Wissenschaft und Technologie treiben Innovationen in der Gesellschaft voran und wecken dadurch Erwartungen: Was können sie beitragen zu politisch-gesellschaftlichen Herausforderungen auf Feldern wie Energie, Demografie, Mobilität, Gesundheit, Klima oder Digitalisierung? Und wenn sie etwas beitragen können, was wären die (nicht-intendierten) Folgen? Mehr noch: Wer wäre zu beteiligen? Die Herausforderungen, so die gegenwärtige Überzeugung, sind nicht nur in der und für die Gesellschaft zu lösen, sondern auch mit ihr. Die Ansprüche an Wissenschaft steigen: Exzellenz wird ebenso gefordert und gefördert wie Relevanz – und dies kann Innovation und Gründungstätigkeit, Bildung und Qualifizierung, gesellschaftliches Engagement oder auch ko-kreative Forschung mit Anspruchsgruppen bedeuten.
Kurz: Die Rolle von Wissenschaft in einer zunehmend fragmentierten und digitalen Gesellschaft sowie ihre Bedeutung für Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft werden derzeit neu bestimmt. Bei dieser Neupositionierung von Forschung und Entwicklung geraten die Forschenden selbst sowie die Hochschulen in den Fokus. Um Relevanz und Responsivität zu erhöhen, soll Forschung transdisziplinärer, sollen die Hochschulen verstärkt auf "Societal Impact", also gesellschaftliche Wirkung, bedacht und die Forschenden engagierter sein. Was in der Wissenschaft als "missionsorientierte Forschung" diskutiert wird, fordert die Hochschulen dazu auf, neben Forschung und Lehre eine dritte Leistungsdimension auszubilden: Transfer. Die Forschenden schließlich sehen sich der Erwartung gegenüber, "Academic Citizenship" zu pflegen.
Diese verschiedenen Diskussionsstränge lassen sich als Teil einer bereits länger andauernden Suche nach einem neuen "Vertrag" zwischen Wissenschaft und Gesellschaft lesen.
Im Folgenden skizzieren wir zunächst drei prototypische Stationen des Vertrags zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebildet haben. Diese Vertragsvarianten kreisen um zwei Pole: um Innovation durch Wissenschaft einerseits und Legitimation der Wissenschaft andererseits. Sie stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Steigerung zueinander, und es sind vor allem normative Konzepte, die eine je neue Balance provozieren: etwa Partizipation, Responsivität und Nachhaltigkeit. Diese Skizze bildet den Hintergrund für die These dieses Beitrags, wonach es nun insbesondere den Hochschulen als organisationalen Akteurinnen im Wissenschaftssystem aufgetragen ist, mit der Spannung von Innovation und Legitimation umzugehen. Dies geschieht derzeit prominent über die dritte Leistungsdimension Transfer. Abschließend diskutieren wir, welche Ambivalenzen dies für die Forschenden zeitigt: "Academic Citizenship" verspricht engagiertes, unternehmerisches Agieren, erhöht aber zugleich auch die Anforderungen an die akademische Rolle – und überzieht sie auch. Im Fazit fragen wir danach, wie angemessen die Metapher des "Vertrags" nach dem Eintritt der Hochschulen in die "Vertragsgestaltung" ist.
Gesellschaftsverträge mit der Wissenschaft
Verträge sind als metaphorische Kurzformeln für die Ordnung der Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft beziehungsweise ihrer Teilsysteme zu verstehen. Sie erlauben, diese Beziehung als normatives Resultat einer Aushandlung zu beobachten, die in der Regel implizit bleibt: Sie kann aus artikulierten Ansprüchen und Debatten sowie neuen Strukturen und Maßnahmen nur deduziert werden; neue Vertragsmodelle fallen vor allem immer dann auf, wenn sich Erwartungen deutlich ändern. Nicht zuletzt der forcierte Anspruch an science in, with and for society stellt eine solche auffällige Erwartungsänderung der vergangenen 15 Jahre dar.
Das lineare Modell: Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich ein am sogenannten linearen Innovationsmodell orientierter Vertrag heraus, der zutiefst vom Vertrauen in die Eigenrationalität und Selbststeuerungskapazität des Wissenschaftssystems geprägt war.
Das finalisierte Modell: Die zentrale Idee der Finalisierung der Wissenschaft ist, dass Disziplinen sowohl vor als auch nach ihrer zunehmenden theoretischen Schließung die Richtung der Theorieentwicklung nicht allein determinieren.
Das hybridisierte Modell: Dem Prototyp "radikale Autonomie der Wissenschaft" (Modell der Linearität) und dem Prototyp "Steuerbarkeit einer Wissenschaft in frühen und späten Phasen" (Modell der Finalisierung) folgt ein Prototyp nochmals anderer Art: ein Modell der Hybridisierung.
Spannung von Innovation und Legitimation
Von allen Treibern für immer neue Vertragsvarianten sind insbesondere die gestiegene Bedeutung der Forschung für Innovation und der zugleich gestiegene Bedarf nach ihrer Legitimation hervorzuheben. Neues und praktisch relevantes Wissen durch Forschung sowie die Rechtfertigung von Forschung zu erwarten, ist nicht neu, wird aber nun ausdrücklicher an die Forschung herangetragen und zudem in ambivalenter Art und Weise verknüpft: Auf der einen Seite gilt Wissen als wichtige Ressource für gesellschaftliche Innovationen, auf der anderen Seite gilt es, den Blick auf normative Ansprüche ebenso wie auf epistemische Aspekte guter Forschung nicht zu verlieren.
Diese Situation verschärft sich angesichts des Umstands, dass unterdessen "Innovationsgesellschaft" zur bevorzugten Selbstbeschreibung gegenwärtiger Gesellschaften avanciert ist. In ihnen erscheint jede einzelne Innovation "‚nur noch‘ als Übergang für weitere, immer wieder neu im Kommen befindliche. Alles gilt es zu erneuern; alles erscheint durch Innovationen verbesserbar. Innovation wird so zu einem Handlungsimperativ – auch jenseits der klassischen Bereiche von Wirtschaft und Wissenschaft."
Werden solche externen Ansprüche mehr und mehr berücksichtigt, gehen damit stets Versicherungen einher, dass es immer noch einen "epistemischen Kern der Wissenschaft" gebe, der sich nicht transwissenschaftlich verhandeln lasse.
Implementierung einer dritten Leistungsdimension
Die Zeiten, in denen die Wissenschaft aufgrund ihrer unhinterfragten Autorität eine Sonderstellung in der Gesellschaft einnahm, sind lange vorüber. Mitte der 1980er Jahre leitete der Bodmer-Report der Royal Society, der Britischen Akademie der Wissenschaften, verstärkte Bemühungen in Sachen Wissenschaftskommunikation ein (Public Understanding of Science).
Die Relevanz der Forschung steht insbesondere als Gegenstand wissenschaftspolitischer Förderung also schon länger auf der Agenda. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung schalten sich nun auch Hochschulen ein, und zwar systematisch: Sie sind am "Societal Impact" ihrer Forschung interessiert und zu diesem Zweck etablieren sie "Transfer". Genau dies wird unter dem Stichwort "Third Mission" auch hochschulpolitisches Ziel. Allerdings: Hinter "Societal Impact" verbirgt sich kein klares, gar einheitliches Programm und hinter "Transfer" keine einheitliche Form der Institutionalisierung.
Mit "Societal Impact" ist zunächst jede Form ökonomischer, kultureller, politischer oder auch sozialer Wirkung gemeint, die sich als Folge von wissenschaftlicher Forschung, Technologieentwicklung oder künstlerischer Produktionen beobachten lässt. Mit Blick auf gesellschaftliche Wirkungen lassen sich zwei grundsätzliche Richtungen unterscheiden:
Dies markiert, so unsere These, einen deutlichen Wandel, wie die Relevanz von Forschung artikuliert und ausgehandelt wird. In der Metaphorik des Vertrages gesprochen: Es wird kein neuer Vertrag ausgehandelt, sondern das hybride Modell spezifiziert. Aufseiten der Wissenschaft wird ein deutlich sichtbarer Vertragspartner namens "Hochschule" identifiziert, der es sich zur Aufgabe macht, einen identifizierten Vertragsgegenstand namens "Dritte Leistungsdimension: Transfer" mit weiteren "Klauseln" zu konkretisieren. Denn bislang ist Transfer politisch so überdeterminiert wie wissenschafts- und hochschulpraktisch unterdefiniert. Erstmals ergibt sich die Situation, dass Hochschulen hier Erwartungsmanagement betreiben können: Denn mit Transfer sind grundsätzlich alle strategischen, infrastrukturellen und operativen Weichenstellungen gemeint, die Hochschulen vornehmen, um gesellschaftliche Wirkung zu erzielen. Im Folgenden illustrieren wir diese Weichenstellungen am Beispiel der Universität Hamburg.
Strategische Weichenstellungen beziehen sich einerseits auf die neue Rollenidentität, etwa "Flagship University", zum anderen auf die Formulierung eines grundlegenden Transferverständnisses im Sinne von "Knowledge Exchange", eines Mission Statements (wie "innovating and cooperating for a sustainable future") sowie eines Profils aus der Vielfalt der möglicher Transfermodalitäten (Innovation und Gründung, Bildung und Qualifizierung, gesellschaftliches und kulturelles Engagement sowie ko-kreative Forschung). Mit diesen strategischen Weichenstellungen legt eine Hochschule zugleich fest, wer ihre gesellschaftlichen Vertragspartner:innen sind: Unternehmen, Theater, spezifische zivilgesellschaftliche Akteur:innen, Studierende, Alumni und andere mehr.
Infrastrukturelle Weichenstellungen beziehen sich auf personelle Aspekte (wie Verankerung des Transfers im Hochschulpräsidium, qualifiziertes hochschulprofessionelles Personal), organisationale Aspekte (etwa Einrichtung einer zentralen Transferagentur und dezentraler Transferstellen) und budgetäre Aspekte ebenso wie etwa digitale Kommunikations- und Vernetzungsinfrastrukturen. Mit diesen infrastrukturellen Weichenstellungen legt eine Hochschule zugleich die Sichtbarkeit und Intensität der Beförderung transferbezogener Aktivitäten fest.
Operative Weichenstellungen beziehen sich auf die konkreten Maßnahmen (wie beraten, beforschen, kommunizieren, vernetzen, dokumentieren, evaluieren) und deren Ziele (beispielsweise Sensibilisierung, Sichtbarmachung, Services); sie beziehen sich auch auf die Strukturierung von Kooperationsbeziehungen zu anderen transferbezogenen Einheiten in der Hochschule inklusive ihrer Verwaltung sowie Anspruchsgruppen außerhalb der Hochschule. Mit operativen Weichenstellungen verstetigt eine Hochschule ihre Transferarbeit und macht kenntlich, auf welche Weisen und auf welchen Ebenen (zentral, fakultär, regional) Transfer adressiert wird.
Im Zuge dieser Weichenstellungen legen Hochschulen fest, wo und wie sie Relevanz erzeugen und woran sie sich auch messen wollen beziehungsweise messen lassen wollen. An dieser Stelle folgt dann nicht selten die Kritik, wonach Transfer unweigerlich die Autonomie der Wissenschaft einschränke und zu bloßer Nützlichkeitsorientierung führe. Bei näherer Betrachtung ist dies eine unproduktive Engführung. Der Soziologe Niklas Luhmann hat vorgeschlagen, dreierlei zu unterscheiden, wenn man auf die Wissenschaft und ihr Verhältnis zur Gesellschaft schaut, nämlich Funktion, Leistung und Reflexion: Die Funktion der Wissenschaft besteht demnach im "Gewinnen neuen, unvertrauten, überraschenden Wissens"; die Leistung besteht darin, brauchbares Wissen für die Ökonomie, die Politik oder die Zivilgesellschaft bereitzustellen; und reflektiert werden muss die Spannung zwischen Funktionserwartungen und Leistungserwartungen, damit es nicht zu Blockaden kommt.
Was ist daran wichtig? Die Frage nach Transfer und Impact der Forschung ist nicht nur eine Dienst-/Leistungsfunktion der Wissenschaft für die Gesellschaft.
Zentrale Aufgabe der Hochschule ist mithin der produktive Einbau von Transfererwartungen, ihre Filterung durch responsive Strukturen und die Übersetzung in die eigenen Praktiken. Es geht um beides und dies in konstitutiver Spannung: die inner- und außerwissenschaftliche Anschlussfähigkeit wissenschaftlichen Wissens.
Ambivalente Konsequenzen für Transferakteur:innen
Der Anspruch an diese doppelte Anschlussfähigkeit von Forschung ändert das, was wir, in Erweiterung von Überlegungen der Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt, "sozio-epistemische Begegnungsräume" nennen wollen.
Obwohl "Scientific" ebenso wie "Academic Citizenship" noch wenig konkretisiert, gar standardisiert ist und flächendeckend qualitätsgesichert geschieht, wachsen die Ansprüche an beide Seiten und ihre sozio-epistemische Begegnung. Gearbeitet wird insbesondere daran, Forschenden bestimmte Aufgaben strukturell zuzuweisen und Aktivitäten in diesem Rahmen damit dokumentierbar und evaluierbar zu machen.
Fazit
Die beschriebenen Entwicklungen betreffen die Hochschulen, die Hochschularten und die Mitglieder von Hochschulen weder in gleicher Weise noch gleichermaßen. Nicht in gleicher Weise: Da "Third Mission" in notwendiger Spannung zu der jeweils betriebenen Forschung und zum Forschungsprofil beziehungsweise -auftrag steht, sind auch differenzierte Profile in Sachen Transfer erwartbar. Nicht gleichermaßen: Ungleichzeitigkeiten ergeben sich nicht zuletzt aus unterschiedlichen Lesarten des Transfers. Handelt es sich um einen strukturverändernden Impuls für Forschung und/oder Hochschule oder eher um einen Ausbau bereits institutionalisierter Pfade (Anwendungsforschung, Wissenschafts- und Technologietransfer etc.)?
So oder so: Die Rede von einem Gesellschaftsvertrag zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit bleibt zwar eine Metapher, doch war sie noch nie so angebracht wie im Moment – nicht zuletzt drückt sie wie ein juristischer Vertrag eine hohe Selbstbindung aus. "Societal Impact" der Hochschulen und "Academic Citizenship" ihrer Mitglieder lassen sich als immer konkretere Klauseln eines Vertrages begreifen, der, wenn auch nicht förmlich ratifiziert, so doch Stück für Stück in Kraft gesetzt wird. Es geht jedoch nicht darum, vorab festgelegte Leistungen und Gegenleistungen zwischen klar definierten Partnern zu erfüllen, wie es bei Verträgen im juristischen Sinne der Fall wäre. Vielmehr bringen Hochschulen die sukzessive Definition einer ganzen Leistungsdimension im Sinne einer Vertragsgestaltung zu allererst hervor. Mit der Metapher des Vertrages und ihrem Assoziationsraum (Vertragspartner, Klauseln etc.) sieht man, wie "Third Mission", obschon sie immer noch als unterbestimmte Anrufung auftritt, nun dennoch allmählich performative Kraft entfaltet.