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Wasser auf die Mühlen der Entwicklungsziele | Wasser | bpb.de

Wasser Editorial Am Anfang war das Wasser Trinkwassersicherung in Deutschland Das Recht am Wasser Wasser auf die Mühlen der Entwicklungsziele Wasser und Sicherheit. Zwischen Konflikt und Kooperation Risiko Starkregen. Stadtplanung im Zeichen des Klimawandels Kongo: Konturen einer Flussbiografie

Wasser auf die Mühlen der Entwicklungsziele

Tobias von Lossow Annabelle Houdret

/ 17 Minuten zu lesen

In fast allen Bereichen des täglichen Lebens spielt Wasser eine zentrale Rolle, beispielsweise um Nahrungsmittel herzustellen und zu verarbeiten oder um industrielle Güter zu produzieren. Hydroenergie trägt zur Stromerzeugung bei, Kühlsysteme nutzen oft Wasser, und Flüsse dienen als Transportwege. Zur Erholung werden Schwimmbecken befüllt, Golfplätze bewässert, auf Seen wird gerudert und gesegelt. Spirituelle oder religiöse Zeremonien sehen Taufen, Waschungen und Bäder vor, und nicht umsonst verorten viele Kulturen ihre Wurzeln oder gar die Wiege der Menschheit entlang großer Flussläufe, in fruchtbaren Deltas oder regenreichen Hochlagen. Als Trinkwasser ist das blaue Nass sprichwörtlich (über-)lebensnotwendig, da jeder Mensch täglich Wasser zu sich nehmen muss, das auch nicht durch andere Substanzen ersetzt werden kann.

In diesem Beitrag wird zunächst die Bedeutung der Süßwasserressourcen für die Trinkwasserversorgung erkundet, die vielbeschworene "Wasserkrise" aufgezeigt und erklärt, auf welche Strategien die Vereinten Nationen zu ihrer Bewältigung und zur Verbesserung der Versorgung setzen. Anschließend soll auf akute oder lokal besonders schwerwiegende Herausforderungen eingegangen werden, die die chronische Wasserkrise weiter verschärfen: die Wasserversorgung in Krisen- und Kriegsgebieten und die Sicherung der Trinkwasserversorgung während der Corona-Pandemie. Schließlich werden Probleme und Lösungsansätze der globalen Wasser-Governance skizziert.

Facetten der Wasserkrise

Da Wasser so wichtig ist, wird es oft als "Blaues Gold", "wichtigster Rohstoff auf Erden" oder "wertvoller als Öl" gepriesen, was vor allem den wirtschaftlichen Stellenwert unterstreicht. Begriffe wie "Lebenselixier" oder "Grundlage allen Lebens" heben seine existenzielle Bedeutung hervor. Wasser wird in vielen Debatten mit einer hinreichenden Trinkwasserversorgung verbunden, wonach für jeden Menschen eine ausreichende Wassermenge in angemessener Qualität zu Verfügung stehen muss. Zur Befriedigung der sanitären Grundbedürfnisse sind zudem weitere Wasserressourcen erforderlich. Beide Standards sind vielerorts nicht gewährleistet: Weltweit leiden 2,2 Milliarden Menschen darunter, keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, 785 Millionen fehlt sogar eine Grundversorgung. Zudem stehen 4,2 Milliarden Menschen keine sicheren Sanitäreinrichtungen zur Verfügung, wovon 2,4 Millionen nicht einmal die Möglichkeit haben, Toiletten oder Latrinen zu nutzen. Diese Versorgungslücke hat drastische gesundheitliche, soziale, wirtschaftliche und finanzielle Folgen – für jede:n Einzelne:n sowie für die Gesellschaften insgesamt.

Wie stark Menschen von Wasserknappheit betroffen sind, erfasst unter anderem der sogenannte Falkenmark-Index, der den Grad des Wasserstresses in vier Stufen abbildet: Stehen pro Land, Jahr und Person a) mehr als 1700 Kubikmeter Wasser bereit, gilt die Versorgung als gesichert. Im Intervall b) zwischen 1.000 und 1.700 Kubikmetern herrscht Wasserarmut (oder Wasserstress), bei einer Menge c) von 500 bis 1.000 Kubikmetern spricht man von Wasserknappheit – es handelt sich bereits um eine kritische Situation, in der sich gesundheitliche Probleme und volkswirtschaftliche Einbußen bemerkbar machen. Stehen d) einer Person weniger als 500 Kubikmeter Wasser im Jahr zur Verfügung, herrscht absolute Wasserknappheit (oder akute Wassernot). Diese kritische Schwelle gilt als äußerstes Versorgungsminimum, unterhalb dessen sich bereits heute viele Länder im Nahen Osten oder entlang der Sahelzone befinden.

Aber selbst dann, wenn ein Land nicht unter die beiden letztgenannten Kategorien fällt, sagen solche üblicherweise landesweit erhobenen Daten wenig über lokale Unterschiede aus. Ebenso wenig werden Ungleichheiten entlang eines Stadt-Land-Gefälles, zwischen Arm und Reich oder Frauen und Männern erfasst.

Die global verfügbare Süßwassermenge – Regenfälle, erneuerbare und nicht-erneuerbare Grundwasservorkommen sowie Oberflächengewässer (Flüsse und Seen) – würde grundsätzlich ausreichen, um die Weltbevölkerung mit Wasser zu versorgen. Allerdings sind diese Vorkommen kontinental, regional, national und lokal oft ungleich verteilt. Steht nicht genügend Wasser zur Verfügung, ist zwischen physischer und ökonomischer Knappheit zu unterscheiden: Erstere beschreibt einen physischen Mangel, die Abwesenheit von Trinkwasser wie auf der arabischen Halbinsel, wo es keine Flüsse oder Seen gibt, kaum Regen fällt und die wenigen Grundwasservorkommen mittlerweile weitgehend erschöpft sind. Bei ökonomischer Wasserknappheit hingegen ist grundsätzlich genug Wasser vorhanden, das betroffene Land, die Region oder die Gemeinde aber aus finanziellen, institutionellen oder politischen Gründen oder mangels Erfahrung nicht in der Lage oder willens, diese Ressourcen für die Bevölkerung zugänglich zu machen. Dies betrifft beispielsweise Regionen im nördlichen wie im südlichen Afrika, wo bestehende Grundwasservorkommen oftmals nicht nutzbar gemacht werden können. Eine zufriedenstellende, idealerweise flächendeckende Trinkwasserversorgung ist daher auch eine Frage nachhaltigen Ressourcenmanagements, finanzieller Investitionen und politischer Entscheidungen.

Die weltweit zunehmende Verknappung der Süßwasserressourcen beeinträchtigt zusehends die Versorgungssicherheit. Auf der einen Seite der sich immer weiter öffnenden Schere aus Angebot und Nachfrage verringert sich das Wasserangebot infolge von Verschmutzung, Übernutzung und Klimawandelfolgen. Auf der anderen Seite steigt parallel dazu die Nachfrage infolge des Bevölkerungswachstums, der wachsenden Wirtschaft und der steigenden Lebensstandards. Neben der Menge ist für die Trinkwasserversorgung vor allem die Qualität entscheidend. Verschmutzung durch industrielle Abwässer, Pestizideinträge aus der Landwirtschaft, Abwässer der Haushalte und gezielte Entsorgung von Giftstoffen belasten Oberflächen- wie Grundwasser. Als Folge rückläufiger Wassermengen in Flüssen und Seen steigt der Grad der Verunreinigung zusätzlich. Der Klimawandel schließlich führt vermehrt zu Dürren, Überschwemmungen und Sandstürmen; steigende Meeresspiegel lassen küstennahe Grundwasserspeicher zusehends versalzen.

Angesichts der wachsenden Versorgungslücke wächst auch die Konkurrenz der unterschiedlichen Wassernutzer:innen. Die Landwirtschaft verbraucht im globalen Durchschnitt gegenwärtig rund 70 Prozent der vorhandenen Ressourcen, die Industrie 20 und private Haushalte 10 Prozent. Regional variieren diese Werte aber deutlich. In wasserarmen Regionen kann der Anteil der Landwirtschaft auch bei über 90 Prozent liegen, während in industriell entwickelten Regionen 30 bis 40 Prozent des Wasserverbrauchs auf die Industrie entfallen.

Die zunehmende Konkurrenz führt zu zahlreichen Wasserkonflikten zwischen Staaten, Provinzen und Gemeinden – aber auch zwischen und innerhalb unterschiedlicher Nutzergruppen. Während auf zwischenstaatlicher Ebene eher Kooperation dominiert, um die verfügbaren Ressourcen besser zu managen und zu nutzen, werden innerstaatliche Konflikte teils auch gewaltsam ausgetragen. Konflikte zwischen sesshaften Ackerbauern und nomadisch lebenden Viehzüchtern in der Sahelzone sind ein solches Beispiel. Auch im Zusammenhang mit der Privatisierung von Trinkwasser gibt es immer wieder teils gewaltsame Proteste. Ein prominenter Fall trug sich sich um die Jahrtausendwende in der bolivianischen Stadt Cochabamba zu, wo die Regierung infolge des Widerstands in der Bevölkerung die Privatisierung der Wasserversorgung rückgängig machte.

Um eine angemessene Trinkwasserversorgung international rechtlich zu verankern, haben die Vereinten Nationen in ihrer Vollversammlung am 28. Juli 2010 den Zugang zu sauberem Wasser als Menschenrecht festgeschrieben. Während dieser Schritt aufgrund des starken politischen Signals als Meilenstein gilt, hat sich für die Betroffenen seither dennoch wenig verändert, da sich dieses Recht letztlich nicht einklagen lässt. Eine Ausnahme ist Südafrika, das den Zugang zu Wasser in seiner Verfassung fixiert und damit eine belastbare Rechtsgrundlage geschaffen hat. Grundsätzlich bleibt die Trinkwasserversorgung aber vielerorts unzureichend – mit drastischen Folgen für die menschliche Entwicklung.

Im Zentrum der UN-Entwicklungsziele

Um den komplexen Herausforderungen und der weit verbreiteten Knappheit Rechnung zu tragen, haben die Vereinten Nationen Wasser prominent in ihrer 2015 verabschiedeten "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" verankert. Von 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) lautet Ziel 6, "die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle [zu] gewährleisten" – und verdeutlicht damit, dass der Zugang zu sauberem Trinkwasser auch eine Frage des Ressourcenmanagements ist. Die sechs Unterziele berücksichtigen die soziale Dimension, indem sie "gerechten" und "bezahlbaren" Zugang zu Trinkwasser einfordern. Zudem gehen sie auf die Notwendigkeit besserer Wasserqualität und effizienteren Managements der Ressource ein. Schließlich ist auch die "ökologische Dimension" Teil des Ziels, indem etwa wasserverbundene Ökosysteme besser geschützt werden sollen.

Um die Nachfrage unterschiedlicher Wassernutzer:innen besser zu koordinieren, aber gleichzeitig die Ressource nachhaltig zu schützen, umfasst das SDG 6 auch das Ziel der "integrierten Bewirtschaftung der Wasserressourcen". Bereits seit den 1990er Jahren hat sich vielerorts das sogenannte Integrierte Wasserressourcen-Management (IWRM) als Umsetzungsstandard durchgesetzt, das die Bewirtschaftung der Ressource auf Ebene der Einzugsgebiete vorsieht. Auf diese Weise sollen Verfügbarkeit, Qualität und Entnahme von Wasser unter Berücksichtigung unterschiedlicher Nutzer:innen und Einflussfaktoren etwa in den Zuläufen großer Flüsse besser abgestimmt werden. Die Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen der Verfügbarkeit, dem Konsum und der Sicherstellung von Wasser, Energie und Nahrung ("Water-Energy-Food-Nexus") erfordern eine verbesserte Koordination im Interesse aller Sektoren, um Zielkonflikte zu vermindern.

Die für das IWRM notwendige Erfassung von Qualität und Menge, aber auch die Koordinierung der betroffenen Akteur:innen etwa in Flussgebietsorganisationen bietet viel Potenzial, stößt in der Praxis jedoch vielerorts an Grenzen. Zum einen erstrecken sich Flussgebiete häufig über mehrere Länder, was die Entscheidungsprozesse und den Datenaustausch etwa beim Monitoring und einer koordinierten Nutzung der Ressource erheblich erschwert. Zum anderen mangelt es den oft neu geschaffenen Management-Institutionen häufig an Geld, Personal und Ausrüstung. Nicht zuletzt fehlt oft auch politischer Rückhalt, beispielsweise gegenüber einflussreichen Unternehmen aus dem wasserintensiven Bergbau- oder Agrarsektor. Besondere Herausforderungen ergeben sich zudem bei grenzüberschreitenden Flüssen, wo sich eine einseitige Wasserentnahme am Oberlauf schnell verschärfend auf konfliktgeladene zwischenstaatliche Beziehungen auswirken kann.

Die Zielkonflikte, die sich aus den Wechselwirkungen zwischen der Wassernutzung der verschiedenen Sektoren ergeben, aber auch das Potenzial für "Win-win-Lösungen" sind im Rahmen der SDG-Agenda der Vereinten Nationen umso wichtiger. Die Umsetzung von Ziel 6 steht in direktem Zusammenhang mit anderen Zielen (Abbildung): So ist eine ausreichende Wasserversorgung beispielweise zentral für die Gesundheit (SDG 3), die Armutsbekämpfung (SDG 1), die Hungerbekämpfung (SDG 2), aber auch für Bildung (SDG 4) und Geschlechtergleichheit (SDG 5), da Wasserholen häufig in der Verantwortung von Frauen und Mädchen liegt. Auch Klimaschutz und Anpassung (SDG 13), nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11), gute Arbeit und Wirtschaftswachstum (SDG 8) sowie nachhaltige Produktion und Konsum (SDG 12) sind ohne nachhaltiges Wassermanagement nicht zu erreichen.

Beziehungen der UN-Entwicklungsziele im Themenfeld Wasser

Trotz der deutlichen Abhängigkeiten ist die Umsetzung in der Praxis schwierig. Ein umfassender Ansatz bedarf größerer Politikkohärenz, um etwa Situationen zu vermeiden, in denen die Befüllung eines Stausees zur Energiegewinnung der Landwirtschaft und den umliegenden Ökosystemen zu viel Wasser entzieht. Auch in anderen Konstellationen können sich Zielkonflikte ergeben, etwa wenn wasserintensive Industrie zwar dem Entwicklungsziel des Wirtschaftswachstums dient, ihr Verbrauch aber anderen Zielen wie der Trinkwasserversorgung oder der Armutsbekämpfung zuwiderläuft. Die Umsetzung entsprechender Maßnahmen muss deshalb über geografische und politische Grenzen hinweg abgestimmt sein, damit nicht einzelne Staaten oder gesellschaftliche Gruppen marginalisiert und weitere Entwicklungsziele gefährdet werden.

Umgekehrt lassen sich aber auch Synergien nutzen, um die Umsetzung mehrerer Ziele auf einmal zu fördern. So kann eine verbesserte Trinkwasserversorgung erheblich dazu beitragen, die Verbreitung von Krankheiten einzudämmen und die hohen Fallzahlen von Kindern mit Untergewicht oder Mangelernährung, die unter anderem durch Darminfektionen bedingt sind, zu reduzieren. Im Fall von übernutzten Grundwasserressourcen kommt ein integriertes Wassermanagement nicht nur den Vorkommen zugute, sondern kann gleichzeitig dazu beitragen, die Bewässerung für Nahrungsmittel, die Biodiversität und die schonende Entwicklung der Umwelt zu sichern. Dies wiederum erhöht die Chancen, die Ziele des nachhaltigen Konsums und des Schutzes von Leben unter Wasser zu erreichen. Nachhaltige Industrieproduktion mit ausgereichend geklärten Abwässern und unter Einsatz wassersparender Technologie gibt Ressourcen für die Trinkwasserversorgung frei und hilft, Ökosysteme gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels zu stärken. Diese Beispiele zeigen, dass das Wasserthema eine Querschnittsfunktion für nachhaltige Entwicklung und auch die nationalen Klimaanpassungsstrategien einnehmen kann – und sollte.

Trinkwasser in Extremsituationen

Die Herausforderungen der Trinkwasserversorgung werden mitunter durch Extremsituationen verschärft, die eine Anpassung der darauf ausgerichteten Ansätze erfordern. Darunter fallen beispielsweise Wetterextreme wie Dürren sowie politische Blockaden oder Sanktionen, die die Einfuhr von technologischem Gerät zur Wasserbereitstellung oder entsprechenden Ersatzteilen oft unmöglich machen. Zwei Situationen, die sich als besondere Herausforderungen für die Trinkwasserversorgung erweisen, sind kriegerische Konflikte sowie derzeit die Corona-Pandemie.

Wasserversorgung in Krisen- und Kriegsgebieten

In fragilen politischen Kontexten, in Krisen- und Kriegsgebieten und in Regionen, in denen der Staat sein Territorium faktisch nicht mehr kontrolliert, geraten die oftmals ohnehin unzureichenden staatlichen Strukturen und Institutionen auch hinsichtlich der Wasserversorgung unter zusätzlichen Druck. Oft versuchen dann andere Akteur:innen, eine Versorgerrolle zu übernehmen, um ihre politische Legitimität zu erhöhen. Wasser wird in solchen Kontexten oft als politisches Druckmittel eingesetzt, indem der Zugang nur bestimmten loyalen Gruppen gewährt und anderen wiederum als Strafe für vermeintlichen Ungehorsam vorenthalten wird. Im Irak beispielsweise bestrafte Präsident Saddam Hussein Ende der 1990er Jahre die im Südirak lebenden Marsch-Araber für einen Aufstand, indem er das Marschland trockenlegte und damit die größte ökologische Katastrophe in der Geschichte des Landes verursachte.

In bewaffneten Auseinandersetzungen werden Wasservorkommen sowie Wasserinfrastruktur immer wieder – teils unbeabsichtigt, teils gezielt – angegriffen, beschädigt oder zerstört. Zwar ist ein solcher Akt eine Verletzung internationalen Rechts, des Kriegsrechts und des humanitären Völkerrechts, gleichwohl gerät Wasser aber immer wieder buchstäblich ins Fadenkreuz. Zudem wird es von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteur:innen als Waffe eingesetzt, um strategisch-politische oder taktisch-militärische Ziele zu erreichen. Beispielsweise werden teils ganze Regionen von der Versorgung abgeschnitten, indem Wasser an Dämmen aufgestaut oder umgeleitet wird. In anderen Fällen werden Gebiete mit angestautem Wasser gezielt überflutet, um die Bevölkerung zu vertreiben oder feindliche Truppen in die Flucht zu schlagen. Schließlich werden Wasserressourcen verunreinigt – etwa mit Öl oder Keimen –, sodass sie nicht mehr als Trinkwasser verwendet werden können.

Unabhängig davon verschlechtert sich die Versorgungslage für die Bevölkerung in Krisengebieten durch Schäden an der Wasserinfrastruktur, ausbleibende Wartungsarbeiten und zurückgestellte Modernisierungen. Auch die humanitäre Nothilfe kann die Wassersituation in solchen Fällen nur bedingt verbessern. Oftmals wird internationalen Akteur:innen der Zugang zu betroffenen Regionen verweigert, oder die Sicherheitslage macht einen Einsatz unmöglich.

Eine weitere grundsätzliche Herausforderung ist die Versorgung von informellen Siedlungen und Lagern, in denen geflohene Menschen unterkommen. Unter den genannten Gegebenheiten sind die lokalen Zu- und Abwassersysteme häufig überfordert – insbesondere, wenn die Zahl der Schutzsuchenden rasch wächst. Die politischen und sozioökonomischen Bedingungen erschweren die Situation zusätzlich.

Zugang zu Trinkwasser im Kontext der Corona-Pandemie

Die Covid-19-Pandemie führt die bestehenden globalen Ungleichheiten beim Zugang zu sauberem Trinkwasser nochmals deutlich vor Augen. Mittelfristig kann die Pandemie durch die erheblichen Auswirkungen auf Betreiberunternehmen und das Ressourcenmanagement auch das Erreichen des SDG 6 gefährden. Weltweit verfügen rund drei Milliarden Menschen zu Hause nicht einmal über eine einfache Handwaschgelegenheit. In den Ländern südlich der Sahara haben 63 Prozent der Menschen, die in den von der Covid-19-Pandemie meist stärker betroffenen städtischen Gebieten leben, keinen Zugang zu grundlegender Wasserversorgung, und die dortige Sanitärversorgung ist die niedrigste weltweit. Mangelndes Händewaschen, erhöhte Ansteckungsgefahr in Warteschlangen vor öffentlichen Wasserstellen und unzureichender Zugang zu sanitären Anlagen tragen auch andernorts erheblich zur Verbreitung des Coronavirus bei. Dabei sind Frauen und Mädchen sowie Menschen in Flüchtlingscamps, Slums und Konfliktregionen den erhöhten Gesundheitsrisiken besonders stark ausgesetzt. Hinzu kommt: In einem Drittel der Gesundheitszentren, die weltweit in Regionen ohne Krankenhäuser oder Ärzt:innen eine gesundheitliche Grundversorgung bereitstellen, können sich die Mitarbeiter:innen nicht die Hände waschen.

Die Wartung und der Ausbau der Infrastruktur für die Wasseraufbereitung, Wasserbereitstellung und die Klärung der Abwässer sind von der Pandemie ebenfalls betroffen. So werden entsprechende Arbeiten durch "Lockdowns" und Personalausfälle infolge von Covid-19-Erkrankungen verlangsamt, und gestörte Lieferketten führen zu einem Mangel an technischen und chemischen Komponenten sowie Benzin. Weiter sind die Einnahmen vieler Trinkwasser-Betreiberunternehmen erheblich gesunken, weil Industrieunternehmen infolge der Pandemie weniger Wasser verbrauchen und einige Regierungen die Wassergebühren für Endverbraucher:innen zeitweise ausgesetzt haben.

Im Kontext der Pandemie ist aber nicht nur die Wasserver- sondern auch die Abwasserentsorgung besonders wichtig, da aufgrund eines oft unzureichenden Abfallmanagements vermehrt Erreger und Verunreinigungen ins Wasser gelangen. Zudem erschweren pandemiebedingte Einschränkungen im Personenverkehr die Kontrollen der Wasserverfügbarkeit, -entnahme und -verschmutzung und gefährden so nachhaltiges Ressourcenmanagement. Somit werden auch andere Entwicklungsziele als das SDG 6 direkt oder indirekt beeinträchtigt.

Quadratur des Tröpfchens

Trinkwasserressourcen stehen im Mittelpunkt menschlicher Entwicklung – dennoch gelingt es bisher nur ansatzweise, die vom Menschen verursachte Wasserkrise zu entschärfen. Deren Auswirkungen einschließlich der unzureichenden Trinkwasserversorgung zeigen sich auf lokaler, nationaler und grenzüberschreitender Ebene – verursacht wird sie in Teilen jedoch auch auf globaler Ebene. Globale Entwicklungen wie der Klimawandel und die Ausbreitung von wasserintensiven Konsum- und Handelsmustern wirken sich unmittelbar auf die lokale Wasserverfügbarkeit und -qualität aus, können von der lokalen Ebene aus aber nur schwer beeinflusst werden.

Gleichzeitig ist eine nachhaltige Entwicklung der Wasserressourcen durch zahlreiche lokale, regionale und nationale Wasserprobleme gefährdet, die für sich allein betrachtet nicht zwingend gravierend sein müssen, sich aber kumulativ negativ auf die Ökosysteme auswirken. Jahrzehntelang wurden die Nutzung und der Schutz von Süßwasserressourcen hauptsächlich auf lokaler, nationaler und bestenfalls grenzüberschreitender Ebene geregelt. Angesichts der sich weiter zuspitzenden Herausforderungen stellt sich aber die Frage, wie ein globaler Governance-Ansatz zum Schutz von (Süß-)Wasser aussehen müsste.

Zwar gibt es auf internationaler Ebene verschiedene Koalitionen rund um Wasser, bieten globale Regime einen Rahmen für die Nutzung grenzüberschreitender Gewässer und hat sich das IWRM als dominantes Paradigma herauskristallisiert, das auf nationaler und lokaler Ebene teilweise umgesetzt wird. Allerdings gibt es kein globales (Süß-)Wasserregime – anders als bei der Bekämpfung der Desertifikation, des Klimawandels oder des Biodiversitätsverlusts, für die UN-Rahmenkonventionen vorliegen. Während Süßwasserressourcen durchaus als globales Gemeingut gelten könnten, stehen diesem Ansatz in der Praxis konkurrierende Eigentums- und Nutzungsrechte von Individuen und Staaten entgegen. Zahlreiche Beispiele zwischenstaatlicher Spannungen um die Nutzung grenzüberschreitender Wasserressourcen, aber auch lokale Konflikte um Wasser zeigen diese Schwierigkeiten auf.

Die Verabschiedung von SDG 6 spiegelt also einerseits einen globalen Konsens wider, dass nicht nur die Wasser- und Sanitärversorgung, sondern auch der Schutz der Ressource an sich ein übergeordnetes Ziel ist. Andererseits wird die Ressource nicht als globales Gemeingut gesehen und es besteht auch kein globales Regime. Die 2003 unter dem Dach der Vereinten Nationen gegründete Organisation UN-Water erfüllt zwar eine koordinierende Funktion für über dreißig mit Wasser befasste UN-Agenturen, aber da sie nur mit einem sehr begrenzten und politisch schwachen Mandat ausgestattet und darüber hinaus unzureichend finanziert ist, kann sie ihrer Aufgabe bislang nur zum Teil nachkommen. Was etwa das Problem der Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Entwicklungszielen angeht, sind auch ihr die Hände gebunden, wenn einzelne UN-Organisationen teilweise gegensätzliche Interessen verfolgen. Als wirksam erwies sich dagegen das 2004 auf Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan gegründete und hochrangig besetzte United Nations Secretary General’s Advisory Board on Water and Sanitation (UNSGAB). Dem Beratungsgremium gelang es, die Sichtbarkeit von Wasser und Sanitärversorgung auf internationaler Ebene zu stärken und zahlreiche Projekte zu ihrer Verbesserung zu initiieren.

Die aktuellen Herausforderungen durch die Covid-19-Krise verdeutlichen erneut, dass sich nur mit einem ganzheitlichen Ansatz die Verfügbarkeit der Ressource Wasser langfristig verbessern und positive Wechselwirkungen mit anderen Entwicklungszielen erreichen lassen. Die pandemiebedingt hohe Aufmerksamkeit für die Bedeutung sicherer Wasser- und Sanitärversorgung birgt dabei auch Chancen im Sinne des von den Vereinten Nationen geforderten build back better. Es gilt, diese Aufmerksamkeit zu nutzen, um Investitionen und neue Finanzierungsmodelle anzustoßen, die Widerstandsfähigkeit der Wasserversorgung und der damit befassten Unternehmen gegenüber Risiken und externen Schocks zu stärken sowie insgesamt die Anpassung an den Klimawandel zu verbessern. Durch einen holistischen Ansatz könnte auch die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens unterstützt werden – schließlich sehen rund 80 Prozent der nationalen Klimaschutzbeiträge im Rahmen des Abkommens Anpassungsmaßnahmen im Wassersektor vor.

Die ganzheitliche Perspektive verdeutlicht jedoch auch, dass nachhaltige Wasser-Governance dezidierte und mutige politische Entscheidungen erfordert. In Ländern mit Wasserknappheit etwa ist es illusorisch, durch immer mehr Staudämme, immer tiefere Grundwasserbohrungen und kostspielige Entsalzung die verfügbare Wassermenge immer weiter zu erhöhen, um die steigende Trinkwassernachfrage zu bedienen. Doch das Nachfragemanagement – wer bekommt zu welchen Bedingungen wie viel Wasser – ist ungleich politischer und stellt etablierte Machtverhältnisse infrage, wenn unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen sind. Dennoch ist es unerlässlich, wasserpolitische Entscheidungen mit langfristigen Entwicklungszielen in Einklang zu bringen und hier stärker nachfrageorientiert zu steuern. So ist beispielsweise sorgfältig abzuwägen, ob knappe Ressourcen für wasserintensive Exportprodukte wie Tomaten oder Melonen verwendet werden, die eher den kurzfristigen Interessen der Agrarindustrie dienen, oder ob wassersparende Technologien auch mittellosen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zugänglich gemacht werden, um deren Existenz zu sichern und ihr Abwandern in die Städte zu vermeiden.

Angesichts seiner wichtigen sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und ökologischen Rolle ist Wasser als zentrales Element in den UN-Entwicklungszielen verankert, die neben der Verbesserung der Trinkwasser- und Sanitärversorgung vor allem auch ein nachhaltiges Ressourcenmanagement vorsieht. Eine solche Steuerung steht heute vor vier wesentlichen Herausforderungen: Erstens fehlt ein globales Regelwerk für nachhaltige Wasser-Governance. Zweitens mangelt es an einem politisch hochrangigen und ausreichend mandatierten Forum für die Diskussion und die Entwicklung verbindlicher Lösungsansätze. Daher ist, drittens, die Umsetzung von SDG 6 – auch im Hinblick auf Wechselwirkungen mit anderen SDGs – nicht ausreichend auf der globalen Ebene verankert. Und viertens ist die Wissensbasis in Bezug auf die Qualität und die Menge der Wasservorkommen und ihrer Nutzung häufig nicht ausreichend, um informierte Entscheidungen zum nachhaltigen Management zu treffen.

Die Covid-19-Pandemie hat der Wasser- und Sanitärversorgung erneut politische Aufmerksamkeit beschert und neue Investitionen in die Infrastruktur befördert. In diesem Kontext gilt es, auch auf ein verbessertes Wasserressourcenmanagement als nachhaltige Grundlage zu setzen. Angesichts der zentralen Rolle von Wasser für die SDGs und für die Klimaziele ist ein globales (Süß-)Wasserregime anzustreben. Dessen Umsetzung wird vor allem davon abhängen, ob jenseits der Zielkonflikte zwischen einzelnen Sektoren Win-win-Lösungen ausgemacht und umgesetzt werden, und ob durch politischen Rückhalt auf höchster UN-Ebene eine durchsetzungsfähige Institution für Wasser als globales Gemeingut geschaffen werden kann.

ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Netherlands Institute of International Relations – "Clingendael" in Den Haag. E-Mail Link: tlossow@clingendael.org

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. E-Mail Link: annabelle.houdret@die-gdi.de