Wie frei ist die Wissenschaft in Deutschland? Folgt man dem Academic Freedom Index, gibt es nur wenig Luft nach oben – die Bundesrepublik hat einen "A Status" (Werte von 0,8 bis 1 auf einer Skala von 0 bis 1) erreicht und liegt mit ihrem Score auch innerhalb dieser Gruppe im oberen Bereich. "B Status" (0,6 bis 0,8) haben beispielweise Tansania und Armenien, während das EU-Mitglied Ungarn in der "C Status"-Gruppe (0,4 bis 0,6) gerankt wird. In der Gruppe mit "D Status" (0,2 bis 0,4) finden sich etwa Russland und Venezuela und am Ende des Rankings ("E Status", 0,0 bis 0,2) Länder wie China oder Nordkorea.
In den vergangenen Jahren sind trotz solcher Befunde vermehrt Stimmen laut geworden, die die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland, wie sie Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes garantiert, in Gefahr sehen. Zum einen wird in Zeiten von Pandemie und Klimawandel das Verhältnis zwischen Wissenschaft und demokratischer Politik kontrovers diskutiert. Zum anderen berührt die Debatte um das hohe Gut der Meinungsfreiheit, das durch identitätspolitische "Diskurskontrollen" und "Cancel Culture" gefährdet sei, auch den akademischen Raum. Andere Entwicklungen, von denen Beeinträchtigungen der Freiheit von Forschung und Lehre ausgehen können, etwa finanzielle oder organisatorische, erfahren dagegen weniger Aufmerksamkeit.
Was ist "Wissenschaftsfreiheit"? Sie ist kein Grundrecht für jedermann wie die Meinungsfreiheit. Steile Thesen von Nicht-Wissenschaftlerinnen fallen daher nicht unter dieses Recht, und es stellt sich die Frage, zu welchem Nutzen ihnen an den Stätten der wissenschaftlichen Wissensproduktion Raum gewährt werden sollte. Davon abgesehen, ist der Wissenschaftsbetrieb nicht entkoppelt von Gesellschaft und Politik. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen kämpfen um Teilhabe, Anerkennung und Macht, es gibt Erfahrungen mit Ausgrenzung durch Rassismus, Sexismus und andere menschenfeindliche Einstellungen. Wie sich eine faire, von wissenschaftlichen Kriterien bestimmte und von gegenseitigem Respekt getragene Auseinandersetzung um das beste Argument gewährleisten lässt, bleibt eine fortwährende Herausforderung.