitik gegenüber Moskau; zumal man in Bonn die Hoffnung hegte, auch über die umfangreichen Wirtschaftskontakte hinaus eine Politik der Entspannung nach Osten betreiben zu können.
Mit der Regierungsübernahme des christdemokratischen Kanzlers brach keine "neue Eiszeit" im deutsch-deutschen Verhältnis an. Frühzeitig hatte Kohl, im Bewusstsein der heftigen Unions-Opposition gegenüber der sozial-liberalen Entspannungspolitik während der 1970er Jahre, gegenüber seiner eigenen Partei und seinen Koalitionspartnern deutlich gemacht, dass die angestrebte "aktive Friedenspolitik" nur auf der Grundlage der bestehenden Verträge und unter Anerkennung des Modus vivendi, auch gegenüber der DDR, vorstellbar sei. Dies bedeutete, dass CDU und CSU sich in die realpolitische Kontinuitätslinie der sozial-liberalen Vorgängerregierungen stellten und das Prinzip "pacta sunt servanda" (Verträge sind einzuhalten) anerkannten. Allerdings betonte und bekräftigte der Bundeskanzler gegenüber der DDR im Unterschied zur sozial-liberalen Regierungszeit wieder stärker das im Grundgesetz verankerte Ziel von "Einheit in Freiheit". Immer wieder verwies er auf die Rechtsstandpunkte der Bundesrepublik und das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen; so auch bei dem umstrittenen "Arbeitsbesuch", den Erich Honecker, Generalsekretär der SED und DDR-Staatsratsvorsitzender, 1987 der Bundesrepublik abstattete und zu dessen Beginn Helmut Kohl den Gast aus Ost-Berlin mit nahezu allen protokollarischen Ehren für Staatsgäste begrüßte. Wie zu sozial-liberalen Zeiten erbrachte die Bundesrepublik finanzielle Leistungen - darunter zwei Bürgschaften des Bundes für einen Bankenkredit an die DDR 1983 und 1984, die vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, einem der kompromisslosesten Widersacher der Brandtschen Entspannungspolitik, vermittelt und sogleich als "Milliardenkredite" öffentlich bekannt geworden waren - gegen informelle Zusagen humanitärer Erleichterungen durch die DDR-Führung.
Als Erfolg dieser Politik können die Senkung des im Oktober 1980 erhöhten Mindestumtauschs für westdeutsche DDR-Besucher, die Beseitigung von Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze, zügigere Abfertigungen im deutsch-deutschen Reiseverkehr sowie vermehrte Ausreisegenehmigungen gesehen werden - mithin allesamt Maßnahmen, die aus Sicht der Bundesregierung dazu beitrugen, die Einheit der deutschen Nation lebendig und die deutsche Frage im Bewusstsein der Bürger wachzuhalten. Ungeachtet aller operativen Kontinuität distanzierten sich Union und FDP zugleich doch entschieden von jener außen- und deutschlandpolitischen Neuorientierung der oppositionellen SPD seit Mitte der 1980er Jahre, die für einen atomwaffenfreien Korridor in Mitteleuropa eintrat.
Gorbatschows Reformen und die unbeabsichtigten Folgen 1989
Die Bundesregierung wies die Idee eines mitteleuropäischen Sicherheitssystems als unvereinbar mit der NATO-Zugehörigkeit der Bundesrepublik zurück und ließ keinen Zweifel an ihrem Willen zur engen Sicherheitspartnerschaft mit den USA; auch wenn man nach dem Amtsantritt des neuen sowjetischen KPdSU-Generalsekretärs Michail Gorbatschow - und zum Argwohn der US-Regierung - eine neue Annäherung an die Sowjetunion suchte. 1988 unterzeichnete die Bundesregierung ein wirtschaftliches Kooperationsabkommen mit der UdSSR und stimmte, nach heftigen innen- und bündnispolitischen Debatten, dem 1987 zwischen Washington und Moskau vertraglich vereinbarten vollständigen beiderseitigen Abbau der nuklearen Mittelstreckenwaffen binnen drei Jahren zu - trotz der (erneut) befürchteten "Sicherheitslücke" zwischen den USA und den westeuropäischen Staaten.
Doch die weltpolitische Lage hatte sich, zehn Jahre nach den heftigen Debatten um die Notwendigkeit einer Nachrüstung, fundamental gewandelt. Denn mit Gorbatschows Politik von "Glasnost" (mehr Transparenz bei den innenpolitischen Prozessen) und "Perestrojka" (Umgestaltung und Liberalisierung des Wirtschaftssystems) änderte sich auch die sowjetische Außenpolitik - genötigt durch große ökonomische Schwierigkeiten, deren Ausmaß im Westen nahezu unbekannt geblieben war. Um Handlungsspielräume für innenpolitische Reformen zu gewinnen, suchte Gorbatschow militärische und äußere Überbeanspruchungen der Sowjetunion abzubauen. Dafür wollte er den Rüstungswettlauf und, grundsätzlicher noch, den Systemkonflikt mit dem Westen und damit die Herrschaft über die sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas beenden. Mit der Aufgabe der marxistisch-leninistischen Ideologie entzog Gorbatschow dem Staatsgefüge der Sowjetunion seine Selbstlegitimation. Außenpolitisch trat an die Stelle der Breschnew-Doktrin, mit der die Sowjetunion Anspruch auf Vorherrschaft im kommunistischen Staatensystem erhoben hatte, die von der sowjetischen Regierung im Oktober 1989 proklamierte "Sinatra-Doktrin", nach der jeder Staat des Warschauer Pakts seinen eigenen Weg gehen könne. Damit setzte sich eine Dynamik in Gang, mit der nach Jahrzehnten der scheinbaren Unveränderbarkeit der politischen Systeme kaum noch jemand gerechnet hatte. Nach Polen und Ungarn gerieten 1989 auch die politischen Systeme der Tschechoslowakei sowie der DDR unter Druck. Als im Frühjahr die ungarische Regierung ihre Grenzen nach Westen öffnete, als im Herbst 1989 in Dresden, Berlin und Leipzig hunderttausendfach der Ruf erklang "Wir sind das Volk" und wenig später "Wir sind ein Volk", als Ost-Berlin vergeblich um militärische Rückendeckung in Moskau nachsuchte und die Grenzübergänge von Ost- nach West-Berlin am 9. November 1989 spontan geöffnet wurden, war die DDR, im 40. Jahr ihres Bestehens, am Ende.
Der Fall der Mauer und der Weg zur Einheit
Mit dem Fall der Berliner Mauer richtete sich das Weltinteresse auf die Politik der Bundesregierung. Die fiel zunächst, weil es kein operatives Konzept für die Deutsche Einheit gab und um die entspannungspolitischen Erfolge der Vergangenheit zu wahren, auffallend zurückhaltend aus. Erst als der Wille der DDR-Bevölkerung immer klarer artikuliert wurde, anstelle einer reformierten DDR die Wiedervereinigung anzustreben, ging Helmut Kohl in die Offensive. Am 28. November 1989 legte er dem Deutschen Bundestag ein "Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas" vor. Es sah konföderative Strukturen für die beiden deutschen Staaten mit dem Ziel einer bundesstaatlichen Ordnung vor und stellte zugleich sicher, dass die innerdeutsche Entwicklung "eingebettet" sein solle "in den gesamteuropäischen Prozess" und die KSZE. Der Verweis auf die KSZE lag insofern besonders nahe, als diese 1975 das Selbstbestimmungsrecht der Völker unmissverständlich, wenn auch zum damaligen Zeitpunkt vermeintlich folgenlos, anerkannt hatte. Auf eben dieses Recht vermochten sich die Deutschen knapp 15 Jahre später gegenüber allen KSZE-Teilnehmerstaaten zu berufen.
Bis auf die Grünen, die eine dezidierte Politik der Zweistaatlichkeit befürworteten, stimmte der Bundestag dem Kohlschen "Zehn-Punkte-Programm" zu. Da von den vier für Gesamtdeutschland verantwortlichen Mächten nur Washington von Kohl vorab informiert worden war, rief das Programm in Paris, London und Moskau erhebliche Irritationen hervor. In Großbritannien war, entsprechend der massiven deutschlandpolitischen Vorbehalte der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher, von einem drohenden "Vierten Reich" die Rede, in Frankreich erinnerte man an Deutschlands eingeschränkte Souveränität samt der entsprechenden Vorrechte der alliierten Siegermächte und suchte kaum verhohlen den Schulterschluss mit der Sowjetunion - in der Erwartung, dass diese eine Wiedervereinigung Deutschlands verhindern bzw. erheblich verzögern werde.
QuellentextVorbehalte gegen die deutsche Einheit
[...] Man schreibt den Winter 1989/1990 [...]. An einer Wiedervereinigung Deutschlands wird kein Weg mehr vorbeiführen. Europa ist in Aufruhr und im Umbruch, doch in London, zumal in den Amtsstuben von Downing Street Nummer 10, macht man sich andere Sorgen: [...] "Das ist der Durchbruch für die Deutschen", notiert Charles Powell, der einflussreichste und mächtigste außenpolitische Berater von Premierministerin Margaret Thatcher in den Abendstunden des 9. Februar 1990 ein wenig düpiert in einer Aktennotiz für seine Chefin über einen Trip nach Bonn, das er "berauscht" und "euphorisch" angetroffen hat. [...]
In Bonn hatte Charles Powell Horst Teltschik getroffen, Helmut Kohls engsten Berater. Ihm hatte er, so jedenfalls geht es aus seiner Aktennotiz klar hervor, buchstäblich die Leviten gelesen. Ja, er hatte sogar unverhüllt Drohungen ausgestoßen. "Als Freund", so Powell, sehe er die Gefahr, dass Deutschland wegen der Vereinigung einen "Tunnelblick" entwickele und daher übergeordnete Interessen aus den Augen verliere. Wenn die Deutschen künftig nicht "mehr Feingefühl und Rücksichtnahme" an den Tag legten, so fügte der Emissär der Premierministerin ominös hinzu, bestünde das "echte Risiko", dass sich die Wege Deutschlands und seiner langjährigen Partner trennen würden. [...]
Zwanzig Jahre sind seit jenen Tagen vergangen, und demnächst wird das britische Außenministerium ein Konvolut von bislang unter Verschluss gehaltenen Akten veröffentlichen, die belegen, welchen hinhaltenden Widerstand Downing Street gegen die Einheit leistete, und welche Rolle das britische Außenministerium spielte, diesen Widerstand zu brechen. [...]
Als entscheidend erwiesen sich die Wintermonate nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989, denn es war in dieser Zeit, in der Margaret Thatcher - wenn auch widerwillig - die Unvermeidlichkeit der Wiedervereinigung erkannte und sich letztlich pragmatisch fügte. [...] Die Premierministerin hatte nie einen Hehl aus ihrer Überzeugung gemacht, dass man den Deutschen aufgrund ihrer Geschichte und ihres Charakters grundsätzlich nicht trauen könne. Sie pendelten - eine Folge ihrer späten staatlichen Einheit - stets "unvorhersagbar zwischen Angriffslust und Selbstzweifeln" hin und her, schrieb sie. Dies war nur marginal höflicher formuliert als das Urteil ihres Vorgängers Winston Churchill. Er hatte gestöhnt, dass man nie wisse, woran man mit "den Hunnen" sei: Wenn sie einem nicht an die Kehle wollten, dann lägen sie einem zu Füßen.
Trotz ihrer mitunter sehr persönlichen Kritik verdient es jedoch festgehalten zu werden, dass Thatcher zu keinem Zeitpunkt versuchte, die Wiedervereinigung aktiv zu hintertreiben oder zu stoppen. Ihr Anliegen war es, sie möglichst lange aufzuschieben [...]. Der Premierministerin bereitete Sorgen, welche Konsequenzen eine überstürzte Vereinigung für die Sicherheit und Stabilität Europas und vor allem für die Position des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow haben würde. Für sie war es von überragender Bedeutung, dass dessen Position nicht gefährdet würde, oder dass er gar von reaktionären Kräften in Moskau gestürzt werden würde.
Anfangs sah es zeitweise sogar so aus, als ob Gorbatschow ihre Meinung teilte. Auch er wünsche keine Vereinigung, vertraute ihr der Sowjetführer bei einem Treffen am 24. September 1989 an. Thatcher hatte ihm gestanden, dass die traditionellen Bekenntnisse der Nato zu einem einigen, demokratischen Deutschland letztlich nur Lippenbekenntnisse seien, und dass sie mit anderen westlichen Führern in dieser Einschätzung einig sei. Doch als sie am 20. Januar 1990 den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand auf ihre harte Linie einschwören wollte, da hatte Gorbatschow die Unausweichlichkeit eines vereinten Deutschlands längst akzeptiert. [...]
Diese realistische Linie verfolgte unterdessen auch immer deutlicher das Außenministerium unter seinem Amtschef Douglas Hurd. [...] Hurd beschloss, seiner Chefin reinen Wein einzuschenken. "Wenn die Menschen in der BRD und in der DDR sich frei und demokratisch für die Einheit entscheiden", schrieb er in einer Aktennotiz an Margaret Thatcher, "dann gibt es nichts, womit man das aufhalten könnte, einmal abgesehen von einem militärischen Eingreifen." Und eine Woche später erteilte er den Plänen der Regierungschefin eine Absage, die Wiedervereinigung wenigstens zu verzögern: "Wie ich der Premierministerin gestern sagte, bin ich nicht dafür, [...] den Ausdruck "verlangsamen" zu benutzen [...]. Er versetzt uns in die Position einer wirkungslosen Bremse, und dies sollten wir vermeiden, weil dies die schlimmste aller Welten wäre."
[...] Angesichts der warmen und unterstützenden Äußerungen, mit denen vor allem der amerikanische Präsident George Bush die Einigungsbemühungen begleitete, forderte nun auch Abteilungsleiter Synnott eine "positive Intervention" Margaret Thatchers. [...] Die Alternativen wären, "ohne apokalyptisch klingen zu wollen", schlecht für die Interessen Großbritanniens. Denn anhaltende britische Feindseligkeit gegen die Wiedervereinigung könnte genau jenen Nationalismus in Deutschland befördern, den Frau Thatcher befürchtete, [...] - "mithin exakt das Ergebnis, das wir vermeiden wollen".
Es war, [...] ein mühsamer und langwieriger "Abnutzungskrieg" gegen Downing Street. Gewonnen war er erst im Februar 1990, als am Rande der Open-SkiesKonferenz im kanadischen Ottawa das 2+4-Format für die Verhandlungen über die Einheit gefunden worden war: Beide deutsche Staaten nahmen gleichberechtigt mit den drei West-Alliierten und der Sowjetunion an den Gesprächen teil. Es war jenes stützende Korsett, das Margaret Thatcher von Anfang an gefordert hatte, und es überraschte nicht, dass sie sich diesen Durchbruch als eigenen Erfolg zugute schreiben wollte. Das entsprach zwar nicht den Tatsachen, aber niemand nahm es ihr übel - zu groß war die Erleichterung, die Lady endlich mit an Bord zu haben. [...]
Wolfgang Koydl, "Die Hunnenfrage", in: Süddeutsche Zeitung vom 5. September 2009
Der "Zwei-plus-Vier-Vertrag"
Doch diese Erwartung sollte sich nicht erfüllen - das zeigten die "Zwei-plus-Vier-Gespräche" über die internationalen Aspekte der deutschen Einheit zwischen der Bundesrepublik, der DDR, den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Sie begannen am 5. Mai 1990 und mündeten am 12. September in die Unterzeichnung des "Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland". Die Bedingungen der Sowjetunion für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit - Anerkennung der Unantastbarkeit der europäischen Grenzen, Zahlung von Wirtschaftshilfe an die Sowjetunion sowie Verzicht des vereinten Deutschlands auf eine Mitgliedschaft in der NATO - schienen anfangs unüberwindbar. Denn die NATO-Zugehörigkeit eines wiedervereinigten Deutschlands war wiederum eine Kernforderung der amerikanischen Regierung. Es gelang Kohl und Genscher aber mit Unterstützung der US-Regierung sowie mit Rückendeckung des EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, im Zuge intensiver Verhandlungen und durch Milliarden-Zusagen der Bundesrepublik die sowjetischen Bedingungen zu modifizieren. So wurde, nach einer Revision der bisherigen NATO-Verteidigungsstrategie, die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit und unter der Maßgabe einer freien Bündniswahl des vereinten Deutschlands am 3. Oktober 1990 möglich. Sie vollzog sich rechtlich durch den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Art. 23 GG. Im "Zwei-plus-Vier-Vertrag" waren die Grenzen des vereinigten Deutschlands als "endgültig" festgeschrieben, der Verzicht der Bundesrepublik auf Herstellung, Besitz und Verfügungsgewalt von A-B-C-Waffen erneuert und eine Obergrenze deutscher Streitkräfte von 370 000 Mann fixiert worden. Im Lichte dieser Vorbehalte und aufgrund der Unterstützung der Bundesregierung durch die USA konnten die spürbaren Vorbehalte in Europa gegenüber der Wiedervereinigung, beispielsweise seitens der italienischen und der französischen Regierung, überwunden und letztendlich die außenpolitischen Interessen der Bundesregierung durchgesetzt werden.
Der "Zwei-plus-Vier-Vertrag"
Der "Zwei-plus-Vier-Vertrag"
Mit dem "Zwei-plus-Vier-Vertrag" wurden die "Rechte und Verantwortlichkeiten" der alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs "in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes" beendet, so dass das vereinte Deutschland "volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten" gewann. Nachdem die vier Mächte ihre Rechte durch eine Erklärung bereits zum 3. Oktober 1990 ausgesetzt hatten, trat der Vertrag nach der Ratifizierung durch die Parlamente aller beteiligten Staaten, zuletzt erfolgt durch die sowjetische Abgeordnetenkammer, die Duma, am 15. März 1991 in Kraft. Mit diesem Datum schloss sich ein Kreis: Konrad Adenauers außenpolitische Zieltrias "Freiheit - Frieden - Einheit", vor mehr als vier Jahrzehnten formuliert, war Wirklichkeit geworden. Mit der Wiedervereinigung war der außenpolitische Revisionsvorbehalt der Bundesrepublik Deutschland gegen den politisch-territorialen Status Quo in Europa hinfällig geworden - und dies, ohne dabei die außenpolitischen Grundkoordinaten der Westbindung, die atlantische und europäische Einbettung der Bundesrepublik, in Frage zu stellen.
Ein "europäisches Deutschland"
Die Einbettung der Bundesrepublik in NATO und EG war für Großbritannien, aber vor allem für Frankreich ein zentraler Aspekt bei ihrer Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung. Tatsächlich war es Kohl gelungen, dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand glaubwürdig zu versichern, dass die Achse Bonn-Paris unumstritten Kernstück einer intensiv fortzuführenden Europäischen Integration bleiben werde - ganz so, wie man es im Verlauf der 1980er Jahre, etwa bei der Verabschiedung der "Einheitlichen Europäischen Akte" (EEA) 1986, der kulturellen Zusammenarbeit oder der Bekämpfung des Terrorismus, gemeinsam unter Beweis gestellt hatte. Gerade die erfolgreiche Durchsetzung der "Einheitlichen Europäischen Akte", in der die Vollendung des europäischen Binnenmarktes bis Ende 1992 ebenso beschlossen wurde wie die Einrichtung eines Sekretariats der "Europäischen Politischen Zusammenarbeit" (EPZ), gab dem Integrationsprojekt neuen Schwung und eine klare Perspektive. Auch wenn die Interessenlagen in Einzelfragen oftmals unterschiedlich waren, hatten Kohl und Mitterrand, ganz im Unterschied zur britischen Premierministerin Thatcher, großes Interesse an einer Weiterentwicklung von EG und EPZ, von ökonomischer und politischer Integration. Vor diesem Hintergrund und angesichts der offenkundigen Machtverschiebung innerhalb der EG infolge der Wiedervereinigung zugunsten der Bundesrepublik nahm das deutsch-französische Tandem Kohl/Mitterrand bereits im April 1990, also noch vor dem staatsrechtlichen Vollzug der Deutschen Einheit, einen weiteren Anlauf zur Vertiefung der europäischen Strukturen. Regierungskonferenzen zur Realisierung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Politischen Union wurden im Dezember 1990 in Rom formell von den EG-Staats- und Regierungschefs beschlossen und mündeten schließlich in den "Vertrag über die Europäische Union", der am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde.
QuellentextDie Außenpolitik der DDR
[...] Am Anfang der Entwicklung stand 1949 die DDR als von der Sowjetunion vollständig abhängiger Satellitenstaat [...]. Da er Reparationen liefern musste, wurden überdies die für eine kraftvolle Außenpolitik unentbehrlichen wirtschaftlichen Ressourcen stark reduziert. Die DDR fungierte damals als reines Instrument sowjetischer Deutschlandpolitik. [...] Erst nach dem Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni und der Klärung der seit Stalins Tod offenen Führungsfrage in der Sowjetunion im Juli 1953 entschloss sich Moskau, an einem eigenständigen ostdeutschen Staat festzuhalten. [...] Die DDR wurde - insbesondere mit der endgültigen Auflösung der sowjetischen Hohen Kommission 1955 - den anderen Ostblockstaaten gleichgestellt. [...]
Während Ost-Berlin seine Position innerhalb des Ostblocks insbesondere dank sowjetischer Unterstützung in den fünfziger Jahren ausbauen und festigen konnte, war seine "Westpolitik" ein einziger Fehlschlag. Die Hoffnungen in der ersten Zeit nach der Staatsgründung, an der Seite der Sowjetunion die Wiedervereinigung durch Einführung der "antifaschistisch-demokratischen Ordnung" in ganz Deutschland zu erreichen, waren schnell verflogen. [...]
In dem Maße, in dem Ost-Berlin von Wiedervereinigungsillusionen Abschied nahm, rückte mit Blick auf Westdeutschland ein anderes Ziel in den Mittelpunkt seiner Politik: die völkerrechtliche Anerkennung. [...] Denn auf diese Weise hoffte die DDR, ihr Legitimitäts-defizit im Innern kompensieren und die Stabilität gewinnen zu können, die sie dringend benötigte. Daraus ergab sich freilich ein heftiger Konkurrenzkampf mit der Bundesrepublik, in dem die DDR vor allem aufgrund von zwei Faktoren strukturell benachteiligt war. Zum einen hatte sie in dieser Zeit letztlich nur in jenen Regionen Chancen, in denen auch die Sowjetunion Einfluss ausübte, während die Bundesrepublik an der Seite der weltweit engagierten Westmächte stand; zum anderen konnte der ostdeutsche Staat der westdeutschen Wirtschaftskraft kaum etwas entgegensetzen. [...] Erst 1969 erreichte die DDR die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sechs nicht-sozialistischen Staaten - freilich weniger aufgrund eigener Bemühungen, sondern aufgrund der Tatsache, dass sich diese Staaten damit die Sowjetunion gewogen machen wollten. [...]
Nach Abschluss des Grundlagenvertrags (mit der Bundesrepublik - Anm. d. Red.) wurde der DDR endlich die lang ersehnte völkerrechtliche Anerkennung zuteil - freilich nicht wegen ihrer vorangegangenen Kampagnen, sondern weil die Bundesrepublik diese nicht mehr verhinderte. Gleichwohl bildete die Anerkennung der DDR, in deren Rahmen auch die Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen erfolgte, einen tiefen Einschnitt mit Blick auf ihre Möglichkeiten, Außenpolitik zu betreiben. Das politische Gewicht des ostdeutschen Staates hatte sichtbar zugenommen; dieser wurde, wie nicht zuletzt der Auftritt Honeckers auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa demonstrierte, zu einem allgemein akzeptierten Mitglied der Staatengemeinschaft. [...]
Als gegen Ende des Jahrzehnts insbesondere infolge der sowjetischen Politik die Spannungen zwischen den Supermächten erneut zunahmen, [...] erlebte die DDR eine Steigerung ihrer Bedeutung an der Seite der Sowjetunion. Als sich in Afrika nach dem Zerfall des portugiesischen Kolonialreichs sowie nach der Revolution in Äthiopien Chancen zur Ausbreitung des Sozialismus zu bieten schienen, war die DDR mit eigenen Konzeptionen und Initiativen zur Stelle: Hier lässt sich folglich mit Recht die DDR als Juniorpartner der Sowjetunion bezeichnen.
Doch traf die DDR-Außenpolitik auch in den siebziger Jahren noch auf die bekannten Grenzen. [...] Bonn verweigerte Ost-Berlin weiterhin die völkerrechtliche Anerkennung, und auch die westeuropäischen und neutralen Staaten Europas ließen keinen Zweifel daran, dass sie, etwa in der Staatsbürgerschaftsfrage, die Bundesrepublik unterstützten. [...]
Zu Beginn der achtziger Jahre stieg die Bedeutung der DDR zunächst weiter an. Angesichts der "kleinen Eiszeit" in den Ost-West-Beziehungen konnte sich die DDR als Friedensmacht profilieren und deutlich von der Sowjetunion absetzen. Sie betrieb im deutschdeutschen Zusammenhang eine erfolgreiche "Sonderpolitik". [...]
Seit Mitte der achtziger Jahre erwärmte sich mit dem Machtantritt von Gorbatschow in der Sowjetunion wieder das weltpolitische Klima. Die Annäherung von Ost und West [...] führte zwar einerseits dazu, dass die Divergenzen zwischen der Sowjetunion und der DDR in der "Friedenspolitik" abnahmen; andererseits konnte nun von einer Sonderrolle der DDR keine Rede mehr sein, so dass sie außenpolitisch an Ansehen verlor. [...] Da sie selbst aufgrund der permanenten Herausforderung durch die Bundesrepublik und ihres dadurch bedingten Legitimitätsmangels zu Reformen strukturell unfähig war, geriet sie gegen Ende ihrer Existenz in eine gänzlich isolierte Position zwischen den reformbereiten Ostblockstaaten (einschließlich der Sowjetunion) und dem Westen. [...]
Die Außenpolitik der DDR [...] bewegte sich [...] stets in den engen Grenzen, die durch die Abhängigkeit von der Sowjetunion, die deutsch-deutsche Konkurrenz und die eigene innere Entwicklung gezogen wurden. Alle drei Faktoren zusammen bestimmten in einem wechselnden Mischungsverhältnis die Außenpolitik des ostdeutschen Staates. Dabei trug dessen Mangel an innerer Legitimität dazu bei, dass er weitaus mehr als andere Staaten von den Konjunkturen der internationalen Politik abhängig war. Denn diese bestimmten nicht nur seinen jeweiligen außenpolitischen Spielraum, sondern auch seine Existenz. Nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende der DDR standen epochale Wendungen der internationalen Politik.
Hermann Wentker, "Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949-1989", München 2007, S. 557ff.