Demografische Prozesse beeinflussen
Familienfreundliche Rahmenbedingungen schaffen
Eine Erhöhung der niedrigen Geburtenrate von 1,5 (in 2020) in Richtung 2,1 – was dem Bestandserhaltungsniveau einer Bevölkerung entspricht – ist mit vielen Vorteilen für Gesellschaft, Wirtschaft und Sozialsysteme verbunden. Doch inwieweit kann und soll die Politik die Geburtenrate beeinflussen?
Die Geburtenrate lässt sich nicht steuern, sie kann schwerlich staatliche Zielvorgaben erfüllen. Das gilt nicht nur für individualistische Gesellschaften in Westeuropa oder den USA, sondern auch in kulturell und politisch stärker konformistisch geprägten Gesellschaften wie Japan oder China. Trotzdem können staatliche Maßnahmen einen Einfluss auf die Geburtenentwicklung entfalten. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt in hochentwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland eine wichtige Rolle, da in diesen die meisten Frauen ebenso berufstätig sein möchten wie Männer und dies meist auch sein müssen, um den eigenen Lebensunterhalt und ggf. den der Familie zu sichern. Öffentliche Infrastruktur für Kinderbetreuung und Ganztagsschulen haben in vielen Ländern ihren Teil zum Anstieg der Geburtenentwicklung bzw. zu einer Abschwächung des Geburtenrückgangs beigetragen. Der Anstieg der Geburtenrate Deutschlands von 1,3 auf 1,5 Geburten pro Frau ist unter anderem auch auf familienpolitische Reformen zurückzuführen.
Generell können gute Rahmenbedingungen für Familien unterstützend wirken, hier ist nicht nur die klassische Familienpolitik mit Maßnahmen wie Kindergeld, Elterngeld und Kitas gefragt, sondern sämtliche politischen Maßnahmen, die für Familien und potenzielle Eltern relevant sind: Wohnraum, verkehrsberuhigte Straßen, Spielplätze, Bildungsangebote, Familienberatung, Geldleistungen für Familien, Steuerrecht und ein familienfreundlicher Arbeitsmarkt. Allerdings können für einzelne Maßnahmen keine Hebelwerte berechnet werden, die zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften Einfluss auf die Geburtenrate haben könnten. Denn familienpolitische Maßnahmen wirken – wenn überhaupt – oftmals zeitverzögert, in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen verschieden und im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Normen, beispielsweise hinsichtlich der Akzeptanz von externer Kleinkindbetreuung.
Weit über 90 Prozent der jungen Erwachsenen wünschen sich eigene Kinder, weniger als 80 Prozent realisieren dies dann später auch. Eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann dazu beitragen, dass der Anteil der ungewollt Kinderlosen zurückgeht. Der Kinderwunsch liegt durchschnittlich bei knapp unter zwei Kindern pro Frau, also deutlich über der Geburtenrate von zuletzt 1,5. Dies zeigt, dass die Steigerung der Geburtenrate nicht konträr zu den individuellen Wünschen vieler junger Erwachsener steht, sondern der Knackpunkt oft die Realisierung der individuellen Kinderwünsche ist. In Deutschland herrscht die Vorstellung vor, dass zwei Kinder "normal" sind. Diese gesellschaftliche Norm wird durch Medien und Politik oftmals noch verstärkt. Da es auch in der Zukunft dauerhaft kinderlose Menschen und Ein-Kind-Familien geben wird und der Geburtenrückgang der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland vor allem auf dem Rückgang des Kinderreichtums beruht, müssen sich mehr Paare für ein drittes oder viertes Kind entscheiden, um die Geburtenrate zu erhöhen. Tatsächlich gibt fast ein Drittel der jungen Erwachsenen als ideale Kinderzahl drei oder mehr Kinder an. Doch diesen Wunsch realisieren nur die wenigsten, bei den Akademikerinnen sind es beispielsweise nur knapp die Hälfte. Daher ist für eine Steigerung der Geburtenrate vor allem die Förderung kinderreicher Familien wichtig. Kinderreiche Eltern benötigen nicht nur mehr Geld, sondern vor allem mehr Zeit, da sie in der sogenannten Rushhour des Lebens stecken, das heißt sich in einer Lebensphase befinden, die sich durch einen hohen Arbeitsaufwand für Pflege und Betreuung der Kinder auszeichnet. Entsprechende zeitpolitische Maßnahmen für diese Zielgruppe, beispielsweise eine Familienarbeitszeit und eine längere bezahlte Elternzeit für ein drittes Kind, könnten helfen, dass mehr Eltern den Wunsch nach einem dritten Kind realisieren und so langfristig auch einen Einfluss auf gesellschaftliche Normen entfalten.
Ob die Politik das Ziel verfolgen sollte, die Geburtenrate zu beeinflussen, ist in Deutschland umstrittener als in anderen Ländern. Dies liegt an historischen Erfahrungen mit Bevölkerungspolitik, insbesondere dem kriegerisch motivierten und rassistisch geprägten Missbrauch von Bevölkerungspolitik im NS-Regime (siehe Kapitel "
Zuwanderung als Antwort auf den demografischen Wandel?
Im Vergleich zur Geburtenrate lässt sich die Zuwanderung etwas besser steuern, wobei zwischen angeworbenen Arbeitskräften und schutzsuchenden Menschen zu unterscheiden ist. Letzteres hängt meist von exogenen Faktoren ab und lässt sich daher nur begrenzt steuern.
Das Anwerben von Fachkräften hat das primäre Ziel, qualifiziertes Personal für Branchen wie Pflege, Informatik, Handwerk oder Facharbeiter, die für die Wirtschaft unmittelbar benötigt werden, zu gewinnen. Der Fachkräftemangel zeigt sich bereits seit einigen Jahren und wird sich in einigen Branchen in den 2020er-Jahren noch verschärfen. Die Einwanderung von Fachkräften ist aus Sicht der deutschen Wirtschaft und auch des öffentlichen Gesundheitssektors daher dringend notwendig. Hierzu wurde 2019, nach jahrzehntelangen Diskussionen, ob Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland ist bzw. sein soll, ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz eingeführt, um qualifizierte Zuwanderung auch aus dem Nicht-EU-Ausland zu stärken. Denn ein großer Teil der seit Beginn der 2000er-Jahre zugewanderten Personen kommt aus Europa, wobei innerhalb der EU die Freizügigkeit gegeben ist. Die Anwerbung von Fachkräften ist jedoch nicht unproblematisch, da es zu einem Brain-Drain in den Herkunftsländern beitragen kann. Andererseits gibt es auch Spill-Over-Effekte, wonach die Herkunftsländer vom Wissenstransfer und dem Aufbau von Netzwerken profitieren. Es ist allerdings nicht nachhaltig für diese Länder, wenn Deutschland dort eine zu große Anzahl hochqualifizierter Menschen für den Arbeitsmarkt abwirbt, die dort dann fehlen.
QuellentextAnwerbung von Pflegekräften
Deutschland will Ederson Vicente Rodrigues mit offenen Armen empfangen, aber jetzt klemmt erst mal die Schiebetür. Gleich wird sie jemand aufstemmen. Bis dahin bleibt Zeit, die Vorgeschichte dieser Ankunft am Dresdner Flughafen zu erzählen, den Grund dafür, dass Ederson Vicente Rodrigues aus Camanducaia, Brasilien, seine Heimat verlassen hat, um in 10000 Kilometer Luftlinie Entfernung aus dem Flugzeug zu steigen und im sächsischen Pulsnitz ein neues Leben zu beginnen.
Die Sache ist schnell erzählt, denn der Pflegenotstand in den deutschen Krankenhäusern ist selten so grell ausgeleuchtet gewesen wie jetzt, im zweiten Corona-Winter und mitten in der vierten Welle der Pandemie. Allein auf den Intensivstationen stehen derzeit rund 4.000 Betten weniger zur Verfügung als vor einem Jahr, einfach, weil die Pfleger fehlen, um in diesen Betten Patienten zu versorgen – während gleichzeitig der Anteil der Covid-Patienten auf ebendiesen Intensivstationen an der 21-Prozent-Marke kratzt. […]
Die Vamed Klinik Schloss Pulsnitz in Sachsen hatte zunächst […] versucht, in Vietnam [Pflegekräfte] zu akquirieren, bis die Bedingungen für die Einreise von dort verschärft wurden. Die Hoffnungen von Klinikgeschäftsführer Carsten Tietze ruhen deswegen auf Brasilien. Die Schriftzeichen, der christliche Glaube, die Freizeitinteressen, da sei man einander näher, als man denken könne. Aber natürlich sei es wichtig, "dass wir uns nicht nur um die Ausbildung kümmern, sondern um das ganze Integrationsmanagement".
Auf der anderen Seite der klemmenden Schiebetür steht im Herbst 2020 deswegen eine kleine Delegation der Klinik, um Ederson Vicente Rodrigues, damals 30 Jahre alt, und zehn weitere brasilianische Fachkräfte in Empfang zu nehmen. […]
"Es regnet, es ist kalt – welcome to Germany", sagt Scheibe zur Begrüßung der kleinen Gruppe, dann geht es in zwei Ford Transit über die Autobahn ins nahe gelegene Pulsnitz. […]
Ankunft an einem Mehrfamilienhaus […]. Die Klinik hat Wohnungen angemietet und eingerichtet, für die verpflichtende Quarantäne – aber mehr noch, um das Ankommen grundsätzlich zu erleichtern. Die letzte Lieferung von Ikea kam kurz vor knapp, "gedübelt, geschraubt und geputzt" hätten sie bis Minuten vor der Ankunft der Brasilianer, sagt eine Kollegin von Scheibe. […]
In den Wohnungen liegen "Willkommensmappen", in denen auch steht, wie der Müll zu trennen ist, und Gunar Scheibe lupft zum großen Finale dieses very warm welcome noch eine Kuchenglocke. Er ist noch keine zwei Stunden im Land, da hält sie Ederson Vicente Rodrigues schon in Händen: seine erste sächsische Eierschecke. […]
Von den elf Brasilianern, die im Oktober 2020 bei nasskaltem Nieselregen den Dresdner Flughafen erreichten, sind ein gutes Jahr später acht noch da. An einem Montag Mitte November bekommen sie ihre Abschlusszeugnisse, wegen der steigenden Inzidenz vor nur ausgewähltem Publikum. "Feierliche Zertifikatsübergabe unserer brasilianischen Pflegefachkräfte" steht über dem Programm, ein Kellner flippert zwischen bespannten Stehtischen hin und her und verteilt alkoholfreie Cocktails. Nach der Feststunde ist ein Lunch für alle angesetzt, mit Maniok-Pfanne und Kokoskuchen als Nachtisch.
Es spricht zunächst Carsten Tietze, der Geschäftsführer. Er spricht über den Fachkräftemangel im Allgemeinen und über den in der Pflege im Besonderen. Der Versuch, ihn zu lindern, sei noch immer "ein Ziehen aller an einem viel zu kleinen Tischtuch". Mit Corona sei auch dieses Pilotprojekt noch einmal schwerer geworden, hinzu kamen "das Wetter, die Dunkelheit", sagt Tietze. Die Brasilianer lachen, als dieses Wort fällt: Dunkelheit. […]
Dann spricht Paula Jacob, die Integrationsbeauftragte der Klinik in Pulsnitz. […] Paula Jacob erzählt jetzt vom Zauber einer Whatsapp-Gruppe, sie habe in ihre immer wieder kleine Videos gestellt, zum Beispiel eine Demonstration der in Deutschland beliebten Kulturtechnik des Wegbringens von Pfandflaschen.
Schließlich geht Ederson Vicente Rodrigues nach vorne. Hart sei es gewesen anfangs. Acht Monate Deutsch lernen in Brasilien, dann der lange deutsche Winter. Und jetzt? "Unsere Zweifel sind ausgeräumt", sagt er. Noch einmal übernimmt der Beamer und zeigt Schnappschüsse, jetzt solche der Brasilianer in Deutschland – vor dem Dresdner Zwinger, am Brandenburger Tor, in der Sächsischen Schweiz. […]
Als Ederson Vicente Rodrigues […] erfuhr, dass er nach Deutschland kommen könnte, legte er noch in Brasilien los wie wild. Er schaute deutsche Fernsehsender, selbst wenn er kein Wort verstand. Er googelte Geschichtliches und auch, welches Essen hier üblich sei. Die Corona-Pandemie hat ihm das Ankommen jetzt vor allem außerhalb der Klinik erschwert. Aber Ederson Vicente Rodrigues hat sich einer Wandergruppe angeschlossen und freut sich darauf, wenn in der – wirklich wahr – Karnevalshochburg Pulsnitz eines Tages der sogenannte Bär wieder steppt.
Inzwischen ist er aus seiner ersten Wohnung mit den von der Klinik aufgebauten Ikea-Möbeln ausgezogen. Er hat das Dekorieren seiner eigenen Wohnung für sich entdeckt, und auch was das Essen betrifft, geht es, wenn man so will, voran. Am meisten Freude macht man Ederson Vicente Rodrigues nicht mit einer Maniok-Pfanne oder einem Stück Kokoskuchen, sondern – ganz klar – mit einer Currywurst.
Cornelius Pollmer und Henrike Roßbach, "We want you!", in: Süddeutsche Zeitung vom 2. Dezember 2021
QuellentextIntegration von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt
[…] Der Bildungsgrad syrischer Geflüchteter in Deutschland ist deutlich höher im Vergleich zum Durchschnittsniveau in Syrien. So liegt der Anteil von in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrern mit mindestens einem Gymnasial-, Gesamtschul- oder berufsbildenden Abschluss bei über 45 Prozent, während im Jahr 2010 nur 22 Prozent der syrischen Bevölkerung in Syrien einen vergleichbaren Bildungsgrad hatte […]. Deutliche Unterschiede im Bildungsniveau zeigen sich auch zwischen syrischen Geflüchteten und der deutschen Bevölkerung. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Berufsausbildung. So haben nur 5 Prozent der erwachsenen syrischen Geflüchteten die Schule mit einer Berufsausbildung abgeschlossen, während der Anteil in der deutschen Bevölkerung bei 59 Prozent liegt. Allerdings haben viele syrische Geflüchtete ihre beruflichen Qualifikationen während der Erwerbstätigkeit erworben ("training on the job"), dafür aber nicht extra eine Ausbildung absolviert.
Weitere Auswertungen verdeutlichen, dass im zweiten Halbjahr 2018 fast 27 Prozent der 17- bis 25-jährigen in Deutschland lebenden syrischen Geflüchteten eine Berufsbildungseinrichtung, eine Fachhochschule oder eine Universität besucht oder an berufsbildenden Maßnahmen teilgenommen haben. Unzureichende Deutschkenntnisse, die verzögerte oder nicht mögliche Anerkennung von Bildungszertifikaten oder fehlende Bildungsnachweise sowie finanzieller Druck sind dabei entscheidende Hürden, welche die Teilhabe junger Syrerinnen und Syrer am deutschen Bildungssystem erschweren. […]
Grundsätzlich können soziale Kontakte einen Beitrag zur Integration von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt leisten, indem sie beispielsweise Zugang zu Informationen oder Jobangeboten ermöglichen. Auf die Frage "Wer unterstützt Sie in Ihrem beruflichen Fortkommen oder Ihrer Ausbildung und hilft Ihnen, dass Sie vorankommen?" nannten die befragten syrischen Geflüchteten im Durchschnitt 2 Personen.
Dabei verfügen Frauen über ein etwas größeres arbeitsmarktbezogenes Netzwerk als Männer, welches sich vor allem aus Familienangehörigen zusammensetzt (z. B. Eltern, Kinder, Geschwister, Freunde, Cousinen und Cousins). Daneben spielen auch das Alter und das Bildungsniveau eine Rolle: Jüngere sowie höher gebildete Geflüchtete verfügen über größere soziale Netzwerke. […] In Bezug auf nichtfamiliäre Netzwerkbeziehungen gaben 81 Prozent der Befragten mindestens eine aus Deutschland stammende Person an, wovon rund 13 Prozent professionell helfende Personen (bezahlte Helfer, Sozialhelfer, ambulanter Dienst) sind.
Die Beschäftigungsrate unter den syrischen Geflüchteten hat im Zeitverlauf deutlich zugenommen. Waren 2016 nur 13 Prozent der syrischen Geflüchteten erwerbstätig, hat sich dieser Anteil auf 32 Prozent im Jahr 2018 erhöht. Dabei arbeiteten gut 63 Prozent in Voll- oder Teilzeit und 19 Prozent befanden sich in einer entlohnten beruflichen Trainingsmaßnahme.
Weitere 18 Prozent gingen einer geringfügigen Beschäftigung nach. Die Daten zeigen deutliche Unterschiede in der Beschäftigungssituation zwischen Frauen und Männern, die allerdings mit der Aufenthaltsdauer in Deutschland abnehmen. […] Unterschiedliche familiäre Situationen von Frauen und Männern können diese Differenzen teilweise erklären: So sind syrische Frauen häufiger verheiratet und haben öfter Kinder als syrische Männer. Vor allem Mütter mit minderjährigen Kindern sind nur in geringem Maße erwerbstätig. […]
Für die Mehrheit der von syrischen Geflüchteten besetzten Stellen wird ein mittleres Qualifikationsniveau benötigt, wie etwa Verwaltungs- oder Assistenzjobs im Vertrieb oder im Pflegebereich. So arbeiteten 61 Prozent der syrischen Geflüchteten in fachlich ausgerichteten Tätigkeiten, 30 Prozent in Helfer- und Anlerntätigkeiten, 6 Prozent in hochkomplexen Tätigkeiten und 3 Prozent in komplexen Spezialistentätigkeiten […].
Weitere Analysen verdeutlichen, dass sich das Qualifikationsniveau der aktuellen Tätigkeiten beträchtlich von denjenigen vor der Zuwanderung in Syrien unterscheidet. So war die Mehrheit der Geflüchteten zuvor in Berufen mit mittleren bis hohen Qualifikationsanforderungen beschäftigt. Dabei muss allerdings mitberücksichtigt werden, dass sich die Arbeitsmarktstrukturen (z. B. hinsichtlich des technologischen Niveaus oder der Produktions- und Organisationsprozesse) zwischen Syrien und Deutschland deutlich unterscheiden, was einen Vergleich der Beschäftigungsstruktur zwischen beiden Ländern erschwert. […]
Im direkten Vergleich liegt das monatliche Bruttoeinkommen der syrischen Geflüchteten bei fast 60 Prozent des Einkommens der deutschen Vollzeitbeschäftigten. […]
Die Befunde verdeutlichen insgesamt eine positive Entwicklung der Arbeitsmarktintegration syrischer Geflüchteter in Deutschland in einem relativ kurzen Zeitraum […]. Trotz dieser positiven Bilanz muss hinsichtlich der Integration von Geflüchteten in Deutschland noch viel geleistet werden (z. B. der Abbau von bürokratischen Hürden, gerade bei der Anerkennung von nicht in Deutschland erworbenen Bildungsabschlüssen oder Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um die Erwerbstätigkeit von Müttern zu fördern). Zudem deuten die Auswertungen darauf hin, dass der Integrationsprozess gerade zu Beginn sehr fragil sein kann. Dementsprechend muss gerade in Krisenzeiten der Fokus auch darauf liegen, bereits erreichte Integrationsprozesse zu schützen und gleichzeitig neue Chancen aus der Krise zu ziehen. […]
[Der Autor] untersucht[e] die Arbeitsmarktintegration syrischer Geflüchteter in Deutschland anhand der Geflüchteten-Stichprobe des Sozio-oekonomischen Panels (IAB-BAMF-SOEP)]
Kamal Kassam, "Angekommen auf dem Arbeitsmarkt?", in: Bevölkerungsforschung Aktuell 4|2021 Analysen, S. 3–7
Dagegen ist das primäre Ziel bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen und Familien, ihnen Schutz vor Kriegen oder politischer Verfolgung zu gewähren. Diese Menschen werden nicht nach ihren Potenzialen für den deutschen Arbeitsmarkt ausgewählt. Häufig bringen Geflüchtete auch nicht die nötigen beruflichen Qualifikationen mit. Wenn sie ein langfristiges Bleiberecht haben und die deutsche Sprache lernen, ist aber nach einigen Jahren ein relevanter Teil von ihnen erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt integriert. Eine Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) hat gezeigt, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik hier eine wichtige Rolle spielen kann, auch hinsichtlich einer Reduzierung der Geschlechterdifferenz in den Beschäftigungsquoten.
Ein Blick auf die Bildungsabschlüsse der Zugewanderten ergibt ein sehr heterogenes Bild: Bei Menschen, die im Alter von 18 Jahren und älter nach Deutschland kamen, haben 23 Prozent einen Hochschulabschluss, ihr Anteil ist damit sogar leicht höher als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (20 Prozent). Bei den Zugewanderten aus EU-Ländern liegt der Anteil mit 32 Prozent sogar noch deutlich höher. Es sind auch sehr viele Menschen ohne Berufsabschluss (41%) nach Deutschland eingewandert, was ebenfalls im Kontext des deutschen Berufsbildungssystems zu sehen ist. Bei Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind, beträgt dieser Anteil 28 Prozent. Dies sind deutlich höhere Werte als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund, in der 13 Prozent keinen beruflichen Abschluss aufweisen können.
Inwieweit eine Erhöhung der Zuwanderung eine sinnvolle Strategie zur Beeinflussung des demografischen Wandels ist, ist auch aus anderen Gründen umstritten. Zuwanderung kann zwar kurz- und mittelfristig den Fachkräftemangel reduzieren, ist allerdings auch mit Integrationsherausforderungen verbunden. Hier sind die Größenordnungen entscheidend: Da in den 2020er-Jahren jedes Jahr etwa 350.000 Erwerbspersonen mehr in Rente gehen als junge Arbeitskräfte nachkommen, müsste Jahr für Jahr eine enorm hohe Zahl an Fachkräften angeworben werden. Nach einer Vorausberechnung im Jahr 2020 wird die Zahl der Erwerbspersonen bis 2030 um 3,5 Millionen zurückgehen. In dieser Berechnung ist bereits ein Wanderungssaldo von 221.000 Zuwandernden – Erwerbspersonen einschließlich Familienmitglieder – pro Jahr berücksichtigt.
Das bedeutet, dass in den 2020er-Jahren selbst bei einer Zuwanderung von jährlich 221.000 Arbeitskräften durchschnittlich rund 350.000 mehr Personen in Rente gehen als junge Arbeitskräfte nachkommen. Wie hoch die jährliche Zuwanderung sein müsste, um diesen Fachkräftemangel auszugleichen, zeigt folgende Berechnung: Da zugewanderte Arbeitskräfte oft mit Familie einwandern, wäre die reale Zuwanderung deutlich höher. Bei einem durchschnittlichen Familienanteil von 1,8 pro zugewanderter Arbeitskraft müssten pro Jahr insgesamt 630.000 Menschen (350.000*1,8) nach Deutschland kommen, um den Rückgang von 350.000 Arbeitskräften auszugleichen. Zusammen mit den angenommenen 211.000 wären es 841.000 zuwandernde Personen jedes Jahr. Dies ist nicht nur illusorisch hinsichtlich des Integrationspotenzials, sondern auch hinsichtlich des Angebots an gut ausgebildeten Fachkräften, die aus anderen Ländern gewonnen werden müssten.
Deutschland benötigt zweifellos Fachkräften aus dem Ausland. Dem demografisch bereits angelegten Rückgang der Erwerbspersonen ist jedoch teilweise auch durch andere Faktoren zu begegnen. Dazu gehört eine Aktivierung des Erwerbspersonenpotenzials: ein weiterer Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen, ein Anstieg ihres Erwerbsumfangs (z.B. Arbeitsstunden insbesondere bei Frauen, die Teilzeit arbeiten und die Stundenzahl erhöhen möchten), eine Erhöhung der Erwerbsquoten älterer Menschen anstelle von Frühverrentung, ein Anstieg des Renteneintrittsalters und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit. Diese fünf Stellschrauben wurden bereits in den vergangenen Jahren genutzt, bergen aber noch weitere Potenziale. Darüber hinaus ist ein weiterer Anstieg der Produktivität und teilweise auch die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland unabdingbar. Der Arbeitsmarkt ist dynamisch. Ein statisches Verständnis, wonach jede heute geleistete Arbeitsstunde auch in 10 Jahren eins zu eins ersetzt werden muss, geht an ökonomischen Dynamiken vorbei, da unter anderem die Produktivität pro geleisteter Arbeitsstunde ansteigt.
Während Zuwanderung den Fachkräftemangel zu einem gewissen Teil abfedern kann, löst sie jedoch kaum die Probleme der Sozialsysteme. Dazu kommt, dass zugewanderte Arbeitskräfte auch oft Familien haben und später auch potenziell Renten beziehen werden.
Folgen des demografischen Wandels gestalten
Demografiepolitik der Bundesregierung
Nachdem in der Vergangenheit verschiedene demografiepolitische Maßnahmen in Kommunen, Bundesländern und einzelnen Bundesministerien eingeführt wurden und auch der Deutsche Bundestag von 1992 bis 2002 eine Enquete-Kommission mit dem Titel "Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik" eingerichtet hatte, bündelt die Bundesregierung die Demografiepolitik seit 2009 zentral. Im Jahr 2012 stellte die Bundesregierung eine Demografiestrategie vor. Dies ordnete die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel folgendermaßen ein: "Der demografische Wandel bedeutet neben den Fragen der Globalisierung wahrscheinlich die größte Veränderung unseres gesellschaftlichen Lebens, aber auch des persönlichen Lebens jedes Einzelnen in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts". Auf den demografischen Wandel zu reagieren und dessen Folgen zu gestalten, erfordert eine Querschnittspolitik, bei der verschiedene Ministerien relevant sind. Zudem muss diese Politik auf verschiedenen Ebenen stattfinden: Bund, Länder und Kommunen. Angesichts der Bedeutung des demografischen Wandels wurde bereits mehrfach die Forderung eines eigenen Demografieministeriums gestellt – ähnlich wie auch bei anderen Megathemen wie Klima oder Digitalisierung – bisher jedoch noch nicht realisiert.
Die Demografiepolitik wird vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) koordiniert, wobei andere Ministerien und die Landes- und Kommunalebene in die Arbeit eingebunden werden. Bei dieser politischen Koordination geht es im Kern darum, Daten zusammenzutragen, gemeinsame Ziele zu definieren, die Handlungsfelder zu benennen und sich in ressortübergreifenden Arbeitsgruppen zu organisieren. Nachdem der erste Demografiebericht im Jahr 2011 primär eine Zusammenstellung der Daten und Zahlen darstellte, wurde im Folgejahr eine erste Demografiestrategie entwickelt. In den folgenden Jahren gab es mehrere Demografiegipfel und Demografieberichte ("Bilanz" und "Radar"), auf deren Grundlage die Demografiestrategie weiterentwickelt wurde.