Die erste Schutzimpfung gegen eine Infektionskrankheit war die Kuhpockenimpfung. Als ihr Entdecker gilt der englische Landarzt Edward Jenner (1749–1823).
Vorläufer der Vakzination
Das Grundprinzip jeder Schutzimpfung, die bewusste Einführung krankheitserregenden Materials in ein gesundes Individuum, um dieses vor einer schweren Krankheit zu schützen, war bereits seit Jahrhunderten bekannt. Allerdings war dieses Wissen in Europa bis zum frühen 18. Jahrhundert nicht vorhanden oder wieder in Vergessenheit geraten. So findet sich in einer späten Fassung des um 1275 entstandenen "Regimen sanitatis Salernitanum", einem Gesundheitsratgeber in Versform der Schule von Salerno im heutigen Italien, der Rat: "Damit die Pocken nicht zum Tod der Kinder führen/bringe den Gesunden Pockenmaterie in die Adern."
Bis heute sind die Einführung und das Bekanntwerden der Inokulation in Europa mit dem Namen der Gattin des englischen Botschafters in Konstantinopel, Lady Mary Wortley Montagu (1689–1762), verbunden. Sie war zwar nicht die Erste, die die Erfolge von osmanischen Ärzten mit dem "Blattern-Beltzen", wie man die Methode auf Deutsch nannte, durch ihre Briefe in England bekanntmachte. Ihr persönliches Beispiel – sie ließ 1718 ihren Sohn auf diese Weise impfen – sowie ihr gesellschaftlicher Stand trugen aber entscheidend dazu bei, dass die Inokulation fast überall in Europa bei Ärzten und Laien auf Interesse stieß. Ihr gelang es, auch den englischen König George I. (1660–1727) nach anfänglicher Skepsis davon zu überzeugen, seine Enkel impfen zu lassen.
Die Inokulation blieb allerdings meist auf den Adel und die städtische Oberschicht begrenzt.
Wenngleich in einigen zeitgenössischen medizinischen Schriften Befürworter der Inokulation bereits von einer Befreiung der Menschheit von der Pocken-Geißel träumten, so konnte das nicht gerade risikoarme Verfahren diese hohen Erwartungen schon aufgrund der weitgehenden Beschränkung auf die gesellschaftliche Elite nicht erfüllen.
Umstrittener Fortschritt
Längst nicht alle waren von dem Nutzen der neuen, weniger gefährlichen Vakzination überzeugt. Jenners Veröffentlichung zog eine heftige Kontroverse nach sich, die von England auf andere Länder übergriff.
Dass ein solcher materieller Anreiz überhaupt notwendig war, hängt mit dem Widerstand breiter Bevölkerungsschichten zusammen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht impfen lassen wollten. Das geschah mit Argumenten, die man zum Teil noch heute bei Impfgegnern antrifft. Nicht wenige Laien, aber auch Ärzte, waren überzeugt, dass die Vakzination gesundheitsschädlich sei. Selbst den Befürwortern war nicht verborgen geblieben, dass mit der Impfung auch andere Krankheiten übertragen werden konnten, etwa durch unsaubere Lanzetten. In der Tat war die Art und Weise, wie damals der Impfstoff gewonnen wurde, höchst problematisch. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde nämlich das sogenannte Überimpfen angewandt, bei dem man humane Lymphe verwendete, die man aus der Impfpustel eines kurz zuvor geimpften Kindes gewonnen hatte. Der Übertragung von Krankheiten wie Syphilis war auf diese Weise Tür und Tor geöffnet. Erst im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts ging man dazu über, tierische Lymphe zu verwenden, indem man Impfpusteln auf der Kuhhaut durch Infektion künstlich hervorrief. Ferner traten regelmäßig Unverträglichkeitsreaktionen auf, die im Einzelfall sogar zum Tode oder zu schweren Impfschäden führten.
Das andere Argument der Impfgegner, die sich schon früh nicht nur in Deutschland zu Vereinen zusammenschlossen, lautete: Die Vakzination ist nicht nur gefährlich, sondern auch unwirksam. In den Augen der Skeptiker war dies sogar statistisch belegbar, denn obwohl ein großer Teil der Bevölkerung bereits geimpft war, kam es im 19. Jahrhundert an verschiedenen Orten zu Pockenepidemien, die zahlreiche Opfer forderten. Das Wiederaufflammen einer schon fast besiegt geglaubten Seuche hing zum Teil damit zusammen, dass man erst in den späten 1820er Jahren erkannte, dass der Impfschutz nicht ein ganzes Leben lang anhielt und mittels Revakzination aufgefrischt werden musste.
Meilensteine der Impfstoffentwicklung
Nachdem Edward Jenner der Wirksamkeitsnachweis einer Impfung gegen die Menschenpocken mit dem Kuhpockenvirus erbracht hatte, machten sich in dem durch den Mediziner Robert Koch (1843–1910) und den Chemiker Louis Pasteur (1822–1895) eingeleiteten Zeitalter der Bakteriologie zahlreiche Forscher auf die Suche nach ähnlich schützenden Lebendimpfstoffen.
Auch mit sogenannten Totimpfstoffen wurde bereits im 19. Jahrhundert experimentiert. Einige der heute noch aktuellen Schutzimpfungen basieren auf diesem Prinzip. Dabei sind vor allem zwei Typen zu unterscheiden: zum einen Toxoidimpfstoffe wie jene gegen Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten) und Tetanus, in denen das jeweilige Toxin durch spezielle Verfahren seine toxischen Eigenschaften verloren hat, die antigene Wirkung aber erhalten bleibt; zum anderen inaktivierte Impfstoffe wie jene gegen Cholera, Hepatitis-A, Tollwut und Polio, bei denen das krankheitsverursachende Virus unter Einwirkung verschiedener Substanzen, aber auch durch Hitze oder Strahlung seine Infektiosität verliert und zur Herstellung von Impfstoffen verwendet werden kann. 1896 entwickelte Wilhelm Kolle (1868–1935), ein Mitarbeiter Robert Kochs, einen durch Hitze abgetöteten und durch Phenolzugabe konservierbar gemachten Cholera-Impfstoff. Der Bakteriologe Waldemar Haffkine (1860–1930) forschte ab 1895 an einem Totimpfstoff gegen die Pest. Verschiedene klinische Studien wurden mit schwankenden Ergebnissen in Indien und China durchgeführt. In einem Fall führte die Verunreinigung des Impfstoffs mit Tetanussporen dazu, dass alle mit dieser Charge Geimpften starben und die Nutzung von Haffkines Vakzin ein abruptes Ende fand.
Ein Meilenstein der Impfgeschichte war 1885 ein waghalsiger Heilversuch an dem neunjährigen Bäckerssohn Joseph Meister, der von einem tollwütigen Hund gebissen worden war. Man brachte ihn zu Louis Pasteur nach Paris, der damals bereits zahlreiche Tierversuche mit dem Tollwuterreger unternommen hatte. Er benutzte dabei eine abgeschwächte infektiöse Suspension, die er aus dem getrockneten Rückenmark eines tollwutinfizierten Kaninchens gewonnen hatte. Die damit geimpften Hunde erwiesen sich fortan als immun gegen die Krankheit. Um nach dem Hundebiss einer Tollwut-Infektion vorzubeugen, bekam auch Joseph Meister zunächst eine Injektion einer 14 Tage lang getrockneten Hirnmasse eines infizierten Kaninchens und schließlich über einen Zeitraum von zehn Tagen zwölf Injektionen mit immer frischerem, also auch zunehmend virulentem Material. Bei der letzten Injektion handelte es sich um voll virulente Tollwut-Viren, mit der Pasteur also überprüfte, ob der Patient nach der Behandlung immun war. Nachdem Joseph Meister über mehrere Monate keine Symptome einer Infektion mit Tollwut zeigte, wurde er aus der ärztlichen Obhut entlassen. Die Nachricht über den augenscheinlichen Erfolg der postexpositionellen Impfung begründete Pasteurs Ruf in Frankreich. Wie die medizingeschichtliche Forschung durch die Auswertung der Labortagebücher nachgewiesen hat, kann die mutmaßliche "Heilung" von Joseph Meister zwar keinesfalls als ein Beleg für die Wirksamkeit des damals von Pasteur verwendeten Impfstoffs gelten. Aber als immer mehr Fälle von Tollwut mit dem von ihm hergestellten Impfstoff behandelt wurden, stellte sich dessen Wirksamkeit heraus.
Pasteur entwickelte noch drei weitere Impfstoffe, was ihn zu einem der bedeutendsten Vertreter der frühen Impfstoffforschung macht: 1879 gegen Geflügelcholera, 1880 gegen Milzbrand, 1883 gegen Schweinerotlauf. Er hatte somit den überzeugenden Nachweis geführt, dass – zumindest im Prinzip – eine Impfung fortan vor beliebigen Infektionskrankheiten schützen konnte.
An einem weiteren Totimpfstoff forschte im 20. Jahrhundert Jonas Edward Salk (1914–1995). Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der spätere Nobelpreisträger John Franklin Enders (1897–1985) durch Viruszüchtung in Zellkulturen die Forschung entscheidend vorangebracht. Auf dieser Grundlage gelang es Salk, einen Impfstoff gegen Kinderlähmung zu entwickeln, für den die Viren durch Formalin inaktiviert wurden. Dieser geriet allerdings in die Schlagzeilen, nachdem 1955 bei mehreren Kindern, die mit einer Charge aus der Produktion des kalifornischen Impfstoffherstellers Cutter-Laboratories geimpft worden waren, Lähmungserscheinungen auftraten und es zu Todesfällen kam. Versehentlich war ein Impfstoff verwendet worden, der noch infektiöses Material enthielt. Der Virologe Albert Sabin (1906–1993) entwickelte daraufhin einen oralen Impfstoff auf der Basis von lebenden, aber in ihrer Virulenz abgeschwächten Polio-Viren, der in der Bundesrpublik mit der eingängigen Werbebotschaft "Schluckimpfung ist süß – Kinderlähmung ist grausam" beworben wurde.
Mit der Entdeckung des HI-Virus Anfang der 1980er Jahre begann ein weiteres Kapitel der Geschichte der Impfstoffentwicklung. Als man den Virologen Robert Gallo im Anschluss an die Pressekonferenz 1984, auf der die Entdeckung des Aids-Erregers bekanntgegeben wurde, fragte, wann ein Impfstoff gegen die gefürchtete Krankheit bereitstehen würde, antwortete er: "In zwei Jahren". Inzwischen sind mehr als 35 Jahre vergangen. Noch immer ist der große Durchbruch nicht in Sicht, obwohl bereits Milliardenbeträge in die Entwicklung einer Schutzimpfung gegen Aids investiert wurden. Der Wissenschaftsjournalist Jon Cohen vertritt die Auffassung, dass es bei der Suche nach einem Impfstoff lange Zeit vor allem an koordinierten Forschungsanstrengungen und erst in zweiter Linie an Geld gemangelt habe.
Zwang oder Freiwilligkeit?
Eng mit dem wissenschaftlichen Fortschritt und den Debatten um das Für und Wider der Vakzination verwoben, ist die Geschichte der Impfpolitik. In einigen deutschen Territorien war bereits wenige Jahre nach der Erfindung der Vakzination ein mehr oder weniger rigider Impfzwang eingeführt worden. Den Anfang machte 1807 Bayern, nachdem ein Appell des Königs, sich gegen Pocken impfen zu lassen, wenig Resonanz in der Bevölkerung gefunden hatte. Das entsprechende Gesetz schrieb vor, dass alle über Dreijährigen, die noch nie die Pocken gehabt hatten, bis zum 1. Juli 1808 geimpft sein sollten. Für jedes nicht rechtzeitig geimpfte Kind sollten die Eltern je nach Vermögen eine Geldbuße in Höhe von einem bis acht Gulden zahlen – der Tagelohn eines Handwerkergesellen betrug damals etwas mehr als einen Gulden. 1815 folgte das Großherzogtum Baden dem bayerischen Vorbild, 1818 das Königreich Württemberg, 1821 das Königreich Hannover. Sachsen und der Stadtstaat Hamburg dagegen erließen bis Anfang der 1870er Jahre kein Impfgesetz. Auch Preußen hatte keines, übte aber auf andere Weise Druck auf die Bevölkerung aus, sich gegen die Pocken impfen zu lassen. So wurden nur jene Kinder zur Schule oder zur Ausbildung zugelassen, die einen Impfschein vorweisen konnten. Als infolge des Deutsch-französischen Krieges 1870/71 wieder eine große Pockenepidemie mit Hunderttausenden Todesopfern die Bevölkerung heimsuchte, griff das neu geschaffene Deutsche Reich zu Zwang: Am 5. Februar 1874 wurde das Reichsimpfgesetz trotz Widerstand aus Kreisen der organisierten Impfgegner im Reichstag angenommen. Es sah nicht nur die Pflichtimpfung gegen Pocken im Säuglingsalter vor, sondern auch eine Wiederimpfung im Alter von zwölf Jahren.
Auch nach der Verabschiedung des Reichsimpfgesetzes wurde die Frage, inwieweit ein "Vorsorgestaat" das Recht hat, seine Bürger per Gesetz zur Impfung zu zwingen, immer wieder heftig diskutiert, und bis in die Zeit der Weimarer Republik hinein beschäftigte der Streit um die Impfpflicht den Reichstag. Die Fronten gingen quer durch die Parteien. Jenseits der öffentlichkeitswirksamen, durch konträre Meinungen aufgeheizten Debatten war dagegen die Impfpraxis bis 1933 durch einen "pragmatischen Paternalismus" gekennzeichnet.
Selbst das nationalsozialistische Regime, das die Volksgesundheit über die individuelle Gesundheit stellte, unterdrückte nicht die Impfkritik. Das hing nicht nur damit zusammen, dass einige seiner führenden Vertreter, zum Beispiel Rudolf Hess, mit alternativen Heilmethoden liebäugelten. Das "Dritte Reich" verfolgte außer mit Blick auf die Wehrmacht in der Impfpolitik einen pragmatischen Ansatz. Der wichtigste Grund waren erfolgreiche Werbekampagnen der Pharmaindustrie für eine freiwillige Impfung mittels Broschüren, Radiobeiträgen und Aufklärungsfilmen. So erreichte man Ende der 1930er Jahre etwa eine Impfquote von 90, oft über 95 Prozent bei der Diphtherieschutzimpfung, während diese bei der Pflichtimpfung gegen Pocken im Schnitt zwischen 60 und 80 Prozent lag. In Deutschland setzte also schon vor der Mitte des 20. Jahrhunderts eine Entwicklung ein, die man als den Übergang von der staatlichen Impfpflicht zur Privatisierung der Gesundheitsvorsorge bezeichnen kann.
Nach 1945 bestimmten in der Bundesrepublik und in der DDR unterschiedliche Prophylaxe-Konzepte das gesundheitspolitische Handeln. Dabei rückte vor allem die Schluckimpfung gegen Poliomyelitis in den Blickpunkt, nachdem die Pocken seit Ende der 1970er Jahre deutschland- und weltweit keine Gefahr mehr darstellten, denn die erfolgreiche Bekämpfung einer weiteren Kinderkrankheit versprach einen Prestigegewinn im Systemwettbewerb. Die DDR war stolz darauf, international als Vorsorgestaat par excellence zu gelten, doch war sie damit keine Biodiktatur. Aus den für die Planwirtschaft typischen Defiziten erwuchs in der Impffrage ein Pragmatismus, wenngleich sich die DDR-Regierung auf internationaler Ebene immer wieder mit Erfolgen ihres staatlich gelenkten Präventionsprogramms brüstete. In der Bundesrepublik waren es vor allem zivilgesellschaftliche Vereine, wie beispielsweise die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Kinderlähmung oder das Deutsche Grüne Kreuz, die mit finanzieller Förderung durch die Gesundheitsbehörden Impfkampagnen organisierten. 1972 wurde die Ständige Impfkommission (STIKO) eingerichtet, nach deren Empfehlungen sich die Gesundheitsbehörden in Impffragen richten. Ihre Empfehlungen gelten inzwischen als medizinischer Standard. Die seit 1874 bestehende Impfpflicht gegen Pocken wurde gut hundert Jahre nach ihrer Einführung schrittweise aufgehoben: Ab 1976 entfiel die Erstimpfung. 1983 wurde die Pockenimpfpflicht schließlich komplett aufgehoben. Gleichzeitig wurden auch alle gesetzlichen Zwangsimpfungen beseitigt.
Im vereinten Deutschland ist seit Längerem eine "liberale Wende des Präventionsdiskurses" zu beobachten,
Schluss
Mit Blick auf den fast zweihundertjährigen Kampf gegen Menschenpocken kann kein Zweifel daran bestehen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen dem endgültigen Verschwinden dieser Seuche Anfang der 1980er Jahre und einer konsequenten Massenimpfung gibt. Bei anderen Infektionskrankheiten ist die historische Evidenz nicht so eindeutig. Derzeit wartet die Welt auf einen wirksamen Impfstoff gegen Covid-19. Nach einer aktuellen Meinungsumfrage würde sich mit 67 Prozent eine Mehrheit der Deutschen für eine Impfung gegen das neuartige Corona-Virus entscheiden.