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Die US-amerikanische Wirtschaft | USA – Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft | bpb.de

USA - Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft Editorial Von den Kolonien zur geeinten Nation Weg zur Weltmacht 1898 bis 1945 Kalter Krieg von 1945 bis 1989 Aufbruch in eine "Neue Weltordnung" Die US-amerikanische Wirtschaft Gesellschaftsstruktur der USA Vereinigte Staaten und Deutschland Literaturhinweise und Internetadressen Impressum

Die US-amerikanische Wirtschaft

Stormy-Annika Mildner Julia Howald

/ 47 Minuten zu lesen

Die USA verkörpern das Modell der freien Marktwirtschaft wie kein anderes Land. Doch nicht erst die Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008/09 hat gezeigt, dass es ohne staatliche Eingriffe nicht geht. Trotz aufstrebender Konkurrenten wie China sind die USA immer noch die größte Wirtschaftsmacht.

Wenn auch angeschlagen, sind die USA die führende Wirtschaftsnation. Am Puls der US-Wirtschaft: die New Yorker Börse in der Wallstreet (© Stan Honda / AFP / Getty Images)

Anteile am weltweiten BIP, am Welthandel und an ausländischen Direktinvestitionen (ADI) (© IWF, Direction of Trade Statistics, via elibrary-data.imf.org (eingesehen am 5.8.2013) / UNCTAD, UNCTADstat, via unctadstat.unctad.org (eingesehen am 5.8.2013))

"Liegen die besten Tage Amerikas hinter uns?", fragte im Frühjahr 2011 das US-amerikanische Time Magazine. In der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise mehrten sich die Stimmen, die einen Niedergang der Vereinigten Staaten von Amerika vorhersagten. Der US-amerikanische Anteil an der Weltwirtschaft geht jedoch nicht erst seit der Krise zurück. Laut Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nahm der Beitrag des Landes zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) bereits von 1980 bis 2012 von 26 auf 21,9 Prozent ab. Entfielen 1980 noch 16,4 Prozent der weltweiten Güterexporte auf die USA, lag diese Zahl 2012 nur noch bei 10,9 Prozent. Der Anteil an den weltweiten Beständen ausländischer Direktinvestitionen (ADI) betrug der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) zufolge im Jahr 1980 noch 39,2 Prozent, 2012 kamen die USA nur auf 22 Prozent. Diese Entwicklung ist nicht nur dem wirtschaftlichen Aufstieg der Schwellenländer, allen voran Chinas, geschuldet. Die USA haben mit großen Defiziten in der Infrastruktur des Landes und im Bildungswesen zu kämpfen. Und der Schuldenberg der Regierung ist mittlerweile auf über 100 Prozent des BIP angestiegen.

Die Herausforderungen sind gewaltig. Allen Kassandrarufen zum Trotz ist der amerikanische Niedergang aber alles andere als ausgemacht. Nachdem die Wirtschaftsleistung aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise laut dem U.S. Bureau of Economic Analysis (BEA) 2008 und 2009 um 0,3 bzw. 2,8 Prozent geschrumpft war, wächst sie seit 2010 wieder – und zwar stärker als die der Europäischen Union. Im Jahr 2012 betrug das BIP 16,24 Billionen US-Dollar. Damit sind die USA nach wie vor die größte Volkswirtschaft der Welt.

Reales Wachstum des BIP (© U.S. Bureau of Economic Analysis (BEA), National Income and Product Accounts Tables, Table 1.1.1. Percent Change From Preceding Period in real Gross Domestic Product, via www.bea.gov/iTable/index_nipac.cfm (eingesehen am 20.08.2013))

Im nach Russland und Kanada flächenmäßig drittgrößten Land der Erde (9 826 675 Quadratkilometer) lebten im Jahr 2012 rund 314 Millionen Einwohner. Damit verfügen die USA nicht nur über einen riesigen Binnenmarkt, sondern auch über ein gewaltiges Arbeitskräftepotenzial. Sie sind das Land mit dem größten Zufluss von Einwanderern: 2012 betrug die Nettomigration laut der Weltbank fünf Millionen Menschen. Die Fertilitätsrate liegt seit Jahren bei rund zwei Kindern pro Frau (2009: 2,0; 2010: 1,9; 2011: 1,9), was bedeutet, dass das Bevölkerungsniveau in den Vereinigten Staaten auch ohne Einwanderung stabil bleibt. Für die nächsten Jahre wird somit ein kräftiges Wachstum bei der Zahl der Arbeitskräfte prognostiziert: Im Jahr 2010 betrug die Erwerbsbevölkerung laut dem U.S. Bureau of Labor Statistics (BLS) rund 154 Millionen Personen; bis 2020 wird ein Anstieg auf 164 Millionen Personen erwartet.

Das Territorium der USA ist gut erschlossen und reich an Ressourcen. Viele der weltweit innovativsten Unternehmen haben hier ihren Ursprung. Überhaupt sind die Vereinigten Staaten laut den "Schlüsselindikatoren des Arbeitsmarkts" der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) das produktivste Land der Welt: Im Jahr 2010 kamen sie auf eine Wertschöpfung pro Beschäftigtem von 68 126 US-Dollar (ausgedrückt in Preisen von 1990; mit einigem Abstand gefolgt von Hongkong mit 61 382 US-Dollar, Irland mit 57 473 und Frankreich mit 55 033 US-Dollar). Deutschland kam im selben Jahr auf eine durchschnittliche Wertschöpfung pro Beschäftigtem von 43 050 US-Dollar.

Der Staat in der Wirtschaft

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise hat die US-Regierung eine zentrale Rolle gespielt. Sie hat die Wirtschaft mit umfangreichen Hilfspaketen und Konjunkturmaßnahmen gestützt sowie umfassende Regulierungen für den Finanzsektor erlassen. Dennoch ist das Wirtschafts- und Finanzsystem in den USA – wie in kaum einem europäischen Land – grundsätzlich am Konzept der freien Marktwirtschaft ausgerichtet.
Ein Indikator für die Zurückhaltung des Staates ist die vergleichsweise niedrige Staatsquote: Der Anteil der Staatsausgaben am BIP der USA lag 2007 – kurz vor Beginn der Krise – laut Statista bei 36,7 Prozent. Auch die Abgabenquote war im internationalen Vergleich niedrig: Der Anteil von Steuern und Sozialabgaben an der US-Wirtschaftsleistung betrug 2007 der OECD zufolge 28,3 Prozent. Im Zuge der Krise stieg die Staatsquote zwar 2009 auf 44,2 Prozent, doch mittlerweile sinkt sie Statista zufolge wieder (2012: 40,7 Prozent).

Hinter diesem ausgeprägten Wirtschaftsliberalismus stehen zwei amerikanische Grundwerte: individuelle Freiheit und Gleichheit. Nicht der Staat ist verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg der Bürger – die Verwirklichung des American Dream –, sondern deren eigenes Handeln. Die Wurzeln dieser Überzeugung liegen in der Kolonialzeit: Als Nordamerika im 17. und 18. Jahrhundert besiedelt wurde, begann in Europa – insbesondere in England – der wirtschaftliche Liberalismus den Merkantilismus und Staatsdirigismus zu verdrängen. Den neuen Kolonien wurde dementsprechend mehr wirtschaftliche Freiheit eingeräumt. Die in den USA zu beobachtende Risikofreude, die Kreativität, aber auch der Pragmatismus der Gesellschaft können zudem auf die Pioniererfahrung während der Westwanderung und -besiedlung zurückgeführt werden: Sie war risikoreich und arbeitsintensiv, versprach jedoch auch die Chance auf Erfolg und Wohlstand, während im Falle eines Misserfolgs immer die Möglichkeit eines Neubeginns bestand. Die Amerikaner glauben zudem an die Funktionstüchtigkeit der Märkte, während sie staatlichen Interventionen misstrauisch gegenüberstehen.

Die wichtigste Aufgabe des Staates ist laut der US-Verfassung von 1787 nicht, die Wirtschaft zu lenken. Vielmehr soll er die Bürger in ihren Rechten und ihrer wirtschaftlichen Entfaltung schützen. Die Bundesregierung ist daher auch lediglich für Steuer- und Haushaltsangelegenheiten, das Geld- und Kreditwesen und den Handel zwischen den einzelnen Bundesstaaten sowie mit dem Ausland zuständig. Alle Rechte, welche die Verfassung nicht ausdrücklich an die Bundesregierung überträgt, verbleiben bei den Einzelstaaten, den Kommunen oder den Bürgerinnen und Bürgern selbst.

QuellentextWer entscheidet was?

The President proposes, Congress disposes – der Präsident schlägt vor, der Kongress ordnet an. In fast allen wirtschaftspolitischen Fragen muss der Präsident zunächst entweder den Kongress – was Fiskalpolitik, Geld- und Kreditwesen sowie Handel betrifft – oder die Notenbank (Federal Reserve) – in Bezug auf die Geldpolitik – von seinen Zielen überzeugen. Damit ist der Präsident in der Wirtschaftspolitik mit weit geringeren Vollmachten ausgestattet als beispielsweise in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Hauptakteure der Wirtschaftspolitik auf Seiten der Exekutive sind die Präsidialbürokratie (White House Office), die Ministerien (allen voran das Department of the Treasury, das Department of Commerce und das Department of Agriculture) und die unabhängigen Regierungsbehörden. Der Präsident ernennt sowohl die Führungsspitzen dieser Institutionen als auch die Verfassungs- und Bundesrichter (Supreme Court). Diese Ernennungen müssen allerdings durch den Senat bestätigt werden. Zum White House Office gehören das Haushaltsbüro (Office of Management and Budget, OMB), das Büro des Handelsbeauftragten (United States Trade Representative, USTR) und der Wirtschaftsrat (Council of Economic Advisers, CEA). Das OMB ist zuständig für die Haushaltsplanung des Präsidenten. Der CEA berät den Präsidenten in wirtschaftlichen Fragen. Der Council veröffentlicht einmal jährlich den "Economic Report of the President", welcher die wirtschaftliche Lage des Landes darstellt. Das Büro des Handelsbeauftragten berät den Präsidenten in Handelsfragen und fungiert als Verhandlungsführer beim Abschluss internationaler Handelsabkommen.

Repräsentantenhaus und Senat haben ihre wirtschaftspolitischen Kompetenzen auf zahlreiche ständige Ausschüsse (committees) aufgeteilt: die Agrarausschüsse (das Committee on Agriculture des Repräsentantenhauses und das Committee of Agriculture, Nutrition, and Forestry des Senats), die Bewilligungsausschüsse (Committees on Appropriations), die Haushaltsausschüsse (Committees on Budget), die Finanzausschüsse (das Committee of Ways and Means des Repräsentantenhauses und das Finance Committee des Senats), die Bankausschüsse (das Committee on Financial Services des Repräsentantenhauses und das Committee on Banking, Housing, and Urban Affairs des Senats) sowie die Energieausschüsse (das Committee on Energy and Commerce des Repräsentantenhauses und das Committee on En-ergy and Natural Resources des Senats).

Daneben haben zahlreiche unabhängige Regierungsbehörden Einfluss auf die Wirtschaftspolitik. Die wohl mächtigste Behörde ist das Federal Reserve System, die Zentralbank der USA. Die Fed besteht aus einem Netz von zwölf formal selbstständigen, aber untereinander korrespondierenden Zentralbanken (Federal Reserve Banks, FRBs). Während es bei der Europäischen Zentralbank eine einseitige Prioritätensetzung zu Gunsten der Preisstabilität gibt, verfolgt die Fed eine "Mehrzielorientierung": Sie ist gleichermaßen Preisstabilität und Beschäftigung verpflichtet. Sie formuliert und führt die Geldpolitik durch. Sie "hütet" die Währung vor allem durch Zins- und Geldmengensteuerung, um Preisstabilität und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu gewährleisten. Und sie trägt als "Bank der Banken" Sorge für die Stabilität des nationalen Bankensystems.

Die Wirtschaft an der langen Leine der Regierung?

Gleichwohl ist die Annahme falsch, die Regierung würde die Wirtschaft in den USA nicht regulieren und steuern. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich gezeigt, dass ein gesetzlicher Rahmen wichtig ist, damit die Märkte effizient funktionieren können. Nach dem Ende des Bürgerkriegs (1861-1865) hatte die Industrialisierung an Fahrt aufgenommen. Der Übergang von einer agrarisch-kleinhändlerischen zu einer städtisch-industriellen Gesellschaft wurde von vielen Missständen begleitet: Monopole und Kartelle nutzten ihre Preissetzungsmacht aus, in der Politik war Korruption weit verbreitet, und die Arbeitsbedingungen in den jungen Industrien waren menschenunwürdig. Als Reaktion formierte sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Reformbewegung des Progressivismus: Die Reformer kämpften gegen die Macht der Kartelle, für die strengere staatliche Regulierung von Konzernen sowie einen besseren Konsumentenschutz. Die prominentesten progressiven Präsidenten dieser Zeit waren Theodore Roosevelt (1901-1909) und Woodrow Wilson (1913-1921). Progressivismus war keine Abwendung vom Markt, richtete sich aber gegen die vorherrschende Laissez-faire-Politik und sprach dem Staat eine größere Rolle zu.

1887 erließ die Bundesregierung den Interstate Commerce Act, um die ruinöse und diskriminierende Preispolitik der Eisenbahngesellschaften einzudämmen. Die durch das Gesetz geschaffene Interstate Commerce Commission war die erste bundesweite Regulierungsbehörde der USA. Der Wunsch, die Wettbewerbsfreiheit zu sichern, aber auch dem politischen Einfluss der Großkonzerne Grenzen zu setzen, führte 1890 zum ersten Kartellgesetz auf Bundesebene, dem Sherman Antitrust Act. Auf ihm fußen alle weiteren Gesetze zur Wettbewerbspolitik, darunter insbesondere der Clayton Antitrust Act (1914) und der Federal Trade Commission Act (1914). Sie verbieten die Bildung von Monopolen, Kartellen sowie Beschränkungen des Wettbewerbs und sollen den Verbraucher vor preislichen Übervorteilungen schützen.

1913 und 1914 waren Jahre großer Reformen. Neben den Kartellgesetzen verabschiedete der Kongress als Reaktion auf die Finanzkrisen und Bankzusammenbrüche des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts den Federal Reserve Act (1913) und schuf damit die US-Notenbank (Federal Reserve, kurz Fed). Zudem wurde die Bundeseinkommensteuer eingeführt (16. Verfassungszusatz von 1913) – eine Voraussetzung dafür, dass die Steuer- und die Haushaltspolitik zu bedeutsamen Steuerungsinstrumenten der Regierung werden konnten. 1921 wurde dann mit der Errichtung des Bureau of the Budget (heute Office of Management and Budget, OMB) die institutionelle Grundlage für die Haushaltsplanung gelegt.
Die Große Depression der 1930er-Jahre löste die zweite große Reformwelle in den USA aus: Um die Massenarbeitslosigkeit und -armut zu lindern – 1933 war fast ein Viertel der US-Bevölkerung arbeitslos –, führte Präsident Roosevelt mit dem Social Security Act (1935) erstmalig eine bundesweite Arbeitslosen- und Rentenversicherung ein. Weitere Elemente seines Wirtschafts- und Sozialprogramms New Deal waren Beschäftigungs-, Sozialhilfe- und Infrastrukturmaßnahmen sowie die staatliche Förderung der Landwirtschaft. Der Glass-Steagall Act von 1933 sollte durch eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken für mehr Stabilität im Bankensystem sorgen.

Eine wichtige Lehre aus der Weltwirtschaftskrise war, dass die restriktive Geld- und Fiskalpolitik der frühen 1930er-Jahre die falsche Antwort auf die Krise gewesen war und diese sogar noch verstärkt hatte. Viel zu spät war die Regierung zu wachstumsfördernden Investitionen übergegangen. In den 1960er-Jahren versuchten dann die demokratischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson, privatwirtschaftliche Aktivität durch staatliche Nachfragepolitik zu beeinflussen. Zudem wurde im Rahmen von Präsident Johnsons War on Poverty eine Reihe neuer sozialpolitischer Programme eingeführt: Mit Zusätzen zum Social Security Act wurden 1965 Krankenversicherungen für Rentner ("Medicare") und sozial Schwache ("Medicaid") geschaffen.

Mit dem Amtsantritt Ronald Reagans erfolgte jedoch ein erneuter Paradigmenwechsel. Die Berater des Präsidenten kritisierten die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik ihrer Vorgänger: Zu hohe Steuern und ein Korsett rigider Regulierungen hätten das Wirtschaftswachstum gehemmt, überzogene Lohnforderungen der Gewerkschaften zu Inflation und immer höheren Arbeitslosenzahlen geführt und die chronischen Budgetdefizite zusammen mit der Verschuldung des Staates zu steigenden Zinsen. Ihr Rezept gegen die Stagflation der 1970er-Jahre: Der Staat sollte sich aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückziehen, staatliche Auflagen für einzelne Branchen sollten abgebaut (Deregulierung) und Sozialleistungen drastisch gekürzt werden. Begleitet werden sollten diese Maßnahmen durch eine restriktive Geldpolitik, um die Inflation wieder auf ein vernünftiges Niveau zu senken, was der Reagan-Administration auch gelang. In der Folge verzeichneten die USA bereits wieder ein moderates Wirtschaftswachstum, als die westeuropäischen Länder noch tief in der Krise waren. Hingegen schaffte es die Reagan-Administration nicht, den Schuldenberg abzubauen; er stieg im Gegenteil weiter an.

In der achtjährigen Amtszeit von Präsident Bill Clinton (1992-2000) wurden viele wirtschaftspolitische Weichenstellungen Reagans und seines Nachfolgers George Bush fortgeschrieben. Als Kandidat der Demokraten hatte Clinton seinen Wahlkampf mit dem Slogan "It’s the economy, stupid!" bestritten. Er wollte allerdings nicht nur der Wirtschaft neuen Schwung verleihen, sondern auch die sozialen Härten der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik abfedern. Der Staat sollte wieder eine aktivere Rolle spielen und verstärkt in wirtschaftsnahe Bereiche wie beispielsweise in Forschung und Entwicklung investieren; die Infrastruktur (Verkehr, Kommunikation) sowie das Bildungssystem sollten modernisiert und ausgebaut werden. Finanziert werden sollte dies durch Haushaltsumschichtungen, Einsparungen an anderer Stelle und Steuererhöhungen für Spitzenverdiener. Daneben hatte auch für die Clinton-Administration die Konsolidierung des Haushalts hohe Priorität – und ihr gelang es tatsächlich, das Haushaltsdefizit in einen Überschuss zu verwandeln. Gleichzeitig setzte Clinton im Finanzsektor die Deregulierungspolitik seiner Vorgänger fort, zum Beispiel durch die Aufhebung des Trennbankensystems (Gramm-Leach-Bliley Act, 1999). Die Deregulierung der Finanzmärkte wurde als Stärkung der US-Finanzindustrie im internationalen Wettbewerb bewertet; der Finanzsektor wurde als Wachstumsbranche gelobt – eine fatale Fehleinschätzung, wie sich Ende der 2000er-Jahre zeigen sollte.

Präsident George W. Bush und seine wirtschaftspolitischen Berater knüpften wiederum an die Tradition der Reagan-Jahre an. Der Staat sollte erneut auf seine ordnungspolitischen Kernaufgaben beschränkt werden: die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit sowie die Schaffung eines günstigen Klimas für privatwirtschaftliche Initiativen. Doch die Finanz- und Wirtschaftskrise seit Ende 2007 erforderte umfassende Eingriffe des Staates. Um größere Unruhen auf den Finanzmärkten zu vermeiden, übernahm die Regierung Anfang September 2008 die vorläufige Kontrolle über die angeschlagenen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac. Zudem brachte der Kongress 2008 ein rund 700 Milliarden US-Dollar schweres Rettungspaket für angeschlagene Banken, das Troubled Asset Relief Program (TARP), auf den Weg.

Krankenversicherte in den USA (© picture-alliance, picture-alliance / dpa-infografik 17 024 Quelle: National center of Health Statistics)

Als Barack Obama im Januar 2009 als 44. Präsident der Vereinigten Staaten ins Weiße Haus einzog, hofften viele auf einen grundlegenden Wandel in der Wirtschaftspolitik und umfassende Reformen in der Tradition der Progressivisten. Er schlug ein Steuerprogramm vor, in dessen Zentrum Erleichterungen für die Mittelschicht und eine stärkere Belastung der hohen Einkommen standen. Obama glaubte genauso wenig an die "trickle-down"-Theorie, der zufolge eine Entlastung von Unternehmen und oberen Einkommensschichten letztlich auch den Armen zugutekommt, wie an die Selbstregulierung und die Selbstheilungskräfte der Märkte. Anders als seine Vorgänger zeigte er daher eine größere Bereitschaft zu staatlichen Eingriffen, um gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen. Der Deregulierung der Finanzmärkte, welche eine erhebliche Mitschuld an der Krise trägt, wollte er ein Ende setzen und ein transparenteres, vor allem lückenloses Aufsichtssystem schaffen. Eine "grüne Wende" (Green New Deal) sollte zudem den Klimawandel eindämmen, gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und die USA langfristig wettbewerbsfähiger machen.

Bei allem Reformeifer war es letztlich aber die Wirtschafts- und Finanzkrise, die die politische Agenda und Prioritätensetzung vorgab. Es galt, mit umfassenden wie ungewöhnlichen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen die konjunkturelle Talfahrt zu stoppen. 2009 verabschiedete der Kongress den 787 Milliarden US-Dollar umfassenden American Recovery and Reinvestment Act (ARRA) und brachte Ende 2010 ein zweites großes Konjunkturpaket auf den Weg. Ungleich bedeutsamer war jedoch der im Sommer 2010 beschlossene Dodd Frank Act – die wohl größte Reform der Finanzregulierung in den USA seit den 1930er-Jahren. Sie gab den Regulierern mehr Macht und ergänzte die Finanzaufsicht um die Überwachung systemischer Risiken und den Konsumentenschutz.

Die Obama-Administration konnte noch einen weiteren Erfolg für sich verbuchen: Ebenfalls 2010 stimmte das Repräsentantenhaus dem bereits vom Senat verabschiedeten Patient Protection and Affordable Care Act zu, der Gesundheitsreform des Präsidenten (auch "Obamacare" genannt). Andere Reformvorhaben blieben dagegen auf der Strecke, darunter die energie- und klimapolitische Wende, die Steuer- oder auch die Bildungsreform.

Die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise

Die Finanz- und Wirtschaftskrise (offiziell wird sie von Dezember 2007 bis Juni 2009 datiert) war eine der schwersten seit der Großen Depression der 1930er-Jahre. In den letzten zwei Quartalen 2008 schrumpfte das US-BIP laut dem BEA um zwei und 8,3 Prozent – so stark wie seit 1982 nicht mehr. Im Jahr 2009 ging das BIP nochmals um 2,8 Prozent zurück. Die Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe, 2009 lag sie den Zahlen des BLS zufolge bei 9,3 Prozent. Auch in den folgenden Jahren blieb sie auf einem für die USA ungewöhnlich hohem Niveau von 9,6 Prozent im Jahr 2010 und 8,9 Prozent 2011. Insgesamt gingen im privatwirtschaftlichen Bereich (die Landwirtschaft ausgenommen) zwischen Dezember 2007 und Juni 2009 rund 7,67 Millionen Arbeitsplätze verloren. Zwischen Juni 2009 und September 2012 wurden wieder ca. 3,57 Millionen Arbeitsplätze neu geschaffen. Somit haben sich die USA auch fünf Jahre später noch nicht ganz von der Krise erholt.

Was waren die Ursachen der Krise? Der damalige Notenbankchef Ben Bernanke bezeichnete sie als "perfekten Sturm" – eine Verkettung unglücklicher Umstände, die keiner habe voraussehen können. Die vom Kongress ins Leben gerufene, zehnköpfige Untersuchungskommission kam 2011 zu einem anderen Urteil. Die Krise sei durchaus vermeidbar gewesen und Ausdruck eines "enormen Versagens" von Regierung und Finanzaufsicht sowie eines "rücksichtslosen Risikomanagements" der Geldindustrie. Die seit Jahren sichtbaren Risiken seien entweder ignoriert oder unterschätzt worden. Zu den Warnsignalen gehörten laut dem Bericht unethische Kreditvergabepraktiken, eine dramatisch steigende Verschuldung der privaten Haushalte und ein exponentielles Wachstum des Finanzsektors, insbesondere des Handels mit wenig regulierten Finanzderivaten. Die Frage nach den Ursachen wird sich wohl nie abschließend beantworten lassen. Klar ist jedoch: Die Krise war sowohl einem Markt- als auch einem Staatsversagen geschuldet.

Liquiditätsschwemme und NINJA-Kredite

"Easy money" – ein einfacher Zugang zu Krediten, um Investitionen zu ermöglichen – war sicherlich eine der Ursachen der Krise. Dafür waren zum einen die expansive Geldpolitik der US-Notenbank (Fed), zum anderen die hohen Kapitalzuflüsse in die USA verantwortlich. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase 2000 und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte die Fed die Zinsen auch dann noch niedrig gehalten, als die US-Wirtschaft bereits wieder wuchs. Denn trotz der wirtschaftlichen Erholung war die Arbeitslosigkeit vergleichsweise hoch geblieben. Da die Fed ein doppeltes Mandat hat – Preisstabilität und Vollbeschäftigung – begann sie erst Mitte 2004 allmählich die Zinsen wieder anzuheben. Allerdings war die hohe Arbeitslosigkeit nicht der einzige Grund für die laxe Geldpolitik. Mit niedrigen Zinsen sollte auch der Erwerb von Wohneigentum gefördert werden, wobei die Fed – wie inzwischen belegt ist – lange Zeit die Preisblase am US-Immobilienmarkt unterschätzte.

Für viel Liquidität im US-Markt sorgten zudem die globalen makroökonomischen Ungleichgewichte. Die Wachstumsländer Asiens, allen voran China, aber auch die ölreichen Länder des Nahen und Mittleren Ostens exportierten über Jahre hinweg mehr als sie importierten, hatten auf diese Weise große Währungsreserven angehäuft und legten ihr Kapital bevorzugt in den USA an. China allein hielt im September 2008 laut dem US-Finanzministerium US-Staatsanleihen im Wert von 618,2 Milliarden US-Dollar (achtfache Steigerung gegenüber noch 71,4 Milliarden US-Dollar im März 2000).

Investiert wurde vor allem in den Immobiliensektor, wodurch die Immobilienpreise ebenso in die Höhe schossen wie die Zahl der aufgenommenen Hypotheken. Die Hypotheken wurden verbrieft und in Form von strukturierten Wertpapieren auf den Finanzmärkten gehandelt. Die niedrigen Zinsen zusammen mit der Möglichkeit, Hypothekenrisiken weiterzureichen, hatten die fatale Folge, dass die Standards bei der Kreditvergabe zunehmend gelockert wurden. So wurden Hypotheken verstärkt auch an Kreditnehmer mit geringer Bonität vergeben, weil man davon ausging, dass sie ihre Schulden mit dem Immobilienwert würden refinanzieren können; eine davon unabhängige Rückzahlungsfähigkeit wurde nicht geprüft. Später wurden diese Schuldner auch als "Ninjas" – "No Income, No Job, No Assets" (kein Einkommen, kein Job und kein Vermögen) – bezeichnet. Zudem konnten Finanzinstitute dank der niedrigen Zinsen immer größere Geschäfte mit immer geringerem Eigenkapitaleinsatz tätigen. Es kam zu einem Leverage-Effekt (Hebelwirkung) – mit hohen Risiken, wie sich später herausstellen sollte.

Gleichzeitig wurden für breite Schichten der Bevölkerung sowohl der kurzfristige Konsum "auf Pump" als auch der Kauf bzw. die Beleihung von Eigenheimen attraktiv. Durch die steigenden Immobilienpreise fühlten sich die US-Amerikaner immer vermögender – was den privaten Konsum und damit auch das Wirtschaftswachstum förderte. Manche Ökonomen wie Raghuram G. Rajan sehen einen weiteren starken Antriebsfaktor für das Konsum- und Verschuldungsverhalten der US-Bürger in den steigenden Einkommensunterschieden. Vor der Krise profitierten vor allem die Vermögenden vom Wirtschaftswachstum: 2007 entfielen laut dem U.S. Census Bureau auf das oberste Fünftel der Einkommen 49,7 Prozent des gesamten Haushaltseinkommens, auf das unterste Fünftel 3,4 Prozent. 14,8 Prozent lagen im mittleren Fünftel. Zum Vergleich: 1980 lauteten die Prozentsätze 44,1 sowie 4,2 und 16,8 Prozent. Um ihren relativen Lebensstandard zu halten, nahmen immer mehr Verbraucher hohe Kredite auf.

Einkommensunterschiede in den USA

Dies führte zu einer immensen privaten Verschuldung: Sie lag 2007 im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen bei 137 Prozent. Dass dieses Modell nur so lange funktionieren konnte, wie die Immobilienpreise stiegen und Zinsen niedrig blieben, wurde von fast allen Marktteilnehmern ignoriert. Rückblickend überrascht es kaum, dass viele Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten gerieten, als die Fed die Zinsschraube 2006 deutlich anzog – insbesondere da viele Kredite flexible Zinssätze hatten, die analog zum Leitzins stiegen. Hinzu kam, dass Kreditnehmer überwiegend mit sogenannten teaser rates in die Kreditverträge gelockt worden waren. Nach diesem Verfahren wurden in den ersten Jahren oftmals keine Tilgungen, manchmal sogar keine Zinsen verlangt. In der Erwartung, dass die Häuserpreise weiter steigen würden, wurde den Kreditnehmern für die Zeit nach der Niedrigzinsphase des Vertrags eine Umschuldung in Aussicht gestellt. Das heißt, dass ein neuer, billigerer Kredit aufgenommen werden könnte (mit ebenfalls niedriger monatlicher Belastung), um den alten, mittlerweile teuren Kredit zu tilgen. Die Rechnung ging jedoch für viele Hausbesitzer nicht auf. Nach dem Platzen der Immobilienblase und angesichts sinkender Häuserpreise waren die Hypotheken, die auf den Immobilien lasteten, häufig höher als der neue, angepasste Wert des Hauses. Viele konnten die mittlerweile teuren Kredite nicht mehr bedienen.

Entfesselte Finanzmärkte

Die Verwerfungen auf dem US-Immobilienmarkt hätten sicherlich nicht diese Dimension erreicht, hätten Hypotheken nicht gebündelt auf den Finanzmärkten gehandelt werden können. Kreditausfallversicherungen, mit denen Kreditrisiken abgesichert werden können, waren eine weitere "Finanzmarktinnovation", die sich als fatal herausstellen sollte – zum Beispiel für den Versicherungsgiganten AIG. Der Sekundärmarkt für Hypothekenkredite sorgte im Finanzsektor zeitweise für hohe Erträge, beförderte zugleich aber auch eine Entkopplung von Kreditgebern und Kreditnehmern. In der Konsequenz wurden Risiken entweder ignoriert oder verschleiert.

Indem sie ihre Risikogeschäfte in Zweckgesellschaften auslagerten, konnten die Banken internationale Eigenkapitalrichtlinien (Basel I und Basel II) umgehen: Diese schrieben vor, dass Banken ständig ein Minimum an Eigenkapital – acht Prozent ihrer risikogewichteten Vermögenswerte – halten müssen. Die Konsequenz dieser Risikoverschiebung waren sinkende Transparenz und deutlich erschwerte Bedingungen für die Aufsichtsbehörden. Die dem Geschäftsmodell der Zweckgesellschaften innewohnenden Risiken wurden dabei ebenfalls weitgehend vernachlässigt: Sie liehen sich kurzfristig Geld und gingen gleichzeitig langfristige Zahlungsverpflichtungen ein. Gerade die Notwendigkeit einer stetigen kurzfristigen Refinanzierung machte sie anfällig gegenüber plötzlichen finanziellen Verwerfungen.

Investmentbanker glaubten, mittels hochkomplizierter mathematischer Optimierungsverfahren das Risiko der neuen Anlageinstrumente und Zweckgesellschaften nahezu beseitigt zu haben – ein Trugschluss. Zwar berücksichtigten ihre Modelle durchaus die Möglichkeit eines Einbruchs der Immobilienpreise, doch basierten die Berechnungen auf historischen Erfahrungswerten. Mit einem Wertverlust auf den Immobilienmärkten, wie er letztendlich eintrat, hatte kaum jemand gerechnet. Unterschätzt wurde vor allem, wie stark die einzelnen Finanzmarktakteure untereinander verflochten sind und wie schnell der Bankrott eines einzelnen Instituts zum Problem für das ganze System werden kann.
Beflügelt wurde das risikofreudige Verhalten durch die Vergütungspolitik in den Banken. Motiviert durch die Aussicht auf hohe Bonuszahlungen im Erfolgsfall gingen Bankmanager im Vorfeld der Krise besonders hohe Risiken ein, ohne ausreichenden Eigenkapitaleinsatz bzw. Rücklagen für mögliche Kreditausfälle.
Schuld traf auch die Ratingagenturen: Nicht immer waren die Bestnoten, die sie vergaben, gerechtfertigt. Der Ratingmarkt wird von den drei großen Unternehmen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch dominiert. Die Agenturen wurden kaum reguliert und konnten für fehlerhafte Ratingurteile nicht haftbar gemacht werden. Das enge Verhältnis zwischen ihnen und ihren Kunden schuf schwerwiegende Interessenkonflikte: So wurden die Agenturen nicht nur von den Banken für ihre Ratingdienste bezahlt, sie berieten diese außerdem bei der Schaffung jener komplexen Finanzprodukte, die sie später bewerteten.
Schließlich trug auch bewusster Finanzbetrug zu den Verwerfungen auf den Finanzmärkten vor der Krise bei: Die Investmentbank Goldman Sachs musste 2010 beispielsweise eine Strafe in Höhe von rund 550 Millionen US-Dollar dafür zahlen, dass sie ihren Kunden wichtige Informationen verschwiegen hatte. Der Börsenaufsicht zufolge war dies nicht der einzige Betrugsfall.

Der unerschütterliche Glaube an die Marktkräfte

Dass weder die Fed noch die US-Finanzaufsicht frühzeitig korrigierend in die Märkte eingriffen, lag unter anderem am unerschütterlichen Glauben an die Selbstregulierung und die Selbstheilungskräfte der Märkte. Die Auslagerung von Risiken in Zweckgesellschaften oder auch der Handel mit Ausfallrisiken galten als Ausdruck der Innovationskraft des Finanzsektors. Gleichzeitig wurden bestehende Regulierungsbestimmungen nicht an die neuen Finanzmarktinnovationen und -akteure angepasst.
Begünstigend wirkte auch die Struktur der US-Finanzaufsicht, die einem bunten Flickenteppich von Zuständigkeiten glich (was teilweise bis heute so ist). Eine Regulierungsinstanz mit überspannender Verantwortung gab es vor der Krise nicht, vielmehr wachte über den Bankensektor, den Wertpapiermarkt und das Versicherungswesen eine Vielzahl verschiedener Aufsichtsbehörden. Verschärft wurde dieses Problem durch Interessenkonflikte: Verantwortliche aus Politik und Behörden wechselten immer wieder in den Finanzsektor (und umgekehrt).

Die US-Regierung muss sich allerdings nicht nur dem Vorwurf unzureichender Regulierungen stellen. Da Wohneigentum zum American Dream gehört, hatten sich sowohl die Clinton- als auch die Bush-Regierung zum Ziel gesetzt, Eigenheime auch einkommensschwachen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, und dazu Hypothekenzahlungen steuerlich begünstigt. Bereits unter Reagan waren die Kreditvergabestandards für die beiden US-Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac – beides private Unternehmen, die jedoch staatliche Deckung genossen – mehrmals gelockert worden. Sie kauften seither im großen Stil Hypotheken von regulären Banken und Kreditanbietern auf, bündelten diese und verkauften sie weltweit als Wertpapiere an Investoren. Die steigende Nachfrage nach solchen Hypotheken ermöglichte es wiederum Banken und Kreditanbietern, stärker im Subprime-Sektor aktiv zu werden, also "zweitklassige Kredite" an Kreditnehmer geringer Bonität zu vergeben. Als Fannie Mae und Freddie Mac im Zuge der Krise in Schieflage gerieten, griff die Regierung rettend ein, womit sich ein weiteres Problem staatlicher Anreizstrukturen offenbarte: Große Finanzunternehmen gelten als systemrelevant und müssen vom Staat gerettet werden, soll nicht das gesamte Finanzsystem gefährdet werden – sie sind "too big to fail" (zu groß, um zu scheitern). Doch damit wird auch der Bestrafungsmechanismus des Marktes ausgehebelt, was zu ähnlichem Fehlverhalten in der Zukunft einlädt.

Die US-Wirtschaft nach der Krise

Das amerikanische Wachstumsmodell

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass eine der großen Stärken der US-Wirtschaft gleichzeitig ihre größte Schwäche ist: der Binnenkonsum. 2012 betrug der Anteil der Ausgaben für den privaten Konsum am BIP laut dem BEA 68 Prozent (zu konstanten Preisen von 2009, siehe nebenstehende Tab.). Auf den öffentlichen Verbrauch entfielen im selben Jahr 19,2 Prozent des BIP.
Eine weitere Besonderheit der US-Wirtschaft ist der seit Jahrzehnten negative Außenbeitrag, es wurde also mehr importiert als exportiert. 2012 ging der Außenbeitrag mit einem Minus von 2,8 Prozent in das BIP ein, 2008 betrug er sogar minus 3,7 Prozent (ebenfalls zu konstanten Preisen von 2009). Der Außenhandel ist somit kein Wachstumsfaktor in der US-Wirtschaft. Die Bedeutung des Konsums dagegen zeigt ein Blick auf die Komponenten des Wirtschaftswachstums: 2012 waren 1,52 Prozentpunkte des BIP-Wachstums (dieses lag bei 2,8 %) dem Konsum zuzuschreiben.

QuellentextAmerikanische Leidenschaft: der Konsum

[...] Nirgendwo in den Vereinigten Staaten gibt es mehr Läden auf einem Fleck als hier [in der Mall of America – Anm. d. Red.], es sind mehr als 520. Kombiniert haben ihre Schaufenster eine Länge von fast sieben Kilometern. Kein Ort in Amerika zieht mehr Menschen an. Nicht der Grand Canyon oder der Yellowstone National Park, nicht die Golden Gate Bridge in San Francisco, ja nicht einmal New Yorks Time Square zählen mehr Besucher als die Mall of America. Mehr als 40 Millionen Menschen pilgern Jahr für Jahr in den Betonklotz im Süden der Millionenstadt Minneapolis im weiten Mittleren Westen der USA. Zusammengerechnet waren es seit Beginn des neuen Jahrhunderts fast eine halbe Milliarde Menschen.

60 Prozent kommen aus einem Umkreis von 200 Kilometern um Minneapolis. "Locals" nennt Dan Jasper, der beflissene Sprecher der Mall, diese Besucher, Orts-ansässige. Doch vier von zehn reisen von weiter her an, setzen sich oft Tage ins Auto oder fliegen extra ein, nur um zu shoppen. Das sind die "Touristen" im Jargon der Mall. Der Flughafen liegt, kein Zufall, ganz in der Nähe. Ein Taxi braucht vom Flughafen von Minneapolis exakt acht Minuten zur Mall. Für die Besucher von weiter her bietet die Mall "Family Fun Getaway Packages" an. 500 Dollar kostet das "Familien-Spaßwochenende" mit Übernachtungen inklusive Einkaufsgutscheinen.

[…] Die Mall ist [...] eine Konsummaschine monströsen Ausmaßes. Fast 400 000 Quadratmeter misst sie. In der berühmten Maßeinheit der Fußballplätze wären das gut 50 Sportfelder. Dan Jasper, der Pressesprecher, tickert derlei Superlative wie am Schnürchen herunter: "32 Jumbojets würden in die Mall hineinpassen, 258 Freiheitsstatuen könnten flach in ihr liegen. Die Haifische im Aquarium bekommen fast einen Zentner Fleisch gefüttert, wir haben 11 000 Angestellte, in Spitzenzeiten 13 000, und die ganze Mall macht im Jahr fast zwei Milliarden Dollar Umsatz." Im Inneren der Kommerzbastion findet sich außer den Geschäften ein Vergnügungspark, komplett mit Achterbahn und Giga-Schiffsschaukel. […]

Malls, die Einkaufszentren in den weit ausladenden Vorstädten der Metropolen, haben eine lange Tradition in Amerika. Bereits in den boomenden zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen die ersten sogenannten strip malls auf: Ansammlungen von Geschäften außerhalb der engen Stadtzentren, mit Parkplatz für die Autos, die gerade zum neuen Wohlstandssymbol Amerikas geworden waren. In den fünfziger Jahren wurden dann die ersten Malls im heutigen Stil gebaut: Dutzende Einzelhandelsläden, alle unter einem Dach. Und sie wurden immer größer, bis die Mall of America vor exakt 20 Jahren eröffnet wurde, die gewaltigste der Konsummaschinen in den USA.
In vieler Hinsicht ist in der Mall of America wie im Brennglas gebündelt, was Amerikas Eigenarten – und Sonderbarkeiten – ausmacht: Es geht unglaublich bunt und vielfältig zu, manchmal ist es etwas schrill, und eigentlich zielt alles in fast jeder Lebenslage auf Konsum.

Was wiederum eine geradezu unabdingbare Voraussetzung dafür zu sein scheint, Fun zu haben, ein wenig Spaß. Vielleicht macht ja genau das die Anziehungskraft der Mall aus: Es gibt nichts, was es nicht gibt, vor allem nichts, was sich nicht zu Geld machen ließe. […]

Reymer Klüver, "Erholung zu kaufen", in: Süddeutsche Zeitung vom 11./12. August 2012

Verwendung des BIP 2010 - 2012

In der Krise rächte sich die hohe Konsumabhängigkeit: Während sich exportorientierte Länder wie Deutschland, gezogen von der Nachfrage vor allem in den Schwellenländern, vergleichsweise schnell von der Krise erholten, litt die US-Wirtschaft auch 2012 weiterhin, weil der Binnenkonsum durch die hohe Arbeitslosigkeit, den geringen Lohnzuwachs, den Wertverlust von Eigenheimen, einen deutlichen Rückgang des Vermögens der Verbraucher sowie pessimistische Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung gelähmt wurde.
Die Kehrseite der amerikanischen Konsumfreudigkeit ist zudem eine niedrige Sparquote und hohe Verschuldung. Die Sparquote der privaten Haushalte, also der Anteil am verfügbaren Einkommen, der gespart wird, ist seit den 1980er-Jahren laut dem BEA insgesamt deutlich gesunken, während sie in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren teilweise noch bei über zehn Prozent lag. Mitte der 1990er-Jahre rutschte sie dann erstmals unter fünf Prozent.
Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Erklärungen: Eine erste bezieht sich auf den "Vermögenseffekt", wonach mit steigendem Vermögen auch der Konsum wächst und weniger gespart wird. In den 1990er- und 2000er-Jahren wuchs das Vermögen der privaten Haushalte in den USA tatsächlich deutlich, und zwar unter anderem durch die steigenden Aktienkurse und Immobilienpreise. Ein zweiter Erklärungsansatz betrifft die Arbeitsproduktivität: Wenn die privaten Haushalte erwarten, dass sie in Zukunft weiter steigt, und damit einhergehend auch das Arbeitseinkommen, dann sparen sie in der Gegenwart weniger. Diese Theorie wird durch Produktivitätssteigerungen seit den 1980er-Jahren bekräftigt.

Komponenten des realen BIP-Wachstums

BIP-Entstehung nach Sektoren

Eine dritte Erklärung für die niedrige Sparquote in den USA ist, dass es in den 1980er- und 1990er-Jahren leichter wurde, Kredite aufzunehmen. Im Jahr 2005 erreichte die Sparquote einen historischen Tiefststand von 2,6 Prozent. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise sparten die Amerikaner wieder mehr (2009: 6,1 %); mittlerweile scheint die Sparquote allerdings wieder leicht zu sinken (2012: 5,6 %). Problematisch bleibt auch die hohe Verschuldung der privaten Haushalte. Ende 2012 hatte sie ein Niveau von 109,7 Prozent der verfügbaren Einkommen erreicht und lag damit zwar unter den 135,6 Prozent des Jahres 2007, aber weit über der als tragbar geltenden Schwelle von 90 Prozent.

Die USA sind eine postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft. Im Jahr 2012 trug der Dienstleistungssektor laut dem BEA mit rund 69 Prozent zum BIP bei. Neben den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen spielen hierbei auch die Immobiliendienstleistungen eine wichtige Rolle. Ein noch bis vor der Finanz- und Wirtschaftskrise als Stärke gewertetes Charakteristikum des US-Wachstumsmodells ist der hohe Anteil des Finanzsektors am BIP (2012: 7,9 %, siehe Grafik Seite 59). Der Anteil des Industriesektors (d. h. des produzierenden Gewerbes zusammen mit dem Baugewerbe und dem Bergbau) betrug 17 Prozent, und die Landwirtschaft trug mit lediglich einem Prozent zum BIP bei.

Reindustrialisierung – Neuanlauf des produzierenden Gewerbes?

"USA gewinnen einstige industrielle Macht zurück", konstatierte die Zeitung Die Welt im Februar 2013. Ist diese Beobachtung zutreffend? Es wäre nicht der erste Strukturwandel, den das Land durchlebt.
Noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dominierte in den USA die Landwirtschaft. Im Süden wurden Tabak und Baumwolle angebaut, der Norden und Mittlere Westen waren geprägt von Getreideanbau und Viehzucht. Die Industrialisierung des Landes begann im frühen 19. Jahrhundert. In dieser Zeit spielte Baumwolle eine entscheidende Rolle: Sie wurde im Süden produziert und in Textilfabriken im Nordosten verarbeitet. Während viele Industriegüter zuvor noch aus England importiert worden waren, wuchs im Nordosten die Zahl der Fabriken insbesondere ab ca. 1840. Richtig setzte die Industrialisierung allerdings erst nach dem Ende des Bürgerkriegs (1865) ein. Befördert wurde sie durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes: Durch die Erweiterung der Verkehrsinfrastruktur wuchsen die zahllosen lokalen und regionalen Märkte zu einem landesweit integrierten Markt zusammen. Während im Nordosten die Schwerindustrie (Eisen und Stahl) entstand, verlagerten sich die Textilfabriken gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr in den Süden und somit näher an den Baumwollanbau heran.
Zentrum der industriellen Produktion war der sogenannte Manufacturing Belt (Industriegürtel). Er reichte von den Metropolen an der atlantischen Ostküste (von Baltimore über New York bis Boston) bis in die großen Städte des Mittleren Westens wie Cleveland, Pittsburgh, Cincinnati, Detroit und Milwaukee. Mit der Gründung von Ford (1903) und General Motors (1908) wurde Detroit zu einer Hochburg der US-amerikanischen Automobilindustrie. Der Südwesten entwickelte sich dank seines Erdöl- und Erdgasreichtums zum Zentrum der Energieindustrie. Auch wenn die Förderung in absoluten Zahlen zurückgegangen ist, ist Texas noch heute der Bundesstaat mit der größten Produktion von Öl und Gas. Im Jahr 2011 fanden dort fast 53 Prozent der gesamten Öl- und Gasgewinnung des Landes (gemessen am Wert der Produktion) statt. An der verhältnismäßig spät besiedelten Westküste der USA entstand während und nach dem Zweiten Weltkrieg die Hochtechnologieindustrie. 1975 wurde Microsoft in einem Vorort von Seattle, Washington gegründet. Ein Jahr später erfolgte die Gründung von Apple in Kalifornien. Das Silicon Valley bei San Francisco ist bis heute einer der wichtigsten Standorte der Industrie für Hightech sowie für Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) weltweit. Das BIP von Kalifornien, dem Bundesstaat mit der größten Wirtschaftsleistung, betrug im Jahr 2012 allein zwei Billionen US-Dollar.

QuellentextWeltweit führend: die US-Computerindustrie und IKT-Branche

IBM, Apple und Microsoft – ohne diese US-amerikanischen Pionier-Unternehmen wäre die weltweite Computerbranche heutzutage nur schwer vorstellbar. Die Geschichte des Personal Computers (PC) ist untrennbar mit der Geschichte der USA nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpft. Und noch heute stellt die Computerindus-trie einen wichtigen Wirtschaftszweig der USA dar: Ende 2012 waren 1,1 Mio. Amerikaner in der Computer- und Elektroindustrie beschäftigt. Auch wenn die PCProduktion mittlerweile größtenteils in andere Länder verlagert wurde, haben US-amerikanische PC-Hersteller zusammengenommen immer noch den mit Abstand größten Weltmarktanteil. Und auch in der Informations- und Kommunikationstechnikbranche (IKT-Branche) sind die USA dank nicht abbrechender Innovationen und Unternehmensgründungen, die insbesondere aus der San Francisco Bay Area bzw. dem Silicon Valley stammen, weltweit führend.

Von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre wuchsen die Verkaufszahlen von PCs jährlich mit zweistelligen Raten. Die USA waren dabei der erste große Wachstumsmarkt für PCs. Im Jahr 2000 besaß bereits mehr als die Hälfte aller US-amerikanischen Haushalte einen PC. Die neue PC-Kategorie der Tablet-Computer sorgt dafür, dass sowohl für den US-Markt als auch weltweit für die nächsten Jahre wieder ein kräftiger Zuwachs der Verkaufszahlen erwartet wird.

Die Verbreitung des Internet in den 1990er-Jahren sorgte für die Entstehung der sogenannten New Economy, der Firmen angehören, welche internetbasierte und andere auf Informations- und Kommunikationstechniken basierende Dienstleistungen anbieten. Viele dieser Firmen gründeten sich in den 1990er- und 2000er-Jahren im Silicon Valley. Nach Jahren des explosiven Wachstums in den 1990er-Jahren platzte im Sommer 2000 die Internetblase, die auch als "Dotcomblase" bezeichnet wird. Viele Firmen und insbesondere kleinere Start-ups gingen bankrott, nachdem übersteigerte Gewinnerwartungen in den Jahren zuvor zu dramatischen Kurssprüngen geführt hatten.

Trotz dieses massiven Schocks in den frühen 2000er-Jahren wird die IKT-Branche bis heute von US-amerikanischen Unternehmen dominiert. So war Apple Ende 2012 das weltweit größte IKT-Unternehmen mit einem Börsenwert von 370 Mrd. Euro, gefolgt von Google (180 Mrd. Euro) und Microsoft (173 Mrd. Euro). Und auch was PCs betrifft, waren zwei US-amerikanische Hersteller, Hewlett-Packard (HP) und Dell, seit 1994 und bis vor Kurzem gemessen am Marktanteil die führenden Unternehmen sowohl in den USA als auch weltweit. In der ersten Jahreshälfte 2013 überholte das chinesische Unternehmen Lenovo, das 2004 IBMs PC-Sparte übernommen hatte, HP als Weltmarktführer.

Das Silicon Valley beziehungsweise die etwas weiter gefasste San Francisco Bay Area ist aus der Geschichte der US-amerikanischen Elektronik- und Computerindustrie und aus der IKT-Branche nicht wegzudenken. Es entstand aus dem 1951 gegründeten Stanford Industrial Park (heute Stanford Research Park); dieses Gelände vermietete die Stanford University an Hightech-Firmen. Beide Seiten profitierten stark voneinander – die Universität von den Firmen, deren Mitarbeiter teilweise Kurse auf dem Campus unterrichteten, und die Firmen von der Nähe zur Wissenschaft. In den 1960er- und 1970er-Jahren dominierte hier die Halbleiterindustrie (das Silicon Valley hat seinem Namen vom Halbleiterelement Silicium). In den 1980er- und 1990er-Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt dann zunächst auf die Herstellung von PCs (einer der ersten in großen Mengen produzierten war der Apple II 1977), später auf Computersoftware (1985 kam Microsoft Windows auf den Markt) und schließlich auf internetbasierte Unternehmen.

Die San Francisco Bay Area bietet weltweit einmalige Bedingungen für Start-ups in der Computer- und IKT-Branche:
die Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur, die durch die dort ansässigen Universitäten und Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen diverser Unternehmen geprägt ist;
ein großes Angebot an qualifizierten Arbeitskräften (2010 hatten 46 Prozent der Bevölkerung mindestens einen Bachelorabschluss);
ein breites Angebot an Dienstleistungen, die auf Unternehmensgründungen ausgerichtet sind;
die besondere Kultur des Silicon Valley, die sehr international, offen und risiko-freudig ist; und
eine extrem gut ausgebaute Risikokapitalbranche. 2012 wurden laut der National Venture Capital Association (NVCA) gut 70 Prozent der weltweiten Risikokapital-Investitionen in den USA getätigt, davon 40,9 Prozent speziell im Silicon Valley.

Auch wenn große PC-Hersteller wie Dell und HP mittlerweile in anderen Ländern produzieren, findet das Produktdesign, welches von neuen Ideen und Innovationen lebt, weiterhin in den USA und insbesondere im Silicon Valley statt.
Zwar brachen die US-amerikanischen Exporte von Computer- und Elektronikprodukten zwischen 2011 und 2012 leicht ein, auch lagen die Risikokapital-Investitionen 2012 mit 26,65 Mrd. Dollar noch weit unter ihrem historischen Höchststand von 105,2 Mrd. Dollar im Jahr 2000 (vor dem Platzen der Internetblase). Nichtsdestotrotz sorgen die einzigartigen Gegebenheiten des Silicon Valley dafür, dass die USA weiterhin das Zentrum für Innovationen und Start-ups in der Computerindustrie und der IKT-Branche sind.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts vollzog sich ein erneuter Strukturwandel in den USA. 1950 erwirtschaftete das produzierende Gewerbe dem BEA zufolge noch 27 Prozent des BIP, 1975 waren es nur noch rund 21 und im Jahr 2000 bereits nur noch 14 Prozent. Zwar müssen bei diesen Zahlen auch Preiseffekte beachtet werden: Die Preise für Güter des produzierenden Gewerbes stiegen über Jahrzehnte in geringerem Maße als die anderer Güter und Dienstleistungen, sodass real gesehen der Sektor etwas weniger stark schrumpfte, als es der Anteil am BIP wiedergibt. An der Dominanz des Dienstleistungssektors ändert dies jedoch nichts.
Besonders deutlich zeigt sich der Strukturwandel im Manufacturing Belt. Seit den 1960er-Jahren wurde zunächst die bis zu diesem Zeitpunkt dominante Schwerindustrie durch die verarbeitende Industrie und modernere Branchen wie die Softwareindustrie abgelöst. Der Manufacturing Belt wurde zum Rust Belt (Rostgürtel), mit sinkenden Einwohnerzahlen in vielen Städten. Nichtsdestotrotz findet hier immer noch ein großer Teil der industriellen Produktion des Landes statt, auch dank der großen Automobilhersteller.
Bedingt wurde der Strukturwandel zum einen dadurch, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien den massiven Ausbau des Dienstleistungssektors, insbesondere der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, ermöglichten. Zudem geriet das produzierende Gewerbe ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter einen intensiven Wettbewerbsdruck, und viele arbeitsintensive Industrien wurden in Länder mit niedrigeren Lohnniveaus, beispielsweise in Asien, verlegt.
Findet nun also ein erneuter Strukturwandel statt – eine Reindustrialisierung der USA? In der Tat verlagern einige große US-amerikanische Unternehmen ihre Produktion inzwischen wieder ins eigene Land zurück; so errichtet General Electric zwischen 2012 und 2014 ein Werk für Haushaltselektrik in Louisville, Kentucky. Auch ausländische Unternehmen scheinen wieder verstärkt in den Produktionsstandort USA zu investieren: Der japanische Konzern Mitsubishi investierte 2011 in ein Gasturbinenwerk in Savannah, Georgia und Siemens 2011 in eine neue Fabrik für Gas- und Dampfturbinen sowie Generatoren in Charlotte, North Carolina.
Die Voraussetzungen für eine Reindustrialisierung haben in der vergangenen Dekade verschiedene Faktoren geschaffen wie:

  • niedrige Lohnstückkosten, insbesondere im Süden der USA (zusammen mit gestiegenen Lohnkosten in Asien);

  • niedrige Energiekosten aufgrund des Schiefergas-Booms;

  • die unternehmensfreundliche Geldpolitik der Fed, die für günstige Kredite dank niedriger Zinsen sorgt;

  • die Konjunkturpakete der Obama-Administration;

  • ein schwacher Dollar, der US-amerikanische Produkte auf den internationalen Märkten konkurrenzfähiger macht;

  • ein sich erholender Immobilienmarkt, der die Bauindustrie ankurbelt.

Private Investitionen nach Sektoren (© BEA, Fixed Assets Accounts Tables, Private Fixed Assets by Industry, Table 3.7ES: Investment in Private Fixed Assets by Industry,)

Seit 2010 hat vor allem die Herstellung von Computern und Elektroprodukten, Maschinen, Erdöl- und Kohleprodukten sowie Autos einen Aufschwung erfahren. Der Anteil des produzierenden Gewerbes am BIP, der jahrzehntelang fast durchgängig geschrumpft war, stieg laut dem BEA seit 2010 erstmals wieder mehrere Jahre in Folge auf 11,9 Prozent im Jahr 2012 an. Auch die reale (also inflationsbereinigte) Wertschöpfung des produzierenden Gewerbes nahm wieder deutlich zu. Sie lag im Vorkrisenjahr 2007 noch bei 1,69 Billionen US-Dollar, sank während der Krise auf 1,45 Billionen (2009) und erreichte im Jahr 2012 wiederum 1,68 Billionen US-Dollar.
Um aber umfassend beurteilen zu können, ob dieser Entwicklung wirklich eine Reindustrialisierung zugrunde liegt, müssen weitere Indikatoren betrachtet werden: die Beschäftigungszahlen des produzierenden Gewerbes, die Produktionskapazitäten dieses Sektors und schließlich die Investitionen in den einzelnen Branchen.
Die Beschäftigungszahlen des produzierenden Gewerbes erreichten im Januar 2010 laut dem BLS mit 11,6 Millionen ihren Krisentiefststand und stiegen im Mai 2013 wieder auf knapp zwölf Millionen (also um 4,5 %). Das Vorkrisenniveau von rund 13,7 Millionen Beschäftigten ist damit allerdings noch lange nicht wieder erreicht, und andere Sektoren haben sich im Vergleich bereits besser erholt: So stiegen die Beschäftigtenzahlen im Freizeit- und Gastgewerbe im selben Zeitraum (Januar 2010 bis Mai 2013) um neun und im Unternehmensdienstleistungssektor um 11,9 Prozent.
Auch müsste, um von einer Reindustrialisierung sprechen zu können, eine deutliche Ausweitung der Produktionskapazitäten des produzierenden Gewerbes zu beobachten sein. Diese wuchsen aber bereits seit der Jahrtausendwende nur noch in geringem Umfang. Im Zeitraum 1995 bis 2013 lag die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Fed zufolge bei 2,4 Prozent. Die Zahlen für die Jahre 2010 bis 2012 liegen unter diesem Durchschnitt: Im Jahr 2010 schrumpften die Produktionskapazitäten sogar noch um zwei Prozent, 2011 wuchsen sie um 0,6 Prozent und 2012 um 1,6 Prozent.

Auch die privaten Investitionen im produzierenden Gewerbe und im Bergbau sind nach der Krise laut Zahlen des BEA wieder angestiegen, konnten jedoch bis einschließlich 2011 das Vorkrisenniveau nicht wieder erreichen (siehe Grafik), wobei die Investitionen in Ausstattung und Software allerdings tendenziell seit etwa 2010 einen stärkeren Aufwärtstrend verzeichnen als die Investitionen in Strukturen.
Nur einige wenige Branchen konnten das Vorkrisenniveau in den letzten Jahren tatsächlich übertreffen. Dazu zählen die Automobilbranche, die Nahrungsmittel- und Tabakindustrie, Papierprodukte sowie Kunststoffe und Gummiprodukte. Investitionen in die Herstellung von Computer- und Elektroprodukten stiegen 2010 und 2011 zwar an, jedoch lag das Vorkrisenniveau deutlich über den Investitionen für 2011.
Dieser Trend lässt sich auch bei den Ausländischen Direktinvestitionen (ADI) beobachten: Während die ADI in das produzierende Gewerbe der USA in den Jahren vor der Krise noch deutlich gestiegen waren, gingen sie in der Krise (2008 und 2009) zurück und haben sich seit 2010 – im Jahr 2011 jedoch nur leicht – wieder erholt. Getragen wird dieser erneute Anstieg vor allem durch Investitionen in die chemische Industrie. 2010 stiegen auch ADI in die Herstellung von Erdöl- und Kohleprodukten deutlich an, gingen 2011 aber wieder zurück. Auch der US-Automobilsektor konnte von ADI profitieren. In den letzten Jahren haben Automobilhersteller aus aller Welt (darunter VW, Toyota, Honda, Nissan und Hyundai) Werke in den Südstaaten eröffnet. Dort sind die Lohnkosten vergleichsweise niedrig, auch weil die dort geltenden "right to work"-Gesetze die Macht der Gewerkschaften begrenzen.
Wenn also die Daten insgesamt eher noch nicht für eine deutliche "Reindustrialisierung" des Landes sprechen, sollte eine solche aber auch nicht ausgeschlossen werden. Denn eine Reihe begünstigender Faktoren könnte der Wiederbelebung der US-Industrie weiteren Schwung verleihen. So mindert der im internationalen Vergleich niedrige Gaspreis in den USA die Herstellungskosten energieintensiver Produkte wie Aluminium und anderer Nichteisenmetalle, von Stahl, Baustoffen oder auch von Papier. Die immensen Schiefergasreserven können den Bau von Gaskraftwerken befördern und langfristig einen großen Markt für gasbetriebene Kraftfahrzeuge schaffen. Und auch die chemische Industrie profitiert von den niedrigen Gaspreisen, da Erdgas als Rohmaterial in der Herstellung vieler Chemikalien, Kunststoffe und Dünger verwendet wird.

QuellentextSchlüsselsektor: die Automobilindustrie

Die Automobilbau- und die zuliefernde Industrie gehören mit 773 000 Beschäftigten (2012) zu den Schlüsselbereichen der US-amerikanischen Wirtschaft. Im Jahr 2011 trug dieser Sektor etwa vier bis fünf Prozent zum BIP der USA bei. Die Automobilindustrie steht sinnbildlich für die Industrialisierung wie auch die Deindustrialisierung des Landes. Sie ist ein Musterbeispiel für Unternehmenserfolg im Weltmaßstab, aber auch für unternehmerische Fehlentscheidungen. Und sie spiegelt die strukturellen und geografischen Veränderungen im Land wider. Während die Automobilindustrie traditionell im Manufacturing Belt des Mittleren Westens, insbesondere dem Großraum Detroit, ansässig ist, haben sich vor allem ausländische Automobilkonzerne zunehmend im Süden (Alabama, Kentucky, Louisiana, South Carolina und Tennessee) sowie in Indiana und Ohio angesiedelt. Denkt man an den USamerikanischen Automobilsektor, so denkt man vor allem an die Big Three, General Motors (GM), Chrysler und Ford. Dies war jedoch nicht immer so. In den frühen Jahren der Automobilindustrie dominierten viele kleine Hersteller im Nordosten des Landes den Markt. Die Produktion war zeit- und arbeitsintensiv. Dies änderte sich mit der Erfindung und technischen Verfeinerung der Massenproduktion, insbesondere dem Einsatz der Fließbandtechnik, und der Gründung von Ford (1903) und GM (1908). Wenig später eroberte Henry Fords legendäres Model T zuerst Amerika, dann weitere Kontinente. Kostengünstig und effizient hergestellt, wurde das Model T schnell zum "Auto für die Massen". Innerhalb von zwanzig Jahren wurden mehr als 15 Mio. Autos dieses Typs hergestellt. Im Jahr 1929 teilten sich GM, Ford und Chrysler bereits drei Viertel des Automobilmarkts der Vereinigten Staaten. Zu diesem Zeitpunkt liefen in den USA 4,5 Mio. Pkws pro Jahr vom Band. Rund 85 Prozent der weltweit jährlich hergestellten Automobile wurden in den USA erzeugt. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden europäische und japanische Hersteller zu ernsthaften Konkurrenten auch auf dem US-Markt.

Zwischen 1945 und 1980 ging der Anteil der US-Hersteller an der weltweiten Automobilproduktion von etwa 80 auf 20 Prozent zurück. Im Jahr 1980 überholte Japan die USA erstmals als führender Automobilhersteller.
In den 1990er- und frühen 2000erJahren erfuhr die US-Automobilindustrie eine neue Blütezeit. Grund hierfür waren die niedrigen Ölpreise und eine steigende Nachfrage auf dem US-Markt nach größeren Fahrzeugen wie Kleintransportern ("pick-up trucks"), Minivans und Gelän-dewagen ("sports utility vehicles", SUVs).

Doch die Automobilindustrie hatte verpasst, wichtige Strukturreformen vorzunehmen. Aufgrund der steigenden Spritpreise sahen sich US-amerikanische Autofahrer zunehmend nach kleineren, benzinsparenden Alternativen um, wovon insbesondere japanische und europäische Anbieter profitierten. In der Folge sank der Anteil der Big Three am Markt für leichte Nutzfahrzeuge zwischen 2001 und 2008 von 77 auf 62 Prozent. Zwischen Januar 2001 und Dezember 2007 sank die Zahl der Angestellten in der Automobilbranche um 293 000 (23,4 %) und lag damit insgesamt unter einer Million Be-schäftigten. Im Jahr 2001 hatte sie noch bei rund 1,2 Millionen gelegen.

Ende 2008, als die Autobauer noch gehofft hatten, eine Insolvenz zu vermeiden, stellte die Regierung Chrysler und GM Notkredite in Höhe von 17,4 Mrd. US-Dollar zur Verfügung, welche an strenge Auflagen gebunden waren: Die Unternehmen mussten beispielsweise die Löhne senken und ihre Fahrzeuge umweltfreundlicher gestalten. Zudem bekam der Staat ein Vetorecht bei Transaktionen ab 100 Mio. US-Dollar. Dies reichte jedoch nicht aus, um die beiden Automobilhersteller vor der Insolvenz zu bewahren. Nachdem GM am 1. Juni 2009 Insolvenz angemeldet hatte, kaufte die US-Regierung den Großteil (60,8 %) der Stammaktien, und die General Motors Corporation wurde als General Motors Company neu gegründet. Sowohl GM als auch Chrysler mussten im Rahmen umfassender Strukturreformen Marken einstellen oder verkaufen sowie Verträge mit Hunderten von Händlern auflösen.

Heute wächst die US-Automobilbranche wieder. Durch die Rettungsaktion und verstärkte Investitionen in nachhaltige Technologien haben sich die Aussichten deutlich verbessert. Chrysler investierte laut eigenen Angaben seit Juni 2009 insgesamt 5,2 Mrd. US-Dollar in heimische Produktionsstätten. Im April 2013 kündigte GM an, 322 Mio. US-Dollar in die Entwicklung kraftstoffsparender Motoren zu investieren. Bereits seit 2010 schreiben die Big Three wieder schwarze Zahlen. Die Branche profitiert von der verbesserten Vermögenssituation vieler Bürger und günstigen Finanzierungskonditionen. Gleichwohl dürfte es noch einige Zeit dauern, bis die Produktionszahlen von Pkw, SUVs, Pick-ups und anderen Leichtfahrzeugen das Marktvolumen aus der Zeit vor der Finanzkrise erreicht haben.

QuellentextNichtkonventionelles Erdgas und Erdöl in der US-Wirtschaft

Energiepreise sind ein wichtiger Standortfaktor, insbesondere für energieintensive Industrien. Die niedrigen Energiepreise machen die USA derzeit zu einer attraktiven Produktionsstätte. So sank der Erdgaspreis zwischen 2005 und 2012 von 13 auf rund zwei Dollar pro Million British Thermal Units (Mbtu). Verantwortlich dafür ist die "Schiefergaswende" oder auch "Schiefergasrevolution" in den USA. Innerhalb der letzten sechs Jahre wurde die Produk-tion von Schiefergas massiv ausgebaut, sodass die Nettoimporte von Erdgas trotz einer steigenden Nachfrage gesunken sind. Die USA könnten in den kommenden Jahren sogar zum Nettoexporteur von Erdgas und somit theoretisch unabhängig von Handelspartnern werden. Auch für nichtkonventionelles Erdöl erwartet die US-Energieinformationsbehörde (EIA) für die kommenden Jahrzehnte einen starken Anstieg der heimischen Produktion.

Schiefergas ("shale gas") sowie Schieferöl ("shale oil") und "tight oil" sind Erdgas- bzw. Erdölvorkommen, die in dichten Gesteinsschichten mehrere hundert Meter tief im Boden eingeschlossen sind. Sie gehören zu den nichtkonventionellen Vorkommen. Gefördert werden sie durch "hydraulic fracturing" (Fracking). Bei dieser Methode werden die unterirdischen Vorkommen freigesetzt, indem ein Gemisch aus Chemikalien und viel Wasser über horizontale Bohrungen mit Hochdruck in die Gesteinsschichten gepresst wird. Technologische Fortschritte beim horizontalen Bohren haben das Fracking erst vor wenigen Jahren wirtschaftlich und somit den Schiefergasboom in den USA möglich gemacht.

Schiefergas ist auch in anderen Teilen der Welt zu finden, doch die USA sind bislang das einzige Land, das es im großen Stil fördert. Grund hierfür sind eine Reihe positiver Rahmenbedingungen. Erstens liegen die Förderrechte in den USA in der Regel beim Landbesitzer, sodass dieser selbst entscheiden kann, ob er die Vorkommen abbauen möchte, und selbst auch am Abbau verdient. Zweitens gibt es in den USA Steuererleichterungen für die Förderung von Schiefergas. Drittens werden die für die Produktion notwen-dige Ausrüstung und entsprechende Dienstleistungen in den USA angeboten, und die nötige Infrastruktur ist vorhanden. Viertens ist die Nähe zum Verbraucher gegeben, beispielsweise zur Industrie. Fünftens sind die Umweltregulierungen in den USA im Hinblick auf Fracking weniger streng als in anderen Ländern. So werden Schiefergasbohrungen von einigen Regulierungen der US-Umweltschutzbehörde (EPA) ausgenommen. Sechstens ist die Bevölkerungsdichte in vielen Regionen sehr niedrig, sodass dort Fracking betrieben werden kann, ohne dass Bewohner oder Gebäude umgesiedelt werden müssen. Schließlich wurde Anfang der 2000er-Jahre ein sehr hoher Importbedarf der USA an Erdgas prognosti-ziert, was Investitionen in die Explora-tion von heimischen Vorkommen einen Schub gab. Auch eine wichtige Rolle spielt, dass Erdgasmärkte in den USA deutlich schwächer reguliert sind als in vielen anderen Ländern.

Zwar werden auch in den USA die ökologischen Folgen und Risiken von Schiefergas kritisch diskutiert – die Freisetzung des Treibhausgases Methan, die Verschmutzung von Boden und Grundwasser sowie die Gefahr von Erdbeben –, doch weit weniger als dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Schließlich ist die Förderung von Schiefergas ein wichtiger Bestandteil von Präsident Obamas Climate Action Plan. Bis 2030 will die Obama-Administration den jährlichen CO2Ausstoß um die Hälfte senken, unter anderem mit strengeren Grenzwerten für Kohlekraftwerke. Dies würde die Attraktivität von Schiefergas weiter erhöhen.

Das günstige wirtschaftliche und regulatorische Umfeld zusammen mit der Skepsis anderer Länder gegenüber dem Fracking verschaffen den USA derzeit einen Standortvorteil für einzelne Sektoren der heimischen Industrie, insbesondere für die energieintensiven Branchen und solche, die Gas als Input verwenden. So war beispielsweise der deutsche Industriestrompreis im Jahr 2011 mehr als doppelt so hoch wie der US-amerikanische. Aber die Schiefergaswende und die sich anbahnende "tight oil"-Revolution bringen auch noch andere Vorteile für die USA: Mit sinkenden Importen von Energierohstoffen schrumpft das Handelsbilanzdefizit und das Land wird weniger abhängig von teuren Im-porten aus teilweise politisch instabi-len Ländern. Hinzu kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt: Wenn die USA mehr Gas und weniger Kohle verstromen, was in den letzten Jahren bereits ge-schehen ist, verbessert sich ihre CO2-Emissionsbilanz.

Das Ende des American Dream?

Die US-amerikanische Gesellschaft und Wirtschaft fußt auf dem American Dream, dem Glauben, dass es jeder vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen und die soziale Leiter nach oben klettern kann. Mit der Finanz-und Wirtschaftskrise ist dieser Traum jedoch ins Wanken geraten.
Noch Ende 2000 betrug der Anteil der Arbeitslosen an der zivilen Bevölkerung laut dem BLS weniger als vier Prozent, was nach heutigem Standard einer Vollbeschäftigung gleichkommt. Gerade im Dienstleistungssektor wurden viele neue Stellen geschaffen. Gründe für die positive Beschäftigungsentwicklung waren die anhaltend starke Konjunktur im Zeitraum 1993 bis 2000, die vergleichsweise flexible Arbeitsmarktverfassung und die Flexibilität und Mobilität der Beschäftigten.
Als die US-Wirtschaft 2000/01 nach dem Platzen der New-Economy-Blase und den Terroranschlägen vom 11. September in eine Rezession rutschte, stieg die Arbeitslosigkeit deutlich an. Im Juni 2003 erreichte sie einen Stand von 6,3 Prozent und sank auch dann kaum, als das Wirtschaftswachstum bereits wieder angezogen hatte – ein Phänomen, das als Jobless Recovery bezeichnet wurde.

US-Arbeitsmarkt - Jahresdurchschnittswerte

Auch nach der jüngsten Krise gestaltet sich die Erholung am Arbeitsmarkt mühsam und langwierig. Im Juli 2013 lag die Arbeitslosigkeit bei 7,4 Prozent. In einigen Bundesstaaten ist sie noch deutlich höher (z. B. Illinois 9,2 %, Michigan 8,8 %). Damit verharrt die Arbeitslosigkeit seit Ende der Krise trotz wirtschaftlichen Wachstums auf einem für die USA untypisch hohen Niveau. Ungewöhnlich für das Land ist auch der hohe Anteil der Langzeitarbeitslosen. Im Juli 2013 waren 37 Prozent der Arbeitslosen bereits für mindestens 27 Wochen ohne Job. Nimmt man diejenigen hinzu, die bereits nicht mehr nach Arbeit suchen, sowie diejenigen, die unterbeschäftigt sind, aber eigentlich eine Vollzeitstelle wollen (Unterbeschäftigungsquote), lag die Arbeitslosigkeit im Juli 2013 bei 14 Prozent.

Analysten sind sich uneinig, ob die Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit konjunkturell (den Auf- und Abschwüngen der Wirtschaft folgend), friktionell (Sucharbeitslosigkeit) oder auch strukturell (Defizite in den Rahmenbedingungen) sind. Ein wichtiger Grund für die schlechte Arbeitsmarktsituation liegt dem Fed-Ökonomen Murat Tasci zufolge in der niedrigeren Jobumschlagsrate: Noch in den 1990er-Jahren wechselten die Amerikaner deutlich häufiger ihre Arbeitsstelle. Heute sind sie stärker lokal gebunden, unter anderem aufgrund der hohen Hypotheken, die auf vielen Häusern lasten, und der schwachen Nachfrage am Immobilienmarkt. Während im Jahr 1985 noch 20,2 Prozent der Amerikaner für eine neue Arbeitsstelle an einen anderen Wohnort zogen, lag dieser Anteil zwischen 2010 und 2011 nur noch bei 11,6 Prozent.

QuellentextWer gilt als arbeitslos in den USA?

Der Arbeitslosenquote in den USA liegt eine andere Erhebungsmethode zugrunde als in Deutschland. Denn sie basiert nicht, wie dies in der Bundesrepublik der Fall ist, auf einer flächendeckenden Erhebung, sondern auf einer monatlichen Befragung repräsentativer Haushalte („Current Population Survey“). Dabei werden nur diejenigen als arbeitslos erfasst, die in den vier Wochen vor der Umfrage aktiv nach Arbeit gesucht haben. Um dagegen als erwerbstätig aufgeführt zu werden, muss eine Person lediglich in der Woche der Befragung gegen Bezahlung in einem fremden Unternehmen oder im eigenen Unternehmen gearbeitet haben – die Wochenarbeitsstunden spielen dabei keine Rolle, es kann also sein, dass die Person nur für eine Stunde gearbeitet hat. Auch als erwerbstätig zählen Personen, die mindestens 15 Stunden in der Woche der Befragung unbezahlt in einem Familienunternehmen gearbeitet haben. Und diejenigen Personen, die in der Woche der Befragung nicht gearbeitet haben (beispielsweise wegen schlechten Wetters, Krankheit, Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaub), aber sonst einen Job haben, werden ebenfalls als erwerbstätig gezählt, egal ob sie während dieser Zeit bezahlt wurden und/oder auf der Suche nach einer anderen Arbeit waren oder nicht. Die US-amerikanische Arbeitslosenquote gibt somit kein sehr genaues Bild darüber ab, wie viele Menschen tatsächlich vollbeschäftigt sind, und die Dunkelziffer könnte deutlich höher sein als die offiziellen Raten vermitteln.

Neben der gesunkenen Mobilität liegt ein weiterer Grund in der hohen Produktivität – der Menge der Waren und Dienstleistungen, die eine Arbeitskraft in einer Arbeitsstunde herstellen kann. Sie ist eine Stärke der US-Wirtschaft, führt aber auch dazu, dass weniger Arbeitskräfte gerade auch im produzierenden Gewerbe gebraucht werden. Im Dienstleistungssektor sind darüber hinaus während der Wirtschafts- und Finanzkrise viele Jobs im Niedriglohnsegment wegrationalisiert worden.
Zwei weitere Trends sind besorgniserregend: die steigende Armut und die wachsende Einkommensungleichheit. Über die Entwicklung der Einkommen gibt das Medianeinkommen der Bevölkerung Auskunft, also der Wert, der die Menge aller Einkommen in zwei Hälften teilt. Nachdem das Medianeinkommen seit den 1960er-Jahren (mit wenigen Ausnahmen in Rezessionsjahren) kontinuierlich gestiegen war, ging es im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise zurück. 2011 sank es laut dem U.S. Census Bureau um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und lag damit um 8,1 Prozent niedriger als 2007, im letzten Jahr vor der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Auch die Einkommensungleichheit ist weiter gestiegen (siehe Grafik Seite 56). Der Gini-Koeffizient, welcher die Einkommensungleichheit in einem Land misst, lag in den USA im Jahr 2010 laut der OECD bei 0,38 (nach Steuern und Übertragungen). Ein Koeffizient von 0 bedeutet, dass die Einkommen absolut gleich verteilt sind. Bei einem Koeffizienten von 1 würde nur eine Person das komplette Einkommen im Land erhalten. Von den OECD-Ländern hatte nur Mexiko einen höheren Gini-Index (0,47). In Frankreich beispielsweise lag er im selben Jahr bei 0,30, in Deutschland bei 0,29 und in der Tschechischen Republik, dem Land mit der geringsten Einkommensungleichheit innerhalb der OECD, bei 0,26.
Hinzu kommt ein bereits seit den 1970er-Jahren wachsender Anteil armer Menschen. 46,2 Millionen US-Amerikaner (15 % der Bevölkerung) lebten im Jahr 2011 laut dem U.S. Census Bureau unterhalb der Armutsgrenze, der höchste Stand seit 1993. Vor allem betroffen sind Kinder und Angehörige ethnischer Minderheiten: Im Jahr 2011 waren 21,9 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, 27,6 Prozent aller Afroamerikaner und 25,3 Prozent aller Latinos arm. Besonders gravierend ist die Armut im Süden der USA.

Erschreckend ist zudem, dass viele Amerikaner trotz Beschäftigung arm sind. Als working poor gelten laut Definition des BLS diejenigen, die für mindestens 27 Wochen innerhalb des Jahres Arbeit hatten oder als aktiv arbeitssuchend registriert waren und unterhalb der Armutsgrenze lebten. Laut dem BLS gab es im Jahr 2011 in den USA 10,4 Millionen Erwerbsarme. Davon hatten 4,4 Millionen in der Regel einen Vollzeitjob. Der Anteil der working poor an der Erwerbsbevölkerung lag 2011 bei sieben Prozent.
Am Problem der Arbeitsarmut ändert auch der gesetzlich festgeschriebene Mindestlohn (federal minimum wage) nichts, den es im Gegensatz zu Deutschland in den USA gibt. Er wurde 1938 durch den Fair Labor Standards Act (FLSA) eingeführt und lag damals bei 25 US-Cent pro Stunde; seitdem wurde er insgesamt 22-mal angehoben und beträgt seit Juli 2009 7,25 US-Dollar, was im internationalen Vergleich eher gering ist. Umgerechnet in Euro zum Jahresdurchschnittskurs 2012 liegt er laut einer Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung bei 5,64 Euro und somit deutlich unter dem weltweiten Spitzenreiter Australien (12,86 Euro). Im Vergleich zu den EU-Mitgliedstaaten liegen die USA zwischen Großbritannien (7,63 Euro) und Slowenien (4,53 Euro).
Etwa 130 Millionen Arbeitnehmer (84 % der Erwerbsbevölkerung) fallen laut dem US-Arbeitsministerium unter den FLSA. Es gibt jedoch auch Ausnahmen für bestimmte Gruppen von Angestellten: Für Arbeitnehmer unter 20 Jahren, Studierende, Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen sowie Angestellte in Berufen, in denen Trinkgelder üblich sind, sind niedrigere Löhne (subminimum wages) möglich. Etwa 3,6 Millionen US-amerikanische Angestellte arbeiten zum nationalen Mindestlohn von 7,25 US-Dollar oder gegen weniger Bezahlung.

Armut in den USA

Die hohe Arbeitslosigkeit sowie die wachsende Einkommensungleichheit und Armut verunsichern zunehmend die Bevölkerung. Statt vom American Dream wird nun häufig vom New Normal gesprochen, einer neuen, ärmeren Wirklichkeit für einen Großteil der in den Vereinigten Staaten lebenden Menschen. Eine Studie der OECD zur sozialen Mobilität ergab, dass der gesellschaftliche bzw. berufliche Erfolg in den USA inzwischen stark von der sozialen Herkunft abhängt.
Zwar hat die Finanz- und Wirtschaftskrise den Trend zu steigenden Einkommensungleichheiten durchaus verstärkt, doch ist dieser kein neues Phänomen. Treibende Kräfte sind der technische Fortschritt und die Automatisierung von Routinetätigkeiten verbunden mit der Nachfrage nach hochqualifizierten Beschäftigten, der sich verschärfende globale Wettbewerb und die internationale Verflechtung der USA, der sinkende Einfluss der US-Gewerkschaften sowie die steuerliche Begünstigung der oberen Einkommensgruppen.
Zur Einkommensungleichheit in den USA haben auch Defizite im US-Bildungssystem beigetragen. 2005/06 schafften es laut dem Wirtschaftsverband U.S. Chamber of Commerce gut 30 Prozent aller amerikanischen Schülerinnen und Schüler nicht, in den vorgesehenen vier Jahren einen Highschool-Abschluss zu erwerben; unter den Afroamerikanern lag diese Quote sogar bei rund 50 Prozent. In der Länderliste der OECD über den Anteil von Personen mit Hochschulabschluss lagen die USA 2009 mit 37,8 Prozent auf Platz 15 und damit unter dem OECD-weiten Durchschnitt von 38,6 Prozent bei ersten Universitäts- und Fachhochschulabschlüssen. 80 bis 90 Millionen US-Amerikanern, etwa der Hälfte aller Arbeitskräfte, fehlen die notwendigen Qualifikationen für einen Arbeitsplatz, dessen Entgelt den Lebensunterhalt einer Familie ermöglicht.
Wie gut sind Menschen in den USA abgesichert, die nur gering verdienen oder keine Arbeit haben? Arbeitslosenhilfe bekommen zunächst nur diejenigen, die unverschuldet arbeitslos sind – was dies genau bedeutet und wie lang der Anspruch gilt, definieren die Gesetze der Einzelstaaten. In den meisten Staaten haben Arbeitslose für maximal 26 Wochen Anspruch auf reguläre Arbeitslosenhilfe. Jene, die innerhalb dieser Zeit keinen Job fanden, bekamen bis vor Kurzem Geld über das bundesstaatliche Programm Emergency Unemployment Compensation (EUC). Es wurde 2008 – also während der Krise – eingeführt und mehrmals verlängert; im Zuge von Haushaltskürzungen lief es Ende 2013 aus. Ob das Programm nochmals verlängert wird, ist ungewiss. Die Demokraten im Kongress bemühen sich zwar um die Neuauflage des Programms, doch steht ihnen die starke Opposition der Republikaner gegenüber.

Herausforderung Schuldenberg

Ausgaben und Einnahmen des Staates 2012

Präsident Obama hat von seinem Vorgänger einen riesigen Schuldenberg geerbt. Seit der Jahrtausendwende ist die Verschuldung der USA massiv gewachsen. Allein in den letzten acht Jahren hat sie sich laut der für den Haushalt zuständigen Bundesbehörde OMB von 7,9 Billionen US-Dollar (2005) auf derzeit gut 16,7 Billionen US-Dollar (Stand August 2013) verdoppelt. Die staatliche Gesamtverschuldung erreichte im Haushaltsjahr 2012 ein Niveau von 103 Prozent des BIP.
Verantwortlich für diesen Trend sind mehrere Faktoren, darunter die enormen Aufwendungen im US-Verteidigungsetat für die Kriege in Afghanistan und im Irak. Sie trugen zwischen 2001 und 2012 mit etwa 1,4 Billionen US-Dollar zur Staatsverschuldung bei, wie ein Bericht des Congressional Research Service (CRS) darlegt. Die unter der Bush-Regierung veranlassten Steuersenkungen für US-Amerikaner aller Einkommensklassen sorgten ebenfalls maßgeblich dafür, dass sich der in den Clinton-Jahren erwirtschaftete Haushaltsüberschuss wieder in ein Defizit verwandelte. Nach einer Hochrechnung des Congressional Budget Office (CBO) bewirkten die Steuersenkungen von 2002 bis 2011 einen Anstieg der Staatsschulden um 1,75 Billionen US-Dollar. Nicht zuletzt ist die hohe Verschuldung auch eine Konsequenz der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Stabilitäts- und Konjunkturpakete von 2008 und 2009 ergaben zusammen mit den staatlichen Rettungsmaßnahmen für Banken und die Automobilindustrie insgesamt weitere 1,7 Billionen US-Dollar an Schulden. Obendrein ließen steigende Staatsausgaben für Sozialprogramme wie die Arbeitslosenhilfe – bei gleichzeitig sinkenden Steuereinnahmen – die Schuldenlast wachsen.
Die Verschuldung hat ein Niveau erreicht, das zu einer Belastungsprobe für den Staat geworden ist. In kaum einem anderen Politikfeld zeigt sich jedoch die politische Handlungsunfähigkeit so sehr wie in der Haushaltspolitik. Seit Jahren ist es dem Kongress nicht mehr gelungen, einen Haushalt pünktlich zu verabschieden. Oftmals wird die Regierungstätigkeit nur mit Übergangshaushalten finanziert.

Haushaltsdefizit und Verschuldung der USA in Prozent des BIP

Dabei sind sich Demokraten und Republikaner durchaus einig, dass gespart werden muss, um nachkommende Generationen nicht übermäßig zu belasten. Der Staat greift automatisch via Kapitalmarkt auf die Reserven, also den Kapitalstock der USA zu. Damit verringert er jedoch den Betrag, der Unternehmen für Investitionen zur Verfügung steht, und schwächt so das potenzielle Wachstum der Volkswirtschaft.
Überdies ist nicht garantiert, dass Investitionen des Staates automatisch dem langfristigen Wachstum dienen: Betritt der Staat als Kreditnehmer die Kapitalmärkte, treibt er durch seine zusätzliche Nachfrage die Kreditzinsen nach oben und riskiert dabei, private Investitionstätigkeit zu verdrängen. Da staatliche Investitionen oft ineffizienter sind als private, kann langfristig niedrigeres Wachstum die Folge sein. Dies war in den 1980er-Jahren zu beobachten, als das Investitionsniveau aufgrund der steigenden Kreditzinsen deutlich zurückging.
Zudem stellen die stetig steigenden Zinszahlungen eine ausgesprochen unproduktive Verwendung von Kapital dar und erhöhen die Abhängigkeit vom Ausland. Im Dezember 2012 lag der im Ausland gehaltene Anteil an den gesamten US-Staatsanleihen (16,4 Billionen US-Dollar) laut dem US-Finanzministerium bei 33,9 Prozent (5574 Milliarden US-Dollar). Davon entfielen allein auf China knapp 22 Prozent (rund 1220 Milliarden US-Dollar).
Es muss also gespart werden. Höchst umstritten ist aber das Wie: Während die Demokraten das Defizit größtenteils durch Steuererhöhungen abbauen und Kürzungen im Sozialbereich begrenzen wollen, lehnen die Republikaner höhere Steuern kategorisch ab und setzen auf eine konsequente Verringerung der Ausgaben. Dabei geht es allerdings nicht allein um den Umfang des Haushalts, sondern auch um die Verteilung. So nutzen die Republikaner den Etat, um Präsident Obamas Reformagenda zu torpedieren. Besonders die Regulierungsbehörden, die in Zukunft stärker über die Finanzmärkte wachen sollen, sowie die Ministerien und die Umweltbehörde, die mit der Umsetzung von Obamas Klimaagenda betraut sind, sind ihnen ein Dorn im Auge. Zudem versuchten die Republikaner immer wieder, die Umsetzung der Gesundheitsreform zu verhindern, indem sie die dafür notwendigen Ausgaben blockierten.

2010 setzte Präsident Obama eine Kommission ein, die Kürzungsvorschläge erarbeiten sollte. Der von ihr vorgelegte Bericht scheiterte allerdings, da ihm nicht die notwendige Mehrheit der Kommission (14 der 18 Mitglieder) zustimmte. Der Budgetstreit spitzte sich zu, als sich Republikaner und Demokraten im Frühjahr 2011 nicht auf einen Haushalt für das laufende Fiskaljahr 2011 einigen konnten und damit Anfang April fast die Einstellung der Regierungstätigkeit riskierten. Schon im Sommer 2011 eskalierte die Haushaltskontroverse erneut. Erst in letzter Minute verabschiedete der Kongress Anfang August den Budget Control Act. Ohne diesen Kompromiss wären die USA zumindest teilweise zahlungsunfähig gewesen, denn die Regierung hatte bereits die rechtlich festgeschriebene Schuldengrenze überschritten.
Im Budget Control Act verständigten sich beide Parteien darauf, die Schuldenobergrenze von 14,29 Billionen auf 16,4 Billionen US-Dollar anzuheben. Im Gegenzug sollten zeitlich gestaffelte Ausgabenkürzungen in den nächsten zehn Jahren 917 Milliarden US-Dollar einsparen. Diese betreffen Ermessensausgaben, insbesondere Infrastrukturentwicklung, Energiepolitik, Bildung und Forschung sowie Gesundheit. Pflichtausgaben wie die Gesundheitsprogramme "Medicare" und "Medicaid" wurden zunächst nicht angetastet.
Zudem wurde ein paritätisch besetzter Ausschuss beauftragt, bis Ende November 2011 Sparvorschläge in Höhe von weiteren 1,2 Billionen Dollar zu erarbeiten. Die Mitglieder zerstritten sich allerdings derart, dass sie noch vor Ablauf der Frist ihre Verhandlungen abbrachen. Und auch die im Falle eines Scheiterns drohenden automatischen Pauschalkürzungen bei allen Haushaltstiteln – inklusive der Sozialprogramme und des Verteidigungsetats – (der sogenannte Sequester) konnten die Kompromissbereitschaft nicht fördern.
Zum Jahreswechsel 2012/13 stand die US-Regierung dann vor einer dreifachen Herausforderung (die sogenannte fiskalpolitische Klippe "fiscal cliff"). Ende 2012 sollten zahlreiche Steuervergünstigungen auslaufen. Im Januar 2013 sollte zudem der Sequester in Kraft treten. Und schließlich wurde erwartet, dass die USA spätestens Anfang 2013 die gesetzlich festgeschriebene Schuldenobergrenze überschreiten würden. Erst in letzter Minute einigte sich der Kongress auf den American Taxpayer Relief Act of 2012 (ATRA). Kernstück des Gesetzes sind Steuererhöhungen für Spitzenverdiener, während die unter der Bush-Administration eingeführten Steuererleichterungen für den Großteil der Bevölkerung beibehalten werden. Der Beginn des Sequesters wurde um zwei Monate nach hinten verschoben; er trat schließlich Anfang März 2013 in Kraft Am 23. Januar einigte sich der Kongress darauf, die Schuldengrenze temporär auszusetzen.

Gespräch zwischen Demokraten und Republikanern vor dem Abgrund (© Klaus Stuttmann)

Dass sich die USA überhaupt politische Eskapaden wie diese leisten können, liegt an ihrer besonderen Stellung in der Weltwirtschaft. Das Land wird nach wie vor als sicherer und attraktiver Standort für Investitionen bewertet, sodass die Märkte weniger empfindlich reagieren als beispielsweise im Fall der EU. Zudem hat der US-Dollar eine Sonderstellung im internationalen System. Er ist die weltweite Leitwährung, die USA zahlen ihre Importe in Dollar und verschulden sich in ihrer eigenen Währung. Anders als Ländern wie Griechenland droht den USA daher so bald keine Zahlungsbilanzkrise – zumindest solange das Vertrauen in den Dollar nicht grundsätzlich erschüttert wird.

Anfang Oktober 2013 erreichte das Haushaltsdrama einen neuen Höhepunkt. Die Regierung hatte bis Ende des Haushaltsjahres – also bis zum 30. September – Zeit, einen Haushalt für 2014 zu verabschieden oder zumindest eine Übergangsfinanzierung zu sichern. Etwa 35 Prozent des gesamten US-Staatshaushalts müssen jährlich neu genehmigt werden. In den Wochen zuvor hatte es heftige Auseinandersetzungen im Kongress gegeben, da die Republikaner das Haushaltsgesetz nutzen wollten, um das Inkrafttreten der Gesundheitsreform ("Obamacare") zum 1. Oktober in letzter Minute zu verhindern. Sie wollten den Haushalt nur verabschieden, wenn gleichzeitig beschlossen würde, die Reform ein Jahr lang auszusetzen. Der von den Demokraten dominierte Senat wie auch Präsident Obama lehnten dies ab. So kam es am 1. Oktober tatsächlich zum government shutdown: Gut 800 000 von insgesamt rund zwei Millionen Staatsbediensteten wurden in den Zwangsurlaub geschickt, Nationalparks, staatliche Zoos und Museen blieben geschlossen. Das letzte Mal hatte es dies unter Präsident Clinton gegeben, als es drei Wochen – vom 16. Dezember 1995 bis zum 6. Januar 1996 – dauerte, bis eine Einigung erzielt wurde und die Verwaltung ihre Arbeit wieder aufnehmen konnte. Die Situation 2013 war besonders brenzlig, da den USA erneut die Zahlungsunfähigkeit drohte. Am 17. Oktober, wenige Stunden bevor das Land bankrott gewesen wäre, einigte sich der Kongress auf eine Aussetzung der Schuldenobergrenze bis Februar 2014. Zudem wurde ein Übergangshaushalt bis Mitte Januar 2014 verabschiedet. Und ein überparteilicher Sonderausschuss (Budget Conference Committee) wurde eingerichtet, der bis zum 13. Dezember eine langfristige Haushaltslösung im Kongress vorlegen sollte.
Mitte Dezember 2013 konnten sich Demokraten und Republikaner im Kongress auf einen Haushalt für die folgenden zwei Jahre einigen. Der erzielte Minimalkompromiss enthält eine Deckelung der Ausgaben für 2014 und 2015 auf jeweils gut eine Billion US-Dollar. Beide Seiten mussten dafür zurückstecken: Während die Demokraten beispielsweise auf die Erhöhung der Steuern für Wohlhabende verzichten mussten, gaben die Republikaner ihre Kürzungspläne in der Sozialversicherung auf. Zusätzliche Einnahmen sollen vor allem durch höhere Gebühren auf Flugtickets und durch Einsparungen bei Pensionen für Beamte und Soldaten generiert werden.

Die USA in der Weltwirtschaft

Der Handel von Waren und Dienstleistungen

Im Jahr 2012 waren die USA noch die weltweit größte Handelsnation – 2013 wurden sie von China überholt. Laut Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2013 lagen sie 2012 bei den Güterexporten mit einem Anteil von 10,9 Prozent hinter China und vor Deutschland auf Rang zwei, bei den Güterimporten mit einem Anteil von 15,6 Prozent auf Platz eins. Im Dienstleistungshandel sind die USA laut der World Trade Organization (WTO) sowohl bei den Exporten (18,3 %) als auch bei Importen (12,7 %) weltweit führend.

Haupthandelspartner der USA 2012

Rohstoffimporte, insbesondere Importe von Energieträgern, stellen einen erheblichen Anteil an den US-Gesamtimporten; bei den Exporten dominieren verarbeitete Produkte. Hauptexportgut der USA im Nahrungsmittelbereich ist Soja. In der Kategorie Industriebedarf und -materialien exportieren die USA vor allem Brennöl, Mineralölerzeugnisse, nichtmonetäres Gold (Warengold), organische Chemikalien und Plastikmaterialien; im Bereich Investitionsgüter in erster Linie Zivilflugzeuge und deren Teile, Automobile, Autoteile und -zubehör, Halbleiter, Telekommunikationsausstattung, elektrische Geräte, medizinische Ausrüstung und Computerzubehör. In der Konsumgütersparte führen pharmazeutische Präparate die Liste an.
Haupthandelspartner der USA war im Jahr 2012 die Europäische Union, gefolgt von Kanada, China, Mexiko und Japan. Insgesamt wickelten die USA laut der UNCTAD 28,8 Prozent ihres Handels – 26 Prozent ihrer Importe und 32,9 Prozent ihrer Exporte – mit Kanada und Mexiko ab, mit denen seit 1994 ein Freihandelsabkommen (North American Free Trade Agreement, NAFTA) besteht.

Leistungsbilanzkomponenten im Verhältnis zum BIP

Der internationale Handel ist aufgrund der Wirtschaftskrise weltweit eingebrochen. Als Folge sank auch das seit den 1970er-Jahren hohe Defizit in der US-Leistungsbilanz. Sie setzt sich zusammen aus der Handelsbilanz (Güterexporte minus -importe), der Dienstleistungsbilanz (Dienstleistungsexporte minus -importe) sowie den Kapitaleinkommen und den Übertragungen (bei Letzterem handelt es sich beispielsweise um Überweisungen ausländischer Arbeitnehmer in ihre Heimat). Das große Defizit in der Leistungsbilanz ist vor allem auf das Minus in der Handelsbilanz der USA zurückzuführen. 2007 betrug es im Güterhandel dem BEA zufolge noch 823 Milliarden US-Dollar; 2009 nur noch 511 Milliarden US-Dollar, weil die Importe stärker abnahmen als die Exporte. Bis 2011 wuchs das Defizit in der Handelsbilanz wieder auf 744 Milliarden US-Dollar und blieb seitdem mit 741 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 relativ konstant.
Die Leistungsbilanz weist also nach wie vor ein starkes Minus auf, obwohl die Exporte von Gütern und Dienstleistungen 2011 kräftig anzogen. Positiv auf die Handelsbilanz wirken sich derzeit die sinkenden Energieimporte aus. Sollten sich die USA – wie von vielen Analysten erwartet – zu einem großen Exporteur von Gas entwickeln, dürfte dies den positiven Trend weiter verstärken. Das Handelsbilanzdefizit der USA konzentriert sich auf wenige Länder. Während sie seit 2009 Defizite im Handel mit vielen ihrer Partner abbauen konnten, vergrößerte sich das Güterbilanzdefizit mit China noch.

Bilaterale Handelsdefizite 2005 und 2012

Wie kann der hohe Fehlbetrag in der Handelsbilanz erklärt werden? Die USA haben einen riesigen Binnenmarkt mit einer kauffreudigen Gesellschaft. Anders als kleine Länder wie Deutschland, die auf Exportmärkte angewiesen sind, spielen Ausfuhren somit für Unternehmen eine geringere Rolle. Zudem können sich die Vereinigten Staaten die hohen Einfuhren leisten. Wenn die USA mehr importieren als exportieren, bedeutet dies, dass sie mehr ausgeben als sie selbst erwirtschaften. Dies ist nur möglich, weil Kapital aus anderen Ländern in die USA strömt, indem beispielsweise Ausländer ihr Geld bei amerikanischen Banken anlegen. Die USA leihen sich also Geld von anderen Ländern, mit welchem sie wiederum die Importe bezahlen. Hierbei spielen Zinsen eine wichtige Rolle: Sind diese hoch, so strömt eher Kapital ins Land. Aber auch die wirtschaftliche Attraktivität der USA wirkt sich positiv auf die Kapitalzuflüsse aus.
Wie viel ein Land importiert und exportiert, hängt darüber hinaus auch vom Wechselkurs ab: Ist der Dollar stark, so ist es teuer für andere Länder, US-Güter zu importieren, und für Amerikaner ist es wiederum vergleichsweise günstig, Güter aus dem Ausland zu kaufen. Sinkt der Wert des Dollars gegenüber anderen Währungen, dann steigen die Exporte, und die Importe gehen zurück. Seit Beginn der 1990er-Jahre bis zur Krise 2008/09 wurde das Leistungsbilanzdefizit der USA fast von Jahr zu Jahr größer. In diesem Zeitraum stieg auch der reale Wert des Dollars gegenüber den Währungen der Handelspartner.

Speziell im bilateralen Handel mit China spielt auch eine Rolle, dass viele US-amerikanische Unternehmen die Produktion – oft auch nur die Montage der Einzelteile – aufgrund der niedrigen Lohnkosten nach China verlegt haben. Ein prominentes Beispiel ist das iPhone, das größtenteils in China zusammengesetzt wird. Für Apple produziert auch das taiwanesische Unternehmen Foxconn zu großen Teilen in China. Der Mehrwert, der dabei in China entsteht, ist häufig sehr gering. Trotzdem gelten Produkte, die dort hergestellt und weiter in die USA und den Rest der Welt verschifft werden, als chinesische Exporte. Das große Handelsbilanzdefizit mit China ist also auch auf regionale Produktionsnetzwerke in Asien zurückzuführen. In den kommenden Jahren könnte das Handelsdefizit mit China allerdings zurückgehen, denn die chinesische Regierung will künftig von exportorientiertem auf ein stärker konsum-(und damit import-)orientiertes Wirtschaftswachstum umschwenken, auch um die Nachfrage der wachsenden chinesischen Mittelschicht zu befriedigen. China ist schon jetzt einer der am stärksten wachsenden Exportmärkte für US-amerikanische Güter.

Ausländische Direktinvestitionen

Laut Angaben der UN-Organisation UNCTAD befinden sich 22 Prozent der weltweiten Bestände ausländischer Direktinvestitionen in US-amerikanischem Besitz. Auch als Gastland für ausländische Direktinvestitionen stehen die USA anteilsmäßig mit 17,2 Prozent mit Abstand an der Spitze. Unter ADI (siehe auch Seite 50) versteht man langfristig orientierte Kapitalexporte und -importe, so beispielsweise Unternehmensfusionen, -käufe und -beteiligungen, Kapitaltransfers zur Gründung von Unternehmen im Ausland, Kredite an Tochtergesellschaften im Ausland sowie erneut angelegte Erträge von ausländischen Tochtergesellschaften. Im Gegensatz zu Portfolioinvestitionen bedingen ADI die Eigentümerschaft und unternehmerische Kontrolle durch die investierende Firma. Mit ihnen wird also ein entscheidender Einfluss auf die Unternehmenspolitik sichergestellt.
Ende 2012 befanden sich laut dem BEA 14,5 Prozent der gesamten US-amerikanischen Bestände an ADI in den Niederlanden, 13,4 Prozent im Vereinigten Königreich, 8,6 in Luxemburg, 7,9 in Kanada und 6,8 Prozent auf den Bermudas. Die fünf Hauptursprungsländer ausländischer Direktinvestitionen in den USA waren wiederum das Vereinigte Königreich mit einem Anteil von 18,4 Prozent, Japan mit 11,6, die Niederlande mit 10,4, Kanada mit 8,5 und Frankreich mit 7,9 Prozent.
Während der globalen Wirtschaftskrise sanken die Zuflüsse in die USA von 306 Milliarden US-Dollar 2008 auf rund 144 Milliarden US-Dollar 2009, während umgekehrt die Investitionsflüsse der USA ins Ausland im selben Zeitraum nur leicht von rund 308 Milliarden US-Dollar auf 288 Milliarden US-Dollar abnahmen. Nach der Krise stiegen die ADI-Flüsse ins Ausland sprungartig von 278 Milliarden US-Dollar 2010 auf 367 Milliarden US-Dollar 2012 an. Die Zuflüsse in die USA lagen zwar mit 161 Milliarden US-Dollar 2012 unter dem Wert von 2010 (198 Mrd. US-Dollar). Aufgrund der niedrigen Energiepreise rechnen viele Analysten jedoch mit einer Investitionswelle in die USA.

Die Handelspolitik

Eines der wenigen Politikfelder, in denen trotz der politischen Blockade in Washington Fortschritte zu verzeichnen sind, ist die Handelspolitik. Im März 2010 wurde die Nationale Exportinitiative (NEI) ins Leben gerufen: Kleine und mittlere Unternehmen sollten stärker unterstützt werden, und die Regierung wollte internationale Handelsregeln auf wichtigen Märkten aggressiver durchsetzen. Neben dem Engagement in den multilateralen Verhandlungen der WTO, der sogenannten Doha-Runde, sollten vor allem Handelsbeziehungen mit Asien und zentralen Handelspartnern wie Südkorea gestärkt werden. Im März 2010 nahmen die USA dann zum ersten Mal an den Verhandlungen zu einer Transpazifischen Partnerschaft (TPP) teil. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit zeigte Obama zudem auch ein verstärktes Interesse an einer Vertiefung und Ausweitung der Handels- und Investitionsbeziehungen mit der EU. Seit Mitte 2013 verhandeln die USA und die EU ein umfassendes Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP).
Auf dem Gebiet der Außenpolitik ist der Präsident verfassungsrechtlich mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet: "Er hat das Recht, auf Anraten und mit Zustimmung des Senats Verträge zu schließen, vorausgesetzt, dass zwei Drittel der anwesenden Senatoren zustimmen" (Artikel II, Abschnitt 2 der Verfassung). Der Präsident ist zwar befugt, auch ohne die Ermächtigung des Kongresses mit anderen Staaten den Abschluss von bilateralen, regionalen oder multilateralen Handelsverträgen zu verhandeln und zu unterzeichnen. Grundsätzlich obliegt die Regelung des Außenhandels aber nach Artikel I, Abschnitt 8 der Verfassung eindeutig dem Kongress: "Der Kongress hat das Recht: Steuern, Zölle, Abgaben und Akzisen aufzuerlegen und einzuziehen [und] den Handel mit fremden Ländern, zwischen den Einzelstaaten und mit den Indianerstämmen zu regeln."

Der Kongress kann jedoch einen Teil seiner Handelskompetenz an den Präsidenten delegieren. Er tat dies erstmals 1934 mit dem Reciprocal Trade Agreement Act (RTAA). Unter dem RTAA war der Präsident für eine vom Kongress bestimmte Dauer (durchschnittlich drei Jahre) berechtigt, in bilateralen Verhandlungen auf der Basis der Reziprozität Zölle in bestimmten Margen zu senken, ohne dass diese Maßnahmen anschließend vom Kongress ratifiziert werden mussten. Bei den Abkommen handelte es sich somit um sogenannte Executive Agreements. 1974 wurde der RTAA durch die Fast Track Authority abgelöst. Das Mandat bezog sich nicht nur auf den Abbau von Zöllen, sondern auch auf nichttarifäre Handelshemmnisse, die zunehmend auf die Agenda der internationalen Verhandlungen gerückt waren. Eingeschränkt wurde die neue Verhandlungsvollmacht dadurch, dass von der Exekutive ausgehandelte Abkommen nun vom Kongress (mit einfacher Mehrheit) ratifiziert werden mussten (Congressional-Executive Agreements). Diese Modifikation war nötig, da anders als bei Zollsenkungen der Kongress weder im Verhandlungsmandat des Präsidenten spezifische Liberalisierungsmargen im Vorhinein festlegen konnte noch der Administration freie Hand in einem Bereich lassen wollte, der tief in die Binnenregulierung der nationalen Wirtschaft eingreift. Gleichwohl verpflichtete sich der Kongress, die Abkommen beschleunigt zu bearbeiten. Zusätze oder Modifizierungen waren nicht möglich; Repräsentantenhaus und Senat konnten das Abkommen nur komplett annehmen oder ablehnen. Wie der RTAA galt auch das Fast-Track-Mandat nur für eine vom Kongress bestimmte Dauer. Im Jahr 2002 erfolgte eine erneute Modifikation des Handelsmandats. Was die Regelung des parlamentarischen Ratifizierungsverfahrens betraf, unterschied sich die neu eingeführte Trade Promotion Authority (TPA) nicht vom Fast-Track-Mandat, doch wurden die Konsultations- und Notifizierungspflichten der Administration gegenüber dem Kongress deutlich gestärkt.
Die TPA lief Mitte 2007 aus und wurde bislang vom Kongress nicht erneuert. TPA ist keine Voraussetzung für die Verhandlung von Handelsabkommen, aber sie erleichtert den Prozess deutlich und ist grundlegend für den Ratifizierungsprozess. Umso wichtiger ist es für Präsident Obama, zügig das Handelsmandat zu erhalten, will er doch bis Ende 2014 die Verhandlungen um die Transpazifische Partnerschaft und bis 2016 die TTIP-Verhandlungen abschließen. Anfang Januar 2014 wurde ein entsprechender Gesetzesentwurf im Kongress eingereicht.

QuellentextHandelsabkommen der USA

Neben ihrer Mitgliedschaft in der WTO haben die USA mit 20 Staaten bilaterale und plurilaterale Freihandelsabkommen abgeschlossen. Unter Präsident George Bush sen. wurde im Jahr 1992 das North American Free Trade Agreement (NAFTA) unterzeichnet, das am 1. Januar 1994 in Kraft trat. Ein Freihandelsabkommen ("free trade agreement", FTA) bestand vorher schon zwischen den USA und Kanada; durch NAFTA wurde dieses Abkommen um ein weiteres Land, Mexiko, erweitert. Gerade unter Präsident George W. Bush spielten bilaterale Freihandelsabkommen in der Außenwirtschaftspolitik eine zunehmend wichtige Rolle, um Märkte im Ausland für US-Waren und Dienstleistungen zu öffnen. So gingen die USA bilaterale Freihandelsabkommen mit Jordanien, Singapur, Chile, Australien, Marokko, Bahrain, Oman, Peru, Kolumbien, Panama und Südkorea (die drei letzteren traten erst unter Obama in Kraft) ein. Außerdem unterzeichneten die USA 2004 das plurilaterale Dominican Republic-Central America-United States Free Trade Agreement (CAFTA-DR) mit fünf zentralamerikanischen Ländern – Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua – und der Dominikanischen Republik.

Die USA verhandeln zurzeit mit elf Pazifikanrainern (Australien, Brunei, Chile, Japan, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam, Kanada und Mexiko) über ein Freihandelsabkommen, die Transpazifische Partnerschaft (TPP). Zusammengenommen sind die TPP-Länder der viertgrößte Markt für amerikanische Industriegüter- und Dienstleistungsexporte. Das geplante Abkommen soll neben den klassischen Handelsthemen auch sogenannte Handels-Plus-Themen umfassen, darunter Regelungen zum Wettbewerb, zur öffentlichen Auftragsvergabe, zu Investitionen und Umweltschutz. Langfristig erhoffen sich die USA die Weiterentwicklung zu einer Free Trade Area of the Asia Pacific (FTAAP).
Mitte Juni 2013 fiel zudem der Startschuss für die Verhandlungen über ein Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP). Wenige Volkswirtschaften sind so eng miteinander verflochten wie die der USA und der EU.

Der transatlantische Handel ist bereits stark liberalisiert. Die durchschnittlichen angewandten Zölle sind mittlerweile sehr niedrig. Es gibt allerdings noch eine Vielzahl an Spitzenzöllen, die sich in der EU vor allem im Agrarhandel und in den USA insbesondere bei Textilien, Bekleidung sowie Leder und Schuhwerk finden. Bedeutender sind aber die technischen, nicht tarifären Marktzugangsbarrieren ("non-tariff barriers", NTBs) im transatlantischen Handel. Technische (regulative) Handelsbarrieren existieren vor allem in der Pharma- und Kosmetikindustrie, der Kraftfahrzeugbranche sowie der Textil- und Bekleidungsindustrie. Daneben belasten Registrierungs-, Dokumentations- und Zollabwicklungsverfahren den transatlantischen Handel. In den TTIP-Verhandlungen soll es daher neben der Beseitigung von Zöllen vor allem um den Abbau von NTBs gehen. Darüber hinaus sollen die Verhandlungen auch Handels-Plus-Themen umfassen: die öffentliche Auftragsvergabe, Investitionen, Schutz geistigen Eigentums und Patente, Wettbewerb, Datenschutz, Umwelt und Soziales.

Neben den bilateralen und plurilateralen Freihandelsabkommen unterhalten die USA eine Vielzahl weiterer Abkommen, beispielsweise einseitige Präferenzprogramme – wie den African Growth and Opportunity Act (AGOA) –, die ausgewählten Ländern bevorzugten, teilweise zollfreien Zugang zu den Märkten der USA gewähren. Mit 86 Ländern haben die USA sogenannte "trade and investment frame-work"-Abkommen geschlossen; bilaterale Investitionsabkommen ("bilateral investment treaties") bestehen mit 42 Ländern.

Die USA – nicht immer eine Freihandelsnation

Die Handelspolitik der USA kann in vier Perioden unterteilt werden: Bis 1934 war sie eine Politik des Hochzolls und des Protektionismus. Zwischen dem Bürgerkrieg (1861-1865) und dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise (1929), in der Aufschwungsphase des Industriekapitalismus, wurde sie – mit Ausnahme der Präsidentschaft Woodrow Wilsons (1913-1921) – über mehrere Dekaden hinweg durch Mehrheiten der industriefreundlichen Republikaner im Kongress und durch republikanische Präsidentschaften bestimmt. Die hohen Zölle wurden mit dem durch den ersten US-Finanzminister Alexander Hamilton geprägten Erziehungszollargument (infant industries) gegründet: Junge, sich entwickelnde Industrien müssten geschützt werden, bis sie im internationalen Wettbewerb mithalten könnten. Zölle sollten jedoch nicht nur die heimische Industrie schützen, sie waren auch die wichtigste Einnahmequelle des Staates. Ihre fiskalische Bedeutung verloren sie erst mit dem 16. Verfassungszusatz, durch den 1913 eine Einkommensteuer eingeführt wurde. Seinen Höhepunkt fand der Handelsprotektionismus in dem 1930 eingeführten Smoot-Hawley-Zoll, der maßgeblich zur internationalen Ausbreitung und Vertiefung der Weltwirtschaftskrise beitrug.
Der Reciprocal Trade Agreemant Act (RTAA) legte 1934 den Grundstein für den Wechsel zur Freihandelspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Einer der wichtigsten Gründe für deren Erfolg war die weltwirtschaftliche Stellung der USA nach 1945. Während die wirtschaftlichen Strukturen und die Industrie der Kriegsgegner wie der Verbündeten der USA weitgehend zerstört waren, verfügten die USA bei Kriegsende über eine prosperierende und wachsende Wirtschaft, in der sich der industrielle Output verdoppelt hatte. Zudem wurde mittlerweile das Fehlen einer offenen Weltwirtschaft als eine der Ursachen der Weltwirtschaftskrise und auch des Zweiten Weltkrieges angesehen. Schließlich galt es, den wirtschaftlichen Aufbau der verbündeten Staaten zu fördern – auch, um ein Bollwerk gegen den Kommunismus zu schaffen. Die USA förderten daher den Aufbau eines liberalen, multilateralen Handelssystems auf Grundlage der Prinzipien der Wechselseitigkeit (reciprocity) und der Meistbegünstigung (Zugeständnisse, die einem Handelspartner gemacht werden, gelten automatisch auch für die anderen Handelspartner). Die USA gehörten nicht nur zu den ersten Unterzeichnerstaaten des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) 1947, sondern setzten sich auch maßgeblich für die folgenden Liberalisierungsrunden ein.

In den 1970er- und 1980er-Jahren vollzog sich ein erneuter Paradigmenwechsel, auch wenn die USA nach wie vor für ein offenes Welthandelssystem einstanden. Geprägt war diese Periode insbesondere durch den sogenannten Fair Trade (Herstellung eines Level-Playing Fields für US-Exporteure) und aggressiven Unilateralismus (d. h. Handeln ohne Rücksicht auf andere). Angesichts des steigenden internationalen Wettbewerbs, nachlassender Wettbewerbsfähigkeit US-amerikanischer Exporteure, binnenwirtschaftlicher Probleme (u. a. hohes Haushaltsdefizit, hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Wachstumsraten) und der Ölkrise wurden Rufe nach einem Schutz vor ausländischer Konkurrenz laut. Die handelspolitischen Rechte der USA sollten stärker eingefordert werden. Der Trade Act von 1974 mit seinem Abschnitt 301 (Verletzung von Handelsabkommen oder -regeln) ermächtigte den Präsidenten, alle möglichen Schritte einzuleiten, um ungerechtfertigte Importbeschränkungen anderer Länder abzubauen. Zuvor eingeräumte Handelszugeständnisse sollten zurückgezogen werden, falls die anderen Nationen an ihren Handelsbarrieren gegenüber den USA festhielten. Außerdem erhielt der Präsident die Befugnis, auf unfaire Handelsmethoden anderer Handelsnationen wie etwa Exportsubventionen mit ähnlichen Maßnahmen zu antworten, wenn die importierten Waren heimische Produzenten gleicher oder ähnlicher Produkte grundlegend unter Druck setzten. Mit dem Super 301 des Omnibus Trade and Competitiveness Act von 1988 wurde dieser Instrumentenkasten noch einmal verschärft. Dieser Abschnitt verlangte eine jährliche Auflistung der Haupthandelsbarrieren sowie derjenigen Länder, die diese zu verantworten haben. Führen Konsultationen mit den betroffenen Ländern zu keinem Ergebnis, sollte der US-Handelsbeauftragte 90 Tage nach Vorlage des Berichts ein Sektion-301-Verfahren gegen sie einleiten. Diese international höchst umstrittene Maßnahme wurde von 1999 bis 2001 unter Präsident Clinton das letzte Mal in Kraft gesetzt.

Parallel setzten die USA weiterhin auf multilaterale Verhandlungen innerhalb des GATT und forcierten den Beginn einer neuen Handelsrunde, der sogenannten Uruguay-Runde. Sie mündete schließlich in die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), die am 1. Januar 1995 ihre Arbeit aufnahm und das GATT ablöste. Ebenso bemühten sich die USA verstärkt um den Abschluss bilateraler und regionaler Handelsabkommen, bedienten sich also verschiedener Strategien (Multilateralismus, Regionalismus und Unilateralismus), um ihre Handelsbilanz zu verbessern.
Seit Abschluss der Uruguay-Runde und Unterzeichnung des NAFTA-Vertrags ist die Liberalisierungsskepsis in der Bevölkerung jedoch deutlich gestiegen, geschürt durch einen steigenden Wettbewerbs- und ökonomischen Anpassungsdruck, durch stagnierende Löhne der Mittelklasse und zunehmende Einkommensungleichheit. Das Defizit in der US-Leistungsbilanz und der rasante weltwirtschaftliche Aufstieg Chinas, dessen immense Dollarreserven und die Verlagerung von Produktion und Beschäftigung in Billiglohnländer haben in der US-amerikanischen Gesellschaft ein Gefühl wirtschaftlicher Verwundbarkeit hervorgerufen. Gesetze mit dem Ziel, den Handel weiter zu liberalisieren, fanden in den 1990er- und 2000er-Jahren im Kongress immer dünnere Mehrheiten. Zuletzt gelang es George W. Bush, eine Reihe von Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen.

Ausblick

Gemessen an Indikatoren wie BIP, Pro-Kopf-Einkommen, Handel und ausländischen Direktinvestitionen liegen die USA in etwa gleichauf mit der EU. Bei anderen Indikatoren wie der Bedeutung des Dollars und dem Vertrauen der Märkte in die wirtschaftliche Entwicklung haben sie nach wie vor die Nase vorn. Auch die Wachstumsaussichten der US-Wirtschaft in den kommenden Jahren sind grundsätzlich gut.
Doch der Vorsprung der USA in der Weltwirtschaft schmilzt kontinuierlich. Herausgefordert wird sie nicht allein durch die Aufholjagd der großen Schwellenländer, allen voran China, sondern auch durch die zahlreichen hausgemachten Probleme. Die USA haben mit gravierenden Defiziten in der Infrastruktur und dem Bildungswesen zu kämpfen. Diese Herausforderungen werden nur mit entschlossenem politischem Handeln zu meistern sein. Doch die Regierung ist zunehmend handlungsunfähig. Seit den Zwischenwahlen des Kongresses im November 2010 sind nicht nur alle größeren Reformvorhaben im Parlament gescheitert. Der Graben zwischen den beiden Parteien scheint kaum noch überbrückbar.

In der Wirtschaftspolik prallen zwei sehr unterschiedliche Ordnungsvorstellungen aufeinander. Die Republikaner sind der Meinung, dass niedrige Steuern, ein Abbau staatlicher Regulierungen und ein ausgeglichener Staatshaushalt die besten Voraussetzungen für hohes Wirtschaftswachstum sind. Die Demokraten hingegen gestehen dem Staat eine größere Rolle bei Regulierung und Stimulierung der Wirtschaft zu und setzen sich für eine höhere Besteuerung der Reichen und mehr Umverteilung ein. Die auseinander strebenden Standpunkte allein erklären den Reformstau indes nicht. Hinzu kommen eine wachsende Polarisierung und parteipolitische Blockbildung, die teilweise strukturelle Ursachen haben.

Von selbst wird sich das System wohl eher nicht reformieren. Viel hängt daher vom Wähler ab. Die Zustimmungsraten für den Kongress haben mittlerweile einen historischen Tiefstand erreicht. Sollte es den Demokraten bei den nächsten Kongresswahlen im November 2014 gelingen, das Repräsentantenhaus zurückzuerobern und ihren Vorsprung im Senat auszubauen, könnte Präsident Obama einen neuen Versuch starten, seine Reformagenda umzusetzen. Wahrscheinlich ist dies indes nicht.

The Economy (© Chappatte in "Le Temps", Geneva – www.globecartoon.com)

Frau Dr. Stormy-Annika Mildner war bis Ende 2013 Mitglied der Institutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Seit Januar 2014 ist sie Abteilungsleiterin Außenwirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Grundsatzfragen der weltwirtschaftlichen Entwicklung sowie der internationalen Handels- und Investitionspolitik, Wirtschaft USA sowie transatlantische Beziehungen.

Frau Julia Howald, MPP, war bis Ende 2013 Forschungsassistenz in der Institutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Seit Januar 2014 ist sie Referentin beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Wirtschaftspolitik der USA und die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft.