Die Geschichte des internationalen Kampfes gegen den Hunger ist je nach Perspektive sehr lang oder vergleichsweise kurz. Lang ist sie, wenn ganz grundsätzlich menschliche Versuche, eine stabile Versorgung mit Nahrungsmitteln zu erreichen, in den Blick genommen werden. Der periodisch wiederkehrende oder andauernde Nahrungsmangel, sei es durch Missernten, klimatische Extremereignisse, politische Konflikte, Marktverwerfungen oder gar absichtliche Verknappung, lässt sich über Jahrtausende zurückverfolgen und ist daher in gewisser Weise so alt wie die Menschheit selbst. Dies bedeutet allerdings keinesfalls, dass "Hunger" – verstanden als "Mangel an Nahrungsmitteln, der unmittelbar zu erhöhter Sterblichkeit durch Verhungern oder hungerbedingte Krankheiten"
Relativ kurz ist die Geschichte des internationalen Kampfes gegen den Hunger dann, wenn die Bedeutung des Wortes "international" wörtlich genommen wird. Denn tatsächlich entstanden Nationalstaaten im eigentlichen Sinne erst im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, auch wenn sich ein System mehr oder weniger souveräner Staaten bereits im Nachgang des Westfälischen Friedens von 1648 herausgebildet hatte. Die Regierungen der (National-)Staaten wurden in der Folge zunehmend für den Umgang mit Hungerkrisen und Versorgungsengpässen verantwortlich; die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und die Organisation von Maßnahmen zur Hungerprävention – etwa eine umsichtige Agrarpolitik, öffentliche Aufsicht über Lebensmittelpreise oder staatliche Versorgungsanstrengungen im Krisenfall – wurden zu einer wichtigen nationalen Aufgabe. In den Fällen allerdings, in denen Hungerkrisen so schwerwiegend waren, dass lokale oder nationale Institutionen keine ausreichende Hilfe bereitstellen konnten, wurden diplomatische Beziehungen zwischen Staaten mobilisiert und internationale Hilfe erbeten.
19. Jahrhundert: Der Hunger der Anderen
Ein vergleichsweise frühes und prominentes Beispiel hierfür sind die internationalen Hilfsaktivitäten während der Irischen Hungersnot (1845–1852), die Schätzungen zufolge fast eine Million Todesopfer forderte und zu einer Auswanderungswelle führte, durch die Irland gut ein Viertel seiner Bevölkerung einbüßte.
Die Irish Famine gilt in der Forschung als letzte große (west)europäische Hungersnot. Die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft und das Ansteigen der landwirtschaftlichen Erträge durch Düngemittel und moderne Anbauverfahren verbesserten die Versorgungslage sukzessive. Insgesamt verschaffte auch der wirtschaftliche Aufschwung in Europa den Regierungen mehr Spielräume für den Zukauf von Nahrungsmitteln. "Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Hunger zumindest in Nordwesteuropa überwunden."
Dieser Befund gilt allerdings nicht für außereuropäische Regionen, insbesondere für die europäischen Kolonien im 19. Jahrhundert. So führte in Teilen des Britischen Empire das Zusammenwirken der erzwungenen Einführung neuer, vermeintlich moderner Produktionsregime und wirtschaftspolitischer Prinzipien mit Klimaphänomenen wie El Niño–Southern Oscillation zu eng aufeinanderfolgenden Hungerkatastrophen, etwa in Indien, China, Brasilien, Teilen Ozeaniens und Südostasiens, in deren Folge schätzungsweise weit über 30 Millionen Menschen starben.
Es ist durchaus erstaunlich, dass sich bereits im 19. Jahrhundert internationale Netzwerke bildeten, die auf Hungerkatastrophen außerhalb Europas und der USA reagierten. Zahlreiche karitative Organisationen, Missionsgesellschaften und Verbände begannen, zunächst noch vollkommen unreguliert,
Dabei wies der Umgang der Philanthropen und Missionare mit den Hungernden in den Kolonien durchaus Parallelen zum etablierten Umgang mit armen und von Nahrungsmangel bedrohten Bevölkerungsschichten auf dem europäischen Kontinent auf: Hilfskampagnen und Nahrungsmittellieferungen wurden wie früher bereits in kontinentalen Suppenküchen oder Arbeitshäusern häufig mit einem erzieherischen oder religiösen Auftrag verbunden.
Festhalten lässt sich, dass Hunger zum Ende des 19. Jahrhunderts in Europa und den USA zumindest vorübergehend zu etwas geworden war, das vor allem "die Anderen" betraf: die Bevölkerungen in den europäischen Kolonien oder Menschen in fernen Ländern, die sich vermeintlich den Segnungen der Moderne und des rationalen Wirtschaftens entzogen.
1914–1945: Rückkehr des Hungers nach Europa?
Mit den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts verschärfte sich außerhalb wie innerhalb Europas die Versorgungsituation erneut. Dazu trug nicht nur der kriegsbedingt einbrechende Welthandel bei, sondern auch Ernteausfälle durch Düngemittel- und Rohstoffknappheit, kriegerische Auseinandersetzungen oder fehlende Erntehelfer. Auch die Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit hinterließ Spuren auf den Tellern derjenigen, die ihre Arbeit und damit ihre Existenzgrundlage verloren. Insbesondere im Zweiten Weltkrieg wurde Hunger beziehungsweise die künstliche Verknappung von Nahrungsmitteln vonseiten der nationalsozialistischen Führung auch als Waffe eingesetzt. In Osteuropa, aber auch in den besetzten Gebieten Südeuropas, wurden ganze Landstriche samt relevanter Ernteerträge systematisch geplündert und vernichtet oder zur Versorgung der eigenen Bevölkerung ins Deutsche Reich verbracht.
Sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg wurden jedoch durch zahlreiche staatliche und vor allem private Hilfseinsätze flankiert, die auf eine Eindämmung oder Abmilderung der dramatischen Folgen des Krieges für die europäischen Zivilbevölkerungen zielten. Bereits während des Ersten Weltkrieges wurden insbesondere in den USA Hilfsorganisationen neuen Typs gegründet. Neben bereits bestehenden Organisationen wie den nationalen Rotkreuzgesellschaften
Kaum zwei Jahrzehnte später führte der Zweite Weltkrieg erneut zu einer sich stetig verschlechternden Ernährungssituation in Europa. Je länger der Krieg andauerte, desto deutlicher wurde, dass ohne internationale Hilfe in vielen Gegenden des europäischen Kontinents eine Hungersnot dramatischen Ausmaßes drohte.
Es gehört zu den bemerkenswerten Dynamiken der letzten Kriegsjahre und vor allem der unmittelbaren Nachkriegszeit, dass sich eine kaum überschaubare Zahl an privaten Hilfsorganisationen gründeten, die in enger Abstimmung mit eigenen und ausländischen Regierungen substanzielle Hungerhilfe leisteten. Hervorzuheben ist etwa die britische Hilfsorganisation Oxfam, die bereits ab 1942 unter der selbst stark vom Krieg betroffenen Bevölkerung Großbritanniens Spenden für notleidende Menschen in Südeuropa, insbesondere in Griechenland, sammelte und verteilte.
Nach 1945: Globaler Süden im Fokus
Die unmittelbare Hungerkrise nach dem Zweiten Weltkrieg konnte dank internationaler privater und staatlicher Hilfsaktivitäten vergleichsweise schnell bewältigt werden. Dennoch wurden bestimmte Nahrungsmittel teilweise bis in die 1950er Jahre hinein staatlich rationiert und standen nur begrenzt oder auf sogenannten Schwarzmärkten zur Verfügung.
Stattdessen geriet einmal mehr – nun aber unter den sich schnell zuspitzenden Vorzeichen des Kalten Krieges – die Ernährungssituation auf dem asiatischen, südamerikanischen und afrikanischen Kontinent in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Die Ernährungssituation in vielen Entwicklungsländern blieb jedoch prekär und verschärfte sich teilweise trotz oder gerade wegen intensivierter Entwicklungsanstrengungen sogar weiter. Dies zeigen Forschungen sowohl zur Modernisierungspolitik in der Sowjetunion
Die Gründe für diese per definitionem globale Herausforderung waren laut zeitgenössischen ExpertInnen vielschichtig: strukturelle Unterentwicklung, fehlende politische Verantwortung und Bildung, überkommene Anbaumethoden, ungünstige Landbesitzverhältnisse, klimatische Probleme wie Dürren oder Überschwemmungen und eine angeblich drohende "Überbevölkerung".
Dies zeigte sich erstens auf Ebene staatlicher Programme und Institutionen. In fast allen Industrieländern entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Ministerien für Entwicklungshilfe und globale Ernährungssicherheit. Institutionell gespiegelt wurde dies in den Empfängerländern, wo internationale Hilfsgelder verwaltet und eigene Entwicklungsprogramme implementiert wurden. Spezifische Hungerhilfe zwischen Staaten wurde dabei auf zwei Ebenen geleistet: einerseits als unmittelbare Nothilfe in akuten Hungerkrisen, andererseits aber auch als dauerhafte Nahrungsmittelhilfe, die oft aus unverkäuflichen agrarischen Überschüssen bestand. Vor allem die US-Regierung und später auch die Europäischen Gemeinschaften
Zweitens entwickelten sich die Vereinten Nationen zu einem zentralen Ort, an dem Debatten über Strategien zur Beendigung der Koexistenz von Hunger und Nahrungsüberschüssen sowohl im globalen Nord-Süd-Kontext geführt wurden als auch mit Blick auf wesentlich kleinere geografische Regionen. Im Rahmen der zahlreichen UN-Sonderorganisationen wie etwa der 1945 gegründeten Food and Agriculture Organization (FAO) oder dem Kinderhilfswerk UNICEF sowie den in den 1960er Jahren gegründeten UN Development Program (UNDP) und World Food Program (WFP) wurden Debatten rund um den Kampf gegen den Hunger ausgetragen, wissenschaftlich und statistisch aufbereitet und dokumentiert. Gleichzeitig wurde Nahrungsmittelhilfe durch die UN selbst zu einer üblichen Praxis.
Hungerhilfe wurde und wird drittens auch in großem Umfang von humanitären NGOs geleistet. Interessanterweise etablierten sich viele Hilfsorganisationen der Nachkriegszeit ab den 1950er Jahren schnell als entwicklungspolitische Akteure und verschoben ihren Fokus auf die Entwicklungsländer. Die NGOs CARE und Oxfam sind dafür beispielhaft, unter anderem weil sie ihre Organisationsstrukturen schnell internationalisierten. Doch auch später etablierte Organisationen wie Brot für die Welt (1959) oder die in Frankreich gegründete Action contre la Faim (1979) etablierten erfolgreiche Hilfsprogramme und Kampagnen. Seit den 1980er Jahren sind zudem zunehmend große globale Kampagnen wie Live Aid oder webbasierte Fundraising-Events erfolgreich.
Die Arbeit von NGOs verlief und verläuft dabei auf verschiedenen Ebenen: So kooperieren humanitäre NGOs eng mit Regierungen und internationalen Organisationen, sowohl bei der Umsetzung und Logistik von Hilfsprogrammen als auch in zahlreichen gemeinsamen öffentlichen Foren, in denen über Strategien und praktische Herausforderungen im internationalen Kampf gegen den Hunger debattiert wird. Gleichzeitig verstehen sich viele NGOs als organisierte Stimme der Zivilgesellschaft, die Regierungen und internationale Organisationen zu stärkerem Engagement im Bereich der Hunger- und Nothilfe drängen und entsprechend auch unbequeme Positionen beziehen müssen.
21. Jahrhundert: Ende des Hungers?
Der internationale Kampf gegen den Hunger ist auch im 21. Jahrhundert seiner Definition nach grenzüberschreitend. Nicht nur Regierungen, internationale Organisationen und NGOs, sondern auch die globale Zivilgesellschaft selbst sind heute über Medien, Reisemöglichkeiten und Soziale Netzwerke enger miteinander verbunden als je zuvor. Dennoch scheint das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark betonte Ziel einer Beendigung des Hungers in weiter Ferne zu liegen. Wurde in den im Jahr 2000 formulierten Millennium Development Goals der Vereinten Nationen eine Abschaffung von Hunger und extremer Armut bis 2015 noch für realistisch erachtet, zeigen gegenwärtig internationale Statistiken wie der Welthungerindex, dass 2022 kaum Fortschritte im Kampf gegen den Hunger gemacht wurden.