Den prominentesten Whistleblowern unserer Zeit und ihren Helfern geht es nicht gut. Edward Snowden, der die anlasslose weltweite Kommunikationsüberwachung des US-Geheimdienstes NSA öffentlich machte, muss als neurussischer Staatsbürger in Moskau leben. Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, ist Opfer einer seit fast 13 Jahren andauernden kafkaesken Freiheitsberaubung ohne Anklage. Chelsea Manning, die Kriegsverbrechen US-amerikanischer Soldaten im Irak aufdeckte, versuchte sich in einem US-Gefängnis umzubringen. Nur der unlängst mit 92 Jahren verstorbene Daniel Ellsberg, der der "New York Times" die "Pentagon Papers" zuspielte und so enthüllte, dass die US-Regierung jahrelang Öffentlichkeit und Kongress über den Vietnamkrieg belogen hatte, konnte ein relativ ungestörtes Leben genießen. Grob illegale Machenschaften der Nixon-Administration ließen den gegen ihn angestrengten Prozess platzen.
Die USA als zweifelhaftes Vorbild
Demokratische Rechtsstaaten – an ihrer Spitze die USA – haben ein schwieriges Verhältnis zu denjenigen, die aus Gewissensgründen und mit den besten Intentionen Staatsgeheimnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen. Auch wenn diese Whistleblower weiten Teilen der Öffentlichkeit als Helden gelten: Ihre staatliche Verfolgung ist eben darum kaum weniger gnadenlos. Explizites Ziel dieser Verfolgung ist die Vergeltung der als Verrat
All das ist umso bemerkenswerter, als gerade die USA als Mutterland der Whistleblower-Schutzgesetzgebung gelten.
Diese Schutzgesetzgebung kommt denen, die echte oder vermeintliche staatliche Fehlentwicklungen aufzudecken suchen, aber regelmäßig nicht zugute. Ursächlich dafür sind vielfältige Ausnahmen im Hinweisgeberschutz.
Die Geheimhaltung staatlicher Informationen ist damit – wie es sich schon in der seinerzeit mit wahlentscheidenden Affäre um den richtigen Umgang mit E-Mails durch die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton abzeichnete – auch über den Kreis der eigentlichen Whistleblower-Problematik hinaus zu einem zentralen Instrument der politisch-administrativen Auseinandersetzung avanciert. Das erscheint umso problematischer, als in einer Situation grassierender overclassification der rechtlich einwandfreie Umgang mit den staatlichen Geheimhaltungsverlangen immer komplexer und unberechenbarer wird.
Die exzessive Einstufung staatlicherseits verwalteter Informationen ist dabei vielfältig motiviert. Sie dient den Institutionen und den einzelnen Amtsträgern als Instrument eigener Absicherung gegenüber politischer und haftungsrechtlicher Verantwortlichkeit. Sie entspricht dem schon von Max Weber eingehend beobachteten und analysierten bürokratischen Impuls zur Sicherung des eigenen überlegenen Wissens gegenüber dem Informationsverlangen Dritter und der Öffentlichkeit.
Die Geheimhaltung erlaubt darüber hinaus insbesondere den Spitzen der Exekutive einen strategischen Umgang mit Herrschaftswissen. Die gezielte selektive Offenbarung eigentlich als geheim klassifizierter Informationen ist ein wesentliches Instrument im Umgang mit den Medien, der Öffentlichkeit und mit dem politischen Gegner. Zu Recht wird in der einschlägigen Literatur darauf hingewiesen, dass die allermeisten und praktisch bedeutsamsten informationellen Leaks von den politischen Behördenleitungen lanciert werden. Diese Durchstechereien an interessierte Kreise oder die Medien sind ein wesentliches politisches Machtinstrument, das seinerseits auf der Basis einer ausgeprägten Geheimhaltungskultur floriert. Strafrechtlich verfolgt werden diese High-Level-Leaker nur in den seltensten Fällen. So erweist sich auch die strafrechtliche Verfolgung von unautorisierten Informationsweitergaben in ihrer Selektivität noch als ein wichtiges Instrument politischer Opportunität.
Whistleblowing in Deutschland
Deutschland ist sicher keine Gesellschaft mit einer ausgeprägten Kultur des Whistleblowings. Dem steht die traditionelle Praxis der administrativen Regelgeheimhaltung und Amtsverschwiegenheit ebenso entgegen wie die Diskreditierung jeden "Denunziantentums" durch die entsprechenden Negativerfahrungen unter dem Nationalsozialismus und in der DDR. Immerhin zählt die "Spiegel-Affäre" von 1962 – nicht zuletzt wegen der Darstellung durch den "Spiegel" selbst
Für die rechtliche Beurteilung des Whistleblowings avant la lettre im Nachkriegsdeutschland wurde dann Werner Pätsch zur anstoßgebenden Figur. 1963 hatte Pätsch – Edward Snowden nicht unähnlich
Für Werner Pätsch dagegen kam ein solches rechtsstaatliches Augenzwinkern nicht zur Anwendung. Die Bundesanwaltschaft brachte seine Tat als staatswohlgefährdende Preisgabe von Staatsgeheimnissen zur Anklage und forderte zwölf Monate Haft ohne Bewährung. Der Bundesgerichtshof (BGH) dagegen war in seinem Urteil
Pätsch half diese Rechtsprechung nur teilweise. Der BGH übernahm nämlich – wenig plausibel – die rechtliche Argumentation des Verfassungsschutzes, wonach die eigene Überwachungstätigkeit durch die alliierten Kontrollbefugnisse gedeckt gewesen sei. Immerhin aber berücksichtigte er die inneren Vorstellungen und Intentionen Pätschs und verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Verletzung der Amtsverschwiegenheit lediglich zu vier Monaten Haft auf Bewährung.
Die hier entwickelte – und auch vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligte
Das Hinweisgeberschutzgesetz und seine Defizite
Neuere Whistleblower-Schutzgesetze relativieren daher den rechtlichen Vorrang des internen Beschwerdeweges oder schaffen ihn gänzlich ab. Das gilt auch für die Whistleblower-Richtlinie der Europäischen Union, deren Umsetzung Deutschland erst unlängst und nur mit erheblicher Verspätung gelungen ist. Kern der Umsetzung ist das Hinweisgeberschutzgesetz vom 31. Mai 2023.
All diese neuen Möglichkeiten des Whistleblowings in der öffentlichen Verwaltung werden aber durch die Regeln des Hinweisgeberschutzgesetzes über den Schutz von Staatsgeheimnissen entscheidend relativiert. Danach fällt eine Meldung oder Offenlegung dann nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes, wenn sie Informationen beinhaltet, die die nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates berühren. Ausgenommen werden auch alle Informationen von Nachrichtendiensten oder von Einrichtungen mit vergleichbar "sicherheitsempfindlichen" Aufgaben. Nicht umfasst sind zudem Informationen, die die Vergabe sicherheitsrelevanter öffentlicher Aufträge und Konzessionen betreffen.
Der deutsche Umsetzungsgesetzgeber beruft sich zur Rechtfertigung dieser weitreichenden Ausnahmen auf entsprechende Beschränkungen in der zugrundeliegenden EU-Richtlinie. In die Richtlinie sind diese Beschränkungen allerdings nicht aus inhaltlichen Gründen aufgenommen worden. Mit ihnen wird vielmehr allein auf die Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten Rücksicht genommen. Weil der EU im Bereich des Schutzes der nationalen Sicherheit die Regelungszuständigkeit fehlt, muss sie auf entsprechende Vorgaben verzichten. Eine sachliche Rechtfertigung für den Bundesgesetzgeber, im Sicherheitsbereich nicht einmal die Einrichtung interner Meldestellen vorzusehen, ergibt sich daraus nicht. Für den Bereich der Nachrichtendienste wird dieses Defizit allerdings wenigstens teilweise durch die Möglichkeit kompensiert, sich mit Eingaben zu innerdienstlichen Missständen an das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages zu wenden.
Noch weitergehend nimmt das Hinweisgeberschutzgesetz alle Meldungen oder Offenlegungen insoweit grundsätzlich vom Schutz aus, als sie Verschlusssachen betreffen – also solche Informationen und Erkenntnisse, die von der Verwaltung selbst als geheimhaltungsbedürftig eingestuft worden sind. Gerade diese generelle Ausnahme von Verschlusssachen ist dazu geeignet, den Schutz der Hinweisgeber weithin auszuhebeln. Denn die Einstufung als Verschlusssache kann zum einfach zu gebrauchenden Instrument in der Hand derjenigen werden, die Missstände zu verbergen suchen. Die allzu großzügige Ausnahme des Hinweisgeberschutzgesetzes für Verschlusssachen droht damit einen weiteren Anreiz zu einer pauschalen und überzogenen Geheimhaltungsklassifizierung von Verwaltungsvorgängen zu setzen. Wie im US-amerikanischen Recht droht auch für Deutschland eine weitere Verstärkung des ohnehin schon zu beobachtenden Trends zur "Überklassifizierung". Schon heute ist der Bundesverwaltung der Überblick über die Zahl der als Verschlusssachen eingeordneten Dokumente verloren gegangen. Der potenzielle Missbrauch der Klassifizierung als Verschlusssache liegt auch deshalb nahe, weil die Kriterien für diese Einordnung überaus unbestimmt und wenig restriktiv ausgestaltet sind und die Einordnung selbst keiner hinreichend effektiven Kontrolle und Überprüfung unterliegt.
Zu alledem ist der Bundesgesetzgeber in einem bemerkenswerten Ausdruck restaurativer bürokratischer Geheimhaltungssehnsucht
Besserung
Mit dem Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes ist die europäisch forcierte Chance zu einer substanziellen Erweiterung der Möglichkeiten des Whistleblowings im staatlichen Gemeinwesen einstweilig weithin vertan. Vertan ist damit auch die Chance zu einer antibürokratischen, transparenzorientierten Stärkung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Vertan ist schließlich die Gelegenheit zu einer Klärung und einfachgesetzlichen Konkretisierung der grundrechtlichen Aspekte des Whistleblowings. Anders als der US-Supreme Court
Künftige Verbesserungen des Hinweisgeberschutzgesetzes bleiben deshalb ein dringendes Desiderat. Kern dieser Reformen sollte die breite und effektive Zugänglichkeit einer zentralen Meldestelle für behördeninterne Missstände auf der Ebene des Bundes und der Länder sein. Die vom Hinweisgeberschutzgesetz in dieser Richtung unternommenen, nicht einmal halbherzig zu nennenden Schritte müssen mutig ausgreifend verstärkt werden. So muss den externen behördlichen Meldestellen die Kompetenz auch zur Prüfung von Informationen aus Verschlusssachen zugestanden werden. Die bloße Verschlusssachenklassifizierung darf künftig kein Instrument der Verschleierung behördlicher Missstände mehr sein. Zugleich sollte die Klassifizierungspraxis selbst kritisch hinterfragt und einer effektiven Kontrolle unterworfen werden. Und schließlich wären auch die Bedingungen zu klären, unter denen auch eine Offenlegung von staatlichem Fehlverhalten als grundrechtlich geschützter Dienst an der Gemeinschaft anzuerkennen ist.