Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Ökonomisierung versus Regulierung? Haushalte zwischen Markt und Staat | Haushalt – Markt – Konsum | bpb.de

Haushalt – Markt – Konsum Editorial Private Haushalte - Quelle und Ziel wirtschaftlicher Aktivität Von der Selbstversorgung zum Konsum - Entwicklung und Situation privater Haushalte "Gutes Leben" oder maximaler Nutzen - ökonomische Entscheidungen im Haushalt Ökonomisierung versus Regulierung? Haushalte zwischen Markt und Staat Konsum in der sozialen Marktwirtschaft Herausforderungen und Gestaltungsoptionen für private Haushalte Literaturhinweise und Internetadressen Autorin und Impressum

Ökonomisierung versus Regulierung? Haushalte zwischen Markt und Staat

Birgit Weber

/ 28 Minuten zu lesen

Mit ihrer Kaufentscheidung regeln die Menschen auf den Märkten Angebot und Nachfrage. (© picture-alliance/AP)

Das Koordinationsproblem moderner Volkswirtschaften

In modernen Gesellschaften gibt es kaum Haushalte, die sich vollständig autark versorgen können. Angesichts anonymer Märkte und Institutionen, die bei vielen Gefühle der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins hervorrufen, gilt eine solche Selbstversorgung kleiner Gemeinschaften gewissermaßen als Traum von Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Mitmenschlichkeit. Vernachlässigt wird dabei leicht, dass bestimmte Güter und Dienstleistungen, wie zum Beispiel Krankenhäuser, Hochschulen und das Internet, kaum in kleinen Selbstversorgungsgemeinschaften realisiert werden könnten. Gesellschaften, die gänzlich autark leben, findet man heute fast nur noch bei zurückgezogen lebenden indigenen Völkern, die sich aber ebenfalls Einflüssen von außen kaum entziehen können.

Schon der Urahn der Volkswirtschaftslehre, Adam Smith, sah Arbeitsteilung - bei aller Skepsis gegenüber ihren Begleiterscheinungen - als Quelle des Wohlstands an. Sie ermöglichte es zum einen, mehr zu produzieren, als man selbst brauchte, zum anderen, die so produzierten Überschüsse gegen das zu tauschen, was man benötigte, aber nicht selbst herstellen konnte oder wollte. Indem Menschen anfingen, sich gemäß ihrer Fähigkeiten zu spezialisieren, konnten nicht nur mehr, sondern auch qualitativ bessere Produkte erzeugt und auf Märkten getauscht oder gehandelt werden. Diese Märkte schufen einerseits Voraussetzungen für einen höheren materiellen Wohlstand, günstigere Preise und höhere Qualität, erzeugten aber andererseits auch erhebliche Abhängigkeiten.

Eine Herausforderung, die sich jeder entwickelten Wirtschaftsgesellschaft stellt, ist die Entstehung und Verteilung der Güter und Dienstleistungen. Dazu müssen die knappen Produktionsfaktoren Kapital und Arbeitskraft der Produktion von Gütern zugeteilt (Allokation) und die produzierten Güter und Dienstleistungen verteilt (Distribution) werden. Würden alle wie früher das gleiche Gut herstellen (zum Beispiel Nahrungsmittel) oder sich auf den gleichen Beruf spezialisieren (zum Beispiel Landwirtschaft), blieben viele Bedürfnisse wie beispielsweise Gesundheit und Bildung unbefriedigt. Zudem ergibt sich das Problem, eine reibungslose Produktion von Gütern zu gewährleisten, die auf Vorprodukte angewiesen und mit vielen anderen Produktionen mehrstufig verflochten ist. Ganz allgemein existieren zur Lösung dieses Problems zwei Extreme:

  • In der Zentralverwaltungswirtschaft entscheiden zentrale Akteure, was in welchen Mengen produziert wird. Die Anbieter müssen diese Entscheidungen umsetzen und die Nachfrager können in diesem Rahmen Entscheidungen treffen.

  • In der Marktwirtschaft entscheiden dezentrale Akteure, was sie nachfragen und was sie anbieten. Die Lenkung der Produktionsfaktoren und die Verteilung der Einkommen erfolgen auf der Basis dieser dezentralen Entscheidungen.

Auf den ersten Blick erscheint die Koordination durch eine bewusst steuernde Hand einleuchtend. Wäre sie am Gesamtwohl interessiert, müsste sie dafür sorgen, dass die Güter und Dienstleistungen im gewünschten Ausmaß sozialverträglich und umweltschonend produziert und verteilt werden. Wie komplex solche Entscheidungen sind, verdeutlicht der zu bewältigende Informationsbedarf. Entschieden werden müsste, welche natürlichen, mineralischen, chemischen Stoffe, welche Nahrungsmittel, Kleidung, Häuser, Straßen, Maschinen in welchen Mengen, Größen und Arten produziert werden sollten und wer sie am dringendsten benötigt. Einen Eindruck über die Vielzahl des Warenangebots verschafft die Außenhandelsstatistik, in der in 99 unterschiedlichen Warengruppen circa 10000 verschiedene Warentypen aufgeführt sind. Dienstleistungen im Bereich Gesundheit, Bildung, Sicherheit, Forschung, Kultur und Entwicklung sind darin gar nicht enthalten. Die Vielfalt möglicher beruflicher Tätigkeiten verdeutlicht die Arbeitsagentur in Informationen über 6300 unterschiedliche Berufe, die nach 20 Berufsfeldern, 93 Berufsgruppen und 400 Berufsordnungen sortiert sind. Zu berücksichtigen sind zudem der dynamische Wandel der Bedürfnisse, Knappheiten oder Überschüsse an Gütern sowie die Entwicklung neuer Schlüsseltechnologien. Selbst die wohlwollendste zentrale Instanz könnte die Bedürfnisse der unterschiedlichen Wirtschaftssubjekte kaum erahnen. Sie hätte zudem erhebliche Schwierigkeiten, diesen Prozess zu steuern. Schwierig vorstellbar ist aber auch das Gegenteil: Wie können Millionen Einzelentscheidungen zu einem für alle befriedigenden Ergebnis führen?

Eigeninteresse von Angebot und Nachfrage auf Märkten

Märkte werden gemeinhin als ein effizientes Instrument zur Bewältigung von Knappheiten angesehen. Als gesellschaftliche Institutionen sollen sie die Kooperation zwischen eigeninteressierten, frei entscheidenden Akteuren zum wechselseitigen Vorteil ermöglichen. Es soll beiden Seiten dienen, wenn Nachfrager und Anbieter auf Märkten ihr eigenes Interesse verfolgen. Diese Vorstellung ist ungewöhnlich, aber nicht neu: Adam Smith hat vor mehr als 200 Jahren diesen Mechanismus als "unsichtbare" Hand charakterisiert. Er beschreibt, dass die Anbieter gar nicht beabsichtigen müssen, dem Gemeinwohl zu dienen, sondern dass sie dazu nur ihren eigenen Interessen folgen müssen.

QuellentextUnsichtbare Hand

"Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihren Egoismus und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern von ihrem Vorteil. [...] Jeder Einzelne bemüht sich darum, sein Kapital so einzusetzen, dass es den größten Ertrag bringt. Im Allgemeinen wird er wenig bestrebt sein, das öffentliche Wohl zu fördern, noch wird er wissen, inwieweit er es fördert. Er interessiert sich nur für seine eigene Sicherheit und seinen eigenen Gewinn. Und gerade dabei wird er, wie von unsichtbarer Hand geleitet, ein Ziel fördern, das er von sich aus gar nicht anstrebt; indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er das Wohl der Gesellschaft häufig wirksamer, als wenn er es direkt beabsichtigt hätte."

Adam Smith, Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, hg. v. Erich W. Streissler, übers. v. Monika Streissler, Tübingen 2005, S.98

Wenn nun die Nachfrager selbst und frei entscheiden, wie sie ihre Bedürfnisse befriedigen, wofür sie ihr Einkommen ausgeben, lenken sie über diese Entscheidungen indirekt die Produktion der Güter. Indem sie ihr Einkommen auf einzelne Bedarfskategorien, Produkte und Bezugsquellen aufteilen, bestätigen sie die Produktionsentscheidungen der Anbieter, deren Güter sie kaufen. Ob sie es wollen oder nicht, "bestrafen" sie aber auch jene, denen sie ihre Kaufkraft nicht zufließen lassen. Diese ernten weniger Gewinne oder sogar Verluste, wenn sich eine hinreichende Zahl von Verbrauchern auf Märkten gegen ihre Angebote entscheidet. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Nachfrager unter verschiedenen Anbietern wählen können. Diese müssen ihre Produktion in Umfang und Struktur an den Wünschen der Konsumenten ausrichten, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Unter dieser Voraussetzung würden auch indirekt durch die Verbraucher die Produktionsfaktoren in die gewünschte Richtung fließen und die daraus entstehenden Einkommen ebenso entsprechend verteilt werden. Dieses Modell beschreibt lediglich einen wirtschaftlichen Prozess und sagt noch nichts über die Eigenschaften der erfolgreichen Güter aus - außer dass sie Konsumentenbedürfnissen entsprechen. Auch die Beeinflussung durch Marketing und gesellschaftliche Trends spielt zunächst keine Rolle.

Bedeutung der Marktpreise

Der absolute Preis ist der in Geld ausgedrückte Wert eines Gutes oder einer Dienstleistung, der erst entsteht, wenn Anbieter und Nachfrager sich auf diesen Wert einigen und einen Kaufvertrag abschließen. Der relative Preis stellt hingegen das Austauschverhältnis zwischen verschiedenen Wirtschaftsgütern dar. Preise betreffen nicht nur Güter, sondern auch Löhne als Preis für die Arbeitskraft, Aktienkurse als Preis für Wertpapiere, Wechselkurse als Preis für Devisen und Zinsen als Preis für die Überlassung von Geld.

Um die Marktpreisbildung zu verstehen, müssen einige wichtige Annahmen zum Verhalten von Nachfragern und Anbietern berücksichtigt werden. Die Interessen von Anbietern und Nachfragern sind gegenläufig: Die Nachfrager sind prinzipiell eher an niedrigen Preisen interessiert, da sie ein begrenztes Einkommen haben, aber viele Bedürfnisse befriedigen müssen. Die Anbieter sind eher an hohen Preisen interessiert, da sie die vorgestreckten Kosten decken wollen, ihr Ertrag unsicher ist und sie schließlich mit dem Erlös auch die eigenen Bedürfnisse befriedigen wollen. Im Extremfall lohnt sich zu den von den Nachfragern gewünschten niedrigen Preisen für die Anbieter die Produktion nicht, während zu den von den Anbietern gewünschten hohen Preisen den Nachfragern das Einkommen fehlt und so sich nicht genügend Käufer finden.

Interessant wird die Marktpreisbildung, wenn das Angebot kleiner oder größer ist als die Nachfrage zu den entsprechenden Preisen.

  • Ist die Nachfrage deutlich kleiner als das verfügbare Angebot, liegt ein Angebotsüberschuss vor (Situation a). Die Anbieter müssen die Preise senken, wenn sie nicht auf ihrem Angebot sitzen bleiben wollen. Nach Senkung der Preise erhöht sich zwar die Nachfrage, für die Anbieter wird es aber zunehmend uninteressant, ihr Angebot aufrechtzuerhalten und sie ziehen sich von diesem Markt zurück.

  • Ist das vorhandene Angebot kleiner als die gewünschte Nachfrage, liegt ein Nachfrageüberschuss vor (Situation b). Die Preise können erhöht werden, und das Angebot findet trotzdem noch Interessenten. Die höheren Preise locken weitere Anbieter an, da sich die Gewinnaussichten auf diesen Märkten verbessern. So reduziert sich allmählich die Knappheit und die Preise sinken wieder, wofür auch der gestiegene Wettbewerb sorgt.

Marktpreisbildung in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage

So soll das freie Spiel der Preise die gegenläufigen Interessen der Anbieter und Nachfrager zum Ausgleich bringen und für ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage sorgen, bei dem es auf Dauer keine unbefriedigte Nachfrage und keine Lager mit überflüssigem Angebot gibt. Der Preis eines Gutes wird dabei weder durch seine Seltenheit noch durch seine Nützlichkeit oder allein durch seine Herstellungskosten bestimmt. So ist Schmuck im Vergleich zu Wasser nicht lebensnotwendig, aber trotzdem teurer. Der Gesang eines unbekannten Interpreten mag zwar gut und selten sein, trotzdem wird er kaum einen hohen Preis für seine Darbietung erzielen, weil er durch seine mangelnde Bekanntheit nicht genügend Zuhörer findet. Zu überhöhten Kosten hergestellte Produkte werden schwieriger Abnehmer finden, wenn es kostengünstigere Angebote ähnlicher Qualität gibt. Erst der Preis stellt eine Beziehung zwischen den Herstellungskosten des Anbieters und dem Wert für die Nutzer dar.

QuellentextPreisgestaltung - wohl kalkuliert

[...] General-Anzeiger: Warum kosten die gleichen Dinge oft so unterschiedlich viel?
Georg Tacke: Weil sie dem Kunden unterschiedlichen Nutzen stiften. [...] Die Markenjeans kostet in der Herstellung vielleicht nicht mehr als das namenlose Produkt. Sie verleiht dem Träger aber durch ihr besonderes Image einen zusätzlichen emotionalen Nutzen. [...]
GA: Fast alles wird zu Schwellenpreisen wie 1,99 Euro angeboten.
Tacke: Das gibt es seit Jahren, und es wird trotzdem gerne genutzt, da sich der Kunde täuschen lässt. 1,99 Euro wirkt nun einmal deutlich billiger als 2,01 Euro. Das liegt daran, dass unser Lesefluss von links nach rechts geht und daher die erste Zahl als wichtigste wahrgenommen wird. [...]
GA: Wie entscheiden sich Kunden, wenn mehrere ähnliche Produkte zur Auswahl stehen?
Tacke: Manche Waren stehen nur im Regal, damit eine andere gekauft wird. Der Kunde tendiert in der Regel zum mittleren Preis. Dafür muss immer ein teureres Produkt und ein billigeres im Angebot sein. Das funktioniert allerdings nur bei nicht alltäglichen Einkäufen, wo der Verbraucher unsicher ist.
GA: Manche Kunden kaufen aber auch gezielt teure Luxusprodukte.
Tacke: Hier gelten spezielle Regeln. Wenn der Preis für ein Luxusgut zu niedrig ist, könnte der Kunde Zweifel an der Qualität bekommen. Außerdem sinkt dann der Image-Wert. Premium-Produkte sollen rar und teuer sein. [...]
GA: Auf welche Preise achten Verbraucher besonders?
Tacke: In fast jedem Produktbereich gibt es sogenannte Signalpreise. Einzelhändler versuchen in der Regel, diese Preise besonders niedrig zu halten. Mit Preisen, die weniger Aufmerksamkeit der Kunden auf sich ziehen, erzielen sie dann die Profite. [...]
GA: Flatrates (Pauschaltarife), etwa bei Internet und Telefon, werden immer beliebter. Wer profitiert davon?
Tacke: Beide. Anbieter und Kunde. Für den Kunden sind Flatrates einfacher zu durchschauen und er fühlt sich sicherer. Billiger als Tarife mit Abrechnung nach Verbrauch sind sie nach unseren Studien allerdings selten. Dem Kunden ist die Sicherheit des konstanten Preises in der Regel den Aufschlag wert. Für das Unternehmen sind Flatrates einfacher zu vermarkten und rechnen sich dadurch, dass viele die Möglichkeiten längst nicht ausnutzen.

Georg Tacke ist promovierter Betriebswirt und seit 2006 Partner in der Bonner Unternehmensberatung Simon Kucher & Partners, [...] die als eine der weltweit führenden Unternehmensberatungen für Preisgestaltung gilt.

"Flatrates sind selten billiger", Interview mit dem Bonner Unternehmensberater Georg Tacke, in: General-Anzeiger Bonn vom 8./9. November 2008

Preise haben auch eine wichtige Informationsfunktion. Wenn die Nachfrage nach bestimmten Gütern steigt, bleibt zum gegebenen Zeitpunkt das Angebot hinter der Nachfrage zurück. Die Ware wird teurer. Diese steigenden Preise signalisieren weiteren Anbietern, dass Gewinnmöglichkeiten existieren und dass es sich lohnt, auf diesem Markt zu investieren, so dass das Angebot steigt und die Preise wieder sinken können. Beispielhaft ist dies bei Innovationen in der Kommunikationstechnologie zu beobachten. Wenn das Angebot an bestimmten Gütern knapper wird, etwa durch erhöhte Herstellungskosten, steigt der Preis ebenfalls und die Nachfrage reduziert sich. Die Anbieter müssen sich eine andere Strategie überlegen. So forcieren beispielsweise höhere Energiepreise langfristig eine steigende Nachfrage nach Gebrauchsgegenständen mit geringem Energieverbrauch.

Preise haben zudem eine wichtige Sanktionsfunktion. Anbieter, die sich schnell geänderten Bedingungen anpassen, werden durch Gewinn belohnt, denn ihre Ware findet Nachfrager. Nachzügler, die geänderte Bedingungen nicht berücksichtigen, bleiben dagegen auf ihrer Ware sitzen und müssen eventuell erhebliche Verluste hinnehmen oder sogar ganz aus dem Markt ausscheiden. Preise erfüllen damit auch eine Selektionsfunktion. Sie lenken die Produktionsfaktoren in die gewünschten Wirtschaftsbereiche (Allokationsfunktion).

Damit Marktpreise ihre Koordinationsfunktion in dieser Weise erfüllen können, sind einige wichtige Voraussetzungen nötig:

  • Für die Gleichgewichtsfunktion bedarf es eines funktionierenden Wettbewerbs, in dem weder Preisabsprachen, Monopole noch Zugangsschranken für neue Anbieter existieren.

  • Für die Informationsfunktion sind Markttransparenz und eine gewisse Stabilität des Preisniveaus erforderlich, damit Knappheit oder Überfluss auf einzelnen Märkten angezeigt werden.

  • Die Sanktionsfunktion wird nur wirksam, wenn Fehlentwicklungen bestimmten Anbietern zugeschrieben werden können und Verluste für sie spürbar sind.

Damit diese Koordination erfolgen kann, müssen die Nachfrager nicht nur zahlungsfähig, sondern auch zahlungsbereit sein.

  • Die Zahlungsfähigkeit ist durch das Einkommen begrenzt. So können sich die einen Milch für ihre Katzen, die anderen aber keine Milch für ihre Kinder leisten. In der Vergangenheit sorgte beispielsweise die steigende Nachfrage der Industrieländer nach regenerativen Energien für steigende Nahrungsmittelpreise bei Soja oder Mais in den Entwicklungsländern.

  • Die Zahlungsbereitschaft kann unter folgenden Bedingungen leiden: Wenn der Nutzen oder die Qualität der Güter gering eingeschätzt werden, ist die Zahlungsbereitschaft begrenzt. So kann zum Beispiel eine Alters- und Gesundheitsvorsorge unterbleiben, weil man seine künftigen Bedürfnisse nicht kennt, nicht weiß, ob man die Zukunft überhaupt erlebt, oder nicht sicher ist, ob der Ertrag den Aufwand lohnt. Diese Informationen über den Nutzen oder die Qualität von Gütern fehlen aber oft auch bei Gebrauchtwaren, Expertendienstleistungen oder der Gesundheits-, Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Gütern. Die Zahlungsbereitschaft ist auch begrenzt, wenn man die Güter kostenlos nutzen bzw. von ihrer Nutzung nicht ausgeschlossen werden kann. Bei Straßen oder anderen scheinbar kostenlos verfügbaren Gütern wie manchen Internetangeboten sind die Anreize, dafür private Kosten aufzuwenden, eher gering.

Darüber hinaus reagiert die Nachfrage nicht auf alle Preisänderungen gleich. Auch bei Preiserhöhungen wird sie nicht sofort eingeschränkt, wenn es sich um ein lebenswichtiges Gut handelt oder der Ausgabenanteil am Haushaltsbudget kaum merklich ist. Aber auch die Anbieter können nicht immer die angebotene Menge beliebig ändern, etwa wenn die angebotenen Güter leicht verderblich sind oder die Nachfrage jahreszeitbedingt nicht dauerhaft steigt, zum Beispiel bei Streusalz in kalten Wintern oder Ventilatoren in heißen Sommern. Die Nachfrage kann aber umso flexibler auf Preisänderungen reagieren, wenn ein Gut durch ein anderes ersetzt werden kann, etwa Butter durch Margarine oder Kartoffeln durch Nudeln. Auch langfristig betrachtet sind die Reaktionsmöglichkeiten auf Preisänderungen besser als auf kurze Sicht. Preissteigerungen bei Leistungen mit langfristigen Verträgen - zum Beispiel Energie - mögen kurzfristig nur geringe Verbrauchsänderungen zulassen. Langfristig kann die Nachfrage durch Investitionen in energiesparende Gebrauchsgüter oder Produktionsanlagen deutlich sinken.

Die Bedeutung des Wettbewerbs

Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es im Volksmund. Dieses Sprichwort kennzeichnet auch die Funktion des Wettbewerbs. Wenn mehrere Anbieter das gleiche Ziel haben und außenstehende Dritte darüber entscheiden, wer das Ziel am besten erreicht hat, besteht zwischen den Wettbewerbern Rivalität und ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Dies resultiert daraus, dass der eine Wettbewerber sein besseres Ergebnis in der Regel zu Lasten des Mitbewerbers erreicht, wenn nicht insgesamt neue Nachfragepotenziale erschlossen werden. Insofern galt der Wettbewerb dem Ökonomen Joseph Schumpeter auch als Prozess der "schöpferischen" Zerstörung. Der Wettbewerb ist als dynamisches Ausleseverfahren für die Anbieter mühsam und unbequem, weil er ihnen permanente Verhaltensänderung abverlangt: Entweder müssen sie neue Produkte oder Verfahren entwickeln (Innovation) oder einem erfolgreichen Wettbewerber folgen (Imitation). Insofern bestehen für die Anbieter Anreize, den Wettbewerb über Verhaltensabstimmung, Absprachen oder Zusammenschlüsse zu beschränken.

QuellentextEinkaufswelten 1: Nachbarschaftsläden

[...] Auf dem Lande entstehen vielerorts neue Dorfläden. Von einer regelrechten Renaissance der Nahversorgung in Deutschland spricht Wolfgang Gröll, der für die Unternehmensberatung BBE arbeitet und schon mehr als 100 solcher Projekte begleitet hat. Die Gesamtzahl der modernen Tante-Emma-Läden schätzt Gröll auf bundesweit bis zu 250, mit einem Schwerpunkt in Süddeutschland, wo sich kleinteilige Strukturen noch besser erhalten haben als im Norden oder im Osten des Landes. Jedes Jahr kämen, so Gröll, etwa zwanzig Läden dazu. Sie firmierten als GmbHs, Vereine oder Genossenschaften, manchmal mit direkter Beteiligung der jeweiligen Kommune. Allen gemeinsam sei, dass die Bürger selbst die Initiative ergriffen und Geld aufgetrieben hätten, um einen Grundstock für die Anfangsinvestition zu legen. "Ohne die Unterstützung der Menschen läuft gar nichts", sagt Gröll, der aber auch Wert auf einen soliden Geschäftsplan legt. Oberstes Ziel sei allerdings nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Wiederherstellung der Nahversorgung zu günstigen Preisen. Da reiche in der Bilanz oft eine "schwarze Null".
Die Nachbarschaftsläden stemmen sich gegen den Trend zu immer weniger und dafür immer größeren Flächen im Einzelhandel, von denen sich die Lebensmittelketten im harschen Preiskampf Kostenvorteile erhoffen. Seit 1970 ist die Zahl der kleineren, oft von den Inhabern selbst geführten Geschäfte von 125000 auf 25000 zurückgegangen. Die Betreiber fanden keine Nachfolger oder waren schlicht nicht konkurrenzfähig. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Lebensmittelgeschäfte hat sich halbiert. Gewinner waren vor allem die Verbrauchermärkte und Discounter auf der "grünen Wiese". Orte, die weniger als 5000 Einwohner haben, sind meist uninteressant.
Zugleich hat sich auch das Einkaufsverhalten der Bürger geändert. Man "geht" nicht mehr, man fährt einkaufen. Die für Einkaufsfahrten zurückgelegte Wegstrecke hat sich nach einer Studie des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) allein von 1982 bis 2002 auf 444 Millionen Kilometer verdoppelt. Besonders stark ist die Konzentration im Osten der Bundesrepublik. Dort liegt der Versorgungsgrad mit kleineren Lebensmittelfachgeschäften bei nur einem Drittel des bundesweit Üblichen. "Ausgeprägte Versorgungsdefizite" ermittelte eine von der sächsischen Landesregierung in Auftrag gegebene Studie für 14 Prozent aller Gemeinden. Hier sei eine "zukünftig immer älter werdende Bevölkerung mit abnehmender Mobilität" nicht mehr in der Lage, ihre Nahversorgungsansprüche abzudecken. [...]
Dass der Niedergang der Nahversorgung kein unabweisbares Schicksal sein muss, wurde jüngst [...] höchstrichterlich bestätigt. Nach einem im Dezember 2009 ergangenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist die Errichtung von Discountmärkten nicht zulässig, wenn dadurch alteingesessene Geschäfte in der Nachbarschaft geschädigt werden können. Geklagt hatte unter anderem der Lebensmitteldiscounter Aldi. Die Stadt Köln versagte dem Konzern eine Baugenehmigung mit der Begründung, dass durch den neuen 700 Quadratmeter großen Markt eine Ansammlung von Geschäften in der unmittelbaren Nachbarschaft gefährdet sei, die die Nahversorgung der Bewohner sicherstelle. [...]
So manchem ist das Engagement der öffentlichen Hand [...] ein Dorn im Auge. Christian Mieles, Geschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels, hält wenig von "subventionierten" Dorfladenkonzepten. "Man sollte das denen überlassen, die das aus eigener Kraft wirtschaftlich stemmen können." Der Verbandsfunktionär verweist auf "moderne Supermarktformate" etwa von Rewe und Edeka. Mit kleinflächigen "Nachbarschaftsmärkten" wollen die Konzerne auf eine alternde Bevölkerung, steigende Mobilitätskosten und wachsendes Umweltbewusstsein reagieren und die Nahversorgung verbessern.
Für das IÖW lässt sich die prekäre Situation damit kaum verbessern. In einer Studie zur Nahversorgung im ländlichen Raum loben seine Experten die Selbsthilfe der Bürger und fordern staatliche Eingriffe im Sinne der "Konsumentenwohlfahrt", etwa eine "Nahversorgungsabgabe" für die großen Filialisten, mit denen ein Fonds zur Verbesserung der Nahversorgung finanziert werden könnte. "Marktorientierte Ansätze" wie die Entwicklung von Kleinformaten durch den Einzelhandel hätten sich "bislang als nicht hinreichend" erwiesen.

Georg Etscheit, "Selbst ist der Kunde", in: Die Zeit Nr. 29 vom 17. Juli 2010

Der Wettbewerb zwingt zur beständigen Überprüfung des eigenen Angebots im Blick auf die anderen Wettbewerber und auf die Nachfrage. Er nötigt dazu, beständig die Leistung bzw. das Produkt zu verbessern, über die Existenz und die Vorzüge des eigenen Produktes oder auch des eigenen Unternehmens zu informieren, bessere Absatzwege und -formen zu suchen, Preise zu senken oder Konditionen und Rabatte zu geben. Um die Kosten für solche marktorientierten Strategien zu tragen, sind die Wettbewerber auch beständig gezwungen, die Produktionsverfahren und die Kombination der Produktionsfaktoren auf ihre Effizienz zu überprüfen. So soll der Wettbewerb dafür sorgen, dass

  • die Einkommensverteilung nach Marktleistung erfolgt (Verteilungsfunktion),

  • die Produktion nach den Präferenzen der Käufer erfolgt (Steuerungsfunktion) und

  • die Produktionsfaktoren in ihre günstigsten Einsatzmöglichkeiten gelenkt werden (Allokationsfunktion).

Der Wettbewerb soll zudem die Dynamik ermöglichen, dass

  • sich Produktion und Produktionskapazitäten beständig an Veränderungen der Angebots- und Nachfragebedingungen anpassen (Anpassungsfunktion) und

  • der technische Fortschritt sich durchsetzt (Innovationsfunktion).

Schließlich soll er verhindern, dass es zu dauerhaften wirtschaftlichen und politischen Machtpositionen kommt. Die Konsumenten sollen vom Wettbewerb durch günstigere Preise und eine bessere Qualität profitieren. Da der Wettbewerb für die Anbieter unbequem und lästig ist, muss der Staat für seine Erhaltung sorgen. Modellhaft veranschaulicht wird die Spannbreite der Möglichkeiten durch zwei Extreme:

  • Die vollständige Konkurrenz ist dadurch gekennzeichnet, dass viele Anbieter und viele Nachfrager existieren, die bei Preisänderungen die nachgefragte bzw. angebotene Menge ändern, den Markt aber selbst kaum beeinflussen können.

  • Das Monopol ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Anbieter mit Marktmacht den Preis allein setzen kann. Dabei muss er allerdings auch mögliche Neuanbieter berücksichtigen oder den Ersatz seines Produktes durch ein anderes.

QuellentextEinkaufswelten 2: Warenhäuser

Täglicher Kampf ...
[...] [D]em Niedergang der Branche [...] stemmt sich das Warenhaus bislang noch einigermaßen erfolgreich entgegen. Wir wollten wissen, wie das geht, [...] und deswegen sind wir nach Köln gereist in die Hohe Straße [...].
[...] [I]m Erdgeschoss findet gerade eine private Party statt. Schlutzkrapfen mit Blutwurst und Röstzwiebeln werden serviert und einiges andere mehr. Es stellt sich dann aber heraus, dass es gar keine Party ist, und eine private schon gar nicht. Jeder ist willkommen bei dieser Präsentation Kölscher Köstlichkeiten, und wenn er anschließend bei einem Bummel durchs Haus noch ein paar Euro dalässt für ein Hemd oder ein Parfüm, ist er womöglich sogar noch willkommener. [...] Ohne Erlebnis oder Events, wie man ja heute sagen muss, geht es offenbar auch im Warenhaus nicht mehr. Der alte, biedere Generalist von früher, dessen Stolz und Selbstverständnis darin bestand, dass er vom Nagel bis zum Ehebett so ziemlich alles Verkaufbare unter einem großen Dach vereinte, existiert nicht mehr.
[...] Positiv denken, positiv reden, man meint die Stimme des Ausbilders zu hören, aber wenn man lange genug mit den Warenhausmenschen spricht, dann dringt auch noch etwas anderes durch - zum Beispiel der Druck, unter dem alle stehen [...]. Sie wissen ja [...], obwohl sie auch das nie so formulieren würden, dass der Konsument anders als früher heute ein sehr schwieriger und launischer Zeitgenosse ist. Er kauft mal hier, mal da, er will Schnäppchen, aber auch Marken. Nie weiß man, will er beraten oder in Ruhe gelassen werden, arbeitet er seinen Einkaufszettel ab oder lässt er sich vom plötzlichen Impuls leiten. [...] Der Kunde als Rätsel, eigentlich gar nicht zu fassen, und doch ist genau das die Aufgabe - ihn zu fassen zu kriegen und möglichst auch noch ans Haus zu binden.[...]
Die meiste Zeit ist es mehr Kampf, und zwar einer an solchen Fronten, an denen die Sätze mit dem Verb "müssen" gebildet werden. In der Hohen Straße müssen sie jede Woche ein neues Thema für den Lichthof haben, aber sie müssen auch jetzt, im Frühsommer, schon wissen, was das "Trendthema" an Weihnachten sein wird. Sie müssen dauernd ihre Entscheidungen von gestern in Frage stellen, müssen allem hinterherhecheln, was sich als Trend entpuppen könnte und müssen jederzeit im Auge haben, ob sich die Ware auch schnell genug verkauft. Drehen sagen sie dazu, eine Ware muss sich schnell drehen, und heute kennen sie die Drehzahl für jede Abteilung. Textilware sollte sich am Ende des Jahres mindestens vier Mal gedreht haben, also vier Mal ausverkauft gewesen sein. Bei der jungen Mode muss die Drehzahl höher sein, denn da kommt alles darauf an, das Kaufinteresse durch schnelle Wechsel wach zu halten. Es sind gewaltige Warenströme, die da punktgenau gesteuert werden müssen, die moderne Technik macht es möglich.
[...] Alles hat dem Shoppen zu dienen, und damit es seine Anziehungskraft nicht verliert, werden sie [...] nicht nachlassen auf ihrer Jagd nach allem, was neu ist, aktuell und möglichst exklusiv. [...]

Stefan Klein, "Po-up-Hosen und andere Notwendigkeiten", in: Süddeutsche Zeitung vom 3. Juni 2009

... wahrgenommene Chancen
[...] Während sich die Republik über den angeblichen Niedergang der Kaufhäuser erregt und Bürgermeister, die zuvor jahrelang Händlern auf der grünen Wiese den roten Teppich ausrollten, den Teufel in Gestalt verödeter Innenstädte an die Wand malen, hört man von mittelständischen Kaufhausbetreibern [...] keine Klagen. [...]. [Diese] gibt es in vielen deutschen Klein- und Mittelstädten von Bad Tölz bis Stralsund. Auf etwa 200 Unternehmen mit rund 300 Standorten schätzt Dirk Funck die Zahl der mittelständischen Warenhäuser. [...] Funck ist Geschäftsführer Sale & Service der EK/servicegroup. Die Bielefelder Firma berät Handelsunternehmen vom klassischen Fachhändler bis zum Großmarkt vor der Stadt. Ein Schwerpunkt sind die mittelständischen Warenhäuser. [...]
Kaum ein Haus gleicht dem anderen. Manchmal führt dies dazu, dass ein Warenhaus nur noch "Fashion"-Artikel führt und sich zum Textilhaus wandelt. Andere Kaufhäuser bieten nur noch zwei, drei Produktkategorien an oder vermieten ihre Flächen nach dem "Shop-in-Shop-Prinzip" an Spezialisten und ähneln dadurch immer mehr einem Shoppingcenter.
Die Frage, ob man dann noch von einem Warenhaus sprechen kann, hält der Experte für akademisch. [...] "Ein wesentliches Problem liegt in der Zusammenstellung der Sortimente. Wenn ich im Kaufhaus in Garmisch-Partenkirchen keine Trachten und in Cuxhaven keine Gummistiefel finde, muss etwas falsch laufen." [...]
"Wir richten uns konsequent nach dem, was unsere Kunden wollen", sagt ein Unternehmenssprecher. [...] "Wir können schnell mal etwas aus dem Sortiment werfen, was nicht läuft. Aber dazu muss man wirklich im Geschäft stehen." [...]
Joachim Stumpf von der BBE Handelsberatung in München sieht keinen Grund, ein vorschnelles Requiem auf das Warenhaus anzustimmen. Allerdings komme die Branche um eine Bereinigung ihrer Flächen nicht herum. Der Marktanteil der Kaufhäuser am Gesamtumsatz im stationären Einzelhandel ging in den vergangenen Jahren zugunsten von Discountern und Fachmärkten kontinuierlich zurück und liegt derzeit bei 3,2 Prozent. Die Verkaufsfläche schrumpfte aber nicht im gleichen Maße. [...]
Dirk Funck [...] glaubt, dass zentral gelenkte Warenhäuser lediglich in Großstädten überlebensfähig seien. Nur dort gebe es große, relativ homogene Käuferschichten. Je kleiner und differenzierter der Bedarf werde, umso stärker müssten sich die Häuser auf die lokale Kundschaft und ihre sich ständig wandelnden Bedürfnisse einstellen. [...]

Georg Etscheit, "Und es klappt doch. Mittelständische Kaufhäuser machen Hertie und Karstadt vor, wie man der Krise trotzen kann", in: Die Zeit Nr. 45 vom 29. Oktober 2009

Beide Extreme sind in der Realität selten. Auf den meisten Märkten herrscht unvollkommener Wettbewerb. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn wenige Unternehmen das gleiche Gut anbieten und gemeinsam über einen hohen Marktanteil verfügen (Oligopol) oder wenn die Angebote sich durch ihre Eigenschaften oder ihre standortspezifische Verfügbarkeit unterscheiden, die Güter also nicht homogen sind. Dennoch kann der Wettbewerb funktionieren, wenn Produktverbesserungen oder Preissenkungen eines Unternehmens zu Folgereaktionen anderer führen, damit diese keine Marktanteile verlieren. Der Wettbewerbsdruck hat auch zur Folge, dass die Unternehmen versuchen, das eigene Produkt unverwechselbar erscheinen zu lassen. Dabei reicht es zur Wettbewerbsminderung durchaus, wenn Produktunterschiede nur in der Wahrnehmung der Konsumenten existieren. Bringen die Verbraucher einem Markenprodukt ein größeres Vertrauen entgegen, reagieren sie auch auf eine Preiserhöhung nicht direkt mit Abwanderung.

QuellentextEinkaufswelten 3: Urbane Malls

[...] Seit in den 60er und 70er Jahren allerorts die Fußgängerzonen sprossen, und seit aus dem Einkauf für den täglichen Bedarf die postmoderne Freizeitbeschäftigung Shopping geworden ist, bemächtigt es sich mehr und mehr unserer urbanen Welt. Bereits 1920 hatte der Soziologe Max Weber festgestellt, dass Markt und Handel erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Städte wirtschaftlich und politisch autonom sein können; sie seien insofern konstituierend für das Gemeinwesen Stadt.
[...] Achtzig Prozent unserer Einkäufe haben, wie die Demoskopie zu vermelden weiß, nichts mit der Grundversorgung zu tun. Stattdessen wollen wir etwas erleben. Doch das Geschäft läuft nicht (mehr), wenn die Anmutungen, wenn die atmosphärischen Qualitäten in der Nachbarschaft nicht stimmen. Nicht mehr die grüne Wiese [...], sondern die Innenstadt ist die Perspektive der avancierten Einkaufscenter. Die zeitgenössische Handelsarchitektur sucht nun eben jenes städtische Milieu, das die industrielle Handelskultur weithin überwunden glaubte. Und plötzlich ist der öffentliche Raum ein Standortkriterium.
Allerdings handelt es sich um einen "public space" eigenen Formats, optimal gestaltbar durch den Handel allein. Introvertiert und einem eigenwilligen Verständnis von Stadt folgend, treten die Malls in Konkurrenz zum traditionellen Bild von Stadt. Das gilt bedingt für die "Fünf Höfe" in München, gleichermaßen aber für die "Schloss-Arcaden" in Braunschweig oder den "Limbecker Platz" in Essen.
Vergleichbares findet auch im Wettbewerb der mittelgroßen Städte statt; so werden etwa in Osnabrück, in Oldenburg, in Hameln und in Celle zur selben Zeit riesige "Einkaufsparadiese" realisiert, die sich jeweils mitten in die gewachsenen Strukturen zwängen. Was wiederum, so unausweichlich wie folgenschwer, die Umland-Gemeinden dazu nötigt, ihre Flaniermeilen herauszuputzen und verstärkt die Kundschaft im Ort zu halten. [...]
Die perfekt gestylten (Innen)Räume des Shopping verändern die städtische Sphäre, wie umgekehrt die neuen Raumangebote unser Alltagsverhalten verwandeln. Es ist allerdings nicht frei von Ironie, dass ausgerechnet Victor Gruen - jener in die USA emigrierte österreichische Architekt, der 1956 mit dem Southdale Center in Minneapolis die erste "Shopping Mall" entwarf und damit als deren Erfinder gilt - etwas ganz anderes im Sinn hatte als reine Konsumtempel. Er wollte neue Zentren städtischer Lebenskultur in die suburbanisierten USA pflanzen, er wollte neuzeitliche Formen der Agora schaffen, umgeben von Häusern, Schulen, einem Krankenhaus, Park und ein See in gleichsam kleinstädtischer Harmonie.
Leider aber ist diese Idee quasi an ihrem eigenen kommerziellen Erfolg erstickt. Ihren bisherigen Höhepunkt fand sie in der Mall of America in Minneapolis, entworfen von Jon Jerde, dem bedeutendstem Trendsetter hin zu den so genannten "Lifestyle centers".
Auch wenn - an solchen Vergleichen gemessen - die Center hier zu Lande eher in einem Bonsai-Format daherkommen, so boomen sie doch unaufhörlich: Die Zahl derjenigen, die mindestens eine Verkaufsfläche von 10000 Quadratmetern aufweisen, stieg von 93 im Jahr 1990 auf 372 im Jahr 2006; und trotz einer leichten Abschwächung ist kein Ende des Trends abzusehen. Ähnlich ausgeprägt ist jedoch die Kritik an ihnen - als ästhetisch-sterile, funktional-monotone, bloße Simulationen von Stadt. [...]
Zeig mir, wo du kaufst, und ich sag dir, wer du bist: Der Strukturwandel im Einzelhandel verändert nicht nur die Konsumwelt, sondern auch die Stadtkultur. Wenn seitens der Architektur- und Stadtkritik nur Zeter und Mordio geschrieen wird, dann ist das insofern ärgerlich, als sie sich nie ernsthaft mit den Bedürfnissen der Einzelhändler und ihrer Kunden beschäftigt hat. Weswegen man sich auch nicht wundern muss, dass Kaufhäuser und Einzelhandelszentren zunächst einmal von Handelslogistikern konzipiert werden, die genau zu wissen glauben, was König Kunde wünscht: Zugänglichkeit, Bequemlichkeit, Sauberkeit.
Bislang haben Urbanisten und Architekten die Welt des Konsums zumeist verachtet. Hingegen kommt es darauf an, sie zu verändern. Muss man sich doch der Einsicht beugen, dass die Wiederbelebung von Stadt unter heutigen Bedingungen wohl nur von den konsumbasierten öffentlichen Räumen ausgehen kann. Schon jetzt betätigt sich der "Markt" als der unsichtbare Architekt unserer Städte. Umgekehrt scheint noch längst nicht ausgemacht, welchen Beitrag das Shopping für den Urbanismus zu leisten imstande ist. Und wer welche Bedingungen dafür formuliert.

Robert Kaltenbrunner, "Laufende Geschäfte. Wie das Einkaufen die zeitgenössische Urbanität zugleich bedingt und verändert", in: Frankfurter Rundschau vom 17. April 2009

Monopole dürfte es nach diesen modellhaften Idealvorstellungen eigentlich gar nicht geben, denn hohe Gewinne müssten Konkurrenten auf den Markt locken. Sie bilden sich nur, wenn Konkurrenten der Zutritt zum Markt erschwert wird. Einige Marktzutrittsschranken werden vom Staat selbst geschaffen. So sollen Patente dafür sorgen, dass jahrelange Arbeit zur Erfindung neuer Produkte nicht sofort dadurch entwertet wird, dass sie ein anderer kopiert. Qualifikationsanforderungen zum Beispiel bei akademischen freien Berufen sollen die Nachfrager vor unqualifizierten Anbietern schützen. Vor allem im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung, zum Beispiel bei Elektrizität und Telekommunikation, galten Monopole lange Zeit als unvermeidbar, da es unrentabel und unsicher erschien, mehrere Netze miteinander konkurrieren zu lassen. Die Anbieter erhöhen natürlich auch selbst die Marktzutrittsschranken, indem sie ihre Produktionsgeheimnisse streng wahren. Wenn die Konsumenten sich über die Produkteigenschaften kaum angemessen informieren können und höhere Preise mit höherer Qualität assoziieren, wird es für Neueinsteiger schwierig. Marktneulinge können überdies durch Kampfpreise oder Überschusskapazitäten abgeschreckt werden. Auch durch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen können die Kosten der Konkurrenz erhöht werden, etwa durch Alleinverkaufsrechte, die Händlern exklusive Angebotsrechte gewähren (zum Beispiel bei Brauereien), durch Ausschließlichkeitsverträge, die Händlern verbieten, Konkurrenzprodukte zu verkaufen (zum Beispiel bei Franchise-Unternehmen), durch Preisbindungen, die den Händlern Listenpreise vorschreiben (beispielsweise bei Büchern), oder durch Koppelungsgeschäfte, die den Konsumenten zumuten, neben dem gewünschten Produkt Folgeprodukte beim gleichen Hersteller zu kaufen (zum Beispiel Druckerpatronen). Die Grenzen zwischen legalen und illegalen Praktiken sind dabei fließend.

QuellentextEinkaufswelten 4: Flagshipstores

[...] Deutschlands große Marken wie Nivea, Maggi, Dr. Oetker und Ritter Sport haben einen neuen Trend ausgemacht (oder kreiert): Sich offline zu präsentieren. [...] Am Gendarmenmarkt in Berlins Mitte hat vor drei Monaten Ritter Sport seinen weltweit ersten Flagshipstore eröffnet. [...]
Auch hier fragt man sich natürlich, wer so einen Laden braucht, wo man doch Ritter Sport in jedem Lidl kaufen kann, und Schokohauschef André Behnisch ist so ehrlich, zuzugeben: "Wir sind auch freudig überrascht über die große Resonanz." [...]
Herr Behnisch spricht von einem "Gefühl der Herzlichkeit", wenn er das Erfolgsrezept des Ritter-Sport-Geschäfts beschreiben soll. Man habe sich auch bewusst gegen Wi-Fi-Zonen entschieden: "Wir wollen nicht, dass jeder nur in sein Laptop starrt. Wir wollen das Menschliche, dass die Leute miteinander reden." Da sind sie wieder, die kalten Computer und die warmen Waren! "Die Leute haben die virtuellen Welten satt", sagt Herr Behnisch. "Sie wollen riechen, fühlen, schmecken."
Lutz Engelke sitzt im Büro seiner Berliner Triad-Projektgesellschaft und soll über Dr. Oetker reden. [...] Triad hat [in Bielefeld] ein Museum und eine Erlebniswelt für die Backfirma entwickelt, in der man durch Kuchenlandschaften wandern und in einem Rezeptegarten Rezepte pflücken kann. Ursprünglich wollten die Chefs des Familienbetriebs nur ein kleines Museum für Geschäftskunden haben, Engelke aber bestand auf einem Erlebnispark - seitdem wird Dr. Oetker in Bielefeld überrannt von Touristengruppen, die busweise angekarrt werden.
Engelke [...] sagt: "In Zeiten, in denen die Welt auseinanderfällt, sehnen sich die Menschen nach Authentizität. Die Erlebniswelten von Dr. Oetker, Ritter Sport und Nivea sind das Gegenteil von einem Knopfdruck."

Thorsten Schmitz, "Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein. In die Schoko-Boutique zu Ritter Sport oder zur Massage ins Nivea-Land? Das Konzept Flagshipstore", in: Süddeutsche Zeitung vom 19. April 2010

Bedeutung des Privateigentums

Dem Privateigentum wird in Marktwirtschaften ebenfalls eine besondere Funktion zugedacht, ohne die die Sanktionsfunktion der Preisbildung sich nur unzureichend entfaltet. Die positive Funktion des Privateigentums gegenüber dem Gemeineigentum sehen viele Ökonomen vor allem darin, dass der Einzelne sparsam, sorgfältig und effizient mit seinen eigenen Ressourcen umgeht und für ihren Erhalt sorgt. Angenommen wird, dass die Möglichkeit, Eigentum zu bilden und sich die Erträge anzueignen, die Leistungsbereitschaft und die Motivation fördert, das eigene Eigentum optimal einzusetzen, ohne dass äußere Kontrolle notwendig ist. Mit dem Eigentum verfügt man gleichzeitig auch über die Macht und die Freiheit, Verträge wirtschaftlich unabhängig abschließen zu dürfen. Allerdings funktioniert dies nur, wenn die Eigentümer auch für verursachte Probleme haften müssen, wenn sie die Folgen des Handelns durch Wertsteigerung oder -verlust auch selbst spüren.

QuellentextEinkaufswelten 5: Preiskampf im Lebensmittelmarkt

Der letzte große Streit liegt erst wenige Tage zurück: Da sorgte der Discounter Aldi mit der Einführung von neuen Backshops in seinen Filialen für Aufregung. Die Bäcker gehen sogar mit juristischen Mitteln gegen Aldi vor. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks hatte beim Landgericht Duisburg Klage wegen irreführender Werbung für Brot und Brötchen eingereicht. Die Bäcker halten die Werbung, es gebe bei Aldi nach kurzer Wartezeit frisch gebackenes Brot und Brötchen aus dem Ofen, für Verbrauchertäuschung. Aldi wehrt sich.
Es ist das klassische Vorgehen von Aldi und anderen Discountern, um Märkte zu besetzen: Neue Produkte zu unschlagbar günstigen Preisen, Konkurrenten werden so aus dem Markt gedrängt. So funktioniert das Prinzip Billig, das den gerade verstorbenen Aldi-Gründer Theo Albrecht und seinen Bruder Karl groß gemacht hat. Noch immer sind die beiden Schwesterunternehmen Aldi Nord und Aldi Süd, die Deutschland untereinander aufgeteilt haben, in Deutschland Marktführer. Doch die Konkurrenten gewinnen an Boden.
Zum einen ist der Wettbewerb mit Lidl nach wie vor hart. Zum anderen beobachten Experten, dass Kunden wieder verstärkt in klassische Lebensmittelläden gehen [...]. Diese setzen selbst nun auf günstigere Handelsmarken in ihrem Sortiment. [...] Der klassische Lebensmittelhandel entwickle derzeit neue Konzepte und mache viel Werbung. Gerade Edeka und Rewe machen Aldi auch noch direkt mit den eigenen Günstig-Ketten Netto und Penny-Markt Konkurrenz und gewinnen Marktanteile. Die Edeka-Gruppe hatte zuletzt investiert, große Teile von Plus übernommen und mit Netto zusammengeführt. Die neue Gruppe macht mit einem großen Angebot und guten Innenstadtlagen Punkte. So ist aus dem Zweikampf Aldi gegen Lidl ein Dreikampf mit Netto geworden.
[...] Der Konkurrenzkampf ist hart, die Wettbewerber versuchten über immer neue Preissenkungen Anteile zu gewinnen. So gingen die Preise bei den Discountern 2009 um durchschnittlich 2,6 Prozent zurück - zur Freude der Verbraucher.

Caspar Busse, "Prinzip Billig", in: Süddeutsche Zeitung vom 30. Juli 2010

Unter diesen Bedingungen gilt Privateigentum als Anreiz, durch die Mehrung des eigenen Wohlstands auch den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand zu steigern. Aufgrund der Gewerbe- und Vertragsfreiheit können andere von der Nutzung ausgeschlossen werden, es können aber auch Rechte übertragen werden. In Abhängigkeit von diesen Rechten verändern sich allerdings auch die Anreize und die Motivation, sorgsam mit dem Eigentum umzugehen: Wenn jemand viele Wohnungen hat, aber nicht alle nutzen kann, ist es für ihn sinnvoll, Wohnungen zu vermieten. Sie bleiben in seinem Eigentum, er kann sich auch die Erträge aneignen, aber andere erhalten Nutzungsrechte und sind möglicherweise weniger am Erhalt der Güter interessiert.

In jeder Gesellschaft ist die Eigentumsordnung, die die Verfügungsrechte über wirtschaftliche Güter regelt, ein entscheidendes Kriterium für die Wirtschaftsordnung. Nach Artikel 14 des Grundgesetzes wird in Deutschland das Eigentum gewährleistet, seine Schranken werden durch Gesetze bestimmt, während sein Gebrauch dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Zwar werden dem Privateigentum viele positive Anreize zugeschrieben, doch gibt es auch Kritik daran. Sie richtet sich vor allem darauf, dass sich eine ungleiche Vermögensverteilung aufgrund unterschiedlicher Startchancen selbst verstärkt. Die ursprüngliche Ressourcenverteilung muss auch nicht freiwillig oder leistungsgerecht erfolgt sein, sondern kann auf Zufällen, Raub oder Willkür beruhen. Ungleiche Eigentumsverhältnisse haben auch Informations- und Machtungleichgewichte mit unterschiedlichen Chancen der wirtschaftlichen und politischen Einflussnahme zur Folge.

QuellentextSoziale Gerechtigkeit durch faire Kooperation

[...] [Der amerikanische Philosoph John] Rawls [1921 - 2002] hat erstmals in der Geschichte der politischen Philosophie einen liberalen Egalitarismus entwickelt [...] und plädiert über die rechtliche Gleichheit hinaus auch für (weitreichende) ökonomische und soziale Gleichheit. [...]
Der oberste Grundsatz, aus dem Rawls seine Gerechtigkeitstheorie ableitet, ist die Idee der fairen Kooperation. [...] Faires Verhalten heißt, die Regeln der Kooperation, auf die andere sich verpflichten sollen, für sich selbst gelten zu lassen. Diesen Grundsatz überträgt Rawls auf die Ordnungsprinzipien der Gesellschaft: "Der Grundgedanke ist: Wenn sich mehrere Menschen nach Regeln zu gegenseitig nutzbringender Zusammenarbeit vereinigen und dabei ihre Freiheit zum Vorteil aller beschränken müssen, dann haben diejenigen, die sich dieser Beschränkung unterwerfen, ein Recht darauf, dass das auch die anderen tun, die Vorteil davon haben. Man darf bei der Zusammenarbeit nicht die Früchte fremder Anstrengung in Anspruch nehmen, ohne selbst einen fairen Teil beizutragen." [...]
Aus dem Fairnessprinzip [...] leitet Rawls seine zwei berühmten Grundsätze der Gerechtigkeit ab:
1. "Jedermann soll gleiches Recht auf das umfassendste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist."
2. "Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offenstehen." [...]
Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz ist das Freiheitsprinzip. [...] Den zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz nennt Rawls "Differenzprinzip"; wir können ihn auch als Gleichheitsprinzip bezeichnen, weil er die zulässige Gleichheit oder Ungleichheit in der Verteilung der von Rawls so genannten Grundgüter (primary social goods) regelt, [...]. Als die wichtigsten Grundgüter nennt er Rechte, Freiheiten und Chancen sowie Einkommen und Vermögen. Was diese Güter zu Grundgütern macht, ist ihre Funktion. Sie stiften nicht einfach nur einen Nutzen, sondern sie stellen Ressourcen für den Gebrauch der individuellen Freiheit zur Verfügung. [...] Betrachten wir nun den zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz genauer. Er formuliert nicht positiv, in welcher Hinsicht Gleichheit geboten ist, sondern beschreibt umgekehrt die Bedingungen, unter denen Ungleichheit gerecht sein kann [...]:
1. Die Ungleichheit muss sich [...] für jedermann vorteilhaft auswirken. Bei diesem Aspekt geht es Rawls also um die Gerechtigkeit der Güterverteilung (im Sinne der Verteilung der Grundgüter).
2. Alle sozialen Positionen und Ämter müssen für jedermann zugänglich sein. Hier geht es also um die gerechte Verteilung der Chancen. [...]
Rawls versteht sie als reale Chancengleichheit [...] und nicht nur als formale oder rein rechtliche Gleichberechtigung. [...] Erforderlich ist daher - so Rawls - vor allem ein umfassendes Bildungssystem für alle, das Klassenschranken beseitigt. Er ist aber noch radikaler. Auch wenn alle gesellschaftlich bedingten Ungleichheiten der Chancen (weitgehend) ausgeglichen sind, verhindern Unterschiede in den natürlichen Begabungen, dass die unterschiedlichen sozialen Positionen wirklich für jedermann zugänglich sind. Genau dies als gerecht anzuerkennen, lehnt Rawls strikt ab [...]. Allerdings leitet Rawls aus seinem radikalen Begriff von Chancengleichheit keine konkreten politischen Forderungen ab. [...] Er lässt es dabei bewenden, dass die gesellschaftlich bedingte Ungleichheit der Chancenverteilung beseitigt werden muss und findet sich im Übrigen damit ab, dass familiär und natürlich bedingte Ungleichheiten nicht abgeschafft werden können. Man kann aber annehmen, dass Rawls [...] sozusagen kompensierend ein relativ strenges egalitäres Kriterium für die gerechte Güterverteilung gewählt hat. [...] Ökonomische und soziale Ungleichheit ist nur dann gerecht, wenn die Ungleichheit für alle Beteiligten, besonders für die relativ am schlechtesten Gestellten, vorteilhafter ist als die Gleichheit. [...] Gerechtigkeit besteht dann letztlich im optimalen Ergebnis für diejenigen, denen es relativ am schlechtesten geht. [...]
Rawls lässt in seinen Grundsätzen der Gerechtigkeit den Aspekt der Leistung oder des Verdienstes weitgehend unberücksichtigt. [...] So wenig Rawls sich mit dem Problem aufhält, ob nicht vielleicht die Erfolgreichen ihren Erfolg wenigstens zum Teil selbst verdient haben könnten, so wenig spielt für ihn eine mögliche Mitverantwortung der Erfolglosen für den eigenen Misserfolg eine Rolle [...]; für ihn fällt das Sozialprodukt als Resultat der ökonomischen Kooperation sozusagen als Pauschalsumme zu Händen der politischen Gemeinschaft an und diese hat dann das Recht und die Pflicht, [...] sie nach fairen Kriterien auf ihre Mitglieder zu verteilen. [...]

Thomas Ebert, Soziale Gerechtigkeit, Bonn 2010, S. 222ff.

Grenzen des Marktes

Die bisherigen Annahmen zur Marktpreisbildung, zum Wettbewerb und zum Privateigentum zeigen, wie die Verteilung knapper Produktionsfaktoren auf die gewünschte Produktion idealerweise gelingen sollte. Angemessene Steuerungsanreize und individuelle Entscheidungsfreiheit sollen sich produktiv ergänzen. Die Koordination über den Markt benötigt auf den ersten Blick keine Eingriffe in die persönliche Freiheit, da der Einzelne am besten weiß, was er braucht. Er kann seine Bedürfnisse angemessen einschätzen und weiß, was für deren Befriedigung sinnvoll ist. Die wettbewerblichen Marktmechanismen halten die unterschiedlichen Interessen in Schach und sollen dafür sorgen, dass einerseits effizient mit knappen Gütern umgegangen und andererseits den Bedürfnissen der Verbraucher Rechnung getragen wird, so dass die Verfolgung des Eigeninteresses gleichzeitig dem Gesamtwohl dient.

Damit eine solche Wirtschaftsordnung tatsächlich funktioniert, sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich. Zur Sicherung von Leistungsanreizen bedarf es der Sicherung des Wettbewerbs und der Gewährleistung von Eigentumsrechten. Der Preismechanismus muss sich entfalten können, wofür es auch einer gewissen Preisniveaustabilität bedarf, damit die Signale über Knappheit und Überschuss wirksam werden. Unter diesen Bedingungen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein beispielloses Wachstum der Produktion entfaltet, das vielfältige Möglichkeiten der Umverteilung birgt. Allerdings existieren zahlreiche Bedingungen, unter denen die Verfolgung des Eigennutzes nicht dem Gemeinwohl dient.

Das Problem der Kollektivgüter

Vor allem bei Kollektivgütern ist nicht zwangsläufig gewährleistet, dass die Verfolgung des individuellen Interesses dem Gesamtinteresse zu Gute kommt. Kollektivgüter sind Güter, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und über die niemand ein privates Verfügungsrecht hat. Solche Güter drohen übernutzt zu werden, da die Versuchung groß ist, seinen eigenen Vorteil auf Kosten der anderen zu erhöhen. Dies muss nicht einmal mit böser Absicht geschehen. Das Verhalten im Umgang mit fast allen natürlichen Ressourcen liefert dafür vielfältige Beispiele. Die Fischfangflotten einzelner Länder versuchen möglichst viele Fische zu fangen, ohne dabei auf die Regeneration der Fischbestände zu achten. Die Autofahrer belasten die Atmosphäre mit klimaschädlichen Emissionen, ohne für die Folgen der Klimaerwärmung zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auf diese Weise führt die Verfolgung des Eigeninteresses zum Ruin der Gemeingüter, wie es der Biologe Garrett Hardin mit der "Tragik der Allmende" beschrieb. Sein Beispiel bezog sich auf eine Wiese im Gemeinschaftseigentum, bei der jeder den Anreiz hatte, möglichst viele Kühe dort weiden zu lassen, weil sich damit sein persönlicher Ertrag steigerte. Diese individuelle Nutzenmaximierung führte zur Übernutzung der Weide, so dass in der Folge alle mit weniger Erträgen rechnen mussten. Oft erfolgt dies sehr allmählich und für den Einzelnen zunächst kaum spürbar. Als Problem tritt es oft erst dann zutage, wenn das Gemeingut knapp wird. Ohne gesellschaftliche Kooperation oder politische Regeln lässt sich dieses individuelle Verhaltensdilemma kaum lösen.

Das Problem der externen Effekte

Durch den Wettbewerb soll der sparsame Einsatz knapper Güter erzwungen werden und die Ausrichtung der Produktion in Menge und Qualität den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen. Dies gelingt aber nicht bei allen Gütern. Aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften wird von ihnen mehr oder weniger produziert als gesellschaftlich erwünscht. Gelingt es den Produzenten, Kosten auf andere auszulagern, kann das Gut billiger verkauft werden, als wenn die durch seine Herstellung verursachten Schäden berücksichtigt werden. So können landwirtschaftliche oder industrielle Abwassereinleitungen die Nahrungsmittelproduktion flussabwärts beeinträchtigen. Abgase können Renovierungs- und Gesundheitskosten an anderer Stelle erhöhen. Würden die auf andere ausgelagerten Kosten bei der Produktion berücksichtigt, müsste das Gut teurer verkauft werden, in der Folge würden die Konsumenten weniger davon nachfragen. Die Möglichkeit, "soziale Kosten" zu erzeugen, also Kosten bei Dritten entstehen zu lassen, führt dazu, dass mehr von dem Gut produziert wird als unter Bedingungen erwünscht wäre, die alle Kosten einbezögen. Hier sind gesellschaftliche oder politische Regeln erforderlich, die solche "externen Effekte internalisieren", also dem Verursacher zuordnen und Über- oder Unterproduktion verhindern.

Das Problem des Freifahrerverhaltens

Um Gemeingüter entstehen zu lassen oder zu erhalten, müssten eigentlich viele Individuen nur einen kleinen Beitrag leisten. Dafür erhalten sie gleichzeitig die Leistungen anderer gratis. In einer solchen Situation befindet man sich allerdings in einem Dilemma: Wie soll man sich verhalten? Das Gut (zum Beispiel das Klima), von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann, lässt sich nur erhalten, wenn viele dazu beitragen oder zumindest an dessen Zerstörung gehindert werden. Trägt man selbst höhere Kosten für emissionsmindernde Technologien oder gewisse Unbequemlichkeiten, während die anderen weiterhin die Atmosphäre belasten wie bisher, wird der Klimawandel trotz der eigenen höheren Kosten nicht aufgehalten.

Das ist nicht sehr motivierend. Individuen hingegen, die nichts tun, ersparen sich die Kosten und profitieren vielleicht trotzdem von den Bemühungen anderer. Es gibt also einen Anreiz, sich als Trittbrettfahrer - man könnte auch sagen Schwarzfahrer - zu verhalten, der kontraproduktiv wirkt, wenn es nicht zu gesellschaftlichen oder politischen Regeln kommt.

Das Problem des Moral Hazard

Doch selbst wenn Menschen zu einem Gemeingut beitragen, können sie geneigt sein, sich daran schadlos zu halten. Ein Beispiel ist die Absicherung gegen künftige Risiken. Diese Leistung wird von Versicherungen angeboten. Hier zahlen viele Versicherte kleine Beiträge und erwarten dafür, dass die Versicherung die Schäden begleicht, wenn sie eintreten. Würden nun bei allen Versicherten hohe Schäden entstehen, müssten die Beiträge so angehoben werden, dass sie für den Einzelnen unerschwinglich wären. Blieben die Beiträge aber niedrig und könnten sie die entstehenden Schadenskosten nicht abdecken, würden sich kaum Versicherungen finden, die solche Verlustrisiken eingehen. Für die einzelnen Versicherten stellt sich die Situation dagegen anders dar. Sie zahlen regelmäßig unterschiedlich hohe Beiträge, von denen sie ohne Schadensfall scheinbar nichts haben. Dies kann Einzelne dazu verleiten, sich durch vorsätzliche Verursachung eines Versicherungsfalls einen Teil der Beiträge zurückzuholen oder durch risikoreicheres Verhalten den Eintritt des Versicherungsfalls in Kauf zu nehmen. So kann die Kollektivrationalität zugunsten des eigenen Interesses untergraben werden. Für die Versicherungen erhöhen sich die Kosten, für die Versicherten die Beiträge. Es bedarf also Mechanismen, die Versicherungsbetrug auf Kosten der Allgemeinheit verhindern.

Das Problem der adversen Selektion

Um das Marktangebot angemessen bewerten und damit auch steuern zu können, benötigt der Konsument zahlreiche Informationen. Bei den wenigsten Gütern kann die Qualität heute noch vorab durch den Käufer geprüft werden, während den Verkäufern mögliche Schwächen und Mängel des Produktes bekannt sein dürften. Die Informationen zwischen Käufern und Verkäufern sind also asymmetrisch verteilt. Die Konsequenzen daraus hat der US-amerikanische Nobelpreisträger George Akerlof für den Gebrauchtwagenmarkt beschrieben: Die Käufer argwöhnen, dass viele schadhafte Autos angeboten werden und sind nicht bereit, hohe Preise zu zahlen. In der Folge sinken die Preise. Bei sinkenden Preisen sind aber auch Besitzer guter Gebrauchtwagen immer weniger bereit, ihre Wagen unter Wert anzubieten. In der Folge steigt der Anteil schadhafter Autos auf dem Gebrauchtwagenmarkt: "Die Zitronen bleiben übrig." Dieses Problem wird auch als "adverse Selektion" bezeichnet. Es beschreibt, wie Informationsasymmetrien zu suboptimalen Ergebnissen führen und qualitativ gute Angebote vom Markt verschwinden. So ist es auch nachvollziehbar, dass bei Gütern, deren Wert kaum angemessen beurteilt werden kann, die Gefahr besteht, dass gute Anbieter im Preiskampf verdrängt werden und es zu ruinöser Konkurrenz kommt. Es bedarf Maßnahmen, die die Informationsasymmetrie mindern.

Das Problem der Einkommensverteilung

Die bisherigen Argumente verdeutlichten, warum der Markt nicht immer in der Lage ist, bestimmte Güter effizient in der richtigen Menge und Qualität herzustellen. Berücksichtigt werden dabei aber nur die Bedürfnisse der kaufkräftigen Konsumenten bzw. derjenigen, deren Leistungsfähigkeit durch den Markt honoriert wird. Unberücksichtigt bleiben Menschen, deren Einkommen zu niedrig sind oder die am Arbeitsmarkt nicht teilhaben. "Marktwirtschaften sind zwar effizient und leistungsfähig bei der Produktion von Reichtum, aber dabei können einige Leute sehr reich werden und die anderen verhungern", so der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Er führt weiter aus, dass, abhängig von seltenen, aber vom Markt als wertvoll gedeuteten Begabungen, die einen hohe Einkommen erhalten, während diejenigen mit weiter verbreiteten Fähigkeiten sich teilweise mit einem Lohn knapp über dem Existenzminimum zufrieden geben müssen. Da dies den sozialen Frieden gefährdet, ist Einkommensumverteilung eine wichtige staatliche Aufgabe.

Das Problem der Stabilität

Auch die Annahme, dass die Preisbildung Angebot und Nachfrage auf den Märkten ins Gleichgewicht bringe, lässt sich angesichts der häufig beobachtbaren Konjunkturschwankungen bezweifeln. Ungleichgewichte können auf dem Gütermarkt auftreten, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kleiner ist als das gesamtwirtschaftliche Angebot, etwa wenn die Menschen - aus Angst vor einer Krise oder vor Arbeitslosigkeit - mehr sparen. Dieses gesparte Kapital stünde dann theoretisch zwar für Investitionen zur Verfügung, würde aber kaum abgerufen, weil sich die Investoren von zurückhaltenden Kunden keine zusätzlichen Absatzmöglichkeiten für ihre Produktion versprechen. Wenn die Preise nicht so flexibel sind wie erhofft, bringen sie Angebot und Nachfrage auf den Märkten nicht ins Gleichgewicht. Die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital bleiben über lange Zeit unausgelastet, und die Volkswirtschaft produziert unter ihren Möglichkeiten. Auch hier ist eine Instanz erforderlich, die Wege aus der Krise bahnt, etwa indem beispielsweise die fehlende private Nachfrage durch staatliche Nachfrage ausgeglichen wird.

Unverzichtbarkeit der Politik

Rolle der Geld- und Wettbewerbspolitik

Damit der Markt nach den Wünschen der Verbraucher funktionieren kann, muss der Staat erstens für einen fairen Wettbewerb sorgen und zweitens dafür, dass die Preise Signalwirkung entfalten können. Der Markt soll vor allem durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) auf Fairness ausgerichtet werden. Sowohl die Preise als auch die Qualität der Waren sollen transparent sein, die Konsumenten sollen vor unsachlicher Beeinflussung, Irreführung und unzumutbarer Belästigung (zum Beispiel Telefonwerbung) geschützt werden; ihre geschäftliche Unerfahrenheit oder ihre Zwangslagen sollen nicht ausgenutzt werden können. Gegen Verletzungen des Gesetzes können aber nicht die Verbraucher selbst, sondern nur Mitbewerber und Verbände, wie Verbraucher- oder Umweltschutzverbände, klagen.

Der Erhaltung des Wettbewerbs dient das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das Verhaltensabstimmungen und Kartelle verbietet, Unternehmenszusammenschlüsse Kontrollen unterwirft und bei marktbeherrschenden Stellungen eine Missbrauchsaufsicht fordert.

Die Wertbeständigkeit des Geldes soll gesichert werden, indem sich die Geldpolitik am Ziel der Preisniveaustabilität orientiert. Wenn die Durchschnittspreise ansteigen, sinkt der Geldwert, man kann sich für sein Geld weniger kaufen, und die Kaufkraft lässt nach. Schon bei einer jährlichen Inflationsrate von vier Prozent müsste man in 20 Jahren für die Güter, die man heute für 100 Euro erhält, mehr als das Doppelte bezahlen, bei zehn Prozent mehr als das Sechsfache. Nur wenn das Preisniveau einigermaßen stabil ist, können flexible Einzelpreise Knappheiten auf einzelnen Märkten angemessen signalisieren. Ohne eine solche Stabilität würde das Geld auch seine Funktion als Mittel zur Wertaufbewahrung verlieren. Es bestünden keine Anreize zum Sparen, es gäbe keine Planungssicherheit, und somit stünden auch kaum Mittel zur Bildung von Sachkapital bereit. Inflation kann darüber hinaus soziale Gegensätze verschärfen, wenn die Arbeits- und Sozialeinkommen nicht angepasst und die Ersparnisse für die Altersvorsorge entwertet werden. Begünstigt werden dabei nur die Schuldner, deren Verbindlichkeiten an Wert verlieren.

Beabsichtigte und unbeabsichtigte Wirkungen staatlicher Maßnahmen

Während Wettbewerbs- und Geldpolitik für die Funktionsfähigkeit des Marktes sorgen sollen, führt die Koordination der Anbieter- und Verbraucherinteressen über den Makrt nicht in jedem Fall zu erwünschten Ergebnissen. So können staatliche Korrekturen erforderlich sein, wenn Güter, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann (Kollektivgüter), kaum angeboten oder nachgefragt werden oder wenn die private Nachfrage hinter der gesellschaftlich erwünschten zurückbleibt (meritorische Güter wie Bildung und Kultur). Dies ist insbesondere der Fall, wenn Menschen unzureichend informiert sind, Risiken unterschätzen, gegenwärtige Bedürfnisse höher werten als zukünftige, Kosten auf andere auslagern können (externe Effekte) oder Anreize zum Freifahrer- oder Moral-Hazard-Verhalten existieren. Ohne staatliche Regulierung besteht die Gefahr, dass solche wichtigen Güter entweder nicht in der ausreichenden Menge oder der gewünschten Qualität hergestellt oder nachgefragt und dass soziale, ökologische oder kulturelle Ziele vernachlässigt werden.

QuellentextEU-Entscheidungen

Glühbirnen-Verbot, Roaming-Gebühren, Verpackungsgrößen: Über die meisten Verbraucherthemen entscheidet die EU. Das Europaparlament nutzt hierbei seine Macht. Doch nicht alle Entscheidungen sind populär.
Im Juli 2007 feierte das Europaparlament die Roaming-Verordnung. Zum ersten Mal diktierten EU-Kommission und Europaparlament den Mobilfunkanbietern die Preise für Handygespräche im Ausland. Europa sei doch gar nicht so schwer, fand die erfreute Bundeskanzlerin Angela Merkel, damals Präsidentin des Europäischen Rates. "Nicht jede Verordnung ist einfach zu erklären. Diese schon", sagte Merkel. Jeder könne künftig von einem europäischen Land ins andere einfacher und vor allem billiger telefonieren.
Einfach und publikumswirksam. Und so entschied das Parlament im April, die Preise für Auslandsgespräche weiter zu senken. Am Ende darf ein Handytelefonat von Frankreich nach Deutschland oder von Spanien nach Österreich ab 1. Juli höchstens 35 Cent pro Minute kosten statt derzeit 46 Cent. Der SMS-Preis sinkt auf 13 Cent - statt bis zu 40 Cent. "Preisdiktat" nennt das der Branchenverband Bitkom. Durch die zwangsverordneten Niedrigtarife könnten die Unternehmen in der Wirtschaftskrise nicht mehr investieren. [...] Der Wettbewerb in allen Ehren. Aber wenn der Markt nicht für günstige Preise sorge, müsse Europa eben handeln, meint [...] Monique Goyens vom europäischen Verbraucherschutzverband BEUC. "Die Telefonpreise sind noch zu hoch", sagte sie. "Die Kommission hat die Unternehmen aufgefordert, die Preise zu senken. Das ist nicht passiert, dann muss es halt durch Gesetzgebung passieren."
Nicht nur bei der Telekommunikation greift das Europaparlament ein und setzt Regeln. Über 80 Prozent der für Verbraucher relevanten Gesetze werden in Brüssel und Straßburg gemacht. In den fünf Jahren einer Wahlperiode kommt da einiges zustande: EU-Spirituosen-Verordnung, Verpackungsgrößen-Richtlinie, Verbot von Ganzkörperscannern an Flughäfen, Pestizid-Verordnung, einheitlicher EU-Führerschein.
Eine wichtige Rolle spielt das Europaparlament beim Schutz der Gesundheit. So entschieden die Abgeordneten, gefährliche Stoffe in Spielzeug zu verbieten. "Allergene Duftstoffe, erbgutschädigende Stoffe, die werden jetzt in Spielzeug verboten, und das ist ein gutes Zeichen", sagte der CDU-Parlamentarier Andreas Schwab. Auch den Einsatz von erbgutverändernden und krebserregenden Pestiziden stoppte das Parlament, die Zulassung von Chemikalien regelten die Abgeordneten in einer Richtlinie namens Reach.
Kein Zweifel: Wenn die Gesundheit der europäischen Verbraucher auf dem Spiel steht, muss das Parlament handeln. Auch wenn es Verbraucherschützern manchmal nicht weit genug geht. "Was wir schade finden: Bei Fernsehreklame für ungesunde Lebensmittel, die zu viel Salz, zu viel Zucker oder zu viel Fett beinhalten, hätte das Parlament Kinder besser schützen müssen", findet Verbraucherschützerin Goyens.
Was die Gemüter in Deutschland weit mehr bewegt, ist das vom Europaparlament beschlossene Aus für die Glühbirne. Für viele ein Musterbeispiel europäischen Regulierungswahns. Goyens kann den Widerstand nicht nachvollziehen. Schließlich sei die Energie schluckende Birne schlecht fürs Klima. "Das hat zu tun mit Nachhaltigkeit, wir müssen dazu beitragen, dass wir weniger CO2 in die Luft schicken", sagt sie. Energiesparende Autoreifen, Energielabels, das Aus für Geräte mit hohem Standby-Verbrauch - all das soll helfen, den Klimawandel zu stoppen. Dafür müssen die Deutschen in Zukunft auch auf ihre geliebte Glühbirne verzichten.

Wolfgang Landmesser, WDR-Hörfunkstudio Brüssel, "Verbraucherschutz im Europaparlament. Einfach und publikumswirksam", in: www.tagesschau.de vom 6. Juni 2009

Da staatliche Regulierung aber in die Freiheit einzelner Wirtschaftssubjekte eingreift, sind in einer Demokratie sowohl die Korrektur als auch ihr Ausmaß begründungsbedürftig. Erforderlich sind

  • gesellschaftliche Zustimmung,

  • ein angemessenes Verhältnis von Ziel und Mitteln und

  • die Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen.

QuellentextPrivatisierung ist nicht immer eine Lösung - ein Plädoyer

Schienennetze und Züge [...] eignen sich nicht als Objekte des Wettbewerbs. Die Eisenbahn ist - wie Landwirtschaft und Post - gleichzeitig Wirtschaftsbetrieb und öffentliches Gut, als solches unersetzbar. Hinzu kommt, dass ein Bahnsystem nicht effizienter wird, wenn man zwei Züge auf ein- und dieselbe Strecke stellt und dann abwartet, welcher besser abschneidet: Die Eisenbahn ist ein natürliches Monopol. Unsinnigerweise haben die Briten unter Busliniendiensten tatsächlich eine Wettbewerbssituation der beschriebenen Art geschaffen. Paradoxer-, aber natürlicherweise verhält es sich im öffentlichen Verkehrswesen jedoch so, dass es wohl umso weniger "effizient" arbeitet, je besser es seine Aufgabe erfüllt.
Eine Buslinie, die Leuten, die es sich leisten können, einen Expressdienst bietet und dabei abgelegene Dörfer schneidet, wo nur ab und zu ein Rentner zusteigen würde, bringt ihrem Betreiber mehr Geld ein. Aber irgendwer - der Staat oder die jeweilige Gemeinde - muss ja doch den unprofitablen, ineffizienten Verkehrsbetrieb vor Ort organisieren. Denn wenn dieser fehlt, wird der langfristige Schaden für die Gemeinschaft insgesamt den kurzfristigen wirtschaftlichen Nutzen der Leistungseinsparung übertreffen. Der Versuch, Buslinien "wettbewerbsfähig" zu betreiben, hat deshalb, wie vorherzusehen war - außer in London, wo die Nachfrage groß genug ist -, eine Steigerung der dem öffentlichen Sektor zugerechneten Kosten bewirkt; ferner einen drastischen Anstieg der Fahrpreise auf das vom Markt hingenommene Niveau; und schließlich attraktive Gewinne für die Expressbus-Gesellschaften.
Züge sind wie Busse vor allem eine gesellschaftliche Einrichtung. Eine profitable Bahnlinie zu betreiben, ist kein Kunststück, wenn man nichts weiter tun muss, als Schnellzüge zwischen London und Edinburgh, Paris und Marseille oder Boston und Washington hin-und herfahren zu lassen. Doch wie sieht es mit Bahnverbindungen zwischen Orten aus, wo nur ab und zu jemand den Zug braucht? Kein Einzelner wird für die seltenen Fälle, in denen er eine solche Dienstleistung nutzt, so viel Geld abzweigen, dass der Bahnbetrieb sich ökonomisch rechnet. Allein die Allgemeinheit - der Staat, die Verwaltung, die Gebietskörperschaft - kann dies tun. Doch eine bestimmte Sorte von Ökonomen wird die erforderliche Subventionierung immer für ineffizient halten: Es wäre doch gewiss billiger, die Schienen herauszureißen und die Leute aufzufordern, ihr Auto zu benutzen, oder?
1996, im letzten Jahr der Privatisierung der britischen Eisenbahnen, rühmte British Rail sich, unter allen Bahngesellschaften Europas mit den niedrigsten öffentlichen Subventionen auszukommen. Die Franzosen sahen für das Jahr 1996 Eisenbahninvestitionen in einer Höhe von 21 Pfund Sterling pro Kopf der Bevölkerung vor, die Italiener sogar 33 Pfund, die Briten aber lediglich 9 Pfund. Der Service, den die Bahnsysteme der betreffenden Länder boten, spiegelte diese eklatanten Unterschiede exakt wider. Sie beantworten auch die Frage, warum das britische Eisenbahnnetz nur unter großen Verlusten privatisiert werden konnte: Seine Infrastruktur war gänzlich unzureichend.
Vor allem aber veranschaulicht der Kontrast, worum es mir im Kern geht: Franzosen und Italiener behandeln ihre Bahnsysteme bis heute als gesellschaftliche Einrichtung. Züge auch in abgelegene Regionen fahren zu lassen, hält, wie unrentabel es betriebswirtschaftlich gesehen werden mag, örtliche Gemeinschaften intakt. Es vermindert Umweltschäden, indem es eine Alternative zum Straßenverkehr bietet. Der Bahnhof und der Service, den er leistet, ist deshalb zugleich Symptom und Symbol in einer Gesellschaft, die sich als Ausdruck gemeinschaftlicher Bestrebungen versteht.

Tony Judt, Sozialdemokratie der Angst, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2010, S. 42ff.

Mit unterschiedlicher Intensität kann der Staat in den Marktmechanismus eingreifen, die Bereitstellung eines Angebotes beeinflussen oder die Nachfrage nach bestimmten Gütern stärken und zwar, indem er beispielsweise

  • den Marktmechanismus ersetzt: Er kann Güter selbst bereitstellen oder für deren Bereitstellung durch staatliche Aufträge sorgen.

  • den Marktmechanismus verändert: Er kann Marktzugänge und Mengen über Lizenzen, Konzessionen oder Quoten regulieren oder Fest-, Mindest- oder Höchstpreise festlegen.

  • die Entscheidungsgrundlagen von Anbietern und Nachfragern ändert: Er kann Informationen vorschreiben oder bereitstellen, Subventionen anbieten, Steuern und Abgaben sowie Beiträge oder Gebühren erheben bzw. durch Ver- und Gebote ein gewünschtes Angebot fördern und ein unerwünschtes mindern.

QuellentextGute Absichten - unbeabsichtigte Wirkungen: die Grenzen staatlicher Intervention

Alles begann so fröhlich, als der damalige Umweltminister Jürgen Trittin den Netto-Supermarkt in Berlin-Pankow besuchte. [...] Fernsehteams filmten, Kameras klickten. Deutschland bekam seinen ersten Automaten für Einweg- und Mehrwegflaschen. Das Projekt Einwegpfand begann: 25 Cent pro Wegwerfflasche oder Dose.
Nun, sieben Jahre später, hat das Umweltbundesamt die erste umfassende Bilanz im Auftrag der Regierung gezogen [...] das Pfand hat seine Ziele verfehlt. Die 25-Cent-Abgabe sollte die Mehrwegflasche retten und so die mittelständische Getränkeindustrie stützen. Stattdessen profitieren jene, die das Pfand zunächst am heftigsten bekämpften: die Discounter. [...] Der Mehrweganteil war 2003 auf 60 Prozent gesunken und sollte auf mindestens 72 Prozent steigen. Heute aber ist nicht einmal jede zweite Flasche eine Mehrwegflasche.
Auch das zweite Ziel wurde verfehlt: Weil vor allem kleine und regionale Getränkehersteller in Mehrweg abfüllen, sollte das Pfand dem Mittelstand helfen. "Es geht um den Erhalt von rund 250000 Arbeitsplätzen", sagte Jürgen Trittin bei der Einführung des Pfands. Auch das ging daneben. Eine vierstellige Zahl an Arbeitsplätzen sei in der Getränkeindustrie in den vergangenen Jahren weggefallen, beklagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Franz-Josef Möllenberg.
Da, wo alles begann, im Netto-Markt in Berlin-Pankow, wird klar, warum das Pfand scheiterte. Ein Mann steht vor dem Pioniermodell der Pfandautomaten. In seinem Einkaufsbeutel stecken leere Limoflaschen. "Ich kaufe immer Mehrweg", sagt er. "Der Umwelt zuliebe". Dann schiebt er sechs Einwegflaschen in den Automaten.
Der Mann ist kein Einzelfall. Viele Verbraucher blicken nicht durch, wenn es um Getränkeverpackungen geht. So ist selbst umstritten, ob Einwegflaschen in der Ökobilanz in jedem Fall schlechter abschneiden. Denn nachdem das Pfand eingeführt wurde, investierten Recycler in moderne Anlagen. Deshalb werden heute viel mehr Plastikflaschen wiederverwertet als zuvor. Früher landeten sie im gelben Sack - und verschwanden zwischen all dem anderen Müll. [...] Darüber hinaus verstehen viele Kunden die unübersichtlichen Flaschen- und Dosenregeln einfach nicht. Seit es ein Pfand sowohl auf Mehrweg als auch auf Einweg gibt, kann über die Hälfte der Deutschen nicht mehr unterscheiden, ob die Flasche im Regal wiederbefüllt wird oder ob sie im Schredder landet, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Emnid. Dabei hielt die Mehrheit der Bevölkerung die Einführung des Einwegpfands für eine gute Sache.
Viele Konsumenten ahnen aber nicht, dass sie sich automatisch für Einweg entscheiden, sobald sie ihre Getränke beim Discounter kaufen. Bei den Branchengrößen Aldi und Lidl stehen ausschließlich Wegwerfflaschen in den Regalen. Und weil die Discounter so beliebt sind, kaufen die Deutschen jede zweite Wasser-, Limo- und Cola-Flasche bei den Billiganbietern, 2003 war es erst jede dritte. Zwischen 17 und 18 Milliarden Einwegflaschen und Dosen kamen so im vergangenen Jahr zusammen.
Vor sieben Jahren versuchten die Discounter noch mit einer Verfassungsklage das Pfand zu stoppen. Heute profitieren sie davon: Sie verdienen am sogenannten Pfandschlupf. Denn immer, wenn ein Kunde seine Flasche nicht in den Laden zurückbringt, sondern im Restmüll entsorgt, schenkt er dem Handel 25 Cent. Allein im ersten Jahr, als es noch kein einheitliches Rücknahmesystem gab, waren die Kunden derart verwirrt, dass sie Pfandgut im Wert von 450 Millionen Euro wegwarfen. Millionen, die in den Kassen der Supermärkte und Discounter blieben.
[...] Doch der Pfandschlupf ist nicht die einzige Einnahmequelle. Grundsätzlich erhalten Aldi, Lidl und Co. mit jeder verkauften Pfandflasche einen kleinen zinslosen Kredit - Centbeträge, die sich auf Millionen summieren. Immer mehr Kunden holten sich zudem das Pfand nicht beim Discounter, sondern beim Fachhändler zurück, "weil sie nicht mit den Automaten zurechtkommen oder die Warteschlangen meiden wollen", sagt Sepp Gail, Vorsitzender des Verbands des Getränke-Einzelhandels. [...] Das aber heißt: Das Geld, das die Käufer dem Discounter zinsfrei leihen, fordern sie beim Fachhandel wieder ein. [...]
Seit es das Pfand gibt, besitzt kaum ein Land so sauberes Plastik wie die Deutschen. Das wissen alle Handelspartner zu schätzen - vor allem auch jene aus Fernost. [...] PET stammt aus der Familie der Polyester. Für die chinesische Textilindustrie ist dieses Material überlebenswichtig: 16 Flaschen werden zu einem Fleecepullover. [...]
Einwegpfandflaschen sind ein hochwertiger Sekundärrohstoff, rund 300 Euro ist die Tonne wert. Das erkannten die Discounter: Sie bauten sogar eigene Hallen, in denen sie die Flaschen zählen, entwerten und nach Farbe sortieren. In wenigen Wochen, wenn es draußen heiß ist und die Deutschen viel trinken, arbeiten die Männer und Frauen in den Hallen im Schichtbetrieb.
[...] Zwischen 300000 und 400000 Tonnen PET-Flaschen leeren die Deutschen jedes Jahr, schätzt [der für den PET-Verkauf in einem Recycling-Unternehmen zuständige Matthias]Schäfer. Dem Bundesverband Sekundärrohstoffe zufolge gehen davon zwischen 30 und 50 Prozent nach China. [...] Die deutschen Recycler würden selbst gern das Plastik im Inland verwerten. Bleibt das PET hier, landet es in Autositzen, Folien, Erdbeerschälchen oder in neuen Flaschen. Als das Pfand kam, haben die Recycler in Anlagen investiert - womöglich zu viel, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Jedes Containerschiff aus China bedeutet, dass sie ihre Kapazitäten nicht auslasten können. [...]
Wird das PET in Chinas Textilindustrie knapp, zahlen die fernöstlichen Handelspartner einfach so viel, dass deutsche Recycler nicht mehr mithalten können. Steigende Preise sind für die chinesischen Textilunternehmer kein Problem: 16 Flaschen, die in eine Jacke wandern, kosten nur ein paar Cent. Haben sie sich in eine Marken-Fleecejacke verwandelt, bringen sie ein Vielfaches davon. Zudem senkte der Staat zu Beginn des Jahres die Importzölle für PET und machte dadurch die Einfuhr noch attraktiver. Weil sie kaum Automaten und Sortiermaschinen haben, können die Chinesen ihre eigenen Plastikflaschen nicht nutzen. [...]
Dass es auch anders geht als in Deutschland, zeigt die Schweiz. Auch dort werden Einwegflaschen gesammelt. Ganz ohne Pfand, ohne Zählzentren, ohne Discounterbonus. Die Schweizer stellen einfach PET-Sammelbehälter auf: in ihren Büros, Parks und sogar auf ihren Berggipfeln. Ganz einfach - zu einem Viertel der Kosten.

Laura Himmelreich, "Leerlauf nach China", in: Die Zeit Nr. 20 vom 12. Mai 2010

Die meisten Ökonomen vertreten die Position, dass der Markt Angebot und Nachfrage besser zum Ausgleich bringt als der Staat, weshalb der Staat möglichst nicht in die Preisbildung eingreifen sollte. Sie weisen zudem darauf hin, dass staatliche Maßnahmen neben den beabsichtigten oft auch unbeabsichtigte Ergebnisse haben können. In seinem Buch "Kobra-Effekt" hat der Ökonom Horst Siebert anschaulich belegt, wie kreativ das menschliche Verhalten auf politische Vorgaben reagiert bzw. ihnen ausweicht und damit die beabsichtigten Wirkungen mindert oder sogar konterkariert:

  • Um die Kobra-Plage einzudämmen, führte eine Verwaltung in Indien Prämien auf abgelieferte Kobraköpfe ein. Daraufhin züchteten einige findige Inder diese Schlangen: Die Verwaltung hatte für ein einträgliches Geschäft gesorgt.

  • In manchen Großstädten sollte die Verkehrsbelastung gesenkt werden, indem die Fahrerlaubnis nach geraden und ungeraden KFZ-Zeichen für bestimmte Tage eingeschränkt wurde. Die unbeabsichtigte Folge waren Autokäufe, um jeweils ein Fahrzeug mit geradem und eins mit ungeradem Nummernschild fahren zu können.

  • Preishöchstgrenzen für bestimmte Güter (zum Beispiel Wohnungen oder Nahrungsmittel) erscheinen auf den ersten Blick sozial. Mit ihnen ist die Absicht verbunden, bestimmte Güter für alle erschwinglich zu halten. Für die Anbieter ist es unter diesen Umständen aber vielleicht nicht mehr rentabel, das Angebot bereitzustellen, oder sie werden es für andere Zwecke nutzen, so dass nach diesen individuellen Kalkulationen die insgesamt angebotene Menge sinkt. Im Gegenzug dazu können garantierte Mindestpreise (zum Beispiel zur sozialen Absicherung der Bauern) eine Überproduktion zur Folge haben.

    Maßnahmen zum Schutz vor Kündigungen zum Beispiel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung dienen zur Absicherung derjenigen, die eine Wohnung und einen Arbeitsplatz haben. Da es unter solchen Bedingungen schwieriger wird, Arbeitskräfte zu entlassen oder Wohnungen zu kündigen, werden möglicherweise weniger Menschen eingestellt oder Wohnungen bereitgestellt, was diejenigen benachteiligt, die Arbeit oder eine Wohnung suchen.

Rolle der Finanzpolitik

Unabhängig vom Ausmaß seiner Eingriffe und dem Vertrauen in seine Fähigkeiten zur Problemlösung hat der Staat auch im Wirtschaftsprozess wichtige Funktionen. Dazu gehören

  • die Sorge für ein privat nicht oder nicht ausreichend erbrachtes Güterangebot (Allokationsfunktion): Unumstritten muss der Staat das Rechtssystem und die innere und äußere Sicherheit gewährleisten. Umstritten ist aber, ob er selbst das Bildungs- und Gesundheitswesen, eine Sozialversicherung, die öffentliche Infrastruktur und kommunale Versorgung als Angebot bereitstellen muss.

  • die Korrektur ungleicher Einkommensverteilung (Distributionsfunktion): Unumstritten ist, gestützt auf Artikel 1 des Grundgesetzes, die Absicherung nicht leistungsfähiger Personen durch ein Mindestniveau an Versorgung, das für ein menschenwürdiges Leben erforderlich ist. Umstritten sind dagegen die Höhe dieses Niveaus und einzelne konkrete Maßnahmen.

  • die Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Stabilisierungsfunktion): Während in der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise fast alle Ökonomen einen staatlichen Ausgleich der sich selbst verstärkenden gesamtwirtschaftlichen Nachfragedefizite begrüßten, sind sie normalerweise eher skeptisch gegenüber solchen Eingriffen.

Um die genannten Aufgaben zu erfüllen, benötigt der Staat Einnahmen, die er vor allem über Steuern erhält. Die Ausgestaltung des Steuerwesens kann sehr unterschiedlich sein, die Erhebung kann sich auf den Verbrauch, auf Einkommen oder Vermögen beziehen. Es kann für bestimmte Güter differenzierte Sätze geben, unterschiedliche Einkommensquellen können einbezogen werden, und es existieren vielfältige Steuerbefreiungsmöglichkeiten. Die Besteuerung kann an der Leistungsfähigkeit nach Einkommenshöhe orientiert sein oder auch an denjenigen, die den größten Nutzen aus den öffentlichen Gütern ziehen. Einkommensteuern werden nach proportionalen oder progressiven Tarifen erhoben. Sie gelten damit den einen als negative Leistungsanreize, während die anderen dies mit dem höheren Nutzen aus öffentlich finanzierten Gütern begründen, wie etwa dem Eigentumsschutz, dem tertiären Bildungsangebot sowie der Bezuschussung höherwertiger kultureller Angebote. Verbrauchsteuern sind im Vergleich zum Einkommen regressiv: Der zu zahlende Steueranteil trifft zwar jeden, aber untere Einkommensklassen werden aufgrund ihrer höheren Konsumquote im Verhältnis zum Einkommen stärker belastet. Zudem können unterschiedliche Möglichkeiten der Steuerbefreiung oder Steuerminderung vorgesehen sein. So entfällt die Umsatzsteuer für Mieten, Arzthonorare und Eintrittspreise für kulturelle Einrichtungen. Von der Einkommensteuer können Werbungskosten, also Aufwendungen zur Erzielung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen, steuermindernd abgezogen werden wie zum Beispiel für Wege zum Arbeitsort, Beiträge zu Berufsverbänden, Aus- und Fortbildungskosten, Reisekosten und Arbeitsmittel.

QuellentextProportionale und progressive Steuern

Bei einer proportionalen Steuer (z.B. Einkommensteuer) müssen alle Steuerzahler den gleichen prozentualen Anteil der Steuerberechnungsgrundlage (z.B. Einkommen) versteuern.

Beispiel
Nehmen wir an, alle Steuerzahler versteuern genau zehn Prozent ihres Einkommens, egal ob man nun 20000 Euro oder 100000 Euro verdient.
Ein paar konkrete Beispiele:

  • Bei 20000 Euro Einkommen sind --> 2000 Euro Einkommensteuer zu zahlen;

  • bei 40000 Euro Einkommen --> 4000 Euro Einkommensteuer;

  • bei 80000 Euro Einkommen --> 8000 Euro Einkommensteuer.

Verdient man also doppelt soviel wie der Nachbar, so zahlt man dafür auch genau doppelt soviel Einkommensteuer. Die proportionale Steuer steht damit im Gegensatz zur progressiven Steuer, wo mit steigendem Einkommen überproportional mehr bezahlt werden muss, bzw. zur degressiven Steuer, wo der Steuersatz mit höherem Einkommen abnimmt.
Bei einer progressiven Einkommensteuer wird der Steuersatz immer höher, je mehr das Einkommen ansteigt. Resultat ist: Hat man ein doppelt so großes Einkommen wie sein Hausnachbar, so muss man mehr als doppelt so viel an Einkommensteuer zahlen wie er. In Deutschland ist die Einkommensteuer progressiv.

Beispiel
Nehmen wir als Beispiel eine ledige Person und schauen uns an, wieviel Einkommensteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) sie 2010 in der Bundesrepublik Deutschland zahlen muss.

  • Person A hat 20000 Euro Einkommen --> 14,25% = 2850 Euro Einkommensteuer;

  • Person B hat 40000 Euro Einkommen --> 23,76% = 9503 Euro Einkommensteuer;

  • Person C hat 80000 Euro Einkommen --> 33,54% = 26827 Euro Einkommensteuer.

Resultat ist, dass das Einkommen überproportional besteuert wird, d.h., obwohl Person B genau doppelt soviel Einkommen hat wie Person A, muss sie deutlich mehr als das Doppelte an Einkommensteuer bezahlen.

Die Frage nach dem gerechten Steuersystem entscheidet sich nicht mathematisch-wissenschaftlich, sondern nach den in der Gesellschaft vorhandenen Werten und Normen. Allerdings gibt es auch bei der Besteuerung Nebenwirkungen, die beabsichtigt oder ungewollt auftreten. Bei Energiesteuern ist beispielsweise von vorneherein der Lenkungseffekt beabsichtigt. Es soll Energie eingespart werden, selbst wenn dies das Steueraufkommen begrenzt. Bei Einkommensteuern wird zuvorderst auf Steuereinnahmen gehofft. Doch nicht beabsichtigte Lenkungseffekte gibt es auch hier. Bei hohen Steuersätzen lohnt sich die Einschaltung eines Steuerberaters, um die Steuerzahlung zu verringern, während geringe Steuersätze solche Ausweichstrategien weniger erforderlich machen. In der Folge könnten niedrigere Steuersätze die Steuereinnahmen eventuell sogar erhöhen. Eine weitere ungewollte Auswirkung hoher Steuersätze ist der Anreiz diese zu sparen, indem man den Wohnsitz verlagert oder die Steuern auf andere überwälzt, so dass die Hauptbelastung letztlich die Bezieher niedriger Einkommen trifft.

Steuer- und Sozialabgabenlast von Geringverdienern im OECD-Vergleich

So bleiben die Ausgestaltung des Steuersystems und das Bemühen um Gerechtigkeit eine immerwährende, aber notwendige Aufgabe. Internationale Vergleiche der OECD zeigen, dass in Deutschland der Faktor Arbeit stärker mit Steuern und Abgaben belastet wird als in anderen europäischen Ländern. Besonders stark werden Alleinerziehende und alleinstehende Geringverdiener herangezogen, am wenigsten alleinstehende Spitzenverdiener. Kontrovers diskutiert werden auch die differenzierten Mehrwertsteuersätze, die Güter vergleichbaren Nutzens mit entweder sieben oder 19 Prozent Mehrwertsteuersatz belegen, wie beispielsweise Milch oder Saft, Taxifahrten oder Fahrradkuriere, Zahntechniker- oder Krankengymnastikerleistungen.

Markt oder Staat - Was soll wer koordinieren?

Die Diskussion um Markt oder Staat wird stark ideologisch geführt. Die Marktoptimisten fordern, staatliche Eingriffe auf das Mindestmaß zu beschränken, damit der Marktmechanismus den individuellen freien Entscheidungen Rechnung tragen kann, während die Marktpessimisten soziale und ökologische Folgen befürchten, da sich der Markt nur nach den kaufkräftigen Bedürfnissen ausrichtet. Die Staatspessimisten bezweifeln, dass es dem Staat jeweils gelingt, zur richtigen Zeit angemessene Strategien und Anreize wohldosiert einzusetzen, und dass Politiker, Verwaltungen und Interessengruppen frei von Eigeninteressen sind, während die Staatsoptimisten darauf hoffen, dass die Bürger ihre Bedürfnisse demokratisch deutlich machen werden.

Die jeweiligen Verfechter stellen oft den eigenen idealtypischen Koordinationsmechanismus dem realen der Gegenseite gegenüber. Die neue Institutionenökonomik setzt sich dagegen mit dem Marktoptimismus differenzierter auseinander. So verwiesen die Nobelpreisträger Ronald Coase und Oliver Williamson darauf, dass arbeitsteiliges Wirtschaften immer Reibung verursacht. Dabei fallen sowohl bei dezentralen Entscheidungen über den Markt, als auch bei der Hierarchie in Unternehmen oder staatlichen zentralen Entscheidungen Transaktionskosten an. Die Nutzung des Marktmechanismus geht einher mit Such-, Mess-, Inspektions-, Verhandlungs-, Entscheidungs-, Überwachungs- und Durchsetzungskosten vor und nach Abschluss von Verträgen. Aufgrund der Existenz solcher Kosten weichen reale Märkte auch stark von idealen ab. Auf diesen realen Märkten gibt es Zugangsschranken und Preisinflexibilitäten und Tauschpartner kooperieren, um opportunistisches Verhalten zu mindern.

Menschliches Zusammenleben ist ohne ein gewisses Maß an Kooperation nicht denkbar. Im Gegensatz zu den Marktteilnehmern kann der Staat allgemeingültige Gesetze erlassen, denen sich alle beugen müssen. Allerdings bestehen auch beim politischen Mechanismus Transaktionskosten wie etwa Leitungs-, Informationsverarbeitungs-, Kommunikations-, Überwachungs- und Vertretungskosten.

Nicht nur die Bereitstellung von Gütern über den Staat, sondern auch diejenige über den Markt kann ineffizient sein. Es ist jeweils zu prüfen, welcher Mechanismus in welchem Fall die angestrebte Wohlfahrtssteigerung mit geringeren Kosten erreicht. Freiheit ist in der Demokratie für die Bürgerinnen und Bürger und im Markt für die Marktteilnehmer bedeutsam. Die Anbieter wirtschaftlicher oder politischer Leistungen müssen sich um ihre Gunst und Zustimmung bewerben. In dem einen Fall bei allen täglichen Kaufentscheidungen, im anderen Fall bei den politischen Wahlen. Beide Mechanismen, Staat und Markt, haben ihre eigenen Unzulänglichkeiten, zu deren Aufdeckung und Transparenz aufgeklärte und sanktionierende Wirtschafts- und Staatsbürger nötig sind.

Dr. phil. Birgit Weber ist Professorin für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Von 1989 bis 2006 war sie tätig im Bereich Wirtschaftswissenschaft und Didaktik der Wirtschaftslehre an der Universität Siegen. Dort leitete sie als Geschäftsführerin im Zentrum für Lehrerbildung von 2000 bis 2002 ein Projekt zur Förderung der unternehmerischen Selbstständigkeit in der Lehrerausbildung. Als stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung hat sie die Entwicklung von Bildungsstandards für die ökonomische Bildung mit vorangetrieben. Ihre fachlichen Schwerpunkte sind neben grundsätzlichen Fragen der Didaktik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor allem Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit, Umweltökonomie sowie Fragen des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft.

E-Mail: E-Mail Link: birgit.weber@uni-bielefeld.de