"Wie gestaltet sich die Lage eines absolvierten Studenten, der entschlossen ist, der Wissenschaft innerhalb des akademischen Lebens sich berufsmäßig hinzugeben?" Er müsse, so lautete die Antwort Max Webers 1919, "es mindestens eine Anzahl Jahre aushalten können, ohne irgendwie zu wissen, ob er nachher die Chancen hat, einzurücken in eine Stellung, die für den Unterhalt ausreicht".
Klar erscheint der Karriereweg in der Wissenschaft häufig erst in der Retrospektive. Denn erzählt wird die wissenschaftliche Karriere aus der Perspektive der Position, die als einzige im deutschen Hochschulsystem regelhaft die unbefristete Festanstellung vorsieht: aus Sicht der Professur. Professor*innen repräsentieren Wissenschaft als Beruf. Sie sind die personifizierte Einheit von Forschung und Lehre und Leitbild der wissenschaftlichen Karriere. Wer auf diese Position gelangen will, muss sich sowohl in der Forschung als auch in der Lehre qualifizieren. Erst der Ruf auf eine Professur signalisiert den Abschluss der Qualifikationsphase. Dem entspricht ein Beschäftigungssystem, in dem Professor*innen in der Regel verbeamtet sind und dauerhaft in der Wissenschaft verbleiben können, im Unterschied zu denjenigen, die sich qualifizieren und daher, so die Logik, auch nur befristet beschäftigt werden.
Karriere- und Beschäftigungssystem in Deutschland
Offen ist, auf welchen Wegen man auf die Position der Professur gelangt. Mittlerweile müssen auf dem Weg dorthin eine Reihe aufeinanderfolgender Abschlüsse erworben werden: Bachelor, Master, Promotion, Habilitation sind jeweils Voraussetzung für die nächsthöhere Karrierestufe. Akademische Grade und Titel kennzeichnen erfolgreich bewältigte Abschnitte, und sie dienen – mit Ausnahme der Habilitation und mit großen Unterschieden zwischen den Fächern – ebenfalls als Qualifizierungsnachweis für außerwissenschaftliche Arbeitsmärkte. Wer alle Qualifikationsstufen erfolgreich absolviert hat, gilt als berufungsfähig: Sie oder er erfüllt die formalen Voraussetzungen, um auf eine Professur berufen zu werden. Die Habilitation kann mittlerweile durch habilitationsadäquate Leistungen ersetzt werden, wobei hierunter auch Beschäftigungspositionen (Juniorprofessur, Nachwuchsgruppenleitung) fallen (können). Die Fachhochschulprofessur verlangt die Promotion sowie außeruniversitäre Berufspraxis.
Mit jeder Qualifikationsstufe nimmt die Zahl der im Hochschulsystem Verbleibenden ab. 2019 kamen auf rund 2,8 Millionen Studierende an den staatlichen Hochschulen 47.863 laufende Promotionen
Lose Kopplung von Karriere- und Beschäftigungssystem
Qualifikation und akademische Beschäftigungspositionen sind nur lose miteinander gekoppelt. So differenziert die Personalstruktur an den Universitäten nicht zwischen Doktorand*innen und Postdoktorand*innen. Die vormals für die Habilitation vorgesehenen wissenschaftlichen Assistentenstellen wurden fast vollständig in wissenschaftliche Mitarbeiterstellen umgewandelt. Sowohl Doktorand*innen als auch Postdoktorand*innen werden als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen beschäftigt; Erstere häufig in Teilzeit und Letztere eher in Vollzeit, aber dies ist keine formale Regel und unterscheidet sich erheblich zwischen den Fachdisziplinen. Auch Habilitierte werden überwiegend als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen beschäftigt. Die Habilitation qualifiziert zwar für eine Professur, ist aber nicht an diese Position gekoppelt.
Seit 2006 hat der Anteil der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen am wissenschaftlichen Personal an staatlichen Universitäten
Wissenschaftliches Personal an Universitäten nach Beschäftigungsverhältnis 2006–18 (ohne Medizin) in Prozent. (© bpb)
Wissenschaftliches Personal an Universitäten nach Beschäftigungsverhältnis 2006–18 (ohne Medizin) in Prozent. (© bpb)
Die Mehrheit des wissenschaftlichen Personals an den staatlichen Universitäten wird befristet oder auf Stundenbasis beschäftigt (Abbildung 2). Zwar gibt es auch unbefristet beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiter*innen oder Lehrkräfte für besondere Aufgaben, aber ihr Anteil ist gering und der Zugang zu diesen Positionen ist nicht formal geregelt. Es ist unklar, unter welchen Bedingungen sie erreicht werden können. Das erfolgreiche Absolvieren von Qualifikationsstufen ist somit eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft.
Qualifizierung begründet Befristung
Stattdessen regelt seit 2007 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), wie lange Wissenschaftler*innen zum Zweck der Qualifikation befristet beschäftigt werden dürfen. Diese Qualifikationsphase umfasst den Zeitraum von sechs Jahren vor und sechs beziehungsweise in der Medizin neun Jahren nach der Promotion. Spätestens nach dieser Zeitspanne, so die erklärte Absicht des Gesetzgebers, sollte eine Entscheidung über den Verbleib im Wissenschaftssystem herbeigeführt werden. Eine befristete Weiterbeschäftigung über die Höchstbefristungsdauer hinaus ist nur aus Drittmitteln möglich.
Ungeachtet dessen bleibt die unbefristete Beschäftigung maßgeblich auf das Erreichen einer Professur bezogen. Inwiefern Hochschulen auch weitere Übergänge in eine unbefristete Beschäftigung ermöglichen sollten, ist umstritten. So erklärten die Universitätskanzler*innen unlängst, dass "das Beschäftigungssystem der Universitäten im wissenschaftlichen Bereich primär ein Qualifizierungssystem" ist und es daher notwendig sei, dass "die Zahl ihrer befristeten Beschäftigungsverhältnisse für wissenschaftliches Personal überwiegt".
Von der Funktions- zur Qualifikationsstelle
Wie ist es dazu gekommen? Anfang der 1960er Jahre wurde beides noch sauber voneinander getrennt. Es gab an den bundesrepublikanischen Universitäten Qualifikations- und Funktionsstellen. Erstere waren wissenschaftliche Assistentenstellen, die eine Promotion voraussetzten und der Habilitation dienen sollten. Sie wurden daher befristet besetzt. Letztere waren wissenschaftliche Mitarbeiterstellen, die Daueraufgaben in Forschung und Lehre übernahmen, unbefristet waren und für die keine Promotion erforderlich war. Von ihnen gab es nur wenige. Dies änderte sich durch die einsetzende Hochschulbildungsexpansion grundlegend. Es immatrikulierten sich immer mehr Studierende, für deren Ausbildung man dringend mehr Lehrpersonal benötigte. Zunächst baute man die wissenschaftlichen Assistentenstellen aus. Schon bald gab es aber nicht mehr genug Promovierte für diese Stellen. Sie mussten mit Nicht-Promovierten in Vertretung besetzt werden, die aber aufgrund der fehlenden Promotion nicht habilitieren konnten. Vor diesem Hintergrund diagnostizierte der Wissenschaftsrat 1967 eine "angespannte Nachwuchslage",
Das Hochschulrahmengesetz (HRG) von 1976 ignorierte diese Praxis, indem es die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen weiterhin als Funktionsstellen definierte. Weil es unbefristete Stellen für akademische Daueraufgaben unterhalb der Professur sein sollten, wurden sie mit dem "Verlust weiterer Karriereperspektiven"
Keine Alternative zur Professur
Damit unterscheiden sich deutsche Hochschulen erheblich von denen anderer Hochschulsysteme. "Die ‚institutionelle Nachwuchsphase‘ beginnt an deutschen Universitäten früher und endet später als an englischen, französischen und US-amerikanischen Universitäten".
Konsequenzen für die Wissenschaftsfreiheit
Wissenschaft hat ihre eigene Ordnung und Logik. Wissenschaftliches Handeln in Forschung und Lehre ist universalistischen Normen und der Differenz von "wahr" und "falsch" verpflichtet. Wissenschaftler*innen beurteilen in diesem Sinne die Qualität wissenschaftlicher Arbeit. Die grundrechtlich geschützte Freiheit von Forschung und Lehre sorgt dafür, dass wissenschaftliches Handeln dem Zugriff wissenschaftsexterner Autoritäten entzogen bleibt. Wenngleich die Wissenschaftsfreiheit letztlich für alle gilt, die sich wissenschaftlich betätigen, ist es die Professur, die vom Gesetzgeber auch dienstrechtlich so ausgestaltet wurde, dass die wissenschaftliche Freiheit und Autonomie ihren Ausdruck in entsprechenden Arbeitsbedingungen findet. Für Professor*innen gibt es "einen Dienstweg (…) ebenso wenig wie einen Vorgesetzten";
Solch umfassende funktionale Selbstständigkeit wird den anderen Personalgruppen, vor allem den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, nicht zugestanden. So ist in der Landesgesetzgebung aller Bundesländer geregelt, dass wissenschaftliche Mitarbeiter*innen unter der fachlichen Verantwortung der Leiter*in ihres jeweiligen Aufgabengebietes Dienstleistungen in Forschung, Lehre und Weiterbildung erbringen. Sie üben ihre Tätigkeit unselbstständig aus und sind weisungsgebunden. Allerdings "drückt die fehlende Selbstständigkeit nicht aus, dass der Mitarbeiter ständig Weisungen erhält, sondern dass ihm Weisungen erteilt werden können".
Wissenschaftsfreiheit im "Meister-Schüler-Modell"
Die Universalität wissenschaftlicher Standards relativiert den Einfluss der Karriere- und Beschäftigungsbedingungen auf die Wissenschaftsfreiheit. Auch wenn das wissenschaftliche Personal unterhalb der Professur weisungsgebunden ist, unterliegt es in seinem Handeln immer noch den Standards der scientific community. Genau diese Ambivalenz kommt in dem "Meister-Schüler-Modell"
Eine Möglichkeit, diesen Abhängigkeitsbeziehungen zu entgehen, ist die Einwerbung von Drittmitteln oder Stipendien. Sie ermöglichen nicht nur eigenständige Forschung, sondern sind in der Regel auch ein Kriterium für die weitere wissenschaftliche Karriere, insbesondere, wenn sie mit Exzellenzansprüchen verbunden sind. Die Ausrichtung auf Projektlogiken befördert jedoch neue Zwänge. Ausschreibungen müssen inhaltlich bedient, Forschung als linearer Ablauf von einzelnen Arbeitsschritten konzipiert und Projekte in einer vorgegebenen Zeitspanne abgeschlossen werden.
Wissenschaftsfreiheit und die Hochschule als Organisation
Reformen der Personalstruktur wie die Einführung der Juniorprofessur Anfang der 2000er Jahre zielten darauf, Nachwuchswissenschaftler*innen zu einem früheren Zeitpunkt in ihrer Karriere Unabhängigkeit zu gewähren. Juniorprofessor*innen gehören formal zur Gruppe der Professor*innen und verfügen daher über die gleichen Rechte, sind aber grundsätzlich auf fünf bis sechs Jahre befristet. Die Juniorprofessur wurde als weitere Qualifizierungsstufe in das Karrieresystem eingezogen und sollte langfristig die Habilitation ersetzen. Dies gelang zwar nicht, aber sie gilt heutzutage immerhin als legitime Alternative. Während die Juniorprofessur zwar eine frühere Selbstständigkeit mit Blick auf die Qualifizierungsphase ermöglichte, verband sie sich nicht mit weitergehenden Beschäftigungsperspektiven. Erst mit der Einführung von Tenure-Track-Verfahren wurde versucht, Karriere- und Beschäftigungsperspektiven miteinander zu koppeln. Hier werden bei der Einstellung als befristete (Junior-)Professor*innen transparente Leistungskriterien für einen klar definierten Zeitraum festgelegt, bei deren Erfüllung die Entfristung und gegebenenfalls Höhergruppierung der Professur erfolgt.
Mit der formalen Organisation von Karrierewegen und ihrer Kopplung an Beschäftigungspositionen gewinnt die Hochschule an Handlungsfähigkeit gegenüber ihrem Personal. Bislang war ihr Einfluss auf die Auswahl und den Aufstieg ihres wissenschaftlichen Personals gering.
Anders als zu Webers Zeiten zeichnet sich ab, dass die Hochschule als Organisation ein Interesse an ihrem Personal entwickelt. Dies kann dazu beitragen, Prekarität und Unsicherheit in der akademischen Karriere zu verringern. Es kann aber auch Konformitätsdruck erzeugen, indem wissenschaftliche Leistung auf das reduziert wird, was im jeweiligen Organisationsinteresse liegt.