"Wissen entsteht geschichtlich."
Eine Besonderheit des berühmten Buches von Aristoteles besteht darin, dass der griechische Philosoph seine Sicht auf das urtümliche Verlangen der Menschen nach Wissen, das am Ende des Sammelns nach Ordnung verlangt, nicht nur konstatierte, sondern seine Haltung begründete: Alle Menschen strebten nach Wissen, so Aristoteles, weil sie Freude an der Wahrnehmung der Welt hätten. Mit dem Vergnügen am sinnlichen Zugang zu den Dingen meinte er vor allem das Sehen mit den Augen, die sich bekanntlich am Schönen erbauen. Das deutsche Wort "Wahrnehmung" heißt in der zitierten Metaphysik aisthesis, und nachdem aus dieser leichtfüßigen Idee im Laufe der abendländischen Geschichte der eher schwerfällige Begriff "Ästhetik" geworden ist, kann man sagen, dass Menschen nach Wissen streben, weil sie der Welt eine ihnen gefällige harmonische Ordnung geben wollen.
Wer hier einwendet, dass damit doch eine Ordnung der Wirklichkeit und nicht eine Ordnung des Wissens gemeint ist, darf daran erinnert werden, dass es zu den eindrucksvollsten philosophischen Lektionen des frühen 20. Jahrhunderts gehört, dass Physiker erkannten, dass ihre Wissenschaft nicht von der Natur handelt, sondern vom Wissen, das Menschen über die Natur erst gewonnen und dann in ihren Lehrbüchern aufgeschrieben haben, wo es schließlich strukturiert zu finden ist. Die Ordnung des Wissens muss die Ordnung der Wirklichkeit zeigen, die sich umgekehrt in der Wissensordnung widerspiegelt, und um dieses historisch-dynamische Wechselspiel haben sich in der Geschichte der europäisch-abendländischen Kultur vor allem die Naturwissenschaften verdient gemacht.
Kuriositäten
Bevor ich in diesem Essay dem eingangs zitierten Satz "Wissen entsteht geschichtlich" nachgehe, möchte ich auf zwei Kuriositäten aufmerksam machen, die zur Frage der Wissensordnungen gehören und gerade durch ihren Witz zum Nachsinnen anregen können. Die erste besteht in dem bekannten, bösen Verdikt des antisemitischen Fundamentalontologen Martin Heidegger, der 1951 öffentlichkeitswirksam erklärte: "Die Wissenschaft denkt nicht."
Wenn unter den bisherigen Vorgaben über Wissensordnungen gesprochen werden soll, dann wird auffallen, dass paradoxerweise philosophisch orientierte Fachleute, die selbst über kein Wissen verfügen, den Naturforscherinnen und Naturforschern erklären möchten, wie sie ihre Einsichten ordnen können. So seltsam es auch klingen mag, aber diese Arbeitsteilung zwischen Denkenden und Wissenden hat funktioniert. Seit die Naturwissenschaften unter Anleitung der Physik die Wirklichkeit erkunden und das dabei erworbene Wissen in oftmals mathematisch formulierbare Gesetze zu fassen gelernt haben, kennen und schreiben Menschen Lehrbücher und Kompendien, in denen das Gefundene eine (alphabetische oder sonstige) Ordnung bekommt. Dabei ist dem grantelnden Göttinger Gelehrten Georg Christoph Lichtenberg bereits im 18. Jahrhundert etwas aufgefallen, das er unnachahmlich in seinen "Sudelbüchern" notiert hat: "Ein etwas vorschnippischer Philosoph, ich glaube Hamlet, Prinz von Dänemark, hat gesagt, es gäbe eine Menge Dinge im Himmel und auf der Erde, wovon nichts in unseren Kompendien stände. Hat der einfältige Mensch, der bekanntlich nicht recht bei Trost war, damit auf unsere Kompendien der Physik gestichelt, so kann man getrost antworten: gut, aber dafür stehen auch wieder eine Menge von Dingen in unseren Kompendien, wovon weder am Himmel noch auf der Erde etwas vorkommt."
Und damit sind wir bei der zweiten Kuriosität: Man muss tatsächlich Obacht geben und sollte gerade im Bereich der Naturwissenschaften daran denken, wie rasch die Modelle oder die Bildchen, mit denen das aktuell erworbene Wissen erfasst und vorgeführt wird, in die Irre führen können, indem sie eine Ordnung vorspiegeln, die es in der Wirklichkeit gar nicht gibt. Als ein einfaches Beispiel sei auf das Modell des Atoms verwiesen, das Niels Bohr kurz vor dem Ersten Weltkrieg vorlegen konnte und das ihm in den 1920er Jahren Nobelpreisehren eingetragen hat. In diesem eingängigen und anschaulichen und heute noch in vielen Köpfen präsenten Bild des Atoms umkreisen Elektronen einen Kern wie die Planeten die Sonne, nur dass man heute sicher sagen kann, dass es diese Bahnen von Elektronen in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt. Sie entstehen erst und nur dann, wenn Menschen sie beschreiben. Ebenso wenig gibt es in der Natur all die Kügelchen, die Atomkerne und ihre Elementarteilchen in den populären Magazinen darstellen sollen, kommen die lustigen Figuren auch noch so bunt daher.
Was die Lebenswissenschaften angeht, so konnten sie in Form der Molekularbiologie in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ungeheure Triumphe bei der Erklärung der genetischen Vorgänge in Zellen feiern, was vor allem der zentralen Struktur zu verdanken ist, die als elegante Doppelhelix aus DNA den Stoff zeigt, aus dem die Gene sind, und dabei zur Ikone der neuen Biologie geworden ist. Tatsächlich aber gibt es diese schicke DNA in der zellulären Wirklichkeit keinesfalls in der reinen und nackten Form, in der sie in Lehrbüchern und populären Fernsehsendungen dem Publikum vorgesetzt wird. Es ist überhaupt nicht möglich, das Innere einer Zelle in einem statischen Bild zu erfassen, auf dem sich eine solide Ordnung zeigt. Wenn man eines sicher über das Leben auf diesem Niveau sagen kann, dann dies, dass man dort auf ein wimmelndes und verschränktes Gewebe trifft, dessen dynamische Strukturierung dem derzeitigen Wissen unverständlich und unzugänglich bleibt.
Wege des Wissens
Wer über Wissensordnungen schreibt, kann zwei historische Wege ihres Werdens verfolgen: Der erste führt von außen nach innen, der zweite geht von der einfachen physikalischen über die raffiniertere chemische zur komplexen organischen Wirklichkeit, ohne damit an ein Ende zu kommen.
Mit der zuerst genannten Bewegung des Wissens ist die historische Tatsache gemeint, die an die Vorstellung des Aristoteles anschließt, der zufolge das Wissen vor allem durch das Sehen gewonnen wird. Die Augen der neugierigen Menschen richteten sich zuerst auf den Himmel, nicht zuletzt, weil es dort wundersame Konstellationen von flimmernden Lichtern zu beobachten gibt, um deren Deutung sich erste Astrologen bemühten. Natürlich beobachtete man auch Phänomene auf der Erde – etwa das Eintreten von Hochwasser, die Erträge von Böden oder die Vermehrung von Herden – und Erscheinungen am eigenen Körper. Aber die größte Faszination ging von den Sternen aus, die als Himmelskörper bald von Planeten – bezeichnet nach dem griechischen Wort für "Wanderer" – unterschieden wurden, deren Bewegungen am Firmament man auf göttliches Wirken zurückführte. Aus diesem Grund mussten ihre Umlaufbahnen kreisförmig sein, und jedem Himmelskörper wurde folglich eine eigene Sphäre zugewiesen, was eine harmonische Ordnung der sichtbaren Welt ergab, die sogar die Revolution des Kopernikus überlebte. Zwar hatte der polnische Domherr im 16. Jahrhundert die Erde aus dem Zentrum der Welt genommen, sie an den Himmel gestellt und die Menschen damit mutig näher zu den Göttern erhoben. Aber auch bei ihm bewegten sich die Planeten in den alten Sphären, für die man transzendente Erklärungen bot.
Dies änderte sich erst mit Johannes Kepler, der mit seinem festen Glauben an die Bedeutung von Zahlen bemerkte, dass die Himmelskörper auf elliptischen Bahnen unterwegs waren, und dafür konnte man keine Götter verantwortlich machen, bringen diese doch nur perfekte Kreise hervor. Kepler wusste jetzt, dass die Ordnung am Himmel nicht transzendent, sondern immanent erklärt werden musste, und es war schließlich Isaac Newton, der die damit verbundene Aufgabe löste und mit seinem Werk die Forschungsrichtung begründete, die heute als Physik "eine Naturwissenschaft mit Sonderstellung" geworden ist. Diese Disziplin hat es nämlich "mit den Erscheinungen der gesamten Natur zu tun", und so haben "ihre Grundbegriffe überfachliche Bedeutung".
Als die heute als klassisch gefeierte Physik in der beschriebenen Form mit den Newtonschen Gesetzen der Bewegung ihre eigene Dynamik aufnahm und ihr historisches Werden einsetzte, gab es weder eine Wissenschaft von der Chemie noch eine Biologie im heutigen Sinne. Alchemisten, die sich schon länger um die Gewinnung von wertvollen Substanzen wie Gold aus eher wertlosem Material wie Blei bemüht hatten, wussten einfach zu wenig, um Erfolg zu haben. Und schon bei Aristoteles lassen sich Ideen über eine große Kette der Lebewesen finden, deren Begründung aber erst dem britischen Naturforscher Charles Darwin gelungen ist, als er im 19. Jahrhundert vorschlug, die Vielfalt der Arten durch einen evolutionären Prozess zu erklären.
Bereits vor Darwins großem Gedanken konnte eine modern werdende Chemie erste Erfolge erzielen, was nicht nur die "Wahlverwandtschaften" der Elemente in den Reagenzgläsern erklären konnte, die Johann Wolfgang von Goethe faszinierten und zu einem Roman mit diesem Titel inspirierten, sondern die auch den Aufbau von entsprechenden Industrieanlagen ermöglichte, die mit steigenden Umsätzen daran gingen, eigene Forschungslaboratorien einzurichten. Wissenschaft wurde so zum Beruf, und mithilfe dieser lukrativ werdenden Professionalisierung nahm das Wissen nicht nur der Chemie im Verlauf des 19. Jahrhunderts dermaßen zu, dass seine Fülle spätestens im 20. Jahrhundert nach einer übersichtlichen Ordnung verlangte, die es schließlich auch bekam.
Aufbau der realen Welt
1949 veröffentlichte der Philosoph Nicolai Hartmann sein Buch "Aufbau der realen Welt", das den Grundriss einer allgemeinen Kategorienlehre versprach. Wie es von einem Mitglied der denkenden Zunft zu erwarten ist, ging es Hartmann um "die Stellung des Menschen in der Natur", was für ihn die Aufgabe bedeutete, die Krone der Schöpfung auf "den Boden der Ontologie, der Lehre vom Sein, vom Aufbau der realen Welt" zu stellen. Für Hartmann galt, der historische Mensch "entsteht erst in dieser Welt", und es schien ihm offensichtlich, dass die säkulare Wirklichkeit "nicht in einer einzigen Seinsart aufgeht, sondern vielmehr ein Stufenreich bildet", was er dann im Detail ausführte.
In einer unter dem Titel "Einführung in die Philosophie" publizierten und von Hartmann genehmigten Nachschrift seiner Vorlesungen, die im Sommersemester 1949 in Göttingen gehalten worden sind, kann man nachlesen, wie sich der Philosoph die Schichten des realen Seins – und damit die Ordnung des menschlichen Wissens – kurz und knapp vorstellte: "Es lassen sich (wie die Zeichnung [Abbildung] verdeutlichen soll) vier Schichten in der realen Welt ausmachen: Materie (Anorganisches), Organisches, Seelisches und Geist. Der Extension nach ist die materielle Schicht die größte. Je höher die Schicht, um so weniger verbreitet ist sie. Nur auf einem kleinen Teil des anorganischen Seins baut sich das organische auf, wieder nur in den am höchsten entwickelten organischen Gebilden findet sich Seelisches, und nur in einer Art der beseelten Lebewesen gibt es Geist."
Bevor mehr zu den einzelnen Schichten gesagt wird, soll zitiert werden, wie der Verhaltensforscher Konrad Lorenz Hartmanns Schichten des realen Seins in seinem Werk über "Die Rückseite des Spiegels" bewertet, in dem der Ethnologe den "Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens" unternimmt. Lorenz schreibt: "Der überzeugendste Beweis für die ontologische Richtigkeit [der Hartmannschen Schichtenordnung] ist in meinen Augen, dass sie, ohne auf die Tatsachen der Evolution im geringsten Rücksicht zu nehmen, dennoch genau mit ihnen übereinstimmt, ähnlich wie jede gute vergleichende Anatomie es tut, selbst wenn sie vor den Erkenntnissen Darwins entwickelt wurde. Die Schichtenfolge der großen Hartmannschen Seinskategorien stimmt schlicht und einfach mit der Reihenfolge ihrer erdgeschichtlichen Entstehung überein. Anorganisches war auf Erden sehr lange vor dem Organischen vorhanden, und im Verlauf der Stammesgeschichte tauchten erst spät die Zentralnervensysteme auf, denen man ein subjektives Erleben, eine ‚Seele‘ zuschreiben möchte. Das Geistige schließlich ist erst in der allerjüngsten Phase der Schöpfung auf den Plan getreten."
An dieser Stelle kann ergänzt werden, dass es Goethe in seinen Nachträgen zur Farbenlehre als Aufgabe der Wissenschaft beschreibt, die Wirkungen der Natur, "von der gemeinsten bis zur höchsten, vom Ziegelstein, der dem Dache entstürzt, bis zum leuchtenden Geistesblitz", in eine Reihung zu bringen, für die er einen Vorschlag macht, in dem sich unschwer die Seinsschichten des Philosophen Hartmann wiederfinden lassen. Bei Goethe bekommt die Ordnung der Wirklichkeit und des Wissens das folgende Aussehen (von "unten" nach "oben" beziehungsweise von einfach zu komplex): "Zufällig, Mechanisch, Physisch, Chemisch, Organisch, Psychisch, Ethisch, Religiös, Genial."
Wissenschaft und ihre Disziplinen
Tabelle: Einige Schichten des Körpers und ihre Wissenschaften (© Ernst Peter Fischer)
Tabelle: Einige Schichten des Körpers und ihre Wissenschaften (© Ernst Peter Fischer)
Keine Frage, dass mit dieser Stufung ein Vorbild für die moderne Wissenschaft geschaffen worden ist, das dazu dienen kann, ihre disziplinäre Ordnung zu verstehen, wie sie sich seit den Anfängen ihrer Geschichte herausgebildet hat und die sich für viele Themenbereiche verfeinern lässt. In der Tabelle ist dies in Anschluss an Hartmann für die Schichtenfolge des Organischen zusammengestellt.
Die Entwicklung dieser Anordnung des Wissens wird ermutigt durch Hartmanns Hinweis, dass "die höheren Gebilde, aus denen die Welt besteht, ähnlich geschichtet sind wie die Welt".
Wohlgemerkt: Für jede real vorliegende Schicht gibt es eine eigene Wissenschaft, die ihre besonderen Fragestellungen kennt und aufpassen muss, dabei keinen Denkfehler zu begehen. Während Organismen wie ein Mensch zum Beispiel einen Willen zeigen und sich etwas wünschen können, bleiben den Zellen Qualitäten dieser Art verschlossen. Zellen wollen nichts, auch wenn es so aussieht, als ob sie davon träumen, sich zu teilen und aus eins zwei zu machen. Wenn sie dies unternehmen, verfolgen sie keine Absicht, vielmehr laufen in ihnen kausal zu verstehende Prozesse ab, über die man selbst oder auch mit anderen ruhig staunen darf. Wenn dies geschieht, kann es schon passieren, dass Biologen vom "Tanz" der Chromosomen oder der "Gefangenschaft" von Zellen in Körpern sprechen. Aber die Freude an solchen Metaphern darf nicht zu Kategorienfehlern führen, wie sie passieren, wenn etwa von "der DNA" eines Fußballvereins die Rede ist oder Gene als "egoistisch" beschrieben werden und man meint, damit das Erbgut verstanden zu haben. Egoismus setzt eine Absicht voraus, und diese Kategorie taucht in der molekularen Schicht nicht auf.
Top-down und Bottom-up
Die Tatsache, dass sich reale Körper Schicht um Schicht erkunden lassen, ermöglicht zwei Zugänge zu dem vertrauten Ganzen, das einen Organismus ausmacht, nämlich einmal von außen in ihn hinein und einmal von innen aus ihm heraus. Für diese beiden Wege hat sich im Wissenschaftsjargon auch eine andere Ausdrucksweise eingebürgert, nämlich die beiden englischen Bezeichnungen top-down und bottom-up, die ausdrücken, dass man zum einen die Schichtenstruktur von oben nach unten durchqueren kann, also vom Organismus zu den Zellen gelangt und tiefer reicht, und dass sich zum zweiten auch umgekehrt vorgehen lässt und mit den Atomen die Moleküle und mit den Geweben die Organe aufgebaut werden können, dass also der Weg von unten nach oben zu finden ist und sich dabei das Ganze verstehen lässt, das man vor Augen hat und in seiner Funktion begreifen möchte.
Wenn man ernst nimmt, dass der gezeigte Schichtenaufbau der realen Welt maßgeblich Auskunft über jedes Sein gibt – also über das Sein im Kleinen und Großen und also auch über die kosmischen Entitäten –, dann kann man sich überall auf die Suche nach den entsprechenden Ebenen machen und zum Beispiel in der kosmischen Welt fündig werden. Die Schichten wären dann (hier vom höchsten zum niedrigsten Sein): Kosmos, Galaxienhaufen, Galaxien, Sternhaufen, Planetensysteme, Planeten – von wo aus man etwa über "geologische Formationen" weiter einteilend fortfahren könnte.
Es bleibt an dieser Stelle offen, ob mit dieser Hierarchie und diesen Schichten ebenso eine oder ihre Geschichte erfasst wird, wie es bei den Fundamentalebenen dank der Idee der Evolution gelungen ist. Es ist aber offenkundig, dass die Schritte von den Planeten über die Galaxien bis hin zu den von ihnen gebildeten Haufen die historische Reihenfolge ihrer Findung widerspiegeln, sodass sich auch an diesem Weltbild zeigt, dass zu ihm eine Geschichte gehört oder von ihm eine Geschichte erzählt wird – in diesem Fall die ihrer Entdeckung.
Wer mit der philosophischen Vorgabe von realen Schichten nicht bei den Sternen stehen bleiben, sondern weitermachen will, kann sich zum einen davon überzeugen, dass alle stabilen Strukturen der Welt in dieser hierarchischen Weise aufgebaut sind, und er kann zum zweiten anfangen, sich darüber zu wundern, dass es für diesen eigentlich in die Augen springenden und unübersehbaren Sachverhalt noch keine plausible Erklärung gibt, die als Allgemeingut zirkuliert und selbstverständlich ist. Dabei ist jedes Wirtschaftsunternehmen, jeder staatliche Aufbau (Staat, Land, Kreis, Gemeinde, Bürger), jede Klassifikation von biologischen Arten durch eine aufeinanderfolgende und übereinanderliegende Folge von Schichten gekennzeichnet, was als schlichte Tatsachenerfahrung gar nicht übersehen kann, wer sich der Wahrnehmung der Welt zuwendet. Natürlich hat es Bemühungen gegeben, das Auftauchen neuer Merkmale auf höheren Organisationsebenen durch Begriffe wie "Emergenz" oder "Fulguration" verständlich zu machen, die neue Eigenschaften ankündigten, die in den Komponenten der unteren Schicht nicht auszumachen waren. Aber so verständlich und einleuchtend das "Auftauchen" oder der "Blitzeinschlag" auch klingen mochten, über die reine Deskription der Hartmannschen Aufbauidee mit ihren aufruhenden Qualitäten kommen solche Vorschläge nicht hinaus.
Und noch etwas: Was die Hierarchie des Makrokosmos angeht, so ist ebenso selbstverständlich wie leicht einsehbar, dass die Komponenten des Ganzen, also seine Teilchen und Teile, bottom-up funktionieren, und die Eigenschaften von unten nach oben im Großen bestimmen oder auf jeden Fall mit zu ihnen beitragen. Inzwischen denken die Physiker aber auch in die andere Richtung – top-down – und versuchen, etwa die Eigenschaften von Elektronen – ihre Ladung und ihre Masse zum Beispiel – aus den Qualitäten abzuleiten, die dem ganzen Weltall zuzurechnen sind.
Mit anderen Worten: Die Welt besteht aus Atomen und bestimmt die Atome. Ein Mensch besteht aus Zellen und beeinflusst seine Zellen. Zellen werden von Genen gebildet und bilden ihre Gene selbst. Es ist im Großen wie im Kleinen dieselbe Art der Dynamik der Teile im Ganzen. Alles ist, wie es geworden ist, und alles zeigt ein weiteres Werden, wenn es erst einmal da ist. Dieses Bewegen bringt eine neue Ontologie und damit ein neue Ordnung des Wissens mit sich. So entsteht seine Geschichte.