Einleitung
Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr in einem Haushalt aufgestellt werden. Das gilt für jede föderale Ebene – für den Bund, die einzelnen Länder sowie für Städte und Gemeinden. Sämtliche Steuereinnahmen werden in den öffentlichen Haushalten abgebildet. Zugleich muss aus dem jeweiligen Haushaltsplan hervorgehen, wofür diese Einnahmen benötigt und wofür sie ausgegeben werden. Der Haushaltsplan ist damit auch ein Kontrollinstrument für die Parlamente, die ihn mit einem Haushaltsgesetz verabschieden müssen. An dieses Haushaltsgesetz sind die Ministerien dann gebunden.
Im Idealfall soll der Staat seine Ausgaben dauerhaft danach ausrichten, mit welchen Einnahmen er rechnen kann. Auf diese Weise sollen möglichst wenig Schulden gemacht und möglichst wenig neue Kredite aufgenommen werden. Allerdings geht es häufig nicht ohne Schulden, denn zum einen muss der Staat bestimmte Aufgaben kontinuierlich wahrnehmen. Zum anderen hat jede Regierung eine bestimmte Vorstellung davon, wie sie Politik gestalten will. Finanzpolitik kann zum Beispiel diese Ziele verfolgen:
soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung zu fördern;
die Konjunktur anzuregen;
das Wirtschaftswachstum zu beleben.
Um die öffentlichen Haushalte nachhaltig zu sanieren, ist die Aufnahme neuer Schulden künftig nur noch begrenzt möglich: Laut Artikel 115 des Grundgesetzes darf der Bund nur noch eine strukturelle Verschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufweisen. Ausnahmen sind allein in Notsituationen und bei Naturkatastrophen gestattet – oder dann, wenn die konjunkturelle Entwicklung „von der Normallage abweicht“. Kredite, die aufgenommen werden, um den Aufschwung anzukurbeln, müssen „konjunkturgerecht“ zurückgeführt werden. Ziel dieser Schuldenbremse ist es, den aufgehäuften Schuldenberg Stück für Stück abzutragen.
Der Weg des Bundeshaushalts
Alle Steuereinnahmen fließen in den Haushalt – je nachdem, wem die Steuer zusteht, in den Etat des Bundes, der Länder oder der Gemeinden (siehe S. 6 f.). Bis ein Staatshaushalt beschlossen und verabschiedet ist, müssen die Verantwortlichen einen langen Weg beschreiten. In der Öffentlichkeit wird der Bundeshaushalt vor allem im Herbst wahrgenommen. Denn dann wird die Haushaltsdebatte im Bundestag häufig zum politischen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition genutzt. Im Grunde genommen befassen sich Ministerien, Ausschüsse und Abgeordnete jedoch fast das ganze Jahr mit dem Thema Haushalt. Ist der eine verabschiedet, nimmt das Bundesfinanzministerium bereits die Planung für den Haushalt des darauf folgenden Jahres in Angriff.
Im Bundesfinanzministerium fließen alle Informationen zusammen, die für den Entwurf des Haushalts und den mittelfristigen Finanzplan notwendig sind. Mit der Aufstellung von Eckwerten, die im März eines Jahres vom Bundeskabinett abgesegnet werden, beginnt hier die Arbeit am Haushaltsplan. Anhand der Eckwerte werden für jedes Ministerium sogenannte Grenzbeträge festgelegt. Ziel ist es, die Ausgaben der einzelnen Ministerien von vorneherein zu beschränken und den Finanzrahmen für die kommenden vier Jahre vorzugeben. In der Vergangenheit konnten die Ministerien ihre Ausgabenwünsche – die sogenannten Voranschläge – beim Bundesfinanzministerium einreichen. Anschließend verhandelte das Ministerium mit den Fachressorts über diese Voranschläge, um einen Kompromiss zu finden. Da das Prinzip der Konsolidierung aber auch im Haushaltsverfahren Niederschlag finden sollte, wurde das ganze Verfahren „auf den Kopf gestellt“: Ausgangspunkt der Haushaltsverhandlungen sind damit nicht mehr die Ausgabenwünsche der Fachministerien, sondern die Vorschläge des Bundesfinanzministeriums. Auf dieser Grundlage entscheidet dann das gesamte Kabinett über die verbindlichen Einnahme- und Ausgabebudgets – die Eckwerte.
Vertreter des Bundesrechnungshofes nehmen an den Haushaltsverhandlungen zunächst noch als Berater teil; später – wenn politische Entscheidungen fallen – ist der Bundesrechnungshof dann nicht mehr präsent, dadurch soll die regierungsunabhängige Stellung der Kontrollinstanz gewahrt bleiben.
Im Mai gibt es zum ersten Mal harte Zahlen, wenn der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ seine Frühjahrsprognose vorlegt. Denn um den Haushalt auch realistisch planen zu können, müssen alle Beteiligten über die voraussichtlich zur Verfügung stehenden Einnahmen Bescheid wissen. Daher treffen sich im Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ zweimal im Jahr Vertreter
der Finanzministerien von Bund und Ländern,
der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute,
des Statistischen Bundesamts,
des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (also der „Fünf Weisen“),
der Deutschen Bundesbank und
der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände,
um die Steuereinnahmen zu schätzen und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu begutachten.
Im Mai steht die mittelfristige Veranschlagung des Steueraufkommens im Vordergrund, hier geht es um den Zeitraum des laufenden und der vier folgenden Jahre. Im November werden – zeitnah zur Verabschiedung des Bundeshaushalts – kurzfristige Vorausberechnungen für die Haushaltsplanungen des kommenden Jahres erstellt. Diese Herbstprognose ist dann auch Grundlage für die Ansätze des Haushaltsgesetzes.
Im Frühsommer tagt der Stabilitätsrat. Dieses Gremium hat den früheren Finanzplanungsrat abgelöst, der durch die Föderalismusreform II (siehe S. 9) abgeschafft wurde. Seither hat der Stabilitätsrat die Aufgabe, die föderalen Ebenen bei der Aufstellung der Haushalts- und Finanzpläne zu beraten und die gesamt- und finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Auge zu behalten. Denn die Einnahmen und Ausgaben der verschiedenen staatlichen Ebenen sollten natürlich aufeinander abgestimmt sein. Zudem achtet der Stabilitätsrat darauf, dass Deutschland seinen Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt nachkommen kann.
Da auf der einen Seite jedes Ressort für sich bestimmte Einnahmen beansprucht und dabei kaum zu Abstrichen bereit ist, auf der anderen Seite aber nur begrenzte Einnahmen zur Verfügung stehen, muss verhandelt werden: erst einmal auf Referatsleiterebene, dann auf Abteilungsleiterebene und schließlich auch zwischen dem Bundesfinanzminister und seinen Kolleginnen und Kollegen auf Ministerebene. Können sich die Beteiligten nicht einigen, entscheidet die Bundesregierung. Im Sommer beschließt das Kabinett den gesamten Haushaltsentwurf und den Finanzplan; im August wird das mehrere tausend Seiten starke Werk Bundestag und Bundesrat übermittelt. Der Haushaltsentwurf gliedert sich in einen Gesamtplan und in Einzelpläne:
Im Gesamtplan sind alle Einzelpläne zusammengefasst; in der Haushaltsübersicht werden diese Einzelpläne haushaltssystematisch dargestellt. In der Finanzierungsübersicht wird das Finanzierungssaldo berechnet und im Kreditfinanzierungsplan werden die Einnahmen aus Krediten und die Tilgungsausgaben gegenübergestellt.
Die Einzelpläne werden eingeleitet mit einer Übersicht über Gruppierungen, Funktionen, Personal und durchlaufende Posten. In den Einzelplänen wird genau aufgeführt, was im jeweiligen Ressort eingenommen und wofür es ausgegeben werden soll. Außerdem sind hier die Verpflichtungsermächtigungen, also Vorgriffe auf spätere Haushaltsjahre, veranschlagt. Dabei gilt grundsätzlich das Ministerialprinzip, jedem Ressort wird ein Einzelplan zugewiesen.
Die Aufstellung des Bundeshaushalts
Die Aufstellung des Bundeshaushalts
Im Herbst haben Bundesrat und Bundestag das Wort: Das Parlament berät in erster Lesung über den Haushalt und seine Einzelpläne. Diese Debatte wird zu einer Generalaussprache über die Grundzüge der Regierungspolitik genutzt. Eine besondere Stellung nimmt dabei die Beratung über den Etat des Kanzleramts ein. Zwar fällt dieser Einzelplan zahlenmäßig nicht sonderlich ins Gewicht. Da er in der Debatte stellvertretend für die gesamte Regierungspolitik steht, kommt es bei der Aussprache über diesen Etat aber regelmäßig zu einem Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition. Sind die mehrere Tage andauernden Beratungen abgeschlossen, wird der Haushaltsentwurf an den Haushaltsausschuss des Bundestages verwiesen. Hier beginnt die eigentliche Arbeit: Der Ausschuss prüft sämtliche Ansätze, die sich auf mehrere tausend Einnahme- und Ausgabepositionen belaufen, und macht Änderungsvorschläge, wo er es für notwendig hält.
In die abschließenden Beratungen des Haushaltsausschusses im November fließen dann die kurzfristigen Schätzungen und Prognosen aus der Herbstsitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ ein. In der zweiten Lesung im Bundestag werden die Ergebnisse des Haushaltsausschusses vorgestellt – und der geänderte Entwurf beraten. Jeder Einzelplan wird nun beschlossen, in der dritten Lesung wird über den Haushaltsentwurf im Gesamten abgestimmt. Nach diesem Votum kommt noch einmal der Bundesrat zu Wort, der – sofern er mit dem Entwurf nicht einverstanden ist – den Vermittlungsausschuss anrufen kann. Ändert dieser noch einmal etwas am Entwurf, muss der Bundestag darüber entscheiden, ob er diese Änderungen übernimmt. Schließlich wird das Haushaltsgesetz festgestellt und Ende Dezember – in der Regel im Bundesgesetzblatt – der endgültige Haushalt offiziell verkündet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesfinanzministerium sind zu diesem Zeitpunkt schon wieder damit beschäftigt, das Aufstellungsrundschreiben für den nächsten Haushalt zu verfassen.
Der Bundeshaushalt
Der Bundeshaushalt
Dieser lange Weg zeigt: Ein Haushaltsplan ist und bleibt eine Prognose für einen bestimmten Zeitraum. Er gibt lediglich die Ziele für Einnahmen und Ausgaben vor. Weil ein öffentlicher Haushalt diesen Prognosecharakter hat, kommt es immer wieder zu Haushaltslöchern – etwa durch unvorhergesehene Ausgaben, die nicht durch Einsparungen ausgeglichen werden können, oder durch geringere Steuereinnahmen. In solchen Fällen muss ein Nachtragshaushalt eingebracht werden, der die bereits beschlossene und festgeschriebene Planung verändert. Ein solcher Nachtragshaushalt muss wie der richtige Etat
vom Bundesfinanzminister aufgestellt,
vom Kabinett verabschiedet,
vom Haushaltsausschuss beraten,
vom Parlament beschlossen und,
soweit es den Bundeshaushalt betrifft, vom Bundesrat angenommen werden.
Häufig geht es hier auch um zusätzliche Neuverschuldung.
QuellentextArbeitskreis „Steuerschätzungen“: Kristallkugel oder Prinzip Hoffnung?
„Schätzen“: Wenn man dieses Wort vor einigen hundert Jahren benutzte, meinte man nicht zwangsläufig, einen Wert nur zu veranschlagen. Die „Schätzung“ war im Mittelhochdeutschen gleichbedeutend mit der Steuer; wer schätzte, besteuerte. Das ist heute zwar nicht mehr so, der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“, der sich zwei Mal im Jahr trifft, bereitet mit seinen Steuerprognosen aber die Grundlagen für die Haushaltsplanungen von Bund, Länder und Gemeinden vor.
Immer im Mai und im November – und damit jeweils zum Auftakt und zum Ende der laufenden Haushaltsplanungen – setzen sich die Schätzerinnen und Schätzer an einen Tisch: Vertreter der Finanzministerien von Bund und Ländern, der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, des Statistischen Bundesamtes, des Sachverständigenrats, der Bundesbank und der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände. Bevor sie schätzt, dikutiert die Expertenrunde über die Einnahmen aus allen Steuerarten und den Zöllen. Dazu werden komplizierte Rechenmodelle aufgestellt, die auf Daten wie Wirtschaftswachstum, Einkommenssteigerungen, Inflation oder Beschäftigungsentwicklung basieren. Besonders lang und intensiv wird über die Einkommensteuer, die Lohnsteuer, die Umsatzsteuer und die großen Verbrauchsteuern, etwa die Energiesteuer, diskutiert. Schließlich sind hier die höchsten Einnahmen zu erwarten. Nach drei Tagen ist Schluss mit der Debatte, dann müssen die Zahlen an die Öffentlichkeit. Der Bund übernimmt die Zahlen aus der Schätzung 1:1 in seinen Haushaltsentwurf.
Alle Prognosen sind immer nur so gut wie die Annahmen, die man vorher zugrunde gelegt hat. Und so nimmt die Qualität der Schätzer-Prognose ähnlich wie eine Wettervorhersage zum Ende des Prognosezeitraums ab. Der Bundesrechnungshof hat vor einiger Zeit die Steuerschätzung als Haushaltsplanungsinstrument unter die Lupe genommen – und festgestellt, dass die Schätzerinnen und Schätzer vor allem in ihren mittelfristigen Vorhersagen meist danebenlagen. Nach Ansicht des Bundesrechnungshofes tendiert das Bundeswirtschaftsministerium, von dem die mittelfristige Konjunkturprognose stammt, dazu, Entwicklungen beim Bruttoinlandsprodukt positiv zu zeichnen, auch aus psychologischen Gründen. Da die Konjunkturprognose aber mehr oder weniger die einzige Basis für die mittelfristige Vorhersage der Steuerschätzer ist, hat dies unmittelbar Auswirkungen auf die großen Steuereinnahmen – etwa auf die Einkommensteuer oder die Umsatzsteuer –, denn diese hängen direkt mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Der Arbeitskreis schätzt die Steuereinnahmen auf der Grundlage des geltenden Rechts. Steueränderungen sind in der Prognose in aller Regel nicht berücksichtigt. Und falls doch, werden die finanziellen Auswirkungen solcher Änderungen meist zu optimistisch angegeben. Das Verhalten von Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern nach Steueränderungen aber lässt sich nur schwer vorhersagen. Die Bundesrechnungshofprüfer mahnen den Arbeitskreis daher zu etwas mehr Vorsicht.
Trotzdem gilt: Ohne Steuerschätzung ist keine Haushalts- und Finanzplanung möglich. Daher bilden die Resultate der Steuerschätzung im Mai als mittelfristige Prognose immer auch die Zahlenbasis für den Haushaltsentwurf des folgenden Jahres.
QuellentextAufgaben des Haushaltsausschusses
So oft die Medien auch melden, was die Regierung gerade wieder plant, zusichert, finanziert oder bezuschusst, so ist das doch immer nur die halbe Wahrheit. Denn kein Cent fließt, den das Parlament nicht vorher gebilligt hat. Das viel zitierte „Königsrecht“ hat sich das Parlament hart erkämpft. Der Haushaltsausschuss kontrolliert Punkt für Punkt, wohin das Geld des Steuerzahlers fließen soll.
Die Dimension der Neuverschuldung ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise in vorher ungeahnte Größenordnungen geschnellt, weil der Staat versucht hat, die Folgen der Krise abzufedern. Umso wichtiger ist es für den Haushaltsausschuss, an dem Ziel festzuhalten, mit der Schuldenbremse die Verschuldung Schritt für Schritt zurückzuführen.
Gleichzeitig ist es das erklärte Ziel, der Bildung noch größeres Gewicht zu verleihen. Zusätzliche Risiken tun sich auf durch die unvorhersehbare Zinsentwicklung. Zudem wird der Haushalt massiv beeinflusst von Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigungssituation: 100.000 Arbeitslose mehr oder weniger sind nicht nur 100 000 Schicksale, sondern auch Milliarden Euro mehr oder weniger im Bundeshaushalt. So stellt sich für den Ausschuss auch die Frage, ob eine Gesundheitsreform stärker steuerfinanziert werden kann und ob Steuererleichterungen ohne Weiteres möglich sind oder ob sie letztlich zu neuen Schulden führen.
Das sind die Rahmenbedingungen der Arbeit. Ein noch viel größerer Aufwand gilt dem Durchgehen des gesamten Haushaltsentwurfes, was nie ohne spürbare Korrekturen abgeht. Dazu verbringen die Haushälter leicht 70, 80 und mehr Stunden zusammen, nachdem die Berichterstatter vorher schon jeden Einzelplan intensiv durchgeackert haben und „nur“ die umstrittenen Vorhaben an den gesamten Ausschuss zur „Bereinigung“ weitergeleitet haben. Diese Prozedur steht zu Beginn der Wahlperiode gleich zweimal in einem Jahr an – und doch ist es nur der Auftakt für die ständige Kontrolle der abfließenden Mittel im Verlauf des Jahres.
Gregor Mayntz, „Haushaltsausschuss. Kontrolle Punkt für Punkt“, in: Blickpunkt Bundestag Spezial: Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages, Nr. 1/2010. Online unter: Externer Link: http://www.bundestag.de/blickpunkt/104_Spezial/1001/1001008.htm (Stand: Juli 2012)
Die Kassenprüfer des Bundes
Jedes Jahr kontrolliert der Bundesrechnungshof die Abrechnung der tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Haushalt auf Euro und Cent. Der Bundesfinanzminister muss nicht nur dem Bundestag und dem Bundesrat, sondern auch dem Bundesrechnungshof gegenüber Rechenschaft ablegen. Sein Haus muss sich darüber hinaus in mehr als 900 jährlichen Prüfungen Stichproben bei allen öffentlichen Ausgaben und Einnahmen gefallen lassen. Dieses Recht ist in Artikel 114 des Grundgesetzes verankert. Dort steht in Absatz 2: „Der Bundesrechnungshof, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit besitzen, prüft die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung. Er hat außer der Bundesregierung unmittelbar dem Bundestage und dem Bundesrate jährlich zu berichten.“ Die Behörde ist damit weisungsfrei zwischen Legislative und Exekutive angesiedelt. Und sie schaut genau hin, ob der Etat entsprechend der gesetzlich festgelegten Haushaltsgrundsätze geführt wurde.
Die geprüften Instanzen müssen den Kassenprüfern Rede und Antwort stehen. Diese wiederum haben sich zuvor tief in die Thematik eingearbeitet, haben sich über die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Gesetzes informiert und in allgemein zugänglichen Quellen recherchiert. Geprüft werden Verwaltungsausgaben genauso wie Sachleistungen. Nicht immer muss ein Verdacht auf Unwirtschaftlichkeit vorliegen. Die Leitfrage der Überprüfung lautet, ob die Ausgabenpraxis dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Aus diesem Grund hat der Bundesrechnungshof nicht nur ein Auge auf Geldverschwendung gerichtet, er schaut auch darauf, ob Steuergelder richtig eingesetzt werden. Das gilt zum Beispiel für soziale Leistungen wie Kindergeld, Wohngeld oder Elterngeld. Hinweise auf Missstände kommen von allen Seiten, nicht nur aus dem Bundestag. Immer wieder gehen beim Bundesrechnungshof anonyme Tipps ein – aus den unterschiedlichsten Gründen: Da ist der Konkurrent, der bei einer öffentlichen Auftragsvergabe nicht zum Zug gekommen ist. Oder der Angestellte, der sich über seinen Vorgesetzten geärgert hat.
Im Haushaltsausschuss des Bundestages haben die Abgeordneten jedem einzelnen Etat eine Berichterstatterin oder einen Berichterstatter zugeordnet, die oder der sich intensiv mit dem jeweiligen Ministerium und dessen Ausgaben auseinandersetzt. Und in jeder Ausschusssitzung sitzt ein Vertreter des Bundesrechnungshofes mit am Tisch – als Ansprechpartner und als Berater. Die Entscheidungen jedoch muss die Politik treffen.
Der Rechnungshof an sich ist eine nicht politisch tätige Behörde, die ihre Prüfergebnisse zwar mitteilen, aber im Grunde nicht durchsetzen kann. Dazu braucht es den verlängerten Arm der Politik. Das sind entweder der Rechnungsprüfungsausschuss – der politische Sparringspartner des Bundesrechnungshofes – oder der Haushaltsausschuss, der dann die Prüfergebnisse auch in politisches Handeln umsetzt. Der Bundesrechnungshof prüft, übt Kritik und liefert über einzelne Gutachten Vorschläge für Einsparungsmöglichkeiten, für mehr Effizienz oder Vereinfachung. Er kann kontrollieren und Mängel äußern – weitere Sanktionsmöglichkeiten hat er aber nicht. Zudem dürfen nur die jährlichen Bemerkungen, in denen besonders bedeutsame Prüfungsergebnisse zusammengefasst sind, medial präsentiert werden. Der Großteil der Prüfungen findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Letztlich ist dem Bundesrechnungshof per Finanzverfassung neben seiner Kontrollfunktion und dem Rechnen mit dem spitzen Bleistift vor allem die Beratung zugedacht. Die Prüfungsergebnisse legt der Bundesrechnungshof vor, abwägen jedoch müssen die Politikerinnen und Politiker – und damit entscheiden, was sinnvoll ist und was nicht.
QuellentextDefizite
Es gibt solche und solche Haushaltslöcher. Unvorhergesehene Lücken in einem Etat entstehen meist durch höhere Ausgaben, die so nicht geplant waren und an anderer Stelle nicht eingespart werden können. Oder aber die Steuereinnahmen fallen niedriger aus als geschätzt. Derartige ungeplante Haushaltslöcher müssen durch einen Nachtragshaushalt aufgefangen werden. Im Gegensatz dazu kann ein Haushaltsdefizit von einer Regierung toleriert werden, etwa, um in wirtschaftlichen Krisenzeiten den Konjunkturmotor anzukurbeln. Gedeckt werden kann dies nur durch neue Kredite; daher ist der Begriff der Neuverschuldung eng mit dem Haushaltsdefizit verbunden. Unterschieden wird zwischen der Bruttoneuverschuldung und der Nettoneuverschuldung (Nettokreditaufnahme). Alle neu aufgenommenen Kredite in einem bestimmten Zeitraum werden als Bruttoneuverschuldung bezeichnet. Die Nettokreditaufnahme meint die Bruttoneuverschuldung abzüglich der Verbindlichkeiten, die im gleichen Zeitraum getilgt worden sind. Die Möglichkeiten, ein Haushaltsdefizit in die Planung einzubauen, sind inzwischen stark eingeschränkt – zum einen durch den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, zum anderen durch die Schuldenbremse des Grundgesetzes.
QuellentextSondervermögen im Bundesetat
Man kennt sie unter Bezeichnungen wie „Schattenhaushalt“ oder „Nebenhaushalt“: Die Sondervermögen oder Sonderfonds des Bundes. Dabei handelt es sich um aus dem Bundeshaushalt ausgegliederte einzelne Geldtöpfe, die aus unterschiedlichen Quellen gefüllt werden, aus dem staatlichen Haushalt, durch Kredite oder durch Sonderzahlungen der Wirtschaft.
Anders als die Bezeichnung „Schattenhaushalt“ vermuten ließe, sind diese Sonderfonds dem Parlament bekannt. So muss der Bundestag jedem einzelnen dieser Fonds zustimmen, außerdem werden die Sondervermögen in der Haushaltsvorlage aufgeführt – zwar nicht als Einzelposten, sondern als Anlage. Zudem werden die Fonds von Mitgliedern des Bundestages überwacht.
Solche Sondervermögen waren bisher besonders deshalb interessant, weil sie bei der Neuverschuldung nicht mit eingerechnet wurden. Im Rahmen der gesetzlichen Schuldenbremse ist das nun anders: Sondervermögen unterliegen seit dem 1. Januar 2011 zusammen mit dem Kernhaushalt einer gemeinsamen Nettokreditaufnahme. Der wesentliche Vorteil, den Sonderfonds also für Haushaltspolitiker hatten – Geld auszugeben, ohne die Neuverschuldung zu erhöhen – ist nun aufgelöst. Es ist damit ein auslaufendes Modell, in Deutschland gibt es nur noch wenige solcher Fonds.
Der bekannteste ist vermutlich der Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin, ein Teil des sogenannten Bankenrettungspaketes. Der Fonds ist ermächtigt, Garantien in Höhe von bis zu 400 Milliarden Euro auszusprechen. Sollten solche Bürgschaften tatsächlich fällig werden, beispielsweise weil Banken ihre Kredite nicht tilgen, darf der Bund Sonderkredite aufnehmen. Zahlungen in Höhe von 49,9 Milliarden Euro wurden bisher abgerufen und aus Bundesmitteln bewältigt. Seit dem 1. Januar 2011 werden keine neuen Garantien oder Zahlungen durch den Fonds mehr bewilligt.
Die größten Einzelposten dieses Fonds sind die Zahlungen an Commerzbank und Hypo Real Estate in den Jahren 2008 bis 2010. […]
Erst im vergangenen Jahr eingeführt wurde der Energie- und Klimafonds, ein Sonderfonds, der bis 2016 Projekte zum Energiewandel finanzieren soll. Ursprünglich sollten die Stromkonzerne im Gegenzug zur Laufzeitenverlängerung jährlich erst 300, dann 200 Millionen Euro in diesen Fonds zahlen, insgesamt 1,4 Milliarden Euro. Doch durch den […] Ausstieg aus der Atomenergie fallen diese Zahlungen weg, weshalb der Bundestag nun beschloss, dass die Bundesregierung bei Bedarf bis zu 225 Millionen Euro in den Fonds zuzahlen darf. […] Finanziert werden sollen damit Maßnahmen zur Energieeffizienz, erneuerbare Energie, Klima- und Umweltschutz.
Dieser Fonds war ursprünglich eingerichtet worden, weil die Zahlungen der Stromkonzerne formal freiwillige Zahlungen sind, es aber nicht möglich ist, solche freiwilligen Zahlungen an den Bundeshaushalt zu überweisen.
Der dritte verbliebene Sonderfonds ist vergleichsweise unkompliziert: der Sonderfonds zur Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung. Von der Großen Koalition beschlossen, läuft dieser von 2008 bis 2013. Aus Steuereinnahmen waren 2,15 Milliarden Euro in diesen Fonds eingezahlt worden, die alleine zum Ausbau der Kindertagesstätten verwendet werden dürfen. […]
Der Investitions- und Tilgungsfonds (ITF) aus dem Konjunkturprogramm II lief zum 31. Dezember 2010 aus. Einzelne Maßnahmen aber, wie zum Beispiel das Investitionsvolumen in Schulen, werden noch abgewickelt. Insgesamt hatte dieser Fonds, aus dem auch die Abwrackprämie finanziert wurde, ein Volumen von 20,4 Milliarden Euro. Zudem gibt es noch kleinere Fonds, einer davon ist das European Recovery Program, der Nachfolger des Marshallplans. Außerdem legt der Bund im Versorgungsfonds des Bundes Gelder für die Pensionszahlungen an seine Beamten zurück.
In den Neunzigerjahren gab es eine Vielzahl an Sondervermögen, eines davon war die Treuhand. Sie wurde gegründet, weil die Abwicklung der DDR von nur einem Ministerium kaum zu bewältigen gewesen wäre.
Auch das allererste Sondervermögen, das es in Deutschland jemals gab, hatte mit der Einheit zu tun, der „Sonderfonds Deutsche Einheit“. Dieser war für den Staatshaushalt der bisher teuerste Sonderfonds. Zwischen 1990 und 1994 mit einem Gesamtvolumen von 160,7 Milliarden DM ausgestattet, umgerechnet 82,2 Milliarden Euro, wurden hier verschiedene Kosten der Wiedervereinigung zusammengefasst: Der Eins-zu-Eins-Umtausch von Währung und Renten der DDR, die Übernahme der Schulden oder Investitionen in die Infrastruktur. Ende 2004 betrug diese Schuldenlast nach Angaben der Bundesbank insgesamt 38,6 Milliarden Euro. Zum 1. Januar 2005 wurde diese komplett in den Bundeshaushalt übernommen.
Anna-Mareike Krause, „Die Milliarden im Schatten der Haushalte“, auf: tagesschau.de vom 6. Juli 2011, online unter: Externer Link: http://www.tagesschau.de/inland/sonderfonds100.html (Stand: Juli 2012)
Sorgenfaktor Staatsverschuldung
Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts
Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts
Nicht immer reichen das Steueraufkommen und die Einnahmen aus anderen Abgaben aus, um die Staatsausgaben zu decken. Daher nimmt der Staat immer wieder auch Kredite auf – mit langfristigen Folgen für den Haushalt, denn diese Kredite sorgen in der Zukunft für weitere Ausgaben, nicht nur für die Schuldentilgung, sondern auch für die Zinsen.
Seit Bestehen der Bundesrepublik ist der Schuldenberg der öffentlichen Haushalte stetig gewachsen. Summierten sich die Kredite Anfang der 1950er-Jahre noch im einstelligen Milliarden-Bereich, belief sich die Verschuldung zum Jahresende 2011 auf über zwei Billionen Euro. Auf den einzelnen Einwohner gerechnet sind das inzwischen knapp 25.000 Euro Staatsschulden; 1950 kosteten die öffentlichen Kredite den einzelnen Einwohner nur 190 Euro.
EU im Bann der Schuldenkrise
EU im Bann der Schuldenkrise
Neben der absoluten Summe der öffentlichen Schulden ist auch die Schuldenstandsquote ein aussagekräftiger Wert über den Zustand einer Volkswirtschaft. Das Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftsleistung ist in Deutschland prozentual enorm hoch. Lag die Schuldenstandsquote 2008 noch bei 66 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, stieg sie zwischenzeitlich auf über 83 Prozent. Ende 2011 lag das Verhältnis von Schulden und Wirtschaftsleistung immer noch bei 81,2 Prozent – und das, obwohl die Obergrenze laut Maastricht-Vertrag bei 60 Prozent liegt. Damit die Währung in den Euro-Ländern stabil bleibt, hatte sich die Europäische Union 1992 im Maastricht-Vertrag auf einige Grundpfeiler in der Haushaltspolitik geeinigt. Diese werden auch „Maastricht-Kriterien“ genannt. Die Schuldenquote des Staates darf demnach nicht höher sein als 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), und die jährliche Neuverschuldung darf in der Regel maximal drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen. Diese Defizitquote spiegelt die Finanzierungslücken des Staates wider, also die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Differenz wird am Bruttoinlandsprodukt (in den jeweiligen Preisen) gemessen.Die aktuelle Zunahme der Staatsverschuldung ist zum Teil der Wirtschafts- und Finanzkrise geschuldet. Zum Teil ist es aber auch ein Streit unterschiedlicher Auffassungen von Finanzpolitik. Hierin liegt eine Gratwanderung für jeden Politiker, der dafür gewählt worden ist, gesellschaftliche Prioritäten zu setzen – und nicht unbedingt dafür, einen öffentlichen Haushalt zu sanieren und Steuergelder auf die hohe Kante zu legen. Auch das Sparen selbst ist unter Expertinnen und Experten immer wieder umstritten: Die einen fordern das Sparen als unbedingte Notwendigkeit ein, die anderen halten Sparpolitik nicht für die Lösung, sondern für ein weiteres Problem, da Sparen konjunkturschädlich sei. Die strukturellen Defizite im Haushalt – also die Löcher, die auch ohne die Wirtschaftskrise da wären – beruhen demnach darauf, dass der Staat in guten Zeiten das Spargebot nicht wirklich ernst nimmt. Dies könne man in wirtschaftlich besseren Zeiten immer daran erkennen, dass die dann bessere Haushaltslage nicht zum Anlass genommen werde, um Schulden abzubauen. Mancher Wissenschaftler geht sogar so weit, dass Schulden nicht per se schlecht seien; es hänge nur davon ab, wann man sie mache – und wofür. Eine schwierige Strategie: sparen, aber eben nicht nur, wenn es die Not erfordert. Ohne Hektik, sondern mit langem Atem, gewissermaßen als haushalterisches Prinzip, damit die öffentlichen Kassen nicht auf Dauer aus dem Ruder laufen.
QuellentextHaushaltsgrundsätze
Öffentliche Haushalte werden nach bestimmten Grundsätzen aufgestellt. Diese sind im Grundgesetz, im Haushaltsgrundsätzegesetz und in der Bundeshaushaltsordnung geregelt.
Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit: Alle Einnahmen und alle Ausgaben müssen in den Haushalt eingestellt werden. Verkürzt gesagt – es darf bis auf ganz bestimmte Ausnahmen (Sondervermögen, Bundesbetriebe) keine „Nebenhaushalte“ geben.
Grundsatz des Haushaltsausgleichs: Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Für den Gesamtbetrag der Ausgaben muss die erforderliche Deckung ausgewiesen werden – sei es über Steuereinnahmen oder auch Kredite.
Jährlichkeitsgrundsatz: Der Haushaltsplan wird nach Jahren getrennt aufgestellt und in einem Haushaltsgesetz festgeschrieben.
Grundsatz der Vorherigkeit: Der Haushalt muss als Gesetz beschlossen und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sein, bevor das betreffende Haushaltsjahr beginnt.
Bepackungsverbot: In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf Einnahmen und Ausgaben im beschlossenen Zeitraum beziehen.
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit: Wirtschaftlich haushalten heißt, ein bestimmtes Ergebnis mit geringstmöglichen Mitteln zu erzielen – oder mit einem bestimmten Einsatz finanzieller Mittel das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.
Grundsatz der Gesamtdeckung: Alle Einnahmen dienen grundsätzlich zur Finanzierung aller Ausgaben.
Fälligkeitsprinzip: Im Haushalt dürfen nur Ausgaben veranschlagt werden, die im Haushaltsjahr voraussichtlich fällig werden.
Grundsatz des Bruttoprinzips: Alle Einnahmen und alle Ausgaben müssen in voller Höhe eingestellt werden. Es dürfen also weder Ausgaben von Einnahmen vorab abgezogen werden noch Einnahmen auf Ausgaben angerechnet werden. Damit soll die Zusammensetzung der einzelnen Positionen transparent gehalten werden.
Grundsatz der Einzelveranschlagung: Alle Einnahmen müssen nach dem Entstehungsgrund und alle Ausgaben nach Zwecken getrennt festgeschrieben werden.
Grundsatz der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit: Im Haushalt dürfen keine Unklarheiten bestehen, nichts darf offen gelassen werden.
QuellentextDie Staatsschuldenkrise in der Europäischen Union
Im Jahr 2012 steht die Euro-Zone im Zentrum der schwersten Krise, die es seit Einführung der Gemeinschaftswährung gab. Die Situation in mehreren Euroländern ist prekär: Die Staatsverschuldung ist hoch, das Vertrauen der Finanzmärkte fehlt, wodurch die öffentliche Hand weniger Kredite bekommt. Denn wenn ein Staat hoch verschuldet ist, muss er sich Geld leihen, um zahlungsfähig zu bleiben. Je höher aber der Schuldenstand eines Landes ist, desto mehr Zinsen fordern die Banken auf das geliehene Geld – auf diese Weise entsteht ein Teufelskreis von Schulden. Das gilt nicht nur für das krisengeschüttelte Griechenland. Auch Portugal stehen wirtschaftlich schwierige Zeiten bevor, und das spanische Haushaltsdefizit betrug 2011 knapp neun Prozent.
Die Staatsschulden werden sich in der gesamten Eurozone vorerst nicht spürbar verringern: Im Jahr 2011 belief sich der Schuldenstand aller Euroländer auf knapp 8,3 Billionen Euro. Dabei handelt es sich um eine Schuldenkrise, die nicht unbedingt der Währung, sondern vielmehr dem Haushaltsverhalten einiger Staaten zuzuschreiben ist. Viel zu lang haben verschiedene Staaten ihr Wachstum durch Schulden finanziert.
2010 nahm die Schuldenkrise ihren Lauf, als die griechische Regierung die Schätzung ihres Staatsdefizits prozentual um mehr als das Doppelte nach oben korrigierte. Die Kreditwürdigkeit des Landes sank, die EU beschloss, dem Land selbst Kredite zu gewähren. Im Gegenzug musste sich Griechenland schon damals verpflichten, hart zu sparen.
Immer wieder diskutierte die EU neue Lösungsansätze. Schließlich gründeten die Euro-Finanzminister 2010 die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) – besser bekannt als Euro-Rettungsschirm. Das Bild des aufgespannten Schirms passt allerdings nicht ganz, denn die EFSF ist eine eigenständige Gesellschaft und kann Geld am Kapitalmarkt aufnehmen – mit den Euroländern als Bürgen. Ursprünglich war die EFSF auf ein Volumen von 440 Milliarden Euro ausgelegt. Als die Krise eskalierte, wurden die Mittel auf 780 Milliarden Euro aufgestockt. Eigentlich sollte der Schirm nur vorübergehend aufgespannt sein. Als sich jedoch zeigte, dass eine Hilfskonstruktion nicht reichen würde, einigten sich die 17 Euro-Länder vertraglich auf einen dauerhaften Krisenfonds, den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM). Nach mehreren Klagen machte das Bundesverfassungsgericht im September 2012 auch für den Deutschland den Weg frei, dem ESM beizutreten – allerdings mit der Maßgabe, dass mit der vertraglich festgelegten Haftungsbeschränkung die deutschen Zahlungsverpflichtungen der Höhe nach begrenzt sind und dass Bundestag und Bundesrat über sämtliche Vorgänge des Fonds informiert werden. Im Gegensatz zum aktuellen Rettungsschirm wird der neue Fonds auch mit einer Bareinlage ausgestattet. Dem ESM dient das eingezahlte Kapital als Sicherheit, um am Markt die Mittel aufnehmen zu können, die er für die Vergabe etwaiger Finanzhilfen benötigt. Festgelegt ist, dass der ESM nur dann Geld verleiht, wenn die Krise des betroffenen Landes die gesamte Eurozone gefährdet. Zudem muss sich der jeweilige Staat verpflichten, seinen Haushalt auf Vordermann zu bringen und Wirtschaftsreformen einzuleiten.
Der Euro-Stabilitätsmechanismus (ESM)
Der Euro-Stabilitätsmechanismus (ESM)
Die Probleme durch Staatsschulden, die innerhalb von Jahren angehäuft wurden, werden sich nicht innerhalb von kürzester Zeit lösen lassen. Die Regierungen der Euro-Staaten setzen daher inzwischen verstärkt auf finanzpolitische Disziplin: Ein Fiskalpakt wurde vereinbart, den bis auf Großbritannien und Tschechien alle EU-Regierungschefs unterzeichnet haben. Der Vertrag verpflichtet die Länder, eine verbindliche Schuldenbremse im nationalen Recht einzubauen und insgesamt mehr Haushaltsdisziplin zu üben. Der Europäische Gerichtshof kann überprüfen, ob die einzelnen Länder den Fiskalpakt umsetzen – und dessen Nichtachtung mit einer Strafzahlung von 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sanktionieren. Euroländer, die Hilfen aus dem ESM in Anspruch nehmen wollen, müssen nach Ablauf der entsprechenden Fristen den Fiskalvertrag ratifiziert und umgesetzt haben.
Der Fiskalpakt soll 2013 in Kraft treten, sofern ihn bis dahin zwölf Euro-Länder ratifiziert haben. Allerdings ist der politische Widerstand in einigen Mitgliedländern noch groß. Anfang September hatten erst sieben Euro-Staaten (Griechenland, Irland, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien, Zypern) den Fiskalpakt ratifiziert.
QuellentextDie deutschen Schuldensünder
„Stabilität“ ist in Europa die Forderung der Stunde. Die notorischen Schuldensünder der Euro-Zone müssten die „deutsche Stabilitätskultur“ übernehmen, sagen Berliner Politiker gern. Bei ihrem Gipfeltreffen […] [vom 9. Dezember 2011, Anm. d. Red.] in Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone daher vereinbart, dass in der Währungsunion bald ähnliche Haushaltsregeln gelten sollen wie in Deutschland. Es soll Schuldenbremsen geben und Sanktionen, wenn ein Land sich nicht an die Regeln hält. Überall soll es so stabil zugehen wie in der Bundesrepublik […].
Der Haken daran ist nur: […] wenn man sich […] auf die Suche nach der „deutschen Stabilitätskultur“ begibt – dann wird schnell klar, wie instabil es hierzulande aussieht. Bremen, Berlin, das Saarland und Schleswig-Holstein stehen ganz offiziell vor der Pleite. Ihnen droht eine „Haushaltsnotlage“, wie der Stabilitätsrat festgestellt hat.
Deutschland mag in Europa als Musterland gelten. Tatsächlich aber ringen die Deutschen in den eigenen Reihen mit notorischen Schuldensündern, die seit Jahrzehnten auf Pump leben – und die darauf setzen, dass ein anderer ihre Rechnungen begleicht. Ihre Schulden sind gewachsen, ohne dass irgendeine Instanz das verhindert hätte.
Deutschland taugt bei der Schuldenbekämpfung daher kaum als Vorbild. Es ist kein Lehrmeister, sondern selbst ein Anfänger.
Eigentlich soll die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse verhindern, dass die Haushaltsdefizite immer größer werden. Von 2020 an sollen die Bundesländer ohne neue Schulden auskommen. Zusätzlich überwacht der Stabilitätsrat, ein gemeinsames Gremium der Länderfinanzminister und des Bundesfinanzministers, die Haushaltslage der Länder und des Bundes. […]
„Stabilitätsrat“ und „Schuldenbremse“ sind Begriffe, die man inzwischen europaweit kennt. Deutschland exportiert seine Vorstellungen von solider Finanzpolitik, so wie es sonst solide Autos und Maschinen exportiert. Die Beschlüsse auf dem EU-Gipfel seien der „Durchbruch zu einer Stabilitätsunion“, triumphierte die Kanzlerin nach der Verhandlungsnacht von Brüssel. Was Angela Merkel nicht sagte: dass viele Länder im deutschen Bundesstaat gegen alle Stabilitätsregeln verstoßen. Sie sind die deutschen Griechenländer.
Staaten müssen sich strenge Kontrollen gefallen lassen – Bundesländer nicht. […]
Und überall steigt die Verschuldung nach wie vor an. Jeder fünfte Euro, den Bremen in diesem Jahr ausgibt, wird nicht über Steuern finanziert, sondern über neue Kredite. Im Saarland ist es jeder siebte Euro. Die Länder leben weiter auf Pump – wie schon seit Jahrzehnten. Anfang der neunziger Jahre erklärten sich Bremen und das Saarland bereits für praktisch pleite. Sie forderten Hilfe, klagten vor dem Bundesverfassungsgericht und bekamen Sonderzuschüsse in zweistelliger Milliardenhöhe. Die sollten ihnen helfen, ihre Schulden abzubauen. Doch geschehen ist das Gegenteil: Die Schulden wurden nicht kleiner, sondern größer. Bremen stand 2004, nach zehn Jahren Sanierung, mit 12 statt 9 Milliarden Euro in der Kreide. Die Finanzhilfen – im Fall Bremens stolze 8,5 Milliarden Euro – waren ein Schlag ins Wasser.
In der Bundesrepublik stellt sich daher ähnlich wie in Europa die Frage: Wie kann man hoch verschuldeten Ländern helfen – und gleichzeitig verhindern, dass sie weiter über ihre Verhältnisse leben? Für Europa scheint der Fall klar. Nur mit strikten Regeln könne die Währungsunion gerettet werden, sagt die Kanzlerin in jeder Rede. Wer die Regeln breche, müsse mit „Sanktionen“ und „automatischen Konsequenzen“ rechnen.
Aber all die strengen Konsequenzen, die Merkel für Europa fordert, fehlen in Deutschland. Der Stabilitätsrat darf zwar rote Zahlen aufschreiben und allerlei Warnungen aussprechen, nur eines darf er nicht: sanktionieren und durchgreifen. Anders als die „Troika“ in Europa schickt er auch keine Finanzexperten, um an Ort und Stelle Sanierungsfortschritte zu prüfen. Souveräne Staaten in Europa müssen sich das gefallen lassen. Aber nicht deutsche Bundesländer. […]
Doch anders als die Euro-Staaten muss kein Bundesland fürchten, pleitezugehen. Es wird vom Bund aufgefangen. In einer „extremen Haushaltsnotlage“, so hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden, hätte es Anspruch auf Hilfe. Deshalb profitieren alle Länder, selbst die hoch verschuldeten, von der Kreditwürdigkeit des Bundes. Ihre Bonität wird von Rating-Agenturen mit Spitzennoten bewertet. Auch das nimmt den Druck beim Schuldenabbau. […]
Selbst die finanziell stärkeren Länder sind bisher nicht wirklich auf Sparkurs. Eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt: Von den 16 Bundesländern haben bisher nur zwei – Sachsen und das Saarland – ausreichende Schritte unternommen, ihre Verschuldung planmäßig abzubauen. Statt in guten Zeiten zu sparen, geben die meisten lieber weiter Geld aus, weil die Steuern gerade reichlich fließen.
Die Schuldenbremse ist also keine Schuldenverhinderungsbremse – sondern bestenfalls eine Schuldenanstiegsverzögerungsbremse. […]
Marc Brost / Kolja Rudzio, „Unsere Griechenländer“, in: Die Zeit Nr. 51 vom 15. Dezember 2011. Online unter: Externer Link: http://www.zeit.de/2011/51/Deutsche-Griechen (Stand: Juli 2012)