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Whistleblowing Nation | bpb.de

Whistleblowing Nation Kleine Geschichte der Offenlegung von Staatsgeheimnissen

Hannah Gurman Kaeten Mistry

/ 18 Minuten zu lesen

Die Geschichte des Whistleblowings ist auch eine Geschichte der staatlich bekämpften Offenlegung von Informationen aus dem Bereich der nationalen Sicherheit in den USA. Dabei zeigt sich: Die Schicksale von Whistleblowing und Demokratie sind eng miteinander verknüpft.

Denkt man an WikiLeaks, an die weltweite Kommunikationsüberwachung ohne Rechtsgrundlage oder die "Panama Papers", wird man konstatieren müssen: Das junge 21. Jahrhundert blickt schon auf eine lange Geschichte von Veröffentlichungen vertraulicher Informationen zurück. Enthüllungen von solch enormem öffentlichen Interesse gäbe es nicht ohne Whistleblower, ohne Menschen wie Chelsea Manning, Edward Snowden oder Reality Winner, die durch ihre Taten ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit katapultiert wurden. Und obwohl Whistleblowing oft als neuartiges Phänomen wahrgenommen wird, hat es doch eine lange Vergangenheit.

Im 20. Jahrhundert hat Whistleblowing vor allem im Bereich der nationalen Sicherheit der USA für die meisten Schlagzeilen gesorgt und die größten Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft gehabt. Gleichzeitig war es wohl schon immer die umstrittenste Form der Offenlegung von Informationen – und eine paradoxe noch dazu: Whistleblowing im Bereich nationaler Sicherheit ist einerseits weltweit als probates Mittel anerkannt, um Transparenz herzustellen. Andererseits wird es durch den Staat entschieden bekämpft. Im öffentlichen und gesellschaftlichen Diskurs gilt Whistleblowing als ein zentrales Merkmal von Demokratie, als Instrument gegen Missstände wie übermäßige staatliche Geheimhaltung, Korruption oder Machtmissbrauch. Weil sie im Namen des Gemeinwohls handeln, werden Whistleblower oft respektvoll in die Tradition des zivilen Ungehorsams gestellt. Regierungen weltweit lehnen diese Sichtweise jedoch entschieden ab und bestehen darauf, dass jede öffentliche Enthüllung von Informationen, die mit der Sicherheit des Staates zu tun hat, eine "unbefugte Weitergabe" sei, die die nationale Sicherheit bedrohe und eine existenzielle Gefahr darstelle.

Umstrittene Begriffe

Es mag an den Konflikten des 21. Jahrhunderts liegen, an den militärischen Interventionen in anderen Ländern oder der polarisierten Parteipolitik in den Vereinigten Staaten, dass Whistleblowern von vielen Menschen eine so hohe Bedeutung beigemessen wird. Doch die Offenlegung von Staatsgeheimnissen hat auch alte Kämpfe um die Definition des Begriffs "Whistleblowing" wieder aufleben lassen. Die Auseinandersetzung über die Wortbedeutung ist weit mehr als nur eine akademische Wortklauberei: Sie hat tiefgreifende Auswirkungen in der Realität.

Grundsätzlich lässt sich "Whistleblowing" als eine Handlung beschreiben, bei der jemand zugangsbeschränkte Informationen über unmoralisches, gefährliches, illegales oder betrügerisches Verhalten an die Öffentlichkeit bringt, das innerhalb einer privaten oder staatlichen Organisation passiert oder passiert ist. Umstritten ist allerdings, wer im Einzelfall als Whistleblower gelten darf und was genau mit Whistleblowing gemeint ist, wenn es sich auf die nationale Sicherheit bezieht.

Die US-Regierung versteht unter Whistleblowern im Bereich der nationalen Sicherheit ausschließlich Personen, die über offiziell gestattete interne Kanäle auf Verschwendung oder Betrug aufmerksam machen. Weil hierbei dem Vorrecht des Staates, Geheimnisse zu schützen, mehr Gewicht eingeräumt wird, fällt eine Informationsweitergabe an die Öffentlichkeit oder die Presse nach diesem Verständnis nicht unter Whistleblowing. Offenlegungen dieser Art werden vielmehr als Verbrechen betrachtet und so von anderen, "akzeptablen" Formen des Whistleblowings abgegrenzt. Eine grundlegende Prämisse des Whistleblowings wird damit explizit abgelehnt – die Offenlegung zugangsbeschränkter Informationen im Namen eines "öffentlichen Interesses". Manning, Snowden und Co. sind demnach keine Whistleblower, sondern Kriminelle.

Zwischen den Begriffen "Leaking" und "Whistleblowing" gibt es zwar Überschneidungen, doch sollte man sie auseinanderhalten, weil sonst wichtige Unterschiede verwischen. Häufig "leaken" ausgerechnet jene Beamte Informationen, die Whistleblower sonst für ihre Taten verdammen. Dies geschieht in der Regel anonym, ist politisch motiviert und gewissermaßen eine tragende Säule der Beziehung zwischen Presse und Staat; beide Seiten dieser symbiotischen Beziehung profitieren von den diskreten Hinweisen. Hochrangige Regierungsvertreter, die Informationen an die Presse weitergeben, werden deshalb auch nur selten bestraft. Beamte der mittleren Ebene hingegen, die zum Beispiel in den USA in der Zeit nach dem 11. September 2001 Informationen preisgegeben haben, wurden ausnahmslos identifiziert und strafrechtlich verfolgt.

Im öffentlichen Bewusstsein gelten Whistleblower als Insider, die im Namen des öffentlichen Interesses Geheimnisse aufdecken. Sie interessieren sich häufig nicht für Anonymität und lehnen es ab, ihre Enthüllungen nur organisationsintern anzusprechen. Die nach den Enthüllungen öffentlich ausgetragenen Debatten hängen sich typischerweise an diesen Einzelpersonen auf, die, je nach Blickwinkel, als Helden oder Bösewichte betrachtet werden. So werden nicht nur komplexe Persönlichkeiten in Zerrbilder ihrer selbst verwandelt, sondern auch das binäre Weltbild eines Sicherheitsstaates wird reproduziert, das jede Infragestellung einer Norm zum Hochverrat erklärt. Whistleblower werden dann schnell mit Überläufern, Spitzeln und Spionen in einen Topf geworfen – Begriffen aus der dunklen Welt der Spionage. So gerät leicht aus dem Blick, wie breit das Spektrum an Motiven und ideologischen Beweggründen für Whistleblowing gerade im Bereich der nationalen Sicherheit ist. In der Gegenüberstellung von Held und Bösewicht wird Whistleblowing entweder zur existenziellen Bedrohung für den Staat oder zu einem Versprechen auf Erlösung. Wunschvorstellungen und Horrorfantasien werden so zum Schauplatz für politische Kämpfe.

Die wesentliche ethische und moralische Dimension des Phänomens bleibt dabei ungeklärt und strittig. Was unter "öffentlichem Interesse" zu verstehen ist, ist seinem Wesen nach subjektiv und politisch umkämpft. Whistleblower, die von einer Ethik des Gemeinwohls angetrieben sind, handeln auf Grundlage ihres Verständnisses von Gemeinwohl, was sich in gleicher Weise auch von denjenigen behaupten lässt, die sie dann strafrechtlich verfolgen. Dass auch das Ego und die Aufmerksamkeit für die eigene Person hineinspielen, ist ebenfalls nicht zu leugnen. Einen einheitlichen Typus des Whistleblowers gibt es nicht.

Einmütigkeit darüber, wie Whistleblowing genau definiert oder beschrieben werden soll, wird es wohl niemals geben. Umso unerlässlicher ist die historische Perspektive auf das Phänomen. Denn sie erinnert uns daran, dass die Rahmenbedingungen, unter denen wir handeln, nicht naturgegeben, sondern historisch gewachsen sind. Nur wenn wir tiefer in die Vergangenheit eintauchen, können wir uns von den umkämpften Bezeichnungen und überstrapazierten Binaritäten freimachen. Über das vergangene Jahrhundert hinweg haben sich Whistleblower, Politiker, Interessengruppen, Intellektuelle, Schriftsteller und Filmemacher in gegenseitiger Bezugnahme an dem zentralen Paradox des Phänomens abgearbeitet. Die Geschichte des Whistleblowings ist die Geschichte dieses Streits.

Historische Perspektiven

Der Begriff des Whistleblowings entstand im 20. Jahrhundert im Kontext der besonderen politischen, rechtlichen und sozialen Gegebenheiten in den USA. Obwohl die damit gemeinhin assoziierten Themen auf eine längere Geschichte zurückblicken, ist Whistleblowing ein modernes Phänomen. Es entwickelte sich als Reaktion auf das exponentielle Wachstum und die zunehmend unkontrollierte Macht von Unternehmen und Staat.

Die Metapher des Whistleblowings stützt sich auf die Trillerpfeife als Sinnbild für Regulierung und Fairness. Seit Tausenden von Jahren als Musikinstrument und Spielzeug verwendet, wurde die Pfeife im viktorianischen England zum Symbol für die Durchsetzung von Regeln. Die in den frühen 1870er Jahren von Joseph Hudson entwickelte Messingpfeife wurde schnell zu einem Werkzeug für Polizisten und Fußballschiedsrichter. Sowohl bei der Polizei als auch beim Sport erregte der schrille Pfiff Aufmerksamkeit und signalisierte eine Unterbrechung, um etwaige Regelverstöße zu ahnden.

In einem der humoristischen Jeeves-and-Wooster-Romane von P.G. Wodehouse erzählt der weise Kammerdiener Jeeves die Geschichte eines Hauslehrers, der die "Rechtschreibung und Handschrift" seines albernen Herrn "mit der Trillerpfeife korrigierte" ("blew the whistle"). In Raymond Chandlers Kriminalroman "The Long Good-Bye" von 1953 droht ein knallharter Polizist, Detektiv Marlowe wegen Beihilfe zum Mord zu verhaften. "Kommen Sie, Marlowe", sagt er, "sonst werd ich Ihnen den Marsch blasen" ("I’m blowing the whistle on you"). Frühe Verwendungen der Metapher durch Politiker blieben zunächst vage. Der Wendepunkt kam in den frühen 1970er Jahren. Als die Risse in der amerikanischen Nachkriegsordnung und im gesellschaftlichen Konsens des Kalten Krieges immer größer wurden, entwickelte sich das Whistleblowing zu einer progressiven Philosophie und einem Kampfbegriff für Justizreformen. Stellte man damit zunächst die unkontrollierte Macht von Konzernen infrage, bezog man es schnell auch auf Fehlverhalten der Regierung.

Eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der Whistleblowing-Metapher als ehrenvolle staatsbürgerliche Handlung spielte Ralph Nader. Nach seinem Erfolgsbuch "Unsafe at Any Speed" von 1965, mit dem er die Einführung bundesweiter Sicherheitsstandards für Pkw angestoßen hatte, kam der 36-jährige Anwalt zu dem Schluss, dass man, um Unternehmen und Regierungen gegenüber der Öffentlichkeit zur Rechenschaft ziehen zu können, auf die Mitarbeit der in diesen Organisationen tätigen Personen angewiesen ist. Zwar hatten viele Insider ein schlechtes Gewissen wegen der Missstände, von denen sie Kenntnis hatten oder an denen sie beteiligt waren, doch nur wenige waren bereit, ihre Stimme zu erheben. Nader und seine jungen Anwaltskollegen und Jurastudenten, die als "Nader’s Raiders" bekannt wurden, versuchten eine Kultur anzuregen, in der Fachleute ein Gefühl der beruflichen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft empfinden, das größer ist als die Loyalität gegenüber ihren Vorgesetzten. In Anlehnung an die Tradition des zivilen Ungehorsams nannte Nader dies eine "Ethik des Whistleblowings".

Im Januar 1971 veranstaltete die von Nader gegründete Gruppe Clearinghouse for Professional Responsibility eine Konferenz in Washington. Nader sprach voller Hochachtung von der "Tat eines Menschen, sei es Mann oder Frau, der überzeugt ist, dass das öffentliche Interesse schwerer wiegt als das Interesse der Organisation, der er dient, und der ‚die Pfeife bläst‘, wenn die Organisation in korrupte, illegale, betrügerische oder schadenbringende Aktivitäten verwickelt ist". Während der Schiedsrichter pfeift, damit die Fußballregeln eingehalten werden, und die Polizei die Trillerpfeife verwendet, um die Gesetze des Staates durchzusetzen, stellt sich der Whistleblower in Naders Sinn schützend vor eine breitere und abstraktere Einheit, nämlich das "öffentliche Interesse".

Die Ergebnisse der Konferenz wurden 1972 in dem bahnbrechenden Buch "Whistle Blowing" veröffentlicht. Im selben Jahr erschien in der neu gegründeten Zeitschrift "The Washington Monthly" einem Forum für Staatsbeamte, die vor allem Korruption in der Regierung aufdecken wollten – der Beitrag "Blowing the Whistle", eine Lobeshymne auf Andersdenkende, die sich im öffentlichen Interesse für das Recht auf Wissen einsetzen.

Die aufkommende Philosophie des Whistleblowings stützte sich auf die progressive Rechtstradition des frühen 20. Jahrhunderts. Reformorientierte Anwälte wie Louis Brandeis charakterisierten die Justiz damals als einen Ort des Kampfes zwischen gewöhnlichen Individuen – der "Öffentlichkeit" – und Unternehmen mit Monopolstellung – den "Interessen". Nader und seine Verbündeten knüpften an diese Tradition des aufklärerischen Liberalismus sowie an dessen Grundfesten an: die demokratische Rechenschaftspflicht, die Rechtsstaatlichkeit und die Redefreiheit. Sie spielten eine Schlüsselrolle in der entstehenden "Right to Know"-Bewegung, die sich für den Zugang der Bürger zu Regierungsinformationen einsetzte und 1966 zum Freedom of Information Act führte. In den "New Public Interest"-Anwälten spiegelten sich damit auch die dramatischen Veränderungen in der Politik und im politischen Denken der 1960er Jahre.

Ihren Ausdruck fanden diese Veränderungen auch im neu entstandenen investigativen Journalismus, der die Konsensausrichtung von Staat und Medien, die die Zeit des frühen Kalten Krieges geprägt hatte, infrage stellte. Die Arbeiten von Seymour Hersh, Bob Woodward, Carl Bernstein und anderen sorgten für Schlagzeilen in der "New York Times" und der "Washington Post". Doch auch eine Vielzahl kleinerer Zeitschriften und Untergrundmedien wie "Ramparts" und "The Village Voice" förderten das Whistleblowing, um verdeckte Operationen von CIA und FBI im In- und Ausland aufzudecken. Das Prinzip, Missstände und Missetäter öffentlich anzuprangern, hatte Fahrt aufgenommen. Whistleblowing war als Begriff in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen und nahm im öffentlichen und politischen Diskurs einen immer höheren Stellenwert ein.

Nationale Sicherheit

Missbrauch und Korruption im Bereich der nationalen Sicherheit aufzudecken, blieb jedoch schwierig. Potenzielle Whistleblower sahen sich mit einem auf Sicherheit bedachten Staat konfrontiert, dessen Vorrecht auf Informationskontrolle und Wahrung von Geheimnissen seit dem frühen 20. Jahrhundert erheblich ausgeweitet worden war.

Die Geheimhaltung ist so alt wie der Staat selbst und nach Max Weber ein zentrales Merkmal des Verwaltungsstaates. Doch das Rechtssystem rund um die Geheimhaltung ist eine moderne Erfindung. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es fast keine Gesetze auf US-amerikanischer Bundesebene, die sich auf "Verteidigungsinformationen" bezogen. Der erste Verfassungszusatz, der unter anderem die Rede- und Pressefreiheit schützt, verhinderte die in vielen anderen Ländern geltenden Gesetze zur Wahrung von Amtsgeheimnissen, nichtsdestotrotz entstand Schritt für Schritt ein System zur Wahrung geheimer Informationen. Denn mit dem Aufstieg der USA zur Weltmacht um die Jahrhundertwende entbrannte eine neue Sorge über die Anfälligkeit von verteidigungsrelevanten Informationen an abgelegenen Stützpunkten des US-Imperiums. Der Defense Secrets Act von 1911, der sich stark an die britischen Geheimhaltungsgesetze anlehnte, war das erste Gesetz, das die Preisgabe von Informationen unter Strafe stellte.

Die Dringlichkeit, Geheimnisse zu schützen, verschärfte sich dann im Ersten Weltkrieg. Präsident Woodrow Wilson forderte den Kongress auf, neue Gesetze zu erlassen, um der Bedrohung durch ausländische Feinde und illoyale Bürger zu begegnen. Vorschläge für weitreichende präsidiale Befugnisse stießen auf heftige Kritik im Kongress und in der Presse, die darin einen Angriff auf den ersten Verfassungszusatz sahen. Obwohl der Kongress die Forderung des Präsidenten, die Verbreitung von verteidigungsrelevanten Informationen einer unilateralen Kontrolle zu unterwerfen, ablehnte, verabschiedete er im Juli 1917, zwei Monate nach der Kriegserklärung der USA an Deutschland, den Espionage Act.

Das Gesetz macht es zu einer Straftat, wenn eine Person, die sich im Besitz eines Dokuments befindet, das sich "auf die Landesverteidigung bezieht" – sei es ein Buch, eine Illustration, eine Fotografie, ein Plan, ein Karte, ein Modell oder ein anderer Gegenstand –, diese Informationen an "Personen weitergibt, die nicht berechtigt sind, sie zu erhalten". Seinerzeit wurde das Gesetz vom Kongress und der Presse als Bedrohung der Redefreiheit und der bürgerlichen Freiheiten kritisiert. Doch im Laufe des Jahrhunderts sollte der Espionage Act zum wichtigsten Rechtsinstrument für die Verfolgung von Personen werden, die Informationen über die nationale Sicherheit öffentlich preisgaben.

Zwar war es nun illegal, Geheimnisse zu enthüllen, aber eine Definition dessen, was ein Geheimnis ist oder wer zum Umgang damit befugt ist, fehlte nach wie vor. Es dauerte über 30 Jahre, bis einigermaßen Klarheit herrschte. Durch Erlasse der Regierungen unter Harry Truman und Dwight D. Eisenhower entstand in den 1950er Jahren das moderne US-Klassifizierungssystem, das drei Kategorien der Geheimhaltung einführte – vertraulich, geheim und streng geheim – und die Bearbeitungsprozesse zwischen den Behörden der Exekutive standardisierte. Darüber hinaus funktionierte das neue System auch zur Androhung von Strafverfolgung gemäß der Spionagegesetze.

In der Folgezeit etablierte sich eine Kultur der Überklassifizierung. Im Nullsummenspiel des Kalten Krieges, geprägt von Spionageskandalen und Hysterie, war es schlicht einfacher, große Mengen von Dokumenten als geheim einzustufen, als im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, welche Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Den Behörden wurde beim Zensieren kaum auf die Finger geschaut, und es gab für sie wenig Anreize, Informationen nicht zu klassifizieren. Weil es keine Anweisungen gab, das öffentliche Interesse zu berücksichtigen – und auch keine Sanktionen im Falle von übermäßiger Klassifizierung –, wurde alles unterschiedslos einbezogen, egal ob sensibel oder trivial. Die Epidemie der übermäßigen Einstufung von Informationen rief in regelmäßigen Abständen politische Bedenken hervor, einschließlich prominenter Untersuchungen und Berichte durch den Kongress. Aber nichts davon führte zu einer ernsthaften Reform. Die Zahl der als Verschlusssache eingestuften Dokumente ist im 21. Jahrhundert weiter enorm angestiegen: Allein 2012 wurden 95 Millionen neue Dokumente als vertraulich, geheim oder streng geheim eingestuft.

Die Tatsache, dass das staatliche Geheimhaltungsregime derart ausgeweitet wurde, ohne auf nennenswerten bürgerlichen oder politischen Protest zu stoßen, spricht Bände. Da der bei der Verabschiedung des Espionage Act geschlossene Kompromiss nicht ausdrücklich gegen den ersten Verfassungszusatz verstieß, blieb er bestehen: Der Staat durfte Geheimnisse bewahren, und die Presse durfte alle Informationen veröffentlichen, die sie erhielt. Die Last und das Risiko, Informationen über die nationale Sicherheit gegebenenfalls aufzudecken, lagen somit bei nur einer Person: dem einzelnen Regierungsmitarbeiter.

Strafmaßnahmen

Das heute weit verbreitete Bild des Whistleblowers als liberaler Antikriegsprotestler kristallisierte sich heraus, als Daniel Ellsberg, ein ehemaliger US-Verteidigungsbeamter, 1971 die streng geheimen "Pentagon Papers", eine Studie über die US-Intervention in Vietnam, an die "New York Times" und andere Zeitungen weitergab. Wie bei anderen Insidern vor und nach ihm waren Ellsbergs Beweggründe und Intentionen zwar vielfältig, doch die staatlichen Strafmaßnahmen wegen "unbefugter Offenlegungen" wurden immer gewohnheitsmäßiger und undifferenzierter.

1931, vierzig Jahre vor Ellsberg, hatte Herbert Yardley ein Buch über die Organisation Black Chamber verfasst. Diese war die erste US-Behörde, die sich in Friedenszeiten mit Kryptoanalyse beschäftigte. Sie gilt als Vorläuferin der National Security Agency (NSA). Als unzufriedener ehemaliger Leiter dieser kurz zuvor aufgelösten Organisation kritisierte Yardley auch die US-Außenpolitik, weil er sich davon persönliche und finanzielle Vorteile erhoffte. Als er versuchte, ein Nachfolgewerk zu veröffentlichen, zensierte die Roosevelt-Regierung ihn und verbot die Veröffentlichung von Informationen, die aus codierten Quellen stammen. Erstmals angeklagt wegen eines Verstoßes gegen dieses Verbot wurde 1957 ein gewisser John Nickerson, der Einzelheiten über Raketenprogramme des Militärs enthüllt hatte.

Mit Beginn der 1960er Jahren war es sogar üblich geworden, Regierungsbeamte zu entlassen, die Informationen an den Kongress weitergaben. Otto Otepka, stellvertretender Direktor des Sicherheitsbüros im Außenministerium, wurde 1963 von Außenminister Dean Rusk gefeuert, weil er einem Unterausschuss des Senats geheime Informationen zugänglich gemacht hatte. Fünf Jahre später enthüllte A. Ernest "Ernie" Fitzgerald, ein Angestellter der Air Force, dem Kongress eine Kostenüberschreitung von zwei Milliarden US-Dollar beim Bau eines militärischen Frachtflugzeugs. Fitzgerald hatte Ineffizienz und Verschwendung aufgedeckt, wurde aber beschuldigt, geheime Informationen preisgegeben zu haben – und vor die Tür gesetzt. US-Präsident Richard Nixon soll seine Berater aufgefordert haben, "diesen Hurensohn loszuwerden".

Zwei Rechtsfälle im Zusammenhang mit Ellsbergs Enthüllungen hätten für Klarheit im Umgang mit Whistleblowern im Bereich der nationalen Sicherheit sorgen können. 1971 bestätigte der Oberste Gerichtshof, dass die Presse als geheim eingestufte Informationen veröffentlichen kann. Zudem war Ellsberg ebenfalls unter dem Espionage Act angeklagt worden, doch der Prozess platzte 1973, nachdem durch Enthüllungen bekannt geworden war, dass die von der Nixon-Regierung beauftragten "Klempner" sein Telefon mit einer Wanze versehen hatten und in das Büro seines Psychiaters eingebrochen waren. Weil es seinerzeit keinen Urteilsspruch gab, blieb das Schicksal zukünftiger Whistleblower im Bereich der nationalen Sicherheit weiter im Unklaren.

Als in den 1970er Jahren eine neue Generation von antiimperialistischen Whistleblowern auf den Plan trat, änderte der Staat seine Disziplinierungstaktik und wandte sich der Vorabkontrolle von Regierungsangestellten zu. In Reaktion auf die Enthüllungsbücher ehemaliger CIA-Beamter errang die US-Regierung entscheidende juristische Siege. Sie ging nun mittels Zensur hart gegen Whistleblower vor und verfügte, dass diese nicht an den Verlagsgewinnen ihrer publizistischen Enthüllungen partizipieren durften. Zudem verbot sie, die Identität von Mitarbeitern verdeckter Operationen zu enthüllen. Obwohl der Großteil der 1970er-Generation gar keine als geheim eingestuften Dokumente preisgab, fanden die Maßnahmen der Regierung bei Kongress und Oberstem Gerichtshof Unterstützung. Durch Geheimhaltungsvereinbarungen wurden die im ersten Verfassungszusatz festgeschriebenen Rechte für Angestellte im Bereich der nationalen Sicherheit effektiv beschnitten; sie waren nun verpflichtet, jede Veröffentlichung oder Rede vorab zur Prüfung vorzulegen.

Kodifizierung

Im Laufe der 1970er Jahre hörte das Whistleblowing auf, ein Randthema der juristischen Interessenvertretung zu sein, und rückte in den Fokus der Politik. Angesichts der Watergate-Affäre und des Vietnamkriegs sahen sich die politischen Führungskräfte gezwungen, staatliches Fehlverhalten zu adressieren. Ihre Reaktion bestand aber vor allem darin, den Anwendungsbereich von Whistleblowing innerhalb von Verwaltung und Regierung auf Betrug, Verschwendung und schwere Verbrechen zu beschränken. Damit sollte das Funktionieren des Staates verbessert werden, ohne die Grundprinzipien der nationalen Sicherheitspolitik infrage zu stellen.

In den Nachwehen der Watergate-Affäre stellten Demokraten wie Republikaner die Whistleblower der Nixon-Ära als Amerikas unbesungene Helden dar. Präsidentschaftskandidat Jimmy Carter etwa nannte Ernie Fitzgerald einen "engagierten Staatsdiener" und gelobte, "unsere Mitarbeiter vor Schikanen und Entlassung" zu schützen, wenn sie "Verschwendung oder Unehrlichkeit" meldeten. Im Kongress begann eine parteiübergreifende Gruppe junger Gesetzgeber, sich für Whistleblower einzusetzen und verabschiedete im Rahmen des Civil Service Reform Act von 1978 die ersten Schutzgesetze. Die Gesetzgebung verbot Repressalien gegen Angestellte, die Berichte über Verstöße gegen Gesetze und Vorschriften, Amtsmissbrauch durch Führungskräfte und Gefahren für das öffentliche Wohl veröffentlichten. Entscheidend war jedoch, dass die Schutzgesetze nicht auf Angestellte im Bereich der nationalen Sicherheit ausgeweitet wurden.

Als der ideologische Eifer des Kalten Krieges noch einmal aufflammte, fasste die Regierung unter Ronald Reagan das Thema noch enger und stärkte den nationalen Sicherheitsapparat. Sie weitete das Geheimhaltungsregime aus, indem sie Reformen des Klassifizierungssystems rückgängig machte und das Instrumentarium für Strafmaßnahmen gegen Informanten stärkte. Geheimhaltungsvereinbarungen wurden für jeden, der Zugang zu Verschlusssachen benötigte, obligatorisch. Jede Verletzung konnte nun zivilrechtlich verfolgt werden.

Im Laufe der Zeit wurde immer deutlicher, dass die Kodifizierung von Whistleblowing nur begrenzten Schutz für Bundesbedienstete bot und die Beamten im Bereich der nationalen Sicherheit in einer besonders prekären Lage ließ. Als Reaktion auf die Kritik verabschiedete der Kongress 1989 den Whistleblower Protection Act, doch auch dieser behielt die enge Begriffsbestimmung von Whistleblowing bei – "um Betrug, Verschwendung, Missbrauch und unnötige Regierungsausgaben auszuschließen" – und schloss Enthüllungen zur nationalen Sicherheit aus.

In den Bereichen Verteidigung, Militär und Nachrichtendienste richtete die Regierung interne Kanäle ein, die jeweils von einem Generalinspekteur ("Inspector General", IG) verwaltet wurden und über die etwaige Missstände und Bedenken vorgebracht werden konnten. Doch ging es bei dieser internen Kontrollinstanz weniger um die Förderung von Whistleblowing als um die Schaffung eines Mechanismus, der wichtige Enthüllungen vor der Öffentlichkeit abschirmen sollte. Alleiniger Sinn und Zweck dieser Insiderkanäle im Sicherheitsbereich war es, Abweichler zu zügeln und zu besänftigen. 1988 verabschiedete der Kongress den Military Whistleblower Protection Act, der es Angehörigen der Streitkräfte ermöglichte, Verschwendung, Betrug und Missbrauch beim IG des Verteidigungsministeriums oder beim Kongress anzuzeigen. Zehn Jahre später gestattete der Intelligence Community Whistleblower Protection Act Beamten, Informationen von "dringendem Interesse" an den IG des Justizministeriums weiterzugeben. Auch hier wurde Whistleblowing sehr eng definiert und nur wenig Schutz vor Strafmaßnahmen angeboten. 2006 erklärte der amtierende IG des Verteidigungsministeriums, dass es eigentlich eine "Fehlbezeichnung" sei, wenn man von "Whistleblower-Schutzgesetzen" spreche.

Barack Obama setzte dieses Muster fort, als der Konsens für den "Globalen Krieg gegen den Terror" zerbrach. Als Reaktion auf die Veröffentlichung Tausender geheimer Dokumente über den Irak- und Afghanistankrieg durch Chelsea Manning und WikiLeaks behauptete Obama, dass es für Whistleblower die verantwortungsvollste Lösung sei, interne Kanäle zu nutzen. Seine Regierung versuchte, Einzelpersonen vom Gang an die Öffentlichkeit abzuhalten, indem sie das "Insider Threat"-Programm einführte, das Bundesangestellte dazu ermutigte, ein Auge auf Kollegen zu werfen, die womöglich Enthüllungen vorbereiteten. Und auch Obamas viel beachtete Presidential Policy Directive 19 mit dem Titel "Protecting Whistleblowers with Access to Classified Information" beließ es im Bereich der nationalen Sicherheit bei einer extrem engen Definition von "schützenswerten Enthüllungen".

Nach Edward Snowdens Enthüllungen über die weltweite Überwachung durch die NSA betonte Obama, dass es "andere Wege für jemanden gibt, dessen Gewissen aufgewühlt ist" und "der die Maßnahmen der Regierung hinterfragen muss". Die Position des Präsidenten, die von vielen Amtsträgern geteilt wurde, brachte die Ironie der internen Kanäle auf den Punkt: Hätte Snowden einen solchen genutzt, wäre er offiziell als Whistleblower anerkannt worden. Dann hätte er jedoch seine Informationen nicht mit der Öffentlichkeit teilen können, wodurch die Geheimhaltung, die er ja gerade infrage stellen wollte, fortbestanden hätte und der grundlegende Geist des Whistleblowings als Akt des öffentlichen Interesses untergraben worden wäre.

Die Erfahrungen von Personen, die diese internen Kanäle nutzten, machen zudem deutlich, dass es sich hierbei um leere Versprechen handelt. 2002 trug der leitende NSA-Angestellte Thomas Drake zu einem Bericht bei, der die Rechtswidrigkeit und Ineffizienz eines Überwachungsprogramms anprangerte und der dem IG des Verteidigungsministeriums vorgelegt wurde. Drake nahm später, ohne dabei Geheiminformationen preiszugeben, Kontakt zu einem Reporter der "Baltimore Sun" auf, der 2006 eine Reihe von Artikeln zu dem Thema veröffentlichte. In den folgenden Jahren versuchte die Regierung, Drake auf der Grundlage des Espionage Act zu belangen. Obwohl die Anklage kurz vor Prozessbeginn fallengelassen wurde, war Drakes Karriere ruiniert, und er steckte bis zum Hals in Anwaltsschulden. Anstatt Drake zu schützen, wurden die internen Kanäle dafür genutzt, Strafmaßnahmen gegen ihn und einen rangniedrigeren IG zu ergreifen, der sich für ihn eingesetzt hatte. Solche Abstrafungen haben die Argumente für ein öffentliches Whistleblowing eher gestärkt als geschwächt. Edward Snowdens Entscheidung, sich an die Presse zu wenden, anstatt interne Kanäle zu nutzen, war eine direkte Reaktion auf den Umgang mit Drake: "Hätte es keinen Thomas Drake gegeben", so Snowden, "gäbe es keinen Edward Snowden."

Schluss

Trotz der persönlichen Risiken entpuppte sich die Zeit nach 9/11 als eine neue Ära öffentlicher Enthüllungen durch Whistleblower, die das Ausmaß der US-Kriege und die allgegenwärtige Überwachungskultur aufdeckten. Neben Manning und Snowden waren da zum Beispiel Jeffrey Sterling, der eine verpfuschte CIA-Aktion zur Störung des iranischen Atomprogramms öffentlich machte; John Kiriakou bestätigte die Folterung von Al-Qaida-Häftlingen durch die CIA; Reality Winner deckte die russische Einmischung in die US-Wahl 2016 auf; und Daniel Hale enthüllte das Ausmaß ziviler Todesopfer durch Drohnenangriffe. Zwar mochten die Motive dieser Whistleblower jeweils unterschiedlich sein, sie alle wurden jedoch mithilfe des Espionage Act und anderer im vergangenen Jahrhundert entwickelten Instrumente strafrechtlich verfolgt. Die staatlichen Vergeltungsmaßnahmen haben sich gewandelt und ausgeweitet und richten sich nun sogar gegen Journalisten und Verleger, die mit Insidern zusammenarbeiten. Die Chancen dafür, dass die Öffentlichkeit über Whistleblower an Informationen aus dem Bereich der nationalen Sicherheit gelangt, stehen derzeit überwältigend schlecht, wie Edward Snowden kürzlich aus seinem erzwungenen russischen Exil heraus feststellte.

Doch trotz dieses anhaltenden Kampfes gegen Whistleblowing hat die Zivilgesellschaft mittlerweile ein populäres Verständnis des Phänomens entwickelt, das die offizielle staatliche Lesart infrage stellt. Dies anzuerkennen heißt nicht, Whistleblower zu idealisieren. Ein demokratischer Staat muss ein gewisses Maß an Geheimhaltung wahren, da völlige Transparenz sowohl unrealistisch als auch gefährlich wäre. Doch zu definieren, was das öffentliche Interesse ist und welche Informationen an das Gemeinwesen weitergegeben werden dürfen, kann nicht allein in den Händen der Regierung liegen, die gerade an der Macht ist. Unter der langen Geschichte von Enthüllungen im Bereich der nationalen Sicherheit liegt eine einfache Wahrheit verborgen: Die Schicksale von Whistleblowing und Demokratie sind eng miteinander verknüpft.

Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff, Dinslaken

ist Associate Professor an der Gallatin School of Individualized Study der New York University.
E-Mail Link: hrg2@nyu.edu

ist Associate Professor an der School of Art, Media and American Studies der University of East Anglia.
E-Mail Link: k.mistry@uea.ac.uk