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Politisches Handeln und Verschwörungserzählungen: Ist doch alles ganz harmlos?

Pia Lamberty

/ 3 Minuten zu lesen

Der Glaube an Verschwörungen kann in politischen Extremismus und Gewaltbereitschaft münden. Vor allem rechtsextreme, demokratiefeindliche politische Bewegungen, die die Ungleichwertigkeit von Menschen propagieren, nutzen ihn zur Mobilisierung ihrer Anhängerschaft.

Welche Gefahren von Verschwörungsmythen ausgehen können, belegt der Terroranschlag vom 9. Oktober 2019 auf die Synagoge in Halle. Im Glauben an eine jüdische Weltverschwörung versuchte der rechtsextreme Attentäter in das Gotteshaus einzudringen, um die dort versammelten Menschen zu ermorden. (© picture-alliance/dpa, Zentralbild / Sebastian Willnow)

Der Glaube an Verschwörungen ist in der Gesellschaft weit verbreitet – und kann direkte Auswirkungen auf die reale Welt haben, wenn er für Menschen handlungsleitend wird. Diverse politische Bewegungen, insbesondere solche extremistischer Natur, nutzen den Glauben an Verschwörungen für sich. Antisemitische Demagogen berufen sich beispielsweise bis heute auf die "Protokolle der Weisen von Zion", obwohl seit langem bekannt ist, dass der Text selbst eine Fälschung ist.

Verschwörungserzählungen als Radikalisierungsbeschleuniger?
In Bezug auf politische Einstellungen finden sich Verschwörungsideologien stärker bei Menschen, die sich als politisch rechts verorten oder rechtspopulistische bzw. rechtsextreme Parteien wählen. Dies konnten verschiedene Studien mittlerweile für unterschiedliche Länder bestätigen. In Großbritannien zeigte sich, dass Menschen, die für den sogenannten Brexit, also den Austritt Großbritanniens aus der EU, gestimmt hatten, stärker an Verschwörungen glaubten. Auch in den USA findet sich der Glaube an Verschwörungen stärker bei Menschen, die Donald Trump gewählt haben, als bei denen, die für Hillary Clinton stimmten.

Lange Zeit wurde jedoch von der Forschung außer Acht gelassen, welche Rolle der Glaube an Verschwörungen tatsächlich für politischen Extremismus und Gewaltbereitschaft spielt. Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die individuelle Tendenz, an Verschwörungserzählungen zu glauben, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einhergeht, Gewalt zu befürworten oder sogar selbst gewalttätig zu werden. Laut den Ergebnissen der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2019 zeigte sich bei 25 Prozent der Verschwörungsgläubigen, welche 38 Prozent der Gesellschaft repräsentieren, eine erhöhte Gewaltaffinität. Man kann Verschwörungserzählungen deshalb auch als Radikalisierungsbeschleuniger bezeichnen.

Wer davon überzeugt ist, dass die Regierung wirklich so weit geht, die Bevölkerung durch ein geheimes Komplott in Gefahr zu bringen, der sieht es auch eher als gerechtfertigt an, Gewalt gegen den Staat und seine Repräsentantinnen und Repräsentanten anzuwenden. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass beinahe alle terroristischen oder extremistischen Gruppierungen Verschwörungserzählungen nutzen, um ihre Mitglieder zu mobilisieren.

Der Glaube an Verschwörungen geht auch mit einem Rückzug aus dem demokratischen System einher. Wer meint, die Regierung sei nur eine Marionette von dahinterstehenden Mächten, geht weniger wahrscheinlich wählen oder nimmt weniger teil am demokratischen Diskurs. Stattdessen, auch das belegen Studien, werden tendenziell eher anti-demokratische Wege gewählt, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen.

Welche Gefahr von solchen Verschwörungsmythen bzw. -erzählungen ausgeht, zeigt nicht nur der rechtsextreme Terroranschlag in Halle 2019. Der Attentäter glaubte an einen angeblichen "großen Austausch" der Bevölkerung und meinte, dass dieser von Jüdinnen und Juden gelenkt werde. Dies veranlasste ihn dazu, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur die Synagoge in Halle anzugreifen mit dem Ziel, so viele Jüdinnen und Juden wie möglich zu töten.

Auch beim Attentat im Jahr 2018 in der Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh (USA) wurden die Gefahren von Verschwörungserzählungen noch einmal deutlich. Der rechtsextreme Attentäter erschoss an diesem Tag elf Menschen. Zuvor hatte er Jüdinnen und Juden als "Feinde des weißen Volkes" verunglimpft und geäußert, der jüdische Philanthrop George Soros würde zusammen mit anderen die "Invasion der Migranten" fördern. Diese furchtbaren Beispiele zeigen, dass das Thema keinesfalls harmlos ist und eine ernsthafte Auseinandersetzung erfordert.

Pia Lamberty ist Doktorandin am Lehrstuhl Sozial- und Rechtspsychologie der Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Verschwörungsmentalität und Verschwörungsglauben, Kognitive Verzerrungen, Psychologische Reaktionen auf Terrorismus und Repräsentationen von Geschichte und Intergruppenbeziehungen. Zum Thema Verschwörungsmythen, auch in Hinblick auf deren Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, hat sie schon verschiedene Veröffentlichungen vorgelegt. Darunter zuletzt 2020 gemeinsam mit Katharina Nocun: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.