STEPHAN STETTER
An Israel scheiden sich die Geister
Seit der Staatsgründung und internationalen Anerkennung durch die Vereinten Nationen (UN) und eine Mehrzahl ihrer Mitgliedstaaten – inklusive der Sowjetunion und der USA – im Jahre 1948 ist Israel in hochgradig komplexe weltweite Beziehungsgeflechte eingebunden, die sich seither vielfach gewandelt haben.
Auf der einen Seite ist Israel ein enger Verbündeter vieler Staaten der Welt – heute insbesondere der Länder des Westens, allen voran der USA, aber auch der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Aber nicht nur auf diplomatischer, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene hat Israel weltweit viele, oft sehr emotionale Unterstützer und Bewunderer – und dies nicht nur im Westen und in jüdischen Diasporagemeinden. Zu beachten ist ebenfalls, dass Israel seit den 1940er-Jahren eine bemerkenswerte ökonomische Entwicklung vollzogen hat, von einem de facto Entwicklungsland, das von externer Hilfe abhängig war, hin zu einer führenden globalen Technologiemacht. Dieses gewachsene ökonomische Gewicht schlägt sich auf politischer Ebene in Israels prosperierenden Handels- und Kooperationsnetzwerken mit Europa, Amerika, dem Fernen Osten und Afrika nieder. Im Nahen Osten ist Israel heute eine zentrale Regionalmacht. Es ist militärisch und ökonomisch neben Iran, Saudi-Arabien und der Türkei einer der stärksten Staaten der Region – und dort die (bislang) einzige Atommacht. Darüber hinaus unterhält es wichtige strategische Bündnisse mit Ägypten, Jordanien und, informell, mit verschiedenen Staaten im Maghreb und arabischen Staaten in der Golfregion.
Gleichzeitig wird allerdings Israels Legitimität von zahlreichen Akteuren in der Region, aber auch darüber hinaus bestritten oder infrage gestellt. Im internationalen Vergleich fällt die hohe Anzahl an Staaten aber auch gesellschaftlichen Gruppen auf, die Israel bis heute die Anerkennung verweigern. Derzeit sind dies insgesamt 31 der 192 UN-Mitgliedstaaten, vornehmlich Mitgliedstaaten der Arabischen Liga (AL) sowie der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) – aber mit gewichtigen Ausnahmen wie Ägypten und Jordanien sowie der Türkei. Weltweit gibt es – ein Spiegelbild der emotionalen Unterstützung, die das Land und seine Menschen von anderer Seite erfahren – nicht minder emotionale israelkritische oder sogar israelfeindliche politische und gesellschaftliche Bewegungen. Die Bandbreite reicht hierbei von gewaltfreien Akteuren hin zu terroristischen Gruppen. Auch das Argumentieren mit antisemitischen Stereotypen ist in diesen Zusammenhängen immer wieder zu beobachten. Die Legitimität des jüdischen Staates wird in diesem Kontext oft infrage gestellt – sei es grundsätzlich oder sei es wegen der – freilich auch von befreundeten Akteuren kritisierten und gegen das internationale Recht verstoßenden – israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete.
Bestimmende Faktoren israelischer Außenpolitik
Was sind, vor diesem Hintergrund, die bestimmenden Faktoren der israelischen Außenpolitik? Wie alle Staaten der Welt betreibt auch Israel Außenpolitik, um zentrale strategische Ziele zu erreichen: die Steigerung der äußeren Sicherheit, die Förderung des ökonomischen Wachstums und das Werben für eigene politische Positionen. Freilich nutzen israelische Politiker, wie Staatsführer anderswo, Außenpolitik auch zur Sicherung ihrer innenpolitischen Macht. Reden israelischer Premierminister vor den UN oder dem US-Kongress sind nicht nur an ein internationales Publikum gerichtet, sondern sollen vor allem auch dem heimischen politischen Markt signalisieren, wer ein "starker" Vertreter der Interessen Israels ist. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hat diese ausgeprägte innenpolitische Komponente israelischer Außenpolitik in den 1970er-Jahren einmal leicht frustriert auf den Punkt gebracht: Israel habe eigentlich gar keine Außen-, sondern nur eine Innenpolitik.
Jedenfalls ist es zentrales strategisches Ziel israelischer Außenpolitik, einerseits die eigene militärische, politische und ökonomische Verwundbarkeit gering zu halten, andererseits weltweit Unterstützung für die eigenen politischen und ideologischen Ziele zu finden, etwa mit Blick auf die israelische Interpretation der Ursachen und Lösungswege des Israel-Palästina-Konflikts. Zentrales Mittel zur Minimierung solcher Verwundbarkeiten, aber auch zur Verbreitung der eigenen politischen Sichtweisen ist – neben der Bereitstellung einer starken Armee und der Förderung einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft – vor allem die Herbeiführung von strategischen diplomatischen Bündnissen mit anderen Staaten aber auch mit gesellschaftlichen Gruppen.
Seit der Staatsgründung hat die israelische Außenpolitik, dieser Überlegung folgend, die enge Verbindung zu mächtigen internationalen Akteuren, vor allem zu globalen Mächten gesucht. Schon in der vorstaatlichen Zeit bemühte sich die zionistische Bewegung (erfolgreich) um die Unterstützung internationaler Akteure. So konnte sie erreichen, dass Großbritannien mit der Balfour-Erklärung 1917 der jüdischen Selbstverwaltung im damals noch osmanischen Palästina eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk versprach.
Dies setzte sich dann nach der Staatsgründung 1948 in der diplomatischen Rückendeckung fort, die Israel sowohl von der Sowjetunion als auch den USA erhielt. Beide Supermächte des Kalten Krieges zögerten aber lange mit einer allzu aktiven Unterstützung Israels – zu sehr hatten sie andere strategische Interessen im Nahen Osten im Blick. Bis zum Krieg des Jahres 1967 waren daher Großbritannien und vor allem Frankreich – beides ebenfalls Vetomächte im Weltsicherheitsrat – Israels engste Verbündete. So etwa im Suezkrieg 1956, den Israel gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien führte, oder auch mit Blick auf das maßgeblich von Frankreich unterstützte israelische Atomwaffenprogramm seit den 1950er-Jahren. Erst nach dem Krieg von 1967 und vor allem seit den von den USA moderierten Friedensverhandlungen zwischen Israel und Ägypten in den 1970er-Jahren, wurden die Vereinigten Staaten zum zentralen außenpolitischen Verbündeten Israels.
So eng die Bindungen zu globalen Mächten, vor allem den USA, aber auch sind, so sehr ist es Kennzeichen israelischer Außenpolitik, dass sie die grundsätzliche staatliche Unabhängigkeit und Souveränität hervorhebt. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem historischen Trauma der Schoah: Israel will nie wieder wehrlos sein, nie wieder sollen Juden, wie zu Zeiten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des systematischen Genozids in Europa, der Verfolgung und Vernichtung zum Opfer fallen. Diese Menschen hatten keinen sie beschützenden Staat zur Seite und Israel versteht sich heute nicht zuletzt aufgrund dieser historischen Erfahrung als Schutzort für Juden aus der ganzen Welt. Jede Jüdin, jeder Jude hat bei einer Einwanderung Anspruch auf die israelische Staatsbürgerschaft – und dieses Selbstverständnis als jüdischer Staat prägt daher auch Israels außenpolitische Bindungen zu anderen Staaten und gesellschaftlichen Gruppen, vor allem zur jüdischen Diaspora.
Schließlich geht die starke Betonung von Unabhängigkeit und Souveränität damit einher, dass Israel ein im internationalen Vergleich wenig in internationale, geschweige denn supranationale Organisationen integrierter Staat ist. Die Skepsis gegenüber den Vereinten Nationen, die in Israel als bisweilen israelfeindlich wahrgenommen werden, ist groß. Ebenso ist es bis heute ein zentrales Anliegen der meisten israelischen Regierungen gewesen, eine zu umfassende Internationalisierung bei der Lösung des Israel-Palästina-Konflikts zu verhindern. Der Allianz mit den USA, die als Vetomacht im Weltsicherheitsrat Israel vor internationalem Druck gerade in dieser Hinsicht bisher erfolgreich zu beschützen wussten, kommt hierbei zentrale strategische Bedeutung zu. Israel sucht also enge weltweite Bindungen, vor allem zum Westen, dies aber ohne sich zu sehr in multilaterale Formen der zwischenstaatlichen Kooperation zu integrieren oder sich auf völkerrechtlich verbindliche Regelungen zu verpflichten.
QuellentextEng verknüpft: Sprache und Strategie
[…] Seit Beginn des Nahost-Konflikts sind Sprache und Strategie eng miteinander verknüpft. Begriffe beschreiben nicht nur Realität, sondern schaffen sie auch. Worte drücken nicht nur Bewusstsein und Haltung von Beobachtern, Akteuren und Wählern aus. Sie prägen sie. […]
Die richtige Wortfindung ist in Israels Politik von zentraler Bedeutung. Im Amt des damaligen Premiers Ariel Scharon suchte man lange nach dem richtigen Begriff für die Demontage aller Siedlungen im Gazastreifen im Jahr 2005. "Rückzug" klang zu defätistisch, mit der neutralen "Räumung" hätte man kaum jemanden gewinnen können. So kam man auf die bis dahin unbenutzte Bezeichnung "Entkopplung", weil sie implizit in Aussicht stellte, nach dem Verlassen des Gazastreifens nichts mehr mit dem Palästinenserproblem zu tun haben zu müssen.
Palästinenser und Israelis wollen mit dem richtigen Wort die internationale Staatengemeinschaft für sich gewinnen. Was die einen "Apartheidsmauer" nennen, um Assoziationen mit dem Kalten Krieg und südafrikanischem Rassismus zu wecken, nennen die anderen "Antiterrorzaun", was leichter und gerechtfertigt defensiv klingt. Was Palästinenser als "außergerichtliche Hinrichtungen" verurteilt sehen wollen, wollen Israelis als "gezielte Vereitelung" hochtechnologisch, spezifisch und unblutig erscheinen lassen.
Und wenn wir schon bei dem Begriff Palästinenser sind, dann hat auch dieses Wort mit den Jahrzehnten seine Bedeutung geändert. Denn bis in die Sechzigerjahre waren die Nichtjuden im Heiligen Land schlicht Araber. Nur wenige Jahrzehnte zuvor waren Palästinenser eine Fraktion innerhalb der zionistischen Bewegung, die das britische Angebot, den Judenstaat in Uganda zu errichten, ablehnte. Den heute so weit verbreiteten Ausdruck palästinensische Gebiete hätten Zionisten vor 100 Jahren als Tautologie abgetan, war Palästina für sie doch ausschließlich eine geografische Bezeichnung.
Im Gegensatz zu heute. Weshalb Siedler allergisch reagieren, wenn Medien das Land zwischen der grünen Linie – also der Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Jordanien und dem Jordanfluss – als Palästinensergebiete bezeichnen. Der Begriff verweigert ihnen jeden Anspruch auf dieses Land, lässt ihre Präsenz illegal erscheinen. Wie anders dächten wohl viele Deutsche, läsen sie stattdessen von Judäa und Samaria in ihrer Zeitung – den biblischen Namen für diese Region, die eine Verbindung zwischen Land und Juden voraussetzt. Oder zumindest den offiziellen Begriff "umstrittene Gebiete", der zum Ausdruck bringen soll, dass hier niemals ein Palästinenserstaat existierte und dass der arabische Anspruch deshalb genauso infrage gestellt werden darf wie der israelische.
Der handlichere Ausdruck Westbank gehört indes in die Geschichtsbücher. Er entstand, nachdem Jordanien dieses Gebiet 1948 eroberte und völkerrechtswidrig annektierte, und sich nun über beide Ufer des Jordans erstreckte. Dabei waren die ursprünglich den Juden versprochen worden, zumindest bis Transjordanien als britischer Vasall erfunden und Palästina zum ersten Mal geteilt wurde. In diesem Zusammenhang sprechen in Israel von der Westbank nur noch die Extremisten, die vom Traum eines Judenstaats auf der anderen Seite nicht ablassen wollen. Doch der Gebrauch des Wortes in diesem Sinn ist spätestens seit der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen Amman und Jerusalem verpönt, um Spannungen mit dem arabischen Partner zu vermeiden. […]
Gil Yaron, "Mit Begriffen Politik machen", in: Die Welt vom 7. Oktober 2016
Der erste Beziehungskreis: die Bedeutung der USA
Seit den späten 1960er-Jahren sind die USA zum zentralen Verbündeten Israels in der Welt geworden. Israel genießt in den USA über die parteipolitischen Lager hinweg große politische Unterstützung. Es gehört seit vielen Jahrzehnten zum vielbeschworenen bipartisan consensus, das heißt, dass beide Seiten des politischen Spektrums der USA, Demokraten und Republikaner, Israel politisch und auch emotional starken Rückhalt geben. Dies betrifft auch den strategischen Bereich. So erhält Israel auf militärischer Ebene umfangreiche Finanzhilfen. Die israelische Tageszeitung Haaretz hat die Zahlungen, die von 1962 (Beginn der Militärhilfe) bis 2014 dem Militärsektor zugutekamen, auf etwa 100 Milliarden US-Dollar beziffert. Israels militärische Stärke wäre ohne die Unterstützung der USA kaum so ausgeprägt, wie dies heute der Fall ist. Neben dieser finanziellen Hilfe besteht auch eine enge strategische Kooperation zwischen den amerikanischen und israelischen Sicherheitskräften – Armee und Geheimdiensten – nicht zuletzt mit Blick auf den Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Als Vetomacht im Weltsicherheitsrat achten die USA darüber hinaus darauf, dass keine allzu kritischen Resolutionen zu Israels Besatzungspolitik verabschiedet werden, vor allem keine, die eine rechtliche Bindungswirkung entfalten könnten. Die USA handeln aber keinesfalls nur reaktiv. Wenn auch das multilaterale Nahost-Quartett (bestehend aus den UN, den USA, Russland und der EU) nur eine eingeschränkte Rolle im Israel-Palästina-Konflikt seit 2003 einnimmt, sind de facto die USA die einzige Macht, die als "starker" Vermittler angesehen werden kann und solche Vermittlungstätigkeiten auch aktiv wahrnimmt. So etwa bei den Friedensverhandlungen von Camp David und Taba 2000/2001 oder bei den Annapolis-Verhandlungen 2007. Während Israel an dieser dominanten Rolle der USA festhalten will, schreiben viele Seiten, nicht zuletzt die palästinensische, den USA eine gewisse Parteilichkeit zugunsten Israels zu, was die Effektivität einer vor allem auf die USA zugeschnittenen Vermittlerrolle hinsichtlich einer umfassenden Friedenslösung durchaus infrage stellt.
Die Nähe zwischen den USA und Israel ist aber nicht nur strategischer Natur. Führende US-amerikanische und israelische Politiker verweisen regelmäßig auf die engen Bindungen zwischen beiden Staaten und auf ihr gemeinsames Wertefundament. Dieses speist sich nicht zuletzt aus dem sowohl in den USA als auch in Israel verbreiteten Glauben an die Besonderheit und oft religiös interpretierte Auserwähltheit der eigenen Nation. Außer Winston Churchill hat kein anderer ausländischer Politiker vor dem US-Kongress so oft eine Rede gehalten wie der langjährige israelische Premierminister (1996–1999 und seit 2009) Benjamin Netanjahu. Der Senat, die machtvolle Erste Kammer des US-Kongresses, steht über die parteipolitischen Lager hinaus nahezu einhundertprozentig hinter Israel.
US-Regierungen berücksichtigen traditionell die diplomatischen Auswirkungen, die außenpolitische Entscheidungen mit Blick auf Israel haben könnten. Dies betrifft auch eine langjährige Forderung des US-Kongresses, die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, das Israel im Gegensatz zum internationalen Recht als "alleinige und unteilbare" Hauptstadt betrachtet. Nachdem bislang alle US-Präsidenten diesen Schritt nicht umgesetzt hatten, weil sie internationale Verwerfungen für die US-Außenpolitik befürchteten, hat die aktuelle Präsidentschaft unter Donald Trump diesen Umzug angekündigt.
Die Besonderheit des Bündnisses zwischen den USA und Israel beruht auch auf der ausgesprochen hohen gesellschaftlichen Unterstützung, die Israel in der amerikanischen Innenpolitik zuteil wird. Dies liegt nicht nur an der politischen Bedeutung der jüdischen Diaspora in den USA und ihrer zentralen Lobbyorganisation AIPAC, sondern sogar vorrangig an der religiös motivierten Unterstützung, die Israel in christlich-evangelikalen Kreisen genießt, die in den USA einer der zentralen gesellschaftlichen Machtfaktoren sind.
In Meinungsumfragen drückt sich diese Nähe immer wieder in hohen Zustimmungsraten aus und dies nicht nur bei (evangelikalen) Christen, sondern auch im liberalen politischen Lager, dem sich auch die meisten amerikanischen Juden zugehörig fühlen. Israel wird in weiten Teilen der USA als bedrohtes Land wahrgenommen, das mit den USA grundlegende demokratische Werte teilt, ein "Außenposten" des Westens im Nahen Osten.
Allerdings wächst insbesondere im liberalen politischen Spektrum und in Teilen der demokratischen Partei die Kritik an Israels Besatzungspolitik und deren negative Folgen für das nationale Selbstbestimmungsrecht und die grundlegenden Menschenrechte der Palästinenser, die durch die Besatzung verletzt werden. Skeptisch betrachtet werden auch manche inneren Entwicklungen Israels unter den rechtsnationalen israelischen Regierungen der vergangenen Jahre, etwa die Einschränkungen der Meinungsfreiheit oder der Betätigungsmöglichkeiten für Nichtregierungsorganisationen. Jüdische Organisationen, die sich im liberalen Spektrum verorten und der demokratischen Partei nahestehen, wie etwa J-Street, sehen sich im Gegensatz zu eher konservativen Gruppen wie AIPAC als "israelfreundlich", aber "besatzungskritisch".
Auch wenn die öffentliche Unterstützung Israels in den USA immer noch und gerade im Vergleich zu Europa sehr ausgeprägt ist, lässt sich nicht übersehen, dass in Teilen der politischen Landschaft der USA eine kritischere Sichtweise im Entstehen ist und der beinahe eiserne bipartisan consensus einer absoluten Unterstützung Israels durch beide große Parteien Risse zeigt. Es ist nicht auszuschließen, dass insbesondere der umfassende diplomatische Schutz, den Israel durch die USA im Weltsicherheitsrat genießt, hierdurch nicht grundsätzlich, aber doch zumindest partiell tangiert werden könnte.
Der zweite Beziehungskreis: Europa und Russland
Zu anderen Staaten des Westens, vor allem zur EU sowie zu Russland, unterhält Israel ebenfalls enge, wenngleich deutlich spannungsreichere Beziehungen. Einem Bonmot des israelischen Historikers Dan Diner folgend liegt Israel nicht in Europa, ist aber von Europa. Zum einen stammt ein großer Teil der israelischen Bevölkerung aus Europa. Viele Israelis haben neben ihrer israelischen Staatsbürgerschaft familiäre Bindungen dorthin oder sogar einen EU-Pass und schließlich gehört es auch zum Selbstverständnis vieler, wenngleich nicht aller Israelis, Teil der westlichen Welt zu sein. Allerdings ist das Verhältnis zu Europa aus historischen Gründen alles andere als unbelastet. Aus der Geschichte des europäischen Antisemitismus und der Schoah ergibt sich eine kritische und bisweilen europaskeptische Haltung, auf die in der politischen Debatte in Israel oft zurückgegriffen wird.
Ungeachtet der oft spannungsgeladenen politischen Beziehungen ist die EU Israels wichtigster und bedeutsamster Handelspartner. Die wirtschaftlichen Beziehungen zur EU haben für Israel (und durchaus auch für die EU) immense Bedeutung, weil Israel aufgrund der fehlenden regionalen Integration stark auf den wirtschaftlichen Austausch mit mehr (USA, Indien, China) oder weniger (EU) entfernten Handelspartnern angewiesen ist.
Auch die politische Unterstützung des gesamten Westens hat für Israel hohen strategischen Stellenwert. Während die Anerkennung Palästinas durch nicht-westliche Staaten in Israel mehr oder weniger hingenommen wird, ist es ein vorrangiges Ziel der israelischen Diplomatie, eine formale Anerkennung durch die EU oder ihre Mitgliedstaaten zu verhindern oder zu verzögern. Mit Ausnahme Schwedens ist dies gelungen, in anderen Staaten wie Frankreich, Irland oder Großbritannien haben bisher nur die Parlamente unverbindliche Empfehlungen zur Anerkennung Palästinas ausgesprochen, genauso verfuhr das EU-Parlament.
Nichtsdestoweniger unterliegen die wechselseitigen Beziehungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene deutlich mehr Spannungen, als dies im Verhältnis zu den USA der Fall ist. Die EU und ihre Mitgliedstaaten betonen – bei allen Unterschieden, die es im Einzelnen in der Außenpolitik der EU-Mitgliedstaaten gegenüber Israel gibt – wesentlich stärker als die USA die Völkerrechtswidrigkeit der israelischen Besatzungspolitik und die negativen menschenrechtlichen Auswirkungen der Besatzung auf die palästinensische Bevölkerung. Meinungsumfragen in der EU zeigen, dass Israel dort von Vielen nicht so sehr als stabilisierender Faktor oder demokratische Insel im Nahen Osten wahrgenommen wird, sondern vielmehr als Staat, der als Besatzungsmacht zu regionaler Unsicherheit beiträgt und hierdurch regionale und globale Instabilität verstärkt. Nicht zuletzt aufgrund solcher unterschiedlicher Wahrnehmungen wird die EU im israelischen politischen Diskurs bisweilen als israelkritisch oder sogar -feindlich porträtiert, manchmal auch verbunden mit Verweis auf vermeintliche Kontinuitätslinien des traditionellen europäischen Antisemitismus in der EU-Außenpolitik.
Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Israel in der Gesamtschau sehr enge Bündnisse mit Europa pflegt. Schon im späten 19. Jahrhundert waren die europäischen Mächte wichtige Adressaten der zionistischen Bewegung. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. empfing beispielsweise während seiner Reise ins Osmanische Reich 1898 am Jaffator in Jerusalem Theodor Herzl. Frankreich wiederum war bis 1967 gerade in militärischer Hinsicht der Hauptverbündete Israels. Auch gegenwärtig gibt es keinen Staat außerhalb Europas, der so enge und durch Verträge abgesicherte wirtschaftliche, wissenschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen mit der EU hat wie Israel. Eine antiisraelische europäische Grundhaltung lässt sich hieraus kaum ableiten. Die dennoch in dieser Hinsicht bestehenden Sorgen speisen sich, neben der historischen Komponente, aus in Israel weit verbreiteten Ängsten vor möglichen politischen Folgen, die sich aus der Präsenz und der Einwanderung von Muslimen in die EU ergeben. Diese Ängste befördern die Skepsis Israels, der EU eine deutlich aktivere Rolle als Vermittler im Nahost-Konflikt zu ermöglichen.
QuellentextIsraels Blick auf die EU – eine Umfrage
So eng die politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Europäischer Union und Israel auch sind, Misstrauen und unterschwellige Antipathien prägen das Verhältnis.
Schaut man sich die Zahlen allerdings genauer an, zeigt sich in der Frage ein Riss durch die israelische Gesellschaft. In der Anhängerschaft der rechten Regierungspartei Likud ist die Wertschätzung für die EU mit 23 Prozent ausgesprochen gering. Ganz anders sieht es im linken Oppositionslager aus, dort ist man zu über 70 Prozent Europa gegenüber wohlwollend eingestellt.
Die Gründe dafür dürften viel mit der europäischen Kritik am Siedlungsbau und der militärischen Besetzung der palästinensischen Gebiete zu tun haben, die in Israel oft als obsessiv angesehen wird. Die Frage, ob die EU ein ehrlicher Vermittler im Nahostkonflikt sein könne, beantworteten weit über 70 Prozent der Israelis mit einem entschiedenen Nein und nur 23 Prozent mit klarem Ja. Eine satte Zweidrittelmehrheit meint auch, Israel könne sich nicht auf Europa verlassen.
Dazu beigetragen hat nicht zuletzt die Zunahme an antisemitischen Vorfällen in europäischen Staaten. Nur jeder zweite jüdische Israeli gab an, sich auf Reisen dort noch sicher zu fühlen. Michael Borchard, Leiter der Adenauer-Stiftung in Jerusalem, nannte denn auch den Umgang mit dem Antisemitismusproblem "den Lackmustest in den Beziehungen". Durch Attentate wie den Terroranschlag auf einen koscheren Supermarkt in Paris fühle man sich in Israel erst recht in der Meinung bestätigt, dass Europa die Risiken muslimischer Einwanderer unterschätze. So werde immer wieder in israelischen Debatten den Europäern "Naivität" oder "Appeasementpolitik" vorgeworfen.
Umso erstaunlicher ist ein anderes Ergebnis: Trotz aller Vorbehalte sähen es 56 Prozent der Israelis nach wie vor es gerne, wenn ihr Land der EU beitreten würde. Aber auch da waren es 2007 mit 75 Prozent noch weitaus mehr. Bislang genießt Israel eine privilegierte Partnerschaft mit der EU, die es unter anderem zur Teilhabe an dem milliardenschweren Förderprogramm "Horizont 2020" berechtigt. Dies wiederum finden 65 Prozent gut. Dass Projekte in den besetzten Gebieten davon ausgeschlossen sind, stört die Israelis offenbar wenig. Wenngleich sie mehrheitlich strikt gegen die EU-Kennzeichnungspflicht von Siedlerprodukten sind.
Die Bundesrepublik übrigens kommt in der israelischen Bewertung besser weg als alle anderen EU-Mitglieder. Kein Wunder, 65 Prozent glauben, dass Deutschland in den EU-Gremien Israel verteidige.
Inge Günther, "EU-Kritik in Israel" in: Frankfurter Rundschau vom 6. September 2017 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt
Beziehungen zu einzelnen EU-Mitgliedstaaten
Neben den Beziehungen zur EU setzt Israel, seinem Selbstverständnis als souveränitätsbezogener Staat folgend, vor allem auf starke bilaterale Beziehungen zu den einzelnen Mitgliedstaaten. Dies schafft zum einen Einflussmöglichkeiten auf europäische Politik, denn enge Verbündete wie Deutschland, die Niederlande oder Großbritannien haben des Öfteren kritische Beschlüsse im Rat oder im Europäischen Parlament abgemildert, wobei es mit Blick auf die Grundlinien der EU-Politik bezüglich des israelisch-palästinensischen Konflikts keine großen Divergenzen in der Union gibt. Zum anderen ist die zwischenstaatliche Kooperation deswegen wichtig, weil in der EU militärische und sicherheitspolitische Aufgaben noch weitestgehend in nationale Kompetenzen fallen. So garantiert etwa die deutsche Rüstungshilfe, die die Lieferung von atomwaffenfähigen U-Booten umfasst, Israel eine strategische Zweitschlagskapazität.
Die Entdeckung potenziell sehr lukrativer Gasfunde vor der israelischen Küste und in anderen Hoheitsgebieten des östlichen Mittelmeers sowie die – insbesondere nach dem sogenannten Mavi-Marmara-Vorfall im Jahre 2010 – angespannten Beziehungen zur Türkei veranlassten Israel mit Erfolg, die strategischen Bindungen zu den beiden EU-Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern auszubauen.
Verhältnis zu Russland
Dem Verhältnis Israels zu Russland kommt ebenfalls ein zentraler Stellenwert zu. Dies hat zum einen historische Gründe: die Gründerväter der zionistischen Bewegung stammten zu einem großen Teil aus dem russischen Einflussgebiet und für die russische Außenpolitik hatte das Heilige Land bereits im Zarenreich zentrale strategisch-ideologische Bedeutung. Der andere Grund sind die hohen Zuwandererzahlen russischer Juden nach Israel in den 1990er-Jahren in Höhe von etwa 20 Prozent der damaligen Bevölkerung. Wenngleich die israelisch-russischen Beziehungen nicht das gleiche strategische Gewicht haben wie die Beziehungen zu den USA und – deutlich abgestuft – zur EU, so ist Russland als Vetomacht im Weltsicherheitsrat und als im Kontext des Syrienkrieges wieder erstarkter regionaler Akteur im Nahen Osten für Israel von hoher Bedeutung. Jedenfalls nimmt Israel die strategischen Interessen Russlands – etwa mit Blick auf Syrien – umfassend in Rechnung und vermeidet machtpolitische Auseinandersetzungen mit dem Kreml.
Hierbei ist zu beachten, dass Russland traditionell eine starke Rolle im Nahen Osten spielt. Bereits im 19. Jahrhundert suchte das zaristische Russland, auf die Region politischen Einfluss auszuüben. Es waren christliche Pilger aus Russland, die als erste das Heilige Land in großer Zahl besuchten, und die zionistische Einwanderung wurde maßgeblich durch russische Juden angetrieben. Im Kalten Krieg machte die Sowjetunion über Verbündete wie Ägypten oder Syrien ihren Einfluss im Nahen Osten geltend. Die derzeitigen Versuche, das russische Standbein in Syrien auszubauen, stehen somit in einer langen Tradition russischer Interessenpolitik im Nahen Osten: nicht nur mit Blick auf die von der russischen Marine getragene, syrische Mittelmeerbasis in Tartus, sondern auch mit Blick auf Russlands Beziehungen zu Iran.
QuellentextUnwahrscheinliche Freunde?
[…] Israel und Russland sind unwahrscheinliche Freunde. Die russische Regierung hilft dem syrischen Regime von Diktator Baschar al-Assad und damit auch der mit ihm verbündeten Hisbollah-Miliz. Beide sind entschlossene Gegner Israels. […]
Der Iran und Russland arbeiten in Syrien eng zusammen. Die Russen lassen ihre Bomber fliegen; Milizen unter iranischem Befehl erobern am Boden Stadt um Stadt von den Rebellen zurück. […] Seit dem Atomabkommen mit dem Iran 2015 liefert Russland auch wieder mehr Waffen an die iranische Armee. Besonders ärgerlich für Israel war der Verkauf von modernen russischen S-300-Bodenluftraketen. Die können sogar israelischen Hightech-Jets gefährlich werden.
Wenn Netanjahu nach Moskau fährt, kennt Putin also schon dessen Sorgenliste: Der Iran bekomme zu viele Waffen, der Iran besetze Syrien und baue sich Militärbasen, der Iran wolle einen Hafen an der Mittelmeerküste, der Iran rüste Hisbollah gegen Israel auf. Das bekommen die Israelis in der Tat zu spüren. Hisbollah steht mit mehreren Tausend Kämpfern in Syrien und nähert sich regelmäßig den von Israel gehaltenen Golanhöhen. Dann steigen israelische Kampfflugzeuge auf, um sie zu bombardieren.
An dem Punkt wird es brandgefährlich, und man beginnt, Netanjahus Reisewut nach Moskau zu verstehen. Mit Putin hat er einen Schweigepakt geschlossen: Wenn Israel die Hisbollah angriff, gaben die Russen keinen Laut von sich. Wenn die Russen bei ihren Kampfflügen israelischen Luftraum verletzten, schwiegen die Israelis. Zwischen Damaskus und der israelischen Grenze liegen nur fünfzig Kilometer. […] Israelische und russische Militärs informieren sich regelmäßig über ihre Flüge. Israels Regierung schluckt auch die russischen Waffenlieferungen an den Iran, protestiert aber laut, sobald die Europäer auch nur erwägen, Bohrmaschinen an den Iran zu liefern. Putin genießt eine Vorzugsbehandlung. Und das hat Gründe.
"Wir sehen die Russen nicht mehr so kritisch, wie wir früher die Sowjets gesehen haben", erklärt ein hochrangiger israelischer Ex-General. Man spreche sich heute ab. Beim Iran gebe es klare Meinungsverschiedenheiten. Aber in anderen Bereichen sei man sich einig: Russland wolle Stabilität und keine Muslimbrüder in Ägypten. Ganz wie Israel, sagt der General. "Wir haben gelernt, mit den Russen im Mittleren Osten zu leben."
In diesem Satz tritt die Umwälzung der ganzen Region zutage. Russland, ein Land zwischen Ostsee, Schwarzem Meer, Arktis und Pazifik, ist zur Großmacht in Nahmittelost geworden. Mit der Intervention in Syrien im Herbst 2015 hat Russland die USA als kriegsentscheidende Macht abgelöst und den Diktator Assad gerettet. Das strahlt weit über das Kriegsgebiet hinaus. "Russland hat nicht die Ressourcen und den Wunsch, die USA zu ersetzen", sagt der russische Direktor des Carnegie Center in Moskau, Dmitri Trenin: "Moskau strebt nach der Position des machtvollen Vermittlers, der einen Draht zu allen Parteien hat, aber dabei weder zum engen Verbündeten oder Gegner wird."
So ist Moskau zum Grand Café des Mittleren Ostens geworden. Iraner kommen ebenso vorbei wie Saudis, Syrer und Ägypter, Türken und die ihnen so verhassten Kurden. Nicht der US-Außenminister, sondern sein russischer Kollege vermittelt zwischen den zerstrittenen Palästinensern von Fatah und Hamas. […]
Michael Thumann, "Warum treffen sich Putin und Netanjahu so oft?", in: Die Zeit Nr. 14 vom 30. März 2017
Israels Beziehungen zur übrigen Welt
Der Fokus auf die Beziehungen zu den USA, den Westen (EU) und zu Russland soll keinesfalls den Eindruck vermitteln, als hätten sich damit Israels internationale Verbindungen erschöpft. Dabei soll stichwortartig auf drei weitere wichtige Beziehungskreise eingegangen werden.
Als erstes sind die Beziehungen Israels zu seiner Region zu nennen. Israel ist neben Iran, Saudi-Arabien und der Türkei eine führende Regionalmacht im Nahen Osten und eng in das regionale (Un-)Sicherheitsgefüge eingebettet. Da es im Nahen Osten kaum Formen einer institutionalisierten regionalen Sicherheitsarchitektur gibt, zeichnet sich Israels starke militärische, ökonomische und politische Rolle vor allem dadurch aus, dass es Teil eines auf Allianz- und Gegenmachtbildung setzenden regionalen Ordnungsgefüges ist, in dem sich feindlich gesinnte oder sich hochgradig misstrauende Staaten gegenüberstehen.
Gemeinsame Sicherheitsinteressen Israels mit sogenannten moderaten Staaten der Region, neben anderen Ländern auch Saudi-Arabien und Ägypten, haben zu einer zunehmenden sicherheitspolitischen Zusammenarbeit geführt. Für die Bezeichnung "moderate Staaten" ist dabei allein die sicherheitspolitische Sicht maßgeblich: Verstanden werden darunter Länder mit Interesse an der Aufrechterhaltung des machtpolitischen regionalen Status quo, was vor allem bedeutet, den Einfluss Irans klein zu halten und autokratische Regierungssysteme in arabischen Ländern vor einem neuen "Arabischen Frühling" zu bewahren.
Einig sind Israel und die Status quo-orientierten Staaten in ihrer strikten Ablehnung des Atomabkommens zwischen Iran und der internationalen Staatengemeinschaft, in ihrer Skepsis gegenüber der Entwicklung in einigen arabischen Staaten nach dem kurzen "Arabischen Frühling" von 2011 und in ihrer Sorge angesichts der Verwerfungen des irakischen und syrischen (Bürger)-Krieges und den Einflussmöglichkeiten, die dies Iran schafft.
Zweitens unterhält Israel bereits seit den 1960er-Jahren enge Beziehungen zu (nicht-mehrheitlich muslimischen) Staaten Afrikas und Asiens. Im Sommer 2016 unternahm der israelische Ministerpräsident eine ausgedehnte Afrikareise mit Stationen in Ruanda, Uganda, Kenia und Ägypten. Damit unterstrich er die Bedeutung der afrikanischen Staaten und der Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Diplomatie, Migrationspolitik und Terrorismusbekämpfung.
Gleiches gilt mit Blick auf die vielfach beschworene "asiatische Wende" der israelischen Außenpolitik. Wenngleich die Betonung, man könne sich jederzeit vom Westen abwenden und anstelle dessen einfach stärker mit aufstrebenden globalen Mächten wie China und Indien kooperieren, mit Vorsicht genossen werden sollte, so lässt sich nicht leugnen, dass Israel durchaus erfolgreich in seine Beziehungen zu China und Indien investiert.
Drittens ist auf Israels eher zwiespältige Haltung zu internationalen Organisationen zu verweisen. Wie die anderen Staaten im Nahen Osten betont es seine nationale Souveränität und Unabhängigkeit und ist relativ wenig in regionale oder globale multilaterale Ordnungszusammenhänge integriert. Die UN werden in Israel – einem hebräischen Wortspiel folgend – oft als Um-Schmum bezeichnet (Um ist die hebräische Abkürzung für die UN, das Präfix schm- bezeichnet im Jiddischen eine ironische oder abschätzig gemeinte Verballhornung).
Auch die EU wird, wie dargestellt, oft sehr kritisch gesehen und in der israelischen politischen Debatte kaum als supranationale politische Einheit, sondern beinahe ausschließlich als zwischenstaatliche Institution wahrgenommen. Einen ersten vorsichtigen Schritt in multilaterale Ordnungszusammenhänge und Souveränitätsverzicht unternahm Israel durch seinen Beitritt zur OECD im Jahre 2010. Doch geht es hier nicht um sicherheitspolitische Belange, sondern im Wesentlichen um technische Formen der Standardisierung und Regelsetzung in sozio-ökonomischen Themenfeldern der internationalen Politik, die auch als Global Governance – Globales Regieren – bezeichnet werden.
Schlussbetrachtungen
In der Gesamtschau basiert die außenpolitische Ausrichtung Israels auf drei zentralen Pfeilern: Der erste Pfeiler ist die starke Betonung der politischen Souveränität, insbesondere des Sicherheitsaspekts, verbunden mit einer Zurückhaltung gegenüber multilateralen Ordnungszusammenhängen, vor allem solchen der Konfliktlösung. Der zweite Pfeiler ist die enge und für Israels Sicherheit fundamental bedeutsame strategische Anbindung an die USA. Der dritte Pfeiler ist die Pflege der bilateralen Verbindungen zu einzelnen Staaten, vor allem im Westen inklusive der EU, aber auch zu Russland, zu ausgewählten arabischen Staaten und aufstrebenden Staaten in Asien und Afrika.
Die Welt der israelischen Außenpolitik ist vor allem eine Welt der zwischenstaatlichen Kooperation, die vielfältigen multilateralen Kooperationsmöglichkeiten der supranationalen Organisationen (Global Governance) werden kaum genutzt und in Israel zu Unrecht oft als irrelevant betrachtet. Ob diese Strategie in einer Welt, in der multilaterale Kooperation sowie internationale Institutionenbildung und Verrechtlichung voranschreitet, dauerhaft tragfähig ist, muss an dieser Stelle offen bleiben. Das oben beschriebene, sich wandelnde Verhältnis zu Israel in den USA und auch die zumindest partielle Entfremdung zwischen der EU und Israel zeigen jedenfalls, dass dies nicht die einzige spannende Frage ist, wenn die weitere Entwicklung der israelischen Außenpolitik im 21. Jahrhundert analysiert wird.
JENNY HESTERMANN
Deutsch-israelische Beziehungen
Erste Kontakte bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen
Nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 gab es zunächst nur sehr zögerliche Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland, die 1949 als westdeutscher Teilstaat aus dem 1945 untergegangenen Deutschen Reich hervorgegangen war. Angesichts des Völkermords, den die Deutschen an den europäischen Juden begangen hatten, sprachen sich Teile der Regierung und der Gesellschaft Israels dafür aus, Deutschland und alles Deutsche komplett zu boykottieren. Da jedoch die Bundesrepublik Deutschland (genauso wie übrigens auch der ostdeutsche Teilstaat, die Deutsche Demokratische Republik, DDR) die Rückkehr in die internationale Gemeinschaft anstrebte und Israel sich um die Aufnahme darin bemühte, ließen sich im Dienste dieser Anliegen Kontakte auf Dauer nicht vermeiden.
Der Staat Israel hatte zu Beginn der 1950er-Jahre kaum wirtschaftliche Ressourcen und Infrastruktur, er war dringend auf Hilfe von außen angewiesen. Von der DDR war eine solche Hilfeleistung nicht zu erwarten, denn der ostdeutsche Teilstaat begriff sich als antifaschistisch und damit historisch unbelastet von der Verantwortung für den Völkermord. Daher sah seine Regierung sich nicht in der Verpflichtung, eine historische Schuld auszugleichen. Im Rahmen des Ost-West-Konfliktes ordnete sich die DDR dem von der Sowjetunion dominierten Ostblock zu. Damit stellte sie die Beziehungen zu den Israel feindlich gesonnenen arabischen Staaten in den Vordergrund. Die Beziehungen zwischen der DDR und Israel blieben daher auch bis 1985 marginal bis ablehnend.
Luxemburger Abkommen 1952: Die Bundesrepublik Deutschland, die Teil des westlichen Lagers war, zeigte sich dagegen nach langen, kontroversen Debatten im Bundestag und ablehnenden Reaktionen, vor allem aus dem konservativen Lager, zur Unterstützung für Israel bereit. Im Jahr 1951 kam es zu ersten Verhandlungen über weitreichende Entschädigungszahlungen an Israel sowie an den World Jewish Congress als Vertreter des jüdischen Volkes.
In Israel formierten sich heftige Proteste dagegen, "Blutgeld" vom Nachfolger des NS-Staates anzunehmen und sich damit dessen Schuld quasi abgelten zu lassen. Dass dieser Anspruch von deutscher Seite aus tatsächlich bestand, drückt sich im deutschen Wort "Wieder-gut-machung" aus. Tatsächlich bedeuteten die Entschädigungszahlungen jedoch kein Abgelten von Leben, sondern standen für eine Art Ausgleichsvergütung: Die Vermögenswerte, die den verfolgten Juden individuell geraubt worden waren, sollten nunmehr in anderer Form an das jüdische Kollektiv zurückerstattet werden – dies war durchaus noch kein erster Schritt zur Versöhnung.
Am 10. September 1952 unterzeichneten beide Seiten in Luxemburg einen Vertrag. Das "Luxemburger Abkommen" regelte Zahlungen und Güterlieferungen von Deutschland an Israel über einen Zeitraum von zwölf bis 14 Jahren. Insgesamt drei Milliarden DM erhielt Israel als dringend benötigte Aufbauhilfe – und die Bundesrepublik gewann im Gegenzug moralische Rückendeckung für eine Wiederaufnahme in die internationale Gemeinschaft. Als positiver Nebeneffekt entstand in Israel ein Markt für deutsche Produkte, die auch nach Auslaufen des Abkommens weiter nachgefragt und importiert wurden.
Einfluss des Ost-West-Konflikts: Diplomatische Beziehungen wurden jedoch zunächst nicht aufgenommen. Hauptsächlich lag dies daran, dass der Ost-West-Konflikt die internationale Politik überlagerte und die Staatenwelt im Rahmen des Kalten Krieges in zwei ideologische Lager spaltete. Die Bundesrepublik fürchtete im Falle diplomatischer Beziehungen zu Israel negative Reaktionen der mit Israel verfeindeten arabischen Staaten, eine Aufkündigung ihrer Beziehungen zur Bundesrepublik und eine Anerkennung der DDR. Letzteres zu verhindern war jedoch das Anliegen der im Jahr 1955 formulierten "Hallstein-Doktrin": Mit ihr beanspruchte die Bundesrepublik, international als alleinige Vertreterin des deutschen Volkes anerkannt zu sein und so eine deutsche Wiedervereinigung in der Zukunft nicht zu gefährden.
Als 1957 eine öffentliche Aufforderung Israels zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen erging, vereinbarte der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß mit Shimon Peres, dem Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums, einen Ausgleich in Gestalt geheimer Waffenlieferungen. Im Oktober 1964, nach sieben Jahren, kamen diese Lieferungen an die Öffentlichkeit. Um der Entrüstung aus der arabischen Welt zu begegnen, entschloss sich Bundeskanzler Ludwig Erhard, die Waffenlieferungen einzustellen und Israel den gewünschten Botschafteraustausch anzubieten.
Für Israels Bemühungen um internationale Anerkennung war das ein wichtiger Schritt. Zugleich galt ihm das wirtschaftlich wie politisch immer mächtiger werdende Deutschland auch als Tor zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die sehr pragmatische israelische Regierungspolitik entsprach jedoch nicht den Gefühlen der Bevölkerung, die noch nicht bereit war, ein offizielles Verhältnis zu Deutschland aufzunehmen. Wütende Proteste gegen den ersten Botschafter der Bundesrepublik, Rolf Pauls, dem man auch seine Vergangenheit als Offizier in der deutschen Wehrmacht vorwarf, waren die Folge.
Kontakte auf zivilgesellschaftlicher Ebene: Bereits im knappen Jahrzehnt zwischen 1957 und 1965 hatten sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene, im gewerkschaftlichen, kirchlichen und wissenschaftlichen Bereich wechselseitiger Austausch und Kooperation entwickelt. Das persönliche Engagement vereinzelter Akteure auf beiden Seiten hatte solchermaßen die offizielle Politik erst möglich gemacht. Nach 1965 konnten auch diese zivilgesellschaftlichen Kontakte weiter ausgebaut werden.
Kulturelle Beziehungen blieben hingegen schwierig, da die deutsche Sprache in Theaterstücken und Literatur bei der noch lebenden Generation von Verfolgten des NS-Regimes auf heftige Ablehnung stieß. So gab es etwa Proteste gegen Günter Grass und eine durch den deutschen Botschafter organisierte "Kulturwoche" im Jahr 1971. Erst in den 1980er-Jahren änderte sich die gesellschaftliche Haltung allmählich. Wissenschaftliche Kooperationen hingegen – insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich und mit dem für seine naturwissenschaftliche Forschung und Ausbildung renommierten Weizmann-Institut in Rechovot, Israel – waren und sind seit Mitte der 1960er-Jahre sehr ausgeprägt.
"Normale Beziehungen mit besonderem Charakter"
Acht Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen reiste Willy Brandt als erster deutscher Bundeskanzler im Juni 1973 zum offiziellen Staatsbesuch nach Israel. Damit erklang auch zum ersten Mal in Israel die deutsche Nationalhymne und beim Empfang am Flughafen wurde eine deutsche Fahne gehisst. Direkt nach seiner Ankunft in Israel legte Brandt als Geste der Trauer und Versöhnung einen Kranz in Yad Vashem nieder. Obwohl er sich in Jerusalem, knapp drei Jahre nach seinem international beachteten Kniefall in Warschau, in seinen Reden historisch sensibel zeigte, suchte er gleichzeitig die "Normalisierung" der deutsch-israelischen Beziehungen weiter voran zu bringen, indem er die Formel "normale Beziehungen mit besonderem Charakter" prägte.
In Israel stieß diese "Normalisierung" als Abkehr von der Vergangenheit auf Kritik. Der Vorwurf, eine von historischer Schuld bestimmte Außenpolitik durch Interessenspolitik ersetzen zu wollen, erhielt zusätzliche Nahrung, als die arabischen Länder im Zuge des Jom-Kippur-Krieges gegen Israel im Oktober 1973 mit einem Stopp ihrer Erdöllieferungen Druck auf die westlichen Länder ausübten und die Bundesrepublik diesem Druck erkennbar nachgab.
Der Verlauf der deutsch-israelischen Beziehungen war in den 1960er- und 1970er-Jahren von den Mächtekonstellationen im Kalten Krieg und den bundesdeutschen Bündnis- und Wirtschaftsinteressen geprägt. So spielten die deutschen Waffenlieferungen an arabische Staaten bereits seit 1965 eine Rolle in den andauernden Verhandlungen 1982 kam es zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Israels Ministerpräsident Menachem Begin zum offenen Konflikt über Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien. Der Mauerfall im November 1989 und die deutsche Wiedervereinigung im Oktober 1990 wurden in den israelischen Medien und von Überlebendenverbänden äußerst skeptisch beobachtet. Die aufbrechenden nationalistischen Strömungen in Deutschland in den frühen 1990er-Jahren schienen die Sorgen nach einer "Wiederkehr der Vergangenheit" zunächst zu bestätigen.
Verlässliche Partnerschaft mit kritischen Tönen: Recht schnell zeigte sich jedoch, dass Deutschland die Rolle als verlässlichster Partner Israels in Europa auch weiterhin einnahm. Die Staatspräsidenten reisten zu gegenseitigen Besuchen, und die Städtepartnerschaften sowie der Austausch durch Bildungs- und Jugendreisen wurden weiter ausgebaut. Die politische Bedeutung des deutsch-israelischen Verhältnisses hob Angela Merkel in einer Rede vor der Knesset im Jahre 2008 hervor, als sie erklärte, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson und niemals verhandelbar. Diese Rede stieß in Israel auf ein positives Echo. Seit jenem Jahr gibt es auch regelmäßige Regierungskonsultationen der beiden Staaten und weiterhin enge wirtschaftliche, wissenschaftliche und militärische Beziehungen.
Auf der persönlichen und privaten Ebene bleiben die Beziehungen ambivalent. Während Israelis darin lange zurückhaltend blieben, hat sich in den vergangenen Jahren das Bild, das sie sich von Deutschland machen, deutlich verbessert. In Berlin gibt es seit ein paar Jahren eine stetig wachsende Gemeinde zumeist junger Israelis. Sie leben zum Großteil zwar nur auf begrenzte Zeit in der Stadt, doch sorgt ihr medienwirksames Auftreten in der israelischen Öffentlichkeit immer wieder für Aufsehen, da ihnen von einigen Regierungsvertretern Verrat an ihrem eigenen Land vorgeworfen wurde.
Während in Deutschland vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren eine große Begeisterung für den jüdischen Staat herrschte, macht sich in den vergangenen Jahrzehnten eine immer stärkere Kritik breit. Sie bezieht sich meist auf das Zusammenbrechen des Friedensprozesses und die fortdauernde Besatzung des Westjordanlandes, ist mitunter allerdings auch nicht frei von antisemitischen Vorurteilen.
Gemessen am historischen Hintergrund ist das hohe Maß an engen wechselseitigen Verbindungen in der jüngeren Generation bemerkenswert. Dabei bleibt das Gedenken an die Schoah ein essenzieller Bestandteil deutsch-israelischer Beziehungen.
QuellentextIsraelis in Deutschland
Seit 1990 wandern immer mehr Israelis in Deutschland ein, in Israel wird das mit Sorge gesehen, in der deutschen Gesellschaft eher als ein hoffnungsvolles Zeichen. Vor allem Berlin scheint gerade unter jungen Israelis ein Sehnsuchtsort zu sein. Deren Zahl wird jedoch überschätzt, wie Dani Kranz von der Bergischen Universität Wuppertal festgestellt hat, die dort ein Forschungsprojekt zur israelischen Emigration nach Deutschland leitet.
Berliner Zeitung: Wenn man in Berlin lebt, hat man das Gefühl, dass die Zahl der Einwanderer aus Israel in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnissen?
Dani Kranz: Ja, sie ist gestiegen, aber proportional kaum mehr als die Einwanderung aus anderen Ländern. Der Anteil der Israelis wird immer hemmungslos überschätzt. Es gibt keine 30.000 Israelis in Berlin, es waren 2014 knapp 4000 und 2015 genau 4398, dann kommen noch 2532 mit doppelter Staatsbürgerschaft dazu, das heißt es leben weniger als 7000 Israelis permanent in Berlin.
BZ: Und deutschlandweit?
Kranz: Da waren es zum Stichtag 31. Dezember 2015 genau 12835 israelische Staatsbürger. Wenn man dann noch die Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft oder israelischem Migrationshintergrund dazu nimmt kommt man auf etwa 16.000, zusätzlich schätzen wir, dass noch 4000 mehr Menschen unter dem Radar fliegen, allerdings sind es nicht mehr als 20.000 Menschen, die im näheren oder weiteren Sinne Israelis sind. […]
BZ: Können Sie die Auswanderer näher beschreiben?
Kranz: Es sind in der Mehrheit – etwa 70 Prozent – Aschkenasim, also europäische Israelis, mehr als 80 Prozent sind nach 1974 geboren, mehr als 50 Prozent sind ledig, 54 Prozent der Verheirateten haben deutsche Ehepartner, mehr als 60 Prozent haben einen Bachelor oder einen höheren akademischen Abschluss, gelten also als hoch qualifiziert. Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler sind mit 72 Prozent überrepräsentiert, politisch gesehen sind 80 Prozent moderat bis links. Wobei links säkular bedeutet, aber nicht antizionistisch. Der Anteil von Nachfahren von Jeckes, also deutschen Juden, liegt bei 30 Prozent, 70 Prozent bezeichnen sich als säkular.
BZ: Was sind die Gründe, Israel zu verlassen? Die Politik, die zunehmende Bedeutung der Religion, der Konflikt mit den Palästinensern?
Kranz: Alles zusammen. Vorgeschoben werden berufliche und ökonomische Gründe und auch die deutsche Kultur. Deutschland hat einen sehr hohen Status in Israel. Dann spielen Bildungsmöglichkeiten eine Rolle, oder dass man einen deutschen Partner hat oder Verwandte, die aus Deutschland kommen. Für 40 Prozent ist die politische Lage in Israel Grund für die Auswanderung, dann wird auch die Unmöglichkeit, ökonomisch weiterzukommen, genannt. Die israelische Wirtschaft ist besonders gelagert. Im Ausland gilt Israel als Hightech-Land, aber viele Entwicklungen kommen aus dem Militärbereich, der Konflikt im Nahen Osten beeinflusst also die Ökonomie, deshalb gibt es auch so viele Auswanderer aus dem Kulturbereich. Die Religion wird von mehr als 46 Prozent als übergriffig erlebt. Diesen Israelis wird Israel zu jüdisch, sie sehen sich in erster Linie als Israelis, nicht als Juden. Ein Migrant muss aber immer mit dem Land, das er hinter sich lässt, unzufrieden sein, denn Auswanderung birgt ein immenses Risiko – wirtschaftlich und emotional.
BZ: Wie stellt man sich denn Deutschland in Israel vor?
Kranz: Das ist teilweise sehr naiv. Man denkt, dass das Leben sehr viel leichter ist, man stellt sich nicht vor, wie stark die kulturellen Unterschiede sind. Europäischer Jude in Israel zu sein, ist etwas ganz anderes, als israelische Aschkenasi in Deutschland zu sein. Ungefähr 20 Prozent der von uns Befragten suchen in Deutschland das Abenteuer. Aber man braucht in Deutschland spezifische Abschlüsse. Solche Abschlüsse anerkennen zu lassen, ist extrem schwierig und wenn ich die deutsche Sprache nicht kann, komme ich nicht weit. Das Gros der Israelis ist zwischen ein und sechs Jahren hier. […]
BZ: Wissen Sie, wie groß der Prozentsatz derjenigen ist, die zurückgehen?
Kranz: Den kann man statistisch kaum greifen. Ein deutscher Wohnsitz kostet nicht viel, das heißt man kann ihn ewig aufrechterhalten. Und viele Israelis melden sich in Israel gar nicht ab.
BZ: Wie sieht es mit der Auswanderung deutscher Juden nach Israel aus?
Kranz: Das sind pro Jahr etwa 100 Menschen, die auf der Basis des Rückkehrrechts nach Israel einwandern. Es sind nicht unbedingt Juden, ein Großelternteil muss Jude sein oder gewesen sein. Ehepartner und Kinder des Einwanderungsberechtigten können mit einwandern. Ich würde sagen, 50 Prozent kommen wieder zurück nach Deutschland. Das liegt auch daran, dass Israel über informelle Netzwerke funktioniert. Und als Migrant habe ich immer ein schwächeres Netzwerk.
Dani Kranz arbeitet als Senior Researcher und Projektleiterin an der Bergischen Universität Wuppertal. Sie studierte Kulturwissenschaften, Geschichte, Sozialpsychologie und -anthropologie. 2009 promovierte sie an der University of St. Andrews in Schottland
"Deutschland hat einen sehr hohen Status in Israel", Interview von Susanne Lenz mit der Soziologin Dani Kranz, in: Berliner Zeitung vom 4. Mai 2017