Recht ist in unserem Alltag allgegenwärtig, verschiedenste Bereiche unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens werden durch Recht geregelt. Dies veranschaulicht das Beispiel Straßenverkehr: Klare und gleiche Regeln für alle, die am Straßenverkehr teilnehmen, sollen ein konfliktfreies Miteinander garantieren. Es wird kontrolliert, ob diese Regeln eingehalten werden; kommt es zu einem Regelbruch, wird er bestraft. Auch auf internationaler Ebene beobachten wir Formen von Rechtsstaatlichkeit, die die Zusammenarbeit zwischen Akteuren regulieren. Globalisierungsprozesse haben den zwischenstaatlichen Regelungsbedarf erheblich vergrößert, Verrechtlichung bildete eine politische Antwort auf diese neuen Herausforderungen.
Folglich hat die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen mit Voranschreiten der Globalisierung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges an Bedeutung gewonnen. Stand bis Mitte des letzten Jahrhunderts noch internationales Recht in den Bereichen Sicherheit und territoriale Hoheitsansprüche im Fokus, hat es sich zunehmend auf andere Bereiche wie Wirtschaft, Umwelt und Soziales ausgebreitet. Heute erstreckt sich Völkerrecht von der Nutzung des Meeresbodens bis hin zur Haftbarkeit für Weltraumschrott, von Rüstungsbeschränkungen über Handelszölle bis hin zu Quoten für Treibhausgasemissionen. Dabei betrifft Völkerrecht nicht nur zwischenstaatliche Kooperation, sondern hat auch zunehmend direkten Einfluss auf nichtstaatliche Akteure. Es reicht bis in den innerstaatlichen Rechtsraum hinein, da viele Politikfelder, die früher ausschließlich nationalstaatlicher Regulierung unterlagen, nun zumindest teilweise völkerrechtlich reguliert werden.
Das Gewaltverbot im Völkerrecht (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615490)
Das Gewaltverbot im Völkerrecht (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615490)
Merkmale und Wirkung
Allgemein formuliert beschreibt internationale Verrechtlichung einen Prozess, in dem internationale Kooperation zunehmend rechtsstaatlichen Prinzipien unterworfen ist. Wenngleich sich bislang keine einheitliche internationale Rechtsordnung im Rahmen eines Weltstaates herausgebildet hat, finden sich jedoch Ansätze zu Rechtsstaatlichkeit.
Verbindlichkeit
Recht ist im Gegensatz zu anderen sozialen Normen wie moralischen Geboten, Sitten oder Bräuchen bindend und einklagbar. Rechtliche Verbindlichkeit kann nur von bestimmten Gesetzgebungskörpern geschaffen werden. Diese Befugnis wird international von den verantwortlichen Staaten übernommen. Grundsätzlich besitzen Staaten in Abstimmungen zu Vertragstexten formal ein gleiches Stimmgewicht. So haben Länder wie China und Indien mit mehr als einer Milliarde Menschen genauso eine Stimme wie Liechtenstein oder Nauru mit weniger als 40.000 Einwohnern. Dahinter steckt das Gebot der Rechtsgleichheit. So wie innerhalb von Rechtsstaaten Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz und vor Gericht gleich sind, erkennen sich auch Staaten wechselseitig als formal gleiche und souveräne Rechtspartner im Völkerrecht an. Formal werden dadurch militärisch oder wirtschaftlich unterschiedliche Machtpositionen ausgeschaltet, und somit wird das Recht des Stärkeren überwunden.
Am bedeutendsten ist heutzutage das Vertragsrecht, da die Mehrheit rechtlicher Normen schriftlich fixiert wird. Zwischen 1945 und 2000 sind über 55.000 internationale Verträge geschlossen worden. Internationale Organisationen dienen dabei meist als institutioneller Rahmen, um die Erfüllung der Verträge zu unterstützen. Sie bieten zudem eine Plattform, um in neuen Verhandlungsrunden die Kooperation in dem jeweiligen Gebiet voranzutreiben. Die Zahl zwischenstaatlicher Organisationen ist von knapp 40 seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf fast 7700 im Jahre 2012 gestiegen. Zu den ältesten internationalen Organisationen zählen die Zentralkommission für Rheinschifffahrt (1815), Sitz in Straßburg, die Internationale Fernmeldeunion (1865), Sitz in Genf, und der Weltpostverein (1874) in Bern, Schweiz. Jedoch sind nicht alle Beschlüsse von Staaten rechtlich verbindlich, sondern teilweise lediglich Empfehlungen oder Absichtserklärungen.
QuellentextDie UN-Antifolterkonvention
Das am 10. Dezember 1984 von der UN-Generalversammlung verabschiedete "Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe" (UN-Antifolterkonvention) ist der wichtigste rechtsverbindliche Vertrag gegen Folter. Die Errungenschaft der Konvention besteht vor allem darin, dass sie konkrete Schritte und Maßnahmen benennt, die die Vertragsstaaten unternehmen müssen, um das absolute Folterverbot praktisch umzusetzen.
Das Übereinkommen wurde unter anderem durch die zweite weltweite Kampagne gegen Folter von Amnesty International angestoßen, die ein eigenes UN-Schutzsystem forderte. Heute zählt die 1987 in Kraft getretene Konvention weltweit 156 Vertragsstaaten […]. Zentraler Ausgangspunkt der Konvention ist das absolute Folterverbot. Das Verbot der Folter war auch schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und im UN-Zivilpakt von 1966 enthalten. Die Antifolterkonvention ergänzt eine genaue Definition von Folter. Sie verbietet den Staaten darüber hinaus nicht nur selbst zu foltern, sondern auch Menschen in Länder auszuliefern, in denen ihnen Folter oder Misshandlung drohen (Art. 3, Non-refoulement). Staaten dürfen auch nicht von erfolterten Beweisen profitieren und diese z. B. vor Gericht verwerten (Art. 15, Beweisverwertungsverbot).
Alle Staaten müssen in ihrem Rechtssystem Vorkehrungen treffen, um Folter vorzubeugen, z. B. durch ein entsprechendes Training der Strafverfolgungsbehörden und aller involvierten Staatsbediensteten. Folter muss unter eine angemessene Strafe gestellt werden, entsprechende Vorwürfe müssen sofort, unabhängig und effektiv untersucht und die Täter bestraft werden. Überlebende von Folter und Misshandlung müssen angemessen entschädigt werden.
Alle Vertragsstaaten müssen regelmäßig über ihre Fortschritte in der Umsetzung der Antifolterkonvention berichten. Zuständiges Überwachungsorgan ist der UN-Ausschuss gegen Folter mit Sitz in Genf, der ebenfalls durch die Konvention eingerichtet wurde. Alle vier Jahre erstellen die Vertragsstaaten einen Staatenbericht, den sie dann mit dem Ausschuss diskutieren. Der Ausschuss erlässt seit 1998 Schlussbemerkungen und Empfehlungen für die Vertragsstaaten. Diese Erklärungspflicht der Staaten ist nicht zu unterschätzen: Obwohl viele Staaten Folter nicht ausreichend bekämpfen oder sogar aktiv einsetzen, wollen sie vermeiden, in den öffentlichen Berichten des UN-Ausschusses gebrandmarkt zu werden. […]
Amnesty International, Sektion Bundesrepublik Deutschland e. V., Presseinformation, Berlin 2014; Externer Link: http://www.amnesty.de
Darüber hinaus können (inter)nationale Gerichte durch ihre Auslegung Gesetzeslücken im Völkerrecht schließen. Weiterhin bleibt auch das Völkergewohnheitsrecht als älteste Völkerrechtsquelle bestehen. Die Voraussetzungen hierfür sind erfüllt, wenn eine entscheidende Mehrheit von Staaten einem bestimmten Verhalten folgt (Staatenpraxis) in der Überzeugung, dass dieses rechtlich verpflichtend ist (opinio juris). Im Gegensatz zum Vertragsrecht gilt Gewohnheitsrecht nicht nur bei expliziter Zustimmung, sondern in der Regel für die gesamte Staatengemeinschaft. Völkergewohnheitsrecht ist heute insbesondere in Feldern von Bedeutung, die (noch) nicht durch Verträge reguliert sind oder wenn die diesbezüglichen Verträge nicht universell ratifiziert wurden. Beispiele sind staatliche Souveränität und Menschenrechte.
Verfahren und Gerichte
Doch Verrechtlichung beinhaltet mehr als eine rein zahlenmäßige Zunahme an internationalen Gesetzen, sprich eine Verregelung. Darüber hinaus existieren Verfahrensregeln, welche die Rechtssetzung, -durchsetzung und -auslegung unter Einhaltung wichtiger rechtsstaatlicher Prinzipien festschreiben. Beispielsweise wird im Falle der internationalen Gesetzgebung vorab reglementiert, welche Mehrheiten für bestimmte Entscheidungen erforderlich sind. Daneben werden die Mechanismen bestimmt, mit denen die Regeleinhaltung überprüft werden soll.
Internationale Gerichte (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615520)
Internationale Gerichte (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615520)
Das augenscheinlichste Anzeichen für internationale Verrechtlichung ist jedoch eine wachsende Zahl an internationalen Gerichten bzw. gerichtsähnlichen Streitbeilegungsinstanzen. Als ein Grundpfeiler von Rechtsstaatlichkeit sorgt im Idealfall eine unabhängige Judikative für eine faire und unparteiische Konfliktregulierung mit rechtlich verbindlichen Urteilen. Gerade weil durch Globalisierung die Komplexität der Regelwerke steigt, werden richterliche Entscheidungen immer bedeutsamer. Während es Mitte der 1980er-Jahre sechs permanente internationale Gerichte gab, sind es heute mindestens 24, unterstützt durch mehr als 100 ad hoc errichtete Gerichte oder gerichtsähnliche Spruchkörper. Zu den bedeutendsten zählt der Internationale Gerichtshof (IGH). Er wurde 1945 als eines der sechs permanenten UN-Hauptorgane gegründet und nahm im April 1946 seine Arbeit auf. Aufgrund seines allumfassenden Zuständigkeitsbereichs (universelle Rechtsprechung) kann er alle zwischenstaatlichen Streitigkeiten über bestehendes Völkerrecht behandeln. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die betroffenen Parteien eines Rechtsstreites der Zuständigkeit des Gerichtshofes unterworfen haben.
QuellentextNotwendigkeiten und Hindernisse überstaatlicher Strafgerichtsbarkeit
Die Juristin Fatou Bensouda aus Gambia ist seit dem 15. Juni 2012 Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) [s. a. S. 54 f.]. Die praktizierende Muslimin war von 1998 bis 2000 Justizministerin ihres Landes.
SZ: Frau Bensouda, seit vier Jahren bricht der syrische Diktator Baschar al-Assad ziemlich jede Regel der Genfer Konventionen. Seine Gegner von der Miliz Islamischer Staat tun es ihm gleich, mit dem Unterschied, dass sie sich damit sogar brüsten. Warum hört man dazu so wenig […] von der internationalen Justiz?
Fatou Bensouda: Täuschen Sie sich nicht. Es stimmt zwar, dass wir gegen das syrische Regime nichts unternehmen, weil wir nichts unternehmen können. Syrien hat das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht unterzeichnet. Aber im Falle des IS suchen wir gerade einen Weg.
SZ: Wie sieht der aus?
Bensouda: Es gibt umfangreiche Erkenntnisse, wonach in den Rängen des IS Ausländer kämpfen, aus Ländern, die sehr wohl das Statut des Gerichtshofs unterzeichnet haben: Jordanien, Tunesien, auch europäische Staaten. Diese Verdächtigen könnten wir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit belangen. […]
SZ: Wie wollen Sie in dem vom IS beherrschten Gebiet ermitteln? Erst in der vergangenen Woche haben Sie dem UN-Sicherheitsrat berichtet, dass Ihre Ermittlungen in einem anderen Bürgerkriegsland, in Libyen, fast unmöglich geworden seien.
Bensouda: Das ist leider unsere tägliche Arbeit. Wir ermitteln fast immer in Gegenden, in denen Kriege noch toben. Da ist es extrem schwierig, unser Personal zu schützen, noch wichtiger aber: Zeugen zu finden, die sich trauen und die wir schützen können. Teilweise versuchen wir, Zeugen auszufliegen. Teilweise bringen wir sie in Schutzhäuser, oder wir nutzen kreative Wege, die lieber nicht in der Zeitung stehen sollten. Auch versuchen wir zunehmend, mit Dokumenten zu arbeiten anstatt mit Zeugen. […]
SZ: Sie arbeiten […] mit Erkenntnissen von Nachrichtendiensten?
Bensouda: Mit dem Material unserer Mitgliedstaaten, ja. Aber auch mit Berichten von Nichtregierungsorganisationen. Wenn wir uns entscheiden sollten, Ermittlungen einzuleiten, ermitteln wir natürlich unabhängig. […]
SZ: Schreckt man Fanatiker und Diktatoren überhaupt ab mit Strafen? In Libyen haben Sie vor drei Jahren die Spitzen des taumelnden Gaddafi-Regimes angeklagt, aber heute werden die Verbrechen Gaddafis täglich von neuen Gräueln überlagert.
Bensouda: Wie lange gibt es in Deutschland schon Gerichte? Hunderte Jahre, Tausende? Trotzdem gibt es Mord und Vergewaltigung. Soll die Justiz also verzagen? Natürlich nicht, das wäre doch absurd. Und jetzt denken Sie an die Männer, mit denen wir es in unseren Kriegsverbrecherprozessen zu tun haben: Sie kannten bislang überhaupt keine Justiz über sich. Der ICC ermittelt erst seit elf Jahren, wir leiten einen Wandel ein, der sehr, sehr langsam sein wird. In Kenia zum Beispiel haben wir die Politiker angeklagt, die bei der letzten Wahl wochenlange Ausschreitungen gegen Zivilisten anstifteten. Und diesmal? Ist die Wahl viel friedlicher verlaufen. Ich sage nicht, dass es da eine klare Kausalität gibt, aber ich denke schon, dass der ICC bereits eine Rolle spielt. […] Die Dinge bewegen sich.
"Weltjustiz droht IS-Kämpfern", mit der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes sprach Ronen Steinke, in: Süddeutsche Zeitung vom 20. November 2014
Bis Ende 2011 haben internationale Gerichte mehr als 37.000 rechtlich bindende Urteile erlassen, davon 91 Prozent seit Ende des Kalten Krieges. Am aktivsten von diesen sind mit großem Abstand der Europäische Gerichtshof (EuGH, 18.511 Urteile) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, 14940 Urteile), die zusammen fast 90 Prozent der Urteile verkündeten. Sie werden gefolgt von den hierzulande weniger bekannten Gerichten der Andengemeinschaft (ATJ, 2197 Urteile) und der Organisation zur Harmonisierung des Wirtschaftsrechts in Afrika (ODAHA, 569 Urteile). Auch können in Streitschlichtungsverfahren "kleine" gegen "große" Staaten erfolgreich sein. Dies geschah etwa im Fall des Inselstaates Antigua und Barbuda gegen die USA um Onlineglücksspiele in der Welthandelsorganisation (WTO).
Nicht zuletzt verlangt Rechtsdurchsetzung eine Strafe, wenn Regeln nicht eingehalten werden. Die entsprechenden Sanktionen sollten nicht nur von einer unabhängigen Instanz festgesetzt, sondern auch von einem zentralen Organ durchgesetzt werden. Dies ist aufgrund einer fehlenden Weltpolizei einer der Hauptschwachpunkte, die das Entstehen einer internationalen Rechtsordnung behindern.
Insgesamt ist internationale Verrechtlichung nicht als ein kontinuierlicher und unaufhaltsamer Prozess zu verstehen, sondern in einzelnen Politikbereichen unterschiedlich stark ausgeprägt. So sind der internationale Handel und, zu einem geringeren Grad, der Umweltsektor wesentlich stärker international verrechtlicht als die Felder Sicherheit und Finanzen.
Funktionen und Wirkung
Aufgrund ihrer beschriebenen Charakteristika erfüllt eine Rechtsordnung wichtige Funktionen für das gesellschaftliche Zusammenleben. Ziel ist es, durch vorab festgelegte Verfahren Verlässlichkeit und Erwartungssicherheit und damit die Garantie einer friedlichen Konfliktbearbeitung zu schaffen. Akteure können sich an Regeln orientieren und erwarten auch von anderen, dass diese die Regeln einhalten. Die Herausbildung einer Rechtsordnung soll zu Rechtssicherheit und damit zu Stabilität im internationalen Regieren führen.
Herausforderungen und Chancen
Da sich die Ausgangsbedingungen für Rechtsstaatlichkeit auf internationaler Ebene deutlich von denen innerhalb von Staaten unterscheiden, ist die Zukunft von Verrechtlichung umstritten.
Fragmentierung und Kohärenz
Bislang fehlt eine einheitliche internationale Rechtsordnung. Stattdessen finden sich voneinander unabhängige Regelwerke. Dies führt dazu, dass sich Gesetze und richterliche Urteile zwischen Organisationen widersprechen können. Das geschieht vor allem zwischen Politikfeldern mit sehr gegensätzlichen Interessen wie Wirtschaft und Umwelt (Beispiel: Welthandelsorganisation WTO, Artenschutzübereinkommen CITES) oder Rechtssystemen mit unterschiedlicher territorialer Reichweite (Beispiel: WTO, Nordamerikanisches Freihandelsabkommen NAFTA), sodass nationale, regionale und internationale Gesetze voneinander abweichen können. In vielen Situationen fehlen Kollisionsregeln, also Regeln für Fälle, in denen sich Gesetze widersprechen, die regelkonformes Verhalten definieren. Dieser Rechtspluralismus, das heißt die verschiedenen nebeneinander stehenden Rechtssysteme, gefährdet die rechtliche Konsistenz und damit die Rechtssicherheit. Nichtsdestotrotz haben sich in einigen Bereichen höherrangige Ordnungsregeln herausgebildet. So müssen alle völkerrechtlichen Verträge bestimmte Menschenrechte achten. Zu diesen sogenannten ius cogens-Rechten zählen beispielsweise das Verbot von Folter, Sklaverei oder Völkermord (Genozid). Andere Formen der Hierarchie haben sich regional entwickelt. So gilt etwa innerhalb der EU allgemein der Vorrang des EU-Rechts gegenüber nationalem Recht.
Anpassungsfähigkeit
In einer sich globalisierenden Welt verändern sich fortwährend die internationalen Rahmenbedingungen, etwa durch technischen Fortschritt und grenzüberschreitende Ströme von Menschen, Gütern und Kapital.
Völkerrechtliche Verhandlungen sind jedoch oft langwierig, da Staaten genau prüfen, bevor sie völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen. Denn diese sind nicht nur rechtlich einklagbar, sondern auch meist kostenintensiv. Kosten beziehen sich dabei nicht nur auf die finanziellen und administrativen Aufwendungen zur Gesetzesumsetzung. Völkerrecht kann zudem die nationale Souveränität und damit die nationalen politischen Gestaltungsräume erheblich beschneiden. Daher können sich Verhandlungen, wie im Fall des dritten UN-Seerechtsübereinkommens, manchmal sogar über ein Jahrzehnt erstrecken. Im Gegensatz dazu können Regierungen sowie gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure durch informelle Lösungen meist schneller und flexibler agieren und verzichten im Gegenzug teilweise auf den rechtlichen Verpflichtungscharakter ihrer Vereinbarungen. Eine Einigung gestaltet sich hier meist einfacher, da die Ergebnisse nur Empfehlungscharakter haben. Dies betrifft viele umweltpolitische Beschlüsse, um teure und wirtschaftlich nachteilige Verpflichtungen zu vermeiden.
QuellentextVölkerrecht: Biegen und brechen
DIE ZEIT: Herr Professor Talmon, erleben wir gerade den Untergang des Völkerrechts?
Stefan Talmon: Nein, das Völkerrecht ist sehr lebendig. 95 Prozent des Völkerrechts funktionieren hervorragend – da geht es um Handelsabkommen, Telekommunikationsregeln und vieles mehr, doch das läuft unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit. Bei militärischen Konflikten aber, wie wir sie derzeit in der Ukraine oder in Syrien sehen, setzt der völkerrechtliche Verstand gelegentlich aus. […]
ZEIT: […] [D]iese Verstöße gegen das Völkerrecht, dieses Dehnen, Biegen, mitunter Brechen des Rechts, das irritiert Sie nicht?
Talmon: Doch, aber das erschüttert das Völkerrecht nicht nachhaltig. Das ist ja das Besondere am Völkerrecht: Indem die Staaten die Regeln biegen oder brechen, können sie langfristig neue Regeln schaffen. Das Völkerrecht verändert sich ständig, weil die Regeln durch die Staaten gemacht werden und weil es keine Zentralinstanz gibt, die das Völkerrecht verbindlich auslegt und durchsetzt. Nehmen Sie den Begriff der Intervention. Heute bedeutet er etwas völlig anderes als zu Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs. Damals war jedes ausländische Engagement in einem Bürgerkrieg strikt verboten. Heute können Sie ein Feldhospital in ein Bürgerkriegsgebiet senden, Sie können Ärzte einfliegen. Wo verläuft noch die Grenze? Lange hieß es: Bei Waffenlieferungen. Aber gilt das noch? Im libyschen Bürgerkrieg 2011 haben Frankreich und andere Staaten Waffen an die Aufständischen geliefert. In Syrien hat der Westen geduldet, dass Katar und Saudi-Arabien die Opposition aus religiösen Gründen mit Waffen und Geld versorgt haben. Das war ein Dammbruch, der einen Preis hat, denn letztlich entsteht eine neue Rechtsregel, die irgendwann auch gegen uns gewendet werden kann. […]
ZEIT: […] [V]om Völkerrecht erwarten wir Regeln für den Umgang mit diesen Dilemmata. Wann darf man intervenieren? Nach welchen Kriterien? Mit welchen Mitteln? […]
Talmon: Das Problem liegt anderswo. Selbst wenn wir als Völkerrechtler perfekte Regeln definieren könnten, ließen sie sich in der Praxis nur schwer umsetzen. Völkerrecht lässt sich nur im Konsens der Staaten schaffen. Derzeit gibt es auf der Welt aber weitaus mehr Regierungen, die Angst vor Interventionen haben, als Staaten, die zu intervenieren bereit wären, um Gutes zu tun – oder Schreckliches zu verhindern. Die Mehrheit der Regierungen sieht vor allem die Gefahr des Missbrauchs […]. […] Auch der Westen wird in Zukunft gegen das Völkerrecht verstoßen, da mache ich mir keine Illusionen. Aber man muss fragen: Wann lohnt sich ein solcher Verstoß, wann geht es um vitale Situationen? […]
ZEIT: Nach 1989 gab es Hoffnung, dass sich auch heiße Konflikte mit den Mitteln des Völkerrechts beherrschen ließen. Stichwort humanitäre Interventionen, Stichwort Kriegsverbrechertribunale. Zerplatzen diese Träume gerade?
Talmon: Es stimmt, nach dem Ende des Kalten Krieges gab es eine gewisse völkerrechtliche Euphorie. 1990/91, die Befreiung Kuwaits nach dem Überfall Saddam Husseins, das war eine Erfolgsgeschichte des Völkerrechts. Zum ersten Mal hatte der Sicherheitsrat sein Potenzial ausgeschöpft, um einen Aggressor zurückzudrängen. Und dank der Weisheit von George Bush senior ist man nicht nach Bagdad durchmarschiert, sondern hielt sich zunächst strikt an die Grenzen des Mandats.
ZEIT: Das hätte ein Vorbild sein sollen. Wann ist der Traum gescheitert?
Talmon: Im Grunde schon 1991 im Irak selbst. Da gelang es nach der Befreiung Kuwaits nicht mehr, ein neues UN-Mandat für Flugverbotszonen im Süd- und Nordirak zu bekommen, also begann der Westen, stattdessen die alten Resolutionen umzuinterpretieren. Das war ein Muster für vieles, was später kam. Der eigentliche Dammbruch aber war das Kosovo. Da hatte sich die Nato klar über das Völkerrecht hinweggesetzt. […] Im Ukrainekonflikt beruft sich Moskau derzeit auf das Vorgehen der Nato im Kosovo.
ZEIT: Heißt das, der Westen hat die Legitimation verloren, sich gegenüber Moskau auf das Völkerrecht zu berufen?
Talmon: Nein. Aber man hat die eigene Position geschwächt. Trotzdem ist das Völkerrecht nicht überflüssig. Das Völkerrecht ist immer das Recht der Schwachen. Es kann nicht erzwingen, dass die Annexion der Krim rückgängig gemacht wird. Das könnte nur die Politik. Aber das Völkerrecht kann etwas anderes: Es legt Rechtspositionen fest und erhält sie aufrecht. […] Das heißt, auch in Zukunft wird sich jede politische Führung in Moskau mit der Frage herumschlagen müssen: Was tun wir mit der Krim? Bis es zu einer völkerrechtlich korrekten Regelung kommt, bleibt diese Frage offen.
ZEIT: Das Völkerrecht ist das Langzeitgedächtnis der Politik?
Talmon: Ja. Das Völkerrecht unterscheidet die rechtmäßige Gewaltanwendung von der rechtswidrigen, auch über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Alle Macht der Welt nützt nichts, wenn sie das Recht nicht auf ihrer Seite hat.
ZEIT: Was aber Recht ist, bestimmt nicht der Stärkere, sondern alle Staaten gemeinsam.
Talmon: Ja, und daran muss sich auch der Westen erst gewöhnen. Wir denken Völkerrecht immer noch als europäisches Recht, als Geschenk des Westens an die Welt, aber das ist vorbei, der Trend der Zeit arbeitet gegen uns, die anderen Staaten emanzipieren sich. Wir müssen das Völkerrecht viel internationaler denken.
ZEIT: Was heißt das?
Talmon: Wir müssen anerkennen, dass es neue Kraftzentren gibt, sei es China oder Indien, andere Länder werden hinzukommen, und die haben andere Vorstellungen als wir. In Deutschland hätten wir am liebsten eine Art globales Bundesverfassungsgericht, einen Weltgerichtshof. In Südostasien jedoch wäre so etwas undenkbar. Wenn dort eine Partei vor einem Gericht unterliegt, droht sie ihr Gesicht zu verlieren. Wir müssen also lernen, andere Traditionen und Kulturen nicht von vornherein als falsch anzusehen, sondern eine Lösung zu suchen, in der sich beide Seiten wiederfinden können.
ZEIT: Bedeutet das auch, dass wir unsere Standards absenken müssen? Wird das eine Entwicklung nach unten?
Talmon:Ja, das kann auch eine Entwicklung nach unten sein. Ein Beispiel: Für uns im Westen ist die Meinungsfreiheit eines der wichtigsten Menschenrechte. In anderen Gegenden der Welt spielen andere Rechte eine größere Rolle, etwa der Schutz der Religion. Wenn wir nun einen völkerrechtlichen Vertrag unterschreiben, in dem sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Religionsfreiheit verankert sind, dann können wir uns als Westen plötzlich in einer Situation befinden, in der 150 Staaten die Meinungsfreiheit ganz anders interpretieren als wir und sagen, so etwas wie die Mohammed-Karikaturen, das wird nicht geschützt. […]
ZEIT: Jetzt sind wir an einem spannenden Punkt: Müssen wir uns der Mehrheit beugen und unsere Werte aufgeben?
Talmon: Nein, aber wir sollten uns überlegen, worauf wir uns völkerrechtlich einlassen. Früher war das nie ein Problem, wir haben unsere Werte immer nur exportiert. Aber nun geht die Welle eher gegen uns, und da müssen wir auch über die Verteidigung des Grundgesetzes gegen das Völkerrecht nachdenken. […]
"Biegen und brechen", mit Stefan Talmon, Professor für Völkerrecht der Universität Bonn, sprach Heinrich Wefing, in: DIE ZEIT Nr. 46 vom 22. November 2014
Durchsetzbarkeit und Sanktionen
Da es bislang weder eine Weltregierung, noch eine Weltpolizei oder ein Weltgericht gibt, können internationale Regeln nicht in gleicher Weise wie im Nationalstaat durchgesetzt werden. Daher warnen Skeptiker vor utopischen Erwartungen an das Völkerrecht. Zwar existieren viele internationale Gesetze formal auf dem Papier, sind aber in der Praxis aufgrund fehlender Sanktionsmechanismen nicht immer durchsetzbar. Beispielsweise können Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates zu Militäreinsätzen nicht automatisch von einer organisationseigenen Armee ausgeführt werden, sondern Truppen und Gerät, Geld und Organisation müssen von den Mitgliedstaaten gestellt werden. Weiterhin fehlen in den meisten Fällen effektive Überwachungsmechanismen, um Regelbrüche überhaupt festzustellen. Existieren Kontrollverfahren, basieren diese überwiegend auf der Selbstauskunft ihrer Mitglieder, was die Unabhängigkeit und Vollständigkeit der Informationen erheblich beeinträchtigen kann.
Es gibt jedoch "weiche" Sanktionsmechanismen. Staaten und gesellschaftliche Akteure können Rechtsbrüche öffentlich an den Pranger stellen. Durch die öffentliche Ächtung von Menschenrechtsverletzungen kann beispielsweise ein so starker politischer Druck auf Regierungen ausgeübt werden, dass diese ihr regelwidriges Verhalten korrigieren. Da Recht grundsätzlich eine hohe Legitimität genießt und oft als moralische Instanz gilt, möchte kein Staat offen als Völkerrechtsverletzer tituliert werden. Wenngleich Recht stets Interpretationsspielraum zulässt, setzt es dennoch Grenzen, welches Verhalten in einem Meinungsaustausch legitimerweise gerechtfertigt werden kann.
Zudem gibt es Bereiche, in denen Staaten auch ohne strenge Überwachungs- und Sanktionsmechanismen ein Interesse an einer regelkonformen Zusammenarbeit haben. Wenn Wirtschaftsverträge darauf abzielen, die gegenseitigen Beziehungen effizient zu koordinieren, ist ihre Einhaltung im Sinne aller beteiligten Parteien. Allerdings stellt sich bei massiven Menschenrechtsverletzungen eines Staates die Frage, ob nicht doch eine militärische Drohkulisse oder gar ein militärisches Eingreifen geboten sind ("responsibility to protect").
Pazifizierung und Demokratisierung
Optimistischer sind hingegen Kosmopoliten. Sie setzen sich – ausgehend von der Gleichwertigkeit aller Individuen unabhängig von ihrer geografischen und ethnischen Herkunft – für universelle Menschenrechte und demokratische Regierungsstandards ein, zu deren Erfüllung die gesamte Weltgemeinschaft nach ihrer Einschätzung verpflichtet ist. Trotz bestehender Schwierigkeiten sehen Kosmopoliten einen Prozess hin zu einem Weltinnenrecht, das internationale Kooperation nicht nur an universelle Menschen- und Grundrechte bindet, sondern sogar eine internationale Demokratisierung nach sich ziehen könnte. Die UN-Charta könnte dabei als eine Art Weltverfassung dienen. In dieser setzen sich die UN die Wahrung von internationalem Frieden und Sicherheit als Ziel und beschließen ein umfassendes Gewaltverbot. Auch weitere wichtige Grundwerte als Basis einer internationalen Gemeinschaft sind bereits international rechtlich verankert, wie das Kapitel zu Menschenrechten zeigt. Allerdings stehen einer Demokratisierung sowohl der internationalen Beziehungen als auch des Völkerrechts bislang einige Hindernisse im Wege. So existieren mit der Ausnahme des Europäischen Parlaments bislang keine vollwertigen überstaatlichen Parlamente, die in demokratischen Verfahren Gesetze erlassen könnten. Im Gegensatz dazu besitzen im UN-Sicherheitsrat die fünf Vetomächte eine Entscheidungsmacht von enormer Tragweite. Zudem ist der Internationale Gerichtshof nur insofern für Streitfälle zuständig, als Staaten sich dessen Zuständigkeit ausdrücklich unterworfen haben, und es fehlt bislang ein internationaler Gerichtshof für Menschenrechte.
Völkerrecht wird von vielen politischen Akteuren und auch Juristen nicht nur als Pazifizierungsmotor, sondern als fairer Lösungsrahmen für viele Globalisierungsprobleme gesehen, der zu gleichberechtigter Teilhabe, größerer Transparenz und insgesamt zu einem gerechteren Regieren jenseits des Staates führen kann. Jedoch ist Recht nicht immer zugleich gerecht. Gerade viele internationale wirtschaftliche Verträge, die Entwicklungs- und Schwellenländer oft vor schwierige Herausforderungen stellen, zeigen, dass Recht und Moral nicht immer deckungsgleich sind. So zeigte sich im Falle des Abkommens über geistiges Eigentum in der Welthandelsorganisation (TRIPS), dass die Umsetzung dieses Vertrages für einige Entwicklungs- und Schwellenländer die Verfügbarkeit von bezahlbaren wichtigen Medikamenten erschwerte. Erst nachdem durch HIV/AIDS-Epidemien öffentlicher und politischer Druck stiegen, wurde die rechtliche Flexibilität für die betroffenen Länder vergrößert.
Es darf nicht vergessen werden, dass Völkerrecht das Ergebnis politischer Entscheidungen und damit ein Machtinstrument ist. An Verhandlungen nehmen Staaten zwar als formal Gleiche teil, faktisch bleibt jedoch eine ungleiche Machtverteilung bestehen, was wirtschaftliche und militärische Ressourcen betrifft. Mächtige Staaten haben daher oft die Möglichkeit, Vertragsverhandlungen stärker zu beeinflussen, und können schwächere Mitglieder für sie ungünstigeren Regeln unterwerfen.
Auch weist der internationale Rechtssetzungsprozess selbst Demokratiedefizite auf. Zwar schaffen vorab vereinbarte Verfahrensregeln und die schriftliche Fixierung von Vereinbarungen Transparenz. Doch finden entscheidende Verhandlungsphasen oft hinter verschlossenen Türen, nicht selten nur innerhalb einer Kerngruppe von ausgewählten Staaten, statt. Zudem verlangt das demokratische Grundprinzip der Selbstbestimmung, dass die Adressaten von Rechtsnormen zugleich ihre Autoren sind. Obwohl das Völkerrecht auch zunehmend Verpflichtungen für gesellschaftliche Akteure schafft, sieht es weiterhin nur Staaten als Hauptakteure vor.
Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten dürfen die Vorzüge des Völkerrechts als effektiver Ordnungsrahmen für Globalisierungsprobleme nicht außer Acht gelassen werden. Im Vergleich zur historischen Entwicklung des nationalen Rechtsstaats steckt das Völkerrecht allerdings in den Kinderschuhen.
QuellentextGeistiges Eigentumsrecht
[…] Geistiges Eigentumsrecht, im Deutschen meist auch Immaterialgüterrecht genannt, ist die Gesamtheit der für die Ausübung von Rechten an unkörperlichen Gütern maßgeblichen Rechtsnormen. Dazu zählen zum Beispiel das Patentrecht, das Urheberrecht, das Sortenschutzrecht, das den Züchter von homogenen erbstabilen neuen Pflanzensorten schützt, oder geschützte Herkunftsbezeichnungen vor allem für Agrarprodukte.
Dem Inhaber derartiger Rechte sollen die Früchte kreativer geistiger Leistungen bewahrt werden. Diese Leistungen werden durch absolute Rechte, also Ausschlussrechte gegen Dritte, geschützt; allerdings wird der Schutz nur für bestimmte Zeit gewährt. "Geistiges Eigentum" ist ein auf das aufgeklärte Naturrecht zurückgehendes westliches Konzept. Es wurde zunächst vor allem in Ländern Europas und Nordamerikas auf nationalstaatlicher Ebene gesetzlich geregelt. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) wurde am 14. Juli 1967 mit der Zielsetzung gegründet, den Schutz von Immaterialgüterrechten weltweit zu fördern. […]
Spätestens seit der Implementierung einer neoliberal inspirierten neuen Welthandelsordnung in den 1990er-Jahren wurde schließlich das System der westlichen Immaterialgüterrechte globalisiert und praktisch weltweit verbindlich. Eine besondere Rolle spielt hier das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS), welches 1994 dem damals bestehenden Welthandelsvertrag, dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), hinzugefügt wurde. Später wurde es zum Grundpfeiler der neuen Welthandelsorganisation (WTO). TRIPS verpflichtet die Staaten unter anderem zur Einräumung von Patenten "auf allen technischen Gebieten", wobei hier vor allem auf die Gentechnologie abgezielt wird. Grundsätzlich schafft TRIPS keine neuen Formen von Immaterialgüterrechten, trägt jedoch zu deren weltweiter Verbreitung bei, stärkt deren Durchsetzung und erweitert ihre Anwendung auf Technikbereiche, bei denen viele Staaten bislang Zurückhaltung gezeigt hatten.
Neben TRIPS spielt der Einbau des Schutzes von geistigen Eigentumsrechten von Investoren eine besondere Rolle in bilateralen Handelsabkommen. Ausschlaggebend für die Inkorporierung von derartigen Rechten in das internationale Handelsrecht war dabei die wachsende Besorgnis über fehlende Regulierungen im Handel mit gefälschten Gütern sowie eine Neuformulierung vormals äußerst schwammiger Richtlinien, zugunsten der mächtigen Industrienationen […]. […]
René Kuppe, "Nutzung von traditionellem Wissen: Biopiraterie oder legitime Vermarktung?", in: APuZ 48/2012 vom 22. November 2012