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Der Weg zur vorgezogenen Wahl

Frank Decker

/ 4 Minuten zu lesen

Die Bundestagswahl 2025 wird vorgezogen – welche Folgen hat der frühe Wahltermin? Ein Blick auf die Geschichte der Vertrauensfrage und ihre Auswirkungen auf die Politik.

(© Thomas Plaßmann/Baaske Cartoons Müllheim)

Die vorgezogene Wahl

Am 23. Februar 2025 wird der Deutsche Bundestag zum 21. Mal gewählt. Dabei handelt es sich um eine vorgezogene Wahl. Als regulärer Wahltermin war nach Ablauf der vierjährigen Legislaturperiode der 28. September vorgesehen. Dieser Termin wurde hinfällig, weil die nach der Bundestagswahl 2021 gebildete und am 8. Dezember 2021 offiziell ins Amt gekommene Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am 6. November 2024 zerbrach. Als Kanzler der verbliebenen Minderheitsregierung von SPD und Grünen kündigte Olaf Scholz noch am selben Tag an, im Bundestag gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage stellen zu wollen, was am 11. Dezember 2024 geschah. Bei der Abstimmung am 16. Dezember sprach ihm dann die Mehrheit der Abgeordneten erwartungsgemäß das Misstrauen aus (394 Neinstimmen gegenüber 207 Jastimmen und 116 Enthaltungen; 16 Stimmen wurden nicht abgegeben). Auf Antrag des Bundeskanzlers löste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag daraufhin am 27. Dezember 2024 auf. Der Wahltermin, der spätestens 60 Tage nach der Auflösung liegen muss, war schon vorher zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien, der Bundesregierung und dem Staatsoberhaupt einvernehmlich auf den 23. Februar 2025 festgelegt worden.

Dass die Wahl jetzt sieben Monate früher stattfindet als ursprünglich vorgesehen, hat auch langfristig Folgen. Da das Grundgesetz in Artikel 39 vorschreibt, dass die nachfolgende Wahl frühestens nach 46 Monaten (also in vier Jahren minus zwei Monaten) stattfinden kann, würde der nächste reguläre Wahltermin vermutlich Mitte Januar 2029 liegen. Die Parteien müssten sich dann erneut auf einen Wahlkampf im Winter einstellen. 2032 könnte man dann in den November vorrücken, sodass der Wunschmonat September erst 2036 wieder erreicht wird. Kommt es während dieser Zeit erneut zu vorgezogenen Neuwahlen, würde sich das natürlich ändern.

Die Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik

Über eine negativ beantwortete Vertrauensfrage herbeigeführte Neuwahlen hat es in der Bundesrepublik bis 2024 erst drei Mal gegeben, was von einem insgesamt hohen Maß an Regierungsstabilität zeugt. 1972 ließ Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) den Bundestag auflösen, weil er durch mehrere Überläufer aus den eigenen Reihen der sozialliberalen Koalition im Bundestag keine Mehrheit mehr hatte. Anders gelagert war der Fall bei Helmut Kohl (CDU) 1982. Durch ein Konstruktives Misstrauensvotum ins Amt gekommen, verfügte der Kanzler nach dem „Seitenwechsel“ der FDP über eine stabile Regierungsmehrheit, die er sich aber von den Wählerinnen und Wählern in einer vorgezogenen Wahl bestätigen lassen wollte. Um die Auflösung des Bundestags zu erreichen, musste er deshalb die Vertrauensfrage „fingieren“ [= vortäuschen]. Das war rechtlich problematisch und wurde vom Bundesverfassungsgericht nur unter Aufbietung großer Argumentationskunst gebilligt. Auch die von Gerhard Schröder (SPD) 2005 gestellte Vertrauensfrage ließen die Karlsruher Richterinnen und Richter mit Verweis auf den Einschätzungsvorrang des Kanzlers passieren, obwohl dieser zumindest formal seine Mehrheit ebenfalls nicht eingebüßt hatte. Gemessen an den früheren Fällen ähnelt die Auflösungsentscheidung von Scholz in der politischen Konsequenz und rechtlichen Zulässigkeit mehr der Situation von 1972 als der von 1982/1983 oder 2005. Der Mehrheitsverlust ist hier durch die förmliche Beendigung der Koalition und Bildung einer Minderheitsregierung sogar noch eindeutiger.

Quellentext„Echte“ und „unechte“ Vertrauensfrage

Die Vertrauensfrage gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes hat im parlamentarischen Regierungssystem eine doppelte Funktion. Einerseits kann sie vom Kanzler eingesetzt werden, um die eigene Mehrheit zur Gefolgschaft anzuhalten, andererseits dient sie dazu, über eine Auflösung des Parlaments vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen. Um den Unterschied deutlich zu machen, spricht man in der Literatur manchmal von einer „echten“ oder „unechten“ Vertrauensfrage. Unechte Vertrauensfragen, die auf die Herbeiführung von Neuwahlen gerichtet sind, haben die Kanzler der Bundesrepublik insgesamt viermal gestellt: 1972 Willy Brandt, 1982 Helmut Kohl, 2005 Gerhard Schröder und 2024 Olaf Scholz. Je nach Abstimmungsverhalten kann man sie nochmals in „ehrliche“ (Brandt, Scholz) oder „fingierte“ Vertrauensfragen unterteilen (Kohl, Schröder). Im letztgenannten Fall wird das Misstrauen ausgesprochen, obwohl das Vertrauen eigentlich noch vorhanden ist. Echte Vertrauensfragen gab es bisher nur zwei, 1982 durch Helmut Schmidt und 2001 durch Gerhard Schröder. Schröder nutzte das Instrument, um die Zustimmung der ihn tragenden rot-grünen Koalition zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu erzwingen, der sich ein Teil der Abgeordneten, vor allem der Grünen, verweigern wollte. Helmut Schmidt verzichtete im Februar 1982 hingegen darauf, die Vertrauensfrage mit einer Sachfrage zu verknüpfen, was mit Blick auf den Ausstieg der FDP aus der sozialliberalen Koalition ein halbes Jahr später wahrscheinlich ein Fehler war. Denn so konnten ihm die Liberalen, ohne einen Preis dafür zahlen zu müssen, die Zustimmung gefahrlos erteilen.

Frank Decker

Quelle: Bundesregierung, bpb, Bundesministerium der Justiz (© picture-alliance, dpa-infografik GmbH)

Koalition und Opposition: Die Ausgangssituation vor der Wahl

Die anstehende Wahlauseinandersetzung verspricht ähnlich spannend zu werden wie die von 2021. Ging es vor vier Jahren darum, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Angela Merkel zu finden, die nach 16 Jahren an der Regierungsspitze nicht wieder für das Kanzleramt kandidierte, könnte es auch dieses Mal zu einem Regierungswechsel kommen. Nachdem die FDP kategorisch ausgeschlossen hat, wieder in eine Ampelkoalition einzutreten, ist schon heute sicher, dass die nächste Bundesregierung eine andere Zusammensetzung haben wird. Klarer Favorit auf das Kanzleramt ist der Herausforderer und CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, dessen Partei in den Umfragen zu Beginn des Wahlkampfes (drei Monate vor dem Wahltermin) um fast 20 Prozentpunkte vor der SPD lag, der Partei des Amtsinhabers Olaf Scholz. Neben Merz und Scholz treten für die Grünen Robert Habeck und für die AfD Alice Weidel als Kanzlerkandidierende an.

Das Spannungsmoment der Wahl rührt zugleich aus der gegenüber 2021 veränderten Wettbewerbslage. Hatten Union und SPD von 2013 bis 2021 zwei Perioden nacheinander zusammen in einer Großen Koalition regiert, führte die Bundestagswahl 2021 zur Wiederherstellung der über Jahrzehnte lang üblichen Konstellation, wonach die eine der beiden Volksparteien die Regierung und die andere die Opposition anführt. Die Polarisierung hat sich damit von den Rändern in die politische Mitte zurückverlagert. Weil sich Union und SPD als klar erkenn- und unterscheidbare Alternativen gegenüberstehen, stilisieren sie die Wahl zu einer grundlegenden Richtungsentscheidung. Unter Demokratiegesichtspunkten mag eine solche Zuspitzung sinnvoll sein. Sie kann jedoch dem Dilemma nicht ausweichen, dass die Vertreterinnen und Vertreter der gegensätzlichen Richtungen nach der Wahl gezwungen sein könnten, erneut in einer gemeinsamen Regierung zusammenzuarbeiten.

Der Zwang zu lagerübergreifenden und/oder Großen Koalitionen hängt mit dem Erstarken der politischen Ränder zusammen. Zur AfD und schwächelnden Linken ist hier mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) seit 2024 ein weiterer Akteur hinzugetreten, der allein aufgrund seiner antiwestlichen Positionen in der Außen- und Verteidigungspolitik für keine der vier Parteien in der Mitte (Union, SPD, Grüne und FDP) auf Bundesebene als Partner infrage kommt. Die demokratischen Vertreterinnen und Vertreter treibt zudem die Sorge um, dass bei einem guten Abschneiden der Populistinnen und Populisten und hohen Anteil nicht berücksichtigter Stimmen (infolge der Fünfprozentklausel), die systemfeindlichen Kräfte eine Sperrminorität von einem Drittel der Parlamentssitze erreichen könnten.

Neben der Bundestagswahl stehen 2025 regulär nur noch zwei weitere Urnengänge an. Gleich eine Woche nach der Bundestagswahl, am 2. März 2025, wird in Hamburg die Bürgerschaft gewählt. Und am 14. September 2025 finden im bevölkerungsreichstes Bundesland Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen statt. Zur echten Bewährungsprobe der neuen Bundesregierung kommt es erst 2026, wenn in fünf Ländern Landtags- und in drei Ländern Kommunalwahlen anstehen.

Prof. Dr. Frank Decker, geb. 1964 in Montabaur, hat seit 2001 einen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn inne. Seit 2011 ist er außerdem Wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP). E-Mail Link: frank.decker@uni-bonn.de