Wissenschaftskommunikation? Also das wollte der Wissenschaftsjournalist eigentlich nicht machen. Schließlich betreibt ein Wirtschaftsjournalist auch keine Unternehmenskommunikation. Und obwohl viele Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten ihrem Berichterstattungsgegenstand durchaus nahestehen, gilt nach journalistischem Ethos auch für die Kommunikation über Wissenschaft die Trennung von Journalismus und PR.
Das skizzierte Missverständnis ist womöglich eines der häufigsten im Zusammenhang mit einem Begriff, der nicht zuletzt durch die während der Corona-Pandemie offenkundig gewordenen öffentlichen Informationsdefizite in Sachen Wissenschaft fast zu einem Modewort avancierte. Rund 60 Jahre nach Gründung der ersten bedeutenden Wissenschaftsredaktionen in der Bundesrepublik
Ein unscharfer Begriff
Neben dem akuten Bedarf in Pandemiezeiten und dem generell wachsenden politischen Druck, Wissenschaftskommunikation für die breite Öffentlichkeit zu betreiben,
Eine sinnvolle Betrachtung des Feldes kommt nicht ohne starke Differenzierung nach Akteuren und übergeordneten Zielen aus, wie sie unter anderem von Leyla Dogruel und Klaus Beck skizziert wurde.
Folgt man dieser Betrachtung, so rücken Wissenschaft und Journalismus plötzlich näher zusammen als vieles andere, was unter dem Label "Wissenschaftskommunikation" gerne mitsegelt, aber in Wahrheit eher andere Ziele verfolgt, als über wissenschaftliche Themen im eigentlichen Sinne zu kommunizieren und diese gegebenenfalls in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Dass Wissenschaft und Journalismus normativ betrachtet in genau dieser gemeinsamen Aufgabe vereint sind, haben alle deutschen Wissenschaftsakademien 2014 in einem gemeinsamen Papier so zusammengefasst: "Wissenschaft und Journalismus gehören zu den unverzichtbaren Eckpfeilern einer demokratischen Gesellschaft. Pressefreiheit und Freiheit der Wissenschaft werden deshalb in der Verfassung garantiert (Artikel 5 des Grundgesetzes). Trotz ihrer notwendigen gegenseitigen Unabhängigkeit und ihrer in weiten Teilen unterschiedlichen Aufgaben erfüllen beide auch ähnliche Funktionen. Sie versorgen Politik und Gesellschaft mit vielfältigen und möglichst zuverlässigen Informationen, stärken Bildung und Wissen der Bevölkerung, regen demokratische Diskurse an und sollen eine Basis für begründete politische, wirtschaftliche und technologische Entscheidungen liefern."
Nun mag man einwenden, dass journalistische Medien ebenso wie die Wissenschaft diesem Anspruch nur gerecht werden können, wenn sie die jeweils geltenden Regeln und Berufsstandards guter wissenschaftlicher und guter journalistischer Praxis erfüllen. Auch sollte bei allen (für viele immer noch überraschenden) Parallelen zwischen dem Wissenschafts- und dem Mediensystem nicht der Eindruck entstehen, dass diese nicht auch deutliche Unterschiede aufweisen. Relevanzkriterien journalistischer Medien müssen sich viel stärker an dem orientieren, was gerade politisch und gesellschaftlich relevant ist; Wissenschaft genießt zu Recht die Freiheit und das Privileg, auch Teilchen, Sterne und Phänomene untersuchen zu dürfen, die auf absehbare Zeit vermutlich gesellschaftlich irrelevant bleiben dürften. Wissenschaft darf sogar langweilig sein. Publikumsmedien müssen indes mindestens so interessant, spannend oder unterhaltsam sein, dass sie ihr Publikum in Konkurrenz mit unzähligen anderen Angeboten auch tatsächlich erreichen. "Die Medien" müssen daher auf Dramaturgien und Erzählstrategien achten, dürfen zuspitzen, auf Ausschnitte des großen Ganzen fokussieren oder Unschärfen im Gesamtbild zulassen. Voraussetzung ist, dass dadurch nichts falsch wird – etwa so, wie der Inhalt eines Digitalfotos nicht falsch, sondern nur unschärfer wird, wenn man mangels Speicherplatz seine Auflösung verringert. Gleichzeitig muss guter Journalismus bei der Auswahl von Studien und geeigneten Fachleuten aber Güte- und Evaluationskriterien mitberücksichtigen, wie sie in der Wissenschaft gelten.
Wenngleich es für derart (wissenschafts)journalistisches Handwerk in vielen Redaktionen noch Verbesserungsbedarf gibt und so manche zeitintensive Recherche schlichtweg nicht mehr ausreichend finanzierbar ist, liegt das größte Qualitätsproblem der massenmedialen Verbreitung von Inhalten aus der und über die Wissenschaft aber schon längst auf den großen Social-Media-Plattformen.
Nun gibt es zweifellos eine Vielzahl gut gemachter Informationsangebote zu Themen aus der Wissenschaft, die in der digitalen Welt nur noch einen Mausklick entfernt sind. Allein: Mit der massenmedialen Reichweite ist es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, so eine Sache, erreichen doch viele, oft teuer produzierte Wissenschaftsvideos auf Youtube typischerweise nur ein paar Hundert Aufrufe – und nicht die Massen der Bevölkerung. Zudem haben nicht nur die Wissenschaft und engagierte, gut informierte Blogger das Potenzial der digitalen Plattformen für sich entdeckt, sondern auch eine um ein Vielfaches größere Zahl von Produzenten, denen es um kommerzielle Kommunikation oder gar Propaganda geht. Bereits angesichts des gleichzeitig ebenfalls gewachsenen medialen Grundrauschens aus Trash- und Zerstreuungsangeboten ist eher anzunehmen, dass die Stimme der Wissenschaft im Digitalen nun trotz all ihrer eigenen Anstrengungen in der Breite eher weniger laut zu hören ist, als dies im alten Mediensystem möglich war.
Dass seriöse Angebote im Vergleich zu fehlerbehafteten oder gar bewusst irreführenden Angeboten auf den großen Plattformen tendenziell ins Hintertreffen geraten, deutet bereits eine Reihe von Forschungsarbeiten an. So kam eine Analyse am Massachusetts Institute of Technology schon vor gut vier Jahren zu dem Schluss, dass Falschinformationen auf der – gerade in Journalismus- wie Wissenschaftskreisen beliebten – Plattform Twitter stets mehr (in einigen Fällen sogar 1000 Mal mehr) Menschen erreichte als korrekte Informationen; um eine Reichweite von 1500 Personen zu erzielen, benötigte eine wahre Information sechs Mal mehr Zeit als die Lüge.
Auch theoretisch betrachtet bleibt es schleierhaft, warum ausgerechnet eine die großen Social-Media-Plattformen dominierende Ultra-Kurzkommunikation besonders geeignet sein sollte, um wissenschaftliche Sachverhalte differenziert und dennoch verständlich zu verbreiten. Die schlichte Idee mag an eine Theorie von Neil Postman aus den 1980er Jahren erinnern. Am primitiven Beispiel von Rauchzeichen indigener Völker illustrierte er damals, wie die Formen öffentlicher Diskurse womöglich diktieren, welche Inhalte damit transportiert werden können. Ähnlich wie Rauchzeichen für komplexe Diskurse ungeeignet sind, dürfte dies heute auch auf digitale Kurzinformationen zutreffen.
Das alles ändert nichts daran, dass unter dem Eindruck der Corona-Krise die Begeisterung für eine von der Wissenschaft selbstvermittelte Wissenschaftskommunikation eine Renaissance erlebt. Hierbei wird indes gerne übersehen, dass das intrinsische Vor-Interesse der Bevölkerung durch die alles bestimmende Pandemie so hoch war, dass viele Kommunikationsangebote aus der Wissenschaft Reichweiten erzielten, die für die gleichen Formate im gesellschaftlichen Normalbetrieb wohl undenkbar gewesen wären.
Weg vom Inseldenken
Nun ist es für den Umgang mit der derzeit existierenden digitalen Medienrealität erst einmal unerheblich, dass diese im Vergleich zum alten Mediensystem wahrscheinlich eher schlechte Ausgangsbedingungen für Wissenschaftskommunikation in breite Bevölkerungsschichten hinein bietet. Man muss mit der jeweils vorhandenen Medienrealität umgehen, denn es ist nicht nur in Zeiten von Corona und Klimakrise essenziell, dass wissenschaftsbasierte Informationen nennenswerte Reichweiten erhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte man sich aufseiten der Wissenschaft und der Wissenschaftspolitik allerdings nicht weiter der Illusion hingeben, sich im digitalen Grundrauschen – abgesehen von Einzelfällen – aus eigener Kraft und auf eigene Faust kontinuierlich mit seinen wissenschaftlichen Botschaften Gehör verschaffen zu können. Bereits der Versuch würde mit bisherigen Insel-Strategien einen immensen zusätzlichen finanziellen Aufwand erfordern,
Hier soll daher ein radikaler Strategiewechsel im Umgang mit der öffentlichen Wissenschaftskommunikation vorgeschlagen werden. Dieser betrifft zum einen die bisherigen Kommunikationsstrategien seitens der Wissenschaft und die Förderung derselben, zum anderen aber die Rahmenbedingungen, in denen jegliche Form von medialer Kommunikation stattfindet. Letzteres stand auch im Mittelpunkt einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), die diese Fokussierung wie folgt begründet: "Es erscheint zunehmend unrealistisch, dass das Ziel einer möglichst zuverlässig und wissenschaftsbasiert informierten Gesellschaft durch bloße Konzentration auf Binnenaspekte im Wissenschaftssystem selbst (wie etwa Förderanreize für Institutionen und Schulungen von Wissenschaftlern) erreicht werden kann. Es müssen auch die Kontextbedingungen untersucht werden, von denen die Realisierung einer qualitätsvollen Wissenschaftskommunikation abhängt."
Mit Kontextbedingungen sind hier insbesondere die politischen, ökonomischen, regulatorischen und technischen Rahmenbedingungen des Mediensystems insgesamt gemeint – und zwar aus der Überzeugung heraus, dass diese künftig wahrscheinlich einen weitaus größeren Einfluss auf den Erfolg öffentlicher Wissenschaftskommunikation haben werden als die bloßen Aktivitäten der Wissenschaft selbst. Die Politik sollte ihre Anstrengungen zur Wissenschaftskommunikation also vor allem darauf verwenden, die Rahmenbedingungen des Mediensystems unter Wahrung von Presse- und Meinungsfreiheit so zu gestalten, gezielt zu fördern und in Teilen so zu regulieren, dass wissenschaftliche Informationen, die diesen Namen qualitativ verdienen, auch in der digitalen Medienwelt bessere Chancen auf ansehnliche Reichweiten in der Bevölkerung haben. Hierzu hat die BBAW-Arbeitsgruppe eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen.
Vom Forschungsverbund zum Kommunikationsverbund
Die Arbeitsgruppe schließt mit solchen Vorschlägen letztlich auch an medienökonomische Analysen von Dogruel und Beck an, die bereits zu dem Schluss kamen: "Die Vorstellung, die von Wissenschaftlern beziehungsweise wissenschaftlichen Institutionen betriebene Wissenschaftskommunikation könne insbesondere mithilfe von Social Media und professionalisierter PR Mängel des Wissenschaftsjournalismus ausgleichen, erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht realistisch."
Ein Vorschlag wäre daher, die institutionelle Wissenschaftskommunikation in Deutschland künftig stärker zu bündeln und – etwa nach dem Vorbild von Forschungsverbünden – zu restrukturieren. Solche "Kommunikationsverbünde" von mehreren Einrichtungen, in denen zum gleichen wissenschaftlichen Oberthema geforscht wird, wären dann auch weniger der Reputationskommunikation einer einzelnen Einrichtung verpflichtet, sondern könnten mehr Wissenschaftskommunikation im eigentlichen Sinne über ein bestimmtes Forschungsfeld betreiben. Schon in Pandemiezeiten hätte sich so ein institutionenübergreifender Kommunikationsverbund angeboten, der die Erkenntnisfortschritte aus allen beteiligten Einrichtungen beispielswiese in einer täglichen Morgenlage sichtet, bewertet und dann konzertiert kommuniziert. Stattdessen sah man aber meist viele unkoordinierte Kommunikationsaktivitäten und Einzelmitteilungen, die medial oft unter der Wahrnehmungsgrenze blieben und in ihrem Gehalt mitunter nicht über die Botschaft hinausgingen, dass auch Institution X irgendetwas mit Corona-Bezug erforsche. Eine weitere, grundsätzliche Empfehlung an die institutionelle Wissenschaftskommunikation lautet, sich wieder stärker auf die qualitativ anspruchsvolle Unterstützung immer noch reichweitenstarker Intermediäre im Journalismus zu konzentrieren,
All dies setzt jedoch den Willen zum Umdenken vor allem in den Leitungsebenen der Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen voraus, sich von der wettbewerbsgetriebenen Reputationskommunikation für die eigene Einrichtung zu entfernen und zu einer Wissenschaftskommunikation zu bewegen, bei der die wissenschaftliche Forschung selbst im Mittelpunkt steht. Die Wissenschaftspolitik und die Förderorganisationen müssten ebenfalls entsprechende Förderanreize setzen. Derzeitige Fehlanreize, das Rennen um Forschungsfördermittel nun schlicht auf ein weiteres Rennen um Forschungskommunikationsmittel auszudehnen, werden dies nicht erreichen – ganz abgesehen davon, dass so manche Anträge auf Fördermittel für Kommunikation, die man als Gutachter auf den Tisch bekommt (nach dem Motto "Wir drucken Broschüren und machen ein paar Social-Media-Kanäle auf"), fast ein Fall für den Rechnungshof wären.
Eine stärker gebündelte Kommunikation seitens der Wissenschaft, die – etwa in den skizzierten Kommunikationsverbünden – Bildung und Information strikt von Werbung und bloßer Selbstvermarktung trennt und tatsächlich zum Dialog einlädt, dürfte dann auch in der Öffentlichkeit mehr Vertrauen finden als eine einrichtungszentrierte Hochglanzkommunikation, wie man sie sich von der Industrie abgeschaut hat. Wie erfolgreich seriöse Informationen über und aus der Wissenschaft tatsächlich in der Öffentlichkeit künftig ankommen werden, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie gut die Wissenschaft selbst ihre eigenen Standards auch in der Kommunikation einhält und erläutert. Vorschläge gibt es genug: Hierzu gehört etwa Klarheit über die Rolle der Kommunizierenden, sodass deutlich wird, ob der Vertreter einer Forschungseinrichtung als Experte beziehungsweise Expertin oder als Privatperson kommuniziert.
Ein neues Verständnis von Wissenschaftskommunikation
Letztlich könnte hieraus auch ein neues Verständnis oder gar eine Neudefinition des Begriffs "Wissenschaftskommunikation" entstehen. Betrachtet man diese in ihrer Gesamtheit, so spricht im Unterschied zu bisherigen Definitionen viel dafür, den wahrscheinlichen Wahrheitsgehalt des Kommunikationsinhalts in den Mittelpunkt der Definition zu rücken. Wenn Wissenschaftskommunikation primär eine orientierende Funktion für Politik und Gesellschaft zukommt, so wäre darunter vor allem jene Art von Kommunikation zu verstehen, die sich neben einer guten Kommunikation auch an wissenschaftlichen Standards orientiert. Dies kann für Wissenschaftsjournalismus, der möglichst systematisch versucht, die bestmögliche Evidenz zu einem Thema zusammenzutragen, ebenso gelten wie im Falle einer wissenschaftlichen Institution, die in ihrer Kommunikation neben den eigenen Errungenschaften auch Vorarbeiten anderer Universitäten oder gar widersprüchliche Ergebnisse mitkommuniziert.
Als wenig wissenschaftlich und somit auch nicht als Wissenschaftskommunikation im Wortsinne wäre demnach all jene Kommunikation einzustufen, die bewusst wissenschaftliche (und damit im Übrigen auch einige wissenschaftsjournalistische) Standards verletzt. Dazu zählt potenziell bereits jede Pressemitteilung, die einseitig eigene Forschungsergebnisse bejubelt, ohne deren Grenzen und Unsicherheiten aufzuzeigen und die Resultate zumindest grob in die bisherige wissenschaftliche Literatur einzuordnen. Immerhin wäre das gezielte Weglassen anderer relevanter Ergebnisse oder Vorarbeiten nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis bereits wissenschaftliches Fehlverhalten. Auch im Journalismus wäre eine solche versäumte Einordnung oder unterlassene Einholung mindestens einer zweiten Einschätzung zum berichteten Ergebnis ein Verstoß gegen gute journalistische Berufspraxis.
Ein Weg zu einem solchen neuen Verständnis wären innerhalb der Wissenschaft auch Förderanreize zur Umsetzung von Vorschlägen zur Qualitätssicherung, wie sie schon mehrfach skizziert wurden.
Womöglich bietet sich für diese Art der Wissenschaftskommunikation im Wortsinne auch ein ganz neuer Begriff an, etwa "evidenzbasierte Kommunikation" oder schlicht "Wissenschaftsinformation" – in Abgrenzung von jener primär interessengeleiteten oder persuasiven Wissenschaftskommunikation, die wissenschaftliche Standards oft geradezu selbstverständlich ignoriert. Dann wäre die eingangs erwähnte Abgrenzung des Wissenschaftsjournalisten von anderen Bereichen der Wissenschaftskommunikation zwar immer noch nicht obsolet, aber die Zusammenfassung unter einem neuen gemeinsamen Oberbegriff für ihn womöglich weniger problematisch.