Eine Politik, die sich an die Folgen des Klimawandels anpasst, kommt nicht umhin, vormals als privat empfundene Lebensbereiche zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung zu machen. Einige Teile der Gesellschaft fühlen sich dadurch in ihrer Freiheit beschränkt, andere fordern, wie hier die Gruppe Fridays for Future in Köln im September 2024, mehr Maßnahmen seitens der Politik, um auch die zukünftigen Generationen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. (© picture-alliance, NurPhoto | Ying Tang)
Eine Politik, die sich an die Folgen des Klimawandels anpasst, kommt nicht umhin, vormals als privat empfundene Lebensbereiche zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung zu machen. Einige Teile der Gesellschaft fühlen sich dadurch in ihrer Freiheit beschränkt, andere fordern, wie hier die Gruppe Fridays for Future in Köln im September 2024, mehr Maßnahmen seitens der Politik, um auch die zukünftigen Generationen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. (© picture-alliance, NurPhoto | Ying Tang)
Die Freiheit der Verschwendung
Historisch gesehen entstanden die modernen Demokratien in einer Art Co-Evolution mit einer wirtschaftlichen Entwicklung, die das System der mittelalterlichen Feudalordnung von innen sprengte. Was in den freien Städten begann – der Aufstieg von Handwerkern und Händlern –, beschleunigte sich durch die Entwicklung neuer Technologien und neuer rechtlicher Sicherheiten in der Frühen Neuzeit zu einer Dynamik, die die alte Ordnung in Frage stellte und schließlich ablöste. Aus einer agrarisch geprägten Wirtschaft war irgendwann eine moderne, durch Handel global verknüpfte Weltwirtschaft geworden. An die Stelle von Fürsten, die ihre Herrschaft auf Gewalt gründeten, waren nun Händler, Unternehmer, Industrielle getreten, die eine andere, eine mildere, aber nicht weniger umfassende Form von Macht ausübten.
Zusammen mit der Wirtschaftsweise hatten sich aber auch die Menschen verändert, die sich in dieser Wirtschaft bewegten. Es entstand die Hoffnung auf ein besseres Leben, nicht erst im Jenseits, sondern bereits im Diesseits. Sie ging einher mit einer Umstellung der emotionalen Haltungen und Selbstbilder, die die Menschen in ihrem Alltag auslebten. In seinem berühmten Buch From Passions to Interests beschreibt Albert O. Hirschman (1915–2012) diesen Übergang als eine Art Zivilisierung. Während im Feudalsystem Ehre, die Bereitschaft zur Gewalt und die leidenschaftliche Vergeltung für jede Respektlosigkeit zählten, mussten sich die Menschen im entstehenden Kapitalismus darin schulen, die eigenen Affekte zu zügeln. Sie konnten sich nun auf verhandelbare Interessen berufen, Kompromisse suchen, sich durch Verträge binden und im Falle eines Konflikts die Lösung vor Gericht und nicht mehr im Duell suchen. Der moderne Mensch zeichnet sich durch das Kalkül seiner Interessen und die Zähmung seiner Leidenschaften aus.
Der Soziologe Georg Simmel (1858–1918) hat in seiner „Philosophie des Geldes“ darauf hingewiesen, dass dabei auch der Prozess einer Abstraktion des Geldes Wirkung auf den einzelnen Menschen hat. Dieser kann seine Zukunft nun anhand von Zinssätzen und Inflationserwartungen zumindest grob berechnen; er wird dazu verführt zu sparen, also die Befriedigung von Wünschen aufzuschieben. Der Mensch ist dem Menschen – zumindest tendenziell – nicht mehr ein Wolf, wie der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588–1679) glaubte, sondern ein nutzenmaximierender, kalkulierender Handelspartner. Das hat auch Folgen für das politische Denken.
Die klassische Formel „No taxation without representation!“ steht sinnbildlich für eine Vermutung, die in sehr verschiedenen Varianten vorgetragen wurde: Ökonomisch autonome, sich als fähig und frei handelnd erfahrende Menschen fordern irgendwann auch politische Teilhabe. Die Erfahrung der Selbstbestimmung im (ökonomisch-)privaten Raum führt irgendwann zu dem Wunsch, auch politisch mitbestimmen zu dürfen. Wer sein eigenes Geld verdient, und gewohnt ist, frei zwischen Produkten wählen zu können, will irgendwann auch das politische Personal frei wählen können.
In den Schriften des liberalen Theoretikers John Locke wird diese Verknüpfung paradigmatisch benannt: Der Mensch wird hier beschrieben als der „souveräne Herrscher seiner selbst“; er verfügt über die Dinge, die er sich erarbeitet hat, weil er sie der Natur abgerungen hat. Und daher ist es aus Lockes Sicht auch nur natürlich, dass er die darin erfahrene, naturgegebene Freiheit auch im Raum des Politischen einfordert. Die individuelle Freiheit wird nun als naturgegebene Eigenheit beschrieben: „Geboren gleich an Rechten“, heißt es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.
Dass ein Wirkungsverhältnis zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratie besteht, ist eine empirisch immer wieder untersuchte Hypothese. Die dabei vermutete Wirkung erfolgt nicht nur in eine Richtung. Nicht nur gibt es plausible Gründe anzunehmen, dass Menschen, die sich den eigenen Wohlstand erarbeitet haben und sich als ökonomisch unabhängige und freie Personen erfahren, diese Freiheit auch politisch einfordern. Umgekehrt gibt es auch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, die zu zeigen versuchen, dass wirtschaftlicher Wohlstand sich stabilisierend auf Demokratien auswirkt. Dass besonders reiche Länder wie die Schweiz oder Norwegen auch bei den Demokratieindizes besonders gut abschneiden, wäre aus dieser Sicht verständlich; dass andere reiche Länder wie Saudi-Arabien dies nicht tun, ist dann erklärungsbedürftig. Es bedarf anderer Faktoren, um dieses Phänomen zu erklären.
Vor dem Hintergrund dieser Hypothese sind auch andere Fälle sehr breit diskutiert worden, allen voran die Volksrepublik China. Lange dominierte in vielen Demokratien die Hoffnung, das Entstehen einer chinesischen Mittelschicht werde zu einer Demokratisierung des Landes führen, selbstbewusste, ökonomisch agile Chinesinnen und Chinesen würden sich irgendwann aus der Gängelung durch die kommunistische Partei zu befreien versuchen.
Ob das Ausbleiben einer demokratischen Revolution tatsächlich mit anderen kulturellen Prägungen zusammenhängt, oder aber schlicht durch ein extrem brutales und umfassendes Überwachungssystem zu erklären ist, dürfte kaum zu beantworten sein: Was die Bürgerinnen und Bürger der Volksrepublik tatsächlich denken und wünschen, ist kaum herauszufinden.
Die ökonomische Legitimation der Demokratie
Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und Demokratie ist aber nicht nur eine Frage der Empirie. Es gibt auch so etwas wie eine ökonomische Legitimation der Demokratie, ein Schema der Form „Legitimation durch Wohlstand“. Wirtschaftswachstum bedeutete zunächst eben schlicht, dass Hunger, Wohnungsnot und Verelendung zurückgingen. Demokratien formulieren explizit das Versprechen, dass es in ihnen den Menschen im weitesten Sinne „besser“ geht – und damit sind eben nicht nur Menschenrechte gemeint, sondern durchaus auch die Überwindung von Armut, also ein ökonomischer Aufstieg.
Ganz besonders relevant wurde die Verknüpfung der Demokratie mit dem Versprechen des Wohlstandes nach 1945 in Westdeutschland. Die junge Bundesrepublik musste sich rhetorisch gegen zwei Konkurrenzprojekte verteidigen: Zum einen galt es, den verbliebenen Anhängern des zerstörten NS-Regimes die neue Demokratie plausibel zu machen, zum anderen in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus die besseren Argumente zu haben.
Gegen beide Herausforderungen richtet sich die Formel vom „Wohlstand für alle!“, für die der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (1897–1977) berühmt wurde. Sie signalisierte den Menschen in Westdeutschland, dass die Demokratie anders als der Nationalsozialismus keinen Krieg, keine Zerstörung, kein moralisches Desaster verursachen würde; sie bedeutete aber auch, dass neben den Freiheitsrechten im Westen auch der Wohlstand ein Argument für die Demokratie sein sollte: Der Konkurrenzkampf zwischen Sowjetkommunismus und westlicher Marktwirtschaft wurde auch anhand von Produktionszahlen, Wachstumsraten und dem Blick in die Regale der Kaufhäuser geführt: „Wir sind nicht nur frei, wir sind auch viel wohlhabender“, so lautete die Nachricht.
Bis zur Wiedervereinigung hielt diese Konstellation an. Verglichen wurden nicht nur wissenschaftliche, sportliche oder künstlerische Höchstleistungen. Neben dem Abzählen der Nobelpreise und der olympischen Medaillen erfolgte auch ein Konkurrenzkampf auf dem Feld der Konsumgüter. Für das westliche Modell sprach auch der Auto-Vergleich zwischen Trabi und VW-Golf.
Für die Wahrnehmung der Demokratie ergaben sich daraus indes Schwierigkeiten, die insbesondere in jenem Moment deutlich wurden, in denen die von Helmut Kohl (1930–2017) versprochenen „blühenden Landschaften“ nicht – oder zumindest langsam und weniger großflächig – entstanden. Der ökonomische Schock des Systemwechsels in den neuen Bundesländern führte zu einer tiefsitzenden, bis heute andauernden kollektiven Traumatisierung: Massenarbeitslosigkeit, Orientierungslosigkeit, das Gefühl nicht anerkannt, sondern abgewertet zu sein, führte zu Gegenreaktionen, die sich bei manchen nicht nur auf einzelne Regierungen, sondern auf die Demokratie insgesamt richteten.
Auf analoge Weise war und ist auch in anderen Ländern das Versprechen der Demokratie immer auch ein ökonomisches. In den USA beispielsweise gilt für die Bewertung amtierender Präsidenten häufig die wirtschaftliche Lage als ausschlaggebend. Der damals als junger Außenseiter antretende Präsident Bill Clinton brachte dies mit der Formel „It’s the economy, stupid!“ auf den Punkt: Dass die USA den Kalten Krieg gewonnen und die irakischen Regierungstruppen aus Kuwait vertrieben hatten, sei ja durchaus lobenswert, aber die eigentlich relevanten Indizes seien die Wachstumsraten, die Arbeitslosenquoten, die Kaufkraft.
Die Folge dieser ökonomischen Legitimierung von Demokratie und demokratischer Politik war in vielen Ländern eine ausgabenbasierte und wenig ökologische Politik: „Wachstum“ sollte um den Preis einer hohen Verschuldung und um den Preis einer ökologischen Schädigung des Planeten „stimuliert“, also angeregt werden. Ob man dabei auf möglichst ungebremste Marktmechanismen wie unter US-Präsident Ronald Reagan (1911–2004) und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher (1925–2013) setzte, oder eher auf eine staatszentrierte Industriepolitik, die große, staatsnahe Konzerne bevorzugte (wie in Frankreich), stellt eine geradezu nachgeordnete Differenz dar: Wirtschaftliche Prosperität, der befreundete Bruder der Demokratisierung, wurde zur conditio sine qua non, zum Dreh- und Angelpunkt demokratischer Politik.
Demokratie ohne Wachstum?
Spätestens seit dem Erscheinen des Berichts der Organisation Club of Rome mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ war zumindest konzeptionell der Schwachpunkt dieser Verstrickung von Demokratie und Wohlstand benannt. Im Jahr des Erscheinens 1973 stand noch die Begrenztheit der fossilen Ressourcen im Vordergrund, nicht so sehr die Auswirkungen ihrer Verbrennung. Das Bild vom grenzenlosen Wachstum aber war damit in Frage gestellt. Das nun gezeichnete Bild stellte die ökologische Krise in einen größeren historischen Kontext.
In den Jahrhunderten seit der Industrialisierung hat die Menschheit einen spektakulären Gewinn an Komfort erfahren. Selbst die absolutistischen Herrscher des 18. Jahrhunderts konnten sich das Niveau heutiger medizinischer Versorgung, heutiger Informationstechnologien oder heutiger Mobilitätsoptionen nicht einmal erträumen.
Doch dieser Fortschritt ist durch Technologien getrieben, die auf den Verbrauch fossiler Energieträger setzen: Zunächst auf Kohle, dann auf Öl und Gas. Das enorme ökonomische Wachstum, das dadurch möglich wurde, eröffnete – zunächst den Eliten, dann auch den Massen – neue Erfahrungen von Freiheit. Konsum, Mobilität, ja Verschwendung wurden zu kulturell prägenden Praktiken, die mit dem Freiheitsbegriff verschmolzen. Freiheit wurde zur Konsumfreiheit.
Auch wenn die energiepolitische Hinterlegung des Fortschritts auf der Oberfläche oft nicht erkennbar ist, so bleibt sie doch die eigentliche Basis der Erfolge der vergangenen 250 Jahre: Keine Massenproduktion von Konsumgütern, kein Welthandel, keine Plastikproduktion, keine komfortable Heizung ohne das Verbrennen fossiler Energieträger.
Anpassung als Freiheitsbeschränkung?
Mit der eskalierenden ökologischen Krise, zu der neben der Klimakrise auch die Zerstörung der Biodiversität gehört, scheint dieses Paradigma an ein Ende zu kommen: Zum einen müssen die Emissionen drastisch reduziert werden, zum anderen aber wird eine Anpassung an den Klimawandel nötig. Beide Aspekte haben weitreichende demokratiepolitische Implikationen.
Praktisch bedeuten diese Einsichten nämlich, dass schon heute in Ländern wie Frankreich ein nationaler Wasserplan nötig ist, um mit Dürren umzugehen. Es bedeutet auch, dass Menschen ihre Wohnorte in Küstennähe verlassen müssen, dass eine öffentliche Debatte um den Sinn (oder Unsinn) des extrem wasserintensiven Maisanbaus entbrennt. Sowohl eine Politik der Minimierung von Emissionen, als auch eine Politik der Anpassung an die Folgen des Klimawandels kommt nicht umhin vormals als privat empfundene Lebensbereiche neu zu regeln oder zumindest zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung zu machen.
Die ersten Konflikteruptionen auf diesem Feld haben bereits begonnen: In Frankreich entstand nach der Erhöhung der Treibstoffsteuer die sogenannte Gelbwestenbewegung. In Deutschland führten Pläne zur Förderung der Wärmepumpe oder zur Absenkung von Emissionen in der Landwirtschaft zu heftigen Protesten.
Auch die Demokratie steht in diesem Sinne unter Anpassungsdruck. Demokratische Politik kann nun nicht mehr einfach Konsumversprechen und Entfaltungsoptionen anbieten, sondern muss Zumutungen und Einschränkungen verteilen. Diese Umstellung provoziert neue Widerstände, die bis zur Staatsfeindlichkeit reichen können. Was aber bedeutet diese Entwicklung für die Demokratie? Lässt sich das Versprechen eines „Nachhaltigkeitsreichtums“ plausibel machen?
Der Trumpismus ist wohl nicht zufällig stark mit einem Festhalten am Paradigma einer extraktiven und zugleich externalisierenden Wirtschaft verknüpft. Eine erfolgreiche Verteidigung der Demokratie entscheidet sich folglich auch daran, ob es gelingt, Demokratie und Nachhaltigkeit auszusöhnen. Ob sich dazu der Freiheitsbegriff grundlegend transformieren muss, bleibt abzuwarten.
QuellentextDemokratie und Klimakrise – Vier Meinungen aus der Wissenschaft
Demokratie oder Ökodiktatur – ist unser politisches System dazu fähig, die Klimakrise einzudämmen und die natürlichen Ressourcen unseres Planeten zu erhalten (oder braucht es ein autoritäres Element)?
„Die jüngsten Berichte des Weltklimarats und des Club of Rome haben gezeigt, in welch schlechtem Zustand sich unser Planet befindet und wie weit wir von einem nachhaltigen Entwicklungspfad entfernt sind. Mit dem bisherigen Modell, welches rein auf Wirtschaftswachstum ausgelegt ist, werden wir Klimawandel, Artensterben und Vermüllung der Meere nicht stoppen. Allerdings brauchen wir keine „Ökodiktatur“. Wir brauchen Demokratien, die ihre Wirtschaft und Energieversorgung konsequent auf Nachhaltigkeit ausrichten. Wenn dieses Ziel von der Regierung klar kommuniziert wird und den Bürger:innen die Möglichkeit zur Teilhabe und Mitgestaltung gegeben wird, kann die Demokratie ihre Stärken ausspielen und die multiplen Krisen unserer Zeit bewältigen.“
Dr. Janpeter Schilling ist Wissenschaftlicher Leiter der Friedensakademie Rheinland-Pfalz und Professor für Humangeographie am Institut für Umweltwissenschaften der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.
„Oftmals wird statt über konkrete Klimaschutzmaßnahmen zweifelnd über Demokratie geredet. Wer glaubt, dass Demokratie angesichts der Klimakrise vernachlässigbar sei, irrt. Globaler Klimaschutz ist so komplex, dass er nicht von einer einzelnen Person, noch nicht einmal von einer Personengruppe gelenkt werden kann. Wirkungsvoller weltweiter Klimaschutz ist gegen den Willen der Menschen nicht durchsetzbar. Er braucht die Akzeptanz, die Unterstützung und vor allem die aktive Mitwirkung der regionalen Bevölkerung. Deswegen müssen wir für wirkungsvollen Klimaschutz nicht die Demokratie abschaffen, sondern im Gegenteil: Wir müssen die vielfältigen Instrumente der Demokratie ergreifen und die Musik einer nachhaltigen und sozialen Zukunft zum Klingen bringen.“
Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und ist Professorin für Energieökonomie und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Sie ist Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), Mitglied im Präsidium der deutschen Gesellschaft des Club of Rome (DGCOR) sowie im Klimabeirat der Stadt Hamburg und Dresden.
„Die Alternative ist fatal: Kein autokratisches System ist bisher besser mit dem Klima- und Artenschutz vorangekommen. Der Klimanotstand wird nicht ohne Eingriffe in private Freiheiten auskommen, die weit über die aus der Pandemiebekämpfung bekannten hinausgehen werden, aber ebenso wie diese einer legislativen Legitimation bedürfen. Zu einem wahrhaft planetaren Denken, das die menschliche Existenz und Handlungskapazität im Bezug auf nicht-menschliche Aktanten relativiert und relationiert, sind wir noch gar nicht vorgedrungen.“
Claus Leggewie ist Ludwig Börne-Professor an der Universität Gießen und Initiator des dortigen Panel on Planetary Thinking.
„Das ist eine falsche Alternative: Was sollen wir mit einer Ökodiktatur? Sie kann die Demokratie nicht ersetzen. Im Gegenteil, der Wunsch nach autoritären Lösungen ist kontraproduktiv und gefährlich: Populistische Rufe nach starken Männern oder Frauen führen auf Irrwege. Denn „Durchregieren“ ist leichter gefordert als getan. Das löst die Klimakrise nicht. Diktaturen wie die Volksrepublik China und Russland sowie autoritäre Staaten wie Ungarn sind bei der Eindämmung der Klimakrise weniger erfolgreich als die liberalen Demokratien. Im Durchschnitt erzielen die demokratischen Länder Europas schon jetzt bessere Ergebnisse bei der Begrenzung des CO2 -Ausstoßes als die meisten Diktaturen der Welt. Global mehr Demokratie zu wagen ist die beste Hoffnung für den Planeten. Autoritarismus ist gefährlicher Unsinn, simplizistisch und wird die Klimakrise nicht eindämmen können.“
Prof. Dr. Philipp Gassert ist seit Februar 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim. Er ist Mitglied im Vorstand der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg sowie 2022/23 Senior Fellow des Historischen Kollegs in München.
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.), „Kurzinterviews: 3 Fragen an...“, in: Bürger & Staat (4/2022), S. 227–232. Online: Externer Link: https://www.buergerundstaat.de/4_22/nachhaltigkeit.pdf
Außer Frage steht indes, dass Demokratien weltweit herausgefordert sind. Die Frustration vieler Bürgerinnen und Bürger in demokratisch regierten Ländern äußert sich zum selben Zeitpunkt, an dem Menschen in autoritär geführten Ländern wie Iran, Belarus oder Afghanistan ihrer Sehnsucht nach Freiheit Ausdruck verleihen. Hier sind es oft Frauen, die mit heldenhaftem Mut die Macht von Diktatoren herausfordern – und dadurch die Menschen in den Demokratien daran erinnern, wie wertvoll jene Rechte sind, die sie oft als selbstverständlich nehmen.
Unser Streifzug durch die Vielfalt demokratischer Selbstregierungsformen begann mit dem Verweis auf die Spannungen und Mehrdeutigkeiten, die bereits dem Begriff innewohnen. Demokratie bedeutet, gemeinsam entscheiden zu können, aber nicht über alles entscheiden zu können. Demokratie bedeutet Inklusion, Einschluss, Vergemeinschaftung – auch wenn diese nur um den Preis von Ausschluss zu haben ist. Demokratie bedeutet, Entscheidungen zu fällen, diese aber auch wieder in Frage stellen zu können. Demokratie bedeutet auch, einander vertrauen zu können, einander aber nicht blind vertrauen zu müssen.
Das Ideal der Demokratie ist folglich keine Blaupause, kein fertiges Rezept, kein ein für alle Mal erreichbares Ziel, sondern eher eine Suchrichtung. In den entsprechenden Suchbewegungen geht es immer darum, Zielkonflikte zu vermitteln, Widersprüche und Spannungen produktiv werden zu lassen und Kompromisse intelligent zu gestalten. „Lösungen“ und endgültige Antworten wird man hier nicht finden, sondern Methoden, um mit Problemen umzugehen.